Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Schluß

Hugo Brenners Geschichte war zu Ende, und obgleich ich fast atemlos jedem seiner Worte gefolgt war, hatte ich doch staunend beobachtet, wie er sich veränderte, während er sprach. Anfangs sprach er befangen, er unterbrach sich häufig, seine Stimme klang rauh, fast absichtlich kalt, und er lachte dann und wann, als wolle er mich bitten, die Leidenschaft zu vergessen, welche glühend aus diesem Lebensbekenntnis emporflammte.

Es schien, als schäme er sich vor mir oder vor sich selber und als hätte er gefürchtet, daß ich ihm Mitleiden zeigen würde, das er verschmähte. Aber je länger er in seinem Bericht fortfuhr, desto freimütiger sah er mir ins Auge, und je näher er dem Entscheidenden in seinem eigenen Leben kam, desto weniger zitterte seine Stimme. Als er zu Ende war, saß er lange schweigend, und nachdem er sich eine Zigarre angezündet hatte, ging er nach einem alten Schrank, der in einer Ecke im Dunkel stand. Dort machte er sich ein Weilchen mit etwas zu schaffen, das ich nicht sehen konnte. Darauf kam er zurück mit einer Flasche, die er sich Gott weiß woher geholt, stellte sie auf den Tisch und sagte:

»Dies ist ein seltener, alter Wein. Laß uns diese Flasche leeren auf meine Erinnerungen! Dir hat es ja früher nie etwas ausgemacht, eine Nacht zu durchwachen.«

Darauf schenkte er den goldglänzenden, dunkelfarbigen Wein in kleine, schön geschliffene, altertümliche Gläser, hob das seine gegen die Lampe empor, so daß der Wein goldig rot schimmerte, stieß mit mir an und trank es aus.

Wir blieben zusammen sitzen, bis der Morgen anbrach, und die ganze Zeit lag der Glanz der alten Erinnerungen über unserem Beisammensein. Ich hatte ein Gefühl, als wäre ich an einem heiligen Orte, mit hohem Dach und weiten Wänden, und doch war unsere Unterhaltung jetzt so ruhig und alltäglich, als hätten wir nie Gedanken ausgetauscht über das Größte, was einem Menschenleben Farbe verleihen kann. Es erschien mir, als erfreue dies Hugo Brenner. Denn er war während dieses Gespräches so frei und erleichtert, wie ich ihn selten gesehen habe; und dies kam mir um so eigentümlicher vor, als ich von unserer langen Bekanntschaft her wußte, daß er sonst fast verschämt wurde, wenn ihm durch irgendeinen Zufall auch nur ein Wort über sich und seine eigenen Angelegenheiten entschlüpft war. Was mich betraf, so war ich erfüllt von dem Gedanken an alles das, was er mir vor kurzem erzählt hatte; und anfangs konnte ich mich nach dieser langen Beichte nur schwer wieder auf dem Alltagswege der gewöhnlichen Gesprächsgegenstände zurecht finden. Der Übergang war mir gar zu plötzlich.

Schließlich aber begann ich seinem Gefühlsgange ganz instinktiv zu folgen. Wie er da so vor mir saß, halb aufgerichtet und schlank, mit einem jetzt fast unnahbaren Ausdruck in seinem schwermütigen, aufrichtigen Gesicht, verstand ich, daß er dieses Mal – vielleicht das einzige Mal in seinem Leben – einem Fremden wirkliches Vertrauen geschenkt hatte, sei es auch unter Umständen, die natürlich genug gewesen wären, um die meisten anderen zu einer Fortsetzung zu locken. Für Hugo Brenner aber war dieses Gefühl, daß er sich jetzt selber gegeben hatte, etwas rein Überwältigendes, und eben deshalb saß er nun da in dieser fast ein wenig bewußten, vornehmen Ruhe, die mir die Lust und auch die Fähigkeit nahm, ihm den Dank auszusprechen, der mir auf den Lippen schwebte. Ich meine ganz einfach den Dank für die Ehre, die er mir erwiesen und die ich als eine solche empfand.

So, sagte ich zu mir selber, ist der Dichter. Die Menschen lesen sein Werk und wundern sich zuweilen darüber, daß er sich selbst, so ganz und ohne Vorbehalt, gegeben hat. Sie können ja nicht wissen, daß er an dieser äußersten Aufrichtigkeit, die in seinem Innern brennt, so lange getragen hat, daß, wenn er endlich seinem Innern Luft macht, es mit seinem Willen oder gegen ihn geschieht, mit der Gewalt einer Naturmacht, die nichts hindern kann. Und zu den alltäglichen Menschen gesellen sich dann die Bücherschreiber, die nichts durchlebt haben und nichts kennen. Sie sprechen die Gedanken der alltäglichen Menschen aus und derer, welche nicht in Versuchung kommen, offen zu sein, weil ihre Leere ihnen bewußt ist; sie spielen die Vornehmen den großen Leidenschaften gegenüber und nehmen die Brutalität der Alltäglichkeit zum Verbündeten; und da sie sich der Sympathie sicher fühlen, die die Banalität verleiht, überfallen sie den Schweigenden, der einmal offenherzig gewesen ist, und sagen: Wie kann man sein eigenes Leben preisgeben?

Wenn diese Äußerungen aber fallen, hat die Leidenschaft den Einsamen, der nicht schweigen konnte, schon verlassen; und im scheuen Gefühl seiner Tollkühnheit ist er sich bewußt, daß seine Worte in die Welt hinausgegangen sind und daß er sie nicht mehr zurückrufen kann. Und wie dankbar er auch für die Sympathie derer ist, denen die Einwendungen der Alltäglichkeit leere Phrasen sind, so krampft sich doch sein Herz in Angst zusammen bei dem Gedanken, daß seine besten Absichten mißdeutet und sein Ich preisgegeben worden ist.

So sah ich Hugo Brenner vor mir sitzen, und so legte ich sein unbewußtes Spiel mit mir und sich selber aus, als er mich mit der Kühle etwa einer angenommenen Maske daran hinderte, mich ihm auch nur mit dem geringsten Worte zu nähern – ihm, der mir vor kurzem so ganz nahe gewesen war.

Ich empfand es so stark, daß ich es nicht über mich vermochte, auch nur den leisesten Versuch zu machen, mich diesem schweigenden Willen zu widersetzen, den ich ebenso sicher herausfühlte, als ob er ihn selber mit seiner alten Überlegenheit ausgesprochen hätte.

Das einzige, was ich nicht unterlassen konnte zu sagen, war:

»Weshalb bist du nicht Dichter geworden?«

Er sah weg, als er antwortete:

»Deshalb, weil ich nie weniger als alles hätte sagen können. Und alles zu sagen, dazu fehlt mir die Kraft. Aus lauter Ängstlichkeit wäre ich ein Dilettant geworden. Und du weißt, daß ich diese verabscheue, auch in der Dichtung, am meisten aber im Leben.«

Darauf hob er sein Glas gegen das meine, und schweigend leerten wir die letzten Gläser bis auf den Grund.

Als ich ihm Lebewohl sagte, drückte ich stumm seine Hand, weil ich wußte, daß ich nichts sagen durfte; als ich aber schon in der Tür stand, konnte ich es nicht lassen mich umzuwenden, um ihn noch einmal zu sehen. Er glich einem Kämpen, wie er da stand, und das letzte, was ich von ihm sah, war ein Lächeln.

 

Ende

 


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