Ludwig Ganghofer
Der Klosterjäger
Ludwig Ganghofer

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Kapitel 29

Es war Herbst geworden. Von den Buchen fiel das welke Laub, und in den kühlen Nächten begannen schon die Hirsche zu röhren.

Wieder erwachte ein Morgen über dem See. Ein grauer, schwerer Nebel lagerte über dem Wasser und flutete um die Bartholomäer Klause. Man konnte kaum auf zwanzig Schritte sehen. Die Tür der kleinen Kirche war offen, und im Dämmerlicht der schmalen Halle stand Pater Eusebius neben dem Altar. Auf den Stufen kniete Wolfrat. Als er sich erhob, schlug er das Kreuz mit der linken Hand; der rechte Arm, den der Ärmel umhüllte wie einen dürren Stecken, hing in einer ledernen Schlinge.

Schweigend traten sie ins Freie und gingen zum Ufer.

»Schau, Wölfi, da wartet schon das Schiffl!« sagte Pater Eusebius und legte seine Hand auf die Schulter des Sudmanns. »Jetzt schau halt, daß du gut heimkommst. Und sei gescheit und mach keinen Streich mehr!«

Wolfrat schüttelte den Kopf und tappte nach der Hand des Paters. Die Augen gingen ihm über. »Vergeltsgott für alles, Vergeltsgott tausendmal!« So stammelte er und quetschte dabei die Hand des Paters, als wäre sie eine Nuß, die er knacken müßte.

»So hör doch auf!« stöhnte Eusebius und befreite seine rotüberlaufenen Finger. »Der Kerl druckt noch mit einer Hand wie ein anderer mit zwei Fäusten. Jetzt aber mach, daß du weiterkommst! Oder hast du an den fünf Monaten daherin nicht genug gehabt? Geh, Wolfrat! Wenn der Schnee fallt, komm ich auch hinaus, und dann schau ich schon einmal, wie's geht bei dir daheim.« Er schob den Sudmann in das Schiff, in dem ein Knecht schon das Ruder bereit hielt.

Wolfrat konnte nicht sprechen, er nickte nur und winkte mit der Hand. Ein Ruck des Schiffes warf ihn auf den Sitz nieder. Schon nach wenigen Ruderschlägen war das Ufer im Nebel verschwunden. Wolfrat starrte in die grauen Schleier, die ihn umhüllten, ihn und das dunkle Los, dem er entgegenfuhr. Sein Herz dürstete nach Weib und Kind. Aber wie durfte er sich freuen, da ihm das Schwerste noch bevorstand. Mit dem lieben Herrgott war er vielleicht auf gleich gekommen; aber der Vogt hatte auch noch ein Wort zu reden. Und wenn die Strafe überstanden war, wie sollte er dann schaffen für Weib und Kind, mit seinem lahmen Arm? Im Sudhaus war es vorbei mit der Arbeit; da brauchte man Leute, die ihre ganzen, gesunden Glieder hatten. Mit der Bauernarbeit war es auch nichts; noch weniger mit Holzen und Flößen. Vielleicht aber fand sich etwas für ihn im Bergwerk? Auf einen Häuerdienst durfte er freilich nicht rechnen; aber einen guten SchlepperEin Bergknappe, der die geförderten Erze auf einem kleinen Wagen (Hund) hinwegschafft. gäbe er wohl noch ab; so schwer möchte niemand den ›Hund‹ laden, daß er ihn nicht vom Fleck brächte. Ein Schlepper also!

Er seufzte tief und strich mit der linken Hand über den dürren Arm.

Da blies ihm ein frischer Wind in den Nacken; der See begann sich zu kräuseln, und der Nebel kam in Bewegung. Wie in Streit und Kampf wallten die grauen Massen durcheinander, wirbelten in drängender Eile über das Wasser, rissen entzwei, zeigten für einen Augenblick einen blauen Fleck des Himmels und eine sonnig schimmernde Bergzinne, schlossen sich wieder und flossen wogend durcheinander. Immer dünner wurden die grauen Schleier. Bald waren sie nur noch anzusehen wie bläulicher Duft, durch den der Glanz der Sonne schon herunterquoll auf das Wasser; jetzt teilten sie sich mit einem klaffenden Riß über den ganzen See hin, legten sich an beiden Ufern mit fließenden Falten über den steilen Bergwald und schwammen langsam in die Höhe, spurlos zerrinnend in der leuchtenden Luft.

Welch ein schöner Morgen! Mit trinkenden Augen blickte Wolfrat umher in dieser farbigen Pracht des Herbstes: tiefblau der Himmel, weißglänzend alle Kalksteinfelsen der hohen Wände, die Nadelwälder saftig grün, alles Laub so feurig gelb und rot, als stünde jede Buche und jeder Ahorn in Flammen. Und über dem ganzen See, auf all den kleinen laufenden Wellen blitzte der Widerschein der Sonne mit tausend gaukelnden Lichtern.

Der Nachen fuhr ans Land. Wolfrat stieg aus, reichte dem Knechte wortlos die Hand und ging mit raschen Schritten davon. Er atmete freier; es war etwas in seine bedrückte Seele gefallen wie ein Trost. Wo er auch ging, überall Glanz und Licht. Die braunen Wiesen im Tau, die von Spinnwebnetzen überzogenen Stoppelfelder, die welken Hecken und Bäume, die weiße Straße, die fliegenden Fäden in der Luft – alles schimmerte. Aus Höfen und Hütten, das weite Tal entlang, stieg in geraden Säulen der blaue Rauch. In der Ferne, zwischen schlanken Fichtenwipfeln, funkelten die vergoldeten Kreuze auf einem riesenhaften Grenzstein des Klosterlandes, erhob sich der Untersberg, über dessen höchste Felsen schon ein dünner Schnee gefallen war, so zart und duftig, als hätten die roten Marmorstöcke weiß geblüht.

Nicht weit von der Seelände blieb Wolfrat verwundert stehen. Da war ein neues stattliches Haus aus der Erde gewachsen; es stand zwischen Bäumen auf einer Wiese, die von einem frischgeflochtenen Hag umschlossen war. Der Unterstock gemauert, der Oberstock aus gefächertem Sparrenwerk gebildet. Auf dem Giebel des weißen Schindeldaches war, die Vollendung des Hauses kündend, ein mit bunten Bändern geschmücktes Tannenbäumchen errichtet. Dem Haus zur Seite stand ein zweiter Bau: Stall und Scheune. Eine Schar von Arbeitern tummelte sich, um den Bauplatz zu räumen; aus allen Lärm klang immer wieder eine befehlende Stimme, die der Sudmann zu kennen meinte.

»Wohl, das ist er schon!« murmelte er und folgte mit sinnendem Blick dem Chorherren, dessen weißer Talar bald hier, bald dort, an allen Ecken und Enden auftauchte und wieder verschwand in treibender Geschäftigkeit.

Auf der Straße stand ein Wagen, der mit dem Abrat des Baues beladen wurde. Einen der Knechte, die Gebälk und Bretter zum Wagen trugen, fragte Wolfrat: »Wem gehört das Haus?«

»Dem Kloster. Um Sonnwend ist kein Stein noch gestanden, und jetzt schau das Haus an!« Der Knecht maß ihn mit zwinkernden Augen: »Wer bist denn du?«

Wolfrat ging ohne Antwort davon; hinter seinem Rücken hörte er den Knecht noch sagen: »Meiner Seel, das ist heilig der Sudmann, den der Bär in der Arbeit gehabt hat!«

Je näher Wolfrat dem Klosterdorf kam, desto heißer wurde ihm ums Herz. Von weitem schon suchte er den Giebel seines Lehens; er fand ihn nicht. Ein quälendes Bangen beschlich ihn, als er neben dem Dach des Eggehofes, dort, wo sonst der moosbehangene Giebel seines Hauses hervorgelugt hatte, einen First von frischen Brettern leuchten sah. Immer größer wurden seine Augen, je näher er kam. War denn das noch sein Lehen? Die Lehmwände weiß getüncht, das Dach geschindelt, kein schiefer Laden mehr, überall neue Bohlen und Bretter, das ganze Haus um ein Doppeltes gewachsen: denn aus dem niederen Schuppen war ein Stall und eine Scheune geworden. Und das Rote im Garten? Was war denn das? Herr Gott, das waren zwei grasende Kühe!

Wolfrat wurde bleich und zitterte. Jetzt wußte er, wie es stand. Sein Lehen war an einen anderen gefallen, der sich das Nest schön warm und sauber gerichtet hatte.

Taumelnden Ganges folgte er der Straße. Da sah er das Totenbrett seines Kindes.

»Schau, das hat er doch stehen lassen?«

Aber schief stand es, als wär es von einem Wagenrad gestreift worden. Wolfrat richtete es gerade und stampfte den Rasen fest, in dem es stak.

»Mariele!«

Er starrte die Zeichen des Namens an, von denen der Regen fast die ganze Farbe gewaschen hatte.

Dann ging er mit hängendem Kopfe weiter. Er machte einen Umweg, um nicht am Sudhaus vorüber zu müssen.

Nun stand er am Fuß des Nonnberges, vor der Gartenmauer des kleinen Klosters, und zog den Glockenstrang. Eine dienende Schwester öffnete.

»Was willst du?«

»Ist die Seph noch da? Die Polzer-Seph? Ich möcht reden mit ihr.«

Die Schwester nickte und schloß die Tür. Er hörte die Nonne auf dem knirschenden Kies davongehen. Nach einer Weile näherten sich langsame Schritte, und Seph erschien auf der Schwelle. Sie erblaßte vor Schreck und Freude. Wortlos reichten sie sich die zitternden Hände und sahen sich an.

Endlich atmete Sepha tief auf. »Grüß dich Gott, Polzer!«

»Grüß dich Gott auch, Seph!«

»Weil du nur wieder da bist! Mein Gott, ist das eine schieche Zeit gewesen!«

»Gelt ja?«

Er zog sie sanft von der Türe weg. Der Mauer zu Füßen setzten sie sich auf den welken Rasen und ließen die Füße in den Straßengraben hängen.

Sie sah ihn kummervoll an. »Hast du auch völlig den Gesund wieder?«

»Wohl! Bis auf den da halt!« Er streifte mit einem Blick den lahmen Arm. »Der wird nimmer anders. Den muß ich haben.«

Ein Schauer rüttelte ihre Schultern, als sie mit den Fingern über den schlotternden Ärmel streifte und den leeren Knochen fühlte. Eine stille Weile verrann.

»Aber du?« sagte er. »Wie geht's denn dir? Ich mein, du tust noch ein lützel blasselen?«

»Da mußt du keine Sorg haben. Ich bin lang wieder richtig beinander und kann wieder schaffen wie eh. Aber jetzt halt, weißt, ich schau nur so aus weil – weil halt –« Sie wurde rot. »Merkst du es nit?«

Er warf einen Blick über ihre Gestalt. »Seph! Seph! O du lieber Herrgott!« stammelte er und drückte sie an seine Brust. So saßen sie schweigend und blickten ziellos in den schimmernden Morgen.

»Jetzt kommt's mir erst doppelt schwer an!« murmelte er.

»Das wird wohl ein Schmerzenkindl werden, das arme Würml!«

»Und der Bub? Was macht der Bub?«

Da huschte ein Lächeln über ihre Züge. »Den wirst du schier nimmer kennen! Wie der ausschaut! Wie's helle Leben! Und gut hat er's. Die besten Bröcklen schieben ihm die Schwestern zu. Überhaupt, Polzer, wie man da gut ist mit uns, das kann ich dir gar nit sagen.« Die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Sie fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Wart, ich hol dir den Buben, daß du doch auch eine Freud hast!« Sie erhob sich und wollte zur Tür.

Er schüttelte den Kopf und hielt sie zurück. »Laß ihn, Seph, bis ich wiederkomm!«

»Wo gehst du hin?« Da sah sie den verstörten Ausdruck seiner Züge und stotterte: »Was hast du denn?«

»Zum Vogt muß ich. Und muß mich angeben.«

»Polzer!« schrie sie und sah sich erschrocken nach allen Seiten um. Die Sprache versagte ihr; nur mühsam brachte sie noch die Frage heraus: »Es muß wohl sein?«

Wolfrat nickte. »Komm, Seph, machen wir's kurz! Behüt dich Gott derweil!«

Sie umklammerte seine Hand; es kam kein Laut mehr über ihre Lippen.

Er machte sich los und ging davon. Als er nach einer Weile zurückschaute, stand Sepha noch unter der Tür. Langsam schritt er weiter. Bei der Wendung der Straße blieb er wieder stehen. Sepha stand noch immer auf dem gleichen Fleck.

»Geh, Sepha,« rief er, »geh doch hinein!«

Da wandte sie sich und verschwand in der Tür.

Aufatmend schritt er dem Markt entgegen. Einige Leute sprachen ihn an; er nickte nur einen Gruß und ging vorüber. Bald erreichte er das Stift. Die Wartestube des Vogtes war überfüllt. Eben schob Herr Schluttemann zur Tür ein altes Bäuerlein hinaus, das unter stotterndem Dank einen Bückling um den andern machte.

»Ja, Mannderl, ja, ist schon gut!« sagte der Vogt. »Und wenn du wieder was brauchst, dann komm nur gleich, gelt?« Da gewahrte er den Sudmann: »Grundgütiger Herrgott! Seh ich denn recht? Wolfrat! Du? So komm doch!« Er packte ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her in die Stube.

Wolfrat riß Mund und Augen auf und starrte Herrn Schluttemann an wie ein heiliges Wunder. Eh' er noch wußte, wie ihm geschah, saß er schon in einem Lehnstuhl, und vor ihm hockte Herr Schluttemann mit schlenkernden Beinen auf dem Tisch. Lachend und immer die Hände reibend haspelte der Vogt ein Dutzend Fragen herunter, ohne die Antwort auf eine einzige abzuwarten. Erschrocken hielt er inne, als Wolfrat sich plötzlich aufrichtete mit aschfahlem Gesicht.

»Was hast du, Wolfrat, was hast du denn?«

»Reden muß ich was! Fürs erste aber will ich noch ein Vergeltsgott sagen für alles, was man an meinem Weib und Kind getan hat. Und nachher will ich sagen –«

»Was denn? Was denn? Was denn?«

»Von wegen dem Jäger. Derselbig, der ihn gestochen hat – ich bin's gewesen!«

Herr Schluttemann verlor die Fassung. »Du Mensch du,« stammelte er, »aber das ist ja doch gar nicht möglich!«

»Wohl, ich bin's gewesen.«

Der Vogt starrte den Sudmann an, griff sich an den Kopf und rannte davon, hinein in die Stube des Propstes.

Herr Heinrich erhob sich von seinem Schreibpult; die Tür blieb offen stehen, und Wolfrat konnte jedes Wort vernehmen.

»Reverendissime! Denket! Jetzt kommt dieser Wolfrat und gibt sich an und sagt, daß er es doch gewesen ist, der den Haymo gestochen hat.«

»Der Wolfrat?« Herr Heinrich schüttelte den Kopf.

»Ja, der Wolfrat! Ich hab auch den Kopf geschüttelt. Aber der Mann ist da und sagt, er hat's getan.«

»Der Haymo hat aber für ihn gezeugt. Und ein Jäger hat gute Augen.«

»Vielleicht hat er Erbarmen gehabt?«

»Der Haymo lügt nicht. Ja, Vogt, Ihr habt dem Wolfrat damals unrecht getan.«

»Aber meiner Seel,« stotterte Herr Schluttemann, »er steht doch draußen und sagt, er hat's getan!«

»Das ist mir unbegreiflich. Aber wißt Ihr, was ich meine? Der Mann trägt es Euch nach, daß Ihr ihm unrecht getan habt. Jetzt will er Euch den Streich heimzahlen und kommt und spielt Euch einen Possen und bindet euch einen Bären auf, zur Heimzahlung für den, der über ihn gekommen ist.«

»Da soll ihn doch gleich –« Herr Schluttemann zog mit der Faust aus, um der Tischplatte eins zu versetzen; aber er besann sich noch rechtzeitig.

»Ich muß gestehen, das ist ein keckes Stück!« lächelte Herr Heinrich. »Der Mann geht zu weit. Das greift hart an Eure Würde, Vogt! Das dürft Ihr Euch nicht gefallen lassen.«

»Und ich laß es mir auch nicht gefallen! Da soll ja doch –« Herr Schluttemann stürmte mit purpurrotem Gesicht hinaus in die Amtsstube. Er war seit Monaten zum erstenmal wieder in hellem Zorn.

Wolfrat stand mit weit aufgerissenen Augen, zitternd am ganzen Leib, bei jedem Atemzug die Farbe wechselnd.

Herr Schluttemann hielt ihm die Fäuste unter die Nase und schrie: »Gelt? Jetzt steigt dir das Grausen auf! Wart, du Gauner, du schwollkopfiger, dir will ich die Späßlen noch austreiben! du sag mir noch einmal, daß du's gewesen bist! Gelt? Jetzt verschlagt's dir die Red! Wart nur! Wart! Den Vogt uzen! Wart nur!« Herr Schluttemann stürzte auf die Wand zu und riß am Glockenstrang; ein Fronbot trat in die Stube. »Pack den Kerl! Marsch in den Block mit ihm! Und nur fest hinein!«

Der Fronbot faßte den Sudmann, der wie ein Trunkener zur Türe schwankte.

Herr Schluttemann tat einen Pfiff, und als der Fronbot zurückkam, tuschelte er ihm zu: »Aber gib ein lützel Obacht auf seinen lahmen Arm!«

Der Fronbot nickte und packte den Sudmann wieder beim Kragen. Eine Weile später saß Wolfrat im Hof des Klosters auf der Erde, mit Arm und Füßen an den Block gefesselt. Warm schien die Sonne auf ihn nieder. Ein Finkenweibchen kam herbeigeflattert, guckte ihn neugierig an und flog wieder auf das Dach. Aus dem offenen Fenster einer hochliegenden Zelle klang das sanfte Spiel einer kleinen Orgel.

Stunde um Stunde verging. Wolfrat rührte sich nicht; wohl brannten die Knöchel, und sein Rücken schmerzte; aber er saß wie ein Träumender, und seine Augen glänzten.

Als die Glocke zu Mittag läutete, kam Frater Severin mit einer Holzbitsche und hielt sie an Wolfrats Lippen. »Da trink!«

In langen Zügen schlürfte der Sudmann den Wein, bis ihm der Frater die Bitsche wegnahm mit den Worten: »Halt aus ein lützel, mußt nit alles auf einmal schlucken! Sonst kriegst du am End noch einen Rausch!« Er stellte die Bitsche auf die Erde, stemmte die Fäuste in die Hüften und schnaufte. Wahrlich, Frater Severin hatte in diesen Monaten sein möglichstes getan, um das ›vollgedrückte Maß‹, das ihm Gott der Herr gegeben, in unversehrter Fülle zu erhalten. Die paar Pfunde, die er auf den Bergfahrten verloren, hatte er reichlich wieder zugesetzt.

»Viel Schweiß hat's freilich gekostet, ui jei!« sagte er. »Aber schön ist's da droben doch allweil gewesen! Jetzt hat's ein End mit dem Bergsteigen. Weißt du, jetzt muß ich Tag um Tag in der Küch stehen. Von der Hitz geht der Mensch auseinander wie der Teig in der Pfann.« Er verschränkte die Hände über seinem wölbigen Bäuchl. »Ein Kreuz! Ein rechtes Kreuz! Lieber wär ich in meinem Garten geblieben. Aber weißt du, ich hab die Herdregentschaft erben müssen, seit Frater Friedrich, der Küchenmeister, am Lachen gestorben ist.«

Wolfrat hob verwundert die Augen. »An was?«

»Am Lachen!« sagte Frater Severin ernst.

»Sonst macht das Lachen die müden Leut lebendig. Kann eins denn sterben am Lachen?«

»Leichter als an der Sorg. Mit dem Bruder Friedrich ist's gegangen, so schnell, ich weiß nit wie.« Eine wehmütige Trauer war noch in Frater Severins Augen, als er das Gesicht hinüberdrehte zu den offenen Küchenfenstern, aus denen zarte, wohlduftende Dämpfe sich herauskräuselten. Je länger Severin diese grauen Flatterfähnchen seines ererbten Reiches betrachtete, um so fröhlicher wurden seine Augen; nun fing er leise zu lachen an, und auf dem strebsamen Hügel seiner Nabelstätte machten die verschlungenen Hände hurtighüpfende Bewegungen. Dabei sagte er: »Eigentlich ist's ein schandbar Ding, daß man beim Gedenken an eines guten Menschen gottseliges Sterbstündl so lustig wird. Aber das ist gewesen wie ein Fastnachtsspiel, so übermütig, daß es der Keckste von allen Klosterpoeten nit spassiger hätt ersinnen können.«

Er wischte die Lachtränen aus den kleinen Augen. Und während der Sudmann aller drückenden Pein des Blockes zu vergessen schien, fing Frater Severin zu erzählen an.

Daß der tonnenrunde Küchenmeister Friedrich vor Lachen sterben mußte, das geschah in der Woche nach Sankt Jakobi. Schon seit Beginn des heißen Sommers hatte es den schwerbefrachteten, an Luftnot und Aderverhärtung leidenden Bruder – wie Frater Severin sich ausdrückte – ›arg beim Zwickel‹. Jeder Schnaufer wurde ihm zu einer so harten Mühsal, wie wenn man ein gewichtiges Essigfaß heraufziehen muß über die steile Kellertreppe und es quieksen beim Rutschen die Dauben und Reifen. Seit einigen Tagen wollte ihm auch der Marksaft der Schneerosenwurzel nimmer richtig helfen, den gedrosselten Atem nicht mehr erleichtern. Dennoch harrte er, wie eine arme Seele auf den Himmel wartet, an jedem Morgen auf die Mittagsstunde, in der ihm nach sparsamer Krankenkost die ›zwei Tropfen‹ gereicht wurden. Wollte die Erleichterung dann nicht kommen, so bettelte er hundertmal wie ein krankes Bübel: »Noch! Noch!« Hätte man es ihm nicht gewehrt, er hätte den Nieswurzgeist geschluckt wie Rechberger Auslese – Frater Severin sagte: ›wie des liebreichen Himmels allerhöchste Gnad‹. Immer mußte jemand bei dem Kranken sitzen und ihm den Weg zum Fenster versperren, wo die kleine Phiole mit dem wasserklaren Schneerosenblut in der Sonne stand, um die belebende Kraft des Heilsaftes in der firmamentischen Wärme zu steigern.

»Und da bin ich am Freitag nach Sankt Jakobi neben seinem Lehnstuhl in der Küchenzell gesessen. In seiner schmerzhaften Sehnsucht hat er mit den eingesunkenen Durstaugen allweil hinübergeschaut zum Fenster, hat allweil die Hand gestreckt, die so rund gewesen ist wie ein Butterkrapfen. Und endlich hat das Stündl geschlagen, wo ich das Fläschl hab holen dürfen. Sein Gesicht, ui jei, das ist gewesen wie eine mondgewordene Menschenfreud. Und derweil ich fürsichtig die zwei Tröpflen hineinfallen laß in seinen gewässerten Metbecher, geht draußen in der Küch ein Bubengelächter los, daß man meinen hätt können, der Teufel hätt seinen Schwanz verloren. Ich stell das Fläschl auf den Tisch und spring zur Tür hinüber, will gucken, was da draußen geschehen ist – und da seh ich die Küchenbrüder und Laufbuben herumstehen um die Anrichttafel. Und jeder von ihnen muß sich vor Lachen zusammenbiegen, muß die gespreizten Händ heben oder ein Hockerl machen. Und der Walti schreit wie ein lustiger Narr: ›Mirakel, Mirakel, der Frater Küchenmeister hat –‹ Er kann vor Lachen nit weiterreden. ›Was hat er?‹ frag ich. Und der Walti kudert: ›Ein Kindl hat er gekriegt! Das schaut ihm gleich wie ein grünes Johannisbeerl dem Kürbis!‹ Ich will dem Buben wegen seiner ehrfurchtswidrigen Red eine Gesunde hinter die Ohren hauen. Aber kaum ich hinguck auf die Anrichttafel, da muß ich selber lachen – ui jei, schau her, ich kann schier nimmer reden, so tut mir das Lachen weg!«

Frater Severins runde Mitte wackelte so hurtig, als wäre die Erinnerung für ihn zu einer Wirklichkeit geworden, die er abermals erlebte. Auch Wolfrat in seinen Schmerzen mußte schmunzeln und sagte: »Ich hätt mir im Leben nit denken mögen, was für ein kurzweilig Ding das sein kann, im Block sitzen.« Und weil der Frater in seinem fröhlichen Erinnern noch immer schweigsam blieb, fragte der Sudmann: »Sag? Warum ist's in der Klosterküch am selbigen Freitag nach Jakobi so lustig zugegangen?«

Einer von den Küchenjungen hatte einen Bubenscherz getrieben, um den sich so viel Heiterkeit entspann, daß die Lachenden nicht merkten, wie grausam er war.

Halb aufrecht, mit den unbehilflichen Zappelhänden in der Luft, saß inmitten der großen Anrichttafel ein winziges, drollig entstelltes, weißgrünes Geschöpf, wie ein kugelförmiger Märchenzwerg – ein Laubfrosch, den der Küchenjunge mit einem Strohhalm aufgeblasen hatte. Weil das Tier bei der prallen Rundung seines silberweißen Ränzleins nimmer auf alle viere kam, mußte es aufgerichtet sitzen gleich einem gläsernen Männlein Steh-auf. Bei der geringsten Bewegung geriet es ins Kollern und überrollte sich ein paarmal, bis es sich mit den Hinterpfoten wieder an der Tischplatte festsaugen und zu dieser Predigerstellung aufrichten konnte, die von unwiderstehlicher Komik war.

»Ist kein neuer Spaß gewesen, Gott bewahr,« sagte Frater Severin, »die Unsinnigkeit der jungen Menschenleut ist ein ewiges Ding, und jeder Lausbub lernt es vom andern. Man hätt sich ärgern sollen in Barmherzigkeit. Aber das kürbisfeiste Fröschl hat ausgeschaut – meiner Seel, es hat grad so ausgeschaut als wie –« Er mußte wieder verstummen, weil ihn die lustige Erinnerung aufs neue überwältigte.

Wie der kleine, um das Vielfache seines Umfangs ausgedehnte Frosch so inmitten der großen Tafel saß, glich er in seiner vorderen, milchweißen Hälfte einem drastisch geformten Augustinerpüppchen. Und mit der straffgedunsenen Trommel, mit den hilflos tappenden Händchen, die immer zu verlangen schienen: »Noch!«, und mit den weißen Schlotterbacken unter dem klagend verzogenen Mundschnitt hatte das Fröschl mit dem leidenden Frater Küchenmeister in seiner weißen rundgepolsterten Kutte eine so flink erkennbare Ähnlichkeit, daß jeder vom Gesind der Klosterküche bei diesem Anblick brüllen mußte, ob er wollte oder nicht.

»Und derweil wir alle so kudern, hören wir gählings hinter uns ein Lachen, als tät einer mächtig herumklopfen auf einem hohlen Faß. Wir gucken wie die Narren. Und was sagst du – der Frater Küchenmeister, der seit Wochen schier nimmer aus seinem Lehnstuhl gekommen ist, steht fest und munter vor uns da! Kann schnaufen wie ein Gesunder! Und lacht und lacht, ui jei, ich sag dir, in seinen Äugerln ist's gewesen wie neuvergoldeter Lebensglanz. Und er muß auch gleich gemerkt haben, was uns alle so lustig macht. ›Hoi,‹ sagt er, streicht wie ein Schwimmer die runden Händ auseinander, schupft zur Linken und Rechten einen Laufbuben davon – ›hoi,‹ sagt er, ›so lasset mich doch ein lützel hingucken zu meinem Ebenbild!‹ Und da muß er lachen, daß er nimmer hat reden können! Und buckelt sich mit Brust und Armen über die Tafel hin. Und lacht und lacht, als hätt er so was Viehnärrisches im Leben noch nie gesehen. Und wie wir alle vom Brüllen schon müd geworden sind, und es ist ein lützel stiller um die Tafel gewesen, da hören wir ein feines, langgezogenes Tönlein – piiiiiiiii – als tät ein Spielmann linkshändig über die Fiedel streichen. Erst haben wir gemeint, der Frater Küchenmeister hätt so geschnauft. Aber Gott bewahr! Das ist die Luft gewesen, die dem Fröschl wieder entronnen ist. Und wie ihm so langsam das Bäuchl schwindet, und wie wir das Fröschl so als Singvogle in contrario haben schrumpfen sehen zu der neidhaften Magerkeit, die der liebe Gott bei Erschaffung der Welt den Laubfröschen gegeben hat – ui jei, das kannst du mir glauben, Sudmann, das ist von allem das Allerlustigste gewesen.«

Frater Severin mußte Atem holen.

»Wir brüllten noch alle, derweil das Fröschl munter und vergnügt schon auf der Anrichttafel herumhupft und einen Ausweg sucht. Da merk ich gählings, daß der Frater Küchenmeister nimmer lacht. ›Bruder, was ist dir?‹ frag ich. Und wie ich ihn anrühr beim Ellbogen, rutscht er langsam von der Tafel auf den Boden hin. Und ist ein maustoter Mann gewesen! – Freilich, der Tod schaut allweil aus wie ein trauriges Ding. Aber am Lachen sterben? Ist das nit besser, als sterben an der Pest?«

Wolfrat nickte. »Ich wollt, ich tät das Lachen schon wieder können!«

Eine Weile schwieg der Frater. Dann sagte er ein bißchen verdrießlich: »Mir hat man selbigsmal den Fürwurf gemacht, ich hätt nit Obacht gegeben auf das Fläschl mit dem Nieswurzgeist. Zehn Tropfen, heißt es, machen tot. Aber ich laß mir ein Ding, das mich reuen müßt, nit einreden. Das Fläschl wird umgefallen sein, und das Schneerosenblut ist ausgeronnen und verdunstet.« Er lächelte schon wieder. »Und denk, das Fröschl hat keiner mehr gesehen. Möcht wissen, was geschehen ist mit ihm. Und ob's noch lebt?«

Der Sudmann murrte: »Möcht lieber wissen, wer den Kuchlbuben bei den Ohren genommen hat?«

»Freilich, ja!« Frater Severin nickte nachdenklich vor sich hin. »Aber –« Sein fettes Rundgesicht bekam den Ausdruck tiefster Philosophie: »Wer blast denn uns so auf?« Langsam strich er mit den Händen über sein ›vollgedrücktes Maß‹. Und weil ihm Wolfrat keine Antwort gab, hob er die Bitsche von der Erde und hielt sie dem Sudmann an den Mund: »Komm! Schluck wieder ein Lützel!«

Wolfrat trank.

»Der liebe Herrgott soll's gedeihen lassen!« seufzte Frater Severin, sog den Rest aus der Kanne und ging davon. »Auf den Abend komm ich wieder.«

Er hatte da ein Versprechen gegeben, das er nicht halten konnte. Denn als die Sonne von den Dächern geschwunden war, als es zwischen den hohen Mauern schon zu dämmern begann und Wolfrat einmal aufblickte, stand Herr Heinrich vor ihm.

»Nun? Wird's dir schon bald zu lang?«

Wolfrat schüttelte den Kopf. »Ach, lieber, guter Herr! Ich sitz mit Freuden, bis ich umfall. Das ist doch keine Straf.«

»So? Meinst du?« Herr Heinrich setzte sich auf den Block. »Dann muß ich raiten mit dir. Hast du nicht Sünde mit Reue, Blut mit Blut bezahlt? Hast du für das Leben, das du dem Jäger nehmen wolltest, nicht dein eigenes Leben schier hingeben müssen? Hat dich nicht einer, der klüger ist als alle Richter der Welt, ein halb Jahr lang in den Block gelegt? Trägst du nicht ein Merkzeichen davon für deine Lebzeit? Und den Steinbock hast du teuer genug erkauft: mit dem letzten Blick deines Kindes. Hätt ich dich härter strafen können?«

Wolfrat ließ den Kopf sinken.

»Schau, noch keiner hat, wo er Böses gesät, eine volle Ähre geschnitten. Einen wachsenden Kern hat nur das Gute. Man muß nur nicht allweil gleich die eigene Scheuer damit füllen wollen, muß auch sähen können, wo andere ernten.«

»Wohl, Herr, das muß heilig wahr sein. Was wär denn jetzt mit mir, wenn's nit gute Leut auf der Welt gäb!«

»Ja, Wolfrat, das sag dir nur allweil, dann wirst du auch nimmer vergessen, daß man zusammenhalten muß und gut sein mit den anderen, hart nur gegen sich selber. Ich mein, du hast es doch gespürt, wie schwer und finster das Leben ist, und wie es über einem oft liegen kann, als wär es ein ganzer Berg. Wenn du so einem begegnest, dann mußt du halt auch flink zuspringen. Wirf nicht einen Stein noch drauf, sondern hilf ihm tragen! Wirst sehen, dann kommt ihr beide zu einem sonnigen Fleck, wo man rasten und ausschnaufen kann für den weiteren Weg!«

»Wohl, Herr!« Wolfrat blickte mit feuchten Augen zu Herrn Heinrich auf. »Aber wie soll ich noch etwas helfen können in der Welt? Ungrade Finger greifen schlecht.«

»Nützen und zum Guten helfen kann einer auch mit halben Armen. Wenn nur ein ganzes Herz dabei ist! Und schaffen wirst du wohl auch noch können für Weib und Kind. Man muß halt ein richtiges Geschäftl suchen für dich.«

»Vergeltsgott, Herr, Vergeltsgott!« stammelte Wolfrat. »Schauet, da hab ich halt so für mich gemeint: einen Schlepper im Salzberg tät ich allweil noch abgeben.«

»So? hast du denn schon einmal im Berg gefördert?«

Der Sudmann schüttelte den Kopf.

»Da wird's schwer halten! Alles will gelernt sein. Ich mein, du wirst im Sudhaus bleiben müssen. Mit dem Feuern und Sieden hat's wohl ein End. Aber Aufschau halten und die Pfannen lugen und KerbschneidenJede Schicht eines Arbeiters wurde in zwei aneinander gelegten Stäben durch eine Kerbe verzeichnet; den einen Stab behielt der Aufseher, den anderen der Arbeiter. wirst du allweil noch können. Da verdienst du auch ein lützel mehr dabei. Der alte Rottmann will sich zur Ruh setzen. Was der gehabt hat, wirst du ja wissen. Und jetzt komm, steh auf!«

Herr Heinrich erhob sich und öffnete den Block. Wolfrat aber blieb sitzen und rührte sich nicht; er starrte immer den Propst an und würgte nach Worten. Herr Heinrich mußte ihn am Arm fassen und aufrichten.

»Geh, Wolfrat! Deine Seph wartet daheim, sie wird sich ängstigen, wenn du so lange bleibst. Streck dich! Und geh heim!«

Wolfrat stand mit gebeugtem Rücken; das Sitzen im Block hatte ihn ganz steif gemacht; aber das schien er nicht zu fühlen.

»Heim? Heim?« stotterte er mit halb erstickten Lauten. »Wo bin ich denn daheim? Jetzt saget nur gleich: im Himmel – und ich glaub's!«

»Später einmal!« lächelte Herr Heinrich. »Für jetzt noch in deinem Lehen. Wo denn sonst? Nun aber geh und behüt dich Gott!« Er führte den Wankenden zum Tor und schob ihn auf die Straße.

Ein paar Schritte taumelte Wolfrat vorwärts. Als er hinter sich das Tor ins Schloß fallen hörte, stammelte er erschrocken: »Jesus Maria! Ich hab vergessen –« Er sprang zurück und schlug mit der Faust an die Bohlen. »Herr, Herr! Lasset mich doch hinein! Lasset mich doch ein Vergeltsgott sagen.«

»Dank einem anderen!« klang die Stimme des Propstes, während seine Schritte sich entfernten.

Wie ein Berauschter schwankte Wolfrat auf die Straße und starrte in der Dämmerung umher, als wär es eine neue Welt, die ihn umgab. Da sah er die Mauer des Friedhofs und hinter ihr die steinernen Kreuze. Er trat hinzu und fand auch hier ein geschlossenes Tor. Am eisernen Gitter streckte er den Arm durch die Stäbe, als könnte er hineingreifen bis zum Grab seines Kindes.

Auf dem Turm begann die Glocke zu läuten. Sanft hallend schwebten ihre Klänge über das weite Tal, zu Ruh und Frieden mahnend. Wolfrat bekreuzte sich und murmelte den Mariengruß. Dann rannte er davon.

Keuchend erreichte er sein Lehen. In der Stube brannte schon das Licht. Unter der Türe trat ihm sein Weib entgegen.

»Seph! Seph!«

Mehr brachte er nicht heraus. Er wankte, und sie mußte ihn stützen. Als er in die Stube trat, streckte er die Hand, wie um mit einem einzigen Griff alles zu fassen, was ihn umgab. Sepha ließ ihn auf die Bank sinken, und da saßen sie nun und hielten sich wortlos umschlungen, bis von draußen ein aufgeregtes Stimmchen tönte:

»Mutter! Mutter! Alle zwei sind hinein in den Stall, ganz alleinig!«

Wie eine Hummel kam Lippele in die Stube gesurrt und stand erschrocken still.

»Bürschel?« fragte Wolfrat mit schwankender Stimme. »Kennst du mich nimmer?«

»Jöi, der Vater, der Vater!« schrie der Bub in Freude, kletterte auf Wolfrats Knie und drückte und küßte, daß ihnen beiden fast der Atem verging.

»Aber Seph! Wo ist denn die Dirn?«

»Ich weiß nit, was da sein muß! Jetzt hat man sie wieder im Klösterl gehalten. Und die ganze Zeit her –«

Sepha konnte nicht weiter sprechen. Denn Lippele drückte ihr die Hand auf den Mund und gebot: »Sei still, Mutter, ich muß dem Vater was zeigen!« Und von Wolfrats Knien auf die Erde niederrutschend, schrie das Bübl mit brennendem Gesicht: »Schau, Vater, schau, was ich schon kann!«

Im Hui hatte der kleine Kerl das Jöppl heruntergerissen; er warf es auf den Boden, duckte sich, und schwupp, stand er kerzengerade auf dem Kopf. Freilich plumpste er gleich wieder auf die Seite; aber das tat dem Stolz keinen Eintrag, mit dem er sich erhob.

»Und das hast du im Klösterl gelernt?« staunte Wolfrat.

»Wohl! Aber nit von den Klosterfrauen.«

Seph und Wolfrat sahen sich an und mußten lachen.

Wie lange war es her, seit diese Stube das letzte Lachen vernommen hatte!

Und dieses neugefundene Lachen war gesünder als jenes, an dem der Frater Küchenmeister hatte sterben müssen.


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