Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Drittes Kapitel

Ich weiß es jetzt sehr wohl – und ich habe Zeit genug gehabt, über die Sache nachzudenken – daß ich zu den im Norden nicht seltenen Naturen gehöre, die während des größten Teils ihres Lebens umherzuwandern scheinen ohne Ziel, unfähig zu irgendeiner ernsteren Kraftanstrengung, die aber zeitweilig aus ihrem Schlaf erwachen und dann eine Energie entwickeln, welche Berge zu versetzen imstande scheint. Sie gleichen unserer eigenen Natur, die den langen Winterschlaf schläft, bis der Frühling kommt mit seinen hellen Nächten und langen Tagen, wo dann in einigen Wochen der Bärenschlaf der langen Wintermonate wieder eingeholt wird.

Als ich meinen Entschluß einmal gefaßt hatte, warf ich mich deshalb auch mit einer gewissen frohen Gewaltsamkeit auf die Anstrengungen, die ihn verwirklichen sollten. Ich suchte überall Arbeit, und ich fand sie. Es war, als bahnten mir lichte Elfen den Weg, und ich arbeitete für mein neues Ziel mit der ruhigen Freude, die ein Mann empfindet, wenn keine Zweifel ihn länger beunruhigen können. Ehe zwei Monate verflossen waren, hatte ich, derselbe Mann, den du hier vor dir siehst, eine Wohnung gemietet, aus drei kleinen Zimmern und einer Küche bestehend, auf Söder und mit schöner Aussicht. Ich hatte Möbel gekauft und alles wie für ein neuverheiratetes Paar eingerichtet, und dann hielt ich Hochzeit mit einigen Kameraden als Zeugen und einem einfachen Abendessen hinterher im Restaurant Reisen. Alles ging so märchenhaft schnell und leicht, daß ich nachher kaum fassen konnte, wie diese plötzliche Veränderung meines Daseins zur Wirklichkeit geworden war.

Und dorthin, in die kleinen Zimmer, unter denen die Wellen des Stromes glänzten und abends Funken stoben, als ob sie mit Licht überspritzt wären, dorthin führte ich an diesem wunderlichen Hochzeitsabend meine junge Gattin heim. Und als wir eintraten, stand in der Winternacht der Mond klar über der schlafenden Stadt, die so weit unter uns dalag, als sollten ihr Lärm und ihre Unruhe nie bis zu uns heraufreichen können. Der Schein des Mondes strömte über die schneebedeckten Dächer, und um den bleichen Mond stand ein Ring von Licht, ein Nordscheinkranz, der einer Brautkrone glich.

Wie deutlich steht mir dieser Abend vor Augen! Ach, wie gut erinnere ich mich seiner noch! Signe ging entzückt in den Zimmern umher und betrachtete alles, was so plötzlich ihr Eigentum geworden. Sie besah sich das einfache Porzellan, horchte auf den Schlag der Uhr, nahm die kleinen Dekorationsgegenstände herunter, ging aus und ein und konnte sich vor lauter Gemütsbewegung nicht beruhigen.

Ich selber saß am Fenster und betrachtete mit einem sonderbaren, fremden Gefühl dieses überströmende Glück, das ich selbst geschaffen hatte. Ich beantwortete ihre Freudenausbrüche und suchte ihrer Stimmung zu folgen, die ich so gut verstand und so natürlich fand. Aber während ich sprach und antwortete, alles anhörte und mich glücklich und ruhig zeigte, glitten meine Augen über die schlafende Stadt hinaus. Ich suchte etwas anderes als das, was ich jetzt gefunden. Und zum ersten Male verstand ich, klar und deutlich, daß, was ich jetzt gewonnen hatte, die große, grenzenlose Leere war.

Dies verstand ich, wie gesagt, schon damals. Wie war es möglich, daß ich es nicht eher verstanden? Wie war es möglich, daß ich hatte vergessen können? . . . Aber genug davon! Ich will dir alles erzählen, so wie ich es jetzt weiß. Ich entsinne mich, daß ich dasaß wie in einem Traum, und ich erinnere mich des Traums. Ich wußte nicht, ob das, was ich um mich sah, Wirklichkeit war oder nicht. Aber in der Erinnerung wurde es mir plötzlich so warm, daß mir das Blut im Herzen stockte, und um mich herum war strahlender Sommer. Es war mitten in einem großen dichten Walde, wo der reißende Bach mit starkem Strom an den Ufern flutete und mit kleinen weißen Schaumwirbeln über die rundgeschliffenen Flächen der Steine dahinrauschte. In der Luft lag ein Duft von Harz und Sonnenwärme, und vor meinen Augen war ein Flimmern wie von Sonnenstrahlen, welche zwischen zitternd heißem Nadelholz spielen. Da sah ich mich selber, ganz unähnlich dem, was ich jetzt war. Ach, wie verschieden! Ich hatte die Universität noch nicht verlassen und erlitt meinen ersten Schmerz. Meine Mutter war gestorben, und unter Studien und Träumereien trug ich stets jenes ernste, feierliche Gefühl mit mir herum, welches den erfüllt, der zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht mit dem Tode steht. Aber mitten im Kummer blieb ich doch der Student; mein Horizont war vielleicht nur eng begrenzt, aber hinter ihm lag die ganze Welt in schwebendem Nebel.

Ich war indessen nicht einsam. Denn neben mir, auf dem Pfade, der dem Lauf des Baches folgte, ging ein junges Mädchen, das, während ich redete, zu mir aufschaute. Ich liebte sie, weil sie sich meines jugendlichen Kummers annahm und ihn mit mir teilte. Wie hatte ich dies vergessen können? Wie war es möglich? Ich fand in der Natur dieses jungen Mädchens, das so nach Leben dürstete und mich furchtlos nach allem fragte, eine Verkörperung alles dessen, was der eine Mensch bei dem anderen am höchsten zu lieben vermag.

Als ich in der Hochzeitsnacht in meinem neuen Heim saß, kam mir diese Szene immer deutlicher vor Augen, und zuletzt war es mir, als hörte ich ihre Stimme und meine, die ihr Antwort gab.

Den Kummer hatte sie mir abgenommen, und wir sprachen nun von meinen Zukunftsträumen.

»Und wenn Sie Ihr Examen gemacht haben,« fragte sie, »was dann?«

»Dann gehe ich in die Welt hinaus wie die andern.«

»Nicht wie die andern«, klang es von ihr zurück.

»Weshalb nicht wie die anderen?«

Sie antwortete nicht, lachte nur, und ihre hohe, schlanke Gestalt beugte sich zu mir. Da hätte ich sie fast in meine Arme genommen, sie an mich gedrückt und fürs ganze Leben festgehalten. Aber die Schüchternheit der Jugend und das Gefühl der Verantwortlichkeit, welches die Liebe hemmt, zwangen mich zum Schweigen, die Worte erstarben mir auf den Lippen, ich zwang sie gewaltsam zurück und sah hinweg. Denn ich wußte, wenn es zu Worten käme, würde ich mehr sagen, als ich wollte. Was war ich? Was konnte ich von der Zukunft erwarten? Welches Recht hatte ich, störend in ihr Leben einzugreifen? Sie war reich, jung, schön. Sie war auf einem Gute geboren und bestimmt, es zu besitzen, als einzige Erbin. Ich war in ihre Nähe gekommen, weil ich im Heim ihrer Mutter zu Gaste gewesen war. Die Umgegend entbehrte nämlich des geselligen Verkehrs, und ich war ein gebildeter junger Mann, der zufällig im Inspektorshof wohnte, um während der Sommerzeit das wieder einzuholen, was ich während eines lebhaften Winters in Upsala versäumt hatte. Ach, wie gering fühlte ich mich ihr gegenüber. Wie gering und machtlos! Nie zuvor hatte ich so deutlich erkannt, daß die Welt voller Schranken ist und daß ich nicht der Mann war, sie niederzureißen.

Aber meine Natur konnte ich doch nicht zwingen, und als wir uns nun wieder und wieder begegneten, als wir miteinander vertraut wurden und anfingen, einander alles zu sagen, da ließ ich alle meine Bedenken fahren und nahm mein kurzes Liebesmärchen hin wie einen Mittsommernachtstraum, von dem ich leben mußte, wenn dunklere Zeiten kämen. Und es wurde mir dieser Sommer zu einer Jubel- und Wonnezeit, so wie ich armer Mann es nie erlebt hatte. Auf die hellen Sommernächte folgte die große Hitze, die heiße Luft und satte Üppigkeit des Juli, bis auch der ein Ende nahm und die ersten gelben Flecken das Grün der Birken färbte. Die ganze Zeit hindurch traf ich sie öfters, zuletzt jeden Tag. Und so wie sie es mich lehrte, hatte ich bisher niemals sprechen können; diesem offenen und frischen jungen Mädchen, vor dem die Welt so heiter, so selbstverständlich dalag, wie sie es nur tut vor den vom Glück Auserwählten, vertraute ich an, was ich niemals, selbst einem Freunde nicht, hatte anvertrauen können, meine tiefe Unlust, ins Leben einzugreifen, und meine Sehnsucht nach dem, was ich schon damals das große, stille Glück nannte. Dieser ganze Sommer wurde für mich, der bis dahin nur Verkehr mit Kameraden gehabt und wenig Freunde besessen hatte, zu einem einzigen Sonnenbad, das meine Natur umschmolz und sie licht und gut machte. Es war nicht bloß Liebe, die ich in vollen Zügen trank, es war die Gesundheit, Fülle des Lebens, die mir zuteil wurde. Und es gab nichts, das uns gehindert hätte. Denn die alte Freiherrin war Witwe und bewirtschaftete den Hof mit größerer Überlegenheit, größerem Eifer als mancher Mann, und ihre Tochter ging ihre eigenen Wege, wie die Mutter es getan, nur mit der sonnigen Unschuld, bei der alles angeht.

Wie ich nun an meinem armen Hochzeitsabend träumend dasaß, sah ich sie, sah sie mit dem Bache und dem Walde als Hintergrund, im hellen, fußfreien Kleide und ohne Hut, sah sie, wie sie am letzten Mondscheinabend an meiner Seite schritt, als die Schatten im Waldesdunkel von Lichtpfaden unterbrochen wurden und der Glanz des Mondes auf dem Bache flutete, der schwarz zwischen tiefen Ufern dalag. Wir machten unsern Abschieds-Spaziergang, und ohne daran zu denken oder es zu beachten, duzten wir uns. Sie legte ihre Hand auf meinen Arm, und das Glück erfüllte uns beide so ganz, daß keiner von uns sprechen konnte. Und zuletzt, als wir uns trennten, in der großen, geraden Allee, wo die geschnittenen Linden so wunderliche Schatten warfen, sagten wir einander Lebewohl. Ich küßte ihre Stirn, und sie ließ ihre linke Hand über meine Wange gleiten, während ihre rechte in der meinen ruhte.

»Vergiß mich niemals«, sagte ich. »Versprich es mir.«

Ich wußte nicht mehr, was ich sagte.

Sie sah mir freimütig in die Augen, während ihr ganzes Wesen zu lachen schien.

»Vergessen?« sagte sie still, als ob sie in etwas Fernes, Unmögliches hineingeschaut. Und sie sprach das Wort, als wäre es etwas Komisches, etwas Undenkbares.

Da wandte ich mich um und ging. Ich sah nicht zurück, weil mein Herz zu voll war.

Alles dieses sah ich, als ich am Hochzeitsabend in meinem eigenen Heim saß und über die Hauptstadt hinblickte, die tief unter mir in der Winternacht schlief. Ich mußte mir Gewalt antun, um zur Wirklichkeit zurückzukehren. War ich es selber, der hier saß, war ich es, der jetzt Ehemann war? Und sie, die mich jetzt erwartete? Wer war sie? Was wollte sie von mir und ich von ihr?

Und es überfiel mich ein Gefühl der Verzweiflung darüber, daß ich, ohne es zu wollen, ohne es auch nur deutlich zu wissen, jemanden betrogen hatte. Oder hatte ich es vielleicht nicht getan? War nur etwas in meinem eigenen Leben zerstört, oder nahe daran zerstört zu werden? Ich hatte wie ein Mann zu handeln geglaubt, hatte meine eigenen Handlungen in einem Lichte gesehen, als stände ich hoch über dem, was andere Menschen denken, wollen oder tun. Aber ich konnte die Ruhe nicht wiederfinden, welche dieser Gedanke mir zuerst verliehen hatte. In mir wand und krümmte es sich, als hätten tausend Messer mir ins Fleisch geschnitten. Und in meiner Grübelei vergaß ich wiederum, wer ich war und was mir geschehen war. Ich sah nur das Dunkel eines Abgrundes, vor dem ich erschauderte.

Da hörte ich plötzlich eine Stimme, welche mich rief, und ich fuhr auf wie ein Mann, der zu früh aus tiefem Schlaf geweckt wird.

»Kommst du nicht bald? ich bin so müde.«

Es war Signes Stimme, die mich schlaftrunken aus der Kammer drinnen rief. Da sah ich plötzlich alles im rechten Licht, mich selbst und die kleinen Zimmer mit ihren dürftigen Möbeln, in der Hast zusammengekauft, wo sie am billigsten waren, sah, wie schief, unwahr, verschroben und verfehlt alles war, verstand es, als hätte ich auf meinem Totenbette gelegen und mein eigenes Leben in einem Schreckensbilde an mir vorübergleiten sehen.

Aber diese Hellsichtigkeit dauerte nur einen Augenblick. Im nächsten hatte die Illusion sich wieder meiner bemächtigt, und meine Stimme wurde ganz weich und flehend, als ich antwortete:

»Verzeih, Signe, mir ist heute abend so wunderlich zumute.«

Und mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich hinein, kniete nieder neben dem Bette, legte das blonde Köpfchen an meine Schulter und küßte den rosigen Mund so zärtlich, als wolle ich für einen geheimen Fehltritt um Verzeihung bitten.

 


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