Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Vierzehntes Kapitel

Hätte Elise bestimmen dürfen, so würde sie Gretchen als Pflegekind behalten haben. Diesen Vorschlag machte sie mir eines Nachmittags in der Gegenwart ihres Mannes, und es schien mir, als wäre in einem Nu mein ganzes Leben leichter geworden. Wie sollte ich, der ich ein Mann war, ein Mädchen erziehen? Wie sollte ich ihr in ihrer Entwicklung folgen, wie sie leiten können, so wie nur eine Frau es versteht? Jeden Tag hatte dieser Gedanke mich verfolgt und gequält, ich hatte gefühlt, wie er mich zu Boden drückte mit einem unbeschreiblichen Gefühl von Verantwortung. Aber dieser Vorschlag stieß auf ernstlichen Widerstand von einer Seite, von der ich es am wenigsten erwartete, von Gretchen selber nämlich.

Als Elise in meiner Gegenwart sie fragte, ob sie zu ihr kommen und bei ihr wohnen wolle, antwortete das Mädchen plötzlich und bestimmt:

»Nein.«

»Weshalb aber?« sagte ich. »Denke mal . . .«

Und ich zog sie an mich, erklärte ihr, wie sehr sie einer Mutter bedürfe, mit der sie über alles reden könne, ja ich versuchte ihr zu erklären, daß ein Mann schwerlich ein Mädchen erziehen könne.

Aber das alles scheiterte an einem kleinen Mädchenherzen, das sich in sich selbst zurückzog, und an einem unergründlichen Gesicht, über welches dieses kleine Mädchenherz zu verfügen hatte.

»Ich will bei Papa bleiben«, war ihre einzige Antwort.

Da verstand Elise schneller als ich, zog das Kind an sich und sagte, indem sie es küßte:

»Wenn dir das dein Gefühl sagt, so sollst du es auch tun.«

Nie werde ich den glückseligen, dankbaren Blick vergessen, mit dem Gretchen zu Elise emporblickte.

»Sonst ist Papa ja ganz allein«, sagte das Kind.

Ihre Augen wurden groß, und der Mund zog sich zusammen, wie unter einem gewaltsam beherrschten Kummer. Aber der Kummer konnte auch nicht länger beherrscht werden. Er gab sich kund in einem so gewaltsamen, fast konvulsivischen Schluchzen, daß es lange dauerte, ehe die Tränen hervorbrachen und ihr Gemüt erleichterten. Während des Weinens ging sie von Elise zu mir, und den Kopf an meine Schulter gelehnt weinte sie sich aus auf meinem Schoß. Elise ging hinaus und ließ uns allein, sie wollte uns nicht stören.

Als die Tränen aufhörten, schlang Gretchen die Arme um meinen Hals und rief leidenschaftlich:

»Du darfst nicht mit anderen über das sprechen, was nur dich und mich angeht. Nur du und ich! Versprich es mir!«

Ich verstand sie, aber versuchte dennoch instinktiv mich zu wehren, als ob ich für die Zukunft eine Gefahr geahnt hätte in dieser leidenschaftlichen Hingebung, die alles gab und alles forderte, einer Hingebung, die ich früher nur hatte ahnen können, die aber während der letzten Tage zur Frühreife und mir zum vollen Bewußtsein gelangt war.

»Darf ich nicht mit . . .«

»Ja, ja!« unterbrach sie mich, »aber erst mit mir. Versprich es mir.«

Als ich das Versprechen gegeben hatte, war sie zufrieden, und ihre frohe Miene kehrte zurück. Aber plötzlich kam mir die Einsicht, wie tief ich sie gekränkt hatte, wie gefährlich es war, daß sie so leicht zu verwunden sei. Denn schon seit der Stunde, da sie mit mir allein geblieben war, hatte sie sich da hineingeträumt, daß sie mir alles ersetzen wollte. Mein Freund, mein Helfer wollte sie werden, sie wollte mein Leben leicht machen, auf mich warten, wenn ich aus war, und mir entgegen gehen, wenn ich heimkam.

So hatte sie geträumt, und ihr Traum war aus der größten Liebe gewoben, die es geben kann, der Liebe eines Kindes nämlich, die gepaart ist mit dem Mitgefühl für ein Leiden, welches das Kind ahnt, ohne es vollkommen verstehen zu können. Dieser Traum war das Zarteste und Beste in ihrem Wesen, und derjenige, welcher diesen Traum zerstörte, zerstörte damit das Zarteste und Beste in ihr selber.

So war sie. In einem widerstreitenden Gefühl von Furcht und Glück verstand ich mein Kind jetzt so vollkommen, wie niemals zuvor.

Und während der nächsten Tage wuchs die Gewißheit, daß ich sie recht verstanden habe. Sie konnte mich nicht ansehen, ohne daß ein schwärmerischer Glanz in ihre Augen kam, sich mir nicht nähern, ohne daß ihre ganze Gestalt etwas Weiches und Sanftes annahm von zurückgehaltener Zärtlichkeit, und oft, wenn sie neben mir stand, beugte sie sich nieder und küßte mir die Hand. Sie war voll Dankbarkeit, weil ich ihr erlaubte, für mich zu leben.

Während alles dies geschah, reiste Signe nach Amerika; aus verschiedenen Gründen wurde es mir nicht schwer, die Scheidung zu erlangen. Es schien, als ob alle außer mir sie kannten. Ich habe später nie wieder von ihr gehört. Und nicht einmal in bezug auf meine Tochter habe ich späterhin überhaupt etwas für meine zerstörte Ehe gefühlt. Das war eine abgeschlossene Periode. Und mir war zumute wie einem Manne, der lange an einer ansteckenden Krankheit gelitten hat und nun endlich vom Arzt für geheilt erklärt wird.

 


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