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Novelle.
Man ist heutzutage ungemein freigebig mit dem Titel Schloß. Jedes nur einigermaßen anständige Haus wird, sobald es einen adeligen Besitzer hat, ein Schloß genannt. Bei dem Gebäude, das ich jetzt beschreiben will, war es gerade umgekehrt; der Besitzer und alle Bewohner nannten es ein Haus, während es im vollen Sinne des Wortes ein Schloß genannt zu werden verdiente. Es war die Wohnung des Grafen Wolf von Auperg und das Stammhaus seiner alten Familie. Vier ganz gleiche Façaden, jede zwanzig Fenster lang und drei Stockwerke hoch, umschloßen einen ziemlich großen gepflasterten Hof, in dessen Mitte ein runder steinerner Brunnen sich befand. Dieser war gerade kein Muster architektonischer Kunst, nahm sich aber mit seinem hoch emporschießenden Wasserstrahl, der auch jetzt, im kalten Winter, nicht versiegt war, recht stattlich aus, und paßte zum ganzen massiven Gebäude, das mitten in einem geschmackvoll angelegten Parke lag. Aus den Fenstern der einen Façade übersah man eine große Strecke der nahen Landstraße, da die Gegend ganz flach war und das Auge ungehindert überall umherschweifen konnte. – Breite Sandsteintreppen führten in den ersten Stock, wo es aber auf den Gängen nicht so hell war, wie der Baumeister es ursprünglich bestimmt hatte; denn breitblättriger Epheu rankte sich vom Hofe auf bis zum dritten Stockwerke hinauf, und bezeugte durch seine Höhe und Stärke das Alter des mächtigen Gebäudes, das er mit seinen Armen umschlang. Das Wappenschild des noch älteren Geschlechtes am innern Hofthor hatte er beinahe ganz mit seinen kräftigen Zweigen überwuchert; aber es schadete nicht, daß es unsichtbar geworden, denn Jedermann in der Umgegend wußte auswendig, daß die Familie Auperg ein rothes, von einem Dolche durchbohrtes Herz auf goldenem Grunde im Wappen führe.
Ueber den Ursprung dieses Wappens war eine Sage im Umlauf. Man erzählte nämlich, der Ahn des Hauses sei von einem Könige, der in den Krieg ziehen wollte, zum Wächter der Königin bestellt worden, die eine junge schöne Frau gewesen und auf deren Treue der bei Weitem ältere Gemal sich nicht zu verlassen wagte. Er band daher seinem Schloßvogt, Wolf Auperg, auf die Seele, sie zu hüten, worauf jener ihm zugeschworen haben soll, sie zu bewahren wie seinen Augapfel, und wenn er entdecke, daß der Verdacht des Königs gegründet sei, ihm das durchbohrte Herz des Verräthers in das Feldlager nachzuschicken, so wahr er Wolf Auperg heiße.
Kaum war der König fort, so fand der Vogt die Befürchtungen seines Herrn bestätigt; es war außer Zweifel, daß die Königin eine heimliche Liebe hege. Aber trotz aller Mühe, trotz aller von ihm besoldeten Spione, konnte er nie ihres Buhlen habhaft werden; immer entging dieser ungesehen wie durch Zauberei seinen Händen. Endlich gelang es ihm eines Abends, das Liebespaar zu überraschen. Die Beiden waren im Garten und hatten sich vor einem nächtlichen Sommerregen unter das Dach einer breiten Linde geflüchtet. Als Wolf, der die Spur der Königin vom Hause aus verfolgt hatte, an sie heran schlich, konnte er sogar ihre Liebesworte vernehmen, die sie, auf ihres Buhlen Schulter gestützt, mit süßer Stimme ihm zuflüsterte. Der Schloßvogt stürzte rasch hervor und durchbohrte mit kräftigem Arme das Herz des Mannes. Als auf der Königin Geschrei die Diener mit Fackeln herbeieilten, sah Wolf, daß er seinen eigenen Bruder erschlagen, seinen jüngsten Bruder, einen Minnesänger, der sich schon längere Zeit am Hofe des Königs aufhielt und hoch in seiner Gunst gestanden hatte. Der harte Wolf ließ aber wirklich an demselben Tage noch der Leiche seines Bruders das Herz aus der Brust nehmen und schickte es, getreu seinem gegebenen Worte und seiner Dienerpflicht, dem Könige in das Feldlager nach. Als dieser zurückkam, verstieß er seine Königin, den Schloßvogt Wolf Auperg aber schlug er zum Ritter und gab ihm auf goldenem Grunde, was die Treue an seinem Herrn bedeuten sollte, das rothe durchbohrte Herz zum Wappen. Seitdem hatte es, das bewies der alte Stammbaum, nie mehr als zwei Brüder zugleich in der Familie Auperg gegeben, die nun schon seit anderthalb Jahrhunderten in den Grafenstand erhoben war, und nie hatten diese Brüder sich geliebt, im Gegentheil durch bittern Haß – der Fluch der unnatürlichen That ihres Ahns, wie das Volk behauptete – Anlaß zu den traurigsten Familienzerwürfnissen gegeben.
Unter dem vorletzten Besitzer des Schloßes und der Güter war aber die Familie auch in ökonomischer Beziehung ganz heruntergekommen. Die großen Güter waren so verschuldet, daß kein Ziegel auf dem Dache mehr dem Grafen gehörte, und als seine beiden Söhne erwachsen waren, besaß er nichts mehr als das Stammhaus mit dem Garten und einigen Aeckern Landes. Alles Andere war in die Hände der Gläubiger übergegangen, und auch von diesem letzten Besitzthum drohten sie täglich ihn wegzutreiben, das nur noch dem Namen nach ihm gehörte; denn längst schon überstiegen die geliehenen Summen den Schätzungswerth des Hauses, der freilich viel zu gering angegeben war, wie das bei größeren Gebäuden immer der Fall ist. Da rettete sein ältester Sohn, der jetzige Besitzer, seine Familie vor dem gänzlichen Untergang, indem er eine häßliche, aber unermeßlich reiche Erbin heirathete und von ihrem Gelde alle Hypotheken einlöste. Sie starb aber bald nach der Vermählung – man sagte, sie habe sich selbst den Tod gegeben – aber sie hinterließ ein Testament, worin ihr Gemal zum Universalerben ernannt war, und dieser beschloß nun, ein Majorat zu errichten, auf daß seine Familie nicht wieder so tief sinken könne und für alle Zukunft würdig repräsentirt werde.
Seit dem Tode der Gräfin Bertha waren dreißig Jahre verflossen. Graf Wolf hatte sich nicht wieder vermählt und war jetzt beinahe sechzig Jahre alt. Er war geachtet und gefürchtet, aber dennoch geliebt, denn er war ein gerechter Herr für seine Untergebenen, ein zuverläßiger Freund für seine Bekannten, und der aufopferndste zweite Vater für seine einzigen Verwandten, die Witwe und die Söhne seines früh verstorbenen Bruders. Sein höchstes Interesse war, die Zukunft seiner Familie so sicher als möglich zu gestalten, und er erwartete jetzt täglich die fürstliche Bestätigung des von ihm gegründeten Majorats.
Sein ältester Neffe, der muthmaßliche Majoratsherr, Richard, diente in einem Reiterregiment in der Residenz, zum großen Leidwesen des Oheims, dessen dringendster Wunsch es gewesen, daß Richard, nachdem er die Rechte studirt und einige Reisen gemacht, auf einem der Güter wohnen möchte, um sich einstweilen etwas mit der Verwaltung derselben bekannt zu machen.
Was die Studien und das Reisen betraf, hatte sich Richard gefügt, beim letzten Punkt freilich am leichtesten. Nach seiner vor drei Jahren erfolgten Rückkehr aber hatte er den Oheim so lange gedrängt und gebeten, bis ihm dieser endlich erlaubte, eine Zeitlang in ein Regiment zu treten. Sein Vorwand war, er müsse durchaus in der Hauptstadt einige Verbindungen anknüpfen und sich für seine künftige Lebensstellung mit dem Adel des Landes befreunden; auch zog er allerlei günstige Schlüße aus seinem nähern Verhältniß zum Erbprinzen, dem er als Adjutant zugetheilt war.
Die Frist, die sich Richard dazu vom Grafen erbeten hatte, zwei Jahre, war nun längst vorüber, aber er hatte tausend Vorwände, um seinen Abschied von der Residenz zu verzögern; den wahren Grund wagte er nicht dem Oheim zu gestehen; obgleich dieser ihn wohl durchschaute: es war Abscheu vor dem Landleben. Ohne wissenschaftliche Bildung, war er doch, was man in der Welt einen sehr gebildeten jungen Mann nennt, das heißt, ihm fehlte nichts, um in der Gesellschaft zu glänzen, er verstand sich auf alles, was seinem angeborenen Witz, seiner lebendigen Unterhaltung höheren Reiz geben konnte. Dabei war er, obgleich nicht schön, förmlich berühmt wegen seines Glückes bei den Frauen. Sollte er diese Vortheile auf das Land vergraben? Das war einem acht- und zwanzigjährigen Weltmanne wirklich nicht zuzumuthen.
Sein Oheim aber muthete es ihm in allem Ernste zu und hatte ihn deßhalb jetzt zu sich beschieden. Er saß, ihn erwartend, in seinem Cabinet.
Richard legte den Weg von der Residenz nach dem Gute gewöhnlich zu Pferde in anderthalb Stunden zurück, und Graf Wolf wußte, daß er um zehn Uhr vom Dienste frei war und wegreiten wollte; es war aber schon zwölf Uhr und Richard noch nicht da. Er war am Fenster seines einfachen Arbeitszimmers und blickte mit seinen scharfen Augen ungeduldig auf die Landstraße. Der Mann mußte in seiner Jugend sehr schön gewesen sein. Von mittlerer Größe, mit feinen regelmäßigen Zügen, dunklem vollem Haar und wohl erhaltenen Zähnen, machte er noch immer eine sehr gute Figur, wozu freilich sein sorgfältiger Anzug nicht wenig beitrug.
»Endlich!« rief er, als ein heranspringender Reiter auf der Chaussée sichtbar wurde, und bald darauf trat Richard Auperg in das Zimmer seines Oheims. Es war eine ungewöhnlich große und kräftige Gestalt, die Züge des starken Kopfes zwar nicht schön und regelmäßig, aber gefällig durch den kühnen und geistreichen Ausdruck; blaue Augen, die weder groß noch glänzend waren, eine zu breite Nase, ein ziemlich großer Mund mit zwar weißen, aber ebenfalls viel zu großen Zähnen, die glücklicherweise ein etwas buschiger Schnurbart zum Theil verbarg, stark ausgeprägte Backenknochen, hellbraunes krauses Haar und eine bleiche, aber dennoch gesunde Gesichtsfarbe – dies Alles zusammen giebt gewiß kein reizendes Bild; und doch hatte Richard etwas ungemein Einnehmendes schon für den ersten Anblick. Der tiefe Blick seines Auges, das anmuthige Lächeln seines Mundes, der tadellos schöne Wuchs seines herkulischen Körpers, vor allem aber die vollkommen männliche Grazie seines Wesens, die den Mann von feiner Erziehung, den Cavalier auf den ersten Blick erkennen ließ, gewannen ihm die gute Meinung jedes neuen Bekannten.
»Verzeihen Sie, bester Oheim,« sagte Richard mit einer tiefen, aber sehr angenehmen Stimme, »verzeihen Sie, daß ich so spät komme, aber mein Pferd, Ihr nicht genug zu preisendes, köstliches Geschenk, hat unterwegs so stark gescheut, daß ich eine volle Viertelstunde brauchte, bis ich es wieder zur Ordnung brachte.«
»Vor was scheute es denn?« –
»Vor einem zerlumpten Bauerjungen unter einem Baume, der mir aber nachher durchaus nicht Stich halten wollte, als ich die Demeter auf ihn los spornte, und meinen Versicherungen, daß ihm nichts geschehen solle, durchaus keinen Glauben schenkte. Zuletzt mußte ich ihn durch eine Drohung festhalten, die ich ihm aber nachher durch zwei neue Sechser vergalt.«
»Du hattest Unrecht,« sagte der ältere Graf scharf, »ein Kind um eines Pferdes willen zu ängstigen.«
»Ich weiß, daß ich Unrecht habe,« lächelte Richard, »weil Sie mir immer Unrecht geben. So gütig Sie stets in Ihren Handlungen gegen mich gewesen, so streng waren Sie stets in Worten; ich mache es aber wie unser Herrgott,« setzte er mit kindischem Muthwillen hinzu, »und sehe nur auf's Herz.«
»Mache jetzt keine Possen, Richard, ich habe Ernstes mit Dir zu reden.«
»Befehlen Sie!« sagte mit plötzlich ganz ernstem Gesichte der junge Mann und nahm auf einen Wink seines Oheims, der sich selbst auf seinen ledernen Armsessel niedergelassen, Platz.
»Seit einem Jahre, Richard, hast Du Dich meinem wiederholt ausgesprochenen Wunsche, Dich auf einem meiner Güter etablirt zu sehen, fortwährend durch leere Ausflüchte entzogen. Das muß jetzt ein Ende haben, Du mußt Deinen Abschied nehmen.«
»Das will ich auch, liebster Oheim, aber nur noch eine kleine Frist – ich bin verliebt.«
»Zum wie vielten Male?«
»Das erstemal tüchtig.«
»Ich bedaure, daß ich Dich aus Deinem Liebeshimmel reißen muß, aber ich kann Dir keinen Aufschub mehr geben; in einigen Tagen schon gehe ich in die Hauptstadt, um endlich die Bestätigung des Majorats beim Minister selbst zu betreiben. Der, den ich dann zum Majoratsherrn ernenne, kann mir aber wohl das Opfer bringen, die Stelle eines Subalternofficiers in der Stadt für eine unabhängige Gebieterstelle auf dem Lande aufzugeben. Ich würde ihm dann die Hälfte meiner Güter übergeben. An der Art, wie er diese verwaltet, werde ich sehen, ob ich ihm die andere Hälfte bei meinem Tode auch ruhig überlassen kann. Ich werde bald sechzig Jahre alt und will dann meine Angelegenheiten geordnet haben.«
»Hören Sie mich, bester Oheim,« erwiederte Richard. »Wir sind jetzt in der Mitte Decembers; lassen Sie mich nur noch den Winter in der Residenz. Zum Frühjahre komme ich gewiß heraus, aber nicht allein – ich bringe mir eine Frau mit, denn als Garçon kann man es auf dem Laude nicht aushalten. Die Zeit bis zum Frühjahr will ich benutzen, um das Herz irgend eines Mädchens zu rühren und welches Herz ich zu rühren suchen werde, das ist auch fest beschlossen.«
»Wer ist denn Deine neue Flamme?«
Ohne sich mit einer Vertheidigung gegen das Prädicat »neu« aufzuhalten, versetzte Richard: »Meine zukünftige Frau ist die einzige Tochter des Ministers Berstorff.«
»So? ei! wirklich? Nicht so übel, als ich dachte. Wie alt ist sie?«
»Noch nicht achtzehn Jahre und schön und wohlerzogen, dabei, wie Sie wissen, aus einer der ersten und ältesten Familien des Landes. Ich hoffe, Oheim, Sie geben mir eine Ehrenerklärung, daß ich nicht so leichtsinnig bin, wie Sie glaubten.«
»Wie stehst Du mit ihr?«
»Gar nicht. Sie ahnt nichts von der Sache, ich habe sie erst einmal gesehen, auf einem Balle, wo ich ganz zuletzt hinkam und nichts mehr thun konnte, als mich ihr vorstellen zu lassen, ehe sie wegging. Da stand aber schon der Entschluß in mir fest; wenn ich auf's Land muß, so muß dieses Mädchen mich begleiten. Sie wird Ihnen gefallen, Oheim, sie ist ganz nach Ihrem Geschmack; recht verschämt, recht bescheiden, außerordentlich unschuldig. Auf dreißig Schritte sieht man ihr an, daß sie eben erst aus der Pension kommt.«
»Als Du mir sagtest, daß Du wegen Verliebtseins die Residenz nicht verlassen könntest, dachte ich wirklich nicht, daß es eine so präsentable Flamme sei.«
»O da hatten Sie auch ganz recht; als ich Ihnen sagte, daß ich so verliebt sei, meinte ich damit nicht Fräulein von Berstorff, sondern die neue Sängerin, wegen der ich durchaus vor Ablauf der Saison mich nicht von der Stadt trennen kann.«
»Richard! Richard! sieh mich nicht lächelnd an! Die Sache ist nicht zum Lachen; Alles hat seine Grenzen, besonders aber der Leichtsinn der Jugend!«
»Ist das ein so großes Unrecht, wenn ich die Eine liebe, weil sie schön singt, und die Andere, weil sie für mich eine passende Frau sein würde?«
»Genug, genug! denkst Du denn nicht daran, welche Rolle Du künftig spielen, oder richtiger gesagt, welchen Platz Du ausfüllen sollst? wie viele hundert Menschen von Dir abhängig sein werden, wie Du als Vertreter des Landes durch Deine Besitzungen und Deinen alten Namen einst einer der Ersten sein wirst in der Kammer der Stände, und daß alle Augen auf Dich gerichtet sind?«
»Gewiß!« sagte Richard, indem er sich stolz zurücklehnte. »Glauben Sie nur, es kann Niemand mehr durchdrungen sein von der großen Wichtigkeit und hohen Lebensstellung des alten begüterten Adels als ich. Niemand kann dankbarer die Vortheile anerkennen, die Ihre Güte auf mein unwürdiges Haupt häufen will,« setzte er mit einem höflichen Lächeln hinzu, indem er den Kopf gegen den alten Grafen neigte.
»Vortheile!« rief dieser zornig, »es sind keine Vortheile! Wirst Du nie begreifen lernen, daß eine hohe Lebensstellung, eine überwiegende financielle Begünstigung nur Verpflichtungen und Rücksichten auferlegt, welche die kleinen erbärmlichen Vortheile eines bequemeren, verwöhnteren Lobens zehnmal überragen? Wirst Du nie begreifen, daß, wer einen Namen trägt, der Jedermann bekannt ist, sich auch auf eine Weise betragen und verhalten muß, daß sein Leben, seine kleinsten Handlungen Jedermann bekannt werden können? Wirst Du nie begreifen, daß wir ›Hochgestellten‹ unendlich weniger thun dürfen, als der von einer dunkeln Geburt beschattete unabhängige Bürger, und auf der andern Seite unendlich viel mehr thun müssen, weil Aller Augen auf uns sehen? Geh, geh, Richard, Du machst mir unendlichen Kummer, in dem Du Deinen alten Adel und Deinen neuen Reichthum nur als das Piedestal betrachtest, auf dem Deine Eitelkeit ungestraft sich zur Höhe schwingen kann. Du bist ein leichtsinniger Knabe, der mit Dingen spielt, die Andern schwere Opfer gekostet.«
»Wenn Sie damit,« sagte Richard rasch mit hochgeschwollener Zornader, »wenn Sie damit das Opfer meinen, das Sie gebracht, indem Sie ohne Neigung die Tante geheirathet –«
»Schweig, Knabe!« donnerte der alte Graf, indem er todtenbleich auf den erschrockenen Neffen zufuhr, »schweige! es ist nicht an Dir, mir dir einzige schlechte Handlung meines Lebens vorzuwerfen!«
»Schlechte Handlung! Oheim!«
Der Graf antwortete nicht. Er ging, die Hände vor das Gesicht gepreßt, stürmisch im Zimmer auf und ab. Richard sah ihm erschrocken nach; sein eigener Zorn war an dem mächtigeren Zorne seines Oheims verflogen, und er bereute bitter das unbedachte heftige Wort, das solche Wirkung bei dem alten Herrn hervorgebracht. Noch nie hatte er von dieser Heirath, überhaupt von der Tante mit ihm geredet, weil der Oheim sichtlich Alles vermied, was an sie erinnern konnte; heute zum erstenmale hatten die harten Worte desselben sein jähzorniges Gemüth angeregt, etwas zu berühren, das ihm der Instinkt aller Zornigen als das Verletzendste angab; aber auf solche Wirkung war er nicht gefaßt gewesen. Er stand auf, trat zu dem noch immer heftig auf und ab schreitenden Grafen, und seine hohe Gestalt, die den Oheim beinahe um einen Kopf überragte, demüthig vor ihm niederbeugend, sagte er kleinlaut: »Sind Sie mir böse? Soll ich gehen?«
»Nein, bleibe,« erwiederte der Graf mit veränderter Stimme, indem er die Hände vom bleichen Antlitz sinken ließ. »Es ist gut, daß die Sache endlich zur Sprache kommt, wenn es auch nicht auf solch unehrerbietige Weise von Dir hätte geschehen sollen; aber es ist mir nun ganz recht. Setze Dich und höre mir zu, ich will Dir zur Warnung eine Geschichte von mir erzählen.
Nachdem meine Mutter gestorben, ließ uns, Deinen Vater und mich, unser Vater eines Morgens in sein Cabinet rufen. Dies geschah durch den einzigen alten Diener, den wir noch hatten. Ich zählte damals achtundzwanzig, Dein Vater neunundzwanzig Jahre. Wir waren beide während den letzten Tagen unserer Mutter aus der Garnison hieher gekommen, wo wir als Officiere bei einem und demselben Regimente standen. – Beim Eintritt kam uns der Vater mit bekümmerten Zügen, wie es wohl zu begreifen war, entgegen.
Nach einer ziemlich verworrenen Einleitung, wovon wir nur verstanden, was wir ohnedem längst wußten, nämlich unsere gänzliche Verarmung, erklärte er endlich:
›Nur noch einen Monat bleiben wir im ungestörten Besitze dieses unseren Stammhauses; nach dieser Frist werden unsere Gläubiger sich desselben bemächtigen. Welcher von Euch kann mir einen Rath geben, was ich dann beginnen soll?‹
Keiner von uns rührte sich, wir waren stumm vor Schrecken; endlich sagte mein Bruder Hugo: ›Giebt es denn kein, gar kein Mittel, dieses Haus unserer Familie wenigstens noch einige Jahre zu erhalten?‹
›Keines‹, versetzte mein Vater leise, ›keines, als daß einer von Euch Fräulein von Mosheim, unsere reiche Nachbarin, heirathet.‹
Mein Bruder wurde todtenblaß. Ich wußte, daß er seit ein paar Wochen mit einem Hoffräulein der Fürstin verlobt war, deren ganzer Reichthum in einer Ausstattung von ein paar tausend Thalern bestand, die sie aus einem Stifte zu erhalten hatte. Mein Herz war im strengen Sinn des Wortes frei, nur schwebte mir ein Bild vor, dessen Original ich fest überzeugt war, einst noch im Leben zu finden. Daß Fräulein von Mosheim diesem Bilde auch nicht im entferntesten glich, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Und dennoch schwieg ich; ich bat meinen Vater um Bedenkzeit und schloß mich in mein Zimmer ein. Damals hatte ich im Charakter und in den Lebensansichten Aehnlichkeit mit Dir; die Ehre war mir etwas Aeußerliches, und Demüthigung, glaubte ich, könnte auch nur von der äußeren Welt ausgehen. Daß die härteste Demüthigung für ein stolzes Herz sei, sich selbst sagen zu müssen: Du hast unwürdig gehandelt, das habe ich erst später gelernt. Die Ueberzeugung, daß mein Vater, der hochgeborene freie Mann, nun um irgend eine kleine Beamtenstelle werde petitioniren müssen, nachdem man ihn aus seinem Stammhause gewiesen, um es vielleicht für einen reichen Bankier herzurichten, unsere gänzliche Unmacht, denn wir hatten nichts als unsere Gage, vor allem aber die längst durch eigene Entbehrungen verletzte Eitelkeit, stimmten mich dem Vorschlage meines Vaters günstiger, als er wohl selbst ahnte.
Wie tief fühlte ich mich seit dem Eintritte in's Regiment meinen Cameraden gegenüber gedemüthigt! Da war nicht ein Einziger, dessen Familie so vornehm, dessen Adel so alt war, wie der unsrige, und keiner ritt doch so schlechte Pferde wie ich und mein Bruder, keiner wohnte so erbärmlich, keiner war so ganz und gar auf seine Gage beschränkt wie wir! – Herr von Mosheim war unser Gutsnachbar – gewesen, muß ich sagen, denn die Güter, welche an die seinigen gegrenzt, besaßen wir längst nicht mehr. – Ich überlegte die Worte meines Vaters und war doch in einer so aufgeregten Stimmung, daß ich eigentlich zu jeder Ueberlegung unfähig war. Später ist mir klar geworden, daß ich gleich Anfangs, da ich in Hugo's bleichem Gesicht beim Vorschlage meines Vaters seine Verneinung gelesen, entschlossen war, dem Glanze unserer Familie dieses Opfer zu bringen.
Um es kurz zu machen: nach sechs Wochen, nachdem die erste tiefe Trauer um meine Mutter vorüber war, ritt ich zu Herrn von Mosheim und hielt um die Hand seines einzigen Kindes an. Sie wurde mir sogleich gewährt; mein Name empfahl mich dem Vater, mein Aeußeres der Tochter – wir waren verlobt! – Bei der ersten Nachricht davon kamen die Gläubiger meines Vaters zu mir und versicherten mich ihrer Geduld und stellten mir anheim, nach meiner Bequemlichkeit die Schuldscheine und Hypotheken einzulösen. Der Name Auperg war für diesmal gerettet. Nach einem Vierteljahre fand die Trauung statt. Obgleich ich wahrhaftig kein beneidenswerther Bräutigam gewesen, so hatte ich doch die erste eigentlich widrige Empfindung bei meiner Vermählung, die in der Mosheimer Kirche vollzogen wurde. Es war, als ein junger Bauer beim Anblick meiner Braut laut genug, daß ich es hören konnte, sagte: ›Die möchte ich nicht!‹«
Dies war seit der Verlobung mit der reichen und deshalb gefeierten Bertha Mosheim der erste Stich, den meine Eitelkeit erhielt, und nicht nur meine Eitelkeit, nein, auch mein Stolz fühlte sich gebeugt. Ich sah, daß mein Charakter eine Stufe tiefer stand, als der jenes Bauern. Einige Tage später kam mein Kutscher und bat um die Erlaubniß zu seiner Heirath. Ich war in ziemlich schlechter Laune und rieth ihm deshalb, sich die Heirathsgedanken aus dem Kopf zu schlagen, weil ich keine verheiratheten Domestiken dulde. Da bat er mich entschlossen um seinen Abschied und erklärte, im Fall er keine andere Herrschaft finde, lieber als Taglöhner für seine Frau arbeiten zu wollen, als ohne sie in der besten Stelle. Dieser Mann beschämte mich wiederum. Ich gab ihm die Erlaubniß, versetzte ihn aber als Verwalter auf ein entferntes Gut, um mich nicht täglich vor meinem Kutscher schämen zu müssen.
Von meinem häuslichen Leben wird es mir schwer zu sprechen; ich habe es auch noch nie gethan, muß es aber jetzt, um von Dir verstanden zu werden. – Unglücklicherweise hatte meine Frau eine leidenschaftliche Liebe für mich, die ich aber nicht erwiedern konnte. Ihre Klagen über meinen Mangel an Zuneigung verbitterten mein Leben. Ich suchte durch die sorgfältigste Aufmerksamkeit sie für die mangelnde Liebe zu entschädigen; das war aber vergebens, sie blieb unzufrieden und unglücklich. Und dieses Unglück sollte noch um vieles gesteigert werden.
Dein Vater, der sich kürzlich mit dem Weibe seiner Wahl, Deiner Mutter, vermählt hatte, schrieb mir einen Brief, worin er sein Mitgefühl, sein Bedauern mit meiner schlecht assortirten Ehe auf's Herzlichste aussprach. Wir waren nie zärtliche Brüder gewesen, unsere Herzen waren sich fremd geblieben; aber nie hat ein bitteres Wort, eine gehäßige That das brüderliche Verhältniß entweiht. Durch ein stillschweigendes Uebereinkommen handelten wir Beide so, als verbände uns die innigste Liebe. Die Verschiedenheit unserer Charaktere war wohl daran Schuld, daß wir uns nie näher treten konnten. Dein Vater war ein idealisirender Schwärmer, wenn auch im edelsten Sinne des Wortes, bei dem mein dem wirklichen Leben und der That zugewendetes Wesen keinen Anklang finden konnte, so wie umgekehrt seine fein organisirte poetische Natur von meiner Prosa sich abgestoßen fühlte.
Im erwähnten Briefe aber floß sein Herz wirklich über. Er schrieb:
›Du hast statt meiner das Opfer gebracht; ich, als der Aeltere, hätte für die Ehre des Hauses verbluten müssen, Du als der Jüngere hattest keine Verpflichtung. Wohl unserem Vater, daß Du die schweren Schmerzen auf Dich genommen, denn laß es Dir zu meiner Schande gestehen – ich hätte es nicht vermocht. Ich hätte eher unser Wappen von den Thoren unseres Stammhauses reißen lassen, aus den umklammernden Armen seines treuen Epheu, als mich selber aus den Armen meine treuen Anna gerissen. Ich hätte eher meinen Vater die Schwelle des Hauses seiner Ahnen überschreiten lassen, um es nie wieder zu sehen, als daß ich die Schwelle jenes Freiherrn betreten, um ohne Liebe seine Tochter heimzuführen. Du hast es vermocht, Du bist größer, stolzer, selbstloser als ich.‹
Diesen Brief fand Bertha, als sie in ihrer blinden Eifersucht während meiner Abwesenheit in meinem Schreibtisch nach Liebesbriefen suchte. Was sie bisher nur vermuthet, nur gefürchtet wurde ihr nun zur unumstößlichen Gewißheit. Sie wußte nun, daß ich sie nur um ihres Vermögens willen gefreit. Als ich nach Hause kam, hatte ich eine fürchterliche Scene durchzumachen. Ich läugnete nicht, ich bedauerte nur, aber das Leben mit ihr ward nun geradezu eine Hölle. Da ich sah, daß sie absichtlich alles hervorsuchte, was mich ärgern und verletzen konnte, nahm ich ihr gegenüber immer alle meine Kraft zusammen, um meinen Gleichmuth zu bewahren. Daß es mir gelang, schien ihr unerträglich, und hundertmal hörte ich sie bleich vor Zorn ausrufen:
›O es wird mir doch noch gelingen, Deine Ruhe zu erschüttern und aus Deinem Munde den Ausruf zu vernehmen: ich bin ein unglücklicher Mensch!‹
Was sie Alles erfand, um mich meiner Fassung zu berauben, erlasse mir, Dir zu erzählen; genug, daß es vergebens war. Wenn sie schmollte, blieb ich freundlich, und schien es nicht zu bemerken; wenn sie jammerte, redete ich ihr zu wie einem kranken Kinde, und wenn sie tobte und schrie und in Krämpfe verfiel, ging ich in mein Zimmer oder in den Garten und überließ sie der Obhut ihrer Dienerinen.
Ich habe, glaube ich, schon erwähnt, wie sie oft zu mir sagte: ›Du sollst Deine stolze Männerfassung verlieren und wenn es mich mein Leben kostet.‹ Zu diesem Preise ist es ihr auch gelungen. Während einer meiner nothgedrungenen Abwesenheiten auf einem entfernten Gut sprang sie in's Wasser. Am Ufer fand man Hut und Shawl und in ihrem Zimmer ein Billet an mich. Es lautete:
›Ich verlasse ein Leben, wo eine Unterschrift von mir mehr gilt, als ich selbst. Graf Auperg findet dieselbe unter meinem Testament.‹
Da verlor ich wirklich die Fassung, ich kam mir vor wie ein Mörder und durch ihre Großmuth übte sie die empfindlichste Rache an mir. Großmüthig hatte ich sie zwar immer gekannt. Da ihr ganzes Vermögen von ihrer verstorbenen Mutter stammte, die auch eine Erbtochter gewesen, hatte ihr Vater bei ihrer Verheirathung nur ein von seiner Gemalin ihm bestimmtes Capital in Händen behalten dürfen, das übrige Vermögen aber sammt den Gütern ihr übergeben müssen, wie es seine verstorbene Frau festgesetzt. Bertha hatte mir nun rückhaltslos am Tage nach der Trauung Alles übergeben, und im Besitze bestätigte mich ihr Testament. Ich hatte ihr für diese reiche Gaben nichts bieten können als den Brautschmuck meiner Mutter, ein von Geschlecht zu Geschlecht vererbtes Familienstück von ziemlichem Werthe. Mein Bruder hatte mir gegen eine kleine Jahresrente die ihm gehörige Hälfte abgetreten. – Dieser Schmuck verschwand mit Bertha. Da er nur aus einem Collier von Diamanten und Perlen und eben solchen Ohrringen bestand, so vermuthe ich, daß sie ihn bei ihrem letzten Gange angelegt, glaube aber auch, daß man eben dieses Schmuckes wegen die Leiche nicht aufgefunden, da er wahrscheinlich den zufälligen Entdecker zur heimlichen Verscharrung der Leiche verführt hat, um nicht den kleinen Schatz herausgeben zu müssen.«
»Haben Sie nie den Schmuck in öffentlichen Blättern reclamirt?« fragte Richard.
»Gewiß, aber vergebens. Nun war ich frei, aber ich benutzte meine Freiheit nicht zu einem neuen Ehebunde, denn ich hatte mich des ehelichen Glückes unwürdig gemacht. Ich hatte die Ehe entheiligt, sie zu einer Spekulation entwürdigt. Meinem längst geträumten Ideal begegnete ich, aber Engel standen schützend davor und riefen mir mit ihrer hellen Stimme zu: ›Zurück, Unwürdiger! in den Tempel der Liebe gehen nur die Reinen, nicht die Schächer und Sünder ein.‹«
»Aber, bester Oheim –«
»Schweige, Richard, um Alles in der Welt, schweige nur jetzt! Ueberlege erst, was ich Dir mitgetheilt, und möge Dir dann klar werden, wie's mir klar wurde: daß ich statt um meiner Familie und ihres Glanzes willen eine ungeliebte Frau zu heirathen, meinen Vater hätte zu mir nehmen und im Nothfall im Taglohn für ihn arbeiten sollen. Das wäre eines Grafen von Auperg würdiger gewesen und würde mir Segen gebracht haben. Das sah ich aber zu spät ein.«
Richard ging weg, ohne sich eine Bemerkung zu erlauben, wie sein Oheim befohlen hatte. Als er zum Thore hinausritt, hing er nachläßig die Zügel über den Hals seines schönen Pferdes, schlug Feuer, und nachdem er seine Cigarre angezündet und das elegante, von schöner Hand gestickte Etui wieder in die kleine Tasche seines Collets geschoben, sagte er spöttisch:
»Der alte Narr!«
Der Graf aber ging noch immer in heftiger Bewegung in seinem Zimmer auf und ab und murmelte schmerzlich:
»Zu spät, zu spät!«
Wir begeben uns zu Alexander Auperg, Richard's jüngerem Bruder. Er stand als Lieutenant bei einem Infanterieregiment und war seit ein Paar Stunden in seinem neuen Bestimmungsorte, einem kleinen Städtchen, eingetroffen, das er wegen Garnisonswechsel des Regiments mit dem Aufenthalt in einer Handelsstadt hatte vertauschen müssen.
Er saß mit seinen Cameraden gerade bei Tisch im niedern Saale des einzigen Gasthauses. Nur die verheiratheten Officiere hatten sich schon Wohnungen bestellt, die andern waren auf gut Glück hierher gekommen. Auf ihre Erkundigungen äußerte der Wirth:
»Es giebt hier freilich Wohnungen genug, meine Herren; eine Menge Einwohner haben bei der Nachricht von der Ankunft des Bataillons, und als sie sahen, daß das Kloster zur Kaserne umgestaltet wurde, Zimmer eingerichtet, aber ich fürchte, Sie werden nicht damit zufrieden sein. Die besten Wohnungen haben natürlich der Herr Major und die andern vier verheiratheten Herren Officiere bekommen.«
Die jungen Leute entschlossen sich nun aufzubrechen, um eine Logisrevue zu halten. Nur Auperg blieb am Tische sitzen und zerdrückte in tiefen Gedanken ein uraltes Biscuit, das vielleicht zum dreißigsten Male als Dessert figurirt hatte, zu Staub.
»Nun, Auperg,« riefen ihm die Andern von der Thüre aus zu, »gehst Du nicht mit?«
»Ich werde die Baracken früh genug sehen.«
Zwei der Officiere kehrten darauf zurück und stellten sich neben ihn; der eine war klein, schmächtig und blaß, der andere hatte etwas mehr Embonpoint als ihm lieb war und suchte durch leichte Grazie in allen Bewegungen dieser Schwerfälligkeit seines leiblichen Menschen Abbruch zu thun.
»Wenn Du nicht mitgehst, Auperg,« sagte Leonhard, der Magere, »so bleibe ich auch hier.«
»Ich auch!« rief Spiller, der Leonhard in Allem nachahmte.
Auperg stand auf, ohne Freundlichkeit, aber auch ohne Groll über die Despotie seiner Freunde. Ohne etwas zu sagen, schnallte er den Degen um, wodurch erst sein schlanker Wuchs hervortrat, denn seine Kleider waren zu weit und ohne alle Sorgfalt angelegt.
Seine kurz geschnittenen Haare hatte er ebenfalls nur glatt nach einer Seite gekämmt, wie es gerade im Belieben der Bürste gewesen; sein ganzer Anzug zeigte überhaupt nichts als militärische Reinlichkeit und Ordnung, und er stach durch den Mangel an Eitelkeit auffallend gegen seine Cameraden ab, die durch den Aufenthalt in einer größeren Stadt alle mehr oder minder Dandies geworden waren. Auch sein Gesicht fiel nicht auf, obgleich es regelmäßige Züge hatte, aber keine Spur von Aehnlichkeit mit Richard war darin zu entdecken.
Die übrigen Officiere lachten und lärmten auf der Straße und klopften den drei Zurückgebliebenen am niedern Fenster, da trat der Wirth noch einmal zu diesen und sagte mit wichtiger Miene:
»Ich wüßte wohl ein wunderschönes Haus hier mit den besten Wohnungen, aber die Eigenthümerin vermiethet nichts.«
»Wer ist es?« fragte Leonhard.
»Es ist eine alte Frau, eine Witwe, die vor mehr als fünfundzwanzig Jahren hierher kam und das Haus eines verstorbenen alten Edelmannes kaufte. Es hat zwei prächtige Stockwerke; ein Treppe hoch wohnt sie mit ihrer alten Magd, der untere Stock, der eine Menge schön eingerichteter Zimmer enthält, steht leer, denn sie will Niemand im Hause haben, überhaupt Niemand sehen. Sie hat gar keinen Umgang, und die Kinder, die ihr auf der Straße begegnen, wenn sie zuweilen an schönen Sommerabenden in ihrem schwarzseidenen Mantel, den sie immer trägt, über die Felder geht, fürchten sich vor ihr und laufen davon.«
»Wie heißt sie?«
»Madame Ahlen.«
»Ei was!« rief Leonhard lustig, »wir probiren's, ob sie uns nicht ein Paar Zimmer abgiebt. Wir gehen zu ihr, auf jeden Fall kann's nicht schaden.«
»Sie werden nicht angenommen; unter dem Vorwande von Unpäßlichkeit weis't sie Jedermann ab. Noch nie hat Jemand ihr Zimmer betreten.«
»Wir probiren's,«wiederholte Leonhard, und nun drang er so lange in Auperg, bis dieser versprach, ihn zu begleiten.
Da die übrigen Officiere, müde des Wartens, aufgebrochen waren, so begaben sich unsere drei sogleich auf den Weg, geführt von des Gastwirths kleinem Sohn.
Das Haus der Madame Ahlen stand abseits von der schmutzigen Hauptstraße und ein kleiner Garten davor grenzte an dieselbe. Neugierig musterten die jungen Leute das Haus. Es schien vor einem Jahrhundert erbaut, maßiv aus Stein, mit unsäglich viel Schnörkeln und Verzierungen. Es war Schade, daß man ihm so lange keinen Anstrich gegönnt, denn die grauen abgewaschenen Wände spotteten aller Kunst des wohlmeinenden Architekten, der es so reichlich zu verzieren gesucht hatte. In der Mitte war ein großes Einfahrtsthor, woran sich ein Klingelzug befand, an dem Leonhard heftig riß. Es dauerte eine Weile, bis Jemand öffnete, und während dem sahen die jungen Leute gespannt nach den Fenstern des zweiten Stockwerkes, denn die Laden des ersten waren geschlossen; oben aber war Alles mit grünen Vorhängen dicht verhüllt. Endlich sprang die kleinere Thür im großen Thore auf; eine alte blaße Magd stand dahinter.
»Was wollen die Herren?« fragte sie schüchtern.
»Sind hier keine Wohnungen zu vermiethen?« erwiederte der Sprecher Leonhard.
»Nein!« Und sie war schon im Begriffe, das Thor wieder zuzuschlagen, als Leonhard rief: »Einen Augenblick Geduld! wir wollen selbst Ihre Herrschaft fragen, melden Sie uns. Hier sind unsere Namen,« setzte er hinzu, indem er eine Visitenkarte aus dem Ueberrock zog und den beiden Andern bedeutete, dasselbe zu thun. Verwundert nahm die Alte die drei glänzenden Kärtchen in die Hand und sagte halblaut, indem sie sich in's Innere entfernte:
»Dies wird auch nichts helfen, die Madame bekommen Sie doch nicht zu sehen.«
Nach geraumer Zeit, die den jungen Ungeduldigen doppelt lang geworden, kehrte die Magd zurück.
»Folgen Sie mir gefälligst, meine Herren,« sagte sie im Tone der Verwunderung, als könne sie an das Wunder eines angenommenen Besuchs noch nicht glauben.
Sie gingen durch mehrere Zimmer, wo die geschlossenen Laden durch ihre Ritzen nur gerade so viel Licht einließen, um den Weg zu finden, aber nicht genug, um das Zimmer und die Gegenstände darin zu erkennen. – Die dritte Thür öffnete sich. Es war ein helles Gemach, vergleichungsweise mit den andern, denn hier waren nur die grünen langen Gardinen geschlossen. Die drei Officiere blieben an der Thüre stehen und sahen sich nach einem menschlichen Wesen um. – Da ertönte aus der Tiefe eines großen Sessels, der in der Ecke stand, eine scharfe Stimme:
»Was wünschen die Herren?«
»Wir bitten – –« fing Leonhard an.
»Welcher von den dreien sind Sie?« sagte die Stimme, von deren Eigenthümerin noch nichts sichtbar wurde als ein schwarzer seidener Mantel, in den sie ganz gewickelt war. »Welcher sind Sie, Leonhard, Auperg oder Spiller?«
»Der Erstere; hier ist Graf Alexander Auperg, hier Oberlieutenant Spiller.«
»Schon gut, was wollen Sie?«
»Wir möchten,« versetzte Leonhard, indem er seine Stellung an der Thüre aufgab und einige Schritte näher zum Sessel trat, in dessen Schooß das unsichtbare Wesen ruhte, »wir möchten Sie fragen, ob Sie nicht geneigt wären, uns ein Paar Ihrer leeren Zimmer zu überlassen?«
Jetzt sah er, daß im Mantel eine Oeffnung war, woraus ihn ein Paar dunkle Augen anblitzten. Madame Ahlen hatte den Mantel über den Kopf gezogen; sie schlug ihn jetzt zurück, aber man konnte ihr Gesicht doch nicht deutlich sehen; eine große Haube und ein um die Wangen gebundenes Tuch verhüllten es bis auf Augen und Nase.
»Eine Wohnung wollen Sie?« sagte sie nach einer langen Pause, »alle Drei?«
»Das wäre uns freilich am liebsten; wenn Ihnen aber das zu viel ist –«
»Ich kann nur Einen nehmen. Graf Auperg scheint mir der Stillste, Solideste von Ihnen. Wollen Sie, Graf Auperg, so können Sie morgen in mein Haus ziehen.«
Auperg verbeugte sich schweigend vor der Knäuelgestalt im Sessel; die beiden Andern sahen sich etwas betroffen an, aber ein Wink einer magern gelben Hand, die auf einen Augenblick aus dem Mantel fuhr und ein deutliches Verabschiedungszeichen machte, veranlaßte ihren Rückzug. Noch eine Verbeugung, und sie standen wieder im dunklen Vorzimmer, die Magd schloß ihnen wieder das Hofthor auf, und sie befanden sich zu ihrer Freude in der frischen freien Luft.
»Du ziehst doch nicht in das Haus, Alexander?« riefen Leonhard und Spiller wie aus Einem Munde.
»Warum nicht? diese alte Frau, die wie eine Boa zusammengekrümmt in ihrem Sessel uns empfängt, nicht aufsteht, uns nicht grüßt, uns entläßt wie eine Königin durch eine stumme Handbewegung – das alte Weib interessirt mich; und wäre es auch nur, weil sie mir als eine Gnade gewährt, was Andere als einen Vortheil aufgesucht haben würden.«
»Du bist gerührt,« sagte Leonhard, »weil sie Dich für den Stillsten und Solidesten hielt.«
»Das ist ja in Euern Augen gar kein Verdienst,« lächelte Alexander. »Euer einziges Bestreben war es ja von jeher, nicht für still und solid zu gelten.«
Die Beiden lachten, aber Alexander hatte Recht; Leonhard und sein Spiegelbild Spiller bemühten sich wirklich, in den Augen der Welt für besonders flatterhaft, lebhaft und lärmend zu gelten. Leonhard war, was man in der großen Welt einen vortrefflichen Gesellschafter nennt. Er sprach viel und immer sehr belebt, wenn auch nicht immer sehr verständig, ja oft war es geradezu Unsinn, was er vorbrachte, aber er brachte ihn mit lachendem Munde vor, und so fand man ihn charmant. Dabei besaß er alle möglichen Kunstfertigkeiten. Er spielte Clavier und Guitarre, er sang Volkslieder, er tanzte vortrefflich, er machte Gelegenheitsgedichte, er spielte Komödie, er arrangirte Tableaux D. h. tableaux vivants, die Darstellung von Werken der Malerei und Plastik durch lebende Personen. Diese Mode kam gegen Ende des 18. Jh. auf., und was Allem die Krone aufsetzte, er war ein leidenschaftlicher Courmacher. Sein Aeußeres unterstützte seine Bestrebungen nicht besonders; er war unter mittlerer Größe, aber von starkem, untersetztem Wuchs, sein Kopf war offenbar zu groß für seine Gestalt, und er ließ ihn noch größer erscheinen, indem er sein starkes Haar in drei großen kühnen Locken um die Stirne legte. Seine Gesichtsfarbe war bleich, seine Züge unbedeutend.
Spiller, mit dem der liebe Gott so kärglich verfahren war, daß er ihm sogar das Privilegium versagt hatte, für sich selbst ein Narr zu sein, mußte immer in Haltung, Benehmen und Gesinnung irgend Jemand nachahmen. Eben war Leonhard sein Vorbild, vielleicht das dreißigste, und es war voraus zu sehen, daß er bald dem einunddreißigsten weichen würde, denn Leonhard fing schon an, seiner herzlich müde zu werden. Spillers Nachahmerei, die ihm Anfangs geschmeichelt, ärgerte ihn, es ging ihm, wie es den neunundzwanzig Spiller'schen Originalen vor ihm gegangen war: die eigene Copie wurde ihm unerträglich, und er zeigte es.
Leonhard sagte zu Alexander: »Du hättest Dich aber nach dem Preise erkundigen sollen;« und Spiller setzte hinzu: »Das ist's, was ich eben sagen wollte; ich würde Dich auch daran erinnert haben, aber in der Gegenwart der Alten ging es doch nicht gut.«
»Beruhigt Euch doch, liebe Freunde. Die Miethe wird mich nicht bankerott machen; ich hätte nicht fragen können. Ueberlaßt mich jetzt meinem Schicksale und sucht für Euch selbst eine Wohnung.«
Wieder im Gasthof angekommen, riegelte Auperg seine Thüre und nahm aus seinem Koffer eine einfache kleine Ledermappe, die in der einen Seitentasche eine Menge des feinsten Postpapiers enthielt, in der andern viele kleine zierliche Briefe. Einen derselben nahm er heraus und durchlas ihn, aber man sah ihm an, daß er ihn auswendig wußte; träumerisch hingen seine Augen an den feinen Zügen, und das glückliche Lächeln, das in diesem Augenblick seinen Mund umspielte, gab ihm einen Anflug von wirklicher Schönheit.
Er beantwortete nun den kleinen feinen Brief; seine Wange wurde röther, sein Auge leuchtete, es war offenbar, der Geist kam über ihn – der Geist der Liebe.
Am andern Morgen, nachdem er seine Dienstgeschäfte abgemacht, ging er nach dem Hause der Madame Ahlen. Er war allein; die Magd öffnete ihm wieder, aber sie führte ihn nicht wie gestern zu ihrer Herrin, sondern schloß ihm gleich unten eine Thüre auf, die zu seiner Wohnung führte. Man hatte Laden und Fenster geöffnet und die frische Winterluft drang in zwei hohe, gewölbte, düstere Zimmer mit schweren verblichenen Seidentapeten; in einem stand ein ungeheures Himmelbett und eine abgetackelte Toilette mit einem ovalen Spiegel darüber.
»Kann ich denn heute meine Sachen herbringen lassen?« fragte Alexander.
»Gewiß, und die gnädige Frau läßt Ihnen sagen, Sie möchten nur, bis Sie sich selbst Holz gekauft, von dem ihrigen gebrauchen; ich werde jetzt gleich einheizen, damit es warm ist, bis Sie kommen.«
Auperg fragte sich, warum die alte, böse, verrufene Frau so freundlich gegen ihn sei?
»Sie sieht mir meine Harmlosigkeit an,« dachte er lächelnd. –
Wer weiß nicht, welche sonderbare Empfindung es ist, wenn man in einer neuen Wohnung, in der man längere Zeit zu verweilen gedenkt, das erstemal sich zur Nachtruhe begiebt? Besonders grell ist aber diese Empfindung, wenn man allein ist und nichts einen von der Betrachtung der ungewohnten Umgebung abzieht.
Alexander hatte sich in sein großes Himmelbett gelegt, und war im Begriffe, das Licht zu löschen, als ihn eine gewisse schaurige Empfindung einen Augenblick zögern ließ; aber er schämte sich dieser Regung, die ihn zum erstenmal in seinem Leben überkam, und das Licht erlosch. Hell schien der Vollmond durch die Fenster, deren untern Theil nur dünne Mousselinvorhänge verschleierten. Das Zimmer schien riesig groß; Alexander zog die schweren Vorhänge des Himmelbettes zusammen, so daß Dunkelheit ihn umgab, aber er konnte das kalte Mondlicht draußen nicht vergessen. Endlich fiel er in süßen Schlaf. Er mochte einige Stunden geruht haben, als er plötzlich aus dem tiefsten Schlafe auffuhr; ein Geräusch hatte ihn geweckt. Er horchte. Deutlich hörte er die Thüre seines ersten Zimmers schließen und dann leise, leichte Tritte. Er setzte sich aufrecht im Bette, und mit kalter, aber fester Hand theilte er die Vorhänge. Ein grausiger Anblick! Auf der Schwelle seines Schlafzimmers – er hatte die Thüre offen gelassen – stand, vom grellen Mondlicht beleuchtet, eine kleine weiße Gestalt, mit bleichen verwelkten Zügen und brennenden dunklen Augen, die schauerlich weit offen standen. Eine kleine altfränkische Nachthaube deckte den spitzen Kopf, ein weiter Pudermantel umhüllte die dürftige Gestalt. Nun schritt sie in's Zimmer gerade auf Alexanders Bett zu; aber sie ging vorüber und ließ sich langsam auf dem Stuhle vor der Toilette nieder, die zu Häupten des Bettes stand.
Alexander mußte sich vorbeugen, um sie zu sehen; er that es, obgleich ihm das Herzblut stockte.
Nun hörte er einen tiefen Seufzer und dann vernahm er deutlich die Worte: »O wie bin ich so häßlich! Wird nie der Tag kommen, wo mir dieser Spiegel schönere Züge zeigt? O wie häßlich! wie häßlich! und diese hohe Schulter – ist sie denn gar nicht zu verbergen? kann kein Pariser Spitzenkragen sie verdecken? O ich armes, häßliches, unglückliches Weib!« Und sie schlug die Hände vor das Gesicht und weinte laut.
Nach einer Weile erhob sich die Gestalt und trat an's Fenster, dann wendete sie sich und ging langsam, wie sie gekommen, durch das erste Zimmer wieder fort und Alexander hörte sie wieder die äußere Thüre schließen.
Er athmete auf.
Was war das? ein Gespenst? Die Worte: ›kann kein Pariser Kragen diese Schulter verdecken?‹ erinnerten ihn auf barocke Weise an Lady Macbeths: ›alle Wohlgerüche Arabiens versüßen diese kleine Hand nicht‹ und er war nun überzeugt, daß auch seine Erscheinung eine Nachtwandlerin, und daß es seine Hausfrau gewesen. Alles Grausen schwand vor dem festen Vorsatz, die Sache zu erforschen.
Im Hause des Ministers von Berstorff war alle Tage Gesellschaft. Da die Dame des Hauses kränklich war und Abends nie ausging, so konnte man sicher sein, täglich bei ihr eine Tasse Thee und einige Menschen anzutreffen und man war des freundlichsten Empfanges gewiß. Es giebt zweierlei Höflichkeiten, die erlernte und anerzogene, und die, die aus dem Herzen kommt. Ein recht gutmüthiger Mensch wird immer höflich, nie grob sein, weil er Andere nicht verletzen kann. Von der zweiten besseren Art war die Höflichkeit der Gemalin des Ministers, und das empfanden ihre Gäste. Sie war ein Edelfräulein vom Lande, nicht schön, nicht geistreich, nicht einmal gebildet, d. h. auf die Art, wie man es heutzutage versteht. Sie kannte keine fremden Sprachen und wußte nichts von Literatur und Kunst, ja sie war eigentlich ganz unwissend, und dennoch unbeschreiblich liebenswürdig.
Als sie sich vor zwanzig Jahren verheirathete, damals achtzehn Jahre alt, behauptete alle Welt, ihre Unwissenheit sei charmant, aber eben nur mit großer Jugend gepaart, könne man diesen Mangel alles Unterrichts reizend finden. Ihr Gemal, der damals Assessor war, fürchtete dasselbe und ließ ihr allen möglichen Unterricht ertheilen, aber sie lernte nichts. Das Wenige, was man ihr mit unendlicher Mühe beibrachte, haftete nur kurze Zeit, um dann spurlos zu verfliegen. Dabei wurde sie blaß und kränklich, das viele Sitzen, das ungewohnte Lesen und Lernen machten ihr Kopfweh, und als ihr Mann sah, daß es ernstlich ihre Gesundheit angriff, verabschiedete er die Lehrer und Gouvernanten, und Annette war wieder das alte freie fröhliche Wesen. Herrn von Berstorff schmerzte es freilich noch oft, wenn sie, zwar mit dem lieblichsten Erröthen, ihm eines ihrer allerliebsten Briefchen brachte (denn ohne seine Censur durfte nichts von ihr aus dem Hause) und er darin manchen orthographischen Fehler fand; denn wir müssen es leider gestehen, Ihre Excellenz die Frau von Berstorff konnte nicht einmal orthographisch schreiben.
Nach vierjähriger Ehe hatte sie ihrem Gemal eine Tochter geboren, wobei man ihr eigenes Leben nur mit Mühe erhalten, und ihre Gesundheit blieb von da an äußerst schwankend. Ihr Kind hatte Herr von Berstorff gleich nach der Geburt einer Jugendfreundin übergeben, die es mit ihren Kindern erzog. Annette klagte und jammerte vergebens nach ihrer Kleinen, man brachte sie ihr nur zuweilen auf einen Tag. Mit acht Jahren kam ihre Tochter in eine Pension, um sie erst im sechzehnten wieder zu verlassen.
Das war der unabänderliche Wille des Vaters, dem sich Annette mit schwerem Herzen, aber kaum eine Klage wagend, fügte. Herr von Berstorff wollte nicht, daß seine kleine Stephanie der Mutter ähnlich werde, so sehr er die Mutter liebte; aber als er sie heirathete, hatte er geglaubt, ganz andere Dinge bei ihr ausrichten zu können und das verzieh er ihr denn doch nicht.
So hatte Annette eine Tochter, ohne je das Glück der Mutter gekannt zu haben; nichts als die Schmerzen waren ihr zu Theil geworden. Sie war nun fast vierzig Jahre alt, und trotz allen Prophezeiungen der Welt liebenswürdig wie mit achtzehn, beinahe noch liebenswürdiger, denn ihre Leiden hatten über ihre Heiterkeit, die ihr dennoch geblieben, einen Schleier geworfen, unter dem diese doppelt anmuthig hervorschimmerte.
Seit vier Wochen hatte sie nach siebzehnjähriger Entbehrung ihr Kind bei sich, und Stephanie war ihr wie eine Weihnachtsbescheerung; sie konnte sich nicht satt an ihr sehen. Stephanie glich äußerlich gar nicht ihrer Mutter. Sie war groß und voll, blühend und kräftig, im vollen Glanze des ersten Frühsommers, sie hatte, was ältere Mädchen und Frauen la beauté du diable nennen, im höchsten Grade. Ihre Mutter dagegen war klein und zierlich, blaß und schmächtig, aber durch diese kleinen feinen Formen sah sie viel jünger aus, als sie war, höchstens dreißig Jahr. Zu diesem jugendlichen Aussehen trug auch der Ausdruck ihres Gesichtes viel bei, aus dem noch ganz die Güte und das offene Vertrauen der ersten Jugend sprachen. Ihre großen blauen Augen waren ehrlich und unschuldig, wie die eines Kindes, sie waren wie ihre Seele.
Mutter und Tochter saßen beisammen auf dem Divan eines großen Empfangszimmers. Ihre Stellung war eine Umkehrung des natürlichen Verhältnisses. Annette ruhte am Arm ihrer Tochter, den Kopf an ihrer Brust, während Stephanie mit beinahe mütterlicher Zärtlichkeit auf das zarte Gesichtchen an ihrer Schulter herabsah.
»Ist es auch war, Stephanie?« sagte Annette mit ihrer süßen, unwiderstehlichen Stimme, »ist es auch wahr? hast Du wirklich alle Tage an Dein Mütterchen gedacht, wie sie an Dich jede Stunde dachte?«
»Gewiß, gewiß, Mama. Wie habe ich mich auf das Wiedersehen gefreut! wie habe ich darnach geseufzt, Dir mein Herz auszuschütten, offen, rücksichtslos, ohne eine Falte, und vier Wochen bin ich nun bei Dir, und – und –«
»Nun, und was?«
»Und habe es doch noch nicht gethan,« sagte die Siebzehnjährige stockend und feuerroth. »Aber daran ist Cornelie schuld,« setzte sie rasch hinzu, »Cornelie, die uns nie allein läßt.«
Als habe eine Ahnung aus Stephanie gesprochen, so öffnete sich jetzt die Thüre und Cornelie trat ein. Mit leichter Freundlichkeit grüßte sie Mutter und Tochter, die wie ein erschrecktes Liebespaar bei ihrem Eintritt auseinander fuhren, und nahm dann in einem Sessel Platz, indem sie langsam eine Tapisseriearbeit aus einander rollte.
Cornelie war die Nichte Herrn von Bernstorffs, die Tochter seiner Schwester, die man an einen Bürgerlichen verheirathet hatte. Diese war nicht schön und etwas beschränkt gewesen, so daß ihre Familie froh war, als Regierungsrath Pidoll um sie warb. Sie starb, als Cornelie und ihre beiden Brüder noch kleine Kinder waren. Cornelie hatte kürzlich nun auch ihren Vater verloren und hielt sich seitdem im Hause des Oheims auf. Sie war noch in Trauer. Der schwarze Anzug kleidete sie nicht gut; sie hatte einen dunkeln Teint und ihre übrigens gut gebaute Gestalt war zu mager. Sie wußte das auch und trug deshalb immer hoch am Halse schließende Kleider und Halbhandschuhe bedeckten ihre Hände. Haar und Augen waren dunkel, lange Wimpern gaben ihnen jugendlichen Reiz, Mund und Nase waren etwas zu groß, daran war aber besonders der Mangel an Fülle des Gesichtes schuld, den die lang herabhängenden glänzenden Locken so viel als möglich zu verbergen strebten. Uebrigens machte ihre Erscheinung immer einen bedeutenden, wenn auch nicht auf Jedermann einen angenehmen Eindruck.
Der Bediente öffnete jetzt die Thür und meldete den Grafen Auperg. Der Genannte trat einige Augenblicke darauf ein; es war Richard. Mutter und Tochter grüßten ihn mit unbefangener Freundlichkeit, aber Corneliens Gesicht blieb unverändert ernst, indem sie sich halb erhob und dann sogleich wieder fortbeschäftigte. Nachdem Richard eine Höflichkeitsphrase an die Hausfrau gerichtet, fragte er Stephanie, wie ihr der gestrige Ball bekommen.
»Gut, gut,« sagte sie eifrig.
»Wie immer, wenn man siebzehn Jahre alt ist,« setzte die Mutter lächelnd hinzu. »Das ist ja die Zeit, wo einem Alles ohne Ausnahme gut bekommt.«
»Haben Sie nicht den Tanz leidenschaftlich geliebt, gnädige Frau?«
»Ich? Nein, ich habe überhaupt nichts leidenschaftlich geliebt als die Blumen und –«
Sie stockte, ein unendlich liebliches Erröthen glitt über ihr sanftes Gesicht, und machte es jung und blühend erscheinen, im Nachglanze der Liebe zu ihrem Gemal, der einzigen ihres reinen Lebens.
Cornelie sah auf und ihre Tante an. Ihr großes Auge hing mit einem eig'nen Ausdruck von Verwunderung an dem erröthenden Gesicht der älteren Frau. Richard begegnete diesem Blicke und sagte scharf: »Daß Fräulein Pidoll leidenschaftlich gerne tanzt, weiß ich.«
»Woher?« fragte Stephanie neugierig.
»Als ich Fräulein Pidoll mit ihrem Vater in Wiesbaden traf, da sah ich sie zuerst auf einem Ball, tanzend, und zwar im vollen Enthusiasmus der Jugend.«
»Der Jugend ja wohl!« versetzte Cornelie bitter; »ich war damals auch siebzehn Jahre alt; es sind jetzt sechs Jahre her, jetzt ist der ›Enthusiasmus der Jugend‹ dahin.«
»Ich wußte gar nicht, daß Sie sich früher gekannt,« sagte Frau von Berstorff verwundert. »Das haben Sie mir nie gesagt, Graf Auperg.«
»Habe ich nicht? Ich dachte wohl, Ihre Fräulein Nichte werde Ihnen von unserer früheren Bekanntschaft erzählt haben.« Und der kaum merkliche höhnische Zug flog wieder um seinen Mund.
»Ich erzählte Dir nichts davon, Tante,« sagte Cornelie, »weil ich dachte, es sei nicht der Mühe werth. Daß Herr Graf Auperg und Cornelie Pidoll einmal in einem Badeorte zufällig zusammengetroffen, ein Paar Walzer zusammen getanzt, ein Paar Worte zusammen gesprochen, die sie dann Beide wieder vergaßen (sie betonte das Wort ›Beide‹ scharf), was ist daran Erzählenswerthes?«
»Cornelie, liebes Kind! rede nicht so altklug! Man sollte wahrhaft meinen, Dir sei nichts der Mühe werth, und so bist Du doch nicht.«
»Tante, wäre ich nur so! Was ist denn aber eigentlich der Mühe werth? Das Beste, Höchste, was der Mensch erstreben kann, erreicht er entweder nicht, oder verliert es nach kurzer Frist.«
»Nein, nein,« sagte Annette eifrig, »Du hast Unrecht, völlig Unrecht! Alles ist der Mühe werth. Jeder bunte Kiesel am Wege, jede kleine Blüthe an der Hecke ist werth, daß man sich darnach bückt und die Hand ausstreckt. Alles, was der Mensch erreichen kann, soll er erstreben; gelingt es ihm nicht, so hat er doch im edlen Bemühen seine Kraft geübt; hat er es erreicht und verliert es wieder, so hat er zum Trost die Erinnerung.«
»Es giebt aber Erinnerungen,« sagte Cornelie kalt und ernst, »die Einem lästig, ja sogar beschämend sind. Wie oft kann es kommen, daß das, was uns früher als ein Glück, als ein Fortschritt vorgeschwebt, uns jetzt als eine Beschämung, als eine Erniedrigung erscheint!«
Richard sah Cornelie scharf und aufmerksam an.
»Warum,« fragte er, »sind Sie so ernsthaft und kalt und isolirt geworden, Fräulein Pidoll?«
»Bemerken Sie das?« lächelte sie spöttisch.
»Gewiß,« erwiederte er, »und was ist auffallend daran, daß ich diese Veränderung an Ihnen bemerke?«
»Weil es überhaupt auffallend ist, wenn Graf Auperg auf das Innere eines Andern achtet.«
»Warum denn?«
»Weil Sie ein Egoist sind.«
Annette vermuthete einen Scherz und sah lächelnd zu Cornelien auf; als sie aber den ernsthaften, strengen, beinahe feindseligen Ausdruck ihres Gesichtes gewahrte, sagte sie naiv:
»Wer wird das Jemand sagen?«
»O,« lachte Richard, »das ist nur liebenswürdige Offenheit. Schelten Sie mich immerhin einen Egoisten, das ist ein gutes Gegengewicht für die Vorwürfe meines Onkels, der mich immer der Unbedachtsamkeit und des Mangels an selbstsüchtigem Ehrgeiz beschuldigt. Aber dennoch kränkt es mich,« setzte er mit einer leisen Vibration der Stimme hinzu, die ganz natürlich klang und Corneliens feinem Ohre auch nicht verloren ging, »dennoch kränkt es mich, daß Sie es sind, die das von mir sagt.«
Cornelie sah ihn an; ein Zittern überflog ihre hohe Gestalt bei dem Blick seines Auges, und ihre Hände vermochten nur ungeschickt die Stickerei fortzusetzen, an der sie sogleich wieder eifrig mit tiefgebeugtem Haupte arbeitete.
Stephanie hatte mit einem kleinen Lieblingshunde ihrer Mutter gespielt und von Allem nichts vernommen; auf einmal sagte sie:
»Ist es wahr, Herr Graf, daß Sie von einem Manne abstammen, der seinen eig'nen Bruder ermordet hat und daß seitdem die Brüder in Ihrer Familie immer uneins sind?«
»Das erste ist wahr,« erwiederte Richard, »das letztere nicht immer; jetzt wenigstens ist es nicht der Fall; denn mein Bruder und ich, die einzigen Auperg'schen Brüder, sind ganz gute Freunde.«
»Das Gegentheil wäre aber auch –« – Stephanie brach plötzlich ab.
»Kennen Sie meinen Bruder?« fragte Richard.
Stephanie bückte sich zu dem Hunde nieder und sagte nur: »Ja.« Frau von Berstorff hatte aber gesehen, daß ein heftiges Roth die Wangen ihres Kindes bei diesem ›Ja‹ überzog, und ein stechender Schmerz fuhr durch ihr mütterliches besorgtes Herz. Richard hatte es nicht bemerkt und fuhr gleichgiltig fort:
»Ich wüßte nicht, wie man mit Alexander Streit haben sollte; er ist der verträglichste, beste Mensch von der Welt; aber da er leider immer ein Einsiedler, ein halber Gelehrter war, so hat ihm diese Verträglichkeit noch wenig genützt. Er paßt aber außerdem nicht für die Gesellschaft.«
»Warum nicht?« fragte das Fräulein in gereiztem Tone.
»Weil er zu wenig Aeußeres hat. In Uniform sieht er erträglich aus, aber in Civil wie ein Schulmeister. Er begreift nicht, daß es einen Unterschied zwischen den Kleidern giebt, ihm ist Alles gleich. Dann hat er auch gar kein Talent zur gesellschaftlichen Unterhaltung, zum small talk wie es die Engländer nennen. Bringt man kein bedeutendes Thema auf's Tapet, wie Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst, Religion, spricht man nur, wie es in unsern Gesellschaften gebräuchlich ist, vom Theater, von kleinen Intriguen, Toilette, Bällen und dergleichen, so ist er im Stande, den ganzen Abend nicht den Mund zu öffnen, durch seine wiederholten Anstrengungen, das Gähnen zu verbergen, die Hausfrau zu erschrecken, und uns Alle, die wir uns vortrefflich amüsiren würden, durch seine pedantische Gegenwart zu lähmen.«
»Er kann aber doch nichts dafür, daß er besser ist als wir,« sagte Annette, »denn das ist doch wohl eigentlich der Fall.«
»Ja wohl,« bekräftigte Stephanie.
»Nein, nein,« lächelte Richard; »nur schwerfälliger ist er, nur unbiegsamer und pedantischer. Man kann recht gut eine kleine frivole Unterhaltung führen und doch Sinn für Ernstes, Bedeutendes haben. Das ist eben die Liebenswürdigkeit, daß man sich in Alles zu finden weiß, und freundlich zu sein weiß, daß man sich zur Gesellschaft und ihren Interessen neigt und nicht immer verlangt, andere Menschen sollen unsere Interessen theilen.«
Stephanie stand auf und sagte leise zu ihrer Mutter: »Vertheidige ihn!« dann ging sie zur Thüre hinaus. Betroffen und erschrocken sah ihr die Mutter nach. So ist es wahr! dachte sie in Seelenangst und bemerkte kaum in ihrer Gemüthsbewegung, daß Richard aufstand und sich empfahl.
In seiner Wohnung fand Richard ein Billet seines Oheims, worin ihm dieser seine Ankunft in der Residenz anzeigte, und ihn zu sich einlud. Richard beeilte sich, diesem Wunsche Folge zu leisten.
Er fand bei dem Grafen mehrere Besuche. Einer derselben, der Kammerherr und Oberschenk von Graveneck, ein alter Bekannter seines Oheims, war ihm besonders unangenehm. Der Mann gehörte zu den Leuten, die dafür berühmt sind, daß sie aller Welt die Wahrheit sagen. Er war geachtet, aber Achtung war auch Alles, was er den Menschen hatte abzwingen können; denn freiwillig gewährte man diesem finsteren Gesichte gewiß nichts. Ehemals Soldat, aber in Folge mehrerer Feldzüge dienstuntüchtig, hatte er seinen Abschied nehmen müssen. Geizig und peinlich, ordentlich und pünktlich, war er der Schrecken des ihm untergeordneten Theils des Hofpersonals. Jedem Menschen sagte er rücksichtslos die volle und ganze Wahrheit, das heißt jedem, der ihn darum befragte, den Fürsten selbst nicht ausgenommen, den, einen gutmüthigen alten Herrn, diese Rücksichtslosigkeit als Curiosum belustigte. Obgleich eine der ersten Personen des Hofstaates, war Graveneck das vollständige Gegentheil eines Hofmanns; es war ihm augenscheinlich erfreulich, wenn er höher Gestellten und Glücklichern irgend eine unangenehme Nachricht, eine bittere Wahrheit mittheilen konnte. Eben wegen dieser Eigenschaft hatte ihn jetzt der alte Graf zu sich beschieden. Ernst und auffallend kalt sagte er zu seinem Neffen, als die übrigen sich entfernt hatten und nur noch Graveneck gegenwärtig war:
»Ich habe den Herrn Oberschenk gebeten, mir Einiges über Dich und Deine Lebensweise zu sagen; er ist mein alter Freund und als solchen mußt Du ihn auch betrachten. Was er mir über Dich mittheilt, ist durchaus nicht erfreulich.«
»Wie so?« fragte Richard, indem er einen herausfordernden Blick auf den Kammerherrn warf, worauf dieser trocken entgegnete:
»Ich bin mit Absicht hier geblieben, um Ihnen gegenüber meine Aeußerungen über Sie zu vertreten. Was ich gesagt, sind einfache Thatsachen, die Sie als Mann von Ehre nicht läugnen werden – vielleicht aber anders beleuchten,« setzte er mit einem stechenden Blick hinzu.
»Ich bitte Sie, Herr von Graveneck, mir kurz zu wiederholen, wessen Sie mich bei meinem Oheim beschuldigen,« sagte der junge Graf mit gewaltsam erzwungener Fassung.
»Ich will es Dir sagen, Richard,« sprach der ältere Auperg sehr ernst. »Du bist ein Verschwender, nicht nur an Geld – das läßt sich ersetzen – nein, auch an Zeit. Deine Tage bringst Du auf die leichtfertigste Art zu mit Spazierenreiten, Visitenmachen, Diners und Bällen.«
»Ich thue, was jeder junge Mann meines Standes und meines Alters thut.«
»So? Geht auch jeder junge Mann Deines Standes und Deines Alters Abends auf einen Maskenball und führt dort eine Tänzerin spazieren, deren Herz er einige Tage vorher einem armen Maler abspenstig gemacht durch allerlei glänzende Geschenke? und wenn nun der arme Mensch dem leichtsinnigen Mädchen einige wohlverdiente Vorwürfe macht, giebt dann auch jeder junge Mann Deines Standes ihm, der Demaskirte dem Demaskirten, eine laute Ohrfeige? und dann verweigert auch jeder junge Mann Deines Standes ihm die billige Satisfaction, weil er nicht ›vom Stande‹ sei?«
Richards Augen flammten. »Genug, Onkel! übergenug! Ich läugne diese Sachen nicht im Entferntesten, will sie aber Jedem gegenüber vertreten. Meinen Muth habe ich, Gott sei Dank, oft genug gezeigt, und mehr als einer meiner Mitstudirenden trägt den Beweis davon auf seinem Gesicht; aber als Officier mußte ich mich dem Ausspruch meiner Cameraden fügen, die den Maler für einen meiner unwürdigen Gegner erklärten.«
»Du wirst noch heute um Deinen Abschied einkommen und dann Dich dem Maler stellen.«
»Wohl, aber ich werde auch einen Andern zwingen, sich mir zu stellen,« sagte Richard mit von Zorn zitternder Stimme, indem er rasch das Zimmer verließ, nachdem er dem Kammerherrn einen wüthenden Blick zugeworfen.
»Er grollt mir,« lächelte dieser schadenfroh; »er will sich mit mir schlagen! Für den jungen Menschen da habe ich mir aber wahrhaftig nicht meine Knochen nach der Schlacht bei Leipzig zusammenflicken lassen.«
»Ja wohl,« sagte Graf Auperg, »morgen sieht er auch selbst den Unsinn dieses Gedankens ein, ich aber danke Dir herzlich für Deine offene Mittheilung.«
»Ist nicht dankenswerth; wer nachfragt, erfährt, was ich weiß. Ich sehe nicht ein, wozu ich lügen sollte. Ich stehe glücklicherweise allein in der Welt, ohne Anhängsel; ich bin ein freier Mann.«
Und bei diesen Worten schlug der Kammerherr auf seine Brust, als ob sie ihn nicht schmerze, und blickte siegreich um sich, als sei die Leere, die ihn jetzt und immer umgab, ein Verdienst, ein Vortheil, ein Glück.
Denselben Abend war Graf Auperg zum Minister geladen; seinen Neffen fand er auch dort, aber an dem Weltmanne war keine Spur der Scene vom Morgen zu entdecken.
Freundlich, als sei nichts vorgefallen, ging er dem älteren Grafen entgegen und erzählte ihm unbefangen, daß er nach seinem Wunsche um den Abschied eingekommen und bald zu seiner Disposition zu stehen hoffe. Obgleich Graf Auperg über diese Unbefangenheit und diesen gesellschaftlichen Tact staunte, so konnte er doch nicht umhin, diese Eigenschaften an einem jungen Manne als Beweise einer gewissen Falschheit und Herzenskälte anzusehen. Er wendete sich unfreundlicher als je von ihm ab. Herr von Berstorff stellte ihn auf seine Bitte den jungen Damen des Hauses vor. Stephanie betrachtete er mit offenbarem Wohlgefallen und mit Cornelie sprach er lange und eifrig. Er hatte ihren verstorbenen Vater gekannt und die Tochter zog ihn an, die auch ihm gegenüber eine eigenthümliche Liebenswürdigkeit entfaltete, vielleicht deshalb, weil er sie anders behandelte, als alle Welt hier.
Den übrigen Besuchenden war sie nur die Nichte des Ministers, nur als solche schien ihnen das reizlose Mädchen im Trauerkleide etwas zu gelten, und dieses Verhältniß war gerade das letzte, in welchem Cornelie sich heimisch fühlte. Sie war in diesem Hause fremd; wäre sie ein halbes Jahr früher darin eingetreten, so würde die Liebenswürdigkeit der Frau von Berstorff sie zu fesseln gewußt haben, so starr und stählern ihre Seele auch war; aber unglücklicherweise betrat sie zu gleicher Zeit mit der jungen, heiß ersehnten Tochter das Haus, und auf diese richtete sich natürlich die ganze Aufmerksamkeit, die volle Sorge der zärtlichen Mutter. Cornelie fühlte sich als Stiefkind, und das mit Unrecht, denn die Seele ihrer Tante umfaßte auch sie mit Liebe, wie alle Welt: aber die leidenschaftliche Liebe Annettens für ihr lang entbehrtes Kind ließ Cornelien ihre milde Freundlichkeit matt und kalt erscheinen, und weckte im Herzen der Nichte eine Bitterkeit, die sie den beiden verwandten Frauen gegenüber in eine ganz isolirte Stellung drängte. Sie erschien deshalb auch selten Abends im Salon.
»Wie gefällt es Ihnen in der Hauptstadt?« fragte sie Graf Auperg, nachdem er lange mit ihr von ihrem Vater gesprochen.
»Ich bin beinahe zwei Monate hier und weiß dennoch keine Antwort darauf zu geben.«
»Sie warten wohl das Ende Ihrer Trauerzeit ab, um die Stadt und die Menschen auch auswärts kennen zu lernen?«
»Nein, auch dann werde ich nicht ausgehen. Da ich durch meine bürgerliche Geburt vom Hofe ausgeschlossen bin, so würde ich auch wohl in den Häusern des Adels als ein Hors d' oeuvre aufgenommen. Ich bin gewiß nicht rangsüchtig, aber es ist oft sehr unangenehm, in einer durchaus adeligen Gesellschaft einer Residenz die einzige Bürgerliche zu sein. Sie kennen ja,« setzte sie lachend hinzu, »die komische Sitte, Alles, was zum Adel gehört, mit ›gnädig‹ zu bezeichnen. Nun nennt man mich aus süßer Gewohnheit auch ›gnädiges Fräulein‹; das setzt mich in Verlegenheit, ja es beschämt mich, so nichtig es auch ist, als etwas mir nicht Gebührendes. Sie sehen mich verwundert an, Herr Graf, daß ich bei einer ernsten Unterhaltung Ihnen so unwichtige Dinge wie einem alten vertrauten Freund mittheile; verzeihen Sie aber, ich rede so selten, daß ich gar nicht mehr weiß, was man redet.«
»Mein liebes Fräulein!« sagte der alte Herr freundlich, indem er ihr seine Hand entgegenstreckte; sie legte die ihre mit einer gewissen Freudigkeit hinein.
In demselben Augenblicke ging Richard vorüber, verwundert blickte er sie und den Oheim an; aber Cornelie drehte hastig den Kopf, und mit den Worten:
»Ich muß den Thee einschenken,« eilte sie weg vom alten Grafen.
Richard ging ihr nach. »Cornelie,« tönte seine tiefe Stimme in ihr Ohr, »warum sind Sie so fremd, so kalt gegen mich? Zürnen Sie mir?«
Sie standen am Theetisch in einer Ecke des Zimmers. Cornelie rückte die Tassen klirrend zusammen, aber sie gab keine Antwort.
»Cornelie, zürnen Sie mir ernstlich, daß ich Ihnen nicht geschrieben wie ich versprochen? Verzeihen Sie mir, Cornelie. Daß ich nicht schrieb, war ein Resultat meiner Ueberlegung; – zu was sollte es führen? wir waren Beide so jung!«
»Ich bitte Sie, keine Entschuldigung! Sie beleidigen mich dadurch.«
»Ist es möglich! So spricht nichts mehr in Ihrem Herzen für mich? Gott! wie schlug das meinige, als ich Sie hier im Hause wieder sah! aber keinen Augenblick konnte ich finden –«
»Graf Auperg, wenn Sie mich nicht augenblicklich verlassen, so verlasse ich den Saal, um diesen Abend nicht wieder zu kehren,« sprach Cornelie mit zitternder, tonloser Stimme.
Richard trat zurück und mischte sich langsam wieder unter die übrige Gesellschaft.
Niemand hatte das Zwiegespräch bemerkt, als Graf Wolf. Aus der Ferne war ihm selbst Corneliens Gemüthsbewegung nicht entgangen. Er trat jetzt in das zweite Zimmer, wo sich auch Richard befand, und beobachtete ihn wiederum, obgleich er anscheinend ganz in ein Gespräch mit ein Paar alten Kriegscameraden versenkt war. Richard sprach mit Stephanie, die ihn mit einem gewissen unfreundlichen Groll behandelte, den der eitle Mann sich zu seinen Gunsten auslegte.
Auf einem Eckdivan, ziemlich gesondert von der übrigen Gesellschaft, saß die Hausfrau, neben ihr der Oberschenk von Graveneck. Sie war das einzige Wesen, dem er freundlich begegnete, das einzige, gegen welches er wohlwollende Gesinnungen zu hegen schien; eben aber befand er sich im heftigen Streit mit ihr. Der Oberschenk behauptete, die ganze sogenannte gute Gesellschaft gehe nur in Soiréen, um Einer den Andern zu täuschen, zu verläumden und zu ärgern. »Schadenfreude,« sagte er, »ist die einzige Freude unserer Gebildeten, denn für jede andere sind sie zu blasirt.«
»Wie kommt es aber,« lachte Annette, »daß alle diese Menschen sich vor Ihnen fürchten wie harmlose Lämmer, und nur, weil Sie so schadenfroh seien?«
»Das machen sich die Leute selber weiß. Sie fürchten mich nur, weil ich nicht ihre Sprache rede, weil ich immer ein Licht in der Hand trage und nicht in halber Dämmerung einherschreite, daß sie sich einbilden können, ich habe nichts gesehen; weil ich z. B. nicht, wenn Einer von ihnen vergebens sich um eine Stelle bemüht hat, also spreche: ›Der arme K. hat trotz der vielen Mühe, die er sich gegeben, trotz allen seinen unläugbaren Meriten, die Stelle doch nicht erhalten.‹ Nein, ich sage einfach: ›Der einfältige Mensch hat sich vergebens die Beine abgelaufen; er hätte doch voraus wissen können, daß er diesem Posten nicht gewachsen ist.‹ Das ist der Unterschied zwischen der ›Gesellschaft‹ und mir: ihre Schadenfreude hüllt sich in den falschen Mantel des Bedauerns, während die meinige offen einhertritt; sie wühlen mit heuchlerischer Theilnahme zu ihrem Vergnügen in Wunden, die ich, rasch vorübergehend, unangetastet lasse.«
»Nein, nein, Sie thun diesen Leuten Unrecht; ich habe immer unendlich viel mehr freundliche Theilnahme als kalte Gleichgiltigkeit gefunden. Wie freuten sich Alle mit mir, daß Stephanie zurückkehren werde!«
»Weil sie hofften, daß um der jungen Tochter willen mehr Fêten in Ihrem Hause sein würden, daß sie mehr Gelegenheit zum Pavaniren und Moquiren erhielten.«
»Graveneck! Graveneck!«
Stephanie trat in diesem Augenblicke hinzu. Sie wollte sich dadurch, wie es schien, von Richards Unterhaltung befreien; es half aber nichts, er begleitete sie bis zu ihrer Mutter und selbst da vermochte die widerwärtige Gegenwart des Oberschenks ihn nicht zu verscheuchen.
»Fräulein Stephanie,« sagte dieser mit seinem gewöhnlichen spöttischen Ausdruck, »wie alt sind Sie?«
»Schon siebzehn.«
»Gut, also schon siebzehn, wie Sie sagen, erst siebzehn, wie ich sage. Nun, trotz dem, daß Sie erst siebzehn Jahre alt sind, sehe ich dennoch in Ihren aufgeweckten Augen etwas, das jetzt schon einen Schritt weiter ist, als die sich ewig gleich bleibende Engelsunschuld Ihrer Mutter. Glauben Sie, daß die Menschen hier im Zimmer alle in freundschaftlichen, theilnehmenden Gesinnungen Ihr Haus besuchen?«
»Nicht Alle,« sagte Stephanie lachend, »aber doch Einige.«
»Nein, Keiner, kein Einziger!« rief Graveneck.
Sein Auge überflog noch einmal wie prüfend die Gesellschaft, blieb zuletzt an Richard haften, und dann sagte er noch einmal mit der höchsten Bestimmtheit: »Nein, diese Leute kenne ich alle; da ist kein einziger wahrer Freund darunter.«
»Also ich auch nicht?« fragte Richard in scheinbar komischer Laune.
»Nein, Sie auch nicht. Ihre Gesinnung für dieses Haus sieht aus wie Anhänglichkeit, ist aber doch nur baarer Egoismus.« Er lachte schadenfroh, Richards Gedanken so enthüllt zu haben, und stand rasch auf.
Annette hatte ihn nicht verstanden, wohl aber Stephanie, die dem Oberschenk folgte.
Die Hausfrau wendete sich zu Richard. »Wenn mein alter Freund nur nicht so beißend und mißtrauisch wäre!«
»Lassen Sie ihn, wie er ist; er ist ein Original und ein Ehrenmann. Ich liebe und verehre ihn außerordentlich, wäre aber nie so keck, ihm dies zu sagen.«
»Da haben Sie Recht, er würde es nicht glauben und Sie zum Dank vielleicht beleidigen. Aber daß Sie seinen Werth, trotz des rauhen Aeußern, so richtig beurtheilen, freut mich an Ihnen; junge Leute lassen sich sonst so leicht vom Schein beirren.«
»Ich gehöre nicht mehr zu den jungen Leuten. Ich bin heute um meinen Abschied eingekommen und werde mich nun als ein solider alter Herr auf einem der Güter meines Oheims niederlassen.«
»Erst wirst Du reisen,« sagte eine tiefe Stimme hinter Richard. Er wendete sich rasch und stand vor seinem Oheim.
»Ja, ich habe es mir überlegt; es ist grausam, Dich jetzt im Winter auf das Land zu verbannen; gehe lieber noch auf einige Zeit nach Paris. Habe ich nicht Recht, gnädige Frau?«
»Sie sind ein gütiger Oheim.«
»Soll ich allein nach Paris?« fragte Richard mißtrauisch.
»Wie Du willst.«
»Nein, ich will lieber bei Ihnen bleiben.«
Auf den alten Grafen wirkte dieses Opfer nicht, weil er es durchschaute und darin nur die Besorgniß um das Erbtheil sah.–
Als er nach Hause kam, fand er einen Brief seines jüngern Neffen Alexander.
Trotz der späten Stunde, schickte er seinen Kammerdiener noch einmal weg und setzte seine Brille auf, um den Brief sogleich zu lesen. Hier ist ein Auszug desselben:
›Bester Oheim!
Ihr letzter, liebevoller Brief hat mich sehr gerührt. Sie sind im vollen Sinne des Wortes mein zweiter Vater, und darum will ich auch zu Ihnen sprechen, wie ich zu meinem guten, verstorbenen Vater gesprochen haben würde. Zürnen Sie mir aber nicht, wenn meine Wünsche Ihren Absichten mit mir entgegenlaufen. Sie äußern, ich solle Militär bleiben; leider aber habe ich durchaus keine Freude am Soldatenspiel im tiefen Frieden. Dieses ewige Einexerciren von Menschen, die vielleicht nie im Ernst eine Muskete abfeuern werden, hat für mich etwas unbeschreiblich Entmuthigendes; es ist eine wahre Sysiphusarbeit! dagegen fühle ich in mir den größten Trieb zu einem andern Fache, und zwar zur Landwirthschaft. Ich liebe den Aufenthalt in Städten nicht und besitze Alles, was mir nöthig scheint, um ein erträglicher Oekonom zu werden; nur müßte ich dann freilich noch in eine gute Schule. Von dem, was Ihre Großmuth mir seit Jahren geschenkt, habe ich eine Summe erübrigt, die hinreichen würde, mich einige Jahre in meinen landwirthschaftlichen Studien zu unterstützen, und dann, lieber Oheim, verpachten Sie mir das kleine Gut Flörsheim. In Ihrem Briefe sagen Sie ja, Sie wollten es mir für meine alten Tage schenken; aber das kann ich nicht mehr annehmen; Sie haben schon so viel für mich gethan! Meine Mutter, mein Bruder leben reichlich von Ihnen beschenkt; es wäre zu viel. – Verbergen darf ich Ihnen nicht, was ohnedies mein Bruder Ihnen vielleicht schon mitgetheilt hat. Ich rede von meiner Liebe, die einen großen Antheil am Wunsche hat, meinen Abschied zu nehmen. Als Lieutenant kann ich Fräulein von Berstorff meine Hand nicht bieten, eher aber als ein Mann, der selbstständig für seine Existenz sorgen kann. Sie ist ja erst siebzehn Jahre alt und wird mir zu Liebe wohl noch einige Jahre warten; denn sie ist mir wirklich gewogen, was ich aber Richard verschwieg, weil ich seine Geschwätzigkeit in Dingen dieser Art wohl kenne. Er weiß nur von meiner Liebe. – Antworten Sie mir bald, bester Oheim. Ich wohne hier in einem sonderbaren Hause voll dunkler Räthsel, wo jedes freundliche Zeichen aus der Außenwelt mir doppelt willkommen ist.‹
»Also er liebt Stephanie? und sie liebt ihn? Abscheulich, daß Richard dem eig'nen Bruder das Mädchen rauben will!« So rief der alte Graf, nachdem er gelesen, in gerechtem Zorn. In tiefen Gedanken ging er zu Bett und konnte lange nicht schlafen.
Im Hause des Ministers waren auch noch viele Augen offen. Stephanie hatte ihre Mutter in ihr Schlafzimmer begleitet, die Kammerfrau weggeschickt und sie selbst entkleiden helfen; und nun knieete sie vor der Mutter Bett, das Haupt in den Decken verborgen, und beichtete ihre Liebesgeschichte mit Alexander Auperg.
»O Mutter, ich kann Dir nicht sagen, wie es kam, daß ich ihn nach und nach so lieb gewann. Er wohnte dem Erziehungshause gegenüber, und oft geschah es, wenn ich mit den übrigen Pensionären spazieren ging, daß ich ihm begegnete. Er gefiel mir Anfangs gar nicht. Er ist nicht so sorgfältig und elegant gekleidet, wie sonst unsere Officiere, sein Gesicht ist ernst, seine Haltung nachlässig. Im Hause der Tante, das ich bisweilen besuchen durfte, lernte ich ihn kennen. Mit wahrhaft rührender Güte las er ihrem blinden Sohne vor, dessen Freund er ist. Anfangs bewunderte ich nur sein schönes Organ, dann die gute Wahl dessen, was er las, dann wie er es las. Es dauerte lange, ehe er auf mich aufmerksam wurde; aber dann sprach er viel mit mir. Ich sah ihn oft im Garten, wo ich mit dem blinden Vetter spazieren ging; ich merkte, daß er Freude über mein Kommen, Betrübniß über mein Gehen empfand. Seine erste Liebeserklärung hat er in den Sand des Gartens geschrieben, als wir zwei mit dem blinden Eduard auf der Gartenbank saßen,« setzte Stephanie stockend und weinend hinzu.
»In Sand! Das ist ein böses Omen,« lächelte Annette durch Thränen der mütterlichen Angst.
»Das thut nichts, Mama, seine Worte stehen unvergänglich wo anders. Ach, Mutter! Mutter! verzeihst Du mir?« rief sie plötzlich in Thränen ausbrechend.
Annette schloß ihr Kind an's Herz und sagte, sobald Herr von Berstorff zu ihr komme, wolle sie ihm Alles mittheilen; »denn es ziemt sich, daß der Vater es erfährt.«
Herr von Berstorff saß nicht weit davon in seinem Arbeitscabinet und las eifrig eine diplomatische Depesche, die er diesen Abend erhalten, nicht ahnend, was eben seine Tochter, die er auf das Zärtlichste liebte, seiner Frau vertraute. Es war für das Verhältniß zwischen ihren Eltern gut, daß Stephanie zurückgekehrt war. Obgleich sich beide im Herzen nahe standen, so hatte sich doch nach und nach ein falscher Ton zwischen ihnen eingeschlichen. Annettens Demuth, ihre Unschuld und Unwissenheit verleiteten ihren Mann, sie wie ein Kind zu behandeln und ihr oft in Gegenwart eines Dritten einen begangenen Irrthum im Tone eines Lehrers zu verweisen.
Dies war so nach und nach gekommen, daß Beide es nicht wußten. Erst die Gegenwart der Tochter machte sie aufmerksam. Herr von Berstorff fühlte, daß er die Mutter nicht dem Kinde gleich behandeln müsse; er wurde rücksichtsvoller, zuvorkommender gegen Annette um Stephaniens willen, die mit ganzer Seele sich an die Mutter hing, während Sie dem Vater gegenüber in scheuer Ferne blieb. Herr von Berstorff war auch kein Mann, zu dem ein junges Mädchen, selbst wenn sie seine Tochter war, großes Zutrauen fassen konnte. – Er lachte beinahe nie, seine scharfen Züge, seine durchdringenden Augen verriethen Nachdenken und Menschenkenntniß; er sprach nicht viel mehr als nöthig war und zeigte sich möglichst selten in Gesellschaft.
Als Minister stand ihm diese Zurückhaltung wohl an; sie verlieh ihm einen gewissen Nimbus, den er durch seine Amtsführung nicht erlangen konnte. Das fühlte er auch recht gut und hatte zu Annetten gesagt:
»Unsere Tochter muß eine reiche Partie machen; ich besitze kein Vermögen und will das Portefeuille in zwei bis drei Jahren abgeben, um mit einer wohlverdienten Pension in Ruhe zu leben. Ein Anderer mag dann meine Märtyrerkrone tragen, ein Anderer mag fühlen was es heißt, gegenüber den übertriebenen Forderungen der Neuzeit ein treuer Diener seines Herrn zu bleiben; zwischen dem geweihten Haupte des Landesfürsten und den Gliedern eines stets aufgeregten Riesenkörpers vermitteln zu sollen, welche alle einen Willen haben und jedes einen verschiedenen. Ein Anderer mag dann seinen ehrlichen Namen leihen, um ihn der Verläumdung der undankbaren Massen, denen man nie genug gethan, preiszugeben; ich will es nicht mehr.«
Während der Minister solche Entschlüße faßte, hörte er in dem Zimmer über dem seinen heftige auf und ab wandelnde Tritte. Es war Corneliens Zimmer. – Sie war noch nicht ausgekleidet, das schwarzseidene Kleid rauschte in schweren Falten um ihre sich heftig bewegende Gestalt. Sie hatte die Locken zurück aus dem Gesichte gestrichen, ihre sehr gewölbte Stirne war ganz frei und stark geröthet, aber thränenlos flammten ihre dunklen großen Augen. – Sie trat an's Fenster und öffnete es. Die eiskalte Nachtluft strich um ihre Schläfe; sie fröstelte, schloß es wieder und warf sich auf ihren Divan, in die Worte ausbrechend: »Eiskälte überall! nur in mir diese unselige Gluth! – Diese Liebe für den Mann, von dem mir eine innere Stimme sagt, daß er mich nie geliebt, daß er überhaupt keiner Liebe fähig ist! Sechs Jahre lang, sechs lange fürchterliche Jahre lang habe ich auf ein Liebeszeichen von ihm gewartet! Und mein Stolz hat mich aufrecht erhalten, als ich ihn wieder sah, daß ich ihm nicht zu Füßen fiel und seine Kniee umklammerte im unendlichen Jubel, ihn wieder zu sehen. Seine hohe Gestalt trat beinahe unverändert vor mich, nur bedeutender, männlicher. Und ich!« – Sie trat vor den Spiegel und betrachtete sich mit schmerzlicher Neugierde. »Dreiundzwanzig Jahre alt – und wie sehe ich aus!« – Und dennoch hatte sie vielleicht nie vortheilhafter ausgesehen, als in diesem Augenblick, wo der rührendste Schmerz ihre Züge verklärte.
Im weiblichen Herzen, das zum erstenmal liebt, liegen Himmel und Hölle beisammen, und die brennende Qual, die eines Weibes Stolz verbrennen muß, wenn sie sich verlassen, aufgeopfert sieht – davon hat kein Mann eine Ahnung. Cornelie galt für kalt und gefühllos, und nie hat ein leidenschaftlicheres Herz in einer Frauenbrust geschlagen. Sie wußte das zu ihrem Unglück. Sie haßte sich selbst um ihrer starken Empfindungen willen; sie fand stille, ruhige Frauen allein liebenswürdig, sie verbarg um jeden Preis ihren wahren Charakter und ging darin, wie in Allem, zu weit; sie erschien herzlos und hart.
Wir sind wieder bei Alexander. Er liegt krank im Bette und zu dessen Häupten sitzt seine Hausfrau, gehüllt in ihren unabänderlichen schwarzen seidenen Mantel, und beobachtet ihn. Sein Fieber ist eine Folge des Schreckens jener Nacht, wo er in seinem Zimmer jene Erscheinung gesehen, die übrigens jetzt alles Unheimliche in der Erinnerung verloren hat, denn er kennt den Zusammenhang.
Es war wirklich seine Hausfrau gewesen; das erfuhr er von der Magd. Diese hatte sie oft, wenn Vollmond war, Nachts die Treppe hinab gehen sehen, aber nicht gewußt, was sie unten trieb, denn sie wagte es nicht, ihr zu folgen. Als Alexander der Magd erzählte, daß sie nichts gethan, als vor dem Toilettentisch sich im Spiegel gemustert, da erklärte sich auch, warum sie schlafwandelnd gerade jenes Zimmer besuchte. Sie hatte beim Einzug in das Haus alle Spiegel entfernt und nur jenen im Fremdenzimmer übrig gelassen, das sie bei Tage nie betrat. Diese nächtlichen Gänge und ihr ganzes scheues, menschenfeindliches Wesen ließen Alexander vermuthen, daß sie eine sehr traurige Vergangenheit gehabt, und ein großes Mitleid mit der alten verlassenen Frau zog in sein Herz.
Als Madame Ahlen von ihrer Magd gehört hatte, daß er erkrankt zu Bette liege, ging sie hinab in sein Zimmer und saß Tag und Nacht an seinem Bette, eine treue, aber anscheinend theilnahmlose Wärterin. –
Sie selbst that für seine Pflege weiter nichts. Nur wenn die Stunde kam, wo er Arznei nehmen sollte, stand sie auf und klingelte seinem Bedienten, sobald aber dieser oder Alexanders Cameraden gegenwärtig waren, ging sie in das Nebenzimmer; nur wenn der Kranke sich ganz allein befand, blieb sie bei ihm.
Nach wenigen Tagen fand sich Alexander in vollkommener Genesung. Er saß im vordern Zimmer auf dem Kanapé und träumte von Stephanie. Es war beinahe schon ganz dunkel, aber er wollte kein Licht; in der Dämmerung wurde es ihm leichter sich das holde Bild der jugendlichen Geliebten vorzuzaubern, als beim grellen Schein der Lampe. Da öffnete sich leise die Thüre, und trotz der Dunkelheit konnte Alexander leicht die Gestalt seiner Hausfrau erkennen, die schüchtern eintrat.
»Sind Sie hier, Graf Auperg?« fragte sie.
Alexander sprang auf und schellte nach Licht, indem er Madame Ahlen einige freundliche Worte sagte. Nachdem man die Lampe gebracht, nahm sie neben ihm Platz; es war das erstemal, daß sie bei heller Beleuchtung ihm so nahe gegenüber saß, und dennoch konnte er wenig von ihr sehen. Ihr schwarzes Mäntelchen ließ von ihrer Gestalt nichts errathen, eine große altfränkische Haube mit breiter Garnirung umhüllte ihren Kopf, ein großer grüner Schirm verdeckte ganz und gar ihre Augen. Alexander sah nichts von ihrem Gesicht, als den welken, eingefallenen Mund mit schlechten Zähnen.
»Wie dankbar bin ich Ihnen, beste Madame Ahlen, daß Sie einige Nächte so aufopfernd bei mir gewacht; ich wußte es nicht, sonst würde ich es nicht geduldet haben.«
»Sie brauchen sich bei mir nicht zu bedanken,« versetzte die Witwe trocken; »ich lebe nur um eines Zweckes willen, und diesen zu erreichen, daran hindert mich Ihre Krankenpflege nicht.«
»Kann ich Ihnen nicht vielleicht nützlich sein?«
»Nützlich? o ja; es kann sein, daß ich Sie gebrauche, ich werde Sie dann an Ihr Anerbieten erinnern.«
»Sie haben wohl keine Mutter mehr?«
»Meine Mutter lebt noch; ich habe aber nur kurze Zeit meines Lebens bei ihr zugebracht. Schon als kleine Knaben schickte mein Oheim uns Brüder in eine Schweizer-Pension, dann trat ich in's Regiment. Mein älterer Bruder, der künftige Majoratsherr und Erbe meines Oheims, ist der Liebling meiner Mutter; doch das ist natürlich: sie ist selbst eine schöne elegante Frau, am Hofe erzogen, mit den höchsten Ansprüchen auf Eleganz und Pracht. Mein Bruder theilt diesen Geschmack und auch das Talent dafür; denn es ist ja ein Talent, elegant zu sein. Mir hat es die Natur versagt, zum großen Kummer meiner Mutter und auch wohl meines Oheims, der aber als Mann sich weniger darüber ausspricht.«
»Was ist Ihr Oheim für ein Mann?« fragte die Alte näher rückend.
»Ein vortrefflicher, ein Ritter, ein Edelmann im ganzen besten Sinn des Wortes! O wäre ich wie er!«
»Reden Sie nicht so, junger Mann! Man soll sich nie wünschen, wie ein Anderer zu sein, weder was den Charakter noch was die Verhältnisse betrifft. Wie oft habe ich vielbewunderte, hochgepriesene Menschen Handlungen begehen sehen, deren sich der Verachtete, Geschmähte geschämt haben würde. Ich habe immer ein Mißtrauen gegen die Gepriesenen. Wenn Sie Ihres Oheims ganzes Leben kennten, würden Sie vielleicht zurückschaudern vor einem Vergleich mit diesem Manne.«
»Sie beleidigen mich auf's Tiefste, Madame, indem Sie einen Zweifel gegen den Charakter meines Oheims aussprechen.«
Sie lachte bitter. »Junger Mann, ich kenne ja Ihren Oheim nicht; ich sprach nur das Resultat meiner Lebenserfahrungen aus.«
In diesem Augenblick erscholl die Klingel am Thore, und gleich darauf hörte man eine tiefe Stimme auf dem Gang. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen, fuhren Alexander und die Witwe empor, und: »Er ist's!« erscholl aus Beider Mund.
Die Thüre ging auf und auf der Schwelle stand Graf Wolf. Alexander flog an seinen Hals.
Als die erste stürmische Freude sich gelegt, fragte der Neffe: »Aber, um Alles in der Welt, Oheim, wie kommen Sie hierher?«
»Einer Deiner Cameraden hatte seiner Schwester geschrieben, Du seiest bedeutend krank, und diese erzählte es mir in einer Gesellschaft; ich hatte erst den Tag vorher Deinen Brief erhalten. Da entschloß ich mich denn gleich herzukommen und nach meinem armen Jungen zu sehen. Nun, Gott sei Dank, daß Du wieder besser bist; nun brauche ich nicht zu Deiner Pflege bei Dir zu bleiben, ich kann Dich mit mir nehmen nach Auperg bis zu Deiner gänzlichen Wiederherstellung.«
»Ich war,« erwiederte Alexander, »hier im Hause sehr gut aufgehoben; aber –«
Er sah sich um nach seiner Hausfrau, doch sie war verschwunden, sie mußte bei der Ankunft des alten Grafen menschenscheu die Flucht ergriffen haben, ohne daß er es in seiner Freude über die ungewohnte und unerwartete liebevolle Sorgfalt des Oheims bemerkt hatte.
Während Alexander bei seinem Oheim auf dem Lande war, hatte seine junge Geliebte traurige Tage zu bestehen.
Richard, von dem sich Graf Wolf auffallend kalt und unfreundlich getrennt hatte, wurde nun wirklich um die Gunst seines Oheims besorgt, um so mehr, da er zufällig erfuhr, daß derselbe die landesherrliche Bewilligung, ein Majorat zu stiften, erhalten hatte.
Es mußte ihn befremden, daß er ihm kein Wort davon gesagt. Er betrieb seinen Abschied und beschloß, um die Hand Stephaniens geradezu bei ihrem Vater anzuhalten; seine Aussichten in die Zukunft gaben ihm ja das Recht, als Freier eines solchen Mädchens aufzutreten.
Herr von Berstorff nahm ihn freundlich auf, versprach mit seiner Tochter zu reden, und bat ihn, morgen wieder zu kommen, um die Antwort zu erhalten. Daraus, daß er selbst die Antwort holen sollte, schloß Richard, daß sie eine günstige sein werde.
Als der Minister seine Tochter rufen ließ, und ihr Richards Antrag mittheilte, warf sie sich weinend in seine Arme.
»Ich kann nicht, Vater, es ist unmöglich!«
»Und warum nicht, thörichtes Kind? Ist der Graf nicht ein liebenswürdiger Mann, ein vollkommener Cavalier?«
»Das mag er sein, und noch viel mehr, aber – aber –«
»Du liebst doch nicht einen Andern?
»Ich bin eines Andern Braut!«
Als Stephanie nun, gedrängt von ihres Vaters heftigen Fragen, ihm gestand, daß sie den jüngern, unbemittelten, unbedeutenden Bruder liebe und um seinetwillen den künftigen Majoratsherrn ausschlagen wolle, machte er es wie alle Väter; er vergaß, daß er einst selbst jung gewesen, selbst so gedacht und an ihrer Stelle auch so gehandelt haben würde. Er wollte seines einzigen Kindes Herz dem Reichsten verkaufen, und der Minister war doch kein böser Mensch, er war nur ein Mann der Welt.
Als Annette von ihrer weinenden Tochter vernahm, was vorgefallen war, eilte sie zu ihrem Manne.
Mit düsterem Gesicht sah er ihr entgegen. »Ich komme um Stephaniens willen,« sagte sie, schüchtern in der Mitte des Zimmers stehen bleibend.
»Ich weiß, Du bist wahrscheinlich auf ihrer Seite?«
»So ist es. Ich meine, da sie Graf Alexander Auperg liebt und –«
»Ihr versteht Beide nichts. Es handelt sich hier nicht darum, ob sie den einen oder den andern Bruder heirathen soll, sondern ob sie Graf Richard oder keinen nimmt; denn Alexander kann sie gar nicht heirathen; er hat nichts als seine Gage und vielleicht ein Paar hundert Thaler Zulage von seinem Oheim, der ihm auch wohl später ein kleines Legat vermacht, während Graf Richard, wie er mir selbst gesagt, jetzt schon die Verwaltung der großen Güter seines Oheims antreten soll und also in diesem Augenblick eine der ersten Partien des Landes ist.«
»Karl,« rief Annette mit Thränen in den großen rührenden Augen, »Karl, als wir uns heiratheten, hatten wir auch Beide nichts als Deinen Gehalt, und Du bist jetzt der Nächste nach dem Fürsten!«
»Was wir gethan,« erwiederte der Minister in etwas verlegenem Tone, »ob das Recht oder Unrecht war, davon ist jetzt nicht die Rede, sondern daß es jetzt unsere Pflicht ist, auf's Beste für unser einziges Kind zu sorgen, statt, wie Du thust, sie in ihren kindischen, unhaltbaren Gedanken zu bestärken.«
Annettens dringende Bitten halfen nichts, der Minister beauftragte sie nur, Stephanien zu eröffnen, daß sie morgen Richard freundlich zu empfangen und ihm das Jawort zu ertheilen habe. Die beiden Frauen weinten nun den Abend und die ganze Nacht zusammen. Annette sagte: »Es bleibt Dir nichts übrig, als Dich zu fügen;« aber Stephanie ermannte sich plötzlich: »Nein, Mutter, ich werde dem Vater schreiben, ich wolle mit Alexander brechen, ihm alle Hoffnung nehmen; aber Graf Richard kann ich nicht heirathen, und wenn er zu mir käme, würde ich ihm das selbst sagen.«
Sie that, wie sie sich vorgenommen, und als ihr Vater sie rufen ließ, erklärte sie ihm mit der größten Festigkeit, daß sie Richard, sobald er zu ihr komme, unwiderruflich ihre Abneigung offen gestehen werde.
Man zwingt heutzutage keine Tochter mehr mit Gewalt zum Heirathen; die Tage, wo man eine weinende, widerwillige Braut zum Altar schleppte, sind vorüber. Die Männer unserer Zeit haben mehr Zutrauen zu sich gewonnen und denken immer noch eine Frau mit ihrem Willen bekommen zu können; daß es eine andere ist, darüber trösten sie sich.
Das sah der Minister auch bei Richard voraus, und er mußte deshalb den Gedanken an diese Heirath aufgeben, so schwer es ihm auch wurde. Er schrieb dem Grafen einen Absagebrief, der ein diplomatisches Meisterstück wurde, dergestalt, daß Richard ihn zweimal lesen mußte, ehe er begriff, ob er ein Ja oder ein Nein enthielt.
Richard empfing den Korb Stephaniens mit großer Gelassenheit; er hatte eben einen Brief seines Oheims erhalten, der ihn für den Augenblick für alles Andere gleichgiltig machte. Derselbe lautete wie folgt:
›Du weißt, Richard, daß das einzige Interesse meines Lebens noch ist, meiner Familie für die Zukunft eine gesicherte Stellung zu geben. Ich habe deshalb ein Majorat gegründet und ersah Dich von Deiner frühesten Kindheit an zum ersten Besitzer dieser neuen Herrschaft. Schon Deine Erziehung war darauf berechnet, Dich für Deinen künftigen Stand auszubilden, während Dein Bruder nur gelehrt wurde, was man braucht, um ein guter Officier zu sein. Wie kommt es nun, daß er so sehr viel mehr weiß wie Du, obgleich er nicht studiert hat, obgleich er nicht, wie Du, Jahre lang zu seiner Ausbildung gereist ist? Aber er weiß nicht nur mehr, er ist auch unendlich viel mehr als Du; er hat als Mensch einen unberechenbaren höheren Werth. Das habe ich jetzt erst einsehen lernen, seitdem er bei mir ist, spät, aber, Gott sei Dank! nicht zu spät. – Er ist innerlich, was Du äußerlich bist – ein vollkommener Cavalier. Darum wird er mein Erbe und Majoratsherr, Dir aber, um den Erwartungen, die ich in Dir gepflegt, nicht eine zu grausame Niederlage zu geben, Dir legire ich ein Capital von hunderttausend Thalern mit der Bedingung, daß Du Fräulein Cornelie Pidoll, die Du vor Jahren unwürdig verlassen, Deine Hand reichst. Daß sie nicht von Adel, ist gleichgiltig, da Du nicht der Stammherr einer neuen Familienfolge werden sollst. Auf jeden Fall macht Dir die Verbindung mit ihr mehr Ehre als die mit Fräulein Stephanie, deren Hand Du unwürdig Deinem Bruder stehlen wolltest, dessen Leidenschaft für sie Du kanntest, aber mir wohlweislich verschwiegst.‹
Richard verlor alle Fassung über diesen Brief. Er eilte damit zu seiner Mutter, die sogleich anspannen ließ und zu ihrem Schwager fuhr, um für ihren Liebling zu bitten; aber vergebens, sie kehrte entmuthigt zurück und rieth nun selbst ihrem ältesten Sohne, um Cornelien anzuhalten, da dies das einzige Mittel scheine, seines Oheims Gunst nicht ganz und gar zu verscherzen. Was blieb ihm auch anders übrig?
Cornelie saß wie gewöhnlich mit ihrer Arbeit bei der Tante im Salon, als zwei Briefe gebracht wurden, der eine an Frau von Berstorff, der andere an sie. Sie kannte die Schrift nicht und legte ihn deshalb ruhig und theilnahmlos in ihr Arbeitskörbchen, während die Tante neugierig den ihrigen erbrach. Stephanie stand am Fenster, die Stirne an die Scheiben gedrückt, in tiefe, traurige Gedanken versunken. Da rief ihre Mutter mit einem Tone, dessen jubelnder Klang an den Schlag der Lerche erinnerte: »Stephanie!«
Verwundert wendete sie sich um. Als sie der Mutter verklärtes Gesicht sah und den Brief in ihrer Hand, ahnte sie, daß es ihr Glück gelte.
»Stephanie! der Himmel erhört meine Bitten! Du wirst glücklich!« Sie reichte ihr den Brief, in dem Graf Wolf für Alexander um Stephaniens Hand anhielt und zugleich die Erklärung beifügte, daß sein jüngerer Neffe Majoratsherr werde. – Für Herrn von Berstorff lag ein Brief bei. Stephanie flog mit den beiden Briefen zur Thüre hinaus, hinüber zum Vater, die Mutter eilte ihr nach in Freude und Besorgniß.
Cornelie war allein geblieben, ihr hatte Niemand etwas mitgetheilt, aber sie hatte alles errathen. Wem ihrer Cousine überschwängliche Freude galt, das wußte sie freilich nicht, aber sie wußte genug, um in ihr eine glückliche Braut zu sehen. Mit einer unaussprechlich bittern Empfindung stand sie auf, da fiel ihr der Brief ein, der ihr gebracht worden, und sie ging damit in ihr Zimmer.
»Er wird auch einen Antrag enthalten,« sagte sie höhnisch zu sich selbst. Und so war es. Richard's Mutter schrieb an sie und bat sie um Verzeihung im Namen ihres Sohnes, der nun endlich vom Oheim in eine, wenn auch nicht glänzende, doch unabhängige Stellung versetzt sei und um ihre Hand bitte. Erschüttert ließ sie den Brief fallen, sie war wie versteinert. Endlich aber konnte ihr betäubter Kopf den Inhalt fassen, und in unermeßlichen Jubel ausbrechend, warf sie sich auf die Kniee und hob die Arme zum Himmel.
»Zuviel des Glückes, zuviel! allmächtiger Gott, ich trag es nicht! Er liebt mich noch, er erwählt mich vor allen Frauen des Landes zu seiner Gattin! O Gott, verzeihe, daß ich ihm Unrecht gethan und ihn keiner wahren Liebe fähig gehalten!«
Thränen entstürzten ihren Augen, Thränen der Freude. Sie trocknete sie nicht, ungehindert strömten sie ihre Wangen hinab und fielen Tropfen um Tropfen auf ihre fliegende Brust.
Der Brief der Gräfin Auperg schloß mit den Worten:
›Kommen Sie zu mir, liebes Kind und bringen Sie mir Ihr Jawort, das ich selbst nicht bei Ihnen abholen kann, da ich unwohl bin. Ich bin allein.‹
Cornelie warf ihre Mantille um, setzte rasch den Hut auf und wollte forteilen, als schon an der Thüre das Gefühl über sie kam, das bisher ihre einzige Stütze im vereinsamten Leben gewesen – ihr weiblicher Stolz. Sie kehrte beschämt langsam wieder um, legte den Hut ab und setzte sich auf ihr Ruhebett, den Kopf auf die Hand gestützt. Was hatte sie thun wollen? Augenblicklich ihr Jawort geben? Nach jahrelangem Warten – liebte er sie auch wirklich und ächt? Daran zu zweifeln, hatte sie keinen Grund, konnte sie doch die Ursache seiner Bewerbung nicht ahnen. Mußte sie aber nicht durch würdevolle Ruhe beweisen, daß sie nicht auf seinen Antrag gewartet, gehofft? Mußte sie nicht durch den Schleier scheuer Zurückhaltung ihre Liebe an den Tag treten lassen? mußte sie nicht die schwere Pflicht der Frauen üben, ihre Leidenschaft zu verbergen?
»Ja,« sagte sie laut und langsam, »wir dürfen nie und niemals zeigen, daß wir heftig empfinden. Eine Frau, die aus Liebe blaß ist, mag diese Liebe nun eine glückliche oder unglückliche sein, ist ja den Männern nur ein Gegenstand des Spottes, den Frauen – der Verachtung!«
Und vielleicht hatte sie recht. Wohl den Frauen, und glücklicherweise sind die meisten so, deren Gefühle, wenn auch tief und innig, doch mild und sanft sind, nicht heftig und erschütternd wie der tobende Sturm; so dürfen nur Männer empfinden. Bei den Frauen ist gewaltsame Empfindung – und eine solche äußert sich auch immer so – unangenehm, zurückstoßend, oft erschreckend. Was sie aus dem fest vorgezeichneten Geleise des Anstandes oder der Sanftmuth, die ihr höchster Reiz sind, wirft, nimmt ihnen den Zauber. Es giebt freilich Männer, die eine leidenschaftliche, glühende Frau schön finden, aber doch nur, so lange sie selbst diese Leidenschaft, diese Gluth theilen, und Leidenschaft und Gluth können ja nicht währen; und sonderbarerweise, wenn man leidenschaftlich liebt, geht immer beim Manne die Liebe zuerst aus, und die überlebende Leidenschaft hat dann ein trauriges Loos.
Das alles wußte Cornelie, sie hatte es sich schon hundertmal vorgesagt, und doch war sie eben im wichtigsten Augenblicke ihres Lebens nahe daran gewesen, all die mühsame Verschleierung ihres wahren Charakters zu vereiteln, indem sie sich zeigte, wie sie war – feurig und liebend.
Sie ging im Zimmer auf und ab und sagte dabei zu sich selbst: »ruhig! ruhig!« aber ihr Busen flog, ihre Hände zitterten und die wankenden Kniee konnten sie kaum tragen. Endlich war sie gefaßt genug, um an ihren Schreibtisch zu treten und der Gräfin zu antworten, was ihr jetzt als das einzig Passende erschien. Diese wenigen Zeilen kosteten ihr mehr Mühe, als Alles, was sie bisher in ihrem Leben geschrieben; sie zerriß einmal um das andere den begonnenen Brief; endlich hatte sie folgendes Billet zu Stande gebracht:
›Gnädige Frau, muß ich Ihnen sagen, daß der Inhalt Ihres Briefes mich auf das Höchste überraschte, da ich nach sechsjährigem Stillschweigen mich von Ihrem Herrn Sohne gänzlich vergessen glaubte und mich auch längst in mein Loos gefunden hatte.– Ich habe außer ihm nie einen Mann geliebt, ihn aber Jahre lang für einen Treulosen, Meineidigen gehalten. Geben Sie mir Zeit, gnädige Frau, in meinem Herzen diese Vorstellung, mit der, die ihm gebührt, zu vertauschen; lassen Sie mich die klare Anschauung seines Werthes nach und nach gewinnen. – Heute Nachmittag aber erlauben Sie mir persönlich eine Bekanntschaft zu machen, die für mich die glückbringendste meines Lebens werden kann.‹
Cornelie hatte zufällig noch nie die Gräfin gesehen. Nachdem sie das Billet weggesandt, ging sie zu ihrem Oheim und theilte ihm Richard's Werbung mit. Kein Zug im Gesichte des Diplomaten verrieth, daß er ihrem Freier erst vor wenigen Tagen im Namen seiner Tochter einen Korb gegeben. Er sondirte Cornelien, ob sie von der veränderten Willensrichtung des alten Grafen Auperg etwas wisse, und daß Alexander, sein künftiger Schwiegersohn, Majoratsherr werde; er fand sie aber ganz unwissend in diesem Punkte, und da die Worte der Gräfin: ›eine unabhängige Stellung,‹ ihn über ihre Zukunft beruhigten, so fand er für gut, ihr auch nichts davon mitzutheilen, sondern ihr nur von der bevorstehenden Verlobung seiner Tochter mit dem jüngern Bruder zu sagen.
Cornelie sah ihn verwundert an. »Den jüngern Bruder? und dazu geben Sie Ihre Einwilligung?«
»Warum nicht? die jungen Leute lieben sich längst, sein Oheim wirbt selbst für ihn und giebt mir die besten Zusicherungen wegen seiner Zukunft, und ich erwarte nur seine persönliche Ankunft, um ihm das Jawort zu ertheilen.« Cornelie sah ihn beschämt an und dachte, ihr Oheim sei der zweite Mann, von dem sie heute einsehe, daß sie ihm Unrecht gethan. Sie hatte nicht anders gedacht, als, er suche für seine Tochter eine glänzende Partie.
Herr von Berstorff verbot sogleich seiner Frau und Stephanien, Cornelien von des Oheims Entschluß zu Gunsten Alexanders etwas mitzutheilen.
»Richard mag es ihr selbst erzählen,« sagte der Minister; »durch uns soll kein Wermuthtropfen in den Kelch ihrer Freude gegossen werden.«
Nachmittags schmückte sich Cornelie für die Mutter mit einer Sorgfalt, wie sie nie für den Sohn gethan hatte.
Im Hause der Gräfin wurde sie offenbar erwartet; ein auffallend reich gallonnirter Bediente führte sie, ohne zu melden, in das Zimmer.
Die Dame saß in einem Fauteuil in einem höchst eleganten Negligé und stickte an einem Teppiche, worauf in der Mitte in ungeheurer Größe das Auperg'sche Wappen prangte. Sie erhob sich langsam und streckte Cornelien eine schmale, weiße, beringte Hand entgegen. Als Cornelie diese ergriff, beugte sie das Haupt und reichte ihr die Wange zum Kuße, indem sie die Augen schloß. Cornelie hauchte einen flüchtigen Kuß darauf, dann sagte die Gräfin in einem schleppenden Tone, indem sie wieder Platz nahm:
»Willkommen, liebes Kind; setzen Sie sich zu mir.«
Dieser Empfang war so himmelweit verschieden von dem, was Cornelie erwartet, daß es eine ganze Weile dauerte, bis sie einige Worte hervorbringen konnte, und doch fand Gräfin Auperg in ihrem Innern, daß sie das Unermeßliche gethan für eine ›Demoiselle Pidoll,‹ der die fabelhafte Ehre zu Theil wurde, die Braut ihres hochgebornen Sohnes zu sein. Der Diener der Gräfin trat ein: »Der Bediente des Fräuleins fragt an, ob der Wagen wegfahren darf und wann er wiederkommen soll?«
»Er soll warten,« sagte Cornelie rasch.
»Warum denn?« rief die Gräfin; »ich denke, Sie bleiben hier, mein Kind, und trinken den Thee mit mir?«
»Ich bedaure, Frau Gräfin, aber meine Tante erwartet Gesellschaft und kann mich nicht entbehren.«
»Wie soll das denn in Zukunft gehen, wo sie Sie doch entbehren muß?« sagte die Gräfin mit gezwungenem Lächeln.
Sie glaubte etwas sehr Liebenswürdiges gesagt zu haben. Sie gehörte zu den Menschen, die durch den Verlust einer Eigenschaft zur Nullität herabsinken können. Seitdem sie nicht mehr schön war, war sie nichts mehr. Wie es Leute giebt, die durch den Verlust ihres Vermögens null werden, bei denen man, sobald der Nimbus des Luxus nicht mehr ihr Haupt umgiebt, einsieht, daß sie unter den gewöhnlichen Menschen stehen, eben so geht es auch vielen Schönheiten. Die Schönheit adelte alle übeln Eigenschaften dieses Weibes, ihr Hochmuth galt für Stolz, ihre Laune für Originalität, ihre Unhöflichkeit für Selbstgefühl. Das kömmt denn traurig zu Tage, wenn die Schönheit schwindet. Das sind bedeutende Menschen, die einen Rang in der Welt einnehmen, ohne schön oder reich zu sein, denn die Welt ist äußerlicher als sie selber glaubt. Durch die Großmuth ihres Schwagers sollte die Gräfin sich mit einem gewissen Luxus umgeben können, der für sie die Lebensluft war, in der sie athmete. Corneliens scharfem Auge entging schon bei diesem ersten Besuch keine der Schwächen dieser Frau, und sie fühlte sich davon angewidert. Im Laufe des Gespräches hörte sie wohl heraus, wie die Gräfin alles hervorsuchte, was der Auperg'schen Familie in den Augen des bürgerlichen Eindringlings Glanz verleihen konnte, und Corneliens Begriff von Richard's Leidenschaft für sie wurde immer größer, jemehr sie die Hindernisse einsah, auf die seine Wahl bei dieser Mutter stoßen mußte, mit welcher er seit seiner Kindheit in der vollkommensten Harmonie lebte.
Indem sie so an Richard dachte, vernahm sie draußen Sporengeklirr, ihr Athem stockte – Richard trat ein.
Richard ging mit seinem gewöhnlichen sichern Anstande, seinem verbindlich lächelnden Gesicht, indem seine hohe Gestalt sich höflich beugte, auf Cornelien zu, nahm mit seiner behandschuhten Hand ihre Fingerspitzen und berührte sie mit seinem langen Schnurrbart; bis zum Munde brachte er sie nicht, das fühlte Cornelie; dann sagte er halb flüsternd:
»Diese Hand gehört mir – nicht wahr, Cornelie? ich habe Ihren Brief an Mama recht verstanden?«
»Mein Gott! warum wollen Sie sie denn?«
Diese Worte sprach Cornelie ohne es selbst zu wissen; sie dachte laut, denn plötzlich überwältigend kam die Ueberzeugung über sie: ›der Mann liebt mich nicht!‹
»Warum ich sie will, diese Hand?« fragte Richard. »Bedarf das einer Erklärung? Wissen Sie nicht, daß ich schon vor sechs Jahren –«
»Nein, nein, nichts weiß ich, will auch nichts wissen!« damit stand sie auf, denn sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe, und ging nach einer halben Verbeugung nach der Seite, wo die Gräfin saß, ohne sie und Richard anzublicken, langsam, mit wankenden Schritten der Thüre zu.
»Wo wollen Sie hin, Cornelie?« rief Graf Richard, indem er ihr nachging und ihre Hand ergriff.
»Nach Hause – ich bin unwohl.«
Diese Worte brachte sie kaum heraus. Richard nahm ihren Arm, legte ihn in den seinen, und indem er seiner Mutter einen bedeutenden Blick zuwarf, führte er das zitternde Mädchen aus dem Zimmer.
»Cornelie, was ist Ihnen? hat Sie meine Mutter beleidigt?«
»Nein, o nein! nur nach Hause, nach Hause!«
»Nicht eher,« sagte der Graf ernst, indem er sie im Vorzimmer fest hielt, »nicht eher, bis Sie mir sagen, warum Sie so plötzlich fortwollen – am Verlobungstage!«
Sie konnte nicht antworten, ein krampfhaftes Schluchzen nahm ihr den Athem; er legte jetzt beide Arme um sie, weil sie wankte, aber mit einer plötzlichen, verzweiflungsvollen Anstrengung riß sie sich los und stürzte auf die Thüre zu. Richard legte die Hand auf's Schloß.
»Cornelie, bei meiner Ehre! ich lasse Sie ohne Erklärung nicht fort! was ist Ihnen?«
»O Gott!« brachte das Mädchen endlich heraus, »er fragt noch, er fragt noch! nachdem er mich so fürchterlich getäuscht!«
»Getäuscht! in was?«
Und in die Kniee sinkend, die Hände vor die Augen gepreßt, während zwischen den Fingern die endlich fließenden Thränen durchtropften, rief sie mit herzzerschneidender Stimme:
»Du liebst mich nicht!«
»Ist es nur das!« Und das herzlichste Lachen erscholl von dem Munde Richard's. »Wenn es weiter nichts ist, dann sei ruhig! Warum würde ich Dir nach sechsjähriger Trennung noch meine Hand anbieten, wenn ich Dich nicht liebte?«
Corneliens Thränen waren bei Richard's Lachen plötzlich versiegt. Sie erhob das Haupt und sah ihn mit ihren großen Medusenaugen drohend an.
Es giebt Blicke, die auch der keckste Lügner, der verdorbenste Mann nicht erträgt; das sind Blicke, die aus dem Herzen an's Herz gehen; solche Blicke machen die Augen niederschlagen. Richard schlug die Augen nieder und hätte er nicht die Fähigkeit zu erröthen längst verloren gehabt, er wäre roth geworden, so aber wurde er nur ein klein wenig bleich.
»Richard, warum wolltest Du mich heirathen?«
»Sie fragen mich aus, als wenn ich ein Unrecht zu begehen im Begriffe gewesen wäre!«
»Das waren Sie! nicht nur ein Unrecht, nein, ein Verbrechen; das will ich Ihnen sparen!«
Sie stand auf und öffnete die Thüre; er hinderte sie nicht mehr; sie ging die Treppe hinunter, der Wagen rollte mit ihr fort, wie ganz anders als da sie gekommen!
Zu Hause legte sie sich zu Bett, ließ die Läden schließen, schützte Kopfweh vor und war für Niemand zu sehen. Am andern Morgen aber, ganz in der Frühe, schrieb sie an Richard:
›Sie sind frei. Mir ist aber Ihr freudiges Lächeln nicht entgangen, als ich sagte, ich wolle Ihnen ein Unrecht ersparen; der Korb von mir war Ihnen willkommen. Aber zum Dank verlange ich von Ihnen als von einem Edelmann, daß Sie mir offen sagen, was Sie antrieb, mir Ihre Hand zu bieten. Bei Ihrer Ehre die Wahrheit! Ich will Sie nie wiedersehen – so schwöre ich!
Cornelie.‹
Sie erhielt gleich darauf ein Billet, worauf von Richard's Hand die Worte:
›Meines Oheims Befehl!‹
standen, sonst nichts. Cornelie hüllte sich wieder in ihre Decken und wollte Niemand sehen.
Den andern Morgen brachte man ihr die Karte des alten Grafen Wolf Auperg, worauf mit Bleistift die Worte standen:
›Bittet dringend um eine Unterredung mit Fräulein Pidoll in eigenen Angelegenheiten.‹
Cornelie bestimmte ihm eine Stunde, stand auf, kleidete sich an, maschinenmäßig, ohne ein Wort zu reden.
Der Graf kam; er betrachtete Cornelien mit Theilnahme.
»Sie haben die Hand meines Neffen ausgeschlagen?«
»Das habe ich, und danke Gott, daß er mir die Kraft gab.«
»Sie sind ein seltenes Mädchen, Cornelie; denn Sie lieben Richard. Ich wollte Sie glücklich machen, Sie haben es nicht gewollt!«
»Und dennoch, Graf, können Sie mir auch jetzt noch einen großen Gefallen thun. Gehen Sie zu meinem Oheim, dem Minister, und sagen Sie ihm, daß – daß es nichts ist. Er wird mir zürnen, denn ich habe ihn nie freundlicher gesehen, als da ich die Aussicht hatte, Gräfin Auperg zu heißen und bald sein Haus zu verlassen. Er hat Recht, ich passe nicht hinein; aber ich kann jetzt keine Vorwürfe ertragen. Darum sagen Sie es ihm und lassen Sie sich sein Wort geben, nie mit mir von der Sache zu reden; denn es ist vergebens – eher sterben!«
Graf Wolf sah sie lange an. »Es gäbe noch eine andere Auskunft. Sie könnten dem Minister zu Gefallen Gräfin Auperg werden und brauchten doch meinen Neffen nicht zu heirathen. Ich nehme Sie vor Gott als meine Tochter, vor den Menschen als meine Frau an! Kommen Sie mit mir und leben Sie bei mir, verschönern Sie die letzten Tage eines alten Mannes, der Sie unendlich liebgewonnen hat.«
»Das will ich!« sagte Cornelie, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, und legte ihre heiße Hand in die kalte des Grafen.
In dem früher von uns beschriebenen Hause des Grafen Wolf von Auperg war Alles in voller Thätigkeit. Zimmer, Corridore und Treppen wurden mit Blumen geschmückt. Der festliche Tag stand bevor, an dem zwei Bräute auf einmal einzogen in das alte Haus, Cornelie und Stephanie, an einem Tag getraut mit Oheim und Neffen. Der eine Flügel des Hauses, der die schönsten Gemächer enthielt, sollte seit dreißig Jahren zum erstenmale wieder bewohnt werden; es waren die Zimmer Bertha's, der ersten Gemalin des Grafen, gewesen. Cornelien hätte der Graf in diesen Zimmern nicht sehen können, aber für die liebliche Stephanie hatte er sie einrichten lassen, denn Alexander sollte mit ihr für's Erste bei ihm wohnen, bis auf einem andern Gute eine passende Wohnung für sie eingerichtet war. Für die junge, zärtlich geliebte Frau konnte diese Wohnung nicht von übler Vorbedeutung sein. Für Cornelien hatte er die Zimmer einrichten lassen, welche die schönste, freieste Aussicht gewährten, aber viel einfacher als die Stephaniens. »Diese ist noch ein Kind,« sagte der Graf zu Cornelien, »ein Kind, das an Glanz und Schmuck seine Freude hat.«
War aber Corneliens Wohnung auch nicht glänzend eingerichtet, so war sie doch ungemein behaglich, und ein vortrefflicher Flügel, eine gewählte Büchersammlung, gute Gemälde und vor Allem herrliche Blumen zeigten, daß ein feiner liebevoller Sinn hier einem geliebten Gegenstande einen Aufenthalt bereitet.
Richard war nach London gereist, um dort durch die Hand einer reichen Erbin sich die Stellung zu erringen, die er von Kindheit auf als sein Anrecht betrachtet hatte.
Die Trauung sollte in der Dorfkirche stattfinden, die zu der Auperg'schen Besitzung gehörte. Sie war von der Dorfjugend auf's Schönste mit Guirlanden und Kränzen geschmückt.
Wenn Ruhe Glück ist, so war Cornelie offenbar die glücklichere der beiden Bräute. In den letzten Wochen hatte ihre Leidenschaft für Richard den Charakter einer überstandenen, aber unverdienten Prüfung angenommen. Sie fühlte, daß sie nach ihm nie mehr einen Mann würde lieben können; aber Freundschaft, Verehrung konnten ja ihr Herz ausfüllen und es beglücken. Eine ganz und gar hoffnungslose Liebe, eine, wo jede Aussicht auf Erwiederung für immer dahin ist, hat ihren schärfsten Stachel verloren; sie wird, wie jeder hoffnungslose Schmerz, zur stillen Wehmuth, die in vielen Gemüthern kein Unglück mehr ist, und Cornelie war ein solches Gemüth. Tiefe, stark fühlende Menschen sind ja ohnedem genügsamer als oberflächliche, herzlose. Die Ueberzeugung, daß sie dem alten Grafen, dessen ehrenwerther Charakter ihr das Musterbild eines Mannes war, durch kindliche Liebe und Sorge sein klares Alter verschönern könne, erhob und erfreute sie unendlich. Dabei die Aussicht Herrin ihrer selbst und ihrer Zeit zu sein, mit reichen Mitteln zum Wohlthun versehen – ihr schien ihr Zustand oft beneidenswerther als Stephaniens, die in der leidenschaftlichsten Unruhe sich abquälte. Hundert Sorgen peinigten ihr armes kleines kindliches Herz, für das es das Bitterste war, daß Alexander für alle diese Sorgen und Leiden keinen Sinn hatte.
Ein Hauptunglück war, daß die Mama ein Spitzenkleid mit Schleier von Brüssel verschrieben hatte, von dem sehr zu befürchten stand, daß es nicht mehr zur rechten Zeit ankommen werde.
»So läßst Du Dich in einem andern weißen Kleid trauen,« sagte der Bräutigam.
»Alexander!« rief die siebzehnjährige Braut traurig, »das verstehst Du nicht; es wäre mir unbeschreiblich schmerzlich, an meinem Ehrentage in einem alten Kleide gehen zu müssen; dieser Tag kommt ja nie wieder.«
»So laß Dir ein anderes neues machen für den Nothfall.«
»Hier bekomme ich nichts Schönes, und dann der neue Mantel, der mit beim Weggehen aus der Kirche umgehängt werden soll, Du wirst sehen, auch er kommt nicht von Paris!«
So ging es mit der ganzen Ausstattung. Eine große Klage Stephaniens war auch Alexander's Mangel an Eleganz. Sie bat ihn, sich frisiren zu lassen, seine Kleider einem bessern Schneider anzuvertrauen, seine Stiefel von Wien oder Paris kommen zu lassen; aber alles vergeblich. Er lachte sie aus; nur Eines opferte er ihr, eine steife abscheuliche Militärcravatte, die er aus Bequemlichkeit auch bei Civilkleidern trug. Sie gelobte ihm, jeden Tag die Atlasbinde selbst knüpfen zu wollen, sobald sie seine Frau sei.
Stephanie war aber deshalb keineswegs ein äußerliches, leichtsinniges, eitles Geschöpf. Sie war nur wie die meisten jungen Mädchen, die in einer Pension erzogen sind. Ihrem Manne war es vorbehalten, die innerlichen Schätze ihres Wesens, ihre Sympathie für Besseres und Edleres als die Außenseiten des menschlichen Lebens an's Licht zu locken.
Wohl ihr und ihm, daß er es fähig war. Uebrigens liebte sie ihn aus voller Seele, und gerade daß sie, das geschmeichelte, hübsche, verzogene Mädchen, den unscheinbaren Alexander liebte, bewies, daß sie ohne ihr Wissen eine edlere und bessere Natur besaß, als man ihr anerzogen. Wäre Alexander von ihr getrennt worden, sie hätte bewiesen, daß ihr andere Dinge am Herzen lagen, als das Brüsseler Spitzenkleid. Hätte sie übrigens einen Salonmenschen, wie Richard, geheirathet, so würde auch sie untergegangen sein im Schlendrian des gesellschaftlichen Lebens, wie so manche begabte Frauennatur.
Graf Wolf hatte bestimmt, daß erst die jungen Leute und dann Cornelie und er getraut werden sollten. Er sah am Trauungstage ganz jugendlich aus, die Freude an Anderer und am eigenen Glück, an dessen Möglichkeit er in seinem späten Alter wieder zu glauben anfing, verklärten und verjüngten sein Gesicht.
Cornelie war heute schöner als die jugendliche blühende Stephanie. Sie sah aus wie eine griechische Antike in ihrem weißen wallenden Gewand, das dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, den Myrthenkranz ohne Schleier gleich einem Diadem auf dem Scheitel. Stephanie, obgleich sie ihr Brüsseler Kleid trug und ein kostbarer Schleier bis beinahe auf die Fersen herabfiel, wurde von Cornelie verdunkelt. Sie war ängstlich und bewegt. Dunkel flammten ihre Wangen, ihre sonst so klaren Kinderaugen waren von Thränen der Angst gefüllt, ein Zittern hatte sich ihrer ganzen Gestalt bemächtigt und als Alexander sie aus dem Wagen gehoben, stand sie vor ihm wie ein armes bangendes Opfer.
»Was ist Dir, Kind?« flüsterte er zärtlich.
»O Alexander,« schluchzte sie kaum hörbar, »ich hätte noch nicht heirathen sollen; ich glaube, ich bin noch lange nicht vernünftig und gut genug zur Frau!«
Der Bräutigam küßte stumm und gerührt ihre beiden Hände und bald darauf stand er mit ihr vor dem Altar der hellen freundlichen Dorfkirche, und mit einem kaum hörbaren ›Ja‹ wurde sie sein für das Leben.
Nun kam die Reihe an den Grafen Wolf; mit festem Schritt trat der schöne alte Mann vor den Priester. Er war heute ein unendlich glücklicherer Bräutigam als vor dreißig Jahren, jetzt wo er doch nur Gefühle väterlicher Liebe für das Mädchen hatte; aber er war stolz auf seine Wahl, während er damals im Grunde seines edlen Herzens sich derselben schämte.
Der Priester begann seine Rede, aber Niemand achtete auf ihn; Aller Blicke waren auf eine Gestalt gerichtet, die eben aus der Masse der zuschauenden Bauern des Dorfes hervortrat. Sie trug einen schwarzseidenen Mantel, ein altmodischer grauer Hut umschloß ihr bleiches, eingefallenes Gesicht, aus dem ein Paar scharfe unheimliche Augen funkelten. Sie trat dicht hinter den Grafen und legte die Hand auf seine Schulter. Graf Auperg fuhr herum und sah ihr lange in's Gesicht; der Priester hielt ein mit seiner Rede. Endlich fragte die Fremde:
»Kennst Du mich nicht mehr, Graf Wolf von Auperg?«
Beim Ton dieser Stimme durchzuckte ein furchtbarer Schreck den Grafen.
»Bertha!« rief er und seine Haare sträubten sich vor Entsetzen.
»Ja, Bertha! Bertha! Deine gemordete Bertha! Sie lebt, um sich zu rächen,« sagte mit höhnischer Stimme die Alte, in der Alexander mit Entsetzen jetzt seine Hausfrau erkannte. »Seit dreißig Jahren warte ich auf meine Rache – seit dreißig Jahren erflehte ich zu jeder Stunde diesen Augenblick! Ja, schmiege Dich nur an ihn, den falschen Mann, der meine arglose Jugend seinem Familienstolze geopfert, schmiege Dich nur bange an ihn, schöne Braut, bald wirst Du ihn verlassen müssen, denn mir gehört seine Treue – ich bin seine Gemalin! Mit welcher Sehnsucht erwartete ich den Moment, wo er mit einer geliebten, schönen, jungen Braut vor den Altar träte und sich meines Todes freute! Dank Dir, großer, rächender Gott! es ist mir gelungen, nach dreißigjähriger Verborgenheit, nach dreißigjährigen Leiden und Schmerzen; ich habe ihn endlich unglücklich gemacht, wie er mich!«
»Nein, das hast Du nicht!« sagte der Graf mit wiedergewonnener Fassung, »das hast Du nicht! Sie wird nun meine Tochter, nicht meine Frau; Dir aber statte ich Deine Reichthümer zurück, deren Verlust mich nur wegen der Kinder hier schmerzt. Meine Cornelie aber ist ein edles Mädchen, sie wird auch ein bescheidenes Loos mit ihrem Vater theilen.«
Eine dunkle Röthe schoß in das Gesicht der Alten, sie erhob beide Hände, sie wollte sprechen, aber der leidenschaftlichste Zorn raubte ihr die Sprache. Sie mußte sehen, wie Cornelie freudig lächelnd sich über des Grafen Hand beugte und dieser sie mit milder Freundlichkeit auf die Stirne küßte. Der Gedanke der Rache war das Einzige gewesen, was die schwindenden Lebensgeister dieser Frau in ihrer morschen Hülle zurückgehalten, an das Dasein gefesselt hatte.
Sie hatte kein Leben ohne ihn. Als sie sah, daß ihr auch jetzt, da sie ihrer Rache gewiß zu sein meinte, keine geworden, schwanden ihr die Sinne; ein Schrei – und mit plötzlicher schrecklicher Zuckung sank sie zu Boden; der Schlag hatte sie gerührt – sie war todt.
Es bedurfte Wochen, bis die arme Stephanie sich vom Schreck an ihrem Hochzeitstage erholte. Cornelie und der Graf, obgleich es sie viel näher anging, blieben ruhig und gefaßt; sie vermählten sich aber nicht mit einander. Cornelie hat jedoch die Freude, an ihm noch heute den besten Vater zu besitzen, dessen Freude und Trost sie ist. Alexander und Stephanie sind umgeben von einer Schaar blühender Kinder, und die Jungen sind ächte Aupergs: sie wissen nichts von brüderlicher Liebe, sie prügeln sich den ganzen Tag.