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Fünftes Kapitel.


Agnes hatte alle Hände voll zu thun, sie mußte Alles der Kranken einrichten, die Kinder über ihre lange Abwesenheit trösten, Rosalien Muth einsprechen, und dabei ließ Elisabeth, auf deren Hülfe sie bei allen diesen Dingen gerechnet, sie zum ersten Mal im Stich. Was Unglück, Noth und Elend nicht vermocht, das that die Revolution von Wien – sie brachte das starke Mädchen außer sich. Wie eine selige Braut ging sie strahlenden Antlitzes umher, ohne sich um irgend etwas zu kümmern, und erst nach ein paar Stunden hatte sich ihre Extase so weit gelegt, daß sie Agnes hülfreiche Hand leisten konnte.

Wilhelm ließ sich an diesem Abende nicht mehr sehen, Doctor Keller kam noch einmal zu Ludmillen und fand ihren Zustand über alle Erwartung gut. Daß sie unter Wilhelms Dach war, daß er sie selbst gerettet, beglückte sie unaussprechlich, wenn sie sich auch nicht verhehlte, daß das Erstere nur Duldung des Willens seiner Frau, das Zweite nur Menschenpflicht gewesen – sie war doch wieder in Verbindung mit ihm getreten, ja sie war es noch fortwährend durch das heilige Gastrecht. Agnes kamen am folgenden Morgen die Ereignisse des gestrigen Abends wie ein Traum vor!

Trotz ihres nicht einnehmenden Aeußern hatte doch Rosalie einen entschieden angenehmen Eindruck auf sie gemacht. Sie hatte deren tiefe Innigkeit Wilhelm und Ludmillen gegenüber beobachtet – und dabei so viel Ruhe und Klarheit zu bewundern gehabt.

Die letzteren Eigenschaften hatte die arme Rosalie sich freilich erst in den letzten Jahren errungen, und zwar mit schwerem Opfer, mit der schmerzlichen Ueberzeugung, daß für sie auf Erden kein Glück mehr zu erwarten, kein Verständniß mehr zu hoffen sei, mit einem Worte, daß sie allein stehe für immer und ewig!

Allein stehen! Ist das nicht der Inbegriff alles Grauenvollen und Schrecklichen für ein weibliches Herz – und das aus keinem andern Grunde, als weil dann alle Fähigkeiten, die gewöhnlich die Natur den Frauen verleiht, brach liegen bleiben, die Fähigkeit zu lieben, zu leiden, sich aufzuopfern? Daher auch die ewig wiederholte Behauptung, daß die Ehe die Bestimmung des Weibes sei, während es doch eben nur das Haus, die Familie, die Kindererziehung ist, sei es nun als Mutter oder als Pflegerin oder als Lehrerin– die Ehe ist nur dann Bestimmung der Frau, wenn sie liebt; dann ist die Ehe heilig und steht hoch über allen Verhältnissen und Bündnissen dieser Welt. Aber ohne Liebe! – Wer einem Mädchen räth, sich zu vermählen – denn wenn ihr eignes Herz sie treibt, bedarf es keines Rathes – begeht eine größere Sünde als jener, der sie im Schlafe mordet!

An eine Vermählung hatte Rosalie nicht mehr gedacht, hatte sie überhaupt in ihrem Leben nie gedacht, aber sie hatte doch immer gehofft, in Wilhelms Anhänglichkeit, in dem Zusammensein mit ihm das Glück zu finden, für das sie allein noch sich zugänglich hielt!

Damit war es nun auch nichts! Wilhelm hatte sie verlassen, ohne ihr nur durch seine Briefe eine Art von Ersatz zu bieten! Spärlich waren seine Mittheilungen gewesen. Seine Verheiratung hatte er ihr freilich geschrieben, aber ohne Agnes' Familiennamen zu nennen, denn der Gedanke, daß einst Rosaliens Neffe Albert sie geliebt, verletzte seinen Stolz – die fürstliche Familie sollte das nicht erfahren. Rosalie wußte nur, daß Agnes keine Oesterreicherin sei.

Seit Ludmillens Vermählung war etwas Neues in ihr Leben getreten. Bisher hatte sie nur, wie das bei jeder edleren weiblichen Natur der Fall ist, eine große Sympathie für ihr Geschlecht empfunden, ohne einer Einzelnen davon einen besondern Antheil zu widmen. Wilhelm und sein Vater waren bis jetzt die einzigen Wesen, die sie eigentlich geliebt. Für Ludmillen hatte sie aber bisher eine entschiedene Abneigung empfunden; denn außerdem, daß Ludmillens innerster Character sie nie hatte anziehen können, war das Leid, welches ihre Nichte dem Liebling ihres Herzens zugefügt, sowie, daß sie in ihr die Ursache sah, welche ihn aus ihrer Nähe getrieben, schon hinreichend, um Ludmillen das Herz der sonst großmüthigen Tante zu verschließen.

Ludmille aber war jetzt gerade diejenige, welche vom Himmel auserwählt war, Rosalien Alles zu gewähren, was sie auf Erden noch hoffen konnte, ihr eine vollständige Bestimmung zu geben.

Durch ihr Unglück, durch ihre Verlassenheit erweckte sie ihre Theilnahme, und jetzt war es Rosalien gestattet, für Jemand, dessen einzige Stütze sie war, zu leben, zu leiden und noch überdem dies Wesen zu ihrer eigenen Höhe emporzuheben aus dem Schlamme, in dem sie bisher vegetirt.

Der armen Ludmille war Rosalie wie ein Engel des Lichts erschienen, und ihr Anblick hatte den ersten Impuls zur Besserung ihrer Krankheit gegeben. Sie ließ sie keinen Augenblick von ihrer Seite, die Liebe, welche sie in den ersten Tagen ihrer Kindheit für ihre Mutter empfunden und die nachher von selbstischen Neigungen erstickt worden war, besaß nun Rosalie! Rosalie, die um ihretwillen aus Deutschland gekommen, Rosalie, die ihr versprach, sie nie mehr zu verlassen und nie zu dulden, daß der verhaßte Gemahl wieder in ihre Nähe dringe. Die Herzensfreundschaft der verlassenen Frauen hatte etwas unendlich Rührendes, durch ihre Schutzlosigkeit ward ihr Band doppelt enge, doppelt fest.

Als Agnes die beiden Frauen besuchte, war sie überrascht von Ludmillens verändertem Wesen, die ihr gar nicht mehr den Eindruck einer gefährlich Kranken machte und mit milder und sanfter Rede das Herz der Gattin Wilhelms zu gewinnen strebte! Agnes wurde ihr aber bald entzogen, denn Elisabeth ließ sie rufen, weil sie sie dringend zu sprechen wünsche. Elisabeth wollte fort und zwar augenblicklich zurück nach dem Castell.

Auf Agnes' dringende Fragen nach der Ursache dieser plötzlichen Abreise wußte sie nichts zu erwiedern, als daß ein Brief von Frau von Horvath sie schleunig dahin berufe – was aber Frau von Horvath von ihr verlange, mit welchem Recht die alte Frau Agnes der Freundin Gegenwart gerade jetzt entzog, darüber konnte Agnes nichts von Elisabeth erfahren.

»Fragen Sie mich nicht,« sagte sie traurig, »denn ich darf nichts sagen, und es ist mir über alle Maaßen schmerzlich, Ihnen gegenüber ohne Antwort dazustehen!«

Agnes ließ also nach mit Fragen und ließ das aufgeregte Mädchen ziehen! Beim Abschied aber warf sich die junge Magyarin mit Thränen an ihren Hals und flüsterte: »Ihren Segen, Agnes, und bewahren Sie mir Ihre Liebe, wenn wir uns nicht wiedersehen sollten!«

Elisabeths Scheiden war der armen Agnes in diesem Augenblick unendlich schmerzlich – sie stand so einsam zwischen dem Gemahl und den beiden fremden Frauen. Gerade jetzt wäre ihr die Freundin, die Stütze so nöthig gewesen. Das Schicksal hat aber darin eine eigene Härte, daß es in entscheidenden Momenten den Menschen gewöhnlich auf sich selbst anweist und jede stützende Hand ihm fern hält.

Wilhelm blieb seinem Entschluß treu und besuchte Ludmillen auch in seinem Hause nicht, Rosalien hingegen sah er täglich mehrere Male und ihr Umgang wirkte offenbar wohlthätig auf ihn. Diese Frau erinnerte ihn durch ihren bloßen Anblick schon so mächtig an die Tage seiner Jugend, daß erfolgte, was beim Wiedersehen der Jugendfreunde so oft geschieht: er fühlte sich verjüngt! Seine Frau bemerkte mit Vergnügen, daß er heiterer und weniger hart und unzugänglich wurde. Er scherzte mehr und länger mit seinen Kindern denn je, er führte nicht immer neben der Cigarre noch ein Buch bei sich, und wenn Rosalie einen Augenblick bei beiden bleiben konnte, da gewöhnlich Agnes für sie im Krankenzimmer eintrat, hörte sie ihn sogar manchmal so herzlich lachen, wie sie es nie von ihm für möglich gehalten.

Rosalie war durch die Krankenpflege zu sehr in Anspruch genommen, um Wilhelms Benehmen gegen seine Frau beobachten zu können, und da sie sie schön, klug und sanft fand, so zweifelte sie auch nicht, daß er ein liebevoller Gatte gegen sie sei. Nur einmal wurde sie förmlich durch einen kleinen ehelichen Auftritt erschreckt. Durch einen Zufall nämlich entdeckte sie Agnes' Mädchennamen. In ihrer unbefangenen Weise fragte sie nun: »Sind Sie dasselbe Fräulein von Stein, welches mein ältester Neffe Albert so sehr – verehrte?«

Agnes wurde roth, dunkelroth; aber nur, weil sie überhaupt leicht erröthete und auch ein gewisser weiblicher Tact ihr sagte, daß Wilhelm diese Frage seiner mütterlichen Freundin unangenehm sei. Einen Augenblick stockte sie auch mit der Antwort, dann sagte sie, aber ohne den Muth zu haben, ihren Mann anzusehen:

»Verehrung ist wohl nicht das richtige Wort – es amüsirte den Prinzen, eine Zeit lang die Leute sagen zu lassen, er mache mir die Cour! Das war Alles!«

»Etwas Anderes hat auch sicher Fürstin Rosalie nicht gemeint mit ihrer Aeußerung,« versetzte Wilhelm scharf und höhnisch, »und ich bewundere die Naivetät, mit der Du ihren Ausdruck ›Verehrung‹ au pied de la lettre genommen!«

Agnes war von dieser rücksichtslosen Zurechtweisung so verletzt, daß sie erblassend verstummte. Rosalie aber rief laut lachend, nachdem sie das erste Staunen über diesen Ausfall überwunden:

»Wilhelm, um Gotteswillen, was entdecke ich da bei Ihnen – Sie sind eifersüchtig – eifersüchtig auf die unschuldigste aller Frauen – denn diese Augen täuschen nicht« – und sie ergriff die Hand der jungen Frau mit mütterlicher Liebe.

Wilhelm, anstatt durch dies Zeugniß beschämt zu werden und sein Unrecht einzusehen, wurde nur noch mehr dadurch erbittert, wie das in solchen Fällen gewöhnlich ist.

»Eifersüchtig?« fragte er gedehnt und eiskalt, »eifersüchtig auf meine Frau

Es lag in dem Tone Wilhelms eine so grenzenlos geringschätzende Verachtung, daß Rosalie heftig davor erschrak, obgleich sie wußte, daß Rose zu den Männern gehörte, deren Zorn, wenn er gereizt wird, sich in kalter, verächtlicher Behandlung des Gegners und nicht in Anpoltern und Anschreien ausspricht. Agnes wußte das auch, und dennoch fühlte sie sich mehr als je beleidigt.

Wilhelm sah, als er sich wieder etwas gefaßt, an der wortlosen Stille der Frauen, wie auch an ihren bleichen, veränderten Gesichtern, daß er zu weit gegangen. – Dies durch ein freundliches Wort oder selbst durch einen Scherz wieder gut zu machen, litt sein harter Stolz nicht, das hätte er nie gethan, am wenigsten aber seiner Frau gegenüber. Er versuchte also einzulenken, indem er mit milderem und lächelndem Spotte versetzte: »Wie kann ein Mann eifersüchtig sein, nach dem er, ehe er seine Frau sah, der intime und einzige Vertraute ihres Liebhabers gewesen?«

»Von wem sprichst Du?« fragte Agnes mit erhobener Stirne und zitternden Lippen.

»Von Ihrer Hochwohlgeboren, der Frau Doctorin Rose und Seiner Durchlaucht, dem Erbprinzen von Waldheim,« sagte unbarmherzig Wilhelm.

Agnes wollte antworten, aber zum ersten Male in ihrem Leben überkam sie ein so heftiger Zorn, daß ihre nervöse Natur ihm unterlag. Ein krampfhaftes Schluchzen machte ihr das Sprechen unmöglich, und Rosaliens sie fest umschließende Arme verhinderten, daß sie vom Stuhle auf den Boden fiel.

Nun war doch auch der impassible Wilhelm etwas erschrocken; er eilte aus dem Zimmer, um ein beruhigendes Mittel herbei zu holen, aber als sei die starke Seele seiner Frau nur von seiner Gegenwart erdrückt, so schnellte sie auf, sobald sie davon befreit war.

Sie erhob sich ohne Rosaliens Hülfe und nur rasch die Worte ausstoßend: »Ich muß allein sein, aus Barmherzigkeit lassen Sie mich,« enteilte sie nach ihrem Cabinet, wo sie sich einschloß.

Dem rückkehrenden Wilhelm erzählte Rosalie dies, indem sie ihn derb und ungescheut tadelte wegen des Benehmens gegen seine Frau.

»Ich weiß recht gut,« setzte sie hinzu, »daß nur die erbärmlichste Eifersucht Sie so unverantwortlich handeln ließ, aber ist denn eben die Eifersucht in einer Seele, wie der Ihrigen, einer Frau, wie der Ihrigen, gegenüber nicht die elendeste Schwäche?«

Wilhelm schwieg eine Weile, dann legte er die Hand an die Stirne und sagte langsam: »Es hat für jeden Mann etwas Verletzendes, wenn er denken muß, daß er es nur zufälligen Mißverständnissen verdankt, daß seine Frau die Seinige ist, nicht aber ihrem freien Willen – nicht, weil Agnes mich mehr geliebt hat, sondern weil sie sich vom Prinzen weniger geliebt glaubte, habe ich ihre Hand erhalten.«

»Und warum bemühten Sie sich dann um diese Hand, wenn Sie das wußten und daran solchen Anstoß nehmen?«

Wilhelm ging im Zimmer auf und ab und antwortete nicht, endlich sagte er wie für sich:

»Sie war geistreich, sie war gebildet, sie war stolz und schön und ganz anders als Ludmille, die ich haßte, denn sie war offen und natürlich, durchsichtig wie Krystall und unschuldig wie ein Kind!«

»Und eine solche Frau tragen Sie nicht auf den Händen, eine Frau, von der Sie nach sechsjähriger Ehe all diese Eigenschaften zugeben müssen?«

»O sie hat auch viele Fehler! Sie ist viel zu lebhaft, viel zu beweglich, zu sanguinisch, zu vorschnell und zu oberflächlich in ihrem Urtheil, zu unbedacht in ihren Aeußerungen, zu empfindlich in ihren Stimmungen. Aus der heitersten Laune kann ein einziges mißliebiges Wort sie in die hoffnungsloseste Apathie stürzen!«

»So sprechen Sie nie ein solches Wort.«

Wilhelm lachte hell auf. »Als wenn man das immer voraus wissen, immer gegenwärtig haben könnte! Welcher Mann kann sich immer mit Rücksichten auf seine eigene Frau plagen! Ich habe genug mit meinen launigen Patientinnen zu thun. Kein Mann der Welt verheirathet sich, um sich zu geniren.«

Rosalie sagte ernst: »Das ist die Pflicht jedes Menschen in jedem Verhältniß. In einer Beziehung haben Sie Recht, auf Albert eifersüchtig zu sein – er würde einen bessern Ehemann wie Sie gegen Agnes abgegeben haben!«

»Das glauben Sie selbst nicht,« sagte Wilhelm erbittert. »Was soll ich mehr thun? Ich kümmere mich um keine andere Frau, ich besuche kein Wirthshaus, ich habe keine einzige kostspielige Liebhaberei! Alle Welt nennt mich einen guten Ehemann.«

»Das heißt: Sie haben gute Eigenschaften für einen Ehemann, aber Sie würden gerade so leben, wenn Sie auch gar nicht verheirathet wären, weil weder Frauen, noch Spiel, noch Gelage Ihnen anziehend sind – nicht Ihrer Frau zu Liebe bleiben Sie zu Hause, wenn Sie müde heimgekommen! Ihrer Frau zu Liebe thun Sie nichts!«

Auf Wilhelm, obgleich er stillschweigend den letzten Vorwurf hinnahm, hatte doch diese Unterredung keine anhaltend gute Wirkung. Was Rosalie mit ihrem Tadel über ihn selbst bei ihm Gutes gewirkt, hatte sie durch ihr Lob Alberts wieder verdorben – denn es war wahr – er war eifersüchtig auf den Prinzen, auf den Prinzen, den Agnes nie in seiner Gegenwart genannt, und er auch nicht von ihr den leisesten Verdacht hegen konnte, daß sie noch an ihn denke.

 

Mit Ludmillens Befinden besserte es sich jeden Tag und sie ließ Wilhelm bitten, ihr einen Paß nach Venedig zu besorgen, wohin sie auf Rosaliens Rath gehen wollte. Albert stand schon seit mehreren Jahren dort, und seine Tante vertraute seinem ritterlichen Sinne genug, um zu glauben, daß er seine Schwester nicht dem unwürdigen Gemahl wieder ausliefern, sondern im Gegentheil sie vor ihm schützen werde. Aber ganz im Geheim wollte die Gräfin dorthin gehen, um ihren ältesten Bruder nicht unnöthig in Collision mit der übrigen Familie zu bringen; deshalb wollte sie auch, um ihrem Gatten unmöglich zu machen, sie zu entdecken, unter fremdem Namen reisen.

Wilhelm erklärte ihr in diesem Falle nicht dienen zu können, zu keinem falschen Paß, ja überhaupt zu keinem Betrug biete er die Hand.

Die drei Frauen standen also wieder allein. Agnes fand einen guten Ausweg. Sie schrieb an den Polizeichef um einen Paß für sich, weil ihre Gesundheit einer Reise nach Süden bedürftig sei. Sie erhielt ihn und gab ihn Ludmillen. Rosalie hatte ihren eignen.

Ohne Wilhelm noch einmal gesehen zu haben, reiste Ludmille mit Rosalien ab. Als sie den für sie bestimmten Paß im Wagen durchlas, erröthete sie bis über die Stirne und sagte leise und weinend zu ihrer Tante: »Unter dem Namen seiner Frau suche ich eine neue Heimath, eine Stütze, einen Freund – möge keine Vergeltung herrschen und er mir mehr Glück bringen, als ich ihm!«

Rosalie schwieg, sie dachte an Agnes, die ihr Herz in solchem Grade gewonnen, daß sie nur um ihretwillen auf Wilhelm zürnte ob der Lieblosigkeit seines Beneh mens gegen sie.

Wilhelm hatte nicht gefragt, auf welche Weise Ludmille einen Paß erhalten; als sie seit einigen Stunden weg war, gestand ihm Agnes, was sie gethan.

Wilhelm zuckte die Achseln, aber er antwortete nicht. Offenbar war es ihm lieb, daß Ludmille sein Haus verlassen, und er schalt deshalb seine Frau nicht wegen der Weise, in der es geschehen.

Rosalien würde er vermißt haben, wenn er nicht in der letzten Zeit immer bei ihr einen Tadel seines Benehmens gegen Agnes gefunden – so daß er zuletzt nur noch in ihr eine Beobachterin seines häuslichen Lebens sah; Agnes hingegen vermißte die ältere Freundin schmerzlich – sie fühlte sich wieder einsamer als je.



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