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Als Soames Danby & Winter verließ, war seine Aufmerksamkeit zwischen der Affäre Elderson und dem weißen Affen geteilt. Wie Fleur vorausgesetzt, konnte er Aubrey Greenes Wort über das Bild nicht vergessen, das er aus dem Schiffbruch George Forsytes gerettet hatte. ›Die Früchte des Lebens genießen, die Schalen wegwerfen und dabei erwischt werden.‹ Er war geneigt, diese Worte auf das Geschäftsleben anzuwenden.
Das Land zehrte noch immer von seinem Kapital. Seit dem Zusammenbruch des Speditionsgeschäftes und der europäischen Märkte importierte England Nahrungsmittel, die zu bezahlen es nicht mehr imstande war. Seiner Meinung nach würde es dabei erwischt werden, und zwar in kürzester Zeit. Das mit dem britischen Kredit war ja alles ganz schön und gut und alle Welt bewunderte ihn, aber von dieser Bewunderung konnte man doch nicht bis in die Unendlichkeit zehren. Wo der Export darniederlag, die Konzerne im ganzen Land Verluste erlitten und es von Arbeitslosen nur so wimmelte, saßen sie schön in der Tinte! Sogar die Versicherungsgesellschaften würden bald in Mitleidenschaft gezogen werden. Vielleicht hatte Elderson dies schon vorausgesehen und nur sein Schäfchen ins trockene gebracht, solange es Zeit war. Wenn man sowieso erwischt wurde, wozu sich eigentlich bemühen, ehrlich zu sein? Das war so offenbarer Zynismus, daß der Forsyte in Soames sich empörte, und doch kehrte der Gedanke immer wieder. Warum sollte man sich bei einem allgemeinen Bankrott um Sparsamkeit, Voraussicht und Ehrbarkeit kümmern? Sogar die Konservativen weigerten sich, sich wieder Konservative zu nennen, als wäre etwas Lächerliches an dem Wort und als wüßten sie, daß in Wirklichkeit nichts mehr zu konservieren übrig wäre. ›Die Früchte essen, die Schalen wegwerfen und dabei erwischt werden.‹ Dieser junge Maler hatte da etwas sehr Gescheites gesagt – jawohl, und sein Bild war auch sehr gut, obgleich Dumetrius Soames mit dem Preis überhalten hatte wie gewöhnlich! Wo würde Fleur es hinhängen? Es sollte ihn gar nicht überraschen, wenn sie das Bild in die Halle hängte; das Licht war gut dort. Und die Leute, die zu ihnen kamen, würde auch der Akt nicht schokieren. Merkwürdig, wo die vielen Akte eigentlich hinkamen! Man sah niemals einen irgendwo, ebensowenig, wie man den sprichwörtlichen ›toten Esel‹ sah! Soames hatte eine augenblickliche Vision von verendenden Eseln, die mit Bildern von nackten Gestalten beladen waren und über den Rand der Welt hinunter traten. Diese ausschweifende Phantasie war ihm zuwider, und er erhob den Blick zur rechten Zeit, um die St. Paulskathedrale, mächtig wie das Leben, vor sich zu sehen. Der kleine Kerl mit seinen Ballons stand heute nicht da! Na, er wollte ihm ja auch nichts geben! Er verfolgte einen andern auftauchenden Gedanken und wandte sich dem Ziel seiner Pilgerschaft, der P.P.R.G. und ihren halbjährigen Abrechnungen, zu. Auf seine Veranlassung hin schrieben sie das ganze deutsche Geschäft ab – ein glatter Verlust von nicht weniger als zweihundertunddreißigtausend Pfund. Sie würden für das abgelaufene Halbjahr keine Dividende ausschütten, und sogar dann mußte ein Defizit ins nächste Halbjahr vorgetragen werden. Na, es war besser, einen faulen Zahn sofort herauszuziehen! Die Aktionäre hatten sechs Monate Zeit bis zur Generalversammlung, um sich an den Ausfall zu gewöhnen. Er selber hatte sich schon daran gewöhnt und sie würden es auch mit der Zeit. Aktionäre wurden selten unangenehm, wenn man sie nicht erschreckte – eine lammsgeduldige Gesellschaft!
Im Sitzungssaal füllte der alte Angestellte noch immer die Tintenfässer aus der großen Flasche.
»Ist der Generaldirektor im Bureau?«
»Jawohl, Sir.«
»Bitte, melden Sie mich an!«
Der alte Angestellte zog sich zurück. Soames sah auf die Uhr. Zwölf! Ein kleiner Streifen Sonnenlicht glitt die Wandverkleidung hinunter und über den Fußboden hin. Sonst war nichts Lebendiges im Zimmer mit Ausnahme eines Brummers und des Tickens der Uhr; nicht einmal eine Tageszeitung. Soames beobachtete die Brummfliege. Er erinnerte sich, daß ihm als Knabe die blau und grün schillernden Brummer wegen ihrer glänzenden Farbe viel besser gefallen hatten als die gewöhnlichen Fliegen. Man konnte etwas daraus lernen. Die auffallenden Dinge und die glänzenden Leute waren gefährlich. Man brauchte nur an den Kaiser zu denken und an jenen saubern italienischen Poeten – wie hieß er doch nur? Und dieser Gaukler, der einer der ihren war! Er würde sich gar nicht wundern, wenn Elderson in seinem Privatleben brillierte. Warum kam der Kerl nicht? Ob das Zusammentreffen mit dem jungen Butterfield ihn zögern ließ? Der Brummer kroch an der Scheibe empor, fiel summend herunter und kroch wieder hinauf; der Sonnenstreifen stahl sich über den Boden weiter ins Zimmer. Der Sitzungssaal war von einer ausdruckslosen Leere, als verkörpere er das Prinzip der Versicherungen, alles so zu erhalten, wie es einmal war.
›Ich kann mir hier doch nicht die Beine in den Bauch stehn‹, dachte Soames und trat ans Fenster. Auf der breiten Straße, die zur Themse führte, beschien die Sonne ein paar Fußgänger und einen Bierkarren; aber durch die Hauptstraße weiter unten strömte und rasselte der Verkehr. London! Eine ungeheuerliche Stadt! Und alles versichert! ›Wie wird es in dreißig Jahren aussehn?‹ dachte er. Sich vorzustellen, daß London noch existieren würde, auch wenn er selbst es nicht mehr sehen könnte! Die Stadt tat ihm leid, und er selber tat sich auch leid. Sogar der alte Gradman würde dann tot sein. Die Versicherungsgesellschaften würden wohl noch weiter versichern, aber sicher war das auch nicht. Und plötzlich bemerkte er Elderson. Der Kerl sah flott aus in einem eleganten Anzug und einer Nelke im Knopfloch.
»Denken Sie über die Zukunft nach, Mr. Forsyte?«
»Nein«, erwiderte Soames. Wie konnte nur der Kerl seine Gedanken erraten?
»Es freut mich, daß Sie hergekommen sind. Das gibt mir Gelegenheit zu sagen, wie dankbar ich Ihnen für das Interesse bin, das Sie dem Konzern entgegenbringen. Das ist selten. Gewöhnlich muß der Generaldirektor alles allein besorgen.«
Machte er sich über ihn lustig? Er schien sehr flott und frech. Sorglosigkeit kam Soames immer verdächtig vor – gewöhnlich hatte man einen Grund dafür.
»Wenn jeder einzelne Aufsichtsrat so gewissenhaft wäre wie Sie, könnte man ruhig in seinem Bette schlafen. Ich sage Ihnen ganz offen, daß die Hilfe, die ich vom Aufsichtsrat empfing, ehe Sie ernannt wurden – na, ganz minimal war.«
Welche Schmeichelei! Der Kerl mußte irgend etwas im Schilde führen.
Elderson fuhr fort: »Ihnen kann ich es ja sagen, was ich keinem von den andern sagen könnte: ich bin durchaus nicht optimistisch, was das Geschäft anbelangt, Mr. Forsyte. England ist gerade dabei, seine wirkliche Lage zu erkennen.«
Wie Soames plötzlich so die erschreckende Bestätigung seiner eigenen Gedanken vernahm, wehrte er sich. »Es hat keinen Sinn, ein Geschrei zu erheben, ehe man getroffen ist«, sagte er. »Das Pfund steht noch hoch. Wir sind von großer Ausdauer.«
»Nur wenn wir in der Patsche sind, fürcht ich. Wenn nicht irgendein drastisches Mittel ergriffen wird, dann werden wir auch drin bleiben. Und jedes drastische Mittel bedeutet ja, wie Sie wissen, Desorganisation und magere Jahre, ehe man ernten kann.«
Wie konnte der Kerl nur so reden und dabei so blank und glänzend aussehen wie ein neuer Penny? Es bestätigte seine Theorie, daß es Elderson gleich war, was geschah. Und rasch entschloß sich Soames, ihm versuchsweise eins aufs Fell zu brennen.
»Da Sie von magern Jahren sprechen: ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß wir meines Erachtens wegen dieses Verlustes an dem deutschen Geschäft die Aktionäre zu einer Versammlung einberufen müssen.« Während er dies sagte, blickte er zu Boden und dann plötzlich empor. Das Resultat war enttäuschend. Die hellgrauen Augen des Direktors begegneten den seinen, ohne zu zucken.
»Das habe ich von Ihnen erwartet«, sagte er.
›Den Teufel hast du das!‹ dachte Soames, denn der Gedanke war ihm gerade erst in diesem Augenblick gekommen.
»Berufen Sie nur ein«, fuhr der Generaldirektor fort, »aber ich fürchte, die übrigen Aufsichtsräte werden es nicht gerne sehn.«
Soames hätte beinahe gesagt: ›Ich auch nicht.‹
»Und auch die Aktionäre nicht, Mr. Forsyte. Während meiner langjährigen Erfahrung habe ich gefunden, daß jeder dabei am besten fährt, wenn man den Leuten so wenig wie möglich Unangenehmes unter die Nase reibt.«
»Das mag sein«, sagte Soames, noch beharrlicher in seinem Widerspruch. »Aber das alles gehört zu dem Laster, den Dingen nicht ins Gesicht sehen zu wollen.«
»Hoffentlich beschuldigen Sie nicht in Zukunft mich, Mr. Forsyte, den Dingen nicht ins Gesicht zu sehen.«
In Zukunft? Was um alles in der Welt meinte der Mensch eigentlich?
»Ich werde es auf der nächsten Aufsichtsratssitzung zur Sprache bringen«, sagte er.
»Einverstanden«, erklärte Elderson. »Es ist immer das beste, den Stier bei den Hörnern zu packen, nicht wahr?«
Wieder dieser kaum merkliche Hohn, als hielte er noch einen Trumpf verborgen. Unwillkürlich blickte Soames auf die Manschetten dieses Menschen, prachtvoll gebügelt, mit blauen Streifen, auf seine hellgelbe Weste, auf seine blaue Krawatte mit weißen Tupfen – ein richtiger Dandy. Er wollte ihm nun eine zweite Ladung versetzen.
»Nebenbei bemerkt«, sagte er, »Mont hat ein Buch geschrieben. Ich hab ein Exemplar gekauft.«
Nicht ein Wimperzucken! Der Direktor zeigte seine Zähne vielleicht ein wenig mehr – falsche, zweifellos.
»Ich hab zwei genommen. Der arme brave Mont!«
Soames hatte das Gefühl, geschlagen zu sein. Dieser Kerl war gepanzert wie ein Krebs und glatt wie ein Spiegel. »Na«, sagte er, »ich muß jetzt gehen.«
Der Generaldirektor streckte ihm die Hand hin. »Leben Sie wohl, Mr. Forsyte. Ich bin Ihnen ganz besonders verbunden!«
Der Kerl drückte ihm tatsächlich die Hand. Soames ging verwirrt hinaus. Es war so selten, die Hand gedrückt zu bekommen! Es brachte ihn aus der Fassung. Und doch war soeben vielleicht nur einer vollendeten schauspielerischen Leistung die Krone aufgesetzt worden. Er konnte es nicht entscheiden. Er hatte jedoch jetzt noch weniger als vorher die Absicht, die Aktionäre einzuberufen. Nein, nein! Das war nur ein Schreckschuß gewesen; und er war wirkungslos geblieben. Aber der Schuß Butterfield hatte gesessen, das war sicher! Wenn Elderson unschuldig war, so hätte er unbedingt auf den unverschämten Besuch des jungen Mannes anspielen müssen. Und doch war solch ein kaltblütiger Kerl fähig, sich stets zu beherrschen, nur um den andern zu ärgern! Nein, da war nichts zu machen. Er war so weit davon entfernt wie nur je, einen Schuldbeweis zu besitzen, und, um die Wahrheit zu sagen, froh darüber. Solch ein Skandal würde gar keinen Nutzen haben, ausgenommen, daß der ganze Konzern, der Aufsichtsrat und alles übrige in Verruf gerieten. Die Leute nahmen es nicht so genau, bemühten sich gar nicht zu denken und verteilten den Tadel nicht, wie es die Gerechtigkeit geboten hätte. Er wollte seine Augen offenhalten und alles so gehen lassen wie bisher! Es hatte keinen Sinn, in ein Wespennest zu greifen! So weit war er in seinen Gedanken gekommen, als eine Stimme sagte:
»Gut, daß ich Sie treffe, Forsyte! Gehn Sie denselben Weg wie ich?«
Es war der alte Mont, der gerade die Stufen des Snooks-Klub herunterkam.
»Ich weiß es nicht«, sagte Soames.
»Ich werde im ›Aeroplane‹ heute lunchen.«
»In diesem neumodischen Lokal?«
»Es kommt in Mode, Forsyte, es kommt in Mode.«
»Ich habe gerade mit Elderson gesprochen. Er hat zwei Exemplare Ihres Buches gekauft.«
»Du lieber Gott! Der arme Kerl!«
Soames lächelte schwach. »Dasselbe hat er von Ihnen gesagt! Und wer, glauben Sie, hat ihm die Exemplare verkauft? Der junge Butterfield.«
»Lebt der denn noch?«
»Heut früh wenigstens hat er noch gelebt.«
Sir Lawrences Gesicht zog sich zusammen.
»Etwas hat mich bedenklich gestimmt, Forsyte. Ich hab mir erzählen lassen, daß Elderson zwei Frauen aushält.«
Soames machte große Augen. Die Idee war plausibel, das würde alles erklären.
»Meine Frau sagt, es ist eine zuviel, Forsyte. Was meinen Sie?«
»Ich?« fragte Soames. »Ich weiß nur, daß der Kerl so kalt wie eine Hundeschnauze ist. Ich gehe hier hinein. Auf Wiedersehn!«
Von diesem Baronet-Menschen war keine Hilfe zu erwarten, er konnte einfach nichts ernst nehmen. Zwei Frauen! Bei Eldersons Alter! Was für ein Leben! Es gab ja immer solche Männer, die so ein gefährliches Leben lebten, die nicht genug an nur einer Sache hatten. Ihm war das unbegreiflich. Solche Menschen mochte man noch so genau beobachten, man fand sich nie zurecht. Und doch mußte man mit ihnen rechnen! Er ging quer durch die Halle in das Zimmer, wo die ›Kenner‹ ihren Lunch nahmen. Er ergriff die Menukarte und bestellte ein Dutzend Austern. Aber da es ihm plötzlich einfiel, daß der Monat kein ›r‹ enthielt, verlangte er statt dessen eine gebackene Seezunge.