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Herr Heinrich kehrte von einem schweren Gang in das Kloster zurück. Welch eine Stunde des Jammers hatte er im Hause des Sudmanns erlebt! Mit zögernder Vorsicht hatte er dem armen Weibe den bitteren Trank gereicht – und doch, als Sepha das volle Unglück erkannte, stürzte sie bewußtlos nieder, wie von einem fallenden Balken auf die Stirn getroffen. Dazu das Mädchen in seinem ratlosen Kummer und das kleine Bürschl, das sich schreiend an die Mutter klammerte!
Was sollte nun weiter werden? Sepha war krank, ernstlich krank. Das hatte Herr Heinrich von ihren Wangen und Augen abgelesen. Hier war Hilfe nötig wie Feuer im Winter.
Als der Propst das Stift erreichte, ließ er die Oberin der frommen Schwestern rufen, die in einem freundlichen Kloster auf dem Nonnberg hausten. Er hatte mit ihr eine lange Unterredung, die, wie Herr Schluttemann mit Kopfschütteln bemerkte, hinter verschlossener Tür geführt wurde. Der Vogt war an diesem Morgen merkwürdig still; Frau Cäcilia hatte ihn zwar nicht sanfter behandelt als sonst; im Gegenteil, sie hatte in einer einzigen Stunde ausgegeben, was sie als gute Hausfrau während dieser Tage der Trennung zusammengespart hatte an spitzigen Dolchblicken und bitterscharfen Worten. In Herrn Schluttemann aber hatte die Predigt des Propstes nachgewirkt. Dazu reifte unter seiner gefurchten Stirne ein verwogener Plan. Mit rollenden Augen und gesträubtem Schnauzbart, die Arme verschränkt, wanderte er in seiner Amtsstube rings um den Tisch. Die Sache mußte wohl überlegt werden, denn sie konnte auch ein schiefes Ende nehmen.
Endlich war er mit sich im reinen. Er ließ einen Schreiber kommen und befahl ihm, den Gänsekiel fein säuberlich zu spitzen und aus dem Pergamentkasten das schönste Blatt hervorzusuchen. Als nun der Schreiber zum Werk bereit war, stellte sich Herr Schluttemann in kühner Haltung vor den Tisch und begann zu diktieren: »Urteil – in Sachen der zänkischen Hausfrau –« Er unterbrach den hohen Ton und sagte: »Den Platz für den Namen laß nur einstweilen frei, den Namen wird Herr Heinrich einzeichnen, wenn er das Urteil unterschreibt.« Wieder diktierte er: »In nomine Reverendissimi et Celsissimi Principis Praepositi Henrici von Berchtesgaden wird anmit zu Rechtes Kraft gesprochen: weil genannte Hausfrau das Pagen und Keifen gegen den ihr von Gott zum Herrn gesetzten Ehegatten gar nicht lassen will, so soll ihr der Fronbot den Pagstein um den Hals hängen und soll sie an hohem Feiertag nach der Messe eine ganze Stund durch die Gassen führen, im Wiederholungsfall aber zwei Stund, und so immer deß mehr um eine ganze Stund.«
Herr Schluttemann schnaufte. Er diktierte noch die übliche Schlußformel des Urteils, dann fiel er erschöpft in den Lehnstuhl.
Als nun Herr Heinrich die Oberin durch die Vogtstube zur Treppe geleitet hatte und zurückkam, wurde ihm das Urteil zur Unterschrift vorgelegt. Er zeichnete den Namen der Frau Caeciliae Schluttemanae in die Lücke ein und unterschrieb. Herr Schluttemann warf sich stolz in die Brust; der Propst aber lächelte, als er sagte: »Das wird Eurer Hausfrau einen gehörigen Schreck einjagen! Ich hoffe, Ihr werdet Ruhe haben für lange Zeit!«
Eine Stunde später traf die Oberin mit zwei dienenden Schwestern im Haus des Sudmanns ein. Sepha sollte, um gute Pflege zu genießen, in das Kloster auf dem Nonnberg verbracht werden. Stumpf und willenlos ließ das kranke, von Kummer gebrochene Weib alles mit sich geschehen, ohne Frage, ohne ein Wort. Gittli war ein Bild der Verzweiflung und Sorge. Was sollte mit Lippele geschehen? Der dürfe bei der Mutter bleiben. Und mit den beiden Ziegen, mit den Hennen? Und wer würde die Bienenstöcke und das Haus bewachen, den Garten mähen und den Klee schneiden? Sie selbst müsse doch ihre Zeit jetzt teilen: einen Tag bei der Schwäherin, den anderen beim Bruder! Es hieß, sie möge sich beruhigen, Herr Heinrich hätte für alles gesorgt.
Auf einer Bahre wurde Sepha zum Nonnenkloster getragen und in einer kleinen freundlichen Stube untergebracht. Lippele versöhnte sich rasch mit seinem neuen Aufenthalt, da er den großen sorgsam gepflegten Garten gewahrte, den eine hohe Mauer umzog. Als Sepha versorgt war und nach dem Buben fragte, war er schon verschwunden. Nach langem Suchen wurde er im Garten gefunden; er hockte am Ufer eines kleinen Teiches und warf Steinchen nach den erschrocken hin und her schießenden Forellen.
Auf Gittli wartete im Zimmer der Oberin eine seltsame Überraschung. Sie solle gleich zu Herrn Heinrich kommen, hieß es; aber bevor sie ginge, solle sie die neuen Kleider anziehen, die der Herr Propst ihr geschenkt hätte.
»Aber schauet doch her, Frau Mutter,« lispelte das Mädchen, »ich hab doch eh schon mein gutes Häs an. Ich brauch kein neues.«
Weder durch freundliches Zureden, noch durch ernste Worte war sie zu bewegen, die schönen Kleider anzulegen. Sie schüttelte immer den Kopf, wehrte mit den Händen, und Zähre um Zähre perlte aus ihren angstvollen Augen.
Auch zu Herrn Heinrich, zu dem die Oberin sie begleitete, ging sie nicht gern; sie wäre lieber bei der Schwäherin geblieben.
Als sie dann im Zimmer des Propstes stand, hob sie keinen Blick vom Boden und zitterte, als stünde sie fröstelnd im Schnee. Herr Heinrich faßte sie bei der Hand, zog sie an seine Seite und redete zu ihr mit herzlich tröstenden Worten. Es wäre freilich ein schweres Unglück, das über den Wolfrat und die Seph gekommen. Aber man dürfe die Hoffnung nicht verlieren; die Seph würde ganz gewiß in guter Pflege wieder genesen. Aber was sollte inzwischen mit ihr selbst geschehen? Sie könnte doch nicht allein im Lehen bleiben. Im Kloster auf dem Nonnberg wäre kein Platz mehr, und in der Bartholomäer Klause wäre ihr nach kirchlicher Satzung der Eintritt verboten.
»Und sieh, mein Kind, da hab ich nun dem Wolfrat in seiner Not gelobt, daß ich sorgen will für seine Leute. Für die Seph hab ich's ja schon getan.«
Ein dankbarer Blick traf ihn aus Gittlis Augen.
»Jetzt muß ich aber auch an dich denken. Und schau, da wüßt ich einen guten Platz für dich in Salzburg bei den Domfrauen.«
Gittli erbleichte vor Schreck.
»Nun, was meinst du?«
»Ich bitt schön, Herr,« stammelte sie mit versagender Stimme, »lasset mich hier bleiben! Ich müßt sterben vor Angst, wenn ich nit alle Tag hören tät, wie's der Schwährin und dem Bruder geht.«
»Das wirst du hören, jawohl. Es gehen viele Salzkarren vom Sudhaus weg nach Salzburg. Da schick ich dir täglich eine Botschaft, ich versprech es dir.«
»Ich bitt, Herr, bitt, lasset mich bleiben! Und wenn ich schon kein Heimatl mehr haben soll, schauet, ich tät mich gern eindingen bei einem Bauern. Meine Händ und Arm sind freilich ein lützel mager, aber ich kann deswegen doch schaffen wie eine richtige Dirn.«
»So? Und was möchte dein Bruder dazu sagen? Er ist kein Höriger, sondern ein freier Mann. Soll er sich jetzt in seiner Not noch kümmern, wenn seine Schwester dienen muß?«
»Schaffen ist keine Schand, Herr! Er hat doch auch geschafft seiner Lebtag.« Und da kam ihr plötzlich ein Gedanke, den sie in sprudelnden Worten hervorstürzte: »Herr! Aufs Almen tät ich mich auch verstehen, vielleicht nimmt mich der Eggebauer auf seine Alm in die Röt hinauf.«
»In die Röt hinauf?« wiederholte Herr Heinrich mit wehmütigem Lächeln. »Nein, mein Kind, das ist zu harte Arbeit für dich. Und sieh, ich hab nun einmal deinem Bruder versprochen, daß ich für dich sorgen will. Oder willst du mich zum Lügner machen? Hab ich dir so viel Böses getan, daß du mir nicht vertrauen kannst?«
Gittli verstummte in ratloser Qual.
»Gelt nein? Und sieh, wenn ich sorge für dich, will ich es so tun, daß es dir zum Guten ausfällt, zu deinem Glück! Ich bin dir zu Dank verpflichtet. Du hast für meinen Jäger so viel getan –«
Da schlug sie die Hände vors Gesicht und brach in Schluchzen aus.
Die Oberin wollte das Mädchen beruhigen. Herr Heinrich aber sagte: »Lasset das Kind nur, es soll sich ausweinen!«
Die Stille beängstigte Gittli; sie hörte zu schluchzen auf und ließ die Hände in den Schoß sinken.
»Schau, Gittli, wer Gutes getan hat, muß sich auch den Dank gefallen lassen. Wenn du dich wehrst dagegen, müßte der Haymo glauben, daß dich wieder reut, was du für ihn getan hast.«
Mit zuckenden Lippen und nassen Augen blickte sie zu Herrn Heinrich auf.
»Gelt ja? Und nun wirst du mir auch folgen in allem?«
»Wenn es sein muß,« lispelte sie, »in Gottesnam!«
»So ist's recht, mein Dirnlein! Und jetzt sei tapfer, du gehst einer freundlichen Zeit entgegen. Wenn ich dich einmal besuche, wirst du lachend auf mich zukommen. Und jetzt sträube dich nimmer und laß dir auch die Kleider anlegen, die ich dir geschenkt habe!«
Verloren vor sich hinstarrend, nickte sie zu allem, was Herr Heinrich sagte. Sie fand auch kein Wort, als er ihr glückliche Reise wünschte, und ließ sich zur Tür hinausziehen, ohne recht zu wissen, daß es geschah.
Auf der Straße sagte die Oberin: »Warte hier ein Weilchen, ich habe Herrn Heinrich noch was zu fragen.«
Gittli stand allein; die Knie zitterten ihr, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte; sie mußte sich auf den Eckstein neben der Tür niederlassen. Da spürte sie einen Puff auf der Schulter. Erschrocken blickte sie auf. Walti stand vor ihr.
Mit beiden Händen faßte sie ihn an der Brust. »Walti! Sag mir! Wo ist der Haymo?«
»Drin liegt er im Kloster. Es geht ihm wieder schlechter seit gestern. Was sagst du, was das dir eine Sach mit dem Bär gewesen ist! Ganz schütteln tut's mich vor Grausen, wenn ich dran denk.«
»Walti! Schau, ich tu dich bitten, führ mich nur grad zu ihm!«
»Zum Haymo? Bist du denn närrisch? Ins Kloster darf doch keine Dirn hinein.«
»Ich muß, ich muß zu ihm!«
Walti zog die Brauen in die Höhe und schob das Käppl in die Stirn. Das tat er immer, wenn er schwer zu denken hatte. Dann guckte er sich forschend um und flüsterte: »Seine Stub geht in den Garten hinaus, und das Fenster ist gar nit hoch. Aber – kannst du denn über die Mauer kraxeln?«
»Wenn sie so hoch wär wie der Wazmann und seine Kinder,« stammelte sie, »ich müßt hinüber!«
»So komm!«
Sie huschten um die Ecke und schlüpften durch das Gebüsch zur Klostermauer. Zwischen wirrem Gezweig kletterte Walti in die Höhe, setzte sich rittlings auf die Zinne der Mauer und half dem Mädchen mit beiden Händen empor. Von oben sprangen sie in den Garten hinunter. Walti spähte durch das offene Fenster. »Er ist allein!« tuschelte er, schwang sich auf die Fensterbrüstung und zog das Mädchen nach.
Es war eine kleine weiße Zelle, in welcher Haymo auf einem mit Wildschuren überdeckten Lager ruhte.
Als der Jäger das Mädchen erblickte, hob er sich erschrocken auf und starrte Gittli an, als könnte er seinen Augen nicht trauen.
»Ich geh an die Tür und paß auf, ob keiner kommt.« Walti huschte zur Zelle hinaus.
Als Gittlis Augen dem Blick des Jägers begegneten, war es wieder zu Ende mit ihrem Mut. Zitternd strich sie mit der Hand über ihre Stirn. Weshalb war sie nur eigentlich hierher gekommen?
»Gittli? Bist du's wirklich?« stotterte Haymo. »Sag mir doch um Herrgotts willen, was ist dir denn eingefallen? Hast ja den Klosterbann gebrochen! Schau, in mir drin ist alles völlig kalt vor lauter Angst. Wenn einer käm und tät dich finden, sie täten dich ausweisen aus dem Klosterland.«
»Ich muß eh fort!« lispelte sie mit gesenkten Augen.
Haymo schwieg und seufzte.
»Weißt du's vielleicht schon?« fragte sie und blickte zögernd auf.
Er nickte. »Vor einer Weil ist Herr Heinrich dagewesen und hat mir's gesagt.«
Rasch trat sie auf Haymos Lager zu. Ihre Hände ballten sich, ihre Lippen wurden schmal, und ein funkelnder Blick erwachte in ihren Augen. »Ich will aber nit fort. Weil – weil ich bleiben möcht, Haymo! Bleiben!«
Seine Hände zitterten; er wagte nicht aufzuschauen.
Sie beugte sich flüsternd zu seinem Ohr. »Was meinst du? Wenn ich davonlaufen tät, jetzt gleich, und tät mich verstecken, daß mich keiner mehr findet? Und dir allein tät ich sagen, wo ich bin!«
Da griff er nach ihren Händen und stammelte ihren Namen. Dann wieder schüttelte er den Kopf und atmete schwer. »Sie täten dich allweil finden. Und – Herr Heinrich hat gesagt, daß es dein Glück sein wird. Dein Glück! Da tät ich mir lieber die Zung abbeißen, als daß ich eine Widerred dagegen hätt. Gar jetzt, wo ich durch meine Unsinnigkeit das Unglück über deinen Bruder gebracht hab!«
»Du? Über ihn?« flog es bebend aus ihr heraus. »Es ist halt gekommen, wie es kommen hat müssen. Wenn ich du gewesen wär, ich hätt das arme Hundl auch nit im Stich gelassen. Und wenn ich der Wolfrat gewesen wär, ich hätt auch zugegriffen und den Bär an der Drossel gepackt, wenn er mich gleich zerrissen hätt.«
Haymos Augen blitzten, als das Mädchen so vor ihm stand: mit funkelndem Blick, die Fäuste vorgestreckt, die Lippen halb offen, daß man die übereinandergepreßten Zähne sah. »Gittli!« stammelte er, und ein Wort, das heiß empordrängte aus seinem Herzen, kämpfte gegen den erlöschenden Willen, der es unterdrücken wollte. Da stürzte Walti in die Stube. »Dirn! Mach, daß du weiterkommst! Der Frater Küchenmeister hatschet den Gang herauf, gleich wird er da sein!«
Haymo erblaßte. »Gittli! Fort! Fort! Fort!« Mit beiden Händen drängte er sie vom Lager weg.
Bleich und zitternd stand das Mädchen, nach Atem und Worten ringend. »Ja. Ich geh schon. Aber sag mir, Haymo – oder ich kann nit gehen – bist du mir noch allweil harb?«
»Ich? Harb sein? Dir?« stammelte er. »Wie kannst du denn so was denken?«
Da lachte sie in Tränen, und von dem Buben fortgerissen, schwang sie sich auf die Fensterbrüstung. »Behüt dich Gott, Haymo!« Er streckte die Arme nach ihr, sie zögerte. Aber Walti versetzte ihr einen Puff, daß sie springen mußte. Draußen klang noch die zischelnde Stimme des Buben, ein Rascheln im Gebüsch. Und alles war still.
Haymos Augen hingen am leeren Fenster. »Jetzt seh ich sie nimmer. Nimmer!« Er fiel zurück und schlug die Arme über das Gesicht.
Die Tür begann zu zittern unter den schweren Tritten, die sich näherten. Haymo biß die Zähne übereinander. Der Frater Küchenmeister kam, um seinem jungen Freunde den ersten Krankenbesuch abzustatten. Als er sich auf den Rand des Bettes niederließ, krachten die Bretter in allen Fugen.
»Schau nur, was man dir für eine Ehr antut im Kloster!« lachte der Frater. »Das kracht ja wie ein Herrenbett!« Dann plauderte er weiter, rühmte die göttliche Vorsehung, die alles Böse für Haymo zum Guten gewendet, und jammerte über das schlimme Aussehen des Jägers, über den matten Blick seiner Augen. »Aber warte nur,« sagte er, »ich will dich schon wieder herausfüttern wie ein Hühnl, das den Zipf gehabt hat. Ja, und daß ich nit vergesse – Vergeltsgott will ich dir auch sagen. Der Knecht, der heut mit dem Saumpferd gekommen ist, hat mir die Nieswurzen gebracht. Die sollen mir ein hilfreicher Beistand werden in meiner unseligen Atemnot. Mit dem Schnaufen geht's allweil härter bei mir, von Tag zu Tag. Oft ist mir, als hätt ich im Hals einen Igel, der sich einspreizt und nimmer in die Höh will. Aber hast du die Wurzen auch zur rechten Zeit gegraben? Hat die Schneeros völlig verblüht gehabt?«
Ein Erblassen ging über Haymos Wangen. »Ja, Frater, die Schneeros hat ausgeblüht. Für mich!« Da war seine Kraft zu Ende. Mit den Zähnen knirschend, warf er sich gegen die Wand, so daß der Frater erschrocken die Hände ineinanderschlug. –
Gittli hatte den Platz vor dem Tor der Klostervogtei gerade erreicht, als die Oberin zurückkam, von Herrn Heinrich begleitet. Der machte verwunderte Augen, als er das Mädchen gewahrte. »Ich hab's doch gewußt!« flüsterte die Oberin. Er nickte dem Mädchen einen freundlichen Gruß zu und trat in das Tor zurück.
»Denke nur, Dirnlein,« lächelte die Oberin, »Herr Heinrich hat mich gescholten, weil ich dich allein ließ. Er glaubte wahrhaftig, du würdest davonlaufen.«
Ein müdes Lächeln huschte um Gittlis Mund, und von der Mauerecke ließ sich ein leises Kichern hören. Die Oberin guckte, aber Waltis Nase war schon hinter der Mauer verschwunden.
Als Gittli das Nonnenkloster erreicht hatte, ließ sie alles mit sich geschehen, stumm und geduldig wie ein Lamm, das geschoren wird. Die neuen Kleider, die man ihr anlegte, weckten keinen Laut auf ihren Lippen. Sie schämte sich wohl, als sie das lange blaue Gewand nach der Sitte der Zeit bis über die Schultern ausgeschnitten sah; aber sie sagte nichts, denn sie bekam auch gleich ein weißes, bis zu den Ellbogen reichendes Mäntelchen um den Hals. Ein Gürtel aus weißem Leder umspannte die schlanke Hüfte. Um die Stirn und das offene Haar wurde ein blaues Band geknüpft. Als sie die gelben Schuhe mit den scharfgespitzten, spannenlangen Schnäbeln an den Füßen hatte, staunte sie scheu an sich hinunter.
Die Oberin und die beiden dienenden Schwestern lachten, als Gittli so hilflos dastand, mit seitwärts gestreckten Armen, als wage sie das Kleid nicht zu berühren; sie zitterte und getraute sich keinen Schritt mehr zu tun, denn wenn sie auftrat, knickten die unheimlichen Schuhschnäbel gleich spitzen Dolchen in die Höhe. Und je lauter die anderen lachten, desto näher kam ihr das Weinen. Plötzlich stürzte sie auf die Türe zu, und als sie die Tür verschlossen fand, sank sie schluchzend zu Boden.
Man hob sie auf, man schalt und tröstete, man säuberte das verstaubte Kleid, und dann wurde sie zu Sepha hinübergeführt, damit sie von der Schwäherin und dem kleinen Buben Abschied nehmen und noch mit ihnen schwatzen könnte.
Vor der Mauer des Nonnenklosters wartete eine Sänfte, die zwischen gegabelten Stangen von zwei Maultieren getragen wurde. Man mußte Gittli hineinheben, aus freien Stücken wäre sie nimmer eingestiegen. Die Oberin setzte sich zu ihr. Zwei Knechte führten die Maultiere, und ein dritter, der gewaffnet war, ritt nebenher.
Die Leute auf der Straße blieben stehen, als sie die Sänfte kommen sahen, und spähten neugierig hinein; niemand erkannte die Schwester des Sudmanns; ihr schmales, blasses Gesicht verschwand fast in der weißen, über dem Scheitel steif geschnäbelten Haube, die man ihr für die Reise aufgesetzt hatte.
Da gingen zwei Mädchen vorüber; brennende Röte flog über Gittlis Wangen: die beiden, das waren die Zenza und eine Magd des Eggebauern.
»Du, da schau,« flüsterte die Magd, »was ist denn das für ein Fräulein?«
»Ich kenn's nit,« sagte die Zenza, »es muß ein Fremdes sein.«
Die Sänfte war vorüber; wie ein Schwindel fiel es über Gittli, alles wirbelte. Die Häuschen an der Straße, das Salzhaus, dem sie sich näherten, die rauschende Ache mit Ufer und Bäumen, der Berg mit dem Kloster, alles, alles versank vor ihrem Blick, und es war ihr, als sähe sie eine weite, sonnige Alm; grasend, mit läutenden Glocken ziehen die Kühe, und in der Sennhütte singt eine Mädchenstimme; da kommt vom Bergwald ein Jäger über das Almfeld hergegangen, vor der Hütte steht er still, lehnt das Griesbeil an die Blockwand und stößt die genagelten Schuhe gegen die Schwelle; die singende Stimme verstummt, und der Jäger fragt: »Darf man einkehren, Sennerin?« Aus der Hütte klingt die lachende Stimme der Zenza: »Freilich, Haymo, komm nur herein!« –
Die Frau Oberin in der Sänfte war erschrocken aus ihren Gedanken erwacht; denn das Mädchen an ihrer Seite hatte sich mit gellendem Schrei die weiße Haube vom Kopf gerissen, war aufgesprungen und wollte sich aus der Sänfte stürzen.
»Aber Kind! Kind!« stammelte die Oberin, Gittli mit beiden Armen umschlingend. Der gewaffnete Knecht kam herbeigeritten – verstört sah Gittli zu ihm auf, dann fiel sie in die Polster zurück und drückte die Fäuste auf die Brust, als wäre ihr das Herz zersprungen.
Ein paar Leute waren zusammengelaufen. Die Knechte trieben die Maultiere an, und immer rascher, immer weiter schwankte die Sänfte.