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Siebentes Kapitel.


Der Prinz Albert von Waldheim! Vor ihn sollte sie sich führen lassen? Unmöglich! Und Wilhelms Verbot! Unmöglich! Dreifach unmöglich, seitdem sie von Rosalien erfahren, wie ernst doch seine Neigung für sie gewesen – daß es kein Spiel gewesen – daß er seiner Liebe seine Vorurtheile opfern wollen und nur an dem unbeugsamen Sinn seines Vaters gescheitert sei. Und dennoch rollte ihr Wagen fort auf der Straße nach Ketskemet, denn es fehlte ihr an Muth, Elisabeth hülflos zu verlassen! Gerade daß Albert die Schwadron commandirte, in deren Macht sich ihre Freundin befand, bot die sicherste Garantie ihrer Rettung, wenn sie es unternahm, diese Rettung zu bewerkstelligen. Es galt ein Menschenleben, und sie durfte nicht aus Rücksichten hier zaudern!

Ueberdem – trat sie denn nicht vor Albert mit ihren beiden Kindern, nahm nicht deren Begleitung ihrem Kommen zu ihm jede falsche Deutung? Und Wilhelm, konnte er sie schelten, wenn er vernahm, daß Elisabeths Leben, die er selbst so hoch unter den Frauen stellte, auf dem Spiele gewesen?

Je weiter sie ihr Wagen trug, desto mehr verschwand jedes Bedenken der sonst so ängstlichen Frau, und bald hatte sie nur noch eine Sorge, die Sorge rechtzeitig einzutreffen; die Pferde ermatteten, sie mußte unterwegs mehrere Mal in elenden ausgeplünderten Kneipen halbe Tage liegen bleiben – sie hatte nur einen Trost, die Kinder blieben wohl und munter, trotz dem, daß sie für ihre Nahrung nichts vorfand, als Obst und etwas Brod, was sie eben von Pesth für sie mitgenommen.

Unter hunderterlei Ungemach erreichte sie am Abend des vierten Tages erst Ketskemet, eine Strecke, die man sonst mit Leichtigkeit an einem Tage zurücklegt. Gleich am Thore fragte ihr Kutscher nach dem Quartier des Rittmeisters Prinzen Waldheim. Ein Mann von der am Thore postirten Wache ging mit dem Wagen und führte ihn vor eines der bestaussehenden Häuser des Jahrmarktstädtchens.

Als Agnes eine Ordonnanz nach dem Prinzen fragte, zuckte der Mann die Achseln. »Der Herr Rittmeister sind tödtlich verwundet – die Aerzte sind eben wieder bei ihm« –

»Wo ist er denn im Gefecht gewesen?« fragte erschrocken Agnes.

Der Mann antwortete wieder durch ein unverständliches Zeichen – setzte dann aber doch gutmüthig hinzu: – »Wenn Sie mir Ihren Namen aufgeben wollen, will ich's dem Regimentsdoctor sagen.« –

»Rufen Sie mir lieber den Doctor.« –

Auch dazu war der Unterofficier bereit. Agnes stieg nun mit den beiden Kindern aus, und jedes an einer Hand haltend trat sie ins Haus. Auf der Flur kam ihr schon der Doctor entgegen, ein ältlicher, gutmüthig aussehender Mann.

»Sie wollen zu Sr. Durchlaucht, gnädige Frau?« fragte er höflich.

»Was ist mit ihm? Ich bin eine – alte Bekannte des Prinzen und muß ihn dringend sprechen in einer Angelegenheit – es gilt ein Menschenleben!«

»Sprechen könnten Sie schon Sr. Durchlaucht – aber eine Gemüthsaffection könnte ihm tödtlich werden bei seinem heftigen Wundfieber,« sagte bedächtig der Alte. –

»Ich werde ihn schonen,« sagte rasch Agnes, indem sie den Schleier herabließ, denn sie faßte nun den Plan, sich dem Prinzen nicht zu erkennen zu geben. Sie rechnete dabei auf sein Fieber, auf ein düsteres Krankenzimmer und auf die Veränderung, welche die Jahre in ihrem Aeußern bewerkstelligt.

Der Arzt ging voraus, Agnes folgte mit den Kindern.

Auf einem blutigen Bette lag bleich mit halbgeschlossenen Augen Albert, halb angekleidet, mit Stiefeln und Sporen, um die Brust weiße, blutbefleckte Tücher geschlagen, die schönen blonden Locken zurückhängend, ein Bild des Todes.

Die Kinder schmiegten sich bei seinem Anblick zitternd an die Mutter, welche die eignen Füße kaum zu tragen vermochten – dies Bild ging über die Kräfte der Armen!

»Durchlaucht,« sagte leise der Arzt.

Albert schlug mit Anstrengung die Augen auf, die eine Secunde auf der verschleierten Frau an der Thüre haften blieben; dann machte er dem Arzt ein Zeichen, daß er reden solle.

Agnes flüsterte ihm zu, so leise, daß ihre Stimme nicht zu Albert dringen konnte: – »Sagen Sie dem Prinzen, die Schwester des Fräuleins von Serenyi, die ein Theil seiner Leute vor vier Tagen als Gefan gene hieher gebracht, komme, um sich für sie zu verwenden.«

Als Agnes den Namen Serenyi nannte, erschrak der Doctor sichtlich, dann sagte er schüchtern zum Prinzen:

»Vergebung, Durchlaucht, daß ich die Dame herausgebracht, aber Sie selbst hatten befohlen, keinen Bittenden zurückzuweisen, um ähnliche Mißbrauche, wie den gestrigen, zu verhüten.«

»Gut, gut,« sagte Albert mit mühevoller, klangloser Stimme, »wer ist sie?«

»Die Schwester der – Unglücklichen!«

Ein unaussprechlich schmerzliches Lächeln zog über Alberts Gesicht, dann wandte er die Augen auf Agnes und sagte mit großer Anstrengung: »Gehen Sie hinein« – er wies auf das offenstehende Nebenzimmer – »und lassen Sie sich Alles vom Doctor erzählen. Zürnen Sie mir nicht, ich habe gethan, was ich konnte, retten konnte ich sie nicht mehr, ich habe sie gerächt um den Preis meines Lebens; man kann uns zusammen begraben!«

Das war zu viel für die arme Agnes. Mit einem leisen Schrei sank sie in die Kniee zwischen ihre Kinder, sie war nicht bewußtlos, aber jede Kraft, jede Bewegungsfähigkeit hatte ihren Körper verlassen. Sie hörte, wie Albert dem Doctor zurief: »Den Schleier zurück, den Schleier zurück!« und dann, als der Arzt ihm gehorchte, ohne daß sie's hindern konnte, wie Albert mit einer Stimme, die den alten vollen Klang wieder hatte, » Agnes! Agnes!« rief.

Die Kinder warfen sich lautweinend auf die todtenähnliche Mutter; der Arzt brachte sie, als sie sich wieder zu erholen anfing, in das Nebenzimmer, die Kinder liefen schreiend neben her, und der geängstigte Mann schloß rasch die Thüre des Krankenzimmers. Drinnen aber ertönte schon heftig eine Klingel in der Hand des Verwundeten. Der Doctor ließ Agnes rasch auf einen Stuhl nieder und eilte dann hinein.

Albert saß halb aufgerichtet im Bette. »Um Gotteswillen, Doctor, sorgen Sie für sie auf's Beste – geben Sie ihr stärkende Mittel, entfernen Sie die schreienden Kinder von ihr und fragen Sie sie, was sie will – o Gott, daß ich es ihr gewähren könnte. Die Serenyi war nicht ihre Schwester, sie hat keine Schwester, fragen Sie, aber schnell, schnell!«

»Ruhe,« rief der Arzt, »um Gotteswillen, Ruhe! Sie tödten sich! Ich will Alles auf's Beste besorgen und Ihnen sogleich Alles melden, aber halten Sie sich ruhig oder Sie leben keine Stunde mehr!«

Mit einem unaussprechlich schmerzlichen Seufzer legte sich Albert zurück, schloß die Augen und preßte fest die vom Schmerz verzogenen Lippen zusammen.

Der Doctor ging zurück zu Agnes, die sich unterdessen wieder ermannt und die weinenden Kinder beruhigt hatte.

»Der Prinz wünscht zu wissen, womit er Ihnen dienen kann, da er behauptet, sicher zu sein, daß Fräulein von Serenyi nicht Ihre Schwester gewesen.«

»Und dennoch bin ich nur um ihretwillen hier – sie war meine Schwester, wenn auch nicht dem Blute nach – sie war meine einzige Freundin! Aus Barmherzigkeit theilen Sie mir ihr Schicksal mit!«

»Erst will ich den Prinzen beruhigen.« Und nachdem er in kurzer Frist zurückgekehrt, theilte er Agnes Folgendes über die unglückliche Elisabeth mit.

 

Als eine Patrouille den vermeintlichen ungarischen Bauer erschossen und nachher bei ihm die Depesche gefunden, die er einer Ordonnanz abgekämpft, sowie entdeckt, daß die Leiche die einer alten Frau war, hatte man sie beerdigt und weiter kein Aufheben von der Sache gemacht, weil man sich wahrscheinlich schämte, daß einer der Feinde, denen man so lange nachgeforscht, ein altes Weib gewesen; daß alle diese Feinde in der Person dieser Alten vereinigt gewesen, ahnte Niemand, und von den Soldaten kannte keiner Frau von Horvath. Als aber ihre Mägde – denn ihre Knechte hatte sie längst zu Kriegern des Vaterlandes ausgerüstet – sich überall nach ihr erkundigten, wurde man aufmerksam und kam auf die Spur. Das Commando in Ketskemet erfuhr von der Sache und fertigte nun den Befehl aus, alle Angehörigen der alten Dame zu arretiren, nach Ketskemet zu bringen und die Pusta zu durchsuchen und zu besetzen.

Ein Unterlieutenant von Waldheims Schwadron, ein Baron Koffka, wurde mit dieser Expedition während des Prinzen Abwesenheit betraut; dieser würde es nicht verabsäumt haben, dem rohen Böhmen noch besondere Befehle einzuschärfen, da er dessen Brutalität kannte und schon oft gerügt hatte.

Koffka fand nur Elisabeth auf der Pusta und sie schleppte er mit sich. Es ist gesagt worden, daß sie vor ihrem Weggehn dem Officier den Aufenthalt der Gefangnen anzeigte; sie that das aus Menschlichkeit, damit die Armen ohne ihre Pflege, da sie allein um sie wußte, nicht verhungern sollten. Diese gute Handlung sollte sie schwer büßen. Auf der ersten Station wurde sie vom Pferde losgebunden und vor den Officier geführt und von ihm ausgefragt. Als sie nun mit einer gewissen Genugthuung dem übermüthigen Unterlieutenant die Heldenthaten der alten Ungarin berichtet und erfahren, daß sie sogar mehrere Militairs verwundet und entwaffnet, gerieth er in kindische Wuth.

»Daß Du der alten Megäre bei solch niederträchtigen Handlungen geholfen, soll Dir vergolten werden. Gott sei Dank, daß Du noch lebst!« brüllte der Böhme.

Elisabeth aber sagte mit stolzem Lächeln: »Ich bin bereit, einzustehen mit meinem Leben, habe aber leider weiter nichts gethan, als die von Frau von Horvath Verwundeten verbunden und ihnen Speise und Trank gebracht – aber nebenbei war ich freilich ihr Kerkermeister! Dafür könnt Ihr mich tödten!«

»Tödten?« lachte der Reiter. »Meinst Du, wir verschössen unser gutes Pulver an elende meuchlerische Weiber?«

»So knüpft mich an einen Baum, wenn das Kriegsgericht meinen Tod verlangt – vielleicht wird dieser Baum einst der Freiheitsbaum Ungarns.«

»Kriegsgericht?« Meinst Du, ich lieferte Dich an das Commando in Ketskemet ab? Das wäre solch hochmütiger Dirne gerade recht! Man erführe dann im ganzen Lande die impertinenten Phrasen, die sie ergrauten Kriegsmännern in den Bart geschleudert – so eine Ungarin stirbt gerne aus Eitelkeit.«

»Was wollt Ihr denn thun?« fragte Elisabeth mit einer gewissen Beängstigung.

Der Lieutenant sagte nichts, sondern wies nur auf einen Tisch, wo eine Hetzpeitsche lag, dann sagte er höhnisch: »Das ist für Euresgleichen!«

Es war einen Augenblick, als wolle Elisabeth sich auf den Lieutenant stürzen und ihn erwürgen; dann aber schien ein Gedanke sie zu durchzucken und sie richtete sich hoch auf und wandte den Kopf zum Fenster hinaus. –

»Glaube ja nicht,« sagte der Lieutenant höhnisch, »daß ich eigenmächtig handle, wir haben Ordre, rebellische Weiber nicht zu tödten, nicht lange einzusperren, sondern nach kurzem Proceß auf freiem Felde durchzuprügeln – es wird Dir in Deiner und der großen italienischen Nation bald nicht an Schicksalsgefährtinnen fehlen. Wenn Ihr dann frei seid, könnt Ihr Euch einen Orden stiften – den Peitschenorden, das klingt gut!«

Elisabeth antwortete nicht. Er ließ sie in eine dunkle Kammer bringen und zwei Mann Wache davor postiren, dann versammelte er einen Kriegsrath aus einigen Unterofficieren, und nachdem alle einstimmig auf den Antrag des Officiers auf Prügelstrafe erkannt, wurden vier Mann abgeschickt, um Elisabeth zu holen. Sie fanden sie in einem See von Blut am Boden liegend; sie war in der Agonie. Mit einem Federmesser, das sie in ihren handbreiten, dicken, braunen Flechten verborgen, hatte sie sich die Pulsadern geöffnet.

Am Abend, als der Officier in Ketskemet eintraf, machte er dem Commando seine Meldung. Dann dem Rittmeister gegenüber schmückte er, um Waldheim zu necken, die Sache mit beinahe noch mehr Rohheit aus, als sie stattgefunden.

Albert war so empört, daß er seinem Lieutenant einen Schlag mit derselben Peitsche gab, womit Koffka Elisabeth bedroht und die ihm dieser höhnisch vorwies. Waldheim bot sogleich dem fassungslosen Lieutenant Satisfaction an. Am folgenden Morgen fand zwischen Beiden bei alleiniger Gegenwart des Arztes ein Pistolenduell statt; Koffka hatte den ersten Schuß und traf Albert in die Brust. Drei Chirurgen hatten vergebens nach der Kugel gesucht und sie hegten wenig Hoffnung, den Prinzen zu retten.

Das war, was der Arzt Agnes mittheilte; man kann denken, unter welchen Empfindungen ihm die arme Frau bis zu Ende zuhörte.

 

Alberts Klingel ertönte wieder, er verlangte Agnes zu sehen; sie ging zu ihm und ließ die beiden Kinder zurück, die während der schaudervollen Mittheilung des Doctors an den Knieen der Mutter liegend eingeschlummert waren.

Albert streckte Agnes die Hand entgegen. »Tausend Dank, daß Sie kommen! Der Himmel ist doch unendlich viel gütiger gegen mich, als ich es verdiene. Nach einem Leben voll Thorheiten und Fehler schickt er Sie, um mir die Augen zu schließen – ich bin kaum dreißig Jahre alt, aber ich freue mich auf den Tod.«

Agnes schüttelte mit dem Kopfe, sie fürchtete ihre hervorbrechenden Thränen, wenn sie reden würde.

»Schütteln Sie mit dem Kopfe, weil Sie nicht hierbleiben bei mir, oder weil Sie meinen nahen Tod bezweifeln?«

»Beides,« brachte Agnes mühsam hervor.

»Nein, Beides wird eintreffen, wir wollen einen Contract machen, meinen letzten,« setzte er lächelnd hinzu. »Wenn ich in acht Tagen nicht gestorben bin, dürfen Sie nach Pesth zu dem Doctor Rose zurück.«

»Sie wissen?«

»Tante Rosalie hat mir Alles erzählt. Acht Tage bleiben Sie mit Ihren Kindern bei mir – möchte den Kleinen jedes Wort, was ich zu ihrer Mutter spreche, mit Flammenzügen in das Gedächtniß geprägt werden, sie würden nie sich einer Silbe erinnern, die einen Makel auf ihre Mutter würfe. Agnes, bleiben Sie bei mir und drücken Sie mir die Augen zu, ich thue Ihnen auch den letzten Gefallen und sterbe bald.«

Agnes empfand eine Pein wie nie. Weil sie so gerne geblieben wäre, dünkte sie es Sünde, sie sagte weinend: »Ich kann nicht, ich darf nicht.«

»Dann noch einen Vorschlag. Schreiben Sie an Rose. Ich schicke einen Boten mit dem Briefe nach Pesth. Bis morgen Abend kann er zurück sein. Rose ist hart, aber nicht grausam; das hat er gegen meine Schwester, die doch an ihm gesündigt, bewiesen.«

»Er ist nicht hart,« sagte Agnes unbedacht, »aber eifersüchtig!«

»Auf mich?« Und ein so grenzenlos schmerzlich ironisches Lächeln, ein Lächeln, das so sichere Todesbotschaft trug, schwebte um Alberts Mund, daß Agnes ihm nicht widerstand und weinend sagte: »Mag Gott mir verzeihen, ich bleibe bis morgen Abend.«

Sie schrieb an Wilhelm, sie flehte, sie bat, sie theilte ihm in kurzen Worten die Ursache von Alberts Verwundung mit, aber als der Reiter mit dem Briefe fortjagte, hatte sie doch keine Hoffnung, daß ihr Gemahl ihr gestatten werde, länger als bis morgen Abend hier zu bleiben. Aber sie war nun ruhig, sie hatte gethan, was sie nicht lassen konnte, und schämte sich dessen nicht, weil sie sich nur der reinsten Theilnahme bewußt war.

Sie mußte beinahe immer an Alberts Bett sitzen, auch die Kinder blieben jetzt still im Zimmer und sahen mitleidig den fremden blassen Mann an, der besonders dem kleinen Jungen, er glich Agnes, viel freundliche Worte spendete. Der Arzt verbot dem Prinzen das viele Sprechen, aber der sagte ruhig: »Wenn ich zu retten wäre, ließ ich mir Alles gefallen, so aber fühle ich den Tod so bestimmt mit jeder Stunde mir näher treten, daß er mir wenigstens jetzt schon ein Stückchen von der Freiheit gewähren soll, die wir Alle von ihm hoffen.«

Er sprach mit Agnes meistens von seiner Kindheit, von seiner Mutter, von seinem Aufenthalt in Venedig, einer Reise nach Florenz, Rom und Neapel, nie aber von der Zeit seines frühern Zusammenseins mit ihr.

Er bat sie, ihm von dem Ende ihres Vaters, von ihrem Leben in Pesth, von Elisabeth Serenyi, der unschuldigen Ursache seines Todes, an der er mit dem edelsten Feuer Theil nahm, aber nie bat er sie, von Wilhelm zu erzählen.

Er theilte ihr mit, daß er Rosalie und Ludmille nach Amerika eingeschifft, wohin sie dringend nach der Wiedereroberung Oberitaliens verlangt; dann erzählte er Agnes, daß in seiner Kindheit eine alte Zigeunerin nach Waldheim gekommen und ihm prophezeit, er möge sich hüten vor dem Lande, dessen Fahnen die Farben der Rose trügen, und wie er sich plötzlich dessen erinnert, als ihm im vorigen Jahre die erste italienische grün roth und weiße Cocarde vor die Augen gekommen und er nun gemeint, in jedem Gefecht zu fallen; wie sich die Weissagung aber jetzt erst erfülle, in Ungarn, dessen nationale Rosenfarben freilich mit Trauerflor verhüllt seien.

»Ich sterbe,« sagte er dann traurig, »um den Irrthum zu sühnen, daß man einem fremden Unterjochungssystem dienen dürfe. Wäre ich ein österreichischer Fürst gewesen, ich hätte vielleicht ruhig mein Schwert gegen diese Italiener und Ungarn geschliffen, denn sie waren die Feinde meines Vaterlandes. So aber verließ mich nie der Gedanke, was ich eigentlich mit diesen Italienern, diesen Ungarn zu schaffen habe, und welches Interesse am Siege über sie! Aber ich scheute mich aus falschem Ehrgeiz während des Krieges meinen Abschied zu fordern. Wehe Jedem, der eine eigne ungerechte Sache, aber dreimal Wehe dem, der eine fremde ungerechte unterstützen hilft!«

 

Wenn man die Lage dieser beiden Menschen ins Auge faßt, könnte man denken, diese zwei Tage seien ihnen trübe und peinvoll verflossen. Dem war aber nicht so – nie hatte weder Albert noch Agnes zwei so friedliche, schöne, stille Tage verlebt. Sie waren Beide wie im Traum! Albert hatte, als er Agnes als Mäd chen kannte, immer in Zweifel und Aufregung gelebt, und deshalb nie in seligem Genügen sich dem Gedanken an ihre geliebte Gegenwart hingeben können. Wir wollen nun nicht behaupten, daß er seit den vielen Jahren, wo er sie nicht mehr gesehen, kein anderes Weib geliebt; nein, so etwas behauptet Niemand von einem jungen, schönen, lebhaften Manne, der fortwährend in der großen Welt lebt – er hatte gewiß seitdem viele geliebt, aber jetzt, wo Agnes vor ihm saß, sie, die bleiche Mutter der beiden blühenden Kinder, die verheirathete Frau, die ernste, ruhige, zurückhaltende Freundin, jetzt kam es ihm vor, als habe er seitdem kein anderes Weib angesehen, und die selige Ueberzeugung, daß diese Einzige bis zu seinem Tode seinem Auge sich nicht entziehen werde, gab seiner Liebe die Ruhe des Besitzes, die sonst nur ein festes Band gewährt!

Sie hingegen hatte die Elasticität der ersten Jugend beim Anblick dieses Jugendgefährten wiedergefunden. Sie kam sich wieder wie ein junges Mädchen vor, der Ernst ihrer Ehe, die Schmerzen ihrer Mutterliebe lagen wie ein dunkler Traum weit hinter ihr. Albert, dessen einziger Fehler in ihren Augen sein Mangel an Ernst und tiefer männlicher Auffassung gewesen, war natürlich in seiner jetzigen melancholischen Lage wie das Ideal ihrer ersten Jugend; dazu kam, daß er ihr wie ein geliebtes krankes Kind erschien, das sie pflegen und lieben müßte mit den beiden Kleinen, die an seinem Bette spielten. Sie war glücklich, ihm vorwurfsfrei seine letzten Stunden durch ihre Gegenwart versüßen zu können, sie fühlte, wie glücklich sie ihn mache, und das beglückte sie hinwiederum.

Trotz allem Abmahnen des Arztes erzählten sie sich Beide immer, Keines sprach laut, denn sympathetisch verstand Eins das Andere leicht. So kam der Abend des zweiten Tages heran und mit der Dämmerung senkte sich auch eine Wolke auf Agnes' Herz.

Auch Albert wurde stiller, seine Schwäche hatte schon den ganzen Tag sich vermehrt und seines Arztes Angst, der ihm sehr anhänglich schien, vermehrte sich zugleich.



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