Ludwig Ganghofer
Der Klosterjäger
Ludwig Ganghofer

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Kapitel 27

Am Morgen, noch vor Tag, hatte Haymo die Jagdhütte verlassen, um die Grenzen seines Bergreviers zu umwandern. Nahe den Funtensee-Tauern traf er mit dem Jäger Renot zusammen, der am Grünsee hauste. Unter den steilen Wänden saßen sie eine Stunde lang beisammen: das jubelnde Glück neben der Schwermut.

»Hast du meine Gundi nie gesehen?« fragte Renot.

Haymo schüttelte den Kopf.

»Zwei Jahr lang bin ich ihr schon um den Weg gegangen. Und da war's in der letzten Mondzeit, da komm ich einmal hinauf zum Funtensee und hör auf den Halden das Almvieh läuten. Denk ich mir: jetzt muß ich doch schauen, was für eine Sennerin der Bauer geschickt hat. Ich geh auf das Hüttl zu, und wie ich hineinschau, steht die Gundi vor mir. Vor lauter Seligkeit hab ich einen Luftsprung getan, daß ich mir an der Tür das Hirnkastl angeschlagen hab. Und, du – ein Sommer ist das jetzt! Jeder Tag eine Freud, die vom Himmel fallt. Gelt, das hast du doch auch schon gespürt: es gibt nichts Lieberes auf der Welt, als wenn zwei junge Leut zusammenhalten mit Herz und Hand. Und auslassen tu ich nimmer. Bis der Frühling kommt, wird Hochzeit gehalten. Und Kindstauf gleich dazu! Juhuuu!«

Von allen Wänden klang das Echo des hallenden Jauchzers.

Lachend schaute Renot in Haymos Gesicht. Da verstummte sein Lachen, und erschrocken fragte er: »Bub, was ist dir denn?«

Haymo sprang auf und schüttelte den Kopf; er konnte nicht sprechen.

»So red doch, Bub, was hast du?«

Wortlos nickte Haymo einen Gruß und ging seiner Wege.

Renot sah ihm betroffen nach. »Mir scheint, dem ist die Lieb überzwerch gelaufen.«

Als Haymo zum Saum des Lärchenwaldes kam, hörte er den am Fuß der Felswand hinsteigenden Jäger singen:

»Der Winter ist zergangen,
In Bluh steht alle Heid,
Da kam zu mir gegangen
Gar süße Augenweid,
Mir war das Herzl froh,
Zum Schätzl sprach ich so:
Gelt, du bist mein? Nein, ich bin dein:
Der Streit, der muß wohl allweil sein!
Jo ho!
Jo ho!
So blank allsam ein Härmelein
Sind ihre nackten Ärmelein.
Mein Schätzl, das ist fein und schmal,
Gar wohl geschaffen überall.
Jo ho!
Jo ho!
Mein Herzl, das ist froh!«

Lang war die jubelnde Stimme schon verhallt, und immer noch klang es wie quälender Spott an Haymos Ohr: »Jo ho, jo ho! Mein Herzl, das ist froh!«

Er hatte die Landtaler Wand erreicht, über deren schroff bis zum See abfallende Felsen ein schmaler Wildsteig hinwegführte. Einzelne Steine lösten sich unter den Schuhen des Jägers und stürzten prasselnd in die Tiefe; mit heißen Augen sah Haymo ihnen nach; er konnte ihre sausenden Sprünge mit dem Blick verfolgen, bis sie nahe dem See auf dem schräg verlaufenden Griesbett liegen blieben.

»Da drunten findet jeder seine Ruh! Ein jeder!«

Nun löste er absichtlich Stein um Stein und lauschte, wie ihr Fall, der mit lautem Lärm begann, immer leiser und leiser wurde. Und jeder fallende Stein redete zu ihm: »So könntest du dein schreiendes Herzleid auch geschwiegen. Wirf's hinunter! Es tut keinen Laut nimmer, wenn es drunten liegt.«

Mit der Hand an einem Felszacken sich anhaltend, beugte er sich vor, daß sein ganzer Körper über dem Abhang schwebte. Die verwitterten Schrofen, die aus dem steilen Gewände ragten, waren anzusehen wie tausend steinerne Arme, die sich streckten nach ihm. Und in der gähnenden Tiefe lag der Obersee wie ein großes, rundes Auge; es blickte herauf zu ihm, und dieser Blick hatte Sprache: »Ich seh dich. Komm nur! Schau, ich warte.«

Immer weiter beugte Haymo sich vor, ein Frösteln überlief seine Glieder, seine Knie begannen zu zittern, an der Hand, die den Felszacken umklammert hielt, zuckten schon die Finger, als wollten sie sich öffnen.

Da tönten linde, schwebende Klänge durch die Luft empor. In der Bartholomäer Klause läutete die Glocke zur Frühmesse.

Haymo richtete sich erblassend auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um einen bösen Traum zu verscheuchen. Aufatmend bekreuzte er sich und stieg mit ungestümer Eile über die Wand hinweg. Es schien ihm erst wieder wohl zu sein, als er den Bergwald erreichte, um dessen Wipfel der erste Glanz der steigenden Sonne schimmerte.

Schon aus weiter Ferne hörte er das Gebrüll des Almviehs.

»Was die Rinder nur haben mögen?« fragte er sich. Vielleicht missen sie die Sennerin, meinte er. Sie wird wohl tags zuvor hinuntergegangen sein in das Klosterdorf, um dem heiligen Umgang beizuwohnen. Aber das hätte sie doch dem Hüter sagen müssen. Wohl an die hundertmal hatte Haymo am vergangenen Tag, bald im Gewänd, bald auf den Almen, bald im Bergwald den Hüter schreien hören: »Zenzaaah! Hoidoooh!«

Als Haymo die Alm erreichte, sah er die Kühe unruhig um die stille Hütte traben, brüllend und mit den Schweifen schlagend. Ihre Euter strotzten. Und die Tiere litten Schmerzen; sie hatten das Milchbrennen. Langsam kamen dem Jäger, da er sich der Hütte näherte, die Kühe entgegen, streckten keuchend die Köpfe, und eine Blessin fuhr ihm mit der rauhen Zunge über die Hand. Er kraute ihr die Stirn, und mit läutender Glocke lief sie ihm nach bis zur Hütte. Er trat in die Tür. Die Hütte war leer. »Zenza!« rief er. Keine Antwort kam. Er lehnte das Griesbeil an die Wand, legte die Armbrust ab und setzte sich auf den Herdrand. In der Asche lagen noch glimmende Kohlen; er stöberte sie zu einem Häuflein zusammen, legte Späne darüber und blies in die Glut. Eine Flamme züngelte über das Holz, die Späne knisterten und krachten, und als das Feuer wuchs, legte Haymo, in träumende Gedanken versunken, Scheit um Scheit in die Flammen.

Er hörte nicht mehr das Brüllen und Läuten der Kühe – immer summte es in seinen Ohren: »Jo ho, jo ho! Mein Herzl, das ist froh!«

Weit drüben, in der Sennhütte am Funtensee, flammte jetzt wohl auch ein Feuer auf dem Herd, und Renot saß bei seiner Gundi und hielt sie umschlungen und zog sie an seine Brust und lachte: »So blank allsam eine Härmelein, sind deine weißen Ärmelein –«

Haymo schlug die Hände vor die Augen, als möchte er das Bild verscheuchen, das mit seinem jauchzenden Glück ihn quälte und verhöhnte, ihn und sein brennendes Leid, seine dürstende Sehnsucht.

Ganz in sich verloren saß er und hörte nicht, wie draußen die Kühe läutend zusammendrängten nach einer Stelle; er merkte nicht, daß ihr lautes Brüllen jäh verstummte; er hörte die raschen Schritte nicht, die sich der Hütte näherten; es war ihm nur, als hätte sich plötzlich die Tür verfinstert. Mit müden Augen blickte er auf. Und da traf es ihn wie ein Blitz. Er schnellte in die Höhe, streckte mit ersticktem Laut die Arme und stand wieder wie versteinert. War es Wirklichkeit oder nur ein Traum? War sie es wahrhaftig, die vor ihm unter der Türe stand, über und über mit Staub bedeckt, im weißen Rock, dessen zerfetzter Saum über die Knöchel der nackten, vom Gestrüpp zerkratzten Füße hing. Ein weißes Mäntelchen um die schmalen Schultern, die gelösten Haare um den Hals geknotet, mit erschöpften Zügen, aber mit lachendem Mund und leuchtenden Augen?

Jetzt rührte sie die Lippen. »Haymo!« stammelte sie.

»Gittli!« schrie er. Und sie flogen einander entgegen, hingen Mund an Mund und hielten sich mit zitternden Armen umschlungen, fest, als wollten sie sich nimmer lassen.

»Haymo!«

»Gittli!«

Das war alles, was sie sprachen zwischen Küssen und Küssen.

Und als wäre das Glück über sie hergefallen, so groß und so erdrückend, daß sie es nicht mehr zu tragen vermochten auf ihren schwachen Schultern, so sanken sie auf den Herdrand nieder. Und da streichelte Gittli Haymos Gesicht mit beiden Händen und lispelte: »Gelt? Jetzt tust du mir nimmer sterben?«

»Sterben? Vor Freud!« Was er weiter noch stammeln wollte, erstickte wieder in einem heißen dürstenden Kuß.

Zenza stand in der Tür, mit geballten Fäusten und kalkweißem Gesicht. Sie konnte den Anblick dieses taumelnden Glückes nicht ertragen. Heiser auflachend wandte sie sich ab, rannte wie eine Wahnsinnige hinaus über das Almfeld, schlug die Fäuste an ihre Stirn und schrie: »Gibt's auf der Welt noch einen Narren, wie ich einer bin! Erschlagen hätt ich sie sollen heut in der Nacht! Ins Wasser werfen! Und ich selber hab sie hergeholt. So ein Narr! So ein Narr, wie ich einer bin!«

Unter einer einsam stehenden Fichte warf sie sich auf die Erde nieder, grub die Nägel in den Rasen und schluchzte.

Dann sprang sie wieder auf. »Da heroben bleib ich keine Stund nimmer!« Ihr heißer Blick spähte über das Almfeld, während sie mit gellender Stimme schrie: »Jörgi! Jörgi!« Der Ruf verhallte, keine Antwort ließ sich hören. Eine Weile wartete sie. Und wiederholte den Ruf. Alles blieb still. Nur die Kühe trabten ihr brüllend entgegen. »Meinthalben! Mag alles hin sein, das Vieh und alles! Ich bleib und ich bleib nimmer.«

Sie ging dem Steige zu. Die Kühe zogen ihr nach. Mit Steinwürfen trieb sie das Vieh zurück. An der Stelle, wo der Pfad sich in den Wald verlor, blieb sie stehen und blickte, zornig auflachend, noch einmal zurück nach der Hütte. »So ein Narr, wie ich einer bin!« Immer wieder lachte sie, während sie dem talwärts ziehenden Pfade folgte.

Über eine Stunde war sie schon gewandert, als sie, schwer ermüdet, auf einen Steinblock sank. Die zwei durchwachten und durchwanderten Nächte hatten ihre Kraft erschöpft. Sie schluchzte und lachte, immer eins ums andere. Lang ertrug sie das ruhige Sitzen nicht. Während sie weiterlief, raffte sie einen dürren Stecken auf und zerschlug mit zornigem Hieb jeden grünen Zweig, der über den Pfad hereinhing.

Schon hatte sie den tieferen Bergwald erreicht. Da hörte sie eine rufende Stimme, halb erstickt vom dumpfen Rauschen des nahen Wildbachs.

»Zenza! Zenza! Hoidoooh!«

Es war ein wild kreischender, angstvoller Ruf.

Lauschend blieb sie stehen. Da klang es wieder, ein wenig näher schon:

»Zenza! Zenza! Hoidoooh!«

»Mir scheint, er sucht mich? Der Tepp!« knirschte sie zwischen den Zähnen. Und weil der Ruf nun abermals erklang, flammte eine dunkle Röte über Zenzas Gesicht, und ihre Fäuste ballten sich. »Der! Der ist schuld an allem! Hätt er den Jäger in Fried gelassen, so wär der Haymo nit zu mir gekommen, ich hätt mich nit scheuen und schämen müssen vor ihm, er hätt nit geredet mit mir, sein Herzleid hätt mir nit die Seel umgedreht im Leib, ich wär nit hinein auf Salzburg und müßt jetzt nit einen Zorn in mir haben, daß ich mich selber zerreißen könnt. Der! Der ist schuld an allem!« So schrie es in ihr; alles, was Jörgi verbrochen hatte, stand ihr vor Augen, wie mit Geißelschlägen ihren Zorn schürend; nur an eines dachte sie nicht: an jene Stunde, in der sie beim Ostertanz den von allen Verachteten, ihn und sich selbst verhöhnend, hervorgezerrt hatte aus seinem dunklen Winkel.

Nun sah sie ihn um die Wendung des Pfades biegen, in keuchendem Lauf, mit brennendem Gesicht, mit verstört umherspähenden Augen. Und zwischen ihr und ihm lag das breite Bett des mit reißenden Wassern steil abstürzenden Wildbaches.

»Zenzaaah –« Der Laut erstickte. Jörgi hatte die Sennerin erblickt. Mit jauchzendem Geschrei, mit Stammeln und Schluchzen kam er gerannt, stieß das lange Griesbeil in das Wasserbett, warf sich hinüber mit hohem Schwung, brach in die Knie, raffte sich auf, und den Stock beiseite schleudernd, umschlang er Zenza mit beiden Armen.

Zornig aufkreischend, schlug sie ihm die Fäuste in das von Schweiß überronnene Gesicht. Und als er die Hände sinken ließ, gab sie ihm einen Stoß vor die Brust, daß er rückwärts taumelte und niedersank, mit dem halben Körper in das Wasser klatschend. Er wollte sich aufraffen. Eine Sturzwelle packte ihn, er drehte und überschlug sich, verschwand im Wasser und tauchte halb wieder auf.

»Jesus, Maria! Jörgi!« schrie Zenza. Sie stürzte dem steilen Ufer zu; es gelang ihr, die eine Hand des Versinkenden zu erfassen, mit der anderen haschte er nach ihrem Rock und klammerte sich an. Brausend schlugen die Wellen über ihn her und drückten ihn nieder. In schreiender Todesangst wollte Zenza von seinen Händen sich losreißen. Während sie kämpfte mit dem ganzen Aufgebot ihrer müden Kraft, wich der brüchige Grund unter ihren Füßen, und sie stürzte vornüber mit dem Gesicht in den Wildbach.

Welle rauschte über Welle, eine warf sich auf die andere, mit drängender Eile und zorniger Wucht. Aus allem Rauschen hörte man das Rollen der Steine, die der Wildbach auf seinem Grunde trieb. Über steile Gehänge warf er sich hinunter, tobte zwischen verwaschenem Gestein hindurch, hinweg über gebrochene Bäume, und verschwand in einer Schlucht, so eng und tief, daß der Himmel in der Höhe nur noch schimmerte als ein dünner, blauer Streif, während auf dem Grunde der Schlucht alles grau war, ohne Farbe, einzig weiß nur das schäumende Wasser. Dünne Quellen rieselten in die Schlucht hinunter, und die frei fallenden Tropfen leuchteten ein wenig, als möchte jeder von ihnen ein Stäubchen Sonne aus dem hellen Tag mit hinunterstehlen in die Finsternis.

Brausend schoß der Wildbach aus der dunklen Schlucht wieder hervor in ein breites Bett, umschleiert von Wasserstaub, jede Welle bedeckt mit flockigem Schaum. Die Uferwände senkten und erweiterten sich. Blühende Büsche neigten sich über den Rand der Felsen und griffen wie mit hundert kleinen Fingern in den blauen Himmel. Buntfarbiges Moos und üppiges Flechtwerk spann sich um alles Gestein, an dem der Wildbach vorüberrauschte, und die tanzenden Wellen spielten mit dem niederhängenden Gezweig, bis sie breit und ruhig hinausflossen in den stillen, sonnigen See.

Von Bartholomä einher kam langsam ein plumper Nachen geschwommen, beladen mit kleinen Blöcken von Ahorn- und Zirbenholz. Ein alter Mann führte das Ruder. Im Bug des Schiffes saß Ulei, der Bildschnitzer. Er hatte sich neuen Vorrat für seine Werkstätte geholt. In der Hand hielt er ein Klötzchen Holz und bosselte daran mit einem kurzen Messer. Gewandt und sicher führte er jeden Schnitt, und immer deutlicher trat aus dem Holz ein weiblicher Kopf hervor.

Da sagte der Alte: »Ulei? Was liegt denn da drüben im Wasser?«

»Wo, Vater?«

»Wo der Wildbach auslauft.«

Ulei deckte die Hand über die Augen.

»Wohl, jetzt seh ich es auch.«

»Es schaut sich an, als tät ein Gewand im Wasser liegen.«

»Vielleicht hat einer was verloren. Geh, Vater, fahr hinüber!« Ulei steckte das halb vollendete Schnitzwerk mit dem Messer in die Tasche und erhob sich.

Der Alte drehte den Kahn und steuerte dem Ufer zu.

»Mein Gott, Vater,« stammelte Ulei, »da hat's ein Unglück gegeben! Das ist ein Weiberleut. Du lieber Herrgott! Was muß da geschehen sein?«

Sie kamen näher. Von den Wellen des Wildbaches seitwärts getrieben, lag die Leiche auf seichtem Grund, überdeckt von durchsichtigem Wasser, auf dem das Kleid und die bleichen Hände schwammen.

Uleis Augen wurden starr und sein Gesicht erblaßte; er sprang aus dem Nachen und riß den leblosen Körper empor. »Vater, schau nur, schau! Die Zenza!« Die Worte erstarben ihm. Wie versteinert blickte er auf die Entseelte nieder, deren Haupt mit triefendem Haar, mit geschlossenen Augen und blutlosen Lippen in den Nacken hing. Aus dem Mieder und unter den zerrissenen Zöpfen sickerte Blut in dünnen Tropfen hervor. Das Gesicht war unentstellt; jeden Zug von Trotz und Wildheit hatte der Tod verwandelt in stillen Frieden.

Taumelnd watete Ulei an das Ufer, bei jedem Schritte keuchend unter seiner Last.

»So ein Unglück!« jammerte der Alte. »Das arme Ding! So ein junges, lebfreudiges Mädel! Ulei, bleib bei ihr! Ich fahr davon und lauf ins Ort hinein.« Er hatte schon den Kahn gewendet und trieb ihn mit hastigen Ruderschlägen über den See.

Ulei war auf einen Steinblock niedergesunken. Mit beiden Armen preßte er den entseelten Körper an seine Brust, als könnte er die Kälte des Todes noch verscheuchen durch die Wärme seines eigenen Lebens.

Von Kind auf war sie ihm lieb gewesen. Immer gingen ihre Wege an ihm vorüber. Sein Herz geduldete sich und hoffte. Wenn er in seiner Werkstatt bei der Arbeit saß, stand es immer vor ihm wie ein Traum, der sich einst noch erfüllen müßte: daß er sie umschlungen hielte und dürfte sie herzen und küssen.

Jetzt hatte sein Traum sich erfüllt. Nun lag sie in seinen Armen. Scheu neigte er das Gesicht und drückte seine Lippen auf ihren kalten Mund. Sie duldete seinen Kuß und wehrte sich nicht.

»Du mein Schatzl!« Seine Hand zitterte, als er das blutige Haar von dieser blassen Stirne strich. »Und wenn ich hundert Jahr alt werd, ich bleib dein treuer Bub! Gelt ja!«

Auf blumigen Rasen legte er sie nieder, ordnete ihr Haar und schob ihr seine Joppe als Kissen unter den Kopf. Einen Zweig mit blühenden Alpenrosen, den er von der nahen Felswand holte, legte er in ihre Hände.

Auf den Knien sprach er ein Gebet. Dann setzte er sich neben der Toten auf die Erde und zog aus seiner Tasche das hölzerne Köpfchen und das Messer. Vor jedem Schnitt, den er führte, hing er mit langem Blick an dem stillen, weißen Gesicht.

Zwei Stunden vergingen. Dann kam ein Schiff mit Leuten; unter ihnen der Eggebauer. Als er mit schlotternden Knien an das Ufer stieg, mußten ihn zwei Männer stützen.


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