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Drittes Kapitel.


Die beiden Freundinnen saßen plaudernd am andern Morgen nach dem Frühstück zusammen, die Kinder spielten geräuschlos in einer Ecke des Zimmers, als plötzlich Agnes aufhorchend zusammenfuhr.

»Was hörst Du?« fragte Elisabeth.

»Wilhelms Schritt! Um diese Zeit pflegt er gewöhnlich nicht nach Hause zu kommen! Es muß irgend ein bedeutender Krankheitsfall, wegen dessen er vielleicht in seiner Bibliothek nachschlagen will, ihn um diese Zeit nach Hause geführt haben!«

Elisabeth sprach nun weiter, aber Agnes hörte ihr nicht zu. Sie horchte auf ihres Mannes Schritt, der sich aber nicht vernehmen ließ. Sie trat an das Fenster, das nach dem Hofe ging, um zu sehen, ob der Wagen noch unten halte – zu ihrer größten Verwun derung spannte der Kutscher die Pferde aus. Sie öffnete das Fenster und fragte den Kutscher, ob sein Herr schon mit den gewöhnlichen Krankenbesuchen fertig sei. Der Mann entgegnete, daß noch nicht die Hälfte abgethan sei, aber der Herr Doctor ihm befohlen habe, im Stalle zu warten, bis er ihm den Befehl zum Anspannen schicke.

»Wenn er nur nicht krank ist,« sagte Agnes ganz bleich und geängstigt.

»So gehe zu ihm und frage ihn,« meinte Elisabeth.

Agnes schüttelte ängstlich den Kopf. »Er mag es nicht, wenn ich ihn in seinem Zimmer aufsuche. Er haßt jede Störung und hat mich bei sich nie mit einem freundlichen Gesicht empfangen.«

Elisabeth dachte im Stillen, daß die freundlichen Gesichter Wilhelms auch im Salon seiner Frau nicht zum Ueberfluß ihr gespendet würden, aber sie sagte nichts.

Nachdem Agnes eine Weile unruhig im Zimmer auf und ab gegangen, hielt es ihre lebhafte Natur nicht länger aus. Sie ging hinüber zu Wilhelm.

Er bemerkte ihren Eintritt gar nicht. Den Kopf in beide Hände vergraben, saß er vor seinem Schreibtisch. So lange sie ihn kannte, hatte sie ihn nie so gesehen, grübelnd zwar oft, aber doch nicht so todt und versunken.

Mit zitternder Stimme fragte sie endlich: »Wilhelm, fehlt Dir etwas?«

Er schnellte erschrocken in die Höhe, und sein Gesicht, welches Agnes jetzt zu sehen bekam, war todtenbleich, und die Augen hatten einen erschreckenden Ausdruck.

Seine Frau ging zu ihm und legte schüchtern die Hand auf seine Schulter: »Du bist krank, lieber Wilhelm, wünschest Du nichts?«

Wilhelm schüttelte mit dem Kopfe, endlich – und man sah, welche Ueberwindung ihn die wenigen Worte kosteten – sagte er ungewöhnlich sanft: »Ich bitte Dich, laß mich allein.«

Er wendete sich wieder ab von ihr und sah zur Zimmerdecke auf und beachtete sie nicht mehr. Agnes stand noch hinter seinem Stuhle und konnte sich nicht zum Gehen entschließen. Jetzt machte sie ein Geräusch; da wandte sich ihr Mann zum zweiten Male um, und in dem Tone, in welchem er sie fragte: »Bist Du noch da?« lag so deutlich der Schmerz eines nicht zornigen, aber bis zum Aeußersten gequälten und gepeinigten Menschen, daß Agnes erschüttert und ihre Thränen kaum mehr bewältigend rasch das Zimmer verließ.

Sie ging nicht zu Elisabeth, in ihr stilles kleines Schlafzimmer schloß sie sich ein und fiel weinend nieder am leeren Bette ihres jüngsten Kindes.

»Ich bin ihm nichts, gar nichts,« rief sie leise jammernd. »Seine Freude läßt er mich nicht theilen, und seinen Schmerz verschließt er ganz vor mir. Nur zu seiner Bequemlichkeit bin ich ihm nütze – wenn ein Automat sein Hauswesen so pünktlich besorgte, wie ich, er würde mich nie, nie vermissen! O warum bin ich nicht todt!« Da fiel ihr Blick auf das Bettchen, das ihr weinendes Haupt stützte, und mit ihm kam der Gedanke an ihre beiden Kinder, die der Liebe und Pflege der Mutter bei des Vaters kaltem, theilnahmlosen Wesen so doppelt bedurften, und zugleich kam ein Trost in ihr armes, zertretenes Herz. Die Ueberzeugung, wie nothwendig sie diesen beiden kleinen süßen Wesen sei, gab ihr wieder Kraft zu leben, und ihre elastische Natur erhob sich über den Bereich des trostlosesten Schmerzes im Leben, des Schmerzes, da nicht geliebt zu sein, wo Herz und Geist, wo die Natur und die Verhältnisse, wo Selbstgefühl und Stolz zugleich uns einen Anspruch darauf geben. Es giebt keine größere Demüthigung, als die einer edlen Frau, die sich von ihrem Gatten, dem Vater ihrer Kinder, vernachlässigt fühlt, und nie ward diese Demüthigung Agnes in so vollem Maaße zu Theil, wie eben, wo der Mann ihrer Wahl ihr nicht vergönnte, von seinem Schmerze zu erfahren, ihn zu theilen, ihn zu lindern, kurz, sie von dem edelsten Vorrechte des Weibes ausschloß.

 

Es mochten ungefähr zwei Stunden verflossen sein, als Wilhelm sein Zimmer wieder verließ und seine Droschke bestieg, um die unterbrochene Morgenrunde bei seinen Patienten zu vollenden. Er hatte wieder seine ruhige, klare, entschlossene Miene, nur war er noch etwas blasser als gewöhnlich und seine Augen blickten wo möglich noch kälter und gleichgültiger, als gewöhnlich.

Wilhelm hatte an diesem Morgen eine Prüfung erlebt, von deren möglichem Eintreffen er bisher auch nicht die leiseste Ahnung gehabt.

Schon in aller Frühe hatte ihn einer seiner Collegen aufgesucht mit der Bitte, ihn zu einer Consultation zu begleiten. Unterwegs theilte er ihm mit, daß es die Frau eines der ersten österreichischen Beamten betreffe, die junge Frau eines alten Gemahls, die dieser aus Eifersucht nicht fortgeschickt, wie beinahe alle übrigen Beamten schon seit längerer Zeit bei der unruhigen Stimmung in Pesth es gethan.

Die junge Frau lag auf den Tod an dem bösartigsten Typhus, und Wilhelms Freund, ein älterer, sehr erfahrner Arzt, schien wenig Hoffnung zu haben, sie zu retten. Als Wilhelm mit ihm in das Krankenzimmer trat, kam ihnen der Gemahl der Dame, ein alter, dürrer Mann mit einer höchst widerlichen hochmüthigen Physiognomie entgegen. Der ältere Arzt, Doctor Keller, stellte ihm Wilhelm vor und fragte dann, wie die Kranke den letzten Theil der Nacht zugebracht.

»O, die Gräfin ist um nichts besser,« sagte achselzuckend der alte Herr, »immer dasselbe Lamento nach ihrer Mutter, immer kein Schlaf, aber geschlossene Augen, so starkes Fieber, daß man ihre Hand nicht halten kann, und dabei Brausen in den Ohren, daß man, um ihr etwas zu sagen, schreien muß, als wäre sie stocktaub.«

Diesen Bericht stattete der Graf nicht im Tone eines besorgten liebenden Gatten, sondern eines ärgerlichen geplagten Krankenwärters ab, dann bedauerte er noch, daß seine Dienstpflicht ihn abrufe, und empfahl sich den beiden Aerzten mit der nachlässig vornehmen Miene eines gnädigen Gönners.

»Mich wundert,« sagte Wilhelm zu seinem ältern Freunde, »daß Sie in diesem Hause Arzt sein mögen!«

»Ich würde es schon längst aufgegeben haben, wenn nicht der Graf mir durch seine Macht alsdann auch meine städtische Anstellung entziehen würde.«

Sie traten jetzt an das Bett der Kranken. Bei ihrem Anblick war es Wilhelm, als gehe ihm ein Stich mitten durch's Herz. Dieses blasse schmale Gesicht mit den geschlossenen Augen und den wirr es umgebenden dunklen Haaren erinnerte ihn an Jemand, ohne daß er sich selbst im Augenblick hätte Rechenschaft geben können, an wen. Sein Freund befühlte kopfschüttelnd den Puls der immerwährend zuckenden abgemagerten Hand, dann bog er sich nieder und rief mit starker Stimme: »Wie geht es heute, Frau Gräfin?«

Die Kranke hob kaum sichtbar die Lider und machte statt aller Antwort eine trostlose Bewegung mit der Hand.

»Wenn sie nur die Augen öffnen wollte,« sagte Wilhelm ganz leise.

Bei den ersten Lauten dieser Stimme fuhr die Kranke wie von einem electrischen Schlage berührt in die Höhe. Mit weitgeöffneten Augen, mit flammender Stirne saß sie aufrecht im Bette. Ihre Blicke suchten offenbar nach Rose, der im ersten Schreck über der Kranken Bewegung unwillkührlich zu den Häupten ihres Bettes zurückgetreten war. Sie wandte den Kopf nach allen Seiten, endlich fand sie ihn.

Sie haschte nach seiner Hand, mit einer Art Abscheu entzog er sie ihr, sie erfaßte einen Zipfel seines Gewandes und ihre zitternden Hände brachten ihn an die fieberdunklen, trocknen Lippen!

»O Wilhelm, daß Du kommst! in meiner letzten Stunde kommst! Es giebt doch einen milden Gott, nicht einen, der nur straft und rächt. – Denke daran, daß ich an den Grafen L. verheirathet bin! daß ich das Eigenthum, die Beute, das Opfer dieses alten Ungeheuers bin, und Du wirst mir verzeihen!«

Wilhelm sagte nichts – nein, er strebte von der Kranken los zu kommen, aber es war, als verdopple das Fieber ihre Kräfte, sie hielt seinen Arm, den sie erfaßt, mit übermenschlicher Gewalt fest.

Der ältere Arzt nahm das Ganze für eine Fieberphantasie und glaubte, die Gräfin halte Wilhelm darin für einen Andern. Er trat zu ihm und flüsterte leise: »Geben Sie ihr nach, gehen Sie in ihre Ideen ein, sie könnte uns sonst rasend werden.«

Aber Wilhelm war unbeugsam, mit abgewandtem Antlitz blieb er so fern als möglich vom Bette stehen – er hatte ja Ludmillen erkannt, und Ludmille hatte bei ihm auf keine Verzeihung zu hoffen!

»O Wilhelm,« flehte sie wahrhaft herzzerreißend, »o Wilhelm, sei barmherzig! Ich weiß ja, daß ich abscheulich an Dir gehandelt, daß ich mit Deinem Herzen gespielt, daß ich ein gefallsüchtiges, eitles, hochmütiges, herzloses Weib war! Aber bedenke doch, daß ich an diesen Mann verheirathet bin, der mich Tag und Nacht nicht aus den Augen läßt! Gezwungen hat mich freilich Niemand zu dieser Verbindung, aber war nicht mein grenzenloser Leichtsinn eines Rathgebers werth?«

Als Wilhelm noch immer schwieg, jammerte sie von Neuem. »Ist Dein Stolz, Deine Härte nicht zu rühren, wenn ich Dir sage, daß der ehemals so stolzen Fürstin Ludmille jedes freie Slovakenmädchen im Vergleich mit ihr selbst als eine Königin erscheint? O, ich bin so tief gesunken, wie ich es nicht verdiente – nein, so habe ich selbst nicht an Dir gefrevelt, daß ich verdient hätte, diesem Manne, diesem Inbegriff aller Laster in die Arme gegeben zu werden! O Wilhelm!«

Sie ließ seinen Arm los, sie sank zurück, ihre Kraft war erschöpft und sie schloß die Augen; in demselben Moment, ehe der Doctor Keller es noch verhindern konnte, war Wilhelm aus dem Zimmer geeilt.

 

Er war nach Hause gefahren, um nach zwei Stunden wieder bei seinen Kranken derselbe ruhige, auf merksame, beobachtende Arzt zu sein, wie sie ihn immer gekannt.

Zu Tische erschien er zur gewöhnlichen Zeit, das heißt, als alle Andern schon gegessen hatten, um seine frugale Mahlzeit einzunehmen, die beinahe jeden Tag aus denselben Schüsseln bestand.

Mit Herrn von Serenyi sprach er nur wenige Worte, aber freundlich wie immer, Elisabeth, die ihn in ihrer muntern Weise neckte, gab er ganz heitere Antworten, nur mit seiner Frau machte er so wenig Umstände wie gewöhnlich.

Als Wilhelm sich eben vom Tische erheben wollte, trat Doctor Keller ein. Wilhelm zog bei seinem Anblick die Stirne in tiefe Falten und bewillkommte ihn so steif, wie sein alter Freund es nicht von ihm gewohnt war. Dieser ließ sich aber nicht irre machen.

»Ziehen Sie noch so ernste Gesichter, lieber Rose, Sie müssen doch mit zur Gräfin. Sie verlangt fortwährend nach Ihnen, und daß sie Sie in ihrem Fieberparoxismus für einen ehemaligen Liebhaber hält, ist freilich bei einer Kranken nicht sehr unterhaltend – wer weiß aber, ob sie die fixe Idee nicht mit in den gesunden Zustand hinüber nimmt, und dann« –

»Sie entschuldigen, gnädige Frau,« sagte er, sich zu Agnes wendend, »aber ich bin ein Wiener, und Sie kennen das alte Sprichwort, wonach der Wiener Alles begreift, nur nicht die Moral!«

Agnes machte eine freundliche Bewegung, sie war verlegen und ängstlich, weniger durch des schwatzhaften Doctors Reden, als durch Wilhelms offenbare Befangenheit und üble Laune.

»Doctor Keller,« sagte er endlich kurz, »ein für alle Mal, ich gehe nicht mit! Das Haus der Gräfin betrete ich nie mehr!«

»Aber wenn sie nun stirbt aus Verlangen nach Ihnen?«

»Heute Morgen hatten Sie sie selbst aufgegeben, da hatte sie mich noch nicht gesehen! Wenn sie stirbt, ich kann es nicht hindern« – –

»Doctor Rose, Doctor Rose!«

»Mein letztes Wort, ich muß jetzt zu meinen übrigen Kranken, deren ich heute Morgen mehrere versäumt.« Und mit einem kurzen Gruße verließ er das Zimmer. Doctor Keller eilte ihm nach, aber vergeblich, Wilhelm bestieg allein seinen Wagen und fuhr in raschem Trabe zum Thore hinaus!

 

Wir wenden uns zu der armen, von Allen verlassenen Ludmille. In ihrem Zustand war eine merkwürdige Veränderung eingetreten. Ihr Geist war vollkommen befreit von den Banden der Krankheit, aber ihr Körper schien ihr desto sicherer erliegen zu wollen, sie schlief keine Minute mehr, das Fieber erreichte eine fabelhafte Höhe.

Ihr Gemahl, den sie früher doch um sich geduldet, durfte seit Wilhelms Erscheinen an ihrem Krankenbette sich nicht mehr daran blicken lassen. Sobald sie ihn gewahrte, fiel sie in die fürchterlichsten Zuckungen, und Doctor Keller mußte ihm zuletzt geradezu erklären, daß sein Anblick der Gräfin tödtlich sei.

Da in diesen Tagen, den ersten Tagen des Octobers, die Aufregung in Pesth zur höchsten Höhe stieg und des Grafen amtliche Wirksamkeit sehr in Anspruch genommen wurde, so ließ er es sich gern gefallen, aus dem Krankenzimmer seiner Frau verbannt zu werden; von dem Vorfall mit Wilhelm ahnte er natürlich nichts.

Ludmille, die noch vor einem Jahre, als sie bei ihrer Schwester, der Fürstin T., in Wien sich aufhielt, die gefeiertste Dame der Creme der üppigen Stadt gewesen, Ludmille, die schöne, stolze Princessin Waldheim, lag jetzt allein da, auf die Pflege einer leichtfertigen Kammerfrau beschränkt, in der ihrem Gemahl so feindlich gesinnten ungarischen Hauptstadt. Ihr einziger Trost und Freund war ein alter Arzt, ein zwar gutmüthiger Mann, aber von so leichtfertigen Grundsätzen, daß seine Jugend den zweideutigen Ruhm eines unwiderstehlichen Don Juans genossen. Doctor Keller war ein Wiener Arzt, den ein Abenteuer mit einer hochstehenden Dame hieher verschlagen hatte. Er hatte den ächten Wiener Character, gutmüthig, intelligent, oberflächlich, und hegte vom eigentlichen Ernste und Inhalt des Lebens die Ansicht, daß man ihn sich so viel als möglich vom Leibe halten müsse, denn ernsthaft und traurig war für ihn, was es für die ganze bisherige Wiener Generation war, gleichbedeutend. Den Grafen verachtete er auch innerlich, aber eigentlich doch nur, weil er eine schwächere Gesundheit gehabt, als er selbst, und seine tollen Streiche ihn zum frühen Greise gemacht, während Doctor Keller noch immer wie ein »wohlconservirter blühender Fünfziger« aussah und Jedermann den Grafen für einen hohen Sechziger hielt.

Ludmille, deren frühe Menschenkenntniß von ihrer unglücklichen Ehe natürlich nur geschärft worden, durchschaute den Doctor vollkommen. Sie war klar darüber, daß die einzige Ursache, warum sie bei ihrer möglichen Herstellung nicht auch einen Anbeter in ihm zu befürchten hatte, einzig und allein in seiner Rücksicht auf die amtliche Stellung ihres Mannes lag. Aber diese Rücksicht bestand und sie konnte ihn also völlig sicher zu ihrem Freunde und Vertrauten machen – da sie Niemand anders hatte! Nur zu wohl war Ludmillen die alberne Behauptung der Welt, daß eine reine Freundschaft zwischen Personen verschiedenen Geschlechts eine Unmöglichkeit sei, bekannt, und nur zu gut durchschaute sie den Grund, weshalb eine solche Freundschaft so selten vorkommt – er liegt in dem Umstand, daß keine kluge Frau einem Mann ihr Vertrauen schenkt, ohne sichere Garantien seiner uneigennützigen Gesinnung zu besitzen; und wie und wo solche Garantien finden? – Sie wußte wohl, daß solche reine Freundschaften selten sind, nicht weil edle Frauen sie mißbrauchen lassen, sondern weil die Frauen zu klug sind, sie einzugehen – denn die höhere Klugheit der Frauen wird so lange zunehmen, wie ihre Freiheit eine geringere bleibt. Die Unterworfenen und Abhängigen hatten von je schärfere Sinne als ihre Meister und aus diesem einzigen Grunde sind auch die Frauen klüger, als die Männer.

Ludmille hatte nur noch einen Gedanken, einen Wunsch, ein Verlangen auf Erden – die Versöhnung mit Wilhelm; ihr kam es in ihrem geängstigten Herzen vor, als entsündige diese Verzeihung ihre ganze Vergangenheit. Niemand konnte ihr dazu behülflich sein, als Doctor Keller und damit er es konnte, mußte sie ihm rückhaltlos ihr Inneres aufdecken.

 

Es war um Mitternacht, tiefe Stille herrschte im Palast des Grafen, man hörte nichts als die Schritte der davor langsam auf und ab wandelnden Schildwacht.

Ludmille saß, auf ihre Kissen gestützt, aufrecht im Bette. Sie war in diesem Augenblick, die Todtkranke, vom Arzte Aufgegebene, eigentlich schöner als je, denn der geistige Ausdruck ihrer Züge hatte sich zu einer Höhe aufgeschwungen, wie er das früher nie vermocht, niedergehalten von den Eindrücken der Außenwelt. Der Doctor saß vor dem Bette und führte von Zeit zu Zeit ein Glas mit kühlendem Getränk an ihre trocknen Lippen, da ihre eignen beständig zuckenden Hände das nicht vermochten.

Sie begann. »Wissen Sie, lieber Doctor, was eigentlich das Unglück meines Lebens war? Jetzt ist mir das klar, wo mir Alles klar ist – das war, daß meine Mutter meinen Vater zu sehr liebte! Ich hätte von frühster Kindheit einer strengen, aber sanften und liebevollen Aufsicht bedurft, gerade einer solchen, wie meine vortreffliche Mutter sie nur zu gewähren im Stande gewesen, wenn mein Vater nicht alle ihre Interessen absorbirt hätte. Sie liebte uns Kinder zärtlich, sie hätte für jedes einzelne ihr Leben ohne einen Augenblick Ueberlegung hergegeben, aber wie bei jeder Leidenschaft verschlang die Leidenschaft für ihren Gemahl jedes andere Interesse bei ihr. Mein Vater – war ihr nicht immer treu. Daher diese immerwährende furchtbare Angst um seine Liebe, die sie zwar nicht blind machen konnte für sichtbare Dinge, wie z. B. unsere Erfolge im Lernen, unser Wohlsein, unsere Kleidung, worüber sie stets mit mütterlichem Auge wachte, aber ihr nicht Ruhe ließ zur Bewachung unsrer Charactere. Wir hatten rothe Backen, der Lehrer lobte unsere Fortschritte, in ihrer Gegenwart betrugen wir uns anständig – sie war beruhigt, über ihre Kinder doppelt beruhigt, weil ihr edles Herz sie immer nur das Beste im Innern des Menschen voraussetzen ließ. Da die leidenschaftliche Aufregung der schönen, begabten Frau der Männereitelkeit meines Vaters schmeichelte, war er grausam genug, damit zu spielen. Doch genug hiervon, Sie begreifen, warum man meine üblen Anlagen von Kindheit auf nicht bemerkte und ihnen kein Damm entgegen gesetzt wurde. Ich war hochmüthig, eitel, gefallsüchtig, ja eroberungssüchtig bis zum allerhöchsten Grade schon in meinem sechzehnten Jahre.

Wilhelm Rose, Ihr Freund, kam, nachdem er seine Studien beendigt, in das Schloß; er war der einzige Sohn des verstorbenen Freundes einer Tante, die bei uns lebte.

Der fein organisirte, ernste, zurückhaltende junge Mann gefiel mir. Er war klüger, als alle meine Vet tern, und sah eben so vornehm aus wie sie. Von Unterwürfigkeit, der widerlichsten Eigenschaft bei einem Mann, war keine Spur in seiner stählernen, stolzen Natur. Er gefiel mir, aber er beachtete mich durchaus nicht, so wenig, wie meine Brüder, die dies aber in ihrem Hochmuth gar nicht bemerkten.

Diese Nichtachtung reizte mich – ich mußte ihn in mich verliebt machen; ohne irgend die Folgen zu bedenken, im Grunde waren sie meinem Egoismus auch gleichgültig, suchte ich ihn zu gewinnen; es gelang bald und vollkommen!

Dieser Erfolg wurde mir aber bald sehr unbequem; schon – nach ganz kurzer Zeit, ehe noch wirkliche Liebe zu ihm in meinem Herzen Wurzel geschlagen; denn ich mag noch nicht glauben, was mir damals meine Tante vorwarf: daß nämlich mein Herz jeder wirklichen Liebe unfähig sei!«

Nach einer langen Pause fuhr die Kranke fort: »Um mich seiner zu entledigen, bediente ich mich unwürdiger Mittel – erlassen Sie mir genauere Details darüber – Rose entdeckte das, ich wurde grenzenlos beschämt – – – Rose ging mit meinem ältesten Bruder nach Wien und etablirte sich dann durch dessen Empfehlungen hier. Seitdem hatte ich nichts von ihm vernommen.

Mit mir verfuhr man nicht auf die rechte Weise. Anstatt zu Hause unnachsichtig vielleicht noch meine Besserung zu versuchen, verstieß man mich zu einer alten, halb blödsinnigen Tante, wo ich ein Jahr lang nichts that, als schlechte Romane lesen und Fluchtpläne aushecken, die aber nie zur Ausführung kamen. Ich dankte Gott, als mir meine Mutter schrieb, daß sie endlich dem so oft wiederholten Wunsche meiner ältesten Schwester in Wien nachgegeben und mir erlaube, zu ihr zu reisen. Zugleich schickte sie mir einen alten Reisewagen und eine noch ältere Steuerräthin als Duenna zur Begleitung. Am Abend vor meiner Abreise kam auch noch meine Mutter, um Abschied von mir zu nehmen und mir ihre Verzeihung zu gewähren unter der Bedingung, daß meine Schwester aus Wien nur Gutes über mich berichten werde.

Wer war glücklicher, als ich! Ich fürchtete nur immer, die Welt gehe aus den Angeln, ehe ich in Wien ankomme.

Im Hause meiner Schwester, der Fürstin T., war ich ein willkommner Gast, die Dritte im Bunde von zwei jungen fröhlichen Weltmenschen, denen die ganze Erde nur wie ein eigens für sie ausgeschmückter Ballsaal erschien.

Mir wurde sehr viel gehuldigt. Es gab zwar unter den Wiener Comtessen eben so schöne und muntere Mädchen wie ich, aber ich war eine Fremde, war doch anders wie sie.

Meine Schwester, die keine Kinder hatte, schenkte mir, was nur mein Herz begehrte, ich schwamm in Reichthum, Vergnügen und Huldigungen aller Art. Den Sommer brachten wir auf den Gütern meines Schwagers in Oberösterreich eben so gesellig und rauschend, wie den Winter in Wien zu. Drei Jahre war ich schon bei meiner Schwester im Hause, ohne den Wunsch gefühlt zu haben, mich zu verheirathen, obgleich es meine Absicht war, mir unter den Wiener Cavalieren einen Gemahl zu wählen, aber das auch nur, weil meinem leichtsinnigen, vergnügungssüchtigen Sinne die dortige Lebensweise am meisten behagte. Ich hatte beschlossen, meine Hand nur einem der Ersten und der Reichsten zu schenken, bei allen Anträgen aber, die mir gemacht wurden, fehlte immer das Eine oder das Andere. Alles Uebrige war mir ziemlich gleichgültig, da mir der Gemahl nur als Mittel erschien, in einer festen Stellung meine jetzige Lebensweise fortzusetzen.

Verliebt war ich nie – denn ehrlich gestanden, lieber Doctor, hat mir Ihr Geschlecht nie viel Respect einflößen können, wenigstens nicht diejenigen Männer, mit denen ich in Beziehungen stand.

Diese Männer, die über jedes rothwangige Mäd chen den Kopf verlieren und sich an sie wegwerfen, sobald nur die rothwangige es will, diese Männer, die nie für eine hübsche Frau, und wäre sie auch eine Gans oder auch eine Verlorne, ein ›Nein‹ haben, diese Männer, denen nichts Achtung einflößt, als Geld und Macht – diese Männer verdienen nichts Besseres, als daß man heute mit ihnen spielt, um – sie morgen wegzuwerfen!«

»Zählen Sie auch Rose zu diesen Männern?« fragte der Doctor mit eigenthümlichem Tone.

»Ich zähle gar Niemand dazu, als die Cavaliere der Wiener Gesellschaft, mit denen ich zufällig in Berührung kam – die Männerwelt im Allgemeinen kennen zu lernen, dazu hat ein junges Mädchen von meiner Geburt und Lebensweise gar keine Gelegenheit.«

Der Doctor nickte etwas sarkastisch, schwieg aber.

Ludmille fuhr fort. »Da starben plötzlich die beiden noch ganz jungen Söhne des schon sehr betagten Fürsten L. Sein Bruder der Graf, mein jetziger Gemahl, war ein fünfzigjähriger Junggesell, der nicht viel mehr besaß, als den Gehalt seines Postens. Er, der schon längst sein ganzes eignes Vermögen durchgebracht, erhielt auf einmal und ganz unerwartet dadurch die Aussicht auf den Fürstentitel und die Güter seines alten Bruders. Mein alter, seit Jahren geduldeter, aber immer von mir verhöhnter und mißhandelter Verehrer wurde plötzlich zum ›Epouseur‹!

Als er mir seine Hand antrug, hatte ich, obgleich ich ihn seit Jahren kannte, eigentlich nie über ihn nachgedacht – er war zu alt, zu häßlich und zu unbedeutend, um meine vielbeschäftigte Aufmerksamkeit zu fesseln – ich hielt ihn aus Bequemlichkeit für das, wofür man ihn mir bei der ersten Bekanntschaft geschildert – für einen guten, höflichen alten Herrn, der sich von einer jungen Dame um den Finger wickeln ließe.

Ich theilte lachend meiner Schwester den Antrag mit, sie und ihr Mann antworteten auch nur durch Lachen über den ›kuriosen Schwager.‹ Als er am andern Tage die Antwort holen wollte, hatte ich noch gar nicht daran gedacht. Ich sagte ihm das, worüber er sehr betroffen war – als ich aber hinzusetzte: Doch es thut nichts, auch ohne Ueberlegung nehme ich Sie – die Sache ist ja so wichtig nicht! wußte er vor Dankbarkeit sich kaum zu fassen und küßte mir immerwährend die Hände, wie ein gerührter Sclave.

Ich wurde ihm angetraut. Als ich am Hochzeitstage erwachte, hatte ich keinen andern Gedanken als bei jedem Cour- oder Balltage – ich dachte bloß an meinen Staat.

Meine neue Kammerfrau kleidete mich zum ersten Male an und ich begriff nicht, warum diese Person so ein mitleidiges Gesicht machte, als der Anzug vollendet war. Ich war vollkommen zufrieden, denn ich hatte nie besser ›ausgeschaut‹, wie die Wiener sagen. Ja hätte ich nur wirklich ausgeschaut, dann hätte ich Manches gewahren können!

Die Veränderung meines Innern, als ich statt Fürstin Waldheim Gräfin L. war, weiß ich Ihnen kaum verständlich zu machen, obgleich mir das Alles sonnenklar ist.«

»Versuchen Sie's,« sagte Doctor Keller ernst mit tiefem Mitleid.

»Ich muß ziemlich weit ausholen. Unter meinen Hochzeitsgeschenken fand ich ein Gedicht, es war von einem armen Musikus, den ich protegirte. Er stimmte meinen Flügel, schrieb mir Noten ab und wurde dafür reichlich von mir bezahlt. Es war ein guter beschränkter Mensch, der aber für alle seine ›hohen Gönner‹ immer Verse in Bereitschaft hatte. Das Gedicht für mich hatte zwei Abtheilungen und war überschrieben: Vor und nach der Hochzeit zu lesen. In der ersten dankte die ›durchlauchtige fürstliche Jungfrau‹ dem Schöpfer 'für ihre Unschuld und Reinheit, in der zweiten die ›er lauchte gräfliche Frau‹ ihm für ihren ihr gnädig gespendeten Gemahl!

Meine Schwester und ich lachten herzlich über den naiven Poeten – als ich vermählt war, lachte ich nicht mehr!

Ich sagte Ihnen schon vorher, daß mir eigentlich vor dem Grafen gar nicht bangte; als er mein Gemahl aber, trat mir in ihm zum ersten Male die Gemeinheit, die Niederträchtigkeit, das Laster unverhüllt entgegen. Vor seiner Frau entblödete er sich nicht, sich in seiner ganzen bodenlosen Schlechtigkeit zu zeigen!«

»Frau Gräfin!« sagte sich erschrocken umsehend der Doctor.

»Ich rede die Wahrheit – und kann von dem Grafen sie ungescheut reden, denn der nahende Tod löst unsere Ehe – ich bin eine Sterbende!

Damals aber, als ich so unglücklich wurde, war ich noch in vollem Leben und wünschte mir dennoch sehnlich den Tod. Das einfältige Hochzeitsgedicht schwebte mir immer vor und die einfachen Worte, womit es begann:

Mit hellem Aug' und scheuelosem Blick
Heb' ich das Antlitz auf vor Deinem Throne – –

mußte ich unter Thränen mir hundertmal wiederholen.

Mir kam es vor, als habe den ersten Theil mein guter, den zweiten mein böser Dämon gesprochen.

Die ›durchlauchtige fürstliche Jungfrau‹ war zwar eine Erzkokette, eine Lügnerin, ein spöttisches, herzloses Geschöpf gewesen – trotz Durchlaucht und Fürstenthum aber doch eine Jungfrau, das heißt ein Wesen, dem nie die Rohheit, die Niederträchtigkeit, mit einem Worte die Gemeinheit genaht!

Sie lächeln – Sie mißverstehen mich, wenn Sie glauben, daß in dieser Bemerkung ein aristokratischer Dünkel laure, gerade das Gegentheil. Ich verwerfe jetzt die Aristokratie der Geburt um der Aristokratie der Seele willen, denn ich weiß keinen andern Ausdruck dafür an die Stelle zu setzen. Wie die große Welt laut einen Stammbaum für besudelt erklärt, wenn ein Mensch der Familie vor Jahrhunderten sich mit einer nicht Ebenbürtigen vermählt, ebenso erscheint mir ein einzelner Mensch gesunken, in dessen Leben eine niedrige Handlung, ein gemeines Bestreben sich bekundet!

Ich hatte alle möglichen üblen Eigenschaften, aber kein Laster gehegt, und nur das Laster besudelt unrettbar, unvertilgbar.

Als mir nun das Laster zuerst nahe trat, ja als ich mir gestand, daß ich ihm vermählt sei, kam das, was in jeder unbefleckten, wenn auch noch so fehlerhaften Menschenseele wohnt und was ich das Vornehme, die Welt im Allgemeinen die Unschuld nennt, zum ersten Male in mir zum Bewußtsein. Bei dem Anblick, bei der Kenntniß der Schuld, des Lasters, des Verbrechens richtete es sich aus seinem Schlafe hoch auf, und an ihm klammerte sich Alles immer empor, was in meiner Seele noch Arme hatte, sie zum Himmel zu erheben. Seitdem ich mir eines edlen Bestandtheiles bewußt wurde, fielen die Schlacken meines Characters ohne jede Anstrengung von mir ab – nur Eine Umwandlung war schlimm – dieselbe Welt, die ich bisher zu sehr geliebt, um derentwillen ich herzlos, leichtsinnig und gefallsüchtig gewesen, haßte ich von nun an mit unchristlicher Bitterkeit!

In ihr sah ich die ganze Ursache meines Unglückes – sie hatte gebilligt und genehmigt, was mich elend machte; sie hätte verdammt, was mich vielleicht glücklich gemacht hätte!«

»Erklären Sie sich deutlicher, Gräfin,« sagte Keller, der aus Neugierde ganz seinen ärztlichen Beruf vergaß und die Kranke, statt ihr Stillschweigen zu gebieten, immer mehr zum Sprechen aufforderte.

»Deutlicher erklären soll ich mich? Haben Sie denn je einen Tadel in der sogenannten großen Welt äußern hören, wenn das schönste, jüngste, unschuldigste Mäd chen dem ältesten Wüstling am Altare verkauft wurde? Hat hingegen dieselbe große Welt nicht jedes Mal Zeter und Mord geschrien, wenn ein solches Mädchen einem begabten, jungen, ehrlichen, aber bürgerlichen Mann in sein einfaches Haus als Gattin folgte? Hat nicht jene große Welt, deren Regeln für alle jungen gedankenlosen Geschöpfe, wie ich es war, als Gesetze gelten, die einzige Schuld an allen den unnatürlichen sündhaften Ehen, die man Convenienzheirathen nennt?«



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