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»So, Wolfrat!« sagte Herr Heinrich, als er, die Armbrust führend, aus der Tür trat. »Wir werden bald fertig sein. Ich hab mich schon zur Heimfahrt gerüstet.«
Wolfrat erhob sich. »Was soll ich schaffen, Herr?«
»Geh in die Küche und hol einen Zuber!«
Der Sudmann eilte sich; das sah wirklich aus nach Arbeit; mit einer hölzernen Wasserkanne kam er zurück.
»Komm!« sagte Herr Heinrich und ging dem Pfade zu, der in das Steintal führte.
Wolfrat folgte. »Was er nur wollen mag?« Eine Ahnung drohender Gefahr beschlich ihn. Narretei! Der Jäger hatte für ihn gezeugt, und Herr Heinrich selbst hatte ihn freigegeben. »Vielleicht soll ich ihm Wurzen graben? Oder vielleicht hat er ein Erz gefunden, das er proben will, und ich soll ihm einen Zuber voll heimbringen.« Beruhigt schritt er weiter. Aber immer länger erschien ihm der Weg, den sie gingen. Und von der Höhe winkte das Kreuz. Wolfrat blieb stehen.
»Herr! Wohin gehen wir?«
»Komm nur!« sagte Herr Heinrich und schritt weiter. Als er merkte, daß ihm Wolfrat nicht folgte, hielt er inne, wandte das Gesicht und fragte lächelnd: »Oder willst du nicht kommen?«
»Wohl, Herr!«
Langsam wanderten sie auf dem ansteigenden Pfad empor. Jetzt kamen sie zu einem rinnenden Wasser. »Fülle den Zuber!« befahl der Propst.
Wolfrat tat es. »Was weiter, Herr?«
»Komm nur!«
Immer näher kamen sie dem Kreuz. Aus dem Gesicht des Sudmanns war jeder Tropfen Blut gewichen, seine Augen glühten, und die Kanne, die er auf der Schulter trug, zitterte, daß das Wasser über den Rand schwankte. Als sie die Höhe erreichten, sagte Herr Heinrich: »Komm her, Wolfrat!« Er deutete auf die Blutspuren an dem Schnitzwerk. »Sieh nur diese häßlichen Flecken! Komm, nimm das Wasser und wasche sie weg!« Dem Kreuz gegenüber, das vom Glanz der Sonne umschimmert war, setzte er sich auf einen Stein und entblößte das Haupt. »Nun, warum zögerst du?«
Wolfrat stellte die Kanne nieder, schöpfte Wasser mit der hohlen Hand und wusch und wusch.
»Sie wollen nit weichen, Herr!« sagte er nach einer Weile mit dumpfer Stimme. »Sie haben sich eingefressen in das Holz.«
»Ja, Sünde frißt sich ein! Wie hier in das Holz, so in die Herzen. Das ist wie Rost auf Stahl. Laß du nur erst den bösen Flecken und tilg ihn nicht zur rechten Zeit, so frißt er weiter, und die gute Waffe ist zerstört, unbrauchbar für alle Zeit, und du kannst sie ins alte Eisen werfen –« Herr Heinrich blickte auf, »oder ins Feuer! Wasche, Wolfrat, wasche! Tu es dem Unglücklichen zulieb, der das heilige Bild so schwer entweihte. Denk nur, da läuft er umher unter den Menschen, und keinem wagt er mehr ins Auge zu schauen. Jeder Schritt, den er hört, macht ihn zittern. Jedes Wort, das sein Ohr vernimmt, weckt seine Furcht. Das raschelnde Laub, der flüsternde Wind, das murmelnde Wasser, die stille Nacht, wie der lärmende Tag, alles ist sein Feind geworden. Was er hört, alles klingt wie der Seufzer, mit dem sein Opfer zusammenbrach. Was er sieht, alles hat einen blutigen Schein. Und in seiner einsamen Not nicht Trost noch Hoffnung! Sein Herz möchte aufschreien zum Himmel, doch er sieht nur immer Gottes Bild vor sich, das er befleckt hat und entweiht, und seine Lippen haben kein Gebet mehr! – Nun? Wollen die Flecken weichen?«
»Nein, Herr!« Die Worte klangen, als läge eine würgende Hand an Wolfrats Kehle, und die Arme sanken ihm wie gelähmt.
»Mußt nur nicht ablassen! Plag dich nur noch ein lützel! So! So! Du tust es für einen, der sich selber doppelt straft, weil er meint, er könnte der Strafe entlaufen, die nun einmal gesetzt sein muß auf alles, was bös und unrecht ist. Laß ihn nur! Gottes zürnende Gerechtigkeit hat noch flinkeren Gang. Da läuft er, und die Strafe ist ihm schon an die Füße gehängt wie eine lange Kette, und er läuft und läuft und schlägt dabei mit der Kette nach allen Seiten und reißt noch andere mit sich in seinen Fall! Warum hörst du zu waschen auf? So! Laß nur nicht nach! Und sag mir, hast du ein Kleefeld?«
»Ein halbes Gras,«Flächenmaß, nach dem in früheren Zeiten in den Alpen gerechnet wurde; ein »Gras«, d.i. so viel Feld oder Weide, als ein Stück Hornvieh das Jahr über zur Nahrung braucht. stammelte der Sudmann, »für meine Geißen.«
»Hast du schon einmal den KleefraßEine Krankheit des Klees, hervorgerufen durch einen rasch um sich greifenden Schmarotzerpilz. im Feld gehabt?«
Wolfrat nickte.
»Gelt, da hast du's halt übersehen, wie der Krank das erste Stäudl angepackt hat? Hättest du es nur gleich ausgerissen! So aber hast du es stehen lassen, und wie du nach einer Woche wieder hingekommen bist, da war das halbe schöne Feld schon aufgefressen! Gelt, ja? Und schau! Der das getan hat –« Herr Heinrich deutete nach den Flecken, an denen Wolfrat mit zitternden Händen rieb, »der trägt jetzt auch einen Schaden in sich herum. Zuerst frißt es in ihm alles auf, was noch gut und gesund ist, und dann kriecht es aus ihm heraus, und hat er Weib und Kind – - Wolfrat? Ist dir nicht wohl?«
Der Sudmann schöpfte Wasser mit den Händen.
Herr Heinrich schwieg eine Weile, dann fragte er: »Wollen die Flecken noch immer nicht weichen?«
»Zur Hälft sind sie weg,« murmelte Wolfrat mit versunkener Stimme, »aber die andern –«
»Wasch nur! Laß dich die Zeit nicht verdrießen. Ich warte schon, jawohl. Und jenen anderen kann ich auch noch erwarten, bis er kommt und die roten Händ herzeigt. Wenn's nur dann nicht zu spät ist zum Waschen. Und wenn er gar nicht reden wollt, einer ist doch immer da, der in einer bösen Stund gegen ihn reden wird!«
Zögernd, mit scheuen Augen, blickte Wolfrat auf den Mund des Propstes.
»Einer, der es gesehen hat!« sagte Herr Heinrich und deutete zum Kreuz empor. »Der da, Wolfrat!«
»Der?« Ein irres Lächeln zuckte um Wolfrats Lippen, während er langsam die Augen hob. Dann schüttelte er den Kopf. »Es hat noch nie kein Holz geredet!«
Ein Wolkenschatten flog über den Grund.
»Meinst du?« lächelte Herr Heinrich.
Schwer atmend beugte Wolfrat sich über die Kanne, um mit den hohlen Händen Wasser zu schöpfen. Da klang aus den Lüften ein dumpfes Murren, das zum rollenden Donner wuchs, um mit einem krachenden Schlag zu enden. Eine Lawine hatte den letzten Schnee von den Wänden gestürzt.
Der Sudmann stand mit fahlem Gesicht, ein Schauer hatte ihn gerüttelt, und von seinen zitternden Händen tropfte das Wasser.
»Hast du gehört, Wolfrat?« sagte Herr Heinrich, während zwischen den Felsen der Widerhall verzitterte.
»Eine Lahn war's. Nur eine Lahn ist gegangen.«
»Und wer hat sie reden lassen und hat ihr Füß gemacht?«
»Die Sonn!«
»Weil sie scheint, gelt? Und wer läßt die Sonne scheinen?«
Wolfrat schlug die Hände vor das Gesicht, sein ganzer Körper erbebte wie ein Baum vor dem Sturz. Dann warf er die Arme auseinander. »Ich kann's nimmer heben, es muß heraus!« Stöhnend brach er in die Knie und schlug mit den Fäusten seine Brust. »Ich – ich – ich hab's getan. Ich bin's gewesen, der ihn gestochen hat.« Mit irrenden Augen blickte er auf; als hätte er gefürchtet, daß der Propst nun aufspringen würde in Zorn.
Herr Heinrich blieb ruhig sitzen. »Weshalb hast du es getan?«
»Weil er mich hat fassen wollen.«
»Es war seine Pflicht. Du hast Raub getrieben. Weshalb?«
»Für mein Kind! Weil mir einer gesagt hat, daß die Schweißbluh noch helfen tät.«
Herr Heinrich blickte betroffen auf. Nach einer Weile fragte er: »Wer hat dir das gesagt?«
Wolfrat schüttelte den Kopf und wehrte mit der Hand. Er konnte sich selbst verraten, doch keinen anderen.
Herr Heinrich fragte nicht weiter. »Sag mir nur, hat's auch geholfen?«
»Das Kind war schon verschienen, wie ich heimgekommen bin.«
»Ja, Wolfrat, alle Sünd ist umsonst! Hat dir das, wie du mit der blutigen Hand vor das Bett getreten bist, der stumme Mund deines Kindes nicht gesagt?«
Wolfrat stand unbeweglich. Mit einem Blick des tiefsten Erbarmens ruhten die Augen des Propstes auf dem Sudmann. Als er sich erhob, sah Wolfrat bang zu ihm auf.
»Herr? Was geschieht mit mir?« Weil er keine Antwort erhielt, sagte er leis: »Er ist doch lebig, Herr!«
»Ist es dein Verdienst? Du hättest ihn liegen und verbluten lassen, nur daß er nimmer reden möchte.«
Dem Sudmann sank der Kopf auf die Brust. »Was geschieht mit mir?«
»Das weiß ich nicht. Das mußt du selber wissen. Es war nicht dein Fürst und Lehensherr, zu dem du gesprochen hast, es war dein Beichtiger. Was du auch sagtest, ich gehe von hier und hab's vergessen.« Er bedeckte das Haupt und ging davon.
Wolfrat sprang auf, drückte die Faust auf die Stirn und starrte dem Propste nach.
Als Herr Heinrich die Tiefe des Steintals erreicht hatte, blickte er nach dem Kreuz zurück. Er sah den Sudmann zur Quelle gehen, um frisches Wasser zu holen.
Bei der Jägerhütte angelangt, rief der Propst nach Haymo. Die Antwort kam nicht aus der Hütte, sondern vom Berghang her, über den der Jäger, von der flinken Hel begleitet, langsam herabstieg, in der Hand ein Bündel ausgegrabener Wurzeln tragend.
»Wo warst du, Haymo?«
»Nieswurz hab ich gegraben,« sagte der Jäger mit müder Stimme, »für den Frater Küchenmeister.«
»Hat er wieder Atemnot und Herzkrämpfe? Ein Wunder wär es nicht. Aber du hättest diese Arbeit einem andern überlassen sollen.«
Haymo hielt die Augen gesenkt. »Ich hab's ihm versprochen.«
»Und hast dich übermüdet dabei, jetzt vor dem Abstieg! Wie bleich du bist! Gib deine Hand her! Sie zittert. Und deine Augen brennen. Haymo, ich muß dich in der Hütte lassen.«
Der Jäger erschrak. »Ich bitt, Herr Heinrich, nur das nit! Ich tät's nimmer aushalten in der Hütt – bevor ich nit wieder gesund bin, ganz gesund!« Er betonte die beiden letzten Worte so seltsam.
Der Propst betrachtete ihn forschend. »So richte dich zur Heimfahrt!«
Haymo trat in die Stube. Herr Heinrich blickte ihm nach. »Seine Wunde heilt. Sein Herz ist siech geworden. Armer Bursch! Ich fürchte, diese Blume ist nicht für dich gewachsen.«
Er hörte Hufschlag; der Knecht mit dem Saumpferd kam. »Ist das Tier müde?« fragte der Propst.
»Nein, Herr, ich hab's allweil rasten und grasen lassen.«
»So können wir gleich aufbrechen. Sperr die Tür der Herrenhütte und bring mir mein Griesbeil!«
Haymo kam, wie zum Hegergang gerüstet, das Weidgehenk um die Hüfte, die Armbrust auf dem Rücken.
»Nein, du!« lächelte Herr Heinrich. »So wirst du nicht reiten: gewaffnet und den Arm in der Schlinge! Die Waffen hindern dich. Gib her, der Knecht soll sie tragen.« Er nahm dem Jäger die Armbrust und den Fänger ab. »Das Griesbeil laß heroben in der Hütte, das Pferd hat viere für eins. So, und nun steig auf!«
»Herr Heinrich?« stammelte Haymo. »Ich soll reiten, derweil Ihr zu Fuß gehet?«
»Steig auf, sag ich!«
Haymo fügte sich schweigend und hob sich in den Sattel. Der Knecht nahm die Armbrust und schnallte sich das Gehenk um. »So, jetzt bin ich auch ein Jäger!« lachte er, stieß das Griesbeil in den Grund und faßte den Zügel des Pferdes. Bellend sprang die flinke Hel voraus. Haymo warf noch einen heißen Blick auf die geschlossene Tür seiner Hütte, dann ließ er den Kopf sinken. Die Heimfahrt begann.
Herr Heinrich schritt hinter dem Pferde her; immer blieb er stehen und blickte über das Steintal aus. Wenn er wieder ging, schüttelte er den Kopf. Es schien, als hätte er etwas erwartet, und das wäre nicht eingetroffen.
Ruhig und sicher ging das berggewohnte Pferd den rauhen Pfad; kamen schiefe Platten, dann legte es den Leib zurück und rutschte auf den vorgeschobenen Hufen. Vorerst hatte der Knecht, der es führte, leichte Arbeit. Unermüdlich plauderte er drauf los, und es störte ihn nicht, daß Haymo keine Antwort gab. Mit besonderer Wichtigkeit erzählte er die wunderliche Nachricht von der Eggebäuerin; zuerst schickte er voraus, was er am verwichenen Abend von der Magd gehört hatte. »Und heut in der Früh,« erzählte er weiter, »hab ich den Bader getroffen. Der hat kaum reden können vor Lachen. Und da ist's aufgekommen, was der Bäuerin allweil gefehlt hat. Sie hat einen großmächtigen Schwollen in ihr drin gehabt, schier so groß wie ein Faßl, und wie sie mit dem Bauer ins Raufen gekommen und auf den Boden hingeschlagen ist der ganzen Läng nach, hat's einen Knall getan, und der Schwollen ist aufgesprungen. Ja! Was sagst! Und jetzt wird das Weib gesund, grad weil sie kein Herzkreuzl gekriegt hat! Und der Bauer! O du mein Herrgott! Der soll herumgehen mit einem Kopf wie ein Metzen. Derweil das Weib krank war, hat er das Fegfeuer gehabt, und jetzt, wo sie wieder gesunden tut, wird er die Höll kriegen. Die kann aufhauen! Vergeltsgott, da bleib ich schon lieber ledig, eh ich mir so eine nimm.«
Sie hatten den Wald erreicht. Die niederstehenden Äste, denen Haymo mit dem Kopf ausweichen mußte, rissen ihn aus seiner Versunkenheit. Und als seine Augen erst einmal lebendig wurden, gingen sie auch fleißig in die Runde.
Der Pfad wurde steiler und der Knecht mußte das Saumpferd fest in die Hand nehmen. Nur langsam ging der Abstieg vonstatten. Einmal blieb Herr Heinrich lauschend stehen. Er schüttelte den Kopf und ging wieder weiter. Doch nein, er hatte sich nicht getäuscht. Nun klang es wie eilende Schritte weit hinter ihm. Ein zufriedenes Lächeln umspielte die Lippen des Propstes. Er setzte sich auf einen gestürzten Baum und wartete.
In langen Sprüngen kam Wolfrat über den Pfad heruntergestürmt. Der Schweiß troff ihm von der heißen Stirn, und keuchend blieb er vor dem Propste stehen. Eh' er noch Atem fand, begann er schon zu reden. »Herr! Jetzt sind sie alle weg. Auch der letzte, der schier gar nit weichen hat wollen.«
»Wirklich?«
»Ich hab nit ausgelassen. Und jetzt hätt ich eine Bitt, Herr!«
»Sprich, Wolfrat!«
»Lasset mich mit Euch gehen, Herr! Schauet, auf mir liegt die Not wie ein Trumm Stein, aber ich mein, es wär mir nirgends so wohl als wie bei Euch.«
»So komm!« Herr Heinrich erhob sich.
»Und wenn ich heimkomm, so red ich mit meiner armen, guten Seph, und wenn sie meint, daß sie's tragen kann, in Gottesnam, so geh ich hin zum Vogt und tu mich angeben.«
Herr Heinrich sprach kein Wort; er legte nur die Hand auf Wolfrats Schulter. Dann gingen sie. Als sie zu den anderen kamen, eilte Wolfrat auf das Saumpferd zu. »Gib her, ich mach das besser!« sagte er und nahm den Zaum aus der Hand des Knechtes.
Haymos Augen funkelten; doch schweigend ließ er alles geschehen. Mit scheuem Blick sah Wolfrat zu ihm auf. »Jäger! Jetzt kannst du schlafen!«
Das Pferd merkte die sichere Hand, an der es ging, und kam in verläßlichen Schritt.