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Agnes bewohnte in Pesth den zweiten Stock eines ohnweit der Donau gelegenen großen Hauses. Breite steinerne Treppen führten zu ihr, hohe, schöne Zimmer öffneten sich vor Elisabeth und ihrem Bruder, als sie bei völliger Dunkelheit Abends angekommen waren, aber nirgends ein Laut – Todtenstille durch die ganze Wohnung.
Als der Bediente das dritte Zimmer, wo sich Agnes gewöhnlich aufhielt, öffnete, herrschte darin die tiefste Finsterniß, aber aus der dunkelsten Ecke ertönte Agnes' Stimme, die eben wieder ihrer Gewohnheit, im dunklen Zimmer ihren Gedanken nachzuhängen, sich hingegeben hatte. Sie umarmte zärtlich die Freundin und streckte dem Bruder herzlich die Hand entgegen. Dann befahl sie Licht zu bringen.
»Tausend Dank, Serenyi, daß Sie sie mir gebracht!«
»Hier ist doch nichts vorgefallen?« fragte Elisabeth.
»Vorgefallen nichts. Die beiden Kinder und Wilhelm sind wohl, aber seit ein paar Tagen bin ich wieder so sehr von trüben Ahnungen gepeinigt – und Du kennst meine Unart, diesen Ahnungen nachzuhängen; ich glaube, ich wäre aus Schwermuth gestorben, wenn ich nicht das zuversichtliche, trostbringende, heitere Gesicht meiner Elisabeth hätte zu sehen bekommen, das ja, seitdem Ungarn sich erhebt, wie eine Sonne strahlt und funkelt!«
»Führe mich zu meinen Lieblingen,« bat Elisabeth, »ich kann es hier im Hause nicht ertragen, so lange ich die Kinder nicht gesehen.«
Agnes nahm eins der beiden Lichter, und indem sie Herrn von Serenyi ein noch nasses Zeitungsblatt zuschob, ergriff sie der Freundin Arm und ging mit ihr durch das nächste Zimmer in ein kleineres, grün verhangenes Cabinet. Da standen zwei weiße Kinderbettchen – in dem einen ruhte ein Knabe von vier, in dem andern ein Mädchen von drei Jahren, zwei rosige Gesichtchen, die langen Wimpern im süßen Schlafe auf den vollen Wangen ruhend. Nachdem Elisabeth einen flüchtigen Liebesblick auf die Kinder geworfen, hob sie verstohlen ihr Auge zur Mutter, und als sie bemerkte, wie die im Anschauen ihrer Lieblinge versunken war, begann sie genauer die Freundin zu beobachten.
Agnes hatte sich seit ihrer Verheirathung außerordentlich verändert! Man konnte nicht von ihr sagen, daß sie älter oder häßlicher aussehe, wie als Mädchen, aber sie sah ganz anders aus. Aus einer Centifolie war eine Viole geworden. Sie, die früher in Farbe und Fülle geglüht, war jetzt blaß und schmal, und der Zug, der früher der characteristische ihres Gesichtes gewesen, der Zug fröhlicher Zuversicht, war ganz daraus gewichen – ja, es gab Momente, wo sie ängstlich und muthlos aussehen konnte. Vielen gefiel sie jetzt besser wie früher, den Männern besonders. Herr von Serenyi und Herr von Horvath besonders priesen ihre Schönheit als Frau und fanden, daß sie früher viel zu übermüthig und kühn in die Welt geblickt habe. Ein weibliches Wesen aber, das sie liebte, wie zum Beispiel Elisabeth, bei der mußte die Trauer bei ihrem Anblicke jedes andere Gefühl überwiegen. Wessen Auge so strahlte und jetzt so verschleiert in die Welt blickt, ist vom angebornen Throne seines Glückes sehr tief herabgestiegen.
In diesem Augenblick freilich erinnerte der Ausdruck ihrer Züge an den ihrer Mädchenzeit. Sie war eine leidenschaftlich liebende Mutter, sie hing an ihren Kindern mit derselben anbetenden Zärtlichkeit, wie sie als Tochter an ihrem Vater gehangen. Jeder Athemzug ihrer Kinder war für sie das süßeste Wunder!
Mit einem Lächeln besann sie sich jetzt auf ihr mütterliches in Liebe sich Vergessen.
»Wir müssen zu Deinem Bruder zurückkehren, Elisabeth, er wird mit seiner kleinen Zeitungsbeilage wohl zu Ende sein.«
Und sie gingen zurück in den Salon. Als Agnes, das Licht in der Hand, die Thüre öffnete, trat Wilhelm, den Hut auf dem Kopfe, zur entgegengesetzten Thüre ein. August Serenyi hatte das Zimmer verlassen, und Elisabeth wurde nicht sogleich von ihm bemerkt, da sie hinter seiner Frau im Dunkel stand.
Keine Bewegung seiner Hand, keine Miene seines Gesichtes begrüßte Agnes, die in der Mitte des Zimmers stehen blieb.
»Guten Abend, Wilhelm,« sagte sie, als er nach dem Tische ging und die Hand nach der Zeitung ausstreckte.
»Guten Abend,« sagte er kurz und ohne sie anzusehen, dann setzte er rauh hinzu: »Warum ist nur ein Licht im Zimmer?«
»Herr von Serenyi hat das andere mit hinaus ge nommen, während ich mit seiner Schwester bei den Kindern war!«
Elisabeth mußte nun vortreten und den Hausherrn begrüßen, sie that es etwas scheu, durch seine anscheinend üble Laune geängstigt; denn es war das erste Mal seit Agnes' Verheirathung, daß sie dem Manne unbewußt Beide so beobachtet hatte.
Sobald sie Wilhelm gewahrte, erhellten sich seine finstern Züge, und indem er rasch den Hut abnahm, streckte er ihr freundlich die Hand entgegen. »O schön, daß Sie da sind, Fräulein! Sie brauchen mir Ihre Empfindungen über die neuesten Ereignisse gar nicht mitzutheilen – Sie sind ja ordentlich gewachsen durch die neue Größe Ungarns!«
Jetzt kam auch Serenyi zurück, der sich in Wilhelms Bibliothek ein Buch geholt; er wurde vom Hausherrn eben so freundlich empfangen wie seine Schwester.
Man setzte sich um den runden Tisch, die beiden Männer politisirten, Agnes und Elisabeth sprachen von den Kindern. Da wandte sich August an Agnes:
»Eben fällt mir bei, gnädige Frau, daß Sie letzthin von mir wissen wollten, ob Kossuth von seiner österreichischen Gefangenschaft aus mit Fräulein von Wesselenyi correspondirte; ich habe ihn selbst gefragt – nein, er that es nicht, durfte überhaupt an Niemand schreiben – sie ist ihm aber doch die langen Jahre treu geblieben.«
Agnes sah nach Wilhelm, als sie ihn aber, den Kopf auf das Zeitungsblatt gebückt, da sitzen sah, wandte sie sich dem Bruder der Freundin zu.
»Ich habe das auch eigentlich nicht geglaubt,« sagte sie lebhaft. »Es war auch gar nicht nöthig. Kossuth ist ein Mann, den man nicht vergißt – und gar eine Frau, die er ausgezeichnet hat! Ich habe ihn nur ein einziges Mal reden hören« –
»Und unauslöschlich sind seine Züge Deinem Herzen eingegraben,« fiel Wilhelm spöttisch ein. »Sie sehen, Serenyi, meine Frau schwärmt jetzt für Ungarns Stern!«
»Das theilt sie mit allen unsern Damen!«
»O,« lachte Wilhelm noch spöttischer, »sagen Sie ihr das nicht, denn meine Frau hat den Ehrgeiz, den leider auch alle Frauen haben, etwas ganz allein thun zu wollen, enfin etwas Besonderes, eine Ausnahme sein zu wollen!«
»Du thust mir Unrecht,« versetzte Agnes ohne alle Bitterkeit, aber doch mit einem Anflug von Gekränktsein. »Ich habe nun schon mehrere Male, wenn Du mir vorwarfst: Du machst es wie alle Frauen, Du bist gerade so, wie die Andern, Dir geantwortet, daß in meiner Mädchenzeit mir alle Freunde das Gegentheil zum Vorwurf machten, indem sie behaupteten, es zieme sich nicht für eine Frau, so wenig mit ihrem ganzen Geschlechte übereinzustimmen.«
»Diesen Vorwurf machte Dir Dein Vater, Niemand sonst,« sagte Wilhelm ziemlich wegwerfend, »und dieser Vorwurf war eigentlich nur ein verstecktes Compliment, das Zeugniß für Deine Originalität ablegen sollte. Er hat Dich ja überhaupt so grenzenlos verwöhnt!«
»Da muß man Dir aber das Zeugniß geben, daß Du in dieser Beziehung gut machst, so viel in Deinen Kräften steht, nicht wahr, Herr von Serenyi?« sagte Agnes lachend und freundlich, Elisabeth aber bemerkte recht gut, daß ihrer Augen Glanz zu groß war, um nicht von einer unterdrückten Thräne herzurühren.
August sagte eifrig: »Ich danke Gott, daß ich nicht verheirathet bin und man mir also in diesem Fache keine Sünden nachweisen kann – so habe ich doch das unumschränkte Recht, über einen so ungalanten, verabscheuungswürdigen Gatten, wie Wilhelm, zu spotten!«
»Agoston, Agoston!« sagte Rose, »Sie verstehen nichts von der Sache, wissen nicht, wie knapp eine Frau gehalten werden muß, damit der Pantoffel uns nicht ganz und gar erdrückt.«
Elisabeth aber sagte im hellen Zorne ihres ehrlichen Gemüthes: »So lügen Sie doch nicht so unerträglich, Doctor Rose! Wenn so ein Tyrann, wie Sie, vom Pantoffel spricht – das kann ja ein ehrliches Mädchen gar nicht mit anhören!«
Wilhelm sah sie verwundert an. Als er aber sah, daß sie im Ernste sprach, sagte er lächelnd: »Sie sind doch sonst eine so kluge, vernünftige Dame! Und doch so im Irrthum über mich und meine Frau!«
Noch zweimal am Abend ließ Agnes, die gewöhnlich still da saß, sich durch ihre alte, natürlich nur unterdrückte, aber nicht ausgestorbene Lebhaftigkeit fortreißen, eifrigen Antheil am Gespräche zu nehmen (oder es an sich zu reißen, wie Wilhelm ihr immer vorwarf). Aber jedes Mal, wenn sie im stärksten Feuerstrom der Rede war, fiel eine spöttische, tadelnde Bemerkung Wilhelms wie kaltes Wasser darauf, und sie kehrte dann in ihr gewöhnliches stilles Wesen zurück.
Ihre Lebhaftigkeit, die ihm, als sie noch nicht sein Eigenthum war, pikant erschien, war ihm jetzt ein Greuel. Eine Frau sollte ruhig, schweigsam, still und zurückhaltend mit ihrer Meinung und ihrem Urtheil sein. Das allein gab ihr Würde und Lieblichkeit!
Agnes war nun ihr ganzes Leben das Gegentheil gewesen, nämlich lebhaft, gesprächig und offen in Gedanken und Urtheilen, ja sogar unvorsichtig offen gewesen. Seit sechs Jahren wurde nun an ihr curirt, und daß die Cur so schlecht gelang, das heißt, daß bei jedem entscheidenden Augenblick nichts davon zu sehen war, machte den Arzt und die Patientin gleich mißmuthig.
Außer dieser beabsichtigten Umwandlung ihres ganzen Grundcharacters hatte aber die arme Agnes zwei noch viel schlimmere Feinde im Herzen ihres Mannes.
Erstens die Erinnerung an Ludmille. Er hatte sie nicht vergessen, er liebte sie nicht mehr, nein, er haßte sie, er verabscheute sie, aber Alles, was sie ihm angethan, war mit Flammenzügen in sein Gedächtniß eingegraben, und diese Erfahrungen waren die Grundlagen, worauf er seitdem seine Ansichten vom ganzen weiblichen Geschlecht gebaut. Er sagte sich: Sie sind schwach – aber voll böser Neigungen, sobald man ihnen Freiheit läßt. Eine Sclavin ist sanft, liebend, treu. Eine Herrin ist despotisch, gefallsüchtig und wankelmüthig. Nur indem man ihnen die Zügel so stramm hält, daß sie nicht zum Bewußtsein ihrer Neigungen gelangen, kann man auf sie bauen. Nach die sem System wurde Agnes trotz sechsjähriger Liebe und Treue »behandelt.«
Der zweite Feind der armen Frau war Wilhelms eigener ursprünglicher Character. Er war selbstsüchtig, verschlossen, eigensinnig und zerstreut bis zur äußersten Grenze.
Wenn er eine Frau mit warmem Hingeben auch geliebt hätte – vielleicht, wenn Ludmille ihm nicht begegnet, wäre das doch geschehen – so würde seine Verschlossenheit es ihr nie gezeigt haben.
Seine Zerstreuung kam daher, daß seine Patienten oder vielmehr ihre merkwürdigen Zustände ganz und gar seinen Kopf einnahmen; kehrte er nach Hause, so dachte er auch an nichts Anderes, und weckte ihn irgend eine Unbequemlichkeit aus seinem Brüten, so wurde Agnes durch seinen immer wachen Hang zu Kritik und Spott dafür bestraft. Wenn seine Kinder, die er liebte, sobald sie seiner ärztlichen Pflege bedurften, ihn durch ihre Heiterkeit störten, so wurde Agnes gescholten, daß sie sie nicht besser erzöge. »Deine Kinder sind die unartigsten in ganz Pesth,« hieß es dann. Und eigentlich war er doch kein schlimmer Vater, denn er sorgte für sie und sparte und versagte sich Manches um ihretwillen, was bei seinem Egoismus doppelt hoch anzuschlagen war.
Am selben Abend sagte Elisabeth zu ihrer Freundin, als sie allein waren: »Dein Mann ist nicht liebenswürdiger während dieses Sommers geworden – Du bist zu gut gegen ihn!«
»Liebste Elisabeth – wie soll ich anders sein, ich sehe ihn kaum im Laufe des Tages. Nur Morgens, Mittags und Abends und dann immer in Begleitung eines politischen Journals oder einer ärztlichen Broschüre. Es giebt Tage, wo wir, ohne im Mindesten zu grollen, kein Wort wechseln, denn ich erspare ihm das gern. Bei jeder Frage wegen des Hauswesens oder der Kinder sagt er gewöhnlich ja, immer aber: ›Sage mir schnell, was Du willst, denn ich habe keine Zeit.‹ Meine schlimmen und zugleich meine guten Tage sind, wenn Besuch da ist, d. h. Herrenbesuch, denn an Damenbesuch stört er sich wenig, wie Du weißt. Da wird er durch die Andern aufmerksam auf mich, und das zieht mir dann immer einen Tadel zu.«
»Ich fand ihn heute Abend unausstehlich!«
»Ich liebe ihn heute, wie vor dem Altar! Wenn er nur höflicher gegen mich wäre, dann hat mich mein Vater verwöhnt – da hat er Recht! Nie kam jener nach Hause, ohne mir die Hand zu geben, nie trennte er sich von mir ohne Abschied, nie empfing er etwas aus meiner Hand, ohne mir dafür zu danken – es ist lächerlich, aber diese Formen vermisse ich am schmerzlichsten. Möchte mich Wilhelm verspotten, so viel er wollte, tadeln und corrigiren, thäte er es nur feiner – ich gäbe ihm gern Recht und fügte mich, denn ich weiß, daß ich sehr der Nachsicht bedarf.«
»Du irrst Dich in Dir selbst,« sagte Elisabeth langsam. »Du irrst Dich, indem Du jene Formen besonders zu vermissen glaubst. Von Deinem Vater beglückten diese Formen Dich so sehr, eben weil es bei ihm keine bloßen Formen waren; in ihnen wohnte der Geist der grenzenlosen Liebe, die er Dir weihte. Du vermißt sie nur so sehr bei Wilhelm, weil sie bei Deinem Vater die sichtbaren Zeichen seiner unsichtbaren Liebe waren. Es ist dasselbe Gefühl, das uns bei dem Tode eines geliebten Menschen glauben läßt: Wenn ich nur sein theures Antlitz noch vor mir sähe und hörte auch nie mehr ein Wort von seinen Lippen und träfe mich nie mehr ein Blick seiner Augen, nur ihn sehen noch, ich wäre getröstet – dieser Trost wäre doch nur eine Verbitterung unsers Schmerzes.«
Agnes schüttelte den Kopf. »Ich bleibe dabei, diese Formen würden mich bei Wilhelm vollkommen zufrieden stellen, denn im Grunde weiß ich ja doch, daß er keine Andere über mich stellt« –
»Seine Mutter, Agnes!«
»Unter die beuge ich mich gern, denn sie war sicher besser als ich, aber er liebt doch kein anderes Weib, er geht nirgends hin, als zu seinen Patienten; seine Mußestunden bringt er alle unter unserm Dache zu. Er theilt mir freilich nichts mit, aber ich weiß auch, daß kein Anderer, nicht einmal ein Mann, sein Vertrauen besitzt. Er ist ein Ehrenmann in jeder Beziehung, in seiner Wissenschaft ausgezeichnet, ein Segen der Armen, von Jedem geachtet, was will ich mehr?«
»Da hast Du vollkommen Recht, aber ich widerstreite nur, daß seine Formlosigkeit Deinem Glück solchen Abbruch thut.«
»Doch, doch! Legte er sie ab, dann würde ich mich fröhlichern Hoffnungen hingeben, der Hoffnung, daß er wieder mittheilender gegen mich würde, wie er es zum Beispiele während des Winters unsers Brautstandes war, wo er wöchentlich zu uns hinaus kam und nichts that, als sich mehrere Stunden lang mit mir beschäftigte.«
»Das heißt, er ließ sich von Dir vorerzählen, was Du vortrefflich kannst, und hörte Dir aufmerksam zu, weil Du ein junges schönes Mädchen warst, das ihn heirathen wollte, und er ein junger Mann und so sehr in Dich verliebt, wie es eben ein Gelehrter, ein Philosoph und ein Arzt sein kann.«
»Als ob ich immer erzählt hätte!«
»Das ist ja gerade Deine schönste Eigenschaft, Agnes. Nannte Dich nicht oft Dein Vater in meiner Gegenwart seine liebste Scheherazade? Und hast Du mir nicht selbst gesagt, daß Doctor Rose Dir als Bräutigam beinahe nichts von seiner Vergangenheit mitgetheilt?«
Agnes wurde roth, denn sie erinnerte sich freilich, daß Wilhelm ihr damals nie von Waldheim gesprochen, daß er erst, als er ihr Gatte war, seines Aufenthaltes dort und seiner Bekanntschaft mit Albert und zwar in einer für sie kränkenden Weise erwähnt, indem er sie eines »eitlen Vergnügens auf Kosten ihres Rufes beschuldigte.« Dies hatte sie aus einer erklärlichen Scheu nun selbst Elisabeth nicht mitgetheilt, der sie aber früher in mädchenhafter Vertraulichkeit den kleinen Roman mit dem Prinzen von Waldheim vertraut, als sie einmal an einem stillen Winterabende mit ihr zusammen auf dem Castell gesessen und Elisabeth sie gefragt, ob sie nie geliebt. »Beinahe,« hatte sie da geantwortet, und dieses »beinahe« dann eine Erläuterung nach sich gezogen. Elisabeth ahnte nun nicht, daß Wilhelm den Prinzen Albert kenne, und noch weniger, daß er der Vertraute seiner Liebe zu Agnes gewesen.
Obgleich Elisabeth Wilhelm im Innern heftig tadelte wegen seines wenig liebenswürdigen Benehmens gegen seine Frau, war sie ihm doch in wahrer Freund schaft zugethan. Sie hätte auch entschieden als Frau besser für ihn gepaßt als Agnes, obgleich sie in geistiger Bildung weit tiefer unter ihm stand, als Agnes Stein, denn ihr Character war seinem stählernen Willen näher verwandt. Sie hätte sich nicht quälen und schelten und zum Werkzeug gebrauchen lassen, um eine üble Laune quitt zu werden. Agnes fand nur Energie und Muth und Kraft bei wichtigen Lebensfragen. Wenn sie nicht aufgeregt war, war sie ängstlich, wenn nur sie selbst in Betracht kam, beugte sie das Haupt und empfing lieber den Schlag, als ihn durch ein muthiges Entgegentreten zu pariren. So war nicht Elisabeth. Vom Scheitel bis zur Sohle war sie angeregt und muthig, energisch bei der kleinsten häuslichen Handlung, thatkräftig auf ihrem Recht und ihrer Ansicht beharrend im kleinsten Streit. Durch ihre grenzenlose Gutmüthigkeit und ihre überwiegende Selbstkritik, ihren gänzlichen Mangel an Eitelkeit, so wie ihre krystallklare Vernunft wurde ihr Widerstand aber nie zum Eigensinn, ihre Thatkraft nie zum Rumorgeist.
Man behauptet immer, für eine Ehe sei es am zuträglichsten, wenn das Paar recht verschieden sei. Daran fehlte es bei Rose und seiner Frau wahrhaftig nicht. Zwischen ihrem weichen, träumerischen, etwas unklaren, aber durchaus offenen, ehrlichen Wesen und seinem stahlharten, kritischen, klaren und zurückhaltenden Character herrschte keine Beziehung, ja nicht einmal das leiseste Verständniß – verstand und erkannte er auch einmal ihre Eigenschaften, so war es nur, um sie zu tadeln. Das Einzige, was er, doch ohne es je gegen sie zu erwähnen, an ihr genehm fand, war ihr reiner und jedem gemeinen Streben abgewandter Sinn. Aber er wollte, wie schon gesagt, eine gemessene, ruhige, besonnene, zurückhaltende, stille, unermüdlich thätige Frau, und Agnes war eine über alle Maaßen lebhafte, bewegliche, unbesonnene, rückhaltslos offne, leicht von jeder einförmigen Beschäftigung abgespannte nervöse träumerische Natur!
Warum hatte er sie nun geheirathet – täuschte er sich in ihr? Sicher nicht, aber er hatte, nachdem ihn ihre Originalität angezogen, wie alle Männer es für ein Leichtes gehalten, einen Frauencharacter zu formen.
Und dennoch wäre wohl trotz ihrer »Unfügsamkeit« Alles gut gegangen. Ihre Liebe zu ihm und zu seinen Kindern, ihr wirklicher Werth, sowie langjährige Gewohnheit würden ihn ausgesöhnt haben mit einem Wesen, das dem Ideal seiner Erwartung nicht glich; er würde sie zuletzt geschätzt haben, wie sie war, und nicht wie sie nach der Schablone seiner Einbildungskraft sein sollte, aber – die Erfahrung, wie Ludmille, die Einzige, die je sein Herz besessen, mit diesem stolzen Herzen gespielt und es mit Füßen getreten, diese Erinnerung gab für sein einseitiges Urtheil, wie es in Beziehung auf Frauen das Urtheil beinahe aller Männer ist, die Richtschnur ab. Weil dies Weib sein Vertrauen getäuscht, vertraute er keiner mehr, weil dies Weib characterlos, schwach und gefallsüchtig trotz der vortrefflichsten Mutter geworden, wie sollte nicht Agnes, die ihre Mutter gar nicht gekannt und vom Vater auf's Unverantwortlichste verzogen war, noch viel schlimmere Neigungen in sich tragen?
Ueberdem gab unglücklicherweise die Eigenthümlichkeit ihres Wesens ihm fortwährend Anlaß, solche Eigenschaften bei ihr vorauszusetzen; ihre vielseitige Erregbarkeit hielt er für Mangel an Character, ihre Weichheit für Schwäche und ihr lebhaftes Eingehn in jede einen anziehenden Stoff behandelnde Unterhaltung, wenn ihn auch nur Männer in ihrer Gegenwart besprochen, für Oberflächlichkeit und Sucht zu glänzen. Wehe der armen Frau, die einem Manne zu Theil wird, der vor ihr mit einer Unwürdigen in inniger Seelenbeziehung gestanden!
Hätte Agnes aber auch das ganze Verhältniß Wilhelms zu Ludmillen gekannt, von dem sie natürlich bei ihres Mannes Verschlossenheit nichts ahnte, so würde das nur in ihren Augen eine Ursache mehr gewesen sein, ihn zu lieben und ihm anzugehören, denn es würde ihre Theilnahme und den Wunsch in ihr erregt haben, ihm durch Liebe und Treue zu vergelten, was jenes Mädchen an ihm verbrochen. Sie war viel zu edel, um bei einer guten Handlung an die üblen Folgen zu denken, die daraus für sie selbst erwachsen konnten.