Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Achtes Kapitel

Am folgenden Tag ging ich frühmorgens nach einem Mietsbureau, um eine Dienerin zu mieten, die wir bisher nie gehabt hatten. Ich tat es, weil ich vor allem an das Kind denken mußte und noch keine Zeit gehabt hatte, mich mit etwas anderem zu beschäftigen. Den Schmerz, der laut werden wollte, zwang ich nieder. Wenn das Schlimmste wahr sein sollte, mußte doch mein kleines Mädchen gerettet werden.

Es glückte mir auch schnell, diese Sache in Ordnung zu bringen. Es war auch leichter für mich als für andere, da ich keine hohen Anforderungen stellte und nicht aufgelegt war, übertrieben kritisch in meiner Wahl zu sein. Für mich galt es, überhaupt nur einen Menschen zu bekommen, gleichgültig wen. Es handelte sich bloß darum, daß Gretchen niemals allein zu sein brauchte. Nachdem diese Sache erledigt war, gedachte ich wieder an meine Arbeit zu gehen. Aber meine Müdigkeit nach der Nacht war so groß, daß ich mich statt dessen telephonisch krank meldete und in ein Restaurant ging, um mich mit einem starken Frühstück zu erquicken.

In dieser Zeit hatte ich außer der Arbeit an den literarischen Sachen, die du kennst, auch noch eine Stellung in einem Versicherungsbureau angenommen, wo ich einige Stunden des Vormittags arbeitete und dafür einen kleinen, aber festen Monatsgehalt bekam. Nun war es diese regelmäßige Abwesenheit vormittags, die mich beunruhigte. Sie hatte schon über ein Jahr gedauert, und meine Phantasie gaukelte mir die unheimlichsten Vorstellungen vor, was da alles ohne mein Wissen geschehen sein könnte.

Und trotzdem trug ich mich heimlich mit der Hoffnung, daß alles, was ich fürchtete, sich doch zuletzt als eitel Einbildung erweisen würde. Es war acht Tage vor Weihnachten. Gretchen hatte morgens zu mir gesagt: »Heute über acht Tage ist Weihnachtsabend!« Sie hatte mich angelacht und ganz vergnügt ausgesehen, und ich war meiner Wege gegangen, mit dem Gefühl, daß sie den plötzlichen Kummer des vorhergehenden Abends vergessen hätte. Ohne weiter über etwas nachzugrübeln, aus reiner Müdigkeit außerstande zu denken, saß ich an meinem Tisch und aß und trank. Essen und Trinken wirkten anregend auf mich, und allmählich begannen meine Gedanken sich zu ordnen. Aber ich hatte bis zu dem Grade Angst vor meinen eigenen Gedanken, daß ich versuchte, sie beiseitezuschieben. Der Auftritt von gestern – oder richtiger die beiden Szenen von gestern – erst Gretchens krampfhaftes Weinen, dann der fremde Gast auf meiner Treppe – – ich wußte ja gewissermaßen, daß es geschehen war; aber eine schlaflose Nacht macht das Gehirn trübe, und das Ganze stand vor mir wie etwas Nebelhaftes und Wirres, bis auf einmal im Dunkel ein Licht aufblitzte und eine so furchtbare Klarheit verbreitete, daß, wie ich vorher vor lauter Dunkel nichts sehen zu können meinte, ich jetzt die Empfindung hatte, als ob meine Augen zu schwach wären, um dieses qualvoll scharfe Licht zu ertragen.

Ich erinnerte mich nämlich des häßlichen Tons, mit dem Signe die Worte sprach: »Ich glaube gar, du bist eifersüchtig?«

Wie ein Blitz flammten diese Worte in mir auf, und in ihrem Lichte schien es mir jetzt leichter, meinen eigenen Seelenzustand zu verstehen, die wunderliche Mischung von Zorn, Verzweiflung und Kummer, die mich beherrschte. Es war mir, als hätte ich jetzt plötzlich Gewißheit bekommen, mir wurde eiskalt dabei, und unwillkürlich sah ich mich um, als fürchtete ich, daß die übrigen Gäste im Restaurant sich über meine Anwesenheit wunderten, mich persönlich kannten und über meine Schande besser unterrichtet wären als ich selber. Daß ich hintergangen war, darüber war ich in diesem Augenblick nicht mehr im Zweifel. Aber es war nicht das, was meine Gedanken beschäftigte. Das schien mir jetzt als etwas vollkommen Untergeordnetes, eine Sache ohne alle Bedeutung, eine Sache, die etwa nur meinen Stolz anging, aber nicht mein Glück. Nein, was in meinem Hirn wühlte und mein Herz stocken machte, das war der Gedanke an Gretchens Tränen und heftigen Kummer. Mein Herz schnürte sich krampfhaft zusammen, es schien mir, als könnte ich es fühlen, wie es in mir stockte. Und ich weiß noch, wie ich mich unruhig im halbleeren Restaurant umsah, diesmal in der vergeblichen Hoffnung, zwischen den frühstückenden Herren, die einen Teil der Tische besetzt hatten, einen Menschen zu finden, dem ich mich anvertrauen könnte.

Einen Menschen, dachte ich, einen Menschen, der mir helfen könnte. Ich suchte in meiner Erinnerung nach Freunden, die ich früher gekannt hatte. Aber ich wußte keinen einzigen, zu dem ich gehen konnte. Mein Herz schrie nach Hilfe, aber ich fand keine. So einsam war ich geworden, einen so leeren Raum hatte ich um mich geschaffen, daß ich keinen einzigen kannte, zu dem ich auch nur hätte reden können. Die früheren Freunde tauchten, einer nach dem anderen, in meiner Erinnerung auf. Halblaut nannte ich ihre Namen, aber es waren leere Worte, die ich hersagte, nichts, wonach ich greifen konnte, um es festzuhalten. Ich fühlte mich so kraftlos, so leer, als wäre es mir unmöglich, irgend etwas auszurichten; schon der Gedanke, vom Tisch aufstehen und nach Hause gehen zu müssen, quälte und beunruhigte mich, weil ich fühlte, daß mir die Kraft selbst zu diesem unbedeutenden Entschluß fehlte. Es war, als wollte mich jemand zwingen, etwas vorzunehmen, das über meine Kräfte ging. Erst der Kellner, der kam, um zu fragen, ob ich noch etwas wünsche, weckte mich aus meinen Grübeleien. Als ob man mich auf dem Versuch ertappt hätte, mich hinwegzustehlen, fuhr ich unter seinem Blick zusammen und gab ein zu großes Trinkgeld, weil ich fühlte, daß ich mir seine Achtung erkaufen müßte. Als ich mich aber wieder draußen auf der Straße befand, sah ich, daß die Sonne schien, und empfand, daß es warm sei. Und dennoch fror mich dermaßen, daß ich es im ganzen Körper fühlte. Betäubt, ohne einen Gedanken daran, weshalb ich ging oder wohin ich ging, schlug ich den Heimweg ein. Ich weiß noch, wie ich die wunderlichsten, die entlegensten Straßen wählte, die ich finden konnte, um sicher zu sein, niemandem zu begegnen, der mich kannte. Schon der Gedanke, einen Menschen grüßen zu müssen, meinen Hut lüften oder einige Worte sagen zu müssen, jagte mir einen übertriebenen Schrecken ein.

Es dauerte eine geraume Zeit, bevor ich heimkam, und als ich die Treppe hinaufstieg, mußte ich stillstehen, um mich zu erholen, ehe ich den Mut hatte hineinzugehen. So sicher war ich, daß ich vor einer Katastrophe stand, die ich nicht würde beherrschen können, aus der ich nicht als Sieger hervorgehen würde.

Indessen, so schnell trifft das, was man fürchtet, selten ein. Ich fand auch nichts, absolut nichts, nur das neue Mädchen war inzwischen angekommen. Es war ein kleines, wohlbeleibtes, blondes Geschöpf mit blauen, ausdruckslosen Augen und einem phlegmatischen Gesichtsausdruck. Sie sah aus, als sei sie auf alles vorbereitet und als fürchte sie nichts, weil nichts sie aufregen konnte. Ich fand die Familie in der Küche versammelt. Signe und sie tranken Kaffee und schienen bereits gute Freunde zu sein. Gretchen saß neben ihnen mit einem Glase Milch in der Hand. Sie sah ganz vergnügt und befriedigt aus, und nur aus einem hastigen Blick heimlichen Einverständnisses, den sie auf mich richtete, konnte ich ahnen, daß sie den gestrigen Tag nicht vergessen hatte.

So ging ich denn in mein Zimmer und versank in vergebliche Grübelei über mich selber und mein Schicksal, und weshalb es keinen Menschen gab, zu dem ich in meiner Not gehen konnte.

 


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