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Drittes Kapitel.


Elisabeth war katholisch, Agnes protestantisch, aber das störte ihr inniges Vernehmen durchaus nicht, obgleich Beide sehr an ihrer Glaubensweise hingen; im Gegentheile behauptete Agnes lächelnd, Eines ergänze des Andern Religiosität.

Im Dorf waren zwei Kirchen, eine evangelische, eine katholische, da die Einwohnerschaft halb dem einen, halb dem andern Bekenntniß angehörte, und am Sonntage beschlossen die beiden Mädchen zusammen ihre beiderseitigen Geistlichen zu besuchen oder, wie Elisabeth sich ausdrückte, das neue Lamm vorzustellen, da sie schon von ihrem frühern Aufenthalt mit beiden Pfarrern befreundet war; hatte sie doch damals als Gutsherrschaft in beiden Kirchen einen besondern Stuhl gehabt, der nun auf Agnes und ihren Vater überging. Obgleich Agnes noch kein Wort ungarisch verstand, wollte sie doch am Morgen in ihre Kirche gehen. Elisabeth begleitete sie bis an die Thüre; dort wies sie einen Bauer an, sie in den ersten Stuhl zu führen. Der Mann ging würdevoll vor dem Fräulein her; am Stuhle blieb er stehen, öffnete ihr mit leichtem Anstand die Thüre, wies ihr ihren Platz an und verbeugte sich dann so cavalièrement, daß ihr war, als sei sie an einem mittelalterlichen Hofe und dies ein dienstthuender Ritter. Denn so sah er aus und alle die Männer ihr gegenüber mit ihren langen weißen Pelzen; dazu das bis auf die Schultern reichende Haar, die gewichsten Schnurrbärte – wahrhaftig, sie kamen ihr vor wie eine Versammlung deutscher Ordensritter, aber nicht wie ein Trupp Bauern.

Am Nachmittage besuchten die Freundinnen die beiden Geistlichen. Jeder bewohnte ganz nahe bei seiner Kirche eine niedere Hüte, mit Stroh gedeckt, wie alle andern. Von außen waren sie gleich, die beiden Pfarrwohnungen, aber im Innern wie verschieden! – Der Protestant saß mit heiterm Antlitz neben seiner blühenden jungen Frau, drei liebliche Kinder wälzten sich in fröhlichem Spiele an der Erde, die Fenster waren umzogen mit grünen Ranken, und geschäftig rannte eine junge Magd mit dem Eßgeräthe durch das Zim mer, so daß ihr mit rothem Band durchflochtener, dicker, herabhängender Zopf auf dem Rücken hin und her hüpfte. Hühner, Enten und Gänse belebten den Hof, das Feuer knatterte lustig um das Pfännchen mit Kinderbrei und am Thore unter dem schattigen Baum stand eine kleine Wiege, die der große Hund mit eifersüchtigem Auge bewachte.

Bei dem armen Katholiken dagegen war Alles still und öde. Der Hof war leer, und eine alte grämliche Haushälterin öffnete den Mädchen die Thüre. Im ersten Zimmer trafen sie einen bleichen, schmalen Knaben mit trüben Augen; es war der Neffe des Geistlichen, den dieser zu sich genommen, um ihn später auch dem geistlichen Stande zu widmen. Der Knabe sah kaum auf von seinem Schreibheft und sagte nur mit leiser Stimme: »Der Oheim ist drinnen.« Der Pfarrer war ein wohlwollender Mann, der sein Beichtkind und die Ketzerin gleich freundlich empfing. Er sprach etwas deutsch, während der Protestant nur ungarisch und lateinisch verstand. Wie klein, arm und kahl war aber hier das Gemach! Einige Bücher auf einem Brett, ein gekreuzigter Christus mit schrecklichen, schmerzentstellten Zügen, das war der ganze Schmuck der kahlen, weißen Wände, die einzigen Möbeln eine Rohrbank, worauf ein paar alte Kissen lagen, zwei hölzerne Stühle, ein grober Tisch und ein gebrechliches altes Wandschränkchen. Todtenstille herrschte hier; nur aus dem halbgeöffneten Nebenzimmer hörte man das Rauschen der Feder auf dem Papier; der fleißige Neffe schrieb und schrieb.

Agnes wurde unbeschreiblich wehmüthig zu Sinn. Nachdem der alte Mann sie bewillkommt, begann er Elisabeth auf ungarisch vorzuklagen, daß der Bischof in einigen Tagen hier eintreffen werde und nichts zu seinem Empfange würdig geschmückt sei; in der Kirche fehle so Vieles, Teppiche und Vorhänge. Wahrlich, der Mann genoß nichts vom Reichthum der katholischen Kirche; er war arm im vollen Sinne des Wortes, und wäre doch zufrieden und heiter gewesen, wie Elisabeth ihn immer gesehen zu haben versicherte, wenn nur nicht die Ankunft seines Oberhauptes ihn zum Bewußtsein seiner Entbehrungen gebracht hätte. – »Ich muß seine bischöfliche Gnaden zu Tische bitten,« sagte er. »Welch großes Glück für mich, wäre ich passend eingerichtet für solch hohen Gast! aber hier in diesem armen Zimmer« – und dabei sah er mit trostlosen Blicken die kahlen Wände an. Warum durfte dieser arme Mann nicht in seiner glücklichen Genügsamkeit beharren! – Ach, Keinem wird die Erkenntniß erspart! – Elisabeth tröstete ihren Beichtvater so gut wie mög lich und versprach ihm, Alles zu schicken, was er zur Ausschmückung wünsche, Möbeln und Teppiche.

Sie wußte wohl, daß Agnes sich eine Freude daraus machen werde, dem armen alten Manne ihres Vaters ganzes Mobiliar zur Disposition zu stellen.

Die Freundinnen machten auf dem Rückweg einen Spaziergang durch die Felder. »Welch schönes, fruchtbares Land ist es doch trotz seiner ebenen Fläche,« sagte Agnes zu Elisabeth, »welch warme, himmlische, süße, südliche Luft!«

Und Agnes warf ihr Haupt zurück und trank in vollen Zügen den Aetherbalsam ein. Ihr Weg führte sie jetzt durch die Weinberge, die ebenfalls zu ihrem neuen Gute gehörten.

In einem Weinberge stand ein kleines Hüttchen. Elisabeth schlug Agnes vor, da einzutreten. In der Thüre kam ihnen eine junge Frau entgegen, an jeder Hand ein blühendes Kind, einen Knaben und ein Mädchen. Die Kleine küßte Agnes freundlich die Hand, was hier im Lande allgemeine Sitte ist, aber der Junge hatte eine so entsetzliche Furcht vor den fremden Damen, daß er laut aufschrie. Das Häuschen bestand nur aus zwei Räumen; die Küche, die den Eingang bildete, war weiß getüncht und sehr reinlich, trotz dem wenigen armen Geschirr. Ein ziemlich großer Kessel hing an einer Kette über dem Heerde. Das Zimmer war eben so reinlich wie die Küche, aber zu ihrer Verwunderung bemerkte Agnes, daß der Boden nichts als festgestampfte Erde war! Keine Diele, kein Stein, nur feuchter schwarzer Grund! Ein mächtig hohes Bett, zwei Stühle, ein Tisch, das war Alles, in einer Ecke die spärliche Garderobe der Familie auf einem kleinen Gestelle. Ueber den Tisch war ein blendend weißes Tuch gebreitet. Elisabeth hob es auf und schnitt von dem darunter liegenden Brode etwas ab. Der Bauer brachte einige Trauben, die außerordentlich süß waren und den Mädchen zu dem Brode vortrefflich mundeten. Auf dem Rückwege über die Felder sahen sie viele Arbeiter beschäftigt; sie grüßten mit leichtem Anstande, nicht schwerfällig und treuherzig wie unsere Bauern. Auf einem kleinen Feldwege kamen abenteuerliche Gestalten den Damen entgegen; sie traten zur Seite, indem sie demüthig die Hüte zogen. Jeder trug ein Instrument, der Eine eine Art Zither, der Zweite eine Violine, der Dritte einen Baß. Kohlschwarz funkelten ihre Augen aus den gelben Gesichtern, umweht von schwarzen Locken. Es waren Zigeuner; sie trugen die Landestracht, aber sie kleidete sie besonders malerisch.

Als Agnes zu Hause kam, erzählte, sie ihrem Vater in ihrer lebhaften Weise von Allem, was sie gesehen. »O welch ein merkwürdiges, schönes Land, Vater,« rief sie ein über das andere Mal. »Denke Dir ein Land, wo jeder Bauer aussieht wie ein Held, wie ein Künstler, wie ein Philosoph! Ein Land, wo einem nie eine gemeine Physiognomie, nie eine rohe, plumpe Geberde die Phantasie verdirbt!«

Herr von Stein lächelte und sah Elisabeth an. So gerne diese auch in Agnes' Seele den übertriebenen Glauben an ungarische Nationalschönheit und Grazie gelassen hätte, so war sie doch zu ehrlich dazu.

»Ich fürchte, Sie werden noch enttäuscht werden, liebste Agnes! Es giebt bei uns auch gemeine Physiognomien und plumpe Körper! Freilich findet man die häufiger unter den Slovaken, als unter den Magyaren, deren fein organisirter asiatischer Körperbau sie äußerlich zu einer privilegirten Kaste macht.«

Agnes wollte an keine Enttäuschung glauben; auch die Slovaken fand sie schön und edel in ihrer sonntäglichen Nationaltracht, wie sie sie heute gesehen. Die reich mit bunter Baumwolle gestickten Hemdärmel und Krägen der Männer, die leicht über die Schulter geworfene Jacke, dazu die runden Hüte mit breitem Rand und niederem Kopf, alle mit Perlen und Blumen bekränzt, die bunten Röcke der Frauen, die hinten lang herabhängenden, mit buntem Band durchflochtenen Zöpfe, und dann die freundlichen, mit glänzenden dunkeln, wenn auch nicht mit langgeschlitzten orientalischen Augen erleuchteten Gesichter hatten sie ebenfalls unendlich angesprochen. Die halbe Einwohnerschaft des Dorfes bestand ans Slovaken; freilich hielten die Ungarn sich auch da immer für die Vornehmeren und hatten wenig Umgang mit ihren slavischen Nachbarn, so wie auch jedes seine eigene Sprache redete, obgleich die Meisten beide Sprachen, ja Viele sogar Deutsch verstanden.

Elisabeth behauptete, daß die Slovaken die Fleißigeren seien, obgleich auch ihre Anstrengungen noch bei Weitem nicht an die der deutschen Bauern reichten. Herr von Stein und seine Tochter hörten ihr gerne zu, wenn sie von ihrem Land und ihren Landsleuten erzählte, sie war dann redselig und feurig, wie sonst nie.

Es war spät geworden, schon nahe an Mitternacht, als man sich trennte, um sich zur Ruhe zu begeben. Agnes' Gedanken waren noch lebhaft mit dem, was sie von ihrer Freundin gehört, beschäftigt; die rohe Romantik dieses Landes bezauberte sie, sie war glücklich wie ein Kind, hier fern von der gepriesenen, aber ihr langweiligen Cultur zu sein. Endlich schloß sie die Augen, als sie mit einem Male wunderbare Töne vernahm, wie aus einer andern Welt, aber auch aus einer Welt der Schmerzen. Tiefe, wehmuthsvolle Klagen trug die stille Nachtluft herüber. Schnell die Kleider umwerfend, eilte Agnes an die Thüre der Freundin und fragte, was das bedeute. »Es sind die Zigeuner, die vor der Schenke spielen,« antwortete diese mit schläfriger Stimme. Auf Agnes' Zureden stand sie aber dennoch auf und ging mit ihr in den Garten, der dicht an den Hof der Schenke stieß. Agnes lauschte dort athemlos den Tönen der sonderbaren Musik. Welche Sprache war denn dies? So hatte sie nie etwas gehört. Die russischen Volksmelodien, die sie kannte, waren auch originell, aber doch immer dieselbe einförmige Klage, wie eines ergebenen, trostlosen Kindes in der Wüste, hoffnunglos; aber so waren diese Töne nicht. Einmal jammerte es leise, dann sprang mit grellem Laut eine andere Tonart hervor und rief drohend und heftig, als wolle sie reden von ihrer Kraft und Stärke; aber als sie prahlend sich auf ihre Macht berief, kam wieder das ganze Bewußtsein ihrer Schmerzen über sie und entmuthigt sank sie herab zur bangen Klage. Da plötzlich tönte es wie ein Siegesmarsch – doch nein – schon wieder flehten weiche Molltöne wehmuthsvoll wie ein Kind, dann mit einem Male zuckte ein Laut in gewaltigem Hohn und lachte grell auf – dann war es still.

Agnes fühlte Thränen in den Augen und nahm die Hand der Freundin. »Nicht wahr, die Violine spielte schön? Diese Zigeuner sind alle solche Talente,« sagte Elisabeth mit ihrer sanften Stimme. »Welche Musik!« rief Agnes, »welche Erfindung! Aus welchem zerrissenen Menschenherzen mögen diese Töne geflossen sein?« – »O, so sind alle unsere Melodien – das war ein ächt Ungarischer,« setzte die junge Magyarin mit trüben Lächeln hinzu.

 

Wir hörten einmal einen tiefen Menschenkenner äußern, daß er nie eher den Character eines Menschen beurtheile, bis er ihn beobachtet, in welcher Weise er ein Unglück ertrage. Da, sagte er, scheiden sich die Menschen scharf ab in edle und unedle Naturen. Edle Menschen sind im Unglück anmuthig und harmonisch, die Würde ihres Wesens tritt dann sichtbar hervor, das Unglück wäscht die Schlacken ihrer innern Schönheit ab, während bei unedlen Menschen die ganze Nichtigkeit ihres Wesens ebenfalls entschleiert wird und das, was sie vielleicht in unsern Augen Liebenswürdiges besaßen, haltlos zusammensinkt, weil die äußere Stütze des Glückes ihnen fehlt.

So ist es auch bei ganzen Völkern und ihrem Nationalcharacter. Ungarn zeigte durch die Art, in welcher es im Allgemeinen und im Einzelnen das Unglück ertrug, daß es zu den edlen Völkern gehörte. Denn unglücklich, sehr unglücklich war Ungarn seit je unter österreichischem Scepter, und wer nur ein paar Wochen in dem schönen Lande weilte, mußte empört werden über die Art und Weise, wie die Regierung mit unerhörter Perfidie und Felonie alle jene Constitutions-Paragraphen, die sie nicht offen umzustürzen wagte, zum Unglücke des Landes zu verkehren wußte! Es giebt nur ein Beispiel in der Geschichte, welches damit zu vergleichen wäre, die spanische Herrschaft in den Niederlanden.

Freilich gab es Menschen in Ungarn, die dabei ganz zufrieden waren.

Ungarn hatte aber im Ganzen einen ehrenwerthen Adel, einen eben so vaterlandsliebenden, eben so aufopferungsfähigen wie England. Denn so gleichgültig, wie im Allgemeinen der deutsche Adel, der dem russischen Grafen sich näher verwandt fühlt, als dem deutschen Bürgerlichen, ein Adel, dem erst die Kaste und dann die Heimath kommt, einen solchen giebt es eben nur in Deutschland.

Der ungarische Edelmann ist vor Allem Ungar! Magyar zu sein ist sein höchster Stolz, und selbst diejenigen, welche Metternichs Politik an Oesterreich zu fesseln wußte, verleugneten nie ihr Vaterland, wie so viele entartete Söhne Deutschlands es in Frankreich, England und Amerika thun!

Nie haben wohl in so ruhiger Zeit, wie das Jahr 1842 es war, zwei junge anmuthige Mädchen so wenig von Liebe, von Romanen, von Einrichtung und Anzug, und so viel von Volkscharacter, Regierungsformen, Geschichte und Diplomatie gesprochen, wie Agnes und Elisabeth im Castell bei Pesth es thaten. Wäre Herr von Stein ein gewöhnlicher Mann gewesen, er hätte ein höhnisches Naserümpfen beim Anhören dieser Unterhaltungen nicht unterdrücken können! Denn natürlich war, was die Mädchen sagten, nicht immer richtig, nicht immer logisch, und ihre Pläne vor Allem beinahe immer unausführbar. Allem, was Elisabeth über Ungarn sagte, stimmte Agnes in freudigem Glauben, der ihre geringe Kenntniß des Landes ersetzte, zustimmend bei. Rühmte sie aber ihr Vaterland und ihre Landsleute, dann wurde Elisabeth heftig und widersprach; denn im Grunde der Seele haßte sie die Deutschen, ja sie haßte sie! Konnte sie, die von Deutschland nichts kannte, als Wien, Oesterreich, das ihr nächste deutsche Land von Deutschland trennen?

Wenn sie fühlte, daß sie in ihren Widerreden gegen Agnes bitter wurde, dann stand sie wohl auf, legte die Arme um den Nacken der Freundin und sagte weich: »Reden wir nicht mehr von Ihrem Vaterland! Lassen Sie mich vergessen, daß Sie dem Volke angehören, welches uns so tief niedertritt. Ja, lassen Sie mich vergessen, daß Sie unschuldiges, liebes, sanftes Geschöpf von diesem entsetzlichen Volke abstammen!«

»Ich stamme auch nicht davon ab,« sagte lächelnd Agnes, »so wenig wie Sie selbst! Was hat mein Vaterland mit Oesterreichs Zwingherrn gemein, als die Sprache – und selbst da – welcher Unterschied!«

Elisabeth schüttelte den Kopf. »Das ist schlimm für Euch Deutsche, daß Ihr kein Vaterland habt!«

»Kein Vaterland?«

»Ja, denn Sie werden mir doch nicht einreden wollen, daß man da von einem Vaterland reden kann, wo jeder Mensch nur Theilnahme für den Lappen Land empfindet, den einst Napoleon oder vielleicht später ein paar alterschwache Diplomaten in Wien seinem Fürsten zugeworfen haben, für das Stück aber, was neben diesem Lappen liegt, wenn auch beide früher ein einiges Ganze waren, nur als Fremder empfindet! So ein Land, wo Jeder für Alle fühlt, das ist wie das Land, was aus Gottes Händen selbst hervorgegangen ist, die Natur. Da liegen Wälder und Berge und Wiesen und Seen, Flüsse und Hügel bunt durch einander und zie ren und schützen und begrenzen und schirmen Eines das Andere, und bilden ein Schönes, ein Ganzes, und der Mensch beugt seine Kniee und sagt: »Welch wunderherrliches Land!

Ihr aber in Eurem Deutschland, Ihr kommt mir vor, wie der Garten, den ein holländischer Kunstgärtner abgeschnörkelt hat, alle Sorten in abgesonderten Beeten. Da giebt es wohl Nelken- und Tulpen- und Aurikel- und Rosen beete, die wollen nun wohl alle Nelken, Tulpen, Aurikel und Rosen, aber um Gotteswillen keine Blumen sein; und so haben die Deutschen auch nicht einmal einen kleinen Garten, wie ihn der freie Mann, der Engländer sich anlegt.«

Herr von Stein und seine Tochter hatten die junge Ungarin nicht unterbrochen, sondern ihr mit der größten Aufmerksamkeit, ja mit dem größten Vergnügen zugehört! Mit glühenden Wangen, hochgehobener Brust und tiefer, klangvoller Stimme hatte sie ihren Unmuth, ihre Verachtung gegen das feindliche Deutschland von sich geschleudert.

Plötzlich kam aber wie ein erschreckendes Besinnen über sie, sie beugte sich erblassend und erschreckend, mädchenhaft schüchtern zusammen und sagte leise:

»O meine lieben, lieben Freunde, Sie sind mir doch nicht böse – ich habe Sie doch nicht beleidigt? Schelten Sie mich, daß ich mich meinen gütigen Wirthen gegenüber so sehr vergessen!«

»Sie schelten?« sagte Herr von Stein, herzlich ihre Hand nehmend, »davor bewahre mich Gott, ich habe meine Freude an Ihnen und überdem haben Sie diesmal vollkommen Recht!«

Agnes nickte mit dem Kopfe. »Ja, bei uns« –

Herr von Stein legte ihr die Hand auf den Mund. »Nun genug. Laß lieber Elisabeth uns erzählen von der Nachbarschaft, die wir hier mit ihr aufsuchen sollen, von den ungarischen Familien, bei denen sie uns versprochen einzuführen.«

»Die meisten,« antwortete Elisabeth, »sind Menschen, wie man sie überall trifft. Sie bringen den Sommer hier auf ihren Gütern zu und sparen ihr Einkommen, um es im Winter in Wien vergeuden zu können. Davon macht eigentlich nur eine Familie eine glorreiche Ausnahme, sie bewohnt immer, Winter und Sommer, eine Pusta hier ganz in der Nähe. Für Sie, als Fremde, ist diese Familie doppelt interessant, weil sie in ihrer ganzen Lebensweise, Dank dem Familienhaupte, der alten Frau von Horvath, der ungarischen Landessitte treu geblieben ist. Frau von Horvath führt mit ihrer Familie ein ächt patriarchalisches Leben und ist überhaupt eine merkwürdige Frau. Sie hat drei Söhne und drei Töchter und ist sehr reich; die Söhne sind verheirathet, und jedem hat sie auf ihrer großen Pusta ein eigenes Haus gebaut und ihm Gärten und Felder dazu gegeben, sammt ihrem Antheil an baarem Vermögen. Von den drei Töchtern aber ist keine verheirathet, obgleich es ihnen nicht an Freiern gefehlt; denn sie sind gut und brav, nicht häßlich, und – reich. So willig sich die Mutter bei den Heirathen der Söhne hatte finden lassen, so unbeugsam war sie im selben Punkt bei den Töchtern. Für einen Mann, sagte sie, ist es ein Glück, eine Frau zu haben, aber für uns, ist es ein großes Unglück, verheirathet zu sein, und ich will meine Töchter alle drei lieber im Sarge als am Altare sehen. Sie selbst soll gar nicht unglücklich verheirathet gewesen sein, aber ihren Mann schon verloren haben, als noch ein Theil der Kinder klein war. Mit eiserner Festigkeit hat sie die Kinder erzogen, das Gut bewirthschaftet, das Vermögen verwaltet, und obgleich die Söhne und selbst die Töchter längst ihr Vermögen in Händen haben, wagt dennoch keines von ihnen, der Mutter auch nur im Geringsten zu widersprechen.«

»Dahin müssen wir,« sagte Herr von Stein lebhaft; »diese alte Königin muß ich kennen lernen. Gleich morgen wollen wir hinfahren; könnten Sie uns nicht anmelden, Fräulein Elisabeth?«

»Gewiß, Mischka kann morgen früh hinüberreiten und uns zum Nachmittag anmelden, wir werden dann zur ›Jausse‹ da behalten, und da sollen Sie einmal ungarische Gasterei kennen lernen. Ich werde an Marie, das jüngste Fräulein, mit welcher ich am meisten befreundet bin, ein paar Zeilen senden.«



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