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Eine Künstlerlaufbahn.


Erstes Kapitel.

Es war ein schöner Sommerabend am Rhein. Der breite Strom zog langsam und stolz seine Wellen. Wie Silber schien er in der Ferne, von dunkeln Bergen begrenzt. Kein Lüftchen regte sich, nur zuweilen hörte man den leisen Schrei der jungen Falken, die ihrem Neste für die Nacht zuflogen und den verwitterten Thurm in weiten Ringen noch umkreisten. Ein Nachen durchglitt, glänzende Streifen furchend, die tiefe Fluth, während die Ruderschläge sich gleichförmig vernehmen ließen. Die ganze Bevölkerung des kleinen Städtchens wandelte am Ufer auf und ab, bald versammelte sie sich aber vor einem Hause, aus dessen offenen Fenstern sich ein herrlicher Gesang vernehmen ließ. Selbst die Schiffer im Kahn hielten mit Rudern inne und ließen sich nur langsam und wider Willen vom schönen Gesang weg den Strom hinabtreiben.

Schon seit mehreren Jahren wohnte die Sängerin hier, aber immer noch wirkte ihre Stimme mit gleichem Zauber auf diese einfachen Menschen, die sich nur wunderten, daß die bleiche Dame so gewaltige Töne in ihrer zarten Brust trage. Der Pfarrer des Orts, der in seiner Jugend, als Erzieher im Hause eines Grafen, mit seinen Zöglingen Italien besucht hatte und immer noch davon schwärmte, sagte zu seinen Freunden, die Dame singe wie eine Prima Donna und ihre Rouladen und Triller würden ihr in ›San Carlo‹ oder in der ›Scala‹ Das Real Teatro di San Carlo ist das größte Opernhaus in Neapel. den reichsten Beifall erringen.

Madame Allemand, so nannte sich die Fremde, hatte beinahe gar keinen Umgang, sie hatte auch keine Zeit dazu, denn den ganzen Tag war sie mit ihrem schönen Kinde beschäftigt, und wie vergalt ihr es dieses Kind! Candida war kaum zwölf Jahre alt und schon der Trost, die Freundin ihrer Mutter. Stolz und aufrecht ging sie einher, wenn diese ihre schmale, durchsichtige Hand auf ihre Schultern legte und sich anscheinend auf sie stützte, und wenn sie aufblickte und immer wieder der Mutter Blick mit sorgsamer Liebe auf sich ruhen sah, dann warf sie sich oft an ihren Hals und rief: »Liebe, gute Mutter!« Ein tiefes zärtliches Gemüth sprach sich schon frühe im Kinde aus. Die Mutter war Candida's einzige Lehrerin. Sie ganz allein bildete ihren reichen Geist, ihr glühendes Herz, und doch wurde die Tochter ganz anders als die Mutter.

Das war aber der letztern gerade eine Freude, denn ihr Kleinod sollte ihr nicht gleichen. Sie war nicht glücklich gewesen, und darum sollte ihre Tochter ganz anders sein wie sie, nicht bloß ein anderes Schicksal, nein, auch andere Eigenschaften sollte sie haben, da ihr jenes als natürliche Folge dieser erschien. Offenbar zehrte ein geheimer Gram am Herzen der Frau; oft traf ihr Kind sie in Thränen, und dann versuchte sie immer zu lächeln. Candida hatte aber die Thränen dennoch bemerkt und in ihrem Kinderherzen wuchs ein tiefer Groll gegen die Welt auf, die ihrer Mutter solche Schmerzen zu tragen gegeben; denn das fühlte sie wohl, daß der Kummer aus frühern Zeiten stammen müsse, wo sie noch mehr mit der Außenwelt in Berührung gekommen. Candida's Erinnerungen aus ihrer frühesten Kindheit waren nur dunkel, und als sie einmal ihre Mutter nach dem Vater fragte, und ob er todt sei, hatte diese, schmerzlich berührt, geantwortet: »Es ist eben so, als ob er todt wäre.«

So gingen mehrere Jahre vorüber; Candida wurde immer schöner und kräftiger, die Mutter immer schwächer und leidender. Sie konnte jetzt auch nicht mehr singen, aber Candida sang desto mehr, und ihre volle Glockenstimme ließ die Nachbaren die weichen Molltöne der Mutter leicht vergessen.

Eines Abends sang sie besonders schön; die Mutter saß auf einem Sessel neben dem Flügel und hörte ihr mit geschlossenen Augen zu. Als Candida vollendet, wandte sie sich, ergriffen von ihrem eigenen Gesange, Beifall suchend an die Mutter. Keine Antwort; sonderbar kam es der Tochter vor, daß sie bei ihren vollen Tönen entschlummert sein sollte; sie berührte ihre Hand leise – diese Hand war eiskalt.

Ein furchtbarer Gedanke durchfuhr Candida's Kopf, so furchtbar, daß sie ihn nicht ertrug und ohnmächtig zur Erde neben ihrer todten Mutter hinsank. Ja todt! – ach, daran hatte die Tochter nie gedacht! –

Als sie die Besinnung wieder erlangte, stand der Geistliche vor ihr und sie war in ihrem eigenen kleinen Zimmer. »Ist es wahr?« fragte sie sogleich mit tonloser Stimme, »ist es möglich?«

Der Pfarrer bejahete schmerzlich durch ein Zeichen; da griff Candida mit beiden Händen an ihr Herz, denn sie empfand mit Einemmale darin eine Kälte wie Eis. Keine Thräne drang in ihr Auge.

»Ihre Frau Mutter hat gewünscht, daß in dem traurigen Falle, welcher nun eingetreten ist, Sie sogleich dieses Haus verlassen; sie hat mich angewiesen, Sie in die Residenz zu bringen, wo Sie im Hause des Herrn Ministers von Tessen Aufnahme finden werden.«

»Es geschehe der Wille meiner Mutter.«

Sie bestieg mit dem Geistlichen einen Wagen, und nach zwei Tagen, die ich nicht schildern will, erreichten sie das Ziel ihrer Reise.

Es war Abend, hell flammten die erleuchteten Fenster in den breiten Straßen. Vor einem großen schönen Hôtel hielt der Wagen. Candida stieg am Arm ihres Begleiters die Stufen hinan.

»Ist der Herr Minister zu Hause?«

»Ja wohl, wen soll ich melden?« fragte der Bediente.

»Den Pfarrer Müller.«

Bald kam der Diener zurück und führte die beiden Fremden über die mit türkischen Teppichen belegten Treppen in einen großen, elegant möblirten Salon. Kaum waren sie eingetreten, so erschien an der entgegengesetzten Thüre ein hoher Mann. Seine Haare waren stark und dunkelbraun, scharfgezeichnete Brauen stießen unter der Stirn zusammen; seine Augen, obgleich nicht groß, machten einen tiefen Eindruck, so bedeutend und durchdringend blickten sie den Gegenüberstehenden an. Der Mund war fest geschlossen, so daß er dem ganzen Gesichte einen Ausdruck von Härte verlieh. Seine Gestalt war groß und schlank und seine Bewegungen so gewandt, wie man es sonst bei einem Fünfziger, denn so alt war er, nicht findet. Der Pfarrer, den er nicht zu kennen schien, überreichte ihm einen Brief und wies dabei auf Candida, die in unnennbarer Befangenheit dastand und vor Angst und Grauen vor der Zukunft ihr ganzes Unglück der Vergangenheit vergaß. –

Der Minister nahm rasch das Papier und trat zu einer nahen Lampe, so daß er den Fremden den Rücken zukehrte. Kaum hatte er aber angefangen zu lesen, als er den Brief sinken ließ und die Hand vor die Augen preßte; nach einer Weile jedoch nahm er ihn wieder auf und las ihn zu Ende; dann wandte er sein Haupt langsam Candida zu. Seine Züge waren todtenbleich und die dunkeln Augen erschreckend in ihrem Glanze. Er streckte ihr die Hand entgegen und sagte leise:

»Seien Sie mir willkommen in meinem Hause. Ihre Mutter hat Sie mir empfohlen. Hier diese Zeilen sind für Sie.«

Candida nahm das Papier aus seiner Hand, aber vor gewaltsam hervorbrechenden Thränen beim Anblick der Handschrift ihrer Mutter konnte sie kaum die Worte lesen:

›Liebe ihn wie Deinen Vater, gehorche ihm, er wird für Dich sorgen, wie ich es gethan haben würde.‹

Schluchzend verbarg die Arme ihr Antlitz im Tuche. Der Geistliche wollte sich empfehlen, aber ängstlich ergriff Candida seinen Arm. Der Minister bemerkte es und sagte höflich:

»Da Sie hier übernachten müssen, Herr Pfarrer, so hoffe ich, daß Sie meinem Hause den Vorzug geben werden. Ihr Zimmer soll Ihnen sogleich angewiesen werden. Und Sie, meine –« er suchte nach einer Benennung, »und Sie meine – Mündel, werde ich selbst in Ihre Wohnung führen.«

Er reichte ihr den Arm, den sie zitternd annahm, und schritt mit ihr dem voranleuchtenden Bedienten durch viele Zimmer nach. Endlich in einem hohen Gemach mit prachtvollen Möbeln blieb er stehen.

»Hier sollen Sie wohnen; hier nebenan Ihr Schlafzimmer, hier Ihre Garderobe, und hier –« er öffnete eine Thüre – »Ihr Vorzimmer, von wo Ihre Besuche sogleich auf den Corridor gelangen.«

»Besuche?« sagte Candida, »ich kenne Niemand.«

»Sie kennen Niemand hier; das wird sich finden.«

»Nein,« bemerkte Candida kalt, »nicht bloß hier, ich kenne überhaupt Niemand auf der Welt.«

Der Minister antwortete nicht darauf, er bat sie nur, es sich bequem zu machen und auszuruhen von der Reise.

»Suchen Sie sich in Ihre neue Heimath zu finden.«

»Heimath!« sagte Candida, aber dieses einfache Wort sprach sie in so schmerzlichem Tone, daß jeder, der sie hörte, fühlen mußte, wo ihre Heimath nur noch war. Auch der Minister ward sichtbar davon ergriffen.

Als Candida allein war, nahm sie den Armleuchter und betrat das zweite Gemach, welches ihr Herr von Tessen als ihr Schlafzimmer bezeichnet.

Es war mit der höchsten Eleganz eingerichtet. Bis jetzt war es nur für fürstliche Gäste bestimmt gewesen, wie überhaupt Candida's Zimmer die schönsten im Hause waren. Aber sie fühlte sich nicht heimisch in diesen hohen Gemächern mit Seidentapeten und Goldleisten. Diese Sammtmöbeln hätte sie sogleich für ihr niedliches Geräthe im Hause ihrer Mutter hingegeben, wenn es auch nur mit englischem Cattun überzogen war. Auf der Toilette war alles von Silber; sie betrachtete flüchtig die vielerlei unnöthigen Dinge, die bisher ihrem einfachen Sinne fremd geblieben; dann aber fühlte sie große Müdigkeit, wie es nach zwei im Wagen verbrachten Tagen natürlich war. Halb betäubt legte sie sich in das reich vergoldete Bett, und die schweren Vorhänge, gehalten von einer Fürstenkrone, rauschten über sie zusammen.

Der Abschied von dem Pfarrer Müller that ihr am andern Morgen unendlich weh. Bald nach ihm kam der Minister und erkundigte sich, ob sie nichts wünsche. Sie schüttelte nur traurig mit dem Kopf. – Sie sah ihn öfters am Tage; er speiste mit ihr in ihrem Zimmer. Immer war er gleich freundlich und aufmerksam gegen sie, und dennoch fühlte sie sich nicht zu ihm hingezogen, ja oft war er ihr sogar unangenehm; denn wenn sie von ihrer Mutter sprach – und von etwas Anderem sprach sie nicht – suchte er immer ihre Ideen auf andere Gegenstände zu lenken; offenbar liebte er es nicht, von der Verklärten zu hören. Nach einigen Tagen bot er ihr eine Spazierfahrt, und das war von nun an ihre einzige Erhohlung. Der Minister fuhr selbst; so saß sie allein und konnte mit Muße ihrer Trauer nachhangen. Zwar bemerkte sie wohl die Verstimmung in den Zügen des Mannes, wenn er sich nach ihr umwandte und ihr Antlitz in Thränen gebadet sah; aber ihr lag nichts daran.

Eines Morgens kam er wie gewöhnlich zu ihr; sie saß am offenen Fenster und blickte hinab in die Straße, gedankenlos, wie man oft in das Gewühl schaut. »Liebe Candida,« sagte endlich der Minister, um sich bemerkbar zu machen, denn sie hatte sein Eintreten nicht gehört.

Sie erhob sich erschrocken, eine hohe Röthe färbte ihre zarten Wangen.

»Liebe Candida, wünschen Sie nicht irgend eine Beschäftigung? Sind Sie musikalisch? Soll ich Ihnen vielleicht ein Instrument bringen lassen? Die Bücher, die ich Ihnen hingelegt, haben Sie noch nicht einmal angerührt, wie ich sehe.«

»Ich kann nicht lesen, meine Aufmerksamkeit ist wo anders; aber wenn Sie mir meinen Flügel besorgen wollen, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich könnte spielen und denken an das, was ich liebte.«

»Lieben Sie nichts mehr?«

»Nein.«

»Gar nichts?«

»Nein.«

»Candida, wie ist das möglich? So jung, so schön, so geliebt! Ja, lassen Sie es mich sagen, ich liebe Sie wie der zärtlichste Vater, und hoffe immer noch in Ihrem Herzen ein erwiederndes kindliches Gefühl zu wecken; aber ich glaube, es ist eher Furcht als Liebe, was mein Anblick in Ihrem Herzen erweckt!«

»Furcht? o nein, ich kenne auch keine Furcht mehr. Ich las einmal in einem Lieblingsbuche meiner Mutter: ›Was habe ich in einer Welt zu fürchten, in der Niemand lebt, den ich liebe?‹«

»Sie sind hart, Candida!«

»Nur wahr! und Wahrheit empfahl mir meine Mutter als die höchste, die erste aller Tugenden.«

»Daran that sie recht,« sagte der Minister kalt, und entfernte sich; er kehrte aber noch einmal zurück.

»Sie werden heute bei Tische einen Dritten finden. Da Ihre erste tiefe Trauer vorüber ist, so erlaubt, oder vielmehr gebietet der Anstand, zuweilen Besuche zu sehen. Aber seien Sie nicht überrascht, wenn ich Sie den Gästen immer als meine Tochter vorstelle. Ich habe Sie adoptirt und Sie tragen von nun an meinen Namen.«

Ohne die Antwort abzuwarten, verließ er schnell das Zimmer; Candida aber stand entsetzt. »Welch' gräßlicher Gedanke! am Ende ist er wirklich mein Vater, der Gemahl meiner Mutter! O nein, das ist nicht möglich, das kann nicht sein.«

Sie wollte es nicht glauben und glaubte es darum auch nicht.

Denselben Nachmittag schon, bei der Rückkehr vom Diner, fand Candida einen neuen Wiener Flügel in ihrem Zimmer und es gewährte ihr eine Art Freude, in melancholischen Weisen ihren Schmerz ausströmen zu lassen. Bald erschien auch der Minister und staunte über ihre Fertigkeit.

»Wer hat Sie spielen gelehrt?«

»Meine Mutter.«

»Singen Sie auch?«

»Ja, aber jetzt nicht.«

»Ich bewundere auch Ihre gute Aussprache, sowohl des Französischen als des Deutschen. Wie lernten Sie das?«

»Meine Mutter zog deshalb mit mir nach Deutschland und Frankreich, wie sie auch einige Jahre meiner Kindheit mit mir in Italien zubrachte, damit ich die Sprache erlerne. Dorthin wollte sie auch noch einmal mit mir zurückkehren wegen der Ausbildung meines Gesanges; aber da war sie später zu schwach, um noch eine Reise zu unternehmen.«

»Sie haben eine sehr sorgfältige Erziehung erhalten.«

»Es freuet mich, daß Sie meiner Mutter Gerechtigkeit wiederfahren lassen.«

Das waren die ersten freundlichen Worte Candida's gegen ihren Vater – wir wollen ihn so nennen, obgleich sie es nicht that – aber gerade diese Worte schienen ihn besonders tief zu verletzen.

Es waren jetzt öfters Besuche da, vor und nach Tisch kamen welche, und Allen wurde Candida vom Minister als Fräulein von Tessen, als seine Tochter vorgestellt. Nie aber belästigte sie Jemand mit Fragen über ihre früheren Familien-Verhältnisse.

Ihre ernste Haltung, ihr Traueranzug, sowie die fortwährende Gegenwart ihres Vaters scheuchten die unberufene Neugier in ihre Schranken zurück. –


Zweites Kapitel.

Unter den Gästen erschien besonders oft ein junger Schriftsteller, Graf Lothar. Der Minister war immer zuvorkommend höflich gegen ihn und das Haus schien durch Candida's Gegenwart großen Reiz für den jungen Mann zu erhalten. Obgleich sie die meisten seiner Werke gelesen, hatte sie doch nie mit ihm darüber gesprochen. Eines Tages bat er sie geradezu um ihr Urtheil.

»Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen und können Sie sie vertragen, so will ich es gern thun; soll ich das aber nicht, so lassen Sie mich lieber ganz schweigen.«

Lächelnd forderte sie der Graf auf, ihrer Fahne getreu zu bleiben.

»Nun wohl,« erwiederte sie; »doch muß ich voraus sagen, daß mein Urtheil gar keinen Werth hat, als den Sie hinein legen. Mein Geschmack ist nur durch Lectüre gebildet, und nicht durch die allmächtige Kritik. Ich bin ein einfaches Mädchen, das nie den Umgang berühmter Menschen genossen. Meine Ansichten eignete ich mir zu, unter der Leitung meiner zwar geistig sehr bedeutenden Mutter; aber was gilt die Meinung einer Frau in den Augen eines Mannes? Sie betrachten uns ja im Allgemeinen als Geschöpfe zweiten Ranges; nur zuweilen, wenn es Ihnen gefällt, heben sie eine Einzelne hervor und proclamiren diese als Ihresgleichen, oder nein, das thun sie nie: sie stellen eine einzelne Frau über sich und die Frauen im Allgemeinen tief darunter.«

»Woher wissen Sie das?«

»Von meiner Mutter. Doch nun mein Urtheil, Also gerade zu, Sie haben bedeutendes Talent. Phantasie, Menschenkenntniß und schönen Styl, aber – Sie sind affectirt. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es ist Schade um Sie, daß Sie nicht Sie selbst geblieben. In Ihren Gedichten sind unnatürliche Situationen, unnatürliche Gefühle, unnatürliche Ausdrücke; werfen Sie das von sich, so wie Ihren falschen Schmerz, Ihren weltverachtenden Ton, der Ihnen auch gar nicht eigen ist. Wenn Sie einfach und ungeschraubt sind, dann entfaltet Ihr Genius so rein seine Schwingen und singt so herrliche melodische Lieder! Und im Leben sind Sie ja so einfach, wahr und anspruchslos.«

Lothar küßte ihre Hand und sagte: »Warum sind nicht alle so wie Sie.«

»Es werden sich,« setzte Candida freundlich hinzu, »viele Ihrer Verehrer von Ihnen wenden, wenn Sie diesen Pfad verlassen, denn es gibt Menschen genug, denen nur das Unwahre gefällt.« –

Lothar war einer von den wenigen Menschen, die Tadel vertragen können; sie sind seltener, als man glaubt. So viele verlangen ein aufrichtiges Urtheil, einen aufrichtigen Rath, und wenden sich gekränkt ab, wenn er ihnen ertheilt wird. Die Klugen vermeiden darum jedes Urtheil, ein falsches aus Achtung vor sich selbst, ein wahres aus Schonung für den Andern. Aber klug war Candida nicht, dazu war sie zu jung, zu einfach und zu enthusiastisch.

Der Minister bezog sein Landgut, Candida begleitete ihn. Er ließ nicht nach in Aufmerksamkeiten für sie, und sie schalt sich oft innerlich, daß ihr Herz ihm nicht wärmer entgegenschlug; aber dieses widerspenstige Herz ließ sich nicht zwingen, und heucheln wollte und konnte Candida nicht. Lothar folgte ihnen auf das Landgut. Es schien, der Minister wünschte eine Verbindung zwischen den beiden jungen Leutchen; sonst wäre die Art, wie er sie immer zusammenbrachte, unbegreiflich gewesen. Der Graf war auch ein Mann, den jeder Vater sich wohl zum Schwiegersohne wünschen konnte. Er war edel, geachtet, talentvoll und seine äußern Verhältnisse die günstigsten. Aber Candida, obgleich sie seine Unterhaltung offenbar der aller Andern vorzog, neigte sich noch nicht in dem Sinne ihm zu, wie es jeder junge Mann von seiner Angebeteten wünscht; ihr Herz war noch zu voll von Trauer um ihr entschwundenes Kindesglück, um sich der Liebe erschließen zu können, der Liebe, die nur da einzieht, wo sie allein herrschen kann.

Es war im Mai, schon ziemlich spät am Abend, als Candida vor ihrem Vater zum Erstenmale sang. Die Fenster standen offen und der Wind bog die Lichter der Kerzen. Sie hatte die erste große Arie der Norma » Norma« (1831), Oper Vincenzo Bellini auf ein Libretto von Felice Romani (nach einem Drama von Alexandre Soumet). gewählt, und als sie mit ihrer mächtigen Stimme das Recitativ: › Sediziose voci, voci di guerra,‹ begann, schien es als ob sogar der Abendwind aufhöre zu säuseln. Todtenstille herrschte ringsum, und als sie eben sang: › Casta diva che inargenti,‹ trat der Mond in voller Pracht hinter den Wolken hervor und leuchtete durch die offene Balkonthüre auf ihr Antlitz. In einer Gesangpause blies sie die beiden Kerzen am Flügel aus, die ihr störend in das schöne Mondlicht flackerten; Lothar, der sie verstand, löschte die Lampe am Tische, wo er mit dem Minister saß, und nun erleuchtete nur noch der Mond, das schöne blasse Mädchen im Trauerkleide. Voll schlug sie die Accorde auf dem tönenden Instrument an und träumte sich in Galliens Wälder. Als sie das Allegro: › Ah bello a me ritorna,‹ begann, stieg im Minister der Verdacht auf, dieses Mädchen habe schon geliebt, so glühend strömten ihr die Töne von den Lippen. Die Männer begreifen nicht, daß eine Frau alle Gefühle errathen kann, weil sie Alles durchleben, mit Händen greifen müssen, und darum dünkt es ihnen unmöglich, daß ein begabtes weibliches Gemüth durch Divination reich an Erfahrungen sein kann, ohne selbst in das Meer des Lebens sich untergetaucht zu haben. Die Frauen sind wie die Dichter, sie wissen auch von dem, was sie nie geschaut. Aber Lothar begriff ihren verwandten Geist, und ein Gefühl zog durch seine Brust, so mächtig, wie er nie eines gekannt. Mit Inbrunst flehte er zu Gott: »Laß mich die Liebe dieses Weibes gewinnen, laß dieses reiche Herz mein sein, und ich will Allem sonst entsagen!« –

Candida schwieg schon lange, als der Minister an den Flügel trat, um ihr etwas Verbindliches zu sagen. Da gewahrte er beim Mondlicht zwei große Thränen in ihren Augen. Es waren Thränen der Aufregung, nicht des Schmerzes. Sie erhob sich rasch und trat auf den Balkon. Lothar folgte ihr:

»Wie haben Sie gesungen! was sind alle Prima-Donnen gegen Sie!«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte sie lebhaft. »Meine Mutter, die meine einzige Lehrerin gewesen ist, war in ihrer Jugend zur Sängerin bestimmt, da lernte Sie aber meinen Vater kennen.«

»Ihr Herr Vater soll auch in früherer Zeit so schön gewesen sein, daß es leicht begreiflich ist, wie er eine Dame ihrem Vorsatz untreu machen konnte.«

»Kannten Sie ihn?« fragte Candida rasch und unbedacht.

»Damals nicht, denn da war ich ja selbst noch ein Kind; aber jetzt sieht man noch –« und er wandte sich dem Minister zu.

Tödtlich erschrocken beugte sich Candida über die Blumen, und mit Beben dachte sie:

»Er mein Vater! es wäre entsetzlich! ich liebe ihn ja nicht!«

Sie faßte hundertmal den Entschluß, den Minister nach ihrem wahren Vater zu fragen, aber eine nicht zu überwältigende Scheu hielt sie davon zurück; sie wollte keine Aufklärung, ihr graute davor.

Candida lernte auf den Wunsch ihres Vaters reiten, und bald war es ihre größte Freude; Lothar war ihr immerwährender Begleiter.

»Warum dichten Sie nicht?« fragte Sie ihn einmal bei einem Ritte; »warum vernachlässigen Sie Ihre Muse so? sie wird es übel nehmen, Frauen verlangen immer gleiche Aufmerksamkeit!«

»Ich dichte immerfort,« sagte Lothar leise.

»Warum zeigen Sie mir denn nicht Ihre Gedichte? das ist unrecht.« –

»Warum lesen Sie sie nicht?«

»Ich? wie sollte ich sie denn lesen?«

»In meinen Augen – ist Liebe nicht die höchste, die schönste Dichtung?« –

Candida sah ihn groß an; da durchblitzte sie die Wahrheit. Rasch schlug sie ihr Pferd und trieb es plötzlich zum Galopp an, um sich sammt ihrer Verlegenheit den Augen ihres Begleiters zu entziehen. Aber das Pferd, erschrocken durch die plötzliche Bewegung der Reiterin, stürmte in wilden Sätzen quer über das Feld, Lothar ihm nach; er erfaßte es noch zu rechter Zeit am Zügel und zwang das schnaubende Thier stille zu stehen. Candida lachte laut auf, aber ihre Wangen waren noch bleicher als gewöhnlich. Lothar sah sie ernst an und sagte vorwurfsvoll:

»Warum lachen Sie? Sie rühmten mir, daß Sie zu jederzeit wahr seien; dieses Lachen war nicht wahr!« –

»Sie haben recht, Graf, aber ich merke, es gibt Lagen, wo man nicht wahr sein kann, und erkläre von heute an, daß ich nicht besser bin als alle die Andern.«

»Was würden Sie gethan haben, wenn Sie wahr gehandelt hätten?« –

»Geweint.« –

»Worüber?« –

»Ueber Sie, über mich.« –

Weiter sprach sie kein Wort; auch Lothar schwieg.

Die Liebeserklärung Lothar's hatte Candida's ganzes Innere erschüttert. Es macht einen tiefen Eindruck auf ein Mädchen, wenn sie zum Erstenmal aus dem Munde eines edlen Mannes das Wort der Liebe vernimmt. Candida liebte den Grafen noch nicht, nein, es schmerzte sie sogar, daß er ihr sein Herz zugewendet, und dennoch war sie stolz darauf. Sie erschien bei Tische befangen und zerstreut. Der Minister bemerkte, daß etwas vorgefallen, aber desto eifriger war er bemüht, unbefangen zu scheinen. Er sprach fortwährend, und bei seiner Gewandtheit wurde es ihm nicht schwer, die Unterhaltung ganz allein zu führen.

Dies war ihm sogar angenehm, da widersprach ihm Niemand, und Widerspruch konnte er durchaus nicht ertragen. Man konnte keinen größeren Fehler begehen, keine schlimmere Eigenschaft besitzen, als verschiedener Meinung mit ihm zu sein; seine Stellung ließ ihn glücklicherweise diesen Affront selten genug erleben. Wenn aber seine Tochter ihm widersprach, was bei Candida's offenem, freimüthigem Wesen zuweilen geschah, so verletzte es ihn nicht; er theilte die Ansicht so vieler ausgezeichneten Männer, daß Frauen keinen Mann beleidigen können, weil sie zu unbedeutend sind. –

Sicherheit und Ruhe fand Candida schon am folgenden Tage wieder. Sie begegnete Lothar's innigen Blicken mit unbefangener Freundlichkeit; er aber liebte sie mit jedem Tage zärtlicher. Ihr stolzer Character, ihr warmes Herz, ihr kühner, unternehmender Geist offenbarten sich ihm in ihren Unterhaltungen und fesselten immer mehr und mehr seine Gefühle. Auch sie begann sich ihm zuzuneigen. War er Morgens schon nicht im Saale, wenn sie zum Frühstück erschien, so kam dieser ihr öde und unwohnlich vor; ihr Vater erschien ihr dann besonders hart und eisern und das Wetter nicht freundlich. Darum gewöhnte sie sich mit jedem Tage später zu kommen; denn ihre Neigung war noch nicht so weit gediehen, daß sie den Augenblick ersehnte, wo sie Lothar zu sehen bekam; nein, in ihrem Zimmer vermißte sie nie seine Gesellschaft, nur bei ihrem Vater fehlte er ihr als Bundesgenosse.

An des Ministers Geburtstag, der in den Juli fiel, erschienen besonders viele Gäste aus der Residenz. Candida mußte die Honneurs machen. Als sie alle diese Menschen einen nach dem andern eintreten sah, ward ihr ganz bange; es waren nur Männer und fast lauter fremde Gesichter, denn Candida hatte vor Ablauf des Trauerjahr's keine Besuche machen wollen. Sie sah sich nach Lothar um; er war in ein Gespräch mit einem jungen Manne verwickelt, und zum Erstenmale sehnte sie sich vergebens nach ihm. Endlich trat er zu ihr und stellte ihr seinen Begleiter als einen berühmten Virtuosen vor. Sie sprach mit diesem, konnte aber nur einzelne Silben oder ganz gewöhnliche Phrasen von ihm zur Antwort erhalten. Ihr Vater erlöste sie von der unerquicklichen Aufgabe, indem er den Musiker an das Piano führte und ihn bat, der Gesellschaft etwas zum Besten zu geben. –

Der Virtuose willigte ein zu spielen, machte aber ungeheure Vorbereitungen. Kein Stuhl war ihm hoch genug, es mußten Polster herbeigeholt werden; den Notenpult schraubte er ab, um ihn seinen Augen näher zu rücken; die Kerzen waren ihm zu hoch, und er verlangte welche, die schon angebrannt waren, dann wurde der Deckel des Flügels geöffnet, die Pedale untersucht. Candida rührte sich nicht von der Stelle, obgleich der Minister wie hülfesuchend sich öfters nach ihr umsah.

Nun begann der Musiker sein Spiel, oder vielmehr die Probe seiner Kraft auf den Tasten; hoch hob er die Hände und ließ sie dann mit aller Gewalt niederfallen, so daß Candida erschreckt von ihrem Sitze auffuhr. Sie sagte lächelnd zu Lothar, der neben ihr Platz genommen:

»Und wegen dieses Menschen haben Sie mich so lange allein gelassen?«

Bei diesen Worten des jungen Mädchens überzog eine solche Freude das Antlitz des jungen Mannes, daß Candida davon beängstigt wurde; sie fühlte, daß er ihre Worte anders genommen als sie gemeint waren. –

»Sie wissen doch,« setzte sie deshalb erröthend hinzu, »wie fremd mir alle diese Herren sind und haben mir immer bisher freundschaftlich beigestanden, sie zu unterhalten; heute aber haben Sie mich ganz meinem Geschick oder vielmehr meinem Ungeschick überlassen.«

Aber Lothar blieb vergnügt umstrahlend trotz ihren einlenkenden Reden, und blickte sie immerwährend so innig an, daß Candida sich erhob und zum Virtuosen trat, der die Fenster durch sein Spiel erklirren machte. Endlich hatte er ausgetobt. Ein Sturm des Beifalls erhob sich, Alles applaudirte, der Minister an der Spitze.

»Aergert Sie nicht,« fragte Candida?, nur um etwas zu dem jungen Manne zu sagen, der Beifall erwartend vor ihr stand, »ärgert Sie nicht immer das häßliche Klatschen nach Ihrem klingenden Spiel? Warum hat man keine andere Art, seinen Beifall auszudrücken, als diesen unharmonischen Lärm!«

»Sie meinen wohl,« sagte Lothar, der ihr gefolgt war, »jeder Zuhörer müßte irgend ein Instrument mit in das Concert bringen und darauf seine Freude bethätigen?«

»Sie sind übermüthig, Graf,« drohte Candida.

»Wäre es ein Wunder?« und dabei leuchteten seine Augen sie wieder auf solche Weise an, daß sie über die Deutung seiner Worte nicht im Zweifel sein konnte. –

Es war ihr daher willkommen, daß sie der Minister zum Singen aufforderte. Der Virtuose setzte sich wieder an das Piano, um sie zu accompagniren, was er aber so schlecht als möglich that, weil er nur selbst zu glänzen wünschte. Candida sang daher weniger gut als je, da der Fremde die Tempos fortwährend nach seinem Gutdünken veränderte. Als sie geendigt neuer Applaus; auch der Virtuose verbeugte sich vor ihr mit huldvoll herablassender Miene. –

»Allerliebst, mein Fräulein, wirklich ein hübsches Talent für eine Dilettantin, und recht reine Intonation; nur bitte ich das a etwas schärfer aus zusprechen, nicht so hohl; doch das ist ein allgemeiner Fehler der Deutschen.«

»Ich glaubte, Sie seien nur Clavierlehrer,« ließ sich neben Candida eine Stimme vernehmen, die ihr ganz unbekannt tönte; sie wandte den Kopf, es war Lothar. Der Zorn über die Anmaßung des Fremden hatte sein Organ ganz verändert. Ueberrascht blickte ihn Candida an; er war bleich und die Ader auf seiner hohen Stirn trat deutlich hervor.

»Clavierlehrer?« sagte endlich, von seinem Staunen zu sich kommend, der Musiker. »Clavierlehrer? wen meinen Sie, Herr Graf?«

»Wen anders als Sie?« sprudelte es nun aus Lothar's Munde.« »Sie regalirten unaufgefordert die Dame mit so guten Lehren über den Gesang, daß ich über Ihr vielseitiges musikalisches Talent staune.«

Der Minister, der von Weitem etwas gewahrte, trat rasch hinzu und schnitt durch seine Rede die Antwort des Virtuosen rasch ab. –

Candida war durch die Heftigkeit Lothars tief verletzt; er hatte im Zorne einen unbeschreiblich unangenehmen Eindruck auf sie gemacht, und den ganzen Abend konnte sie nicht mehr freundlich mit ihm sprechen, obgleich die Wellen seines Zornes sich längst gelegt hatten. Allein auf ihrem Zimmer dachte sie, wie häßlich der schöne Mann im Zorne gewesen, und sie suchte sich nur milder gegen ihn zu stimmen, weil er um ihretwillen seine Fassung verloren, da er sie gekränkt glaubte. Bisher hatte sie in ihrer Nähe nie einen Ausbruch des Zornes gesehen, und ihr eigener sanfter Character, sowie der ihrer Mutter, waren frei von dieser Schwäche.

Als sie beim Frühstück mit dem Grafen wieder zusammen traf, war ihr Groll verflogen. Er war auch liebenswürdiger als je und suchte sein Aufbrausen von gestern Abend, worüber sie ihn tadelte, so gut als möglich zu entschuldigen. –

»Ich war schon gereizt durch sein rücksichtslos schlechtes Accompagnement. Er riß das Ganze herunter, als geschehe es nur zu seinem Vergnügen; nur an den Worten kannte ich die schöne Arie wieder, so warf er Alles durcheinander; keine einzige Fermate beobachtete er, ich hätte ihn zum Fenster hinauswerfen mögen.« –

»Nun, nun,« lachte Candida, »erzürnen Sie sich nur nicht auf's Neue, denn Sie sind furchtbar in Ihrem Grimm.« –

»Ich muß mich auch noch bei Ihnen rechtfertigen, daß ich gestern so lange mit dem Pianisten gesprochen; aber ich meinte immer irgend etwas Bedeutendes aus seinem Munde hören zu müssen. Ich schlug alle Saiten an, sogar die seines Metiers, die Claviersaiten; aber alles war vergeblich, und ich überzeugte mich, daß er nicht nur ein unbedeutender Mensch, sondern geradezu albern ist. Ich wundere mich aber immer von Neuem, wenn ein berühmter Mensch ein dummer Mensch ist; ich habe zwar schon oft die Erfahrung gemacht, und eigentlich ist es auch gar kein Widerspruch, sofern die Berühmtheit nur durch musikalische Ausbildung und Fertigkeit erlangt wird. Dazu braucht man ja keinen Geist.«

»Doch, lieber Graf, es gibt aber auch zweierlei Publicum; das eine freilich bewundert Kunststücke, das andere aber die Auffassung, und das letztere wird nie mit unserem Pianisten sympathisiren.«

»Und dieser Mensch will Sie tadeln! Sie, mit Ihren seelenvollen Tönen, Sie, mit der man weinen und jubeln muß, wie es Ihnen beliebt und in welcher Richtung Sie gerade unsere Herzen entführen; Sie sind eine Zauberin, eine zweite Lurlei: Bedeuten Sie mich nicht, zu schweigen; ich sage nur was ich fühle. Wie kann man bei Ihrem Gesange daran denken, wie Sie das a aussprechen.« –

»Und vielleicht hatte er doch darin Recht, denn von meiner Mutter hörte ich oft denselben Tadel.«

»Ich kann Sie aber nicht tadeln hören, das bringt mich außer mir.«

»Sonst nichts?«

»Nein,« sagte der Graf erröthend, ich habe mir den Zorn außerdem ganz abgewöhnt; ich war sehr heftig, bin es aber nicht mehr.«

»Und wie haben Sie das Wunder einer so vollständigen Besserung bewirkt?«

»Die Besserung ist einfach Folge des tiefen Eindruckes, den auf mich eine Mittheilung meiner Großmutter über das Schicksal ihres Vaters, meines Urgroßvaters, hervorgebracht hat.«

»Erzählen Sie mir das, ich höre so gerne Familiengeschichten!«'

»Nun wohl, wenn Sie die Geduld haben, mit Freuden.

Es gibt,« begann Lothar, »keinen verstockteren Russenfeind als mich. Alle Fähigkeiten, die mir der Himmel verliehen, möchte ich gern zum Verderben dieser Race anwenden, und oft mußte ich es erleben, daß man diesen glühenden Haß irgend einem persönlichen, rachsüchtigen Beweggrunde zuschrieb. Diesen Verdacht mag ich nicht länger auf mir ruhen lassen; denn Rußland's größte Frau (freilich eine geborene Deutsche) hat im Gegentheile meiner Familie einen unermeßlichen Dienst erzeugt, ohne sie existirten wir nicht: sie hat meinem Urgroßvater von mütterlicher Seite, dem letzten Freiherrn F. von W., das Leben gerettet.

Mein Urgroßvater war in der Mitte des vorigen Jahrhundertes ein zwanzigjähriger Jüngling. Der Letzte einer alten Familie, schön und geistreich, der Erbe der reichsten und größten Güter in ganz Oberhessen – kein Wunder, daß er von aller Welt, am meisten aber von seiner eigenen verwittweten Mutter verzogen wurde; kein Wunder auch, wenn er ein eitler, hochmüthiger Geck geworden wäre; aber das war er nicht. Nur eines war die Folge seiner verkehrten Erziehung: er war so jähzornig und aufbrausend, daß er, wenn er gereizt wurde, eher einem Tiger als einem Menschen glich. Niemand hatte den Muth gehabt, diese Leidenschaft des Jünglings zu bändigen.

Nun sollte er die Universität beziehen. Man machte große Anstalten, denn das war ein Ereigniß. Ein Hofmeister, ein Kammerdiener, ein Reitknecht und ein Lakai begleiteten ihn; seine Mutter inspicirte selbst unter tausend Thränen die Garderobe des einzigen Sohnes, als die Haushälterin sie einpackte.

Aber noch schönere und jüngere Augen als die der edlen Dame waren mit Thränen um die Abreise des ›jungen gnädigen Herrn‹ benetzt – die Augen der achtzehnjährigen Pfarrerstochter Marie in Dauernhein, dem Gute, welches die ›Herrschaft‹ vorzugsweise bewohnte.

Mariechen war sehr unglücklich. Der junge F. war nach einander ihr Gespiele, ihr Freund und ihr Liebhaber gewesen. Zwar hatte er ihr nie eine eigentliche Liebeserklärung gemacht; nur wie er an ihrem gemeinschaftlichen Confirmationstage – er war damals sechzehn, sie vierzehn Jahre alt – am Nachmittage allein mit ihr im Pfarrhausgarten saß, hatte er, nachdem er sie lange stillschweigend betrachtet, mit ungewöhnlich sanfter Stimme zu ihr gesagt: ›Mariechen, das nächste Mal, wenn wir vor dem Altar stehen, wollen wir Zwei auch allein neben einander uns hinknieen – aber dann sollst Du einen Kranz in Deinen blonden Haaren tragen.‹

Mariechen sah ihn ganz verwundert an, weil sie ihn nicht verstand; als aber die Vierzehnjährige von des Sechzehnjährigen glühenden Wangen und leuchtenden Augen das Verständniß der dunkeln Worte gelesen, da sprang sie auf und lief fort in's Pfarrhaus und dort in's oberste Stockwerk, wo ihr Schlafkämmerchen war, und schloß die Thür ab und steckte ihr brennendes Gesicht in die Kissen ihres schmalen ärmlichen Bettes und weinte und schämte sich.

Als er noch ein zwölfjähriger Junge war, hatte er das Pfarrerstöchterlein einmal auf dem Teiche des Parkes im Kahne spazieren fahren wollen. Das ängstliche Mädchen weigerte sich dessen, da übermannte den kleinen Baron dermaßen sein böser Jähzorn, daß er das Kind mit aller Kraft in den Kahn hinab stoßen wollte; sie fiel aber daneben in's Wasser, und ihr blondes Köpfchen verschwand unter den zusammenschlagenden Wellen. Von seinem ganzen großen Gefolge war Niemand in der Nähe; so sehr er rief und schrie, kein Mensch erschien. Mariechens Gefolge aber, das ihr zur Seite geblieben und das freilich nur aus einem großen starken Hunde bestand, war nicht müßig und rettete sie. Feldmann war ihr nachgesprungen und zerrte sie bald an ihren langen Flechten an's Ufer hinauf, wobei ihm der trostlose F. half.

Die Augen des armen kleinen Mädchens waren fest geschlossen, als der Knabe vor ihr kniete und sich selbst anklagte in übermäßiger heftiger Reue.

›Mariechen, werde nur wieder lebendig, ich will Dich auch zu meiner Frau nehmen, und Dir lauter sammt'ne Kleider geben, und nichts als Malaga und Kuchen; aber werde nur wieder lebendig!‹

Und sie that ihm den Gefallen. Sie schlüpfte aber still in ihr Kämmerchen und kleidete sich um, und Niemand erfuhr etwas von des Knaben jähzorniger That. Aber er gedachte es ihr auch. – –

Mehrere Jahre waren seitdem verflossen, und Karl hatte nicht mehr von seinen Planen gesprochen; wozu auch? sie glaubten ja ohne Worte an einander, und er hatte ja schon vier Jahre, ohne je eine Silbe zu verrathen, den Plan, Mariechen zu heirathen, in seinem Herzen getragen.

Im großen Saale im Herrenhause, in Gegenwart der Frau Baronin nahm sie Abschied von ihm, und er sah ihre fallenden Thränen, und nur sie hörte es, als er beim Abschied sagte: ›Ich schreibe bald, aber Du mußt auch bald antworten.‹

In der Universitätsstadt machte es förmliches Aufsehen, als der junge schöne F. mit seinem Gefolge ankam. Kein einziger Student trug mit so viel Gracie eine so schöne, lange Perücke, Keines Anzug war so geschmackvoll in Paris verfertigt, und gar Keiner konnte sich mit ihm messen, wenn er zu Pferde saß, auf seinem stattlichen Mecklenburger, und rechts und links grüßend, mit wunderbarem Anstand, das mit Goldtressen besetzte, dreieckige Hütchen lüpfte.

Aber alle jene Erfolge, die ihm natürlich kein Geheimniß blieben, hielten ihn nicht ab, schon in den ersten Tagen einen recht zärtlichen, innigen Brief an Mariechen zu schreiben und ihr auf dem Papier endlich kund zu geben, wie lieb er sie habe. Er bekam keine Antwort. Seine neuen Freunde, worunter ihm der liebste ein junger Franzose war, suchten ihn, als er ihnen sein Leid wegen des Schweigens der Pfarrerstochter anvertraute, auf's Beste deßhalb zu trösten. Um ihn zu zerstreuen, schlugen sie ihm einen Ritt nach Frankfurt vor. Er war gern einverstanden, und nachdem er seinen Hofmeister vermocht, zurück zu bleiben, seine beiden Westentaschen mit doppelten Louisd'ors gefüllt, stieg er mit seinen Freunden zu Pferde. Sein Kammerdiener, der alte Eberhard, bat sich es als besondere Gnade aus, statt des Reitknechtes mitzudürfen. ›Ihro Gnaden könnte etwas zustoßen!‹ F. von W. willigte aus Gutmüthigkeit für den alten treuen Diener ein, wenn es ihm auch eigentlich unangenehm war. Aeltere Leute erscheinen den Jungen immer wie Aufseher. Die Gesellschaft bestand aus fünf Personen: F., dem Franzosen Marquis de L., zwei anderen jungen Edelleuten und dem Kammerdiener. Als sie in Frankfurt ankamen, waren alle ziemlich ermüdet, und nachdem man eine Mahlzeit angeordnet, warfen sich die jungen Leute in die breitarmigen Lehnstühle, die im Saale des Gasthofes umherstanden. Der Marquis saß neben F. und sagte diesem allerhand schmeichelhafte Dinge, aber in der leichten, unabsichtlichen Weise, wie Leute von Welt sie besitzen. Mein Urgroßvater nahm sie in gutmüthigem Glauben für baare Münze und wurde sichtlich dadurch erheitert und immer mehr zu L. hingezogen, während die beiden Andern sich spöttische Blicke über des Franzosen Schmeichelreden zuwarfen; denn der Plan, den jungen, unerfahrenen, reichen Menschen zu gewinnen, war leicht zu durchschauen.

Da zog der Marquis ein Spiel Karten aus der Tasche und schlug vor, bis das Mittagessen aufgetragen werde, sich auf diese Weise die Zeit zu vertreiben; die drei andern jungen Leute willigten mit Vergnügen ein, und F. der seit je gern spielte, rückte sogleich seinen Sessel zum nächsten Tische. Der Marquis hielt Bank und gewann immerwährend. F. schob ihm lächelnd ein Goldstück nach dem andern hinüber.

Plötzlich veränderte sich sein schönes Antlitz zum Erschrecken. Der Marquis hatte mit der größten Gewandtheit eine Karte aus seinem weiten, von Manschetten umbauschten Aermel gezogen; aber F. hatte es dennoch gesehen! Er sprang auf, er warf den Stuhl zurück, er schrie mit einer Stimme, daß die Fenster klirrten: »Du betrügst, Du betrügst! Zieh den Degen!« Und der seinige blinkte in der Luft und drohte über den Spieltisch hinüber dem entsetzten Franzosen, der regungslos, todtenblaß auf seinem Stuhle saß und wie ein Bild von Stein sich nicht rührte – war es sein Gewissen, war es F. von W.'s furchtbarer Zorn, der ihn lähmte – man wußte es nicht.

F. war wie ein Besessener. Auf seinen feinen Lippen standen weiße Schaumperlen und immerfort schrie er mit der durchdringenden entsetzlichen Stimme der höchsten Wuth: ›Zieh, Elender, zieh, oder Du bist des Todes!‹ Und als endlich der Marquis sich so weit ermannte, um ihm zu entgegnen: ›Ich mag nicht,‹ fuhr er mit einem Satze um den Tisch herum, und mit den Worten: ›So fahre zum Teufel!‹ stieß er, ehe die beiden Zeugen es hindern konnten, seinem liebsten Freunde den Degen mitten durch die Brust.

Der Marquis war augenblicklich todt. Ohne Laut, ohne Zucken fiel er vom Stuhle in die Arme der beiden andern jungen Leute, die auch ganz fassungslos bei F.'s Wuth geworden. Mit diesem ging nun eine Veränderung vor, die wahrhaft erschütternd war. Als er das Unglück sah, das er gestiftet, als die Ueberzeugung seines Mordes ihm klar wurde, warf er sich in trostloser Verzweiflung über die Leiche.

Eberhard stürzte jetzt herein, auf seine ängstlichen Fragen antworteten ihm in halben Worten die erschrockenen Freunde. Als er das Unglück begriffen, umklammerte er seinen jungen Herrn und beschwor ihn, zu fliehen.

›Ich habe das Vorzimmer verschlossen, als ich Sie so schreien hörte, wir sind noch sicher, wenn Sie gleich fliehen – ich decke Ihren Rückzug – um Gottes willen, gnädiger Herr! denken Sie an die Frau Mama!‹

F. gab keine Antwort! Im stummen höchsten Schmerze lag er mit dem Gesichte auf der Brust des Todten, und nur das krampfhafte Zittern seines Körpers verrieth, daß er noch dem Leben angehöre.

Draußen an der Thür wurde heftig gepocht. Die beiden Freunde vereinten ihre Bitten mit denen Eberhard's; auch sie versprachen, die Sache zu verheimlichen, bis F. in Sicherheit – aber auch ihnen gab er keine Antwort.

Doch plötzlich erhob er sich und schritt rasch zur Thür – die Drei folgten ihm in's Vorzimmer und schlossen die Thür hinter sich ab; während dessen öffnete F. rasch das Schloß der Thür, die aus dem Vorzimmer nach dem Gange führte, an welcher von außen heftig gerüttelt wurde.

Als die Thür so schnell aufging, fielen der Wirth und ein paar Kellner, die draußen dagegen gelehnt, beinahe in's Zimmer.

W.'s Anblick machte sie sichtlich erschrocken seine Haare und seine Kleider waren in Unordnung: und sein Gesicht todtenblaß. Er streckte die Hand gegen sie aus: ›Rufen Sie die Gerichte. Ich habe meinen Freund erstochen. D'rin liegt die Leiche.‹

Und ohne sich dann weiter um sie zu kümmern, schritt er zurück an dem erschrockenen Eberhard und seinen Freunden vorüber, schloß die Thür des Zimmers wieder auf und setzte sich wieder neben die Leiche – selbst wie eine Leiche.

Die Gerichtspersonen kamen. F. wurde auf die Hauptwache gebracht.

Die Verhöre nahmen ihren Anfang. Der Schuldige gestand einfach Alles ein. Eberhard unterdeß war mit der Schreckenspost nach Dauernheim geeilt. Frau von F. kam. Sie warf sich dem versammelten Magistrat zu Füßen; aber ihr Sohn war ein Todtschläger, und die Richter der alten freien Stadt Frankfurt sagten ihr, darauf stehe der Tod.

F. war wie umgewechselt. Aus dem heitern, stolzen Jüngling war binnen einer Stunde ein ernster, trauriger Mann geworden. Als man seiner Mutter gestattete, ihn zu sehen, hatte er kein anderes Trosteswort für sie, als: ›Um Ihretwillen thut es mir leid, aber – Blut muß gesühnt werden!‹

Die Richter beriethen lange. F. saß schon viele Monate auf der Hauptwache, den Tag über in trübem Sinnen durch's Fenster nach der Straße stierend, ohne doch etwas zu sehen, die ganze Nacht rastlos auf- und abgehend. Immer und immer meldete die Schildwache, sie habe ihn die ganze Nacht herumwandeln und leise und herzbrechend: ›O weh, o weh!‹ rufen hören. Erst wenn der Tag anbrach, gönnte sich der Unglückliche einige Stunden Ruhe.

Endlich eines Tages verkündete man ihm sein Urtheil, es lautete: Tod durch das Beil!

Aber dann setzte der Verkündiger hinzu: ›In Anbetracht, daß der Schuldige der Letzte eines so edlen und alten Geschlechtes sei, habe der hochedle Rath der freien Stadt Frankfurt ihn dahin begnadigt, daß er das Todesurtheil in lebenslängliche Haft verwandelt, und zwar in ehrenvolle Haft auf der Hauptwache.‹

Die edlen Herren vom Rath thaten sich noch lange nachher viel zu Gute auf diese Courtoisie, welche sie geübt, und auch, daß sie dem Gefangenen keine Gitterstangen vor seinem Fenster gegeben.

F. sah mit einem raschen Blicke die vier niederen kahlen Wände seines engen Gefängnisses an und sagte dann mit leiser, melancholischer Stimme: ›Also hier bis zuletzt!‹

Auf seinem blassen Gesichte war die tiefste Ergebung ausgeprägt. – –

Zehn Jahre waren verflossen, zehn ereignißvolle Jahre, worin Friedrich der Große, Katharina die Zweite, Maria Theresia durch ihre Thaten, ihre Kriege, ihren Ruhm die ganze Welt erfüllten. Mein Urgroßvater erfuhr nichts davon, sein Wärter, ein alter grämlicher Mann, erzählte ihm nichts, und in der kleinen Stube über der Hauptwache in Frankfurt verkohlte langsam eines der feurigsten, begabtesten Männerherzen jener reichen Zeit – unerkannt, ungeahnt. W.'s einzige Beschäftigung, seine einzige Erholung bestand darin, daß er wie ein gefangener Löwe Tag und Nacht in seiner kleinen Kammer auf und ab schritt. Schon zweimal in diesen zehn Jahren hatte der Fußboden neu gedielt werden müssen, weil – F. ihn durchgegangen.

In dieser ganzen langen, durch ihre Wechsellosigkeit furchtbar langen Zeit war kein anderer Gedanke in die Brust des im Gefängnisse zum Manne gewordenen Jünglings eingekehrt, als der Gedanke der bittern, unnachlassenden Reue! Und sonderbarer Weise hatte sich zu dieser Reue über den Mord an seinem Freunde dennoch eine Art von Abscheu gegen den Gemordeten selbst ausgebildet. War es sein edles, ritterliches Gemüth, das bei dem niedrigen Verbrechen des Marquis sich verachtend abwandte, oder war es die Rache seines Egoismus, der in dem Franzosen die erste Ursache seines Unglücks sah? genug, das Gefühl, das ihn in hingebender Liebe im ersten Augenblicke an die Brust des Gemordeten gezogen, war verschwunden – er bereute tief und bitter seine Schuld und haßte eben so tief und bitter sein Opfer. Dieser Zwiespalt zerriß aber noch mehr sein Inneres, und jenes immerwährende nächtliche ›O weh!‹ erschallte ununterbrochen, und nach wie vor gönnte sich der Unglückliche nur einige Stunden Ruhe um die Morgendämmerung!

Heute, als er in seinem gewöhnlichen, von wilden Träumen gestörten kurzen Schlummer lag, weckten ihn bald ungewohnte Glockenklänge – es war ihm, als sei die Zahl der Glocken verdoppelt, als schwankten alle Häuser der alten freien Reichsstadt vom starken Schalle hin und her.

Er ging unwillkürlich an's Fenster, da wurde selbst sein gleichgiltiges Auge aufmerksam. Die Häuser sah man gar nicht mehr vor Blumen und Teppichen, die Straßen selbst waren mit Grün bestreut, und eine geschmückte, aufgeregte Menge wandelte in dichten Massen darüber hin. F. blieb wie gebannt im Fenster liegen – ein unsäglicher bitterer Schmerz durchzuckte ihn – mitten in dieser Stadt, mitten in dieser Menge wußte er nicht einmal, welcher Feier diese Vorbereitungen galten.

Seit zehn Jahren ein Bewohner der so berühmten Stadt, kannte er nichts von ihr als den Platz um die Hauptwache, den freilich auf's Genaueste, denn da war kein Steinchen, kein Dachschiefer, auf welchem nicht sein scharfer Blick stundenlang geruht – er hatte ja gar nichts sonst zu thun.

Aber auch die Bewohner dieses Platzes und dieser benachbarten Straßen kannten ihn wohl, und oft sprachen die Mädchen bedauernd von dem schönen blassen Herrn von W., der da oben in der Hauptwache sein Leben vertrauere! Er sah sie nicht, oder wenn er sie sah, so erschienen sie ihm wie Marie, die Pfarrerstochter, das einzige Mädchen, das er in seinem freilich kurzen Jünglingsleben geliebt!

Heute wurde er dreißig Jahre alt, aber er dachte nicht an seinen Geburtstag, obgleich er einen Kalender, sein einziges Buch, besaß.

Das Getümmel auf der Straße wurde immer stärker, plötzlich hörte er ganz deutlich den Ruf: ›Sie kommt, sie kommt!‹ Und bald darauf sah er auch einen Zug die Zeil herauf sich bewegen. Wehende Fahnen, Stadtsoldaten zu Pferde und zu Fuß, der edle Rath mit dem Bürgermeister an der Spitze, das erkannte er alles wohl, wenn er es auch nie in diesem Pomp gesehen; aber nun kam etwas, das seine Aufmerksamkeit mehr fesselte, obgleich er es nicht zu nennen wußte.

In einer großen goldschimmernden Carosse saß eine blonde Frau. Sie war nicht besonders groß, noch schön, noch jung, aber in ihrer Haltung, ihren Augen lag etwas, daß man die Blicke nicht wieder von ihr abwenden konnte – unwillkürlich kam bei ihrem Anblicke die Ueberzeugung in die Seele des Beschauers, daß er hier eine der merkwürdigsten Frauen ihrer Zeit vor sich sehe. Sie grüßte höchst anmuthig nach allen Seiten, aber mit jenem sichern Stolze, der anzeigt, daß man von Kind auf gewöhnt ist, von einer großen Menge gefeiert zu werden.

Indem sie näher kam, klopfte F.'s Herz unwillkürlich stärker; es war das erste Mal seit zehn Jahren, daß etwas von außen Kommendes seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm – und zwar dieses Mal seine ganze Seele.

Jetzt kam der Zug dicht an der Hauptwache vorbei; F. legte sich weit zum Fenster hinaus und schaute nach der Dame. In diesem Augenblicke hob auch sie den Kopf. Dunkle Röthe überstürzte das Gesicht des Gefangenen; aber die Frau, die durch ihren Blick diese Bewegung hervorgerufen, ließ ungestört ihre blauen schönen Augen auf ihm ruhen. Nie waren die seinigen einem so klaren, scharfen und doch gewinnenden Blicke aus Frauenaugen begegnet.

Ihr Anschauen, das natürlich nur einige Secunden währen konnte, weil der Zug sich weiter bewegte, war ihm eine glückliche Ewigkeit gewesen – zehn Jahre Gefangenschaft hatte es aus seiner Erinnerung verwischt.

Nachdem die Dame seinen Augen entschwunden, litt es ihn nicht mehr am Fenster. Er verließ es, um nach gewohnter Sitte mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab zu wandeln. Sehnsüchtig wünschte er zum ersten Male die bescheidene Mahlzeit herbei, weil der, welcher sie brachte, ihm Auskunft geben sollte über das, was er gesehen.

Noch keine Stunde war so in ungeduldigem Auf- und Abschreiten verflossen; es war noch nicht Mittag, als sich die Thür öffnete und athemlos ein Rathsherr mit hochrothem Gesicht eintrat; auf dem Gange sah F. ein ganzes Gefolge stehen.

›Edler Freiherr,‹ sagte der Rathsherr, ein alter freundlicher Mann,, ›wie bin ich glücklich, der Träger einer so freudigen Nachricht zu sein! Ew. Gnaden sind frei.‹

Aber F. hatte ihn nicht gehört. Wie alle heftig fühlenden Menschen auch zerstreut sind und nicht achten auf Anderes, wenn ein Gedanke sie lebhaft bewegt, so hatte er nur ungeduldig und zerstreut darauf gewartet, daß der Rathsherr schweigen möge, damit er ihn fragen könne, und deßhalb nichts vernommen.

›Um Verzeihung, edler Herr, wer war die Dame, welche eben im Festzuge vorüberfuhr, die Fürstin im Hermelin?‹

›Ja, das waren ja Ihre Kaiserliche Majestät, die Selbstherrscherin aller Reussen – Katharina die Zweite.‹

›Giebt es jetzt eine Kaiserin Katharina? So, so.‹

›Ja, und eben sie hat Ew. Gnaden Befreiung erwirkt.‹

›Sie – sie!‹ Und F. faßte den alten Mann so heftig an, daß er erschrack. ›Um Alles in der Welt erzählen Sie, was hat sie gethan?‹

›Als Ihre Majestät hier vorüber gefahren, fragte sie einen der von uns ihr entgegengesandten Ehren-Cavaliere, wer der Mann sei, der aus dem oberen Fenster der Wache herausgeschaut – denn es war wohl Ihrer Kaiserlichen Majestät aufgefallen, daß Ew. Gnaden nicht geschmückt und frisirt und gepudert sind, wie heute männiglich in der freien Reichsstadt, um seine Freude an den Tag zu legen.‹

›O, kürzen Sie ab, ich bitte Sie!‹

›Man gab Ihrer Majestät darauf gebührende Auskunft, und auf ihr Befragen wurde ihr auch Dero Bergehen und – Abbüßung mitgetheilt.‹

›Weiter, weiter.‹

›Sie wandte sich hierauf mit huldvollem Lächeln an den Herrn Stadtschultheiß und den in corpore versammelten Rath und bat sich Ew. Gnaden Befreiung als eine Gefälligkeit aus, welche ihr zu erweisen der hochedle Rath sich natürlich zur höchsten Ehre rechnete.‹

F. sank in einen Stuhl und schlug die Hände vor's Gesicht – ein heftiges Schluchzen zerarbeitete seine starke Brust, aber er bezwang sich; als die Hände von seinem Gesichte glitten, waren seine Wangen freilich noch blässer, als gewöhnlich, aber sein Auge war trocken.

›So lassen Sie uns gehen. Auf, daß der letzte Freiherr F. von W. wieder in die Welt zurück kehre – ich,‹ sagte er mit einem langen traurigen Blicke auf die öde Kammer, ›bin hier gestorben – aber was liegt daran, der Name bleibt am Leben!‹ –

In Dauernheim, dem W.'schen Gute, war Alles verändert seit der Abreise des jungen Besitzers zur Universität.

Die Freifrau saß zwar noch am Abende in demselben Sessel wie damals; überhaupt ihre Umgebung war nicht verändert, aber sie selbst desto mehr! Doch nicht in der Weise, wie man es erwarten wird, nämlich traurig und verkümmert ob des Unglückes des einzigen Kindes, o nein, die Dame war völlig vergnügt und aufgeblüht. Man mußte sie freilich nicht zu sehr in der Nähe betrachten, aber in einiger Entfernung gaben ihr die erhöhte Schminke, die gefärbten Brauen, so wie der jugendliche Kopfputz und die vielen rosenrothen Schleifen an ihrem Anzuge wirklich etwas Jugendliches. Als F. schied, war sie eine stattliche, wohl conservirte, schöne Dame gewesen; jetzt sah sie aus wie eine alte Schauspielerin, die man durch ein gutes Lorgnon betrachtet, während die große Menge in Parterre und Galerien die jugendliche Schönheit bewundert.

Die Freifrau hatte sich wieder mit einem Manne vermählt, der nur ein paar Jahre älter als ihr Sohn war – es war ein französischer Oberst, der sein Land hatte verlassen müssen, weil er seinen General erstochen.

Diese Ursache seiner Flucht war es, was ihm zuerst das Haus der Dame öffnete – er hatte dasselbe gethan, wie ihr Sohn, von dem sie im Anfange auch immer mit ihm sprach. Hernach sprachen sie zuweilen von sich selbst – und seit fünf Jahren waren sie ein Ehepaar. Aber sie hatte sich getäuscht, indem sie in dem Obersten eine Stütze, einen Lebensgefährten, eine Gesellschaft zu finden hoffte. Sobald er mit ihr vermählt war, ließ er sich F.'s Zimmer einräumen, und da saß er nun bei verschlossenen Thüren Nacht und Tag; Niemand wußte, was er treibe; nur fand man es sonderbar, daß auch in den heißesten Sommertagen immer der Kamin seines Zimmers rauche.

Auch jetzt war er oben, und seine Gemahlin saß unten allein und verfertigte eine höchst geschmacklose Stickerei, bei der ihr ein blondes Mädchen – sie nannte sie nur Mademoiselle (das war aber schon seit undenklichen Zeiten der Ehrentitel für die Haushälterin) – mit großer Geduld die Wolle einfädelte. Mademoiselle war auch Niemand anders als Mariechen, die Pfarrerstochter, und daß sie ›Mademoiselle‹ war, das war die häßlichste Handlung der Frau von W.

F.s Brief an Mariechen hatte sie aufgefangen und gelesen, und darauf den boshaften Plan entworfen, das Mädchen, indem sie sie zu ihrer Haushälterin machte, in den Augen ihres Sohnes zu demüthigen und herabzusetzen. Mariechen natürlich durfte sich nicht weigern, die Stelle anzunehmen, dafür war ihr Vater und ihre eigene Aengstlichkeit und Demuth da.

Als F. die Unglücksthat beging, war sie schon mit ihrem kleinen Koffer als Haushälterin in das Haus seiner Väter eingezogen. Als er verurtheilt wurde, bereute die Freifrau ihre Verfügung über das arme Mädchen, und daß sie sie jetzt nicht wieder zu ihrem Vater gehen ließ, daran trug Mariechen selbst Schuld, die in der Trauerzeit gar zu kindlich und liebevoll für die verwaiste Mutter sorgte – Frau von W. konnte sie nicht mehr entbehren. Seitdem war nun der alte Pfarrer gestorben; der neue, junge hatte sie heirathen wollen, aber Marie sagte ruhig und freundlich, wie sie immer war: ›Lieber Herr Pfarrer, ich werde nie heirathen!‹

Auch Marie war verändert. Sie war jetzt achtundzwanzig Jahre alt. Das wunderbar schöne Oval ihres Gesichtchens war verschwunden, die Wangen waren zu schmal und eingesunken, das Kinn zu spitz geworden. Aber ihre schönen, sanften blauen Augen hatte sie noch – die blonden Haare freilich mußte sie auf Befehl der gnädigen Frau pudern.

Wie sie nun so gebückt in lautloser Stille vor ihrer geschmückten Gebieterin auf einem niederen Tabouret saß, fuhr sie plötzlich zusammen, so sehr, daß sogar die in ihre Arbeit versunkene Gebieterin es bemerkte.

›Nun, was giebt es?‹

›Ein Wagen, ich höre einen Wagen! Um diese Stunde ein Wagen!‹

›Nun, was ist's denn so Besonderes! Es wird ein Freund des Obersten sein.‹ (Sie sagte nie ›mein Mann‹.)

Der Wagen kam näher, er hielt vor dem Hause. Die Bedienten liefen mit Kerzen an die Thür. Mariechen sollte nachsehen, wer es sei, aber sie konnte nicht von der Stelle – eine Ahnung, eine überwältigende Ahnung nahm ihr alle Kraft; wie ein Gespenst saß sie da, alle ihre Sinne waren in ihr Gehör übergegangen.

Eine Stimme ließ sich draußen vernehmen, bei deren Klange sie die Augen schloß und sich an die Wand lehnte. Die Dame ahnte nichts, in ihren Zügen war nur eine ganz gewöhnliche Neugier ausgeprägt, als sich Schritte vor der Thür vernehmen ließen. ›Es kommt Jemand zu mir!‹ sagte sie überrascht. Da ging die Thür auf, und darin stand, in einen großen Mantel gehüllt, eine hohe Gestalt ohne Hut. Ungepudert hingen die braunen Haare um das edle bleiche Gesicht. Er blieb stehen. Die Dame erkannte ihn nicht, weil der grelle Lichtschein draußen auf dem Gange das Auge blendete.

›So kennen Sie mich gar nicht mehr?‹ sagte der Mann in der Thür endlich.

›Mein Sohn, mein Sohn!‹ – Und Alles und Alles vergessen – in der einzigen Freude des Mutterherzens warf sich die Dame in die Arme des einzigen Sohnes!

Eberhard stand dahinter und weinte laut. Mariechen aber zitterte in ihrer Ecke am ganzen Körper.

F. machte sich zuerst aus der Umarmung los.

›Eberhard sagte mir eben, daß Sie Sich wieder vermählt – kann ich den Herrn Vater sehen?‹

›Ich will es ihm sagen lassen,‹ entgegnete mit sichtbarer Verlegenheit die Mutter. ›Aber vor allen Dingen, wie bist Du frei geworden, mein lieber, lieber Sohn?‹ – Und sie führte ihn zu einem Sessel.

‚Weil ich ohne Puder und ohne Perrücke aus dem Fenster sah, meinte ein frankfurter Rathsherr.‹

Er theilte nun mit kurzen Worten seiner aufmerksamen Mutter die Geschichte seiner Befreiung mit. In der Art, wie er mit ihr sprach, lag aber eine gewisse Bitterkeit, die ihr auch nicht entging und einen großen Theil der Freude über das Wiedersehen bei ihr niederschlug.

Niemand war im Zimmer als Mutter und Sohn, und Eberhard, der an der Thür stand, und dann Mariechen in der dunkeln Ecke. F. entdeckte sie jetzt. ›Wer sitzt da?‹ fragte er.

›Die Haushälterin!‹ sagte Eberhard mit einer so maliciösen Betonung und einen so gehässigen Blick auf die Dame vom Hause werfend, daß diese erröthen mußte.

Mariechen rührte sich nicht.

›Du wirst Dich freuen, zu hören, lieber Sohn,‹ begann wieder die Mutter mit verlegener Freundlichkeit, ›daß unser gnädigster Landesherr, der Landgraf, uns die Güter nicht entzogen, sondern erklärt hat, daß, so lange ein W. lebe, sie nicht an ihn zurückfallen sollten.‹

›Ja, ein W. lebt noch immer,‹ entgegnete tonlos der Sohn. ›Aber warum kommt Ihr Gemahl nicht?‹

›Entschuldige ihn, mein Kind. Es ist ein Gelehrter, und man darf ihn in seinen Studien nicht stören, er hat es streng verboten.‹

›Selbst nicht, wenn ein todtgeglaubter Sohn wiederkehrt?‹

Die Dame wandte sich nach Eberhard, aber der zuckte boshaft die Achseln und sagte: ›Entschuldigen zu Gnaden, aber ich traue mir's nicht.‹

In diesem Augenblicke erhob sich Mariechen und wollte schnell zu einer entfernten Thür hinaus huschen, aber jetzt erkannte sie F.

›Marie! Marie!‹ rief er im alten Tone, den das arme Mädchen nur zu gut kannte.

Sie blieb stehen, aber sie wagte nicht, den Kopf nach ihm zu drehen.

Er ging rasch auf sie zu. Seine große, kräftige Gestalt beugte sich tief vor dem zusammenbrechenden Mädchen!

›So ist's recht,‹ sagte er bitter und leise und doch für seine Mutter nur zu vernehmlich: ›Meine Mutter hat sich selbst zu einer französischen Madame, Dich zur Mademoiselle gemacht! Aber sei ruhig, Mariechen, ich mache Dich zu einer deutschen Frau, so wahr mir Gott hilft, und zwar zu einer, die selbst vor der Kaiserin das Auge nicht niederzuschlagen braucht, wenn sie auch nur ein Wappen besitzt.‹

Marie sank lautweinend in seine auffangenden Arme; Eberhard aber stand dahinter und faltete die Hände und blickte zum Himmel.

Nach einem Augenblicke hatte sich F. schon wieder gefaßt. Er legte Mariens Arm in den seinigen und sagte ruhig: ›Jetzt mein Kind, sei so gütig, mich zu dem Herrn Obersten zu führen.‹

Und langsam und fest schritt er zur Thür hinaus, die Braut am Arme, während seine Mutter im stummen Erschrecken sich nicht zu regen vermochte und nur leise lispelte: ›Was wird das werden –was wird das werden!‹

F. klopfte heftig an die Thüre, welche ihm Marie als die des Obersten bezeichnete. Keine Antwort. Er klopfte noch heftiger; da endlich that sich die Thür auf, und es zeigte sich eine sonderbare Gestalt. Ein blasser schwarzäugiger Mann, die dunkeln, ungepuderten Haare um das auffallend schmale Gesicht hangend, um den hagern Körper einen alten großblumigen Schlafrock gewickelt, empfing zornigen Blickes die Beiden, die aber auch jetzt Eberhard begleitete.

Que Diable! was wollen Sie?‹ fragte er mit heiserer Stimme.

›Mich Ihnen präsentiren,‹ entgegnete mit ironischer Betonung F.

›Wer sind Sie?‹

›Dero Sohn F. von W., welcher direct von der Frankfurter Hauptwache kommt, um seine Güter, sein Haus und seine Zimmer wieder in Besitz zu nehmen.‹

Der Oberst sagte nichts, aber ein sichtbares arges Erschrecken glitt über seine Züge. Er warf einen fragenden Blick auf Marie, die noch immer an F.'s Arm hing, und einen auf Eberhard. Sie bejahten Beide mit stummem Kopfnicken.

F. aber lös'te des Mädchens Hand aus seinem Arme und schritt ins Zimmer; der Oberst war so erschrocken und so fassungslos, daß er noch immer an der Thür stehen blieb.

F. erkannte seine ehemals ihm so lieben Gemächer nicht wieder. Eine heillose Unordnung herrschte überall. Wer haus'te hier? Eine Unzahl von Flaschen und Fläschchen, von Büchern und Manuscripten, von Instrumenten und Geräthen – Alles wirr auf dem Boden und auf den Möbeln, theilweise mit dichtem Staub bedeckt. So sah es in den beiden ersten Zimmern aus; aus dem dritten und letzten kam aber ein starker Lichtschein und ein scharfer, unerträglicher Geruch. In dem Augenblicke, als F. die Schwelle überschritt, ertönte ein furchtbarer Knall, und nach allen Seiten spritzte von einer in der Mitte des letzten Zimmers stehenden Retorte aus eine glühende Flüssigkeit. Jetzt hörte man auch ein durchdringendes Geschrei aus dem ersten Zimmer erschallen, und mit fliegenden Haaren und Gewändern – er glich mehr einer Furie als einem wüthenden Manne – stürzte der Oberst herein.

›Alles ist verloren! Der Distillirkolben zersprungen! Woran ich seit Jahren mühsam gearbeitet, das ist nun im Augenblicke des Gelingens entrissen, weil man mich gestört. Sie haben mich gestört!‹ rief er nun, indem seine ganze Wuth sich gegen F. kehrte. › Sie haben mein Lebensglück ruinirt – ich wäre jetzt der reichste Mann der Welt, im Besitze eines unschätzbaren Geheimnisses, und nun – bin ich ein Bettler.‹

Und er raufte sich die Haare und beachtete gar nicht, wie die siedende Masse, am Boden hinrieselnd, alles verbrannte. Hier und da schlugen schon helle Flammen auf.

Mit unerschütterter Kälte rief mein Urgroßvater nach Eberhard und befahl diesem, einige Eimer Wasser zu bringen und das Feuer zu löschen. Dem wollte sich der Oberst widersetzen, da faßte ihn sein Stiefsohn mit kräftiger Hand, schob ihn in ein ihm noch von früher her bekanntes Cabinet, das keinen anderen Ausgang hatte, und schloß die Thür hinter ihm. Er selbst ging zu seiner Mutter, fand sie aber nicht mehr im Salon, denn sie hatte sich aus Angst vor dem Zusammentreffen der beiden Männer in ihr Schlafzimmer eingeschlossen. –

Vier Wochen darnach war Alles im Hause verändert. Der Oberst, der aber, wie sich auf F.'s Nachforschungen ergab, nur ein wegen Trunk und Spiel verabschiedeter Capitän war und das Duell mit dem General erfunden hatte, um sich bei der Frau von W. interessant zu machen, war nach Frankreich zurück gekehrt, und erhielt unter der Bedingung, daß er dort bleibe, eine kleine Pension von seinem Stiefsohne.

Seine Gemahlin mußte ebenfalls das Haus verlassen, um ein Schlößchen in einiger Entfernung zu beziehen, wohin ihr Sohn ihr monatlich Geld und das, was sie wünschte, sandte. Er selbst hatte Marien geheirathet, Marien, die noch eine Stunde vorher der Trauung widerstrebt, weil sie fühlte, daß sie nicht mehr die Fähigkeit besitze, F. zu beglücken.

›Ich bin verkümmert, lieber Freund,‹ sagte sie ihm unter Thränen, ›eine arme Pflanze, die zehn Jahre lang keinen Sonnenschein genoß und in kleinlichen Sorgen für das Hauswesen alle Kraft und Frische ihrer Seele verschleuderte. Ach F., mir blieb nicht einmal Zeit zu einem Gang in den grünen Wald – nicht Schatten, nicht Sonne wurde mir zu Theil, nur die spärliche Wärme des – Küchenfeuers! Ich bin nicht mehr die Marie von damals.‹

›Und ich bin auch nicht mehr derselbe,‹ sagte schwermüthig ihr Verlobter, ›so passen wir gut zusammen. Auch ich bin ausgebrannt und vertrocknet von langer Einsamkeit und Trauer in dem Alter, wo der Mann schaffen und lernen soll. Das muß und kann ich aber nachholen. Der Herr Stiefvater hat mein ganzes Vermögen, mehrere Hunderttausend Gulden, durch den Schornstein gejagt mit seiner Goldmacherkunst und überdies die Güter mit Schulden und hundert albernen Processen belastet – um letztere zu schlichten, muß ich jetzt meine Studien wieder aufnehmen, denn nur ein tüchtiger Jurist kann sich aus diesem Wuste herausfinden. – Lasse Dich deßhalb jetzt mit mir trauen, mein Kind, und dann gehe ich zwei Jahre auf die Universität, während Du hier meine Güter als Herrin verwaltest, wie Du es so lange als treue Dienerin gethan. Vielleicht wachsen mir die Flügel wieder etwas in der freien Luft, und Du kannst Dich vielleicht auch etwas erholen in dem Gefühle Deiner Unabhängigkeit.‹

Mariechen schüttelte traurig mit dem Kopfe, weigerte sich aber nicht länger der Trauung.

F. reiste wirklich wieder nach der Universität und ließ die junge Frau allein auf den weiten Gütern.

Von Zeit zu Zeit besuchte er sie, aber Jedes fand dann mit Trauer, daß das Andere noch eben so ernst und theilnahmlos war wie vorher. –

Der Herr von F. kam zurück. Die Bauern bauten ihm Triumphpforten. Marie zog ein weißes Gewand an und bemühte sich, glücklich auszusehen; auf ihren Wangen standen zwei große Thränen, und es gab auch wirklich Menschen, die sie für Freudenthränen hielten. Was will man mehr?

Marie gebar in drei auf einander folgenden Jahren drei Töchter. F. sagte dann jedes Mal zur Wärterin: ›Wäre es doch ein Sohn! Deßhalb hat man mir ja nur das Leben geschenkt.‹ Marie aber weinte, und das dritte Mal grämte sie sich so sehr, ihrem Gemahl keinen Sohn geboren zu haben, daß ein heftiges Fieber eintrat und sie am fünften Tage starb.

Seitdem war Herr von W. ganz unzugänglich. Er sah Niemanden als seinen Verwalter und seine Bauern. So lange Marie lebte, hatte er doch mit ihr bei Tische gesessen, war mit ihr ausgefahren, und wenn er auch wenig sprach und niemals lachte, so lebte er doch mit Jemand zusammen, und wenn Besuch vom benachbarten Adel kam, was freilich wegen der Dame bürgerlichen Herkommens nur sehr selten und von ausgezeichnet starken Geistern geschah – er hatte doch einigen Umgang.

Marie war aber überhaupt nicht zu ersetzen; sie sprach zwar nicht mit ihrer Umgebung, aber das war nur Schüchternheit; sie lachte eben so wenig wie ihr Gemahl, aber ein süßes, wohlwollendes Lächeln schwebte immer auf ihren sanften Zügen, und sie lebte nur in Andern – so selbstlos wie sie sind wohl Wenige gewesen; es war, als sei, nachdem ihre eigene Jugendlust gestorben, ihre Seele nur noch für Andere vorhanden. Sie errieth jeden Wunsch, kam jedem Bedürfnisse zuvor.

Das letzte, dritte Kind war meine Großmutter, die mir alles Vorhergehende mitgetheilt, wie sie es aus dem Munde einer Tante ihrer Mutter, der Schwester des alten Pfarrers, und aus nachgelassenen Briefen Mariens an eben diese Tante erfahren.

Der Herr von W. überlebte seine Frau noch sechzehn Jahre. Er lebte in seinem Zimmer eingeschlossen; seine Kinder sahen ihn beinahe nie; aber oft in der Nacht hörten sie ihn in seinem Schlafzimmer, das über dem ihrigen lag, auf und ab schreiten und immer und immer wieder ›o weh!‹ rufen.

Die alte Tante besorgte das Hauswesen und die Kinder. Als Herr von W. starb, nahm der Landgraf von Hessen, weil kein Sohn da war, die Güter wieder an sich; denn es waren lauter Lehen. In der eisernen Geldkiste des Herrn von W. fand sich aber so viel vor, daß jeder seiner Töchter ein Vermögen von vierzig Tausend Gulden zufiel, was wohl dazu beitrug, daß alle drei ein Jahr darauf schon vermählt waren.

Das hatte er alles in der kurzen Zeit erspart, dabei alle Schulden bezahlt, alle Processe beendigt, und war dennoch seinen Bauern ein milder, nachsichtiger Gutsherr gewesen. Für sich hatte er freilich nichts gebraucht, nichts bedurft. Seine Mutter starb in demselben Jahre wie er.

Sein ganzes Leben war eine Buße für eine That des Zornes, die doch nur eine Folge seiner kraftlosen, von keiner Vaterhand geleiteten Erziehung war. Giebt es etwas Melancholischeres, als so ein blumenloses Menschenleben?«

»Das ist wahr, Graf,« sagte Candida, die tief ergriffen von der Erzählung ihn ängstlich ansah, »aber ist es auch eben so wahr, daß Sie die traurige Erbschaft eines so grausigen und verhängnißvollen Characterzuges, der in einen solchen Abgrund stürzen kann, für immer von sich geworfen haben?«

Lothar antwortete nichts, aber er legte betheuernd die Hand auf die Brust.


Drittes Kapitel.

Einige Wochen später saß Candida im Garten und zeichnete einen verwitterten Baum, der auf dem benachbarten Felde schon lange in ihr die Lust ihn abzubilden gereizt hatte. Da hörte sie nebenan auf dem, nur durch eine niedere Mauer von ihr geschiedenen Hofe ein Pferd herumspringen. Sie stieg auf die Bank und sah, daß es Lothar's englisches Reitpferd war, welches frei im Hofe herum jagte; offenbar hatte es sich im Stalle losgerissen. Stallknechte eilten herbei, es zu fangen; aber das scheue Thier rannte hin und her, bis es plötzlich bei einer raschen Wendung auf dem glatten Pflaster ausglitt und mit aller Gewalt zu Boden stürzte. Nun kam auch des Grafen Reitknecht und wollte das heftig zitternde Thier am Zügel in die Höhe ziehen, aber es war nicht aufzubringen. Alle umstanden es mit besorgter Miene, als Lothar aus dem Schlosse trat. Er übersah sogleich mit raschem Blick, was geschehen war.

»Elender!« donnerte er den Reitknecht an, »was hast Du gemacht?« –

»Wenn Nelson sich auch wirklich verletzt hat, ich kann nichts dafür, Herr Graf.«

Kaum konnte der Bursche diese Worte vollenden vor einer Fluth von Scheltworten, die unaufhaltsam aus dem Munde des erzürnten Herrn brach. Der Knecht wollte sich wieder entschuldigen.

»Schweig!« rief der Graf mit weithin schallender Stimme, »oder –« und er hob in furchtbarem Zorn die Reitgerte gegen ihn auf. Erschrocken bückte der Knecht den Kopf; in demselben Augenblicke rief Candida:

»Graf, um Gotteswillen!« aber er hörte sie nicht, oder wollte sie in seiner Wuth nicht hören, bis sie immer dringender rief; da wandte er endlich den Kopf nach ihr, und warf ihr einen drohenden, ärgerlichen, Stillschweigen gebietenden Blick zu, und drehte sich wieder nach dem Knechte und ergoß sich fort und fort in maßlosem Schelten, ohne sich an des Fräuleins Gegenwart zu kehren. Er war und blieb der Enkel seines Urgroßvaters und seine Besserung war nichts als eine Illusion!

Bleich vor Schrecken glitt Candida von der Bank herab und floh durch den Garten wie ein gescheuchtes Reh dem Schlosse zu, immer noch die scheltende Stimme vernehmend, bis sie, in ihrem Zimmer angekommen, weinend auf einen Sessel fiel. Sie hielt die Hände vor das Gesicht, denn sie meinte immer noch die zornigen Augen Lothar's auf sich geheftet zu sehen, sein bleiches Gesicht, seine entstellten Züge schwebten ihr schreckenerregend vor, und tief verletzt war sie, daß ihr Anblick so gar nichts über ihn vermocht, daß er ungerührt ihre flehende Geberde, ihre Angst gesehen, ja ihr, als sie nachließ ihm zuzurufen, mit zornigen Blicken gedroht. – Sie erschien unter dem Vorwand von Unwohlsein nicht bei Tische, hörte aber von ihrem Mädchen, daß man des Grafen Pferd noch am Abend erschießen werde, da es wirklich den Fuß gebrochen.

Abends fuhr sie allein spazieren; ihr Vater war zum Fürsten berufen, und Lothar blieb allein im Schloß und ahnte nicht, daß dieser Tag ihn noch mehr koste, als sein schönes englisches Pferd. Am folgenden Morgen ging Candida zu ihrem Vater und bat ihn, es war die erste Bitte, die sie an ihn richtete, ihr zu erlauben, auf einige Zeit in die Stadt zurückzukehren.

»Was fällt Ihnen ein?« lächelte der Minister. »Haben Sie sich mit Ihrem Anbeter brouillirt? Warum wollen Sie auch mich dafür strafen und mir Ihre liebe Gegenwart entziehen? Besser, wir schicken den jungen Herrn in die Verbannung.«

»Thuen Sie das, so bleibe ich gerne hier.«

»Schon gut, ich werde ihn heute noch mit einer Sendung beauftragen, für die ich keinen Bessern finden kann. In vierzehn Tagen ist er wieder zurück; bis dahin lassen Sie Ihren Zorn sich legen.«

»Zorn?« sagte Candida rasch; »ich habe nie Zorn empfunden.«

»Empfindlich über jedes Wort, gerade wie Ihre Mutter!« Verletzt wandte sich Candida ab, und immer mehr bemächtigte sich ihrer die Furcht, daß der Minister wirklich ihr Vater sei. Aber der Schmerz über das getäuschte Vertrauen zu Lothar verdrängte jeden andern Gedanken. »Ich bin wieder ganz allein,« dachte sie, »allein, wie ich es nach dem Tode meiner Mutter war, wie ich es ewig bleiben werde.«

Lothar mußte abreisen, ohne von Candida Abschied zu nehmen. Vierzehn Tage verflossen nun ziemlich einförmig und traurig. Der Minister entbehrte doppelt Lothar's Gesellschaft, da seine Tochter ihm immer einsilbig und ernst gegenüber saß. Endlich kam der Graf zurück, zwei Tage früher, als man ihn erwartet. Mit lauter Freude empfing ihn der Minister, kalt und gemessen Candida. Sie war nun im Klaren über ihr Benehmen gegen ihn, und jeden Schritt hatte sie sich vorgezeichnet. –

Lothar wußte sich gar nicht in ihr Betragen zu finden und blickte sie verwundert an. Er hatte gar keine Ahnung, worin er gesündigt, und hielt es deshalb für Unwohlsein oder Wirkung eines unangenehmen Auftritts mit Herrn von Tessen. Für eine Laune hielt er es nicht, und gerade dafür wünschte das junge Mädchen, daß er es halten möchte; aber er kannte sie zu gut, um nicht zu wissen, daß sie keine Launen hatte. Von diesen Flecken war sie rein und das gab ihr einen um so höhern Werth in seinen Augen. Als sie aber mehrere Tage sich immer gleich blieb und fortwährend auf seine Reden nur das antwortete, was die strengste Höflichkeit erheischte, wurde er ängstlich und beschloß, sie um eine Unterredung zu bitten, da sie jedes Alleinsein mit ihm vermied.

Lothar legte zu diesem Zwecke beim Frühstück einen kleinen Zettel in Candida's Arbeitskorb, denn sie arbeitete jetzt immer, was sie sonst nur in ihrem Zimmer gethan. Sie brauchte dann den Grafen nicht anzusehen, wenn er seine fragenden Augen ängstlich auf sie richtete; früher dagegen, wie gerne hatte sie ihm gegenüber gesessen, den Kopf in die Hand gestützt, und des Mannes edle Züge bewundert, wenn er mit ihrem Vater sprach. Seine großen, dunkeln Augen mit dem ewig wechselnden Ausdruck, seinen schön geformten Mund mit dem anmuthigen Lächeln hatte sie immer mit neuen Vergnügen betrachtet, und oft, wenn sein leichtgelocktes Haar ihm von der lebhaften Bewegung des Hauptes über die Stirne fiel, gewünscht, es mit der Hand wegstreichen zu können, damit die reine, hohe Stirne wieder in ihrem Glanze sichtbar werde. Das war nun vorüber.

Candida fand den Zettel und darauf die Worte:

›Ich flehe um die Gnade einer Unterredung. – Gewähren Sie mir meine Bitte, damit ich nicht Ihren Herrn Vater um Aufklärung fragen muß. Seien Sie großmüthig und offen, wie ich Sie immer gekannt.‹ –

Candida war zu klug, um nicht einzusehen, daß es für sie hier keinen Ausweg gab. Einmal mußte die Sache aufgeklärt werden, also besser jetzt als später, da längeres Hinhalten nur für Beide peinlich sein mußte. Sie erschien bei Tische mit bleichem Antlitz, die Angst vor der kommenden Stunde machte ihr Herz in starken Schlägen pochen. Voll Erwartung blickte der Graf in ihre Augen, die sie aber von ihm abwandte. Gleich nach dem Dessert erhob sie sich und setzte sich in das Nebenzimmer an das Fenster, welches nach dem Garten zu offen stand. Der Minister ahnte, daß sich eine Erklärung vorbereite, und schützte Geschäfte vor, indem er sich schnell entfernte. Lothar war Candida gefolgt und stand ihr nun bebend gegenüber.

»Candida, reden Sie, was habe ich verbrochen, wodurch Ihre Freundschaft, Ihre Achtung verscherzt?« sagte er kaum hörbar. –

Candida schwieg, die Augen geschlossen. Er fuhr fort:

»Reden Sie, was kann ich thun, damit Sie mich wieder Ihren Freund nennen?« –

»Nichts! das ist vorüber! Wir waren zu gute Freunde, um Freunde im gewöhnlichen Sinne bleiben zu können.«

»Candida!« rief er, »was habe ich gethan? quälen Sie mich nicht länger und. nennen Sie mir meine Schuld.«

»Ich will es thun, obgleich es keinen Nutzen bringt, denn es ist eine Schuld des Characters, zu tief eingewurzelt, um selbst den Bemühungen der treuesten Freundschaft zu weichen.«

»Mein Gott, in welch' ungerechtem Verdacht haben Sie mich! wessen halten Sie mich für fähig! Ich fühle mich frei von irgend einem entehrenden Characterfehler.«

»Entehrend? nein, dieser Ausdruck paßt nicht; begreifen Sie nicht, daß man ein Mann von Ehre sein kann, ohne deshalb liebenswürdig zu sein?« –

Erstaunt und verletzt blickte sie der Graf an.

»Warum,« fragte er, »legten Sie nicht früher an den Tag, daß Sie mich nicht liebenswürdig finden? Ich habe nie Anspruch darauf gemacht und nur Sie machten es mir zuweilen glauben.«

»Ich sehe, Graf, ich muß es aussprechen nun wohl, es sei! – Ich kann keinen heftigen Mann lieben.«

Sie wandte den Kopf zum Fenster hinaus, aber Lothar ergriff ihre widerstrebende Hand und sagte freudig:

»Ist es nur das? O so will ich mich bessern! Mein Gott, jetzt erst fällt mir ein, ich habe Sie damals erschreckt beim Unglück mit dem Pferde. – Ich werde mich beherrschen, aber Sie müssen immer um mich sein, mich durch Ihre Gegenwart an meinen Vorsatz erinnern, und gewiß, es soll nie wieder geschehen, aber – Sie müssen mein sein!«

»Das ist vergebens, ich liebe Sie nicht mehr. Der Eindruck, den Sie in Ihrem Zorn auf mich gemacht, war zu grausig, als daß ich ihn je vergessen könnte. Ich sehe immer, wenn Sie noch so freundlich sind, Ihre wuthfunkelnden Blicke, und abgewöhnen werden Sie es sich niemals; denn wenn die Gegenwart des Mädchens, dessen Herz Sie gewinnen wollten, dem Ausbruch Ihres Zornes keine Schranken setzen konnte, so wird die Gegenwart der Frau, die Ihnen angehört, gar nichts über Sie vermögen.«

»Candida, zürnen Sie mir, wie Sie wollen; nur nehmen Sie das gräßliche Wort zurück, daß Sie mich nicht mehr lieben; versuchen Sie es noch einmal mit mir, ich schwöre Ihnen –«

»Schwören Sie nicht,« sagte gerührt Candida, »schwören Sie nicht, denn es ist Alles vergebens. Der Zauber ist verschwunden. Leben Sie wohl!« –

Sie enteilte dem Zimmer; der Graf stand in tiefen Schmerz versunken. –

Wer hat nicht schon den Zustand einer täglich getäuschten Erwartung gekannt? Jeder Abend tödtet eine am Tage gehegte Hoffnungsblüthe, um sie am andern Morgen desto kräftiger emporsprossen zu lassen. So ging es Lothar. Jeden Tag hoffte er Candida zu versöhnen und sie sich wieder in ehemaliger freundlicher Gunst zugewandt zu sehen, aber immer vergebens. Hätte Sie nicht gewußt, wieviel er von ihr verlange, so würde sie ihm aus Gutmüthigkeit weniger geschenkt haben, und später wäre dann wohl mehr und mehr daraus geworden. So aber war es ihr klar, daß er nicht weniger als ihr Herz und ihre Hand verlange, und so gab sie ihm denn gar nichts, weil sie nicht Alles geben wollte. Es gibt stolze Herzen, die, einmal verletzt, sich verschließen; gönnt man ihnen aber Zeit, und verlangt nicht stürmisch Verzeihung und Vergessen, so öffnen sie sich unmerkbar und langsam milderen Gefühlen. Aber die Klugheit, dieß bei Candida abzuwarten, besaß Lothar nicht. Er drängte, er bat, er flehte, er beängstigte und quälte Candida und riß dadurch die Kluft immer weiter. Er wollte erstürmen, aber nicht verdienen. Verdienen und Warten sind freilich harte Dinge für einen feurigen jungen Mann, der mit aller Kraft seiner Seele liebt. Hätte Candida's Herz ihm schon völlig angehört, als er dieses Herz durch seine Heftigkeit so tief verwundete, so würde dieß ihn nicht daraus vertrieben haben. So weit war es aber noch nicht; sie hatte bis jetzt nur in seiner Gegenwart an ihn gedacht, in der Einsamkeit füllte noch das Bild ihrer Mutter ihre reine Seele. –

Herr von Tessen bemerkte und mißbilligte im höchsten Grade Candida's Benehmen, war aber zu klug, um auf sie einwirken zu wollen; denn Liebe findet am besten allein ihre Wege. – Candida aber war zu beklagen: von ihrem Vater wortlos und dennoch empfindlich getadelt, von Lothar gepeinigt mit der Bitte, eines Auftritts zu vergessen, der ihr in Flammenzügen vor den Augen stand, dabei freudlos, einsam. Bleich und still brachte sie ihre Zeit gewöhnlich im Garten zu, bis Lothar's nahende Schritte sie zur Flucht in ihre Zimmer veranlaßten.

Es war ein prächtiger Herbstmorgen, die Sonnenstrahlen tanzten zwischen den grünen, rothen und gelben Blättern hindurch. Candida schritt in ihren Shawl gehüllt, durch die Gänge des Parks und träumte von vergangener Zeit, von der Zeit, wo sie ein Herz und eine Heimath besessen; hier erschien sie sich nur als Gast. Da trat unerwartet Lothar aus einem Seitenwege ihr entgegen. Sie konnte nicht ausweichen. –

»Es scheint,« hob er an, »die warmen Strahlen haben auch Sie aus dem Zimmer gelockt?« –

»Ja,« erwiederte Candida, »und ich träumte eben von noch wärmeren Sonnenstrahlen, von Italien, wo ich mit meiner Mutter als Kind war.«

»Wünschen Sie es wieder zu sehen?«

»O wie sehr! Jetzt brächte ich einen andern Sinn für seine Wunder mit; damals war ich noch ein törichtes Kind und wußte noch nicht, was schön und angenehm ist.«

»Jetzt wissen Sie es nur zu gut,« sagte Lothar mit Bitterkeit.

Candida schien ihn zu überhören und sprach weiter: »Welch' prächtiges Land! Schon um der Luft willen möchte ich es wiedersehen. Hier scheint auch die Sonne, hier klagt man auch über ihre Gluth; aber hart bleibt die Luft, und indem jene den Scheitel sengt, umstreicht diese rauh die Wangen und röthet die Augenlieder. Aber dort – weich und zärtlich spielte sie mit meinen Haaren und mit Wonne badete ich mein Kindergesicht in ihrer weichen Fluth. Die Luft Italiens ist wie die Liebe einer Mutter, wohlthuend, zart und sanft.«

»Candida!« rief Lothar, »dürfte ich Sie dahin begleiten?« –

Als höre sie nicht, fuhr sie fort: »Meine Erinnerungen sind heute besonders lebhaft aufgeregt, weil ich einen Brief aus Mailand erhalten, von einer Freundin meiner Mutter; es war die Antwort auf die Nachricht ihres Todes, die ich erst vor wenigen Wochen mich entschließen konnte ihr mitzutheilen.«

»Wie heißt die Dame? ich bin mehrere Monate in Mailand gewesen und habe manche Bekannte dort.«

»Schwerlich ist sie Ihnen bekannt, sie lebt nur in der musikalischen Welt. Sie ist eine geborene Französin; sie war an einen Italiener verheirathet, den Marchese Salvi, der ihr und sein Vermögen verschwendete und dann starb. Sie hatte früher eine wunderbare Stimme gehabt, die sie durch Kummer und Krankheit verloren, aber ihre bedeutenden musikalischen Kenntnisse setzten sie in den Stand, Singunterricht zu geben, wovon sie nun auch lebt.«

»Eine traurige Bestimmung!«

»Warum? sie lebt im schönen Italien, ist geachtet, hat eine selbstständige Existenz und viel Freude durch die herrliche italienische Musik.«

»Sie wissen nicht, was es heißt, für sein Brod arbeiten.«

»Thut das denn nicht jeder Mensch?« fragte Candida kalt; »nur mit dem Unterschiede, daß der eine seine Arbeit in Stunden abtheilt und sich dann frei fühlt, während der andere die Last den ganzen Tag auf seinen Schultern empfindet.«

»Candida!« sagte der Graf vorwurfsvoll; aber in diesem Augenblick erschien ein Bedienter, der sie zum Minister beschied.

Er empfing sie mit einer gewissen Feierlichkeit. »Es sind heute gerade sechs Monate, daß Sie mein Haus betreten haben. Diese Frist hat Ihre verstorbene Mutter gesetzt; nach ihrem Ablauf erst sollte ich Sie mit Ihren Familienverhältnissen bekannt machen. Hier diese Blätter enthalten die Lebensgeschichte Ihrer Mutter; ich habe sie durchgelesen, weil sie es gewünscht hat. Die Thatsachen darin sind leider alle wahr, aber der Gesichtspunkt, aus welchem sie Ihre Mutter betrachtet hat, verleiht ihnen zuweilen eine besondere Färbung. Dieß mußte ich Ihnen sagen, obgleich ich Sie für ein kluges Mädchen halte, und Ihnen eigenes Urtheil zutraue; aber die Anhänglichkeit an Ihre Mutter möchte Ihnen doch die Dinge in falschem Lichte zeigen. – Aber Sie sind ja todtenblaß!« –

»Es ist nur die grenzenlose Furcht vor der Aufklärung von Dingen, die ich nie zu erfahren gewünscht. Die Lebensgeschichte meiner verklärten Mutter kann nur eine Leidensgeschichte sein. Ersparen Sie es mir lieber, wenigstens für jetzt, und nehmen Sie Blätter zurück.«

»Das darf ich nicht, es ist der fest ausgesprochene Wille der Verstorbenen.«

»So sei es dann!«

Zitternd nahm Candida die Papiere und eilte damit in ihr Zimmer, wo sie in Thränen ausbrach.

In inbrünstigem Gebete kniete sie dann nieder und flehte um Muth und Kraft, flehte, daß der Geist ihrer Mutter sie umschweben und ihr die schmerzliche Aufgabe tragen helfen möchte.

Sie las nun, von ihrer Mutter Hand geschrieben, was folgt.

 

»Mein Leben
für meine Tochter niedergeschrieben.

Ich habe nie die Liebe einer Mutter gekannt, denn ich verlor sie schon bei der Geburt. Von meinem dritten Jahre an war ich der Pflege einer harten, lieblosen Stiefmutter übergeben. Mein Vater bekümmerte sich gar nicht um mich; meine beiden Brüder strafte er zuweilen, doch einzig und allein, um ihnen Furcht einzujagen. Bei mir war dieß nicht nöthig, denn ich bebte am ganzen Körper, wenn ich nur seinen herannahenden Schritt hörte, ich wurde bleich und roth, wenn er mit mir sprach, aber gerade das gefiel ihm, das nannte er Respect. Ich war ein nervenschwaches, zartes Kind, und durch die strenge Behandlung, die immerwährende Furcht, in der ich schwebte, verlor ich ganz den fröhlichen Sinn, der doch wohl sonst jedes Kindes Erbtheil ist. Meine beiden Brüder waren kräftige, rohe Jungen, die nichts mit mir anzufangen wußten. Die zarte, blasse Schwester konnte an ihren wilden Spielen keinen Antheil nehmen, nur zuweilen mußte ich ihnen wegen meiner langen Haare als Pferd dienen. Meine starken Flechten waren dann die Zügel, woran sie mich rissen; sie trieben es aber so arg, daß ich gewöhnlich in Thränen ausbrach. Fand mich dann meine Stiefmutter mit rothgeweinten Augen, so sollte ich gestehen, was vorgefallen, und schwieg ich, um meinen Brüdern keine Strafe zuzuziehen, so nannte sie mich ein heimtückisches, verstocktes Geschöpf. –

Ich habe meiner Candida nie von dieser traurigen Kindheit erzählt, um ihr nicht die eigene zu verbittern, was bei ihrem reichen, liebenden Herzen gewiß die Folge gewesen wäre; sie mindestens sollte ein ganz glückliches Kind sein und keine Ahnung haben, daß es nicht so sein müsse. Viele Menschen halten für nöthig, daß man die Glücklichen durch Vergleichung mit fremdem Unglück auf ihr bevorzugtes Loos aufmerksam mache; ich halte ein unbewußtes Glück für das größte und bei einem Kind für das einzig denkbare. Ein Kind, das einen Begriff des allgemeinen Elends hat, ist schon nicht mehr glücklich in der vollen Bedeutung des Wortes. –

Der Besuch einer Tante, der Schwester meines Vaters, warf einen Sonnenstrahl in mein trübes Leben. Sie brachte ihren einzigen Sohn mit, einen sehr hübschen und sehr ungezogenen Jungen, der aber von Anfang an für die kleine bleiche Cousine die größte Zuneigung faßte. Deshalb begünstigte mich auch seine Mutter und nahm mich sogar eines Abends mit in die Oper. Ich war nie in einem Theater gewesen, und der Anblick aller dieser Herrlichkeiten, das Hören der vollen Orchestermusik machte einen ungemeinen Eindruck auf mein kindliches Gemüth. Die folgenden Tage umschwebten mich beständig die Melodien, und jeden freien Augenblick benutzte ich, um mich mit Shawls und Tüchern zu costümiren, und sang und spielte in irgend einer dunkeln Ecke des Hauses.

Ich war damals zehn Jahre alt.

Meine Tante reiste wieder ab, ihr Sohn Gerard vergoß sogar Thränen beim Abschied von mir, und seine Mutter versprach ihm, ich solle ihn einmal in Paris besuchen; dort wohnte sie. Sie war an einen französischen General verheirathet gewesen, der ihr hinreichendes Vermögen hinterlassen.

Jener Theaterabend schwand nun nicht mehr aus meiner Erinnerung, ich träumte fort davon, verbarg aber sorgfältig meine Costüme, die ich mir nach und nach zurecht gemacht, vor den Blicken meiner Stiefmutter; denn sie blieb, so wie mein Vater, immer gleich unfreundlich gegen mich. Eine sehr traurige Folge hatte meine strenge Erziehung: ich gewöhnte mich zu lügen und zu läugnen. Wenn mir irgend ein kleines Ungeschick begegnete, wie das Zerbrechen einer Tasse oder das Zerreißen eines Vorhanges, und die Mutter trat mit gerunzelter Stirne vor mich hin und fragte mit ihrer harten, schneidenden Stimme: ›Eleonore, hast Du das gethan?‹ dann überfiel mich eine solche Angst, daß ich trotz meinem jedesmaligen Entschlusse, die Wahrheit zu gestehen, halb sinnlos vor Furcht ausrief: ›Nein, Mama, ich nicht!‹ War das Wort heraus, so machte ich mir die bittersten Vorwürfe, machte es aber das Nächstemal gerade so, obgleich ich mehrmals der Lüge überführt wurde und mir doppelte Strafe zuzog.

Für meine Bildung wurde wenig gethan, man schickte mich in eine gewöhnliche Schule und außerdem hatte ich die Woche drei Clavierstunden, die ich, da sie mir sehr lieb waren, oft zu verlängern wußte, indem meine Brüder, wenn es die Mutter nicht gewahrte, mir gern ihren Platz am Instrumente gönnten und mir ihre Lectionen so oft überließen, als es unbemerkt geschehen konnte. Der Lehrer bot gern die Hand zu diesem Tausche, da ich weit aufmerksamer und fleißiger war als meine Brüder, auch wohl mehr Talent als sie besaß.

Als ich vierzehn Jahre alt war, starb mein Vater plötzlich am Schlagfluß. Meine Tante in Paris erklärte, mich in ihr Haus nehmen zu wollen, meine beiden Brüder kamen in eine Militairakademie und meine Mutter kehrte zu ihren Verwandten zurück, da mein Vater gar kein Vermögen hinterlassen und ihr nichts blieb, als die unbedeutende Witwenpension. Mein Vater war Oberst eines Cavallerieregiments gewesen.

Als ich armes Kind mit der Post in Paris ankam, nahm mich ein alter Diener meiner Tante dort in Empfang. Er führte mich in ihr Haus; es war hübsch und elegant eingerichtet. Wie staunte ich, als Gerard mir in einer glänzenden Offiziersuniform entgegen trat; obgleich erst siebzehn Jahre alt, hatte man ihm um der Verdienste seines Vaters willen Lieutenantsstelle gegeben. Er war ein auffallend hübscher Jüngling. Seine Mutter war im Anfang sehr freundlich gegen mich; aber das verging sehr bald, als Gerard anfing, sich um mich zu bemühen, und eines Tages ganz unverholen in ihrer Gegenwart erklärte, er werde mich heirathen, sobald er majoren sei. Diese Erklärung geschah am Tage, als er achtzehn Jahre alt wurde; ich hatte kurz vorher mein fünfzehntes Jahr erreicht.

Meine Tante war außer sich, ich war ein Mädchen ohne Vermögen, von keiner einflußreichen Familie, ohne Talente, auch nicht einmal schön, wie sie bitter sagte. Ich war auch nie eine Schönheit, ich hatte eine schlanke, zarte Gestalt, ungemein reiches, langes, nußbraunes Haar, und meine Züge, obgleich sie regelmäßig waren, bedeckte immer eine so auffallende Blässe, daß ich Jedermann den Eindruck einer kränklichen Person machte. Ich war sehr schnell und hoch gewachsen und meine Haltung darum gewöhnlich etwas vorgebeugt, was meine Tante mir zum größten Verbrechen machte. Sie ließ mir einigemale in der Woche eine Lehrerin für das Clavier und den Gesang kommen, und entdeckte da, daß ich wirklich bedeutendes musikalisches Talent besitze.

Ich mußte nun sehr fleißig sein, was aber ganz mit meinen Wünschen übereinstimmte. Nach einiger Zeit kam ich unter dem Vorwand, daß meine häufigen Musikübungen die Nerven meiner Tante angriffen, ganz in das Haus meiner Lehrerin, was mich von Herzen freute. Meiner Tante war ich ein Dorn im Auge und Madame Lasalle war gütig gegen mich; ich athmete bei ihr zum Erstenmale in meinem Leben frei auf: sie behandelte mich doppelt freundlich, weil sie die größte Freude an meiner wirklich ausgezeichneten Stimme hatte und von der Zukunft Bedeutendes von mir erwartete.

Gerard wurde durch den Widerstand seiner Mutter, sowie durch meine Entfernung aus ihrem Hause noch weit mehr für mich entflammt. Hätte sie von seiner kindischen Neigung gar keine Notiz genommen, was sie ursprünglich war, eine Laune, so würde sie bald spurlos verschwunden sein, denn Gerard ermangelte gänzlich jeder Festigkeit des Characters.

Ich gestehe, daß ich Anfangs von seiner Huldigung sehr geschmeichelt war; er war so hübsch, so lustig und dabei so sehr von mir eingenommen, daß dieß wohl natürlich scheint. Aber bald scheuchte mich sein Leichtsinn, seine maßlose Heftigkeit, und vor Allem sein ungezogenes Benehmen gegen seine Mutter von ihm zurück.

Die Sonntage verlebte ich noch immer im Hause meiner Tante; sie brachte dieses Opfer der Rücksicht für die Welt. Da war es aber, wo ihr Sohn besonders Vergnügen daran fand, mir vor den Augen seiner Mutter recht auffallend den Hof zu machen. Ich war dabei wie auf Nadeln. Meine Tante sprach kaum ein Wort mit mir.

Eines Tages kam sie in die Wohnung meiner Lehrerin und eröffnete mir, ich müsse jetzt ganz besonders fleißig sein, da ich sonst keine Garantie für die Zukunft habe. Sobald Madame Lasalle ihre Zustimmung gebe und meinen Unterricht für beendigt erkläre, werde Sie mir eine Stelle als Gesellschafterin zu verschaffen suchen, was ihr bei meinen musikalischen Kenntnissen leicht werde, da jetzt Jedermann so viel Werth darauf lege. Sie könne nicht für mich sorgen.

›Wäre Gerard's albernes Benehmen nicht,‹ schloß sie ihre Rede, ›so würde ich Dich, so lange ich lebe, in meinem Hause behalten haben; aber unter diesen Umständen ist das unmöglich, wie Du selbst einsehen wirst.‹

Ich kann nicht sagen, daß ihre Worte einen unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hätten. Ich war längst auf etwas Aehnliches vorbereitet, aber Gesellschafterin wollte ich nicht werden. Die Lust meiner Kindheit regte sich wieder in mir und ich faßte, von meiner Lehrerin unterstützt, den Vorsatz mich der Bühne zu widmen.

Ich war nun fleißiger als je und machte wirklich bedeutende Fortschritte. Zwei Jahre verweilte ich im Hause der Madame Lasalle, und glücklicherweise hatte während dieser Zeit meine Tante öfters Gelegenheit gefunden, ihren Sohn auf mehrere Monate zu entfernen; aber immer kehrte er mit dem fest ausgesprochenen Vorsatz zurück, mich zu heirathen, sobald er großjährig sei. An meiner Einwilligung zweifelte er keinen Augenblick und hielt meine Zurückhaltung nur für die Wirkung der Furcht vor seiner Mutter.

Diese verschmähte es nicht, bei der jedesmaligen Zurückkunft Gerard's seine Papiere zu durchsuchen, um zu spähen, ob nicht eine neue Liebschaft ihn mir abtrünnig gemacht. Sie fand eine Menge Beweise kleiner Intriguen, die sie mir dann jedesmal zeigte, trotz meiner Betheuerungen, daß es dessen nicht bedürfe. Aber diese Liebschaften halfen ihr dennoch nichts; denn kaum war ihr Sohn nach Paris zurückgekehrt, so war ich allein die Dame seiner Gedanken, alle andere Flammen waren dann nur Intermezzo's gewesen, die der Hauptsache keinen Eintrag thaten. Seitdem ich den Entschluß gefaßt hatte, Sängerin zu werden, war mir Gerard ganz gleichgültig; eine schimmernde Zukunft lag vor meinen Augen ausgebreitet.

Ich theilte meiner Tante meinen Entschluß mit. Anfangs war sie überrascht, dann aber erklärte sie, meinen Wünschen nicht entgegen zu sein, sondern mir noch eine Summe geben zu wollen zur Bestreitung der Kosten meiner fernern Ausbildung für das Theater, die ich ihr dann in günstigen Verhältnissen zurückerstatten könne, ferner eine Empfehlung an den Director des Conservatoriums in Mailand, wohin ich mich zuerst zu wenden gedachte. Sie versprach mir auch einen Brief an eine Freundin dort, in deren Hause ich vielleicht eine Aufnahme finden werde, kurz, sie war froh, mich um jeden Preis zu entfernen; zu diesem Zwecke scheute sie kein Opfer.

Die Zeit meiner Abreise rückte heran. Am Vorabend des festgesetzten Tages erhielt ich ein Billet. Rasch und unbedacht öffnete ich dasselbe; es enthielt nur die Worte:

 

›Im Augenblicke, wo Eleonore in den Postwaden steigt, jage ich mir eine Kugel durch den Kopf. Hierauf mein Wort.

Gerard.‹

 

Ich zeigte das Billet Madame Lasalle und war trostlos. Sie lachte mich aus.

›Thörichtes Kind! der erschießt sich nicht.‹

Ich war aber sinnlos vor Angst. Meine Tante kam zu mir, um Abschied zu nehmen. Sie wollte dadurch vermeiden, daß ich nicht mehr ihr Haus betrete, wegen ihres Sohnes. Sie fand mich in Thränen zerfließend und schrieb dieß meiner neuerwachten Liebe zu Gerard zu. Ich hatte nicht den Muth, seinen Namen zu nennen; mit klopfendem Herzen sah ich mein Gepäck wegtragen; ich mußte fort, obgleich es mir vorkam, als bringe jeder Schritt, den ich machte, den armen Gerard dem Grabe näher. Beim Einsteigen in den Postwagen war ich bald ohnmächtig und die ganze Reise über schwebte meines Vetters blutiges Haupt vor meinen Augen.

Bei meiner Ankunft in Mailand forschte ich sogleich nach Briefen. Madame Lasalle hatte versprochen, mir noch am Abend meiner Abreise schreiben zu wollen. Sie hatte Wort gehalten. Ihr Brief fing so an:

 

›Zehn Uhr Abends.

Eben war Ihr Vetter bei mir, um sich bitter über Ihre Abreise zu beklagen. Er erzählte mir, er habe schon die Pistole an den Mund gehalten, aber da sei ihm plötzlich der Gedanke an seine Mutter gekommen, und wie es Pflicht sei, für sie zu leben. Uebrigens will er nächstens Urlaub nehmen und Sie in Mailand aufsuchen, auf jeden Fall aber an dem Tage, wo er volljährig wird, Sie an den Altar führen, und wären Sie auch am Ende der Welt. Dies sind seine eigenen Worte; ich baue gerade so viel darauf wie auf das Todtschießen.‹

 

Die Dame, an welche mich meine Tante empfohlen, nahm mich sehr freundlich auf. Sie lebte mit ihrem alternden Gemahl allein, und war froh, ihr Haus durch meine Gegenwart belebt zu sehen. Sie gab öfters musikalische Gesellschaften, in denen meine schöne Stimme allgemein bewundert wurde. Man betrachtete mich wie die Tochter vom Hause, und mir selbst war heimlich und wohl bei den guten Alten, denen ich alle Zeit widmete, die mir meine Stunden übrig ließen. Der Direktor stellte mir die glänzendste Zukunft vor Augen und der Beifall in den Gesellschaften meiner Beschützerin erschien mir als ein Bürge meines Gelingens auf der Bühne.

In einer dieser Gesellschaften sah ich Abends einen jungen deutschen Edelmann, der vom ersten Augenblick an einen wunderbaren Eindruck auf mich machte. Er war von ausgezeichneter Schönheit; ein prächtiger edler Männerkopf mit den geistreichsten dunkeln Augen, dabei eine hohe imponirende Gestalt. Er war gewöhnlich ernst, und sprach wenig, fühlte er sich aber einmal veranlaßt seine Ansichten auszusprechen, so hörten Alle in der Gesellschaft ihm mit dem höchsten Interesse zu. Er war nicht nur geistreich, er wußte sich auch vortrefflich auszudrücken. Er war der Sprache mächtig, wie ich außerdem nie Jemand gekannt habe, was doppelt überraschte, da er bei uns immer französisch sprach, was doch nicht seine Muttersprache war. Mich bezauberte er ganz und gar, und wenn er mir gegenüber stand, sang ich mit solcher Vollkommenheit, daß ich selbst über mich staunte. Mein Gesang eilte wie auf Flügeln getragen über alle Schwierigkeiten weg. Er richtete selten das Wort an mich, aber er kam beinahe täglich in das Haus meiner Beschützer.

Bei einem Ausflug nach dem Comersee war er unser Begleiter, und da schoß die Liebe zu ihm mit so übermächtiger Gewalt in meinem Herzen auf, daß ich außer ihm keinen andern Gedanken mehr hatte. Behüte Dich der Himmel, meine Candida, vor solcher Liebe! sie bringt nicht Segen, nicht Glück.

Eines Tages ließ mich meine Beschützerin rufen und sagte mir, der deutsche Baron habe bei ihr um meine Hand angehalten; ›aber,‹ setzte sie lächelnd hinzu, ›ich habe ihm wenig Hoffnung gegeben, da Sie bestimmt sind, die Bühne zu betreten. Was sagen Sie dazu, Leonore? Sie wollen ihm doch Ihren künftigen Ruhm nicht opfern?‹

›O, Alles, Alles!‹ rief ich weinend, ›ich bin zu glücklich.‹

Ich konnte kaum an die Wirklichkeit glauben, sie war zu schön. Nach vier Wochen schon war unsere Trauung, und er brachte mich auf seine Güter in Tyrol. Da machte ich eine Erfahrung, die meiner Candida fern bleiben möge. Statt eines liebenden Gatten fand ich einen Tyrannen. Alles, was ich that, erklärte er für meine Pflicht. Er zeigte mir keine Liebe, weil ihm das eines Mannes unwürdig schien. Ihm erschien die Gattin nicht als die Gefährtin, die aus Liebe Alles trägt und theilt, nein, als die Sclavin, welche die Pflicht an seine Seite kettet. Er bat mich nie um etwas – er befahl immer. Welche Zeit war das, als mir zuerst meine Lage klar wurde! Ich mußte alle Aeußerungen meiner Gefühle zurückdrängen, denn mein warmes, nur für ihn schlagendes Herz wäre ihm ein Gegenstand des Spottes gewesen; er nannte das Sentimentalität. Ich war nie geliebt – Gerard's Liebe war ein kindisches Strohfeuer – ich war immer hart behandelt worden; aber mein weiches Herz schlug darum doppelt sehnsüchtig diesem Glück entgegen. Geliebt wollte ich sein und dann gerne sterben. – Weine nicht, mein Kind! Du hast mich ja geliebt und ich durfte Dich lieben und wir waren glücklich zusammen schöne Jahre! Laß dieß Deinen Trost sein bei der Kunde meines Unglücks.

Mein Gemahl verlangte eine genaue Schilderung meines Lebens, eine Darlegung aller meiner früheren Familienverhältnisse. Ich verhehlte nichts, selbst von Gerard sprach ich mit ihm. Er sagte mir darüber einige so harte Worte, daß ich sie hier nicht wiederholen will. Er glaubte meiner einfachen Erzählung nicht – er, dem ich ungefragt geglaubt.

Ich suchte meine vernachlässigte Erziehung durch Lesen guter Bücher zu verbessern. Ich war ja noch so jung! Jedesmal aber, wenn mein Gemahl mich mit einem Buche antraf, schalt er mich und tadelte mich hart wegen meiner Schöngeisterei, wie er es nannte. Er besaß eine schöne Bibliothek und liebte selbst Lectüre leidenschaftlich; mir aber wollte er diesen Genuß verwehren, ›weil ich ohnedieß so romanhafte Ideen habe.‹ Mein Verlangen war aber stärker als die Macht seines Verbotes, das nur zur Folge hatte, daß ich nun heimlich las. So oft er sich vom Hause entfernte, suchte ich in athemloser Eile ein Buch zu erhaschen, und las nun, bis er wiederkam.

Musik treiben durfte ich, so viel ich wollte, darüber hat er nie mit mir gegrollt. Im Gegentheile, er hörte mich gerne singen und spielen. Ich war aber jetzt so gebeugt, daß ich mein Piano wochenlang nicht öffnete. Ich weinte oft in der Einsamkeit, aber dann zürnte er jedesmal, wenn er meine rothen Augen gewahrte, und war sogar einmal grausam genug, meine Thränen der unglücklichen Liebe zu Gerard zuzuschreiben. Er warf mir öfters vor, daß ich die Erwartungen, die er von mir gehegt, durchaus nicht erfüllt. Er habe gehofft, in mir, der jungen, güterlosen Waise, eine ergebene, ihre Pflicht freudig erfüllende Gattin zu finden, deren höchster Stolz es sein werde, seine Zufriedenheit zu erringen; statt dessen sei ich eine unzufriedene, sentimentale Schwärmerin, die ihr Glück in den Wolken suche. Dann klagte er auch, daß ich mich seines Hauswesens nicht genug annehme. Auch um die weitläuftige Landwirthschaft sollte ich mich bekümmern. Darin hatte er freilich Recht, ich gestehe es gern; auch damals sah ich es ein und bemühte mich darum, aber ich verstand gar nichts davon und war niemals in meinem Leben dazu angehalten worden. Bei meinen Eltern hatte ich den ganzen Tag für die Brüder arbeiten müssen, und bei meiner Tante und Madame Lasalle hatte ich nur Musik getrieben und Tapisserie genäht; und dennoch bin ich überzeugt, daß ich bald und leicht eine gute Hausfrau geworden wäre, wenn mein Gemahl mich freundlich dazu aufgefordert hätte. Alles, was der Mensch mit Freuden versucht, vollbringt er ja auch; aber das war bei mir nicht der Fall. Mit gerunzelter Stirne wurde mir geboten; da zitterte ich und machte aus Angst alles verkehrt, bis ich ganz entmuthigt von meinen unglücklichen Versuchen abließ. Ich war nie durch Strenge zu leiten, und dennoch wurde mir diese immer zu Theil; meine furchtsame Seele kam dadurch ganz aus ihrem Geleise.

Einmal verreiste mein Gemahl auf einige Wochen; tief schmerzte mich seine Entfernung. – Während seiner Abwesenheit saß ich eines Abends in Lectüre versunken in meinem Cabinet, als die Thüre sich rasch öffnete und ein Mann im weißen Mantel, den Hut auf dem Kopfe, hastig eintrat. Ich wollte die Klingel ziehen, da warf er den Hut zurück, und vor mir stand – Gerard.

›Eleonore,‹ sagte er bitter, ›hier im Hause Deines Gatten muß ich Dich finden? Aber Du siehst bleicher und schmäler aus als je; Deine Augen sind roth – Du bist nicht glücklich! ich bin gerächt!‹ –

Jetzt weiß ich ganz gut, daß das Alles nur Phrasen waren; er hatte mich gewiß längst vergessen und bei seiner wahrscheinlich nur zufälligen Durchreise mich aus Neugierde aufgesucht; aber in jenem Augenblicke brachten seine Worte eine tiefe Wirkung auf mich hervor, ich fühlte mich davon so ergriffen, daß ich in Thränen ausbrach. – Das rührte ihn, denn er war wirklich gutmüthig, wie es leichtsinnige Menschen gewöhnlich sind; auch bildete er sich gewiß in diesem Augenblicke ein, mich glühend zu lieben. Er kniete vor mich hin und sagte:

›Eleonore, wenn Du mich auch verlassen hast, mein Leben gehört Dir dennoch; sage, was kann ich für Dich thun?‹

›Nichts, guter Gerard, nichts, mir ist nicht zu helfen!‹

›Wenn Dein Gatte Dich nicht glücklich macht, so verlasse ihn und kehre zu Deinen Verwandten in das schöne Frankreich zurück.‹

›Ich liebe ihn, er war die Wahl meines Herzens.‹

Mein Vetter blieb nun einige Stunden bei mir und sprach Anfangs viel von seiner unglücklichen Liebe zu mir; als er aber sah, daß seine Versicherungen mir nicht den mindesten Trost gewährten, dass ich mit stummer Gleichgiltigkeit seine Schwüre hörte, so ließ er das Thema fallen und sprach nur noch von Plänen einer glücklicheren Zukunft für mich. Aber ich verwarf Alles, fest entschlossen, bei meinem Gatten auszuharren, wenn mir auch seine Liebe ganz verloren gehen sollte; denn ich hoffte schon damals auf Dich, mein süßes, liebes Kind, Du solltest Alles mir vergelten! Nach Mitternacht entfernte sich Gerard; ich habe ihn nie wieder gesehen.

Den folgenden Tag schon kehrte mein Gemahl zurück, einige Tage früher, als ich ihn erwartet. Ich empfing ihn mit klopfendem Herzen. Ich wollte ihm Gerard's Besuch erzählen, fand aber durchaus nicht den Muth dazu, so unfreundlich war er gegen mich. Er begann damit, zu tadeln, daß mehrere Arbeiten im Hause nicht vollendet worden, daß man die Zeit seiner Abwesenheit nicht gehörig benutzt. Dann zeigte er mir kalt an, daß der Zweck seiner Reise erreicht sei, und er eine Anstellung im Staatsdienste erhalten, weshalb er nächstens seine Güter verlassen und in die Residenz ziehen werde.

›O Gott!‹ seufzte ich leise.

›Nun, ist das auch wieder nicht recht?‹ fragte er bitter; ›zur Landedelfrau passest Du durchaus nicht; also solltest Du froh sein in eine Sphäre zu kommen, in welche Du Dich, wie ich zuversichtlich hoffe, besser zu finden wissen wirst.‹

Seine Stimme klang hart wie Eisen. Ich stand auf und verließ das Zimmer wegen meinen ausbrechenden Thränen. – Den andern Tag beim Frühstück fragte er, indem er mich scharf ansah:

›War kein Besuch während meiner Abwesenheit da?‹ – Und wieder, wie in den Zeiten meiner Kindheit, kam eine grenzenlose Angst über mich, und unter seinem strengen Blicke erbebend, stammelte ich bewußtlos:

›Nein, Niemand!‹

Da sprang er auf, wüthend, wie ich ihn nie gesehen.

›Nun ist die Heuchlerin entlarvt! Sie haben heimlich den Besuch Ihres Liebhabers empfangen. Ich habe Alles erfahren – aber wir sind getrennt für immer und Sie verlassen mein Haus am morgenden Tage.‹

Diese Behandlung gab mir meine Fassung wieder und ich sagte mit fester Stimme:

›Es ist wahr, mein Vetter war hier, mir selbst die höchste Ueberraschung. Ich that Unrecht, Ihnen seinen Besuch zu verleugnen; aber daran sind Sie selbst Schuld durch Ihren häßlichen Verdacht und Ihre lieblose Behandlung. Indessen bin ich bereit, Ihnen Ihre Freiheit zurückzugeben.‹ Mein gekränkter Stolz lieh mir diese Worte.

›So sei es!‹ sagte er eiskalt.

Ich reiste nun wirklich ab. Ich hatte Niemand auf der Welt, als meine alten Freunde in Mailand; zu ihnen ließ ich mich bringen. Sie nahmen mich freundlich auf, und ihnen öffnete ich meine gepeinigte Seele. Die alte Dame schrieb an meinen Gemahl und bereitete ihn auf die Geburt eines Kindes vor.

Ich hatte ihm bei der Rückkehr von seiner Reise diese Mittheilung machen wollen, aber bei der Wendung, die damals die Dinge nahmen, wäre ich eher gestorben, als daß ich davon gesprochen hätte. Er verlangte, daß man mein Kind, sobald es das erste Jahr überschritten habe, ihm schicken solle. Meine Beschützerin schrieb ihm, das werde nur geschehen, wenn es ein Knabe sei. Nach längerem Hin- und Herschreiben willigte er endlich ein, mir mein Kind, wenn es eine Tochter sei, zu überlassen. Für diesen Fall setzte er auch eine Pension für mich aus. Ich nahm dieses Anerbieten nur an in der Hoffnung, mich noch der Bühne widmen zu können und ihm dann später Alles zurückzuerstatten. Ich war ja noch nicht zwanzig Jahre alt.

Ich flehte nun Nacht und Tag zu Gott, mir eine Tochter zu schenken; er erhörte mein Gebet. Du wardst mein, und als ich Dich in den Armen hielt, war ich stolz und glücklich. Meine Beschützer starben noch in demselben Jahre, da Du geboren wardst, und meine geschwächte Gesundheit erlaubte mir nicht, ferner an das Theater zu denken. Darüber tröstete ich mich leicht bei Deinem Lächeln; es war ja auch nur um Deinetwillen, daß ich Ruhm und Reichthum hatte suchen wollen. Ich lebte nun für Dich und Deine Erziehung. Ich nahm selbst noch mancherlei Unterricht, um Dich lehren zu können, denn mir ganz allein solltest Du Deine Kenntnisse verdanken.

Du weißt, wie ich Dich liebe; Du weißt aber auch, wie streng ich in einem Punkte mit Dir war, im Punkte der Wahrheit. Alles verzieh ich Dir, nur keine Lüge. Dein reines Gemüth neigte auch nie dazu, Du warst aber auch nicht furchtsam und geängstigt wie Deine arme Mutter; frei konntest Du Dich entwickeln. Mich hatte eine Unwahrheit aus dem Hause des Gatten getrieben, Dir den Vater geraubt, den alle meine Liebe Dir doch nicht ersetzen konnte. Du hättest vielleicht ein sanftes Band zwischen mir und ihm geknüpft, ich würde, wenn auch nicht mit ihm übereinstimmend, doch ruhig und geachtet an seiner Seite gelebt haben. So aber führte ich ein peinliches Leben, fern von der Gesellschaft, die eine von ihrem Gatten getrennte Frau gering achtet, und ich war doppelt schlimm daran, da mein Gemahl alle die Eigenschaften besaß, die in der Welt Geltung haben. Er war gebildet, von tadellosem Ruf, jung, schön, von guter Familie; so schob man natürlich alle Schuld auf mich und schmähte die Frau, die mit solchem Manne nicht leben konnte. Man hielt mich für eine Unwürdige.

Als ich ernstlich zu kränkeln anfing, habe ich Deinetwegen an meinen Gatten geschrieben und von ihm die Versicherung erhalten, sich Deiner im Falle meines Todes auf's Väterlichste annehmen zu wollen. Er ist ein Mann von Ehre und hält sein Wort. Du bist jetzt in seinem Hause, Candida; denn nur in diesem Falle solltest Du mein Vermächtniß empfangen. Dein Vater ist der Baron von Tessen. Sei ihm eine gehorsame Tochter; ich rede jetzt zu Deinem Verstande, zu Deiner Vernunft, nicht zu Deinem stolzen, überwallenden Herzen, nicht zu Deinem kräftigen Geiste, dessen kühne Pläne oft mein furchtsames Herz erschreckten. Beuge Dein Haupt, mein Kind, und denke, daß es Dein Vater ist. Laß nicht die leidenschaftliche Liebe zu mir, die gewiß noch Dein treues, starkes Herz erfüllt, zur Ursache der Gleichgiltigkeit gegen ihn werden, von dem Du jetzt abhängig bist. Er ist Deine einzige Stütze, Du hast sonst Niemand auf der Welt, als ihn, und es ist – Deine Pflicht. Dieses Wort kennst Du noch nicht, denn bisher erschien sie Dir als Liebe. Lebe wohl, mein Einziges, mein Alles! des Himmels Segen über Dich!«

In der höchsten Seelenangst hatte Candida bis zu Ende gelesen. So war es denn wirklich wahr, jener gefürchtete Mann war ihr Vater, aber auch zugleich die Ursache des Unglückes ihrer Mutter. Ihr Herz schlug ihm nicht entgegen. Man brachte ihr nach einigen Stunden folgendes Billet von ihm:

»Meine Tochter, Du kennst mich nun! Komme in Liebe mir entgegen und zürne mir nicht. Die stolzen Tage der Jugend sind vorüber, wo ich mir selbst genügte; ich bin älter geworden und bedarf einer Freundin. Du hast nicht die reizbare Empfindsamkeit Deiner Mutter und wirst Dich eher mit meinem einfachen practischen Sinne befreunden. Komm zu mir, mein Kind!«

Aber dazu konnte Candida sich nicht entschließen.

Endlich kam ihr Vater zu ihr.; er umarmte sie; schweigend zwang sie sich, es zu dulden. Er sah ihre Abneigung, hoffte aber Alles von der Zeit. Um das Peinliche dieser Stunde zu mildern, sprach er von Lothar und sagte, dieser habe ihn eben zum Vertrauten gemacht und ihn gebeten, sein Fürsprecher bei ihr zu sein. Candida erklärte kalt, daß sich ihr beleidigtes Gefühl nie zu Gunsten des Grafen werde stimmen lassen.

»Ich bitte Dich, sprich nicht so,« sagte darauf der Minister, die Stirne runzelnd. »Ich habe Dich bis jetzt für ein kluges, vernünftiges Mädchen gehalten, aber einen edeln Mann, der Dir von Anfang an gefallen, zurückzuweisen, weil er einmal bei einer außerordentlichen Gelegenheit in Zorn gerathen, ist weder klug noch vernünftig.«

»Das gebe ich gerne zu,« erwiederte Candida; »aber ich kann nicht seine Frau werden, weil ich mich vor ihm fürchte. Bei jeder häuslichen Unannehmlichkeit würde ich vor Angst vergehen. Meine Ruhe wäre dahin, ewig würde mir der zürnende Tyrann vor Augen schweben.«

»Tyrann!« höhnte der Minister, »das war ein Lieblingswort Deiner Mutter; aber ich muß Dich im Ernste bitten, es Dir abzugewöhnen, so wie auch in Betreff Lothar's Dich eines Andern zu besinnen, wenn wir gute Freunde bleiben wollen.«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Am andern Morgen erwartete man Candida vergebens beim Frühstück. Der Minister schickte mehrmals hinauf, erhielt aber immer dieselbe Auskunft: die Thüre des Fräuleins sei noch fest verschlossen und ihr Mädchen nirgends zu finden.

Endlich ging er selbst hinauf, klopfte an, erhielt aber keine Antwort. Er klopfte stärker – lautlose Stille. Er ließ nun die Thüre gewaltsam öffnen: die Zimmer waren leer, Candida's Bett war unberührt. Sie hatte sich also schon am Abende mit ihrem Mädchen entfernt. Auf ihrem Schreibtische lag ein versiegeltes Billet mit der Adresse ihres Vaters. Es enthielt die wenigen Worte:

»Vergessen Sie, woran sie so lange nicht gedacht, daß Ihnen eine Tochter lebt. Ich erfülle mein Schicksal, Gott wird mir helfen. Dem Grafen ein ewiges Lebewohl.«

Der Minister und Lothar warfen sich sogleich in den Wagen und fuhren nach entgegengesetzten Richtungen, aber nirgends eine Spur von den Entflohenen. Boten wurden ausgesendet, Belohnungen verheißen, aber Alles vergeblich. Jahre verflossen, und keine Kunde, was aus Candida geworden.


Viertes Kapitel.

Alles strömte nach Mailand zu den Festen. Von der Straße nach dem Süden fuhr noch spät ein bestaubtes Coupé in die Thore der alten Stadt. Nur ein Reisender war darin, ein junger Mann von auffallend schönen Zügen. Eine helle Reisemütze saß leicht auf dem langen, blonden Haare. Auf diesem, so wie auf den Wimpern und Brauen des jungen Mannes lag sichtlich der Staub, so daß er aussah wie gepudert. Er nannte dem Postillon den Namen eines Hôtels, wohin er fahren sollte. Es schlug neun Uhr, als sein Wagen durch den Thorweg rasselte. Ein Kellner sprang ihm entgegen mit der Meldung, es sei kein Platz mehr im ganzen Hause. Der Fremde stieg aber ruhig aus und sagte mit englischem Accent:

»So führen Sie mich auf Nro. 9, wo Herr Wilson, ein Freund und Landsmann von mir wohnt.«

»Herr Wilson ist nicht zu Hause.«

»Gleichviel, führen Sie mich nur hinauf.«

Der Kellner sah verlegen aus, wagte aber nicht zu widerspechen und brachte ihn zögernd auf Nro. 9.

Kaum dort angekommen, warf sich der junge Mann, angezogen wie er war, auf das Bett und verfiel bald in tiefen Schlaf.

Es mochten einige Stunden verflossen sein, als die Thüre aufgeschlossen wurde und der Besitzer des Zimmers mit einem Lichte in der Hand hereintrat.

Er fuhr erschrocken zurück, als er Jemand auf seinem Bette gewahrte.

Mit dem Ausruf: »Eine Dame!« trat er rasch wieder heraus auf den Corridor. Dieser Irrthum war leicht zu begreifen: vom Schlafenden sah man nichts als den Kopf, da die Bettvorhänge beinahe geschlossen waren. Die langen, halb über seine weiße Stirne fallenden Locken, die blühenden Wangen, der kleine, etwas geöffnete Mund, die langen Wimpern gaben mehr das Bild einer schlafenden Dame, als eines jungen Mannes.

Draußen betrachtete Wilson die Nummer an der Thür, denn er glaubte sich geirrt zu haben; aber es war Nummer neun, es war sein Zimmer. Er rief nun den Kellner.

»Was ist das? Wer ist in meinem Zimmer?«

»Ein Herr, der vor einigen Stunden angekommen und sich Ihren Freund nannte. Er wußte Ihren Namen so wie die Nummer Ihres Zimmers.«

»Es ist ja eine Dame.«

»Eine Dame? Nicht möglich!« rief der Kellner in starrem Entsetzen. –

»Freilich! ich bin d'rin gewesen und habe sie gesehen.«

»Mein Gott, was ist da zu thun!«

»Mir fällt etwas ein. Bitten Sie in meinem Namen die Frau Wirthin, herauf zu kommen und zu der Dame in mein Zimmer zu gehen. Ich kann der Schönen nicht helfen, sie muß geweckt werden, um den Irrthum aufzuklären, denn ein Irrthum kann es doch nur sein.«

Die Wirthin erschien, eine junge, hübsche Frau; und sie war neugierig und ging schnell in das Zimmer. Wilson und der Kellner standen vor der Thür und erwarteten begierig den Ausgang der Verhandlung, da öffnete sie sich rasch und hochroth stürzte die Wirthin an ihnen vorbei, indem sie dem erstaunten Wilson zornig zurief: »Solche Späße, Signor, verbitte ich mir,« und die Treppe hinabeilte.

Verwundert blickten sich die Beiden an, als die Thür abermals geöffnet wurde und der blonde Fremde mit schlaftrunkenen Augen auf der Schwelle erschien. Kaum sah ihn Wilson, so stürzte er in seine Arme: »Howard!«

Und nun brach er in ein unaufhaltsames Gelächter aus. Aber sanft drückte der Blonde seinen ungestümen Freund von sich und fragte in seiner Sprache:

»Was bedeutet all' das? Wer war die junge Frau, die mich weckte? und warum lachst Du eigentlich? doch erst komm' herein und erzähle mir Alles ganz gemüthlich.«

Und er zog seinen noch immer lachenden Freund in das Zimmer und schloß die Thüre vor der Nase des erstarrten Kellners. Dann legte er sich wieder auf das Bett, zündete sich eine Cigarre an und fragte dann mit dem höchsten Phlegma zum Zweitenmale, warum Wilson lache. Als ihm dieser die Ursache mitgetheilt, glitt ein leichtes Lächeln über seine regelmäßigen Züge, das war aber Alles. Wilson verwunderte sich nicht darüber, er kannte ihn schon lange; er bat ihn nur, auch ihm jetzt mitzutheilen, welchem Zufall er seinen Besuch verdanke.

»Du weißt,« hob Howard an, »daß unser Freund Levistone, der Dich hier besuchte, zu mir nach Rom kam. Er erzählte mir Außerordentliches von den Festen, die hier vorbereitet würden, so daß ich mich schnell entschloß, hierher zu reisen. Zeit war keine zu verlieren. Ich schickte einen Diener auf die Post, durch einen andern ließ ich meinen Koffer packen und setzte mich dann in den Wagen, ohne Gefolge, ohne irgend eine Bedienung; wenn ich solche hatte mitnehmen wollen, hätte ich nimmermehr zu rechter Zeit hier eintreffen können, und es freute mich kindisch, mir die Verwunderung meines Secretairs und meines Kammerdieners zu denken, wenn sie plötzlich hörten, ich sei fort, nach Mailand. Levistone hatte mir Deine Wohnung, sogar die Nummer Deines Zimmers genannt, und ich beschloß mich an Dich zu wenden, im Falle ich keine eigene Wohnung fände.«

»Woran Du sehr wohl gethan, denn in der ganzen Stadt ist kein Zimmer mehr zu bekommen; selbst für einen Bedienten hättest Du keine Schlafstelle gefunden, obgleich ich nicht begreife, wie der verwöhnte Lord Howard ohne Bedienung zurecht kommen will. Ich bin das gewöhnt.«

Howard antwortete nicht, denn er schlief schon wieder. Am andern Morgen bat er Wilson, gegen Niemand seines Ranges zu erwähnen; er wolle einmal weiter nichts sein, als Master Howard, um recht unbefangen urtheilen zu können. Das war es aber eigentlich nicht, was ihn bewog, seinen Titel zu verleugnen; es war vielmehr, weil er nicht mit Allem umgeben war, wie es seinem Stande zukam und wie er es von Jugend auf gewöhnt war. Es schien ihm unpassend, einzugestehen, daß ein Pair von England das einzige Zimmer Master Wilson's theile. Dieser war zwar von guter Herkunft, sogar ein entfernter Verwandter von ihm, aber immer ein jüngerer Sohn und also ›Nobody‹.

An diesem Tage sollte große Oper sein; man gab die Somnambula » La sonnambula« (1831), Oper von Vincenzo Bellini, auf ein Libretto von Felice Romani (nach Eugène Scribes Libretto zu einer Ballett-Pantomime); sie ist zusammen mit » Norma« eines von Bellinis anerkannten Meisterwerken.. Wilson und Howard gingen hin. Unterweg's fragte Howard, wer die Prima Donna sei.

»Ei!« rief Wilson, mit Einemmale ganz Gluth, »so bist Du also nicht um ihretwillen hier? Du kennst am Ende die Himmlische noch gar nicht? Du wirst entzückt sein.«

Der junge Lord zog spöttisch die Mundwinkel herab.

»Ich habe die Grisi in der vorigen Saison gehört und war nicht entzückt.«

»Eisscholle!« brummte Wilson.

Sie traten in das festlich beleuchtete Haus. Die Ouvertüre war schon vorüber und der Vorhang flog auf. Während des Chor's war noch ziemlicher Lärm ringsum Zu dieser Zeit ist die Rezeption der Oper noch weit entfernt von der andächtigen, kunst-religiösen Haltung, wie sie im wesentlichen durch Gustav Mahler in Wien um die Jh.-Wende dem Publikum verordnet worden ist., als aber Amine erschien, rührte sich kein Mensch. Es war eine große, schöne, volle Gestalt mit bleichem Antlitz. Glatt gescheitelt hing ihr reiches Haar in langen Flechten an dem edlen Oval ihres Gesichtes herab, und in der einfachen Bauerntracht sah sie aus wie eine verkleidete Königin.

»Sie gefällt mir,« sagte ziemlich laut Howard. Zornig wandte sich sein Logennachbar gegen ihn. Wilson drückte ihm den Arm zum Zeichen, daß er stille sein solle. Mit leichten Schritten schwebte die Prima Donna auf der Bühne her und hin.

»Wie heißt sie?« fragte Howard wieder.

» Taci!« sagte laut ein Italiener.

Howard verstand ihn nicht, aber er schwieg.

Amine begann zu singen. Wie rührend war sie, als sie der Pflegemutter Hand ergriff, und welche Stimme entfaltete sie, als sie sang: » Sovra il sen' la man' mi pasa.« Dem leidenschaftlichen Wilson standen die hellen Thränen in den Augen.

Trotz aller Bewunderung für die Sängerin mußte er aber doch von Zeit zu Zeit nach einem ältlichen Herrn mit einem Stern auf der Brust sehen, der sich nicht weit von ihm befand, so auffallend war das Benehmen desselben. Weit vorgebeugt, lauschte er dem Gesange Aminens, sein Gesicht war aber ein Spiegel der schmerzlichsten Empfindungen, und endlich sagte er ziemlich vernehmbar:

»Sie ist es!«

Diese Worte richtete er an einen jungen Mann, welcher neben ihm saß und nicht weniger Antheil an der Sängerin nahm; auch er sah bleich und schmerzvoll nach der Bühne, und jeder volle Ton der Sängerin schien einen schmerzlichen Nachhall in seiner Brust zu wecken.

Im Zwischenact erzählte Wilson seinem Vetter, daß die Sängerin eine der ersten Prima Donna's Italiens sei und ihr Stern bald alle andern überstrahlen werde, obgleich sie erst vor zwei Jahren die Bühne betreten und noch sehr jung sei. Er kenne sie persönlich durch ihre Singlehrerin, in deren Hause sie wohne und wo er sie öfters besuche, da sie auch außer der Bühne von der höchsten Liebenswürdigkeit und von tadellosem Rufe sei. – Nun kam die Scene, wo Amine nachtwandelnd im weißen Gewande auf der Bühne erscheint. Die Sängerin kam mit geisterhaften Schritten, die großen, dunkelblauen Augen weit offen, die Hände schlaff herabhängend, und sang mit leiser, traumartiger Stimme. Der Gefährte des ältern Herrn bedeckte seine Augen mit dem Tuche, und Howard hörte, daß er weinte. Mit unnachahmlicher Grazie legte sich Amine auf den Divan und ruhte da wie ein schlafender Engel. Als aber das Geschrei um sie her sie erweckte, und sie nun nach und nach den schimpflichen Verdacht, der auf ihr ruhte, erfuhr, nahmen ihre edlen Züge einen solchen Ausdruck von tiefem Schmerz an, daß sogar der phlegmatische Howard davon berührt wurde. Aber der junge Mann neben ihm – es war Graf Lothar – konnte das Leid der Sängerin nicht mehr mit ansehen und verließ rasch seinen Platz.

»O Candida, Candida!« rief er draußen in die Nachtluft, »so muß ich Dich wiederfinden! Und jetzt, gerade jetzt! warum nicht ein halbes Jahr früher!«

In wildem Schmerz schlug er sich vor die Stirne. Er wollte nach Hause, verirrte sich aber in den Straßen und gelangte in seinen Gasthof erst mit den beiden Engländern, welche nach beendigter Oper zurückkehrten. Er hörte, wie der Eine sagte:

»Sie gefällt mir wirklich; d'rum sei so gut, mich morgen früh zu ihr zu bringen.«

Wilson konnte die Nacht nur wenig schlafen, so sehr hatte ihn die Vorstellung am Abend aufgeregt. Beim ersten Grauen des Tages lag er schon im Fenster, sein Vetter aber noch im tiefsten Schlafe. Das Bild der schönen Sängerin schwebte vor Wilsons Augen, indem er in die Straße blickte, welche nach und nach anfing sich zu beleben. Da fuhr ein eleganter Reisewagen mit Postpferden vor und er verwunderte sich, wer gerade heute die Stadt verlasse, heute, am Haupttage der Feste. Er sah nun den jungen Mann einsteigen, der gestern so plötzlich das Theater verlassen, und sein alter Freund begleitete ihn bis an den Schlag. Im raschen Davonfahren bog der junge Mann sich noch einmal heraus und rief:

»Folgen Sie mir bald und grüßen Sie sie.« Nach einer Weile hörte er den älteren Herrn langsam an seiner Thür vorübergehen. Es war Candida's Vater.

Zu der passenden Stunde begaben sich die beiden Engländer zu der Sängerin, welche wir wieder Candida nennen wollen; denn sie war es, obgleich sie unter einem andern Namen berühmt geworden.

Wilson stellte ihr seinen Freund vor. Ueberrascht blickte sie den schönen blonden Mann an und lächelte:

»Sie sind so blond und weiß und roth, Signor, ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, wie mich das frappirt. Man ist hier in Italien an solche Gesichter nicht gewöhnt. Sie sind wohl öfter angestaunt worden.«

»O ja, besonders im Kirchenstaate einmal. Es war in einem elenden Gasthofe, wo ich einige Erfrischungen gesucht, aber sehr wenig gefunden. Ich wollte fort und bezahlen und fragte den Jungen, der mir aufwartete, ob er mir wechseln könne, da ich nur Gold bei mir habe. ›O ja,‹ sagte er begierig. Als er aber die Zechine in Händen hatte, weigerte er sich, mir etwas herauszugeben, bis seine Mutter komme; ›denn, fügte er entschlossen hinzu, meine Mutter muß Sie sehen, Eccellenza; so etwas wie Sie bekommt die ihr Lebetag nicht wieder zu Gesicht, und sie würde mich schelten, wenn ich ihr von dem blonden Herrn erzählte und hätte ihr nicht seinen Anblick verschafft.‹«

»Und Sie blieben natürlich aus Galanterie gegen die Dame?«

»Nein, ich reiste ab und den Jungen vermochte sein ganzes Goldstück nicht zu trösten; er schrie und beschwor mich, bis er meinen Wagen aus dem Gesichte verloren.«

Wilson erzählte nun Candida, wie er vorgestern seinen Freund wegen seines schönen Teints und seiner langen blonden Haare sogar für eine Dame gehalten. Sie lachte herzlich über das Abenteuer, Howard aber rümpfte die Nase.

»Du meinst wohl, ich solle mich darüber freuen, daß mein Gesicht dem einer Dame gleicht, während es mir, geradezu gesagt, unangenehm ist.«

»Unangenehm, Signor? das ist nicht galant!«

»Ich bin auch nicht galant; ich liebe die Frauen nicht.«

Mit einem spöttischen Blick neigte sich Candida zu Wilson:

»Und Sie, Master Wilson?«

»O, ich – ich bete sie an!«

»Da haben Sie recht, es ist ein dankbarer Cultus.«

Wilson war ganz verschieden von seinem Vetter; heiter, natürlich und enthusiastisch, mit ganzer Seele dem Leben und seinen Freuden angehörend, liebenswürdig und angenehm im höchsten Grade, ohne im mindesten schön zu sein. Howard hingegen war ein aristokratisch verwöhntes Kind der jetzigen Zeit, jung, gesund und blühend, aber geistig blasirt. Schon als Kind hatte er seinen Vater verloren, und da war denn der junge Lord nicht wenig von seiner schwachen Mutter verzärtelt und adorirt worden. Er war gewöhnt, sich überall als die Hauptperson zu betrachten und seinen Willen als etwas Unwiderlegliches, Unwiderstehliches; außerordentlich reich und darum an kein Versagen gewöhnt, dabei eigensinnig, hochmüthig und anmaßend, mit einer fertigen Meinung über Alles, selbst über Dinge, von denen er nicht den leichtesten Begriff hatte; aus Mode die Frauen verachtend, weil er sie nicht kannte, dabei aber dennoch nicht ohne gute Anlagen, voll Muth und Ehrgefühl, wenn auch im höchsten Grade phlegmatisch. Es fehlte ihm nicht an Verstand, aber dieser hatte eine falsche Richtung bekommen und war durch Vorurtheile ganz verdunkelt. Candida versprach für diesen jungen Mann ein prächtiger Umgang zu werden. Ihre rücksichtslose Wahrheitsliebe, ihr klarer Verstand und ihr scharfes, freimüthiges Urtheil, dabei ihr gänzlicher Mangel an Schonung für den verwöhnten jungen Pair gaben ihm alle Augenblicke etwas zu denken.

»Waren Sie gestern in der Oper?« fragte Candida Wilson.

»Habe ich sie denn,« erwiederte dieser, »noch einen Abend versäumt? Auch mein Vetter hier hat mich begleitet, und er war entzückt; doch nein, das war er ja noch nie in seinem Leben, ich muß mich richtiger ausdrücken: Sie hatten das ungewöhnliche Glück, Seiner« – er wollte Lordschaft sagen, als ihm noch zu rechter Zeit das Incognito einfiel, und er sagte darum kurz: – »ihm zu gefallen.«

Die Sängerin lachte und sah von der Seite den jungen Mann an, von dem sie glaubte, er müsse durchaus etwas sagen; als er aber schwieg und mit der Schnur am Divan spielte, sagte sie:

»Dies ist ganz natürlich schon eine hohe Ehre, da Mr. Howard erklärt hat, daß er die Frauen nicht liebe, also auch nicht die Sängerinen.«

»O doch,« sagte Howard, »auf der Bühne liebe ich die Frauen, weil sie da offen gestehen, daß sie ihre gewöhnliche Beschäftigung treiben, nämlich Comödie spielen.«

»Und Sie, Mr. Howard, was thuen Sie eben?«

Er sah sie mit einem Blicke an, der niederschmetternd sein sollte, seine Wirkung aber gänzlich verfehlte, denn Candida lachte nur noch stärker.

In diesem Augenblicke wurde der Baron Tessen gemeldet; aber wie wirkte dieser Name auf die junge Sängerin! Todtenbleich hielt sie sich am Sessel.

»Tessen!« sagte sie endlich leise, »hörte ich recht?

O Gott! er ist es!«

Wilson erhob sich, sein Tact gab ihm ein, daß er hier überflüssig, ja lästig sei; aber wie staunte er, als er im Vorzimmer den alten Herrn aus dem Theater fand; er hatte in dem Besuche einen Liebhaber vermuthet.


Fünftes Kapitel.

Zwei Tage darauf sang Candida wieder, aber nie hatte sich die Prima Donna so wenig zu ihrem Vortheile gezeigt. Ihr Spiel war ohne Feuer, ihre Stimme ohne Klang, ihre Züge ohne Ausdruck; aber sie war so beliebt, daß man sie es nicht entgelten ließ, und da sie matt und leidend aussah, schob man es auf Unwohlsein. – Der alte Tessen hatte aber wieder in seiner Loge gesessen und kein Auge von ihr verwendet, und diesmal sah sie ihn auch. Er begleitete sie im Wagen nach ihrer Wohnung.

»Kommen Sie nicht mehr in die Oper, Vater,« sagte sie zu ihm; »thuen Sie es nicht mehr, so lange Sie hier sind. Sie nehmen meinen Geist zu sehr in Anspruch, ich muß dann immerfort an Sie denken, nach Ihnen sehen, und meine Rolle spiele und singe ich nur wie im Traum.«

Er nahm ihre Hand; die seinige zitterte. »Wie Du willst, mein Kind, ich werde ja ohnedies bald abreisen; willst Du mich nicht begleiten?«

»Welch' ein Vorschlag! nein, mein Vater, das ist unmöglich. Welche Rolle würde ich jetzt in Ihrem Hause spielen! In die Gesellschaft kann ich nur an der Hand eines Gatten zurückkehren und – ich habe keine Lust zum Heirathen. Ueberdem liebe ich mein Metier, und es genügt zu meiner Zufriedenheit, zu wissen, daß Sie mir meinen tollen Streich verziehen haben, der im Ganzen doch so gut ausgeschlagen ist. So sehr ich bereue, Sie damals durch meine Flucht, eine Folge meines kindischen Uebermuthes, beleidigt zu haben, so sehr freut es mich doch auch wieder, die Bühne betreten zu haben, von der ich deutlich fühle, daß sie meine Bestimmung ist.«

»Du bist aber erst kurze Zeit auf den Brettern, kennst nur die schöne Seite Deines Standes; ich fürchte, daß Dir noch andere Erfahrungen bevorstehen.«

»Ich sehe gefaßt allen Cabalen und Theaterintriguen entgegen, von denen ich wohl weiß, daß sie nicht ausbleiben werden.«

»Vielleicht hast Du recht, mein Kind, auf dem einmal betretenen Pfade zu beharren; überdem fühle ich mich zu schwach, Deinen Vorsatz zu bekämpfen, seitdem ich meinen Bundesgenossen verloren habe. Der verließ vorgestern Abend Mailand. Erräthst Du nicht, Candida, wer es war?«

»Lothar?«

»Ja, er ist seit einem halben Jahre verheirathet, fürchtete ein Zusammentreffen mit Dir und verließ über Hals und Kopf mitten in den Festlichkeiten die Stadt.«

Nach einer langen Pause fragte Candida: »Wer ist seine Frau?«

»Eine Waise, deren Vormund er war. Sie liebte ihn leidenschaftlich; er sah es und ward gerührt. Es ist schon Manchem von uns so gegangen, aber nie zum Guten ausgeschlagen.«

Candida fühlte, daß Herr von Tessen an ihre Mutter dachte, und das verletzte sie. Ziemlich kalt trennte sie sich von ihm, nachdem er ihr seinen Besuch für morgen angekündigt.

»Lothar vermählt!« rief sie in ihrem Zimmer; »ist es möglich! Ich habe eigentlich nie gewünscht, ihn wieder zu sehen, aber geglaubt, er müsse ewig an mich denken; aber so sind die Männer: aus den Augen, aus dem Sinn!«

Wie sie Lothar behandelt hatte, daß sie ihm sogar ein ewiges Lebewohl durch ihren Vater geschickt, daran dachte sie nicht. Aber sie konnte die Nacht nicht schlafen und Lothar's dunkle Augen schwebten vor ihr, doch nicht in Zorn, wie früher, nein, trüb und schmerzlich.

Nach einigen Tagen verließ der Minister wirklich Mailand. Er war im Grunde mit Candida einverstanden, daß sie jetzt, nachdem sie die Bühne betreten, selbst nicht zum Besuche in seinem Hause erscheinen könne, so leid es ihm that; sie war ja das einzige Wesen, das er liebte. Er glaubte oft in ihrer Selbstständigkeit, in ihrer Unerschrockenheit, in ihrem kühnen, herausfordernden Geiste sich selbst wiederzufinden. Sein Zusammentreffen mit ihr machte ihn glücklich. Da sie ihren Ruf tadellos zu erhalten gewußt, so nahm er auch an ihrer Stellung keinen Anstoß mehr, und ihr Ruhm entschädigte ihn für seinen verletzten Familienstolz; ohnedies hatte sie sich ja nie seines Namens bedient. Beim Weggehen empfahl er sie nochmals der Sorge der Signora Salvi, der Freundin ihrer Mutter, welche ihr die Laufbahn eröffnet, auf der sie sich nun mit solchem Erfolge bewegte; er selbst versprach, sie nächstes Jahr in Italien wieder zu besuchen, und diesmal war Neapel der Ort des Rendezvous, wohin sie ein Engagement rief. Er freute sich dieser Aussicht; auch Candida hatte sich mit ihm ausgesöhnt, sie war ja mehrere Jahre in einer harten Schule gewesen – in der Schule des Lebens. Sie hatte einsehen lernen, daß ihre Kindheit nur ein schöner Traum gewesen, und daß die treue Liebe und die Engelsmilde ihrer Mutter etwas waren, was die Erde nicht zum zweitenmale bietet. Hart sind die Menschen, schonungslos ist das Schicksal. Der Sturm achtet nicht der zarten Blüthe, die, im Treibhause aufgewachsen, ihm plötzlich preisgegeben wird; er umsaust sie wie die andere, die vom ersten Knospen an seine rauhe Berührung gekannt; ihm gelten alle gleich. So das Leben, die Welt. Sie achtet nicht des weichen Herzens, das, in warmer Liebesatmosphäre aufgewachsen, keine Begriffe von harter Begegnung hat; im Gegentheil, oft scheint es, als ob das Schicksal mit eigentlichem Hohn die plötzlich schutzlos ihm dahingegebenen Opfer quäle und zermalme.

Nach der Entfernung ihres Vaters wandte sich Candida wieder mit voller Seele ihrer Kunst zu. Die beiden jungen Engländer besuchten sie häufig. Howard's Anmassung und Phlegma ergötzten sie im höchsten Grade und reizten zugleich ihre Spottsucht.

Eines Morgens rühmte er sich, noch nie verliebt gewesen zu sein.

»Setzen Sie hinzu: unberufen,« sagte Candida. »Das ist deutsche Sitte, wenn man sich rühmt, von einem Uebel oder einer Krankheit verschont geblieben zu sein, denn sonst –«

»Nun, was fürchten Sie? doch nicht, daß ich mich verliebe?«

»So werden Sie auch nie heirathen, wenn Sie Ihrer Sache so gewiß sind?«

Eben wollte der junge Mann herausplatzen und erklären, daß er wegen seines Ranges und seiner Familie es thun müsse, als ihm zu rechter Zeit einfiel, daß Candida nicht den Lord in ihn kannte und er schwieg.

»Nun, was wollten Sir sagen?« fragte Candida.

»O nichts, als daß Sie recht haben.«

»Ist das nichts? ich meine, das ist sehr viel. In dem Worte ›Recht haben‹ liegt eine ganze Welt, und wir Frauen haben so selten Recht, oder vielmehr behalten so selten Recht, da uns die Männer mit ihrer gewaltigen Stimme überschreien. Darum ist es sehr Unrecht von Ihnen, mich um diese seltene, angenehme Empfindung verkürzen zu wollen; und nun gar von Ihnen Recht zu bekommen, vom unfehlbaren Mr. Howard, das ist ja der Inbegriff der Seligkeit.«

»Mir scheint das kein günstiges Omen für Ihren künftigen Gemahl, daß Sie so gerne Recht haben,« sagte Wilson lächelnd.

»Reden Sie nicht von dem Armseligen!« rief Candida.

»Armselig? warum?«

»Weil, wenn ich einmal heirathe, es nur geschieht, damit die Leute mir nicht mehr davon sprechen, und welch' ein Mann ist das, der dafür seine Hand giebt! denn täuschen werde ich ihn nicht.«

Howard lächelte spöttisch, aber Wilson sagte eifrig:

»Warum sagen Sie doch zuweilen solche sonderbare und unangenehme Dinge, Signora? Ist es eine Laune, die plötzlich durch ihren Künstlerkopf fährt, oder geschieht es, um unseren Witz zu prüfen?«

»Sagen Sie nicht ›unsern Witz‹, denn Master Howard ist nicht witzig; er ist nur zuweilen barok, was ihm für Witz gilt, unhöflich, was ihm genial scheint, und phlegmatisch, was er für vornehm hält.«

»Für vornehm hält?« wiederholte Howard bitter; »trauen Sie mir nicht zu, daß ich weiß, was vornehm ist? Wahrhaftig, ich möchte erfahren, für was Sie mich halten.«

»Für ein Kind, und diese haben lauter falsche Begriffe.«

Howard erhob sich und ging tief verletzt nach Hause. So hatte ihn noch Niemand behandelt, obgleich er es durch seine faden und anmaßenden Bemerkungen schon hundertmal verdient hätte. Sein hochadeliges Gemüth war tief beleidigt durch die Sünde des Zweifels an seiner richtigen Beurtheilung des ›Vornehmen‹. Auf dem Heimwege fielen ihm zwanzig gute Antworten ein, die er der übermüthigen Sängerin hatte geben können, aber nun war es zu spät.

Wilson ergötzte sich an der übeln Laune seines Vetters. Er gönnte ihm die Zurechtweisung aus schönem Munde von ganzer Seele, denn wie oft hatte er sich schon über seinen rücksichtslosen Hochmuth geärgert! Er mußte lächeln, als Howard am anderen Tage ihm erklärte, seine Equipagen und seine Dienerschaft von Rom kommen lassen zu wollen: auch miethete er eine große Wohnung und bereitete sich in jeder Weise vor, als Lord Howard würdig aufzutreten.

»Aber wozu plötzlich all' dieser Aufwand?« fragte Wilson boshaft.

»Aufwand! welch' ein Ausdruck! Es sind Dinge, an die ich gewöhnt bin, die ich bis jetzt hier schmerzlich vermißte, da ich für sie erzogen und geboren bin, und ich habe gefunden, daß es recht gut ist, sich mit den Attributen seines angeborenen Ranges zu um geben. Man setzt sich nur Unannehmlichkeiten aus, wenn man sich mit ›Jedermann‹ gleichstellt.«

Wilson lachte.


Sechstes Kapitel.

Einsam und in trüber Stimmung fuhr Graf Lothar dem Norden zu, und das einzige Gefühl seines Herzens war: zu spät, zu spät! Mit Bangen dachte er an das Wiedersehen seiner jungen Frau.

Sie besaß eine Eigenschaft, die Lothar zwar glücklicherweise ihrer übergroßen Liebe zu ihm zuschrieb, die aber eigentlich ihren Grund in einem mißtrauischen, selbstsüchtigen Character hat; sie war eifersüchtig im höchsten Grade. Eine Frau, die einen eifersüchtigen Mann hat, ist nicht so beklagenswerth, als ein Mann, dem solch' eine Gattin zu Theil wurde; er wird noch obend'rein lächerlich vor den Augen der Welt, und wenn er um des Friedens willen vermeidet, ihr irgend einen Anlaß zu geben, so wird das für Wirkung des Pantoffelregiments angesehen. Lothar war darum froh gewesen, in den mailänder Festen einen Vorwand zu finden, um sich auf einige Zeit von seinem Hause zu entfernen, welches mehrere heftige Scenen in letzter Zeit ihm schon nach sechsmonatlicher Ehe verbittert.

Jetzt wollte er aber durchaus Candida's glühendes Bild aus seiner Erinnerung verbannen und nahm darum im Wagen den letzten Brief seiner Frau heraus. Aber der gewährte ihm keinen Trost. Nicht freundliche Liebesworte sprachen aus ihm, nein, nur bittere Klagen über die Trennung und Angst, daß eine Andere sein ihr gehöriges Herz gewinnen möchte. Seufzend faltete der junge Ehemann das Blatt wieder zusammen.

Es war Abend, als er in seinem Wohnort, der Residenz, eintraf. Die Fenster seines Hauses waren dunkel. Er ließ seine Uhr repetiren; es war erst neun Uhr. Sollte Melanie schon zu Bette sein? Unmöglich! Er befahl dem Bedienten, zu schellen; ein Hausmädchen öffnete, aber beim Anblick ihres Herrn lief sie schreiend fort, um die Bedienten zu rufen.

Lothar stand allein auf der dunkeln Hausflur. Seinem Bedienten, den er mitgebracht, befahl er den Wagen auszupacken und ging langsam die breite Stiege hinauf nach seinen Zimmer. Seine Thür war verschlossen; er trat daher in den vom Mond beleuchteten Saal, warf sich auf einen Divan und ärgerte sich über die ganze Welt, als endlich ein Bedienter mit Licht erschien, dessen Toilette man die Eile ansah, mit welcher sie vollbracht worden.

»Wo ist die Gräfin?«

»Niemand erwartete schon den gnädigen Herrn Grafen, und darum –«

»Ich will wissen, wo meine Frau ist?« rief der Graf mit steigendem Zorn.

»Es ist ein großes Fest beim französischen Gesandten.«

»Und dort ist die Gräfin?«

»Zu Befehl.«

»Schließe mir mein Zimmer auf.«

»Die Frau Gräfin haben den Schlüssel in ihrem Secretair.«

Ein leiser Fluch erstarb auf Lothar's Lippen, obgleich er diese Maßregel nur klug finden konnte.

Er fragte, um welche Zeit die Gräfin den Wagen zum Abholen bestellt.

»Um ein Uhr.«

»Um ein Uhr! Guter Gott!«

Der Graf wollte nicht früher seine Gemahlin von seiner Ankunft benachrichtigen lassen, weil er überzeugt war, daß sie dann auf dem Balle ein förmliches Aufsehen erregen würde.

»Bring mir etwas kalte Küche und Wein,« befahl er.

Lothar zündete mehrere Leuchter an, um es sich im großen Zimmer wohnlicher zu machen. Aber nun fror es ihn in den weiten, hellen Räumen und er ging nach dem anstoßenden Cabinet seiner Frau.

Leicht wich die angelehnte Thüre seinem Drucke, aber es war kein angenehmer Anblick, der sich ihm bot.

Melanie hatte hier Toilette gemacht und die Kammerfrau, statt aufzuräumen, die Abwesenheit der Gebieterin zu einem Ausgange benützt. In bunter Unordnung lagen Hundert Dinge auf Tischen und Stühlen umher; selbst zwischen den Blumen hingen mehrere Echarpes, die offenbar anprobirt worden und vor den Augen der Dame nicht Gnade gefunden.

Ueber der Uhr hingen Bänder, so daß Lothar nicht sehen konnte, welche Zeit es war; das Flacon mit dem Parfüm war offen gelassen worden und verbreitete einen betäubenden Wohlgeruch. Aergerlich verschloß es Lothar und wandte dann dem ›Tempel der Gracien‹ seinen Rücken. Der Bediente hatte einstweilen die Speisen und den Wein gebracht. Lothar, verstimmt wie er war, aß wenig und trank ziemlich viel.

Er öffnete den Flügel und begann mit heißen Händen einige rasche Walzer zu spielen, als sich die Thüre schnell öffnete und Melanie hereinstürzte und laut schreiend an ihres Mannes Hals flog.

»Lothar, Du hier! warum hast Du mir das nicht geschrieben? wann bist du angekommen?«

»Um neun Uhr!«

»Um neun Uhr! und ich war nicht hier, ich konnte Dich nicht empfangen! ich trieb mich auf dem langweiligen Balle herum, während Du hier allein sitzest! Warum hast Du mir Deine Ankunft nicht gemeldet? die Ueberraschung hat mich ganz elend gemacht – und der Gedanke, daß ich nicht zu Hause war, o mein Gott!«

Und sie brach in Thränen aus und warf sich schluchzend auf einen Stuhl. Lothar war eben gar nicht aufgelegt, eine Scene auszuhalten.

»Ich bitte Dich, Melanie, welch' ein Empfang! Statt froh zu sein über meine Ankunft und mich freundlich in meinem Hause zu bewillkommen, weinst Du wie ein kleines Kind, und läßt mich wirklich bedauern, nicht länger dort geblieben zu sein, wo man auf jeden Fall freundlicher für mich gewesen wäre.«

»Freundlicher!« rief Melanie und sprang so schnell auf ihre kleinen Füße, daß die blonden langen Locken wie kleine Schlangen ihr Köpfchen umtanzten; »freundlicher! ohne Zweifel irgend eine Eroberung! Also ist es doch wahr, wovon ich Tag und Nacht träumte? Du bist mir untreu gewesen! O ich unglückliches, armes, beklagenswerthes Geschöpf!« Und schluchzend verhüllte sie ihr Antlitz mit dem Tuche.

»Nein, Melanie, nun ist es mir zu arg, das halte ein Anderer aus!«

Und mit langen Schritten ging er auf seine Thür zu; aber sie war verschlossen.

»Den Schlüssel, Frau Gräfin!«

Aber sie weinte immer fort und gab keine Antwort.

»Wie oft soll ich es wiederholen? ich verlange meinen Schlüssel.«

Die kleine Frau regte sich nicht. Da übermannte der Zorn über das alberne Benehmen Melanie's den Grafen dergestalt, daß er seine Thüre mit einem raschen Fußtritt sprengte. Die Gräfin schrie in ihrem Sessel laut auf und verfiel in Krämpfe, was aber eine ganz unnöthige Anstrengung war; denn Lothar lag schon im dritten Zimmer im offenen Fenster und badete sein heißes Gesicht in der kühlen Nachtluft.

Bald gab der Anblick der funkelnden Sterne und die heilige mitternächtliche Stille, die so erhebend und beruhigend auf ein aufgeregtes Gemüth wirkt, ihn seinem besseren Selbst zurück, und er faßte den Entschluß, Nachsicht mit den Schwächen Melanie's zu haben.

»Es ist nur die Folge ihrer verkehrten Erziehung, sie ist ja noch so jung, und es ist meine Pflicht, sie auf bessere Pfade zu leiten. Sie ist ja doch nun einmal meine Frau!«

Bei diesem Gedanken hob ein tiefer Seufzer seine Brust. Wie sehr hatte er sich getäuscht! Welch' anderes Ideal von ehelichem Glück hatte er in seiner Brust getragen! Wie dachte er früher, daß seine Frau ihm einmal eine Freundin, ein Trost in allen Schmerzen sein sollte! – und was war ihm seine Frau? – eine Bürde. Er träumte sich zurück in die Zeit, wo er sie kennen gelernt. Ein blühendes, rosiges Kind, vornehm und elegant in Manieren und Gewohnheiten. Wie oft hatte er sie getroffen, seine Gedichte in der Hand, die großen, blauen, sanften Augen voll Thränen, die kleine, zarte Gestalt über das Buch gebeugt! Sprach er, so lauschte sie athemlos seinen Worten, und nie vergaß sie, was er gesagt; seine Gedichte wußte sie alle auswendig. Er glaubte in ihrem jungen Gemüthe den heiligen Funken zu finden, der nur der Pflege bedürfe, um zur klaren Flamme empor zu lodern. Rührender Irrthum, in den so Mancher verfällt, und besonders begabtere Menschen, die mit dem eigenen Reichthum Andere ausstatten! Melanie war aber ein leeres Geschöpf, ohne tiefern Gehalt. Sie hatte sich für Lothar's Werke begeistert, weil sie in den Dichter verliebt war und klugerweise sich ihm gegenüber den Anschein gab, als sei es umgekehrt der Fall. Lothar ließ sich täuschen, er glaubte an ihre reine Bewunderung; man glaubt so leicht einem siebzehnjährigen Mädchen, wenn sie hübsch und elegant ist. Dabei besaß Melanie eine angeborne Koketterie, die sie immer das wählen ließ, was ihr gerade am vortheilhaftesten war. Lothar gegenüber, den sie liebte, weil er hübsch war und dabei offenbar der bedeutendste aller jungen Männer ihrer Bekanntschaft, hatte sie die Ergebene, unglücklich Liebende gezeigt. Er war ihr Vormund, er kam dadurch öfters in ihre Nähe und sah sie allein, um sich mit ihr wegen ihrer Vermögensangelegenheiten zu besprechen. Da hatte sie denn immer mit süßer, gedämpfter Stimme gesagt:

»Fragen Sie mich nicht, Graf; Alles was Sie thun, billige ich, Ihr Wille ist mein Evangelium.«

Dadurch ward der gute Lothar gerührt worden; Männer sind es so leicht einem hübschen Mädchen gegenüber. Ihre Sanftmuth, die ihm zweifellos schien, so wie ihre anbetende Liebe schienen ihm Bürgen seines Glückes, und so ward sie seine Frau. Da fiel der Schleier von ihrem Character. Sie zeigte sich eigensinnig, heftig, unvernünftig, eifersüchtig, voller Ansprüche, voller Eitelkeit, und Launen hatte sie, wie keine Zweite auf Erden Aber Lothar hoffte dennoch sie zu bessern; er hielt ihre Untugenden für schlechte Gewohnheiten und glaubte noch immer am ihr Herz, und wie es nur nicht in seinem reinen Glanz sich zeigen könne, weil die vielen Schlacken das ächte Gold nicht leuchten ließen.

Diese Schlacken wollte er entfernen durch treue Liebe, Sorgfalt und Nachsicht. Melanie hatte aber kein tiefes Gefühl, sie war nicht böse, nicht verdorben, aber oberflächlich und leichtsinnig. Sie liebte ihren Mann leidenschaftlich, aber sie hatte keine Ahnung von seinem wirklichen Werth und es fehlte ihr auch der Maßstab für ein Wesen seiner Art: er stand viel zu hoch für ihren Gesichtskreis.

Der Graf gieng den andern Morgen mit dem festen Willen zum Frühstück, seiner Frau gegenüber keine Erinnerung an den verflossenen Abend aufzuwecken und freundlich mit ihr zu sein, als sei nichts vorgefallen. Melanie saß in einem reizenden Negligé, weiße Mousseline mit Rosa gefüttert, an Tischchen. Als ihr Mann hereintrat, blickte sie nicht auf.

»Guten Morgen, Melanie.«

»Guten Morgen, Graf.«

Und sie tauchte wieder kaltblütig ihren Zwieback in den rauchenden Thee.

»Gut geschlafen, liebes Kind?«

»Was liegt Ihnen daran?«

Lothar schwieg, im Tiefsten verletzt, und nahm ein Zeitungsblatt. Die Gräfin schellte.

»Meinen Papagei!«

Coco wurde nun aus dem Käfig genommen, geküßt und mit schönen Phrasen angeredet, wie:

»Mein liebster Coco, meine einzige Freude, nicht wahr, Du hast mich lieb? O Coco, mich hat Niemand auf der Welt lieb!«

»Ich bitte Dich, Melanie, sei nicht so kindisch,« sagte der Graf kurz und ernst; »Du mußt Dir das wirklich abgewöhnen und bedenken, daß für eine Frau solche Redensarten nicht passen. Du bist freilich noch keine achtzehn Jahre alt, aber Du bist dennoch alt genug, um die Kinderschuhe endlich über Bord zu werfen.«

In einem Anflug komischer Laune zog die kleine Frau ihr Musselinkleid in die Höhe, als wolle sie nach den Kinderschuhen sehen, und ihr reizendes Füßchen im rothen Sammetpantoffel kam zum Vorschein. Halb trotzig, halb lustig sagte sie:

»Wenn mir aber nun die Kinderschuhe gut passen?«

Lothar war bezwungen, er setzte sich neben sie, wies auf den kleinen Fuß und sagte:

»Du siehst, es sind Pantoffeln, und die gehören der Frau, nicht dem Kinde.«

»Sei nicht so streng mit mir!« flehte sie mit weicher, schmeichelnder Stimme; »ich habe Dich ja so lieb – ach viel zu lieb!«

Und indem sie neben ihn auf das Sopha kniete, um größer zu sein, legte sie mit kindlicher Grazie ihren runden Arm um seinen Hals – und Lothar war für den Augenblick getröstet. Er dachte: ›sie ist ein gutes Kind, sie liebt mich; warum sollte ich nicht noch glücklich werden?‹

Süße Hoffnung! Wer gern getäuscht wird, wem Alles verloren geht durch eine Entdeckung, der macht sie so spät wie möglich.

Einige Tage später kam auch der Minister von Tessen von Mailand zurück. Er besuchte seinen jungen Freund; da Melanie aber gerade im Zimmer ihres Mannes war, scheute er sich, Candida's zu erwähnen; doch Lothar mußte von ihr hören, er konnte es sich nicht versagen.

»Waren Sie noch öfters in der Oper?«

»O ja, noch zweimal!«

»Und sang – Candida?«

»Ja wohl.«

»Haben Sie sie besucht?«

»Sehr oft.«

»Hat sie nach mir gefragt?«

»Ich erzählte ihr, daß Sie abgereist seien.«

»Weiß sie, dass –«

Und Lothar stockte und eine höhere Röthe färbte seine dunkeln Wangen.

»Daß Sie verheirathet sind? das habe ich ihr gesagt.«

Der Graf war an das Fenster getreten, denn die Blicke seiner Frau flogen ängstlich von ihm zum Minister; sie war bleich, und ihre Lippen zitterten vor innerer Aufregung. Herr von Tessen bemerkte es und erhob sich. Als Lothar sich umwandte, um ihn bis zur Thüre zu geleiten, hatten seine Züge noch nicht ihren gewöhnlichen Ausdruck wieder erhalten.

Als Lothar die Thüre hinter dem Minister geschlossen, trat ihm seine Frau entgegen.

»Wer ist diese Candida? Eine frühere Liebschaft wahrscheinlich; ich habe nie gehört, daß Sie in einem Verhältniß mit einer Sängerin gestanden, denn sonst –«

»Nun was denn sonst?« fragte der Graf, dem die Stirnader hoch aufschwoll.

»Würde ich mich bei Ihrer Bewerbung ganz anders benommen haben; ich verabscheue diese Personen, und ein Mann, der einmal eine Verbindung mit einer Frau der Art gehabt, ist verdorben für ewige Zeiten.«

»Melanie, hüte Dich! Ich habe nie ein Verhältniß mit einer Frau ›der Art‹ gehabt, und die ›Person,‹ von der wir sprechen, steht so hoch, daß Du und ich Niemanden kennen, der ihrer würdig wäre.«

Damit nahm er Hut und Handschuhe und verließ rasch das Zimmer, das Haus, um sich draußen in freier Luft den verlorenen Gleichmuth wieder zu holen. Dieses Mittel wendete er jedesmal an, wenn er fühlte, daß der Zorn ihn bemeistern wollte; er sollte nie mehr ganz seiner Herr werden im Leben, hatte er ihn doch schon sein Liebstes, sein ganzes Glück gekostet. Draußen machte er sich die bittersten Vorwürfe, daß er vor seiner Frau mit dem Minister über Candida gesprochen; aber er hatte seinem übervollen Herzen nicht länger Stillschweigen gebieten können. Lothar war nicht klug, nicht vorsichtig; er war eine edle Natur, die sich aber oft zu frei gehen ließ.

Bald darauf besuchte er Candida's Vater. Er fragte viel nach ihr, die noch immer mit glühenden Farben in seiner Phantasie lebte, und deren plötzliches Wiedersehen alle seine frühern Gefühle neu aufgeweckt hatte. Der Minister sagte:

»Ich habe mit meiner Tochter wieder ein Rendezvous verabredet; in Neapel werden wir uns finden, ich freue mich darauf, denn ich liebe sie.«

Lothar seufzte und schwieg.

»Alle Jahre werde ich sie sehen,« fuhr Herr von Tessen fort; »ich hoffe, daß sie sich bald verheirathet und dann natürlich die Bühne verläßt. Später, wenn ich meinen Abschied vom Staatsdienst nehme, will ich an einem Ort mit ihr leben. Sobald sie nicht mehr Sängerin ist, wird sie auch öffentlich als meine Tochter auftreten; aber sie hat Recht, sie kann jetzt nur an der Hand eines Gatten in die Gesellschaft zurückkehren.«

»O Himmel!« rief der Graf ungeduldig; »warum nur immer und ewig Heirathsgedanken! Es ist entsetzlich! Kaum läßt sich ein schönes Mädchen blicken, so fragt man schon von allen Seiten: wer bewirbt sich um sie? Kein junger Mann kann in Gesellschaft auftreten, ohne daß man ihm hundert Partien zudenkt und vorschlägt. Heirathen und immer wieder Heirathen ist die Losung! Und hat man nun der Welt den Gefallen gethan und ist glücklich in das Joch hineingeschlüpft, dann begreift wieder kein Mensch, daß man diese Partie machen konnte, daß man solche Wahl treffen mochte; bei allen findet man dann, daß sie eine höchst unpassende Verbindung geschlossen. Die Männer verwundern sich über den schlechten Geschmack der Frau, die Frauen finden dasselbe vom Mann.«

Herr von Tessen lachte:

»Sie haben gut raisonniren. Wer, wie Sie, eine schöne, sanfte, junge Frau besitzt, die er von Kindheit auf gekannt –«

»Gekannt, Herr Baron? – wer kann sich rühmen, daß er ein Mädchen gekannt? Die lernt man erst kennen, wenn sie Frauen sind, bis dahin sind es lauter Engel. Mir ist noch kein Fräulein vorgekommen, das nicht ein Muster von Sanftmuth, Gutmüthigkeit und Bescheidenheit gewesen wäre, aber nach der Trauung – du lieber Himmel!«

»Das ist ja gut, daß es da erst zum Vorschein kommt,« lachte Herr von Tessen; »ich glaube überhaupt, daß wenn wir uns vor der Hochzeit gegenseitig durchschauen könnten, gar keine Ehe zu Stande käme; aber um des vielen Guten willen, das unsere Blindheit stiftet, muß man ihr auch das wenige Böse verzeihen.«

Lothar gab darauf keine Antwort. Der Minister hatte zwar mit einem Scherz seine Ausbrüche beantwortet, aber innerlich schmerzte es den alten Mann tief, mit Einemmale zu sehen, daß Lothar sich nicht glücklich fühlte; er hatte davon keine Ahnung gehabt, auch ihn hatte Melanie's Wesen getäuscht.

Einige Zeit darauf reiste der Graf mit seiner Gemahlin nach Schweden. Baron Tessen brach erst um die festgesetzte Zeit auf, um Neapel und seiner Tochter zuzueilen. Candida hatte, als er sie zuletzt gesehen, ihn vollständig erobert. Sie war so klug, so einfach, so natürlich, daß ihm alle anderen Frauen gegen sie gezwungen und kleinlich vorkamen; er war stolz darauf, ihr Vater zu sein. Candida war auch ein kräftiger Geist, ein wirklich großartiger Character, dabei aber durchaus nicht frei von kleinen Fehlern und Schwächen. Doch gerade das machte sie oft besonders reizend; es gab ihrem Wesen jenen kindlichen Zauber, den sonst die Sicherheit ihres Benehmens, ihr bestimmtes, klares Urtheil ihr entzogen haben würden.

Früher, in ihres Vaters Hause, hatte die Trauer um ihre Mutter jene Seiten ihres Characters zurückgedrängt; jetzt, wo sie sich berühmt wußte, wo sie sich glücklich und zufrieden fühlte, entwickelte sie alle jene Reize, die heitere Anmuth und jugendliche Lebhaftigkeit geben.

Als Herr von Tessen in Neapel eintraf, fand er seine Tochter allein; sie sprang ihm freudig entgegen.

»Wort gehalten, liebster Vater! das ist schön! Sie kommen auch gerade zu rechter Zeit. Sie müssen mein Schirm sein, Sie müssen mir helfen den Kopf aus einem Netz ziehen, in das ich blindlings gerannt bin.«

Der Minister bat um Aufklärung.

»Da kommt sie eben die Treppe herauf – er ist es.«

Lord Howard trat ein, Wilson begleitete ihn.

Er ging auf Candida zu, schüttelte ihr nach englischer Sitte die Hand und grüßte dann kalt den Minister, worauf er sich in ein Fauteuil warf, indem er mit seiner Uhrkette spielte und kein Wort sprach.

Wilson allein führte die Unterhaltung. Der arme junge Mann war aber nicht mehr derselbe wie in Mailand; der fröhliche Zug um Mund und Augen war verschwunden und dieß nahm seinem Gesicht den Hauptreiz. Wie früher gesagt, er war durchaus nicht hübsch und gefiel dennoch Jedermann. Letzteres war aber in neuerer Zeit weniger der Fall; denn er war nicht mehr lustig, nicht mehr witzig, nicht mehr unbefangen: er liebte Candida. Sie war ihm zwar auch gut, er gefiel ihr, seine Unterhaltung war ihr angenehm, aber Wilson war kein Mann, der einem Mädchen wie Candida eine Leidenschaft einflößen könnte. Howard sah die Neigung seines Vetters und bedauerte ihn; auch er liebte Candida, aber ohne dadurch unglücklich zu sein, denn er rechnete fest auf einen guten Erfolg. Howard besaß eine sehr seltene Eigenschaft, besonders selten bei jungen Männern – Geduld. Vielleicht verdankte er sie auch nur seinem angebornen Phlegma. Er sah recht gut ein, daß er seiner Angebeteten völlig gleichgültig war, aber er war fest entschlossen, nicht nachzulassen in seiner Bewerbung, denn ein Tropfen höhlt einen Stein aus.

Tag für Tag kam er zu ihr; wo sie erschien, war er ihr steter Begleiter, denn sein Rang und sein Vermögen öffneten ihm alle Pforten. Anfangs amusirte es die Sängerin, aber jetzt begann es ihr lästig zu werden, obgleich sie durch ihr Benehmen unschuldigerweise seine Leidenschaft erzündet hatte.

Howard hatte früher sehr oft in ihrer Gegenwart gerühmt, daß noch keine Frau sein Herz gewonnen. Das würde sie ruhig haben hingehen lassen, aber er ging so weit, immer zu behaupten, daß es nie einer gelingen werde, ihn zu fesseln. Diese Prahlereien reizten Candida und sie geißelte ihn deshalb mit dem unbarmherzigsten Spotte, sie mißhandelte ihn auf das Schonungsloseste, sie suchte ihn fortwährend lächerlich zu machen, was vor Allem seine Anmaßung und seinen Hochmuth beugen sollte; sie nahm nicht die mindeste Rücksicht auf ihn. Er hatte gehofft, ihr durch den Glanz seiner Lordschaft zu imponiren; als sie aber seinen Rang erfuhr, wurde sie wo möglich noch rücksichtsloser gegen ihn. Er sah, daß seine Pairswürde, seine Reichthümer, seine Connexionen, seine Pferde und Livreen nicht den mindesten Eindruck auf sie machten. Dieß fiel ihm auf und warf alle seine Erfahrungen hinsichtlich weiblicher Charactere über den Haufen. Diese ungewohnte Behandlung beugte nicht seinen Hochmuth, aber sie entflammte seine Liebe. Bis jetzt waren alle Frauen liebenswürdig gegen ihn gewesen; sie hatten ihn verwöhnt, weil er jung und schön, vornehm und reich war. Ueberhaupt, wenn ein Mann impertinent ist, sind immer die Frauen seiner Bekanntschaft daran Schuld. Was nicht erlaubt ist, geschieht nicht, und wer dem Gesetze zuwiderhandelt, dem verschließt man die Thüre, und das hat keiner gerne und bessert sich.

Candida konnte dieses Verehrers sich auf keine Weise entledigen; er nahm geduldig Alles von ihr hin, und geradezu unhöflich konnte sie nicht sein, wie das überhaupt keine edle Frau kann. Ueberall folgte ihr der Lord wie ihr Schatten; er war nicht unglücklich, nicht blaß, nicht niedergeschlagen, aber er langweilte sie, und heute Morgen ganz besonders. Candida sprach mit Wilson über die Farbe einer Tunica, die sie Abends in der Oper anziehen sollte.

»Nehmen Sie eine blaue,« sagte Howard.

»Warum?«

»Das ist meine Wappenfarbe, Blau und Weiß.«

»Welch' ein Gedanke! Was sollte mich dazu veranlassen, Ihre Farben zu tragen?«

»Ich will Ihnen auch einen Gefallen thun – was Sie wünschen.« –

»Nun wohl, das nehme ich an. Ich habe Ihnen schon oft gesagt, daß Sie aus lauter Gewohnheiten bestehen, und das taugt nicht für einen jungen Mann. Sie sollen mir also morgen einen gewohnten Gang opfern und ich will heute Abend Ihre Farben tragen.«

»Was soll ich denn morgen nicht thun?«

»Sie sollen morgen nicht zu mir kommen, wie Sie seit einem Jahre gewohnt sind.«

Tessen und Wilson blickten neugierig auf Howard; dieser aber sagte ganz gelassen:

»Dabei bleibt es; ich besuche Sie morgen nicht, sehe Sie aber heute Abend dafür in meinen Farben. Aber Sie sollen dennoch morgen oft genug an mich erinnert werden. Sie sollen sich gewöhnen an mich zu denken.«

Candida lachte:

»Wahrhaftig, Mylord, Sie sind ein tractabler Mann, und ich that gestern Unrecht, als ich behauptete, es sei mit Ihnen nicht auszukommen. Ich thue Ihnen hiermit förmlich Abbitte.«

»Sparen Sie das bis auf die Hauptabbitte.«

»Wie so?« –

»Sie wissen, Signora, daß ich nicht eher ruhe, bis Sie ganz für mich eingenommen sind, ja, bis Sie mir Ihre schöne Hand reichen und mir nach England folgen; eher sehe ich selbst mein Land nicht wieder.«

»Mylord, Mylord, machen Sie keine schlechten Späße!«

»Ich spasse nicht, das wissen Sie wohl und wiederhole meine Absicht, mein festes Vornehmen, vor diesem Herrn, den man mir als Ihren Vater genannt hat.«

Tessen war etwas überrascht und neigte nur bejahend das Haupt. Wilson sah auf Candida, als er aber in ihrem Gesichte den unendlichen Spott, die stolze, wegwerfende Sicherheit wahrnahm, mit der sie seitwärts nach seinem Vetter blickte, zog ein zufriedenes Lächeln über sein bleiches Gesicht.

»Nun was treiben wir denn Morgen?« rief Candida, um Howard zu necken; »was fangen wir denn mit dem freien Tag an? ich möchte mich gern recht amusiren.«

»Ist Ihnen Ihre Freiheit nicht Amusement genug?« fragte Wilson.

Howard warf ihm einen bitterbösen Blick zu.

»Freiheit,« sagte Candida mit leiser Stimme, »Freiheit ist ein großes Glück, ein schönes Wort, und doch beinahe allein ohne Werth. Wenn man geliebt ist und in angenehmer Stellung, dann ist es prächtig, frei zu sein. Aber was gilt dem Ungeliebten, Mittellosen seine Freiheit? nichts.«

Wilson sah sie mit einem tiefen Blick an und wiederholte mit zitternder Stimme:

»Nichts – gar nichts!«

Candida fühlte schmerzlich, daß sie ohne Absicht den Freund verletzt; war er nicht ungeliebt und mittellos? Sie wollte es gut machen und reichte ihm freundlich die Hand.

»Wilson, Sie sind mein bester und treuester Freund; rathen Sie mir, was ich thun soll, ich bin sonderbar aufgeregt heute. Ich habe einen Brief vom Director der italienischen Oper in Paris erhalten; er macht mir die vortheilhaftesten Anerbietungen für die nächste Saison. Soll ich seine Vorschläge annehmen und mein liebes, schönes Italien verlassen?«

Traurig sagte Wilson: »Nehmen Sie es an; Sie müssen die Welt sehen, die Welt muß Sie sehen.«

»So will ich das Engagement hier vor Ihren Augen unterschreiben.«

Sie holte das Papier und legte es in die Hände ihres Vaters, indem sie ihn mit einem fragenden Blick ansah. Er aber sagte freundlich:

»Mir ist es lieb, wenn Du nach Paris gehst, Du bist mir dann näher, mein Kind.«

Howard erhob sich und fragte Wilson, ob er mit ihm gehe?

»Warum denn jetzt schon?«

»Ich muß meinem Haushofmeister in Paris schreiben, damit er das Hôtel für meine Ankunft in Stand setzt. Ich muß es gleich besorgen, denn die Opernzeit ist vor der Thüre.«

Und wieder schüttelte er Candida die Hand, verbeugte sich leicht vor Tessen und verließ mit einem kaum sichtbaren Nicken gegen seinen Vetter das Zimmer.

Der Minister lachte. »Der junge Mann hat Beharrlichkeit. Wahrhaftig, er könnte es damit zu etwas bringen.«

»Nicht wahr, mein Vater? es ist Schade, daß alle diese Energie und Festigkeit verschwendet wird, um so unedlen Zweckes willen – um eine Frau zu bekommen! Es ist entsetzlich! Gestehen Sie nur, liebster Vater, Sie bedauern, daß diese Eigenschaften nicht zur Erforschung irgend eines diplomatischen Geheimnisses angewendet werden.«


Siebentes Kapitel.

Candida saß am andern Morgen bei ihrer Toilette. Das lange, nußbraune Haar wallte bis zum Fußboden nieder. Eine leichte Röthe bedeckte die gewöhnlich etwas bleichen Wangen und verlieh den schönen blauen Augen einen erhöhten Reiz. Die reine, hohe Stirne leuchtete zwischen den Haarwellen wie ein Lilienblatt. Die Sängerin war offenbar in tiefe Gedanken versunken, nachlässig lagen ihre schönen Arme gekreuzt auf ihrem Schooße, ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. Da trat der Minister zu seiner schönen Tochter ein. Sie begrüßte ihn freundlich, aber ihre melancholische Stimmung entging ihm nicht.

»Was ist Dir, mein Kind? sei fröhlich!« sagte Herr von Tessen mit herzlichem Ton; »ich kann Dich nicht so niedergeschlagen und gedankenvoll sehen.«

»Wissen Sie, an was ich dachte, Vater? Ich dachte an das Glück, ja, an das Glück; ich möchte Einmal im Leben glücklich sein – nur Einmal, aber dann gewaltig; und doch hoffe ich nicht mehr darauf. Jedes Jahr schwebte es mir in einer andern Form vor, jetzt nur noch in einer sehr bescheidenen, denn, wie gesagt, ich hoffe nicht mehr. Jetzt möchte ich nur noch Ruhe haben. Ja, wirklich, Vater, ich verlange jetzt nichts mehr als Ruhe. Keine Reisen, keine Vorstellungen, kein Studiren, zuweilen ein angenehmer Besuch, eine Spazierfahrt; dann möchte ich ein eigenes Haus und Blumen, recht viele Blumen haben.«

»So mußt Du heirathen, Candida, dann hast Du Alles.«

Die Sängerin schüttelte den Kopf. »Ich bin jetzt vierundzwanzig Jahre alt und habe sehr viele Männer kennen gelernt, auch hat mir mancher recht gut als Freund gefallen, aber zum Manne – Ach Vater! da schwebt mir ein Ideal vor, das nie erfüllt wird.«

»Und was verlangst Du?«

»Liebe! Ja lache nur; sieh, alle diese Männer behaupten, sie lieben mich – was ist das aber? Sie sind lustig, sie gehen in's Theater, sie trinken, sie spielen, sie haben Augen für alle andere Frauen, und dabei versichern sie mich, daß sie außer mir keinen Gedanken haben.«

»Und Wilson?« fragte der Vater.

»Ach ja,« sagte Candida traurig; »ja Wilson, es ist recht undankbar von mir, aber an den dachte ich nicht. Der macht mir viel Kummer, denn er liebt mich wahrhaft, das fühle ich wohl; aber seine Liebe macht mir dennoch keinen Eindruck.«

»Du siehst nun, mein Kind, es ist nicht Liebe, was Du entbehrst; Du bist nur noch nicht dem Manne begegnet, dessen Liebesbewerbung die antwortende Saite in Deinem Herzen angeschlagen!«

»Vater, mir ist sonderbar, mir ist, als habe ich meinen Lebensfrühling und Liebesfrühling versäumt, als sei es nun nicht mehr nachzuholen, das Glück, an dem ich achtlos vorübergegangen.«

Tessen sah sie lange an, so lange, daß sie dunkelroth wurde; dann sagte er nur das einzige Wort:

»Lothar!«

Candida stand auf, warf das lange wallende Haar mit einer raschen Bewegung des Kopfes zurück und sagte leise, abgewandt am Fenster stehend:

»Beschwören Sie die Todten nicht, Vater; die schlafen am besten einen ewigen Schlaf.«

Nach einer Weile fuhr sie fort:

»Wie so anders dachte ich mir das Leben, als es sich nun vor meinen Blicken gestaltet! wie so anders die Kunst, der ich mein Leben geweiht! Anfangs freuten mich meine Triumphe; so lange ich noch nicht sicher war, die Gunst der Menge zu erhalten, erschien sie mir als ein Glück; jetzt aber – kalt läßt mich der rauschendste Applaus, ich bin meines Sieges gewiß, und seitdem freut er mich nicht mehr. Niemand ist im ganzen gefüllten Hause, dem ich zu gefallen wünsche. Ich sehe nun ein, daß eine Frau nur einem Einzigen gefallen will, weil sie nur einen Einzigen lieben kann, und die Bewunderung von Tausenden hat nur Werth für sie, weil sie sie in den Augen dieses Einzigen erhebt. Ich habe aber keinen Einzigen, werde nie einen haben. Der Männer Gesellschaft ist mir angenehm und interessant, sobald sie sich begnügen, von allgemeinen Dingen zu reden. Wenn aber einer anfängt, mir von seiner Liebe zu sprechen, so wird er mir so unaussprechlich langweilig, daß mir die Augen zufallen. Und das ist schlimm, Vater, wenn Sie auch darüber lächeln! Es wäre besser, ich würde aufgebracht, als daß ich mich gelangweilt fühle; Haß ist näher verwandt mit der Liebe als Langeweile.«

»Du irrst, mein Kind; gerade die Langeweile ist ein sicherer Liebesprocurator.« – Und um sie von ihrer Bestimmung abzuziehen, setzte er hinzu: »Ich will Dir ein Beispiel erzählen, das Dir als Beweis meiner Behauptung dienen kann.

In meiner Jugend machte ein Prinz unseres Hauses mit seiner Gemahlin eine Reise nach Italien; drei Monate sollte sie währen, aber kurz vor der Abreise erkrankte der Cavalier, der ihn begleiten sollte, und man bot mir seine Stelle an, die mein Vater unbedenklich für mich annahm. Ich stieg zu einer Hofdame in den Wagen, die ich in meinem Leben nicht gesehen, mit der Absicht, ein Vierteljahr von Morgen bis zum Abend in ihrer Gesellschaft zu verbringen; denn der Prinz fuhr allein mit seiner Gemahlin, und da er noch in den Flitterwochen war, so suchte er auch auf den Promenaden und beim Besuche der Merkwürdigkeiten uns so wenig wie möglich in die Unterhaltung zu ziehen und flüsterte am liebsten mit seiner jungen Gattin. Die Hofdame war jung und hübsch, aber auch sonst gar nichts. Sie war unwissend, albern, voll Vorurtheilen, einsilbig. Den ersten Tag versuchte ich alle Mittel, eine Unterhaltung anzuknüpfen; es war unmöglich. Ja und Nein, was darüber war, schien ihr vom Uebel. Ich verzweifelte beim Gedanken, drei Monate in der Gesellschaft dieses Wesens verbringen zu müssen. Da brachte mich nach und nach die Langeweile auf den Gedanken, ihr den Hof zu machen. Unterhalten konnte ich mich nicht mit ihr, also machte ich ihr Liebeserklärungen, die sie sehr zu goutiren schien und wobei sie sich auch gar nicht unangenehm benahm. Jede Frau ist liebenswürdig, wenn sie zum Erstenmale liebt. Früher war mir das Stillschweigen des Fräuleins als Dummheit erschienen, nun kam es mir wie Schüchternheit, wie jungfräuliche Scham vor, weil es von einem Erröthen und einem scheuen Seitenblick begleitet war. Wenn ich neben ihr saß und ihre kleine Hand zitternd in der meinen ruhte, vermißte ich keine Worte, sie war ein liebendes Weib und darum reizend in meinen Augen. Ich verlobte mich mit ihr; aber sie erlebte nicht die Rückkehr in's Vaterland. An der Grenze der Schweiz wurde sie von den Rötheln befallen und starb nach acht Tagen in meinen Armen. Nach ihrem Tode las ich ihr Tagebuch; da gingen mir die Augen wieder auf und 1ch begriff nicht, wie ich jemals ein Wesen lieben konnte, das solche Albernheiten niedergeschrieben; aber nur die Langeweile war daran schuld.«

»Wäre sie aber geistreich gewesen, so hätten Sie sich deshalb in sie verliebt; denn ich erkläre die Sache ganz einfach so, daß kein Mann mit freiem Herzen sich in der ausschließlichen Gesellschaft eines jungen hübschen Weibes längere Zeit befinden kann, ohne eine Neigung zu ihr zu fassen, selbst der ausgezeichneteste nicht; für ihn ist die Gelegenheit das Schicksal.«

»Und ihr?« fragte der Minister spöttisch.

»Wir? wir sind besser darin; vielleicht kommt es aber nur daher, daß jede edle Frau ein Ideal in sich trägt, das ihr als Schirm gegen die sie umgebende Wirklichkeit dient.«

»Mit Idealen geben wir Männer uns freilich nicht ab, nur das Reelle existirt für uns.«

Das Kammermädchen brachte einen Blumenstrauß herein:

»Von Lord Howard!«

»Es ist wahr,« sagte Tessen; »er darf heute nicht kommen und versprach dennoch, Dich an sich zu erinnern. Was wirst Du mit ihm anfangen?«

»Ihn gehen lassen. Er wird es müde werden. Gegen Laune und Eigensinn – denn sonst nichts ist seine sogenannte Liebe zu mir – ist Nichtbeachtung das beste Mittel.«

Der Minister schüttelte lächelnd den Kopf.

Nach einer Stunde kam wieder ein Blumenstrauß, aber ganz verschieden vom ersten; und so ging es den ganzen Tag, jede Stunde ein anderer, aber in der mannigfaltigsten Zusammensetzung. Alle Vasen im Hause steckten schon voll Blumen, und immer kamen wieder neue. Candida lachte zuletzt herzlich; aber sie liebte die Blumen und konnte nie genug um sich sehen. Selbst in ihr Schlafzimmer hatte sie mehrere stellen lassen.

Mitten in der Nacht erwachte Candida mit starkem Kopfweh; sie wollte die Augen öffnen, fühlte sich aber wie betäubt. Ein starker Wohlgeruch erfüllte das Zimmer; sie erinnerte sich der Blumen Howard's, und das schöne Mährchen eines deutschen Dichters fiel ihr ein, wo die erzürnten Blumengeister eine Jungfrau tödten. Mit aller Anstrengung sprang sie auf und eilte an das Fenster. Sie öffnete es rasch und lehnte sich weit hinaus. Da gewahrte sie mitten auf der Straße eine Gestalt, welche nach ihrem Fenster blickte. Als der Mond hinter den Wolken hervortrat, nahm der Mann unten seinen Hut ab es war Wilson. Ein Schauer kam über das Mädchen; die Todtenstille der Nacht, vor ihr das unendliche Meer, in der Ferne der Vesuv mit seinem verborgenen, drohenden Feuer, und da unten ein Menschenherz, auch mit verhüllten Flammen, ein Herz, das ihr gehörte und Tag und Nacht nicht Ruhe fand fern von ihr. Sie kniete am Fenster nieder und flehte Gott an, den Jüngling zu trösten oder Liebe zu ihm in ihr Herz zu pflanzen.

»Wenn ich ihn liebte, wollte ich ja gern die Seine werden. Er ist nicht schön, nicht reich, nicht mächtig, aber er liebt mich und ist gut und brav. Doch ohne Liebe könnte ich ihn nicht beglücken, denn Liebe heischt Liebe. O Gott! wende sein Herz ab von mir oder das meinige ihm zu! Mir ist der Gedanke an ihn ein so großer Schmerz – und doch bin ich schuldlos.«

Sie war es auch. Wilson, der so heiter, so liebenswürdig und dabei so bescheiden war, wurde von jeder jungen Dame unwillkürlich freundlich behandelt; so auch von Candida. Nie hatte sie es darauf angelegt, ihm zu gefallen; aber sie zeichnete ihn aus, ohne es zu wollen. Sie sprach am liebsten, am längsten mit ihm, sie tanzte, sie sang mit ihm.

Er wurde beneidet, geneckt. Dieses Necken, wie viel Unglück hat es schon gestiftet, wie viel arglose Herzen in den Abgrund einer Leidenschaft gestürzt, an dem sie ahnungslos vorüber gewandelt wären! Die Neckereien seiner Bekannten waren Wilson's Unglück. Er war so bescheiden, er wußte, daß er keine große Ansprüche zu machen hatte, ihm hätte Candida's Freundschaft genügt, nie hätten sich seine Gedanken bis zu ihrem Herzen verstiegen; aber überall hörte er seinen Namen mit dem ihrigen nennen; man gratulirte ihm, man pries sein Glück. Nach und nach gewann ein Gedanke Raum in seinem Herzen, der Gedanke, Candida zu besitzen, sie, die Schönste, Beste, die er kannte. Candida gewahrte es zu spät und wandte aus Herzensgüte ein falsches Mittel dagegen an. Sie bewies ihm verdoppelte Freundschaft, um ihn über den Mangel an Liebe zu trösten. Er täuschte sich auch nicht über die Art ihres Gefühles, aber es bewies ihm doch, wie werth er ihr war, und er hoffte und hoffte. Hatte er doch oft gehört, daß von der Freundschaft zur Liebe nur ein Schritt sei.

Candida konnte in dieser Nacht nicht mehr einschlafen. Wilson's bleiches Antlitz im Mondlicht schwebte immer vor ihren aufgeregten Sinnen.


Achtes Kapitel.

Lothar hatte mit seiner jungen Frau Norwegen und Schweden bereist, überall eine neue schöne Natur gefunden und nirgends ein neues Glück. Er machte sich auch jetzt keine Illusionen mehr; er wußte nun, dass Melanie ihn nie verstehen werde, und er suchte so gut wie möglich sich in sein Verhältniß zu finden; aber er dichtete nicht mehr. Melanie war die Kette an seinen Fuße, die ihn hinderte, den Parnaß zu besteigen. Er war gedrückt und niedergeschlagen, seine Talente lagen brach. Hätte er etwas mehr Leichtsinn besessen, es wäre ein Glück für ihn gewesen. So wurde er aber mit jedem Tage finsterer und reizbarer und seine Frau fühlte sich höchst unglücklich; er liebte sie nicht, das sah sie nun ein. Ihre Schönheit fing an abzunehmen, da ihre Gesundheit angegriffen war; sie war immer übel gelaunt, denn das Leben erfüllte nicht die Ansprüche, die sie daran zu haben glaubte.

Ihr einziger Bruder, welcher in Petersburg in glänzenden Verhältnissen lebte, wünschte sie einmal mit ihrem Manne bei sich zu sehen. Lothar ergriff gern jede Gelegenheit, um sich dem häuslichen Zusammenleben mit Melanie zu entziehen, und brachte sie dahin. Er selbst blieb nur einige Wochen und reiste dann wieder weg, unter dem Vorwand, daß er das Clima nicht ertragen könne. Seine Frau war dort in ihrem Elemente: täglich Gesellschaften, und dabei ihr Bruder so ungemein freundlich gegen sie. Ihre Schwägerin war vor einem Jahre gestorben, und so war er froh, durch der Schwester Gegenwart sein Haus belebt zu sehen. Welch' ein Contrast, der gefällige Bruder und der finstere Gatte! Dieser trieb sich zwecklos in der Welt herum. Jahre vergingen, er wechselte spärliche Briefe mit seiner Frau, aber in den Zeitungen las er immer mit Begierde die Correspondenzen über die italienische Oper, und fand dann immer obenan den Namen Candida's, der für ihn Verlorenen. In Paris und London wurde sie vergöttert, aber der Graf floh die Orte, wo sie war – er konnte sie nicht wiedersehen.

Er hielt sich gerade in der Schweiz auf, als ein Brief seines Schwagers ihn eiligst nach Petersburg berief. Melanie war erkrankt und die Aerzte erklärten ihr Uebel für tödtlich. Tag und Nacht reiste er bis zu der nordischen Residenz. Als er an das Lager seiner Frau trat, konnte er sie kaum wieder erkennen, so furchtbar verändert schien sie ihm. Sie reichte ihm ihre blasse, magere Hand.

»Kommst Du endlich? das ist schön. Ich war sehr krank, aber nun geht es besser, und bis zum Winter, bis zur Gesellschaftssaison werde ich wieder ganz hergestellt sein. Aber dann mußt Du hier bleiben. Es ist nicht gut, daß ich immer allein stehe; ich bin nicht dazu gemacht. Nicht wahr, Du wirst in Zukunft meine Stütze sein und bei mir bleiben?«

Lothar bejahete. Er war ungemein ergriffen von dem Anblicke der abgezehrten noch so jungen Frau.

Die Aerzte sagten Lothar geradezu, Melanie habe die Schwindsucht. Sie selbst war indessen voll Lebenshoffnung; sie sprach nur von Gesellschaften und Toilette. Er mußte ihr Hundert Kleinigkeiten für den Anzug kaufen, die sie auf ihrem Bette ausbreitete, und ihre kranken, matten Augen blitzten dabei vor Freude. Der Graf pflegte sie treulich, er hatte die größte Nachsicht mit ihr, und nie hatte sie derselben mehr bedurft. Ihr hohler weltlicher Sinn kam erschreckend klar zum Vorschein, jetzt, wo sie Alles sprach, was ihr einfiel; aber ihre Oberflächlichkeit, ihr Leichtsinn, selbst ihre seichten Grundsätze vermochten nur noch das Mitleid ihres Gatten zu erwecken. Nach einem halben Jahre, in welchem er beinahe nicht ihr Zimmer verlassen, starb sie. Ihr letztes Wort war Ball und Toilette.

Lothar suchte ihre Papiere, ihre Briefe zusammen, um sie zu verbrennen; da fand er denn manchen Beweis der Untreue seiner Frau während seiner Abwesenheit, Liebesbriefe genug, und nicht alle von Einem. Er warf sie rasch und ungelesen in das Kamin, er wollte nichts weiter wissen. Von seinem Schwager, der im Begriffe stand, sich wieder zu verheirathen, trennte er sich bald. Die beiden Männer waren zu verschieden, um Freunde zu sein. Lothar war kein Weltmann, obgleich in jeder Gesellschaft eine schöne edle Erscheinung; aber Melanien's Bruder war nirgends als dort zu Hause, er lebte nur für die große Welt.

Lothar brachte nun einige Monate auf seinen Gütern in Schlesien zu. Seine lange Abwesenheit machte einen Aufenthalt dort durchaus nothwendig. Sein Haus in der Hauptstadt ließ er sammt allen seinen Möbeln verkaufen, ohne es vorher betreten zu haben; nie wollte er es wiedersehen, denn jede Erinnerung an Melanie wünschte er aus seinem Gedächtniß zu vertilgen.

Aber einem Stern wollte er nun nachziehen sein Lebenlang, nun konnte er es ja ohne Unrecht, und dieser Stern hieß Candida.

»Wenn sie auch nie die Meine wird, so werde ich doch in ihrer Nähe leben!«

Das war seine Hoffnung, seine Freude, seine Zuversicht. Er rechnete fest darauf, sie noch unvermählt zu finden, und ein reines Freundschaftsverhältniß mit ihr, wo keine dritte Person sich störend einmengte, dünkte ihm schon überschwengliches Glück. Die Wünsche, die im Hintergrunde seiner Seele schlummerten, wagte er sich kaum selbst zu gestehen. Während der letzten Monate in Petersburg, am Krankenlager seiner Frau, hatte er in den Journalen, die ihm dann und wann sein Schwager brachte, immer noch Candida's Namen gefunden, mit Glanz und Ruhm umgeben, von einer Vermählung kein Wort, aber die Nachricht vom Tode des Ministers von Tessen, der in Paris erfolgt war. Tief betrübte ihn der Verlust des alten Freundes. Während seines Aufenthaltes auf dem Lande verlor der Graf Candida ganz aus den Augen. Die letzte Nachricht über sie, aus Paris datirt, hatte ihrer baldigen Rückkehr nach Italien erwähnt. Dahin beschloß er also nach abgethanen Geschäften zu gehen, aber über Wien wollte er seinen Weg nehmen, wo er mit Zuversicht hoffen durfte, etwas von ihr zu hören.

Er kam gegen Abend in Wien an. Man sagte ihm, es werde heute eine neue Oper gegeben, was ihn bestimmte, das Theater zu besuchen. In einer Loge, es war die des englischen Gesandten, gewahrte er eine Dame im schwarzen Sammtkleide. Er konnte kein Auge von ihr verwenden, und hörbar klopfte sein Herz. War es Candida?

Sie war schmäler, ihre Züge waren markirter, ihre Augen größer, dunkler, aber sie war es dennoch! Nur sie hatte diesen Blick, nur sie hatte diese Haltung des Kopfes, indem sie ihn nachlässig auf ihre schöne, schmale Hand stützte. Je länger er sie ansah, je mehr schwanden seine Zweifel.

Im ersten Zwischenacte sprang er auf, hinauf zu ihr. Als er in die Loge trat, wandte sie langsam den Kopf. Sie erkannte sogleich den Grafen, obschon auch er blässer, schmäler und älter geworden. Aber Lothar sah zu seinem Schrecken, daß sein Anblick sie nicht erfreute, im Gegentheil, sie schien entsetzt, ihn zu sehen.

Er streckte ihr die Hand entgegen.

»Candida, haben Sie kein herzliches Wort für ihren alten Freund? Ich dachte, ich würde anders von Ihnen empfangen.«

»Ich muß Ihnen erst meinen Gemahl, Lord Howard, vorstellen.«

Lothar sah sie fragend an, er verstand sie nicht.

»Lord Howard, mein Mann; der Graf Lothar von R.«

Der Lord erhob sich etwas und grüßte mit verwundertem Blick, denn des Grafen gänzliche Fassungslosigkeit bei Nennung seines Namens entging ihm nicht.

»Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Graf?« sagte er mit kalter Höflichkeit.

Lothar, ohne ein Wort zu erwiedern, verneinte durch eine Bewegung der Hand. Da trat Wilson ein. Candida stellte die Herren einander vor. Lothar faßte sich jetzt so weit, um zu sagen, daß er wegen heftigen Kopfwehes das Haus verlassen müsse; er war blaß wie eine Leiche.

Als er sich mit einer Verbeugung empfahl, winkte Candida Wilson mit den Augen, ihn zu begleiten.

»Herr Graf,« fragte Wilson, »erlauben Sie mir, in Ihrer Gesellschaft nach Hause zu gehen? Auch ich kann die entsetzliche Hitze des Theaters heute nicht ertragen.«

Draußen sagte er: »Sie haben mich nie gesehen, aber ich erinnere mich Ihrer recht gut. Es war in Mailand an einem Abende, wo Miß Candida die Somnambula sang. Sie waren in der Gesellschaft ihres Vaters.«

»Ja,« brach Lothar bitter aus, »damals verließ ich auch wegen ihrer das Haus; sie vertreibt mich überall, sie wird mich auch noch aus dem Leben treiben «

Wilson sagte leise: »Ja, wohl dem, der sie nie gesehen, weder auf der Bühne, noch im Leben! sie ist eine Sirene!«

Lothar blieb überrascht stehen. So hatte er also plötzlich einen Gefährten gefunden. In seiner jetzigen Aufregung war ihm dies eine Wohlthat, aber vor Allem wollte er Aufklärung.

»Wie lange ist Candida verheirathet?«

»Noch nicht ein halbes Jahr.«

»Sagen Sie mir, – aber sagen Sie mir die Wahrheit, warum hat sie sich vermählt? Liebt sie ihren Mann? Sie sieht nicht aus wie eine glückliche junge Frau.«

»Da fragen Sie mich um etwas, das ich selbst nicht begreifen kann. Seit ich sie kenne – es sind nun schon Jahre her – bewirbt sich mein Vetter um ihre Hand, die sie ihm aber Anfangs mit größter Kälte verweigerte. In Paris mußte ich sie vor einigen Jahren verlassen, um zu meinem Regimente nach Ostindien zu gehen, und da war Howard noch immer ein unglücklicher Liebhaber. Jetzt, wie ich vor einigen Wochen zurückkomme, finde ich sie zu meinem Schrecken als seine Frau. Ich weiß nur, daß er während der ganzen Zeit ihr wie ihr Schatten gefolgt ist und sie Tag für Tag mit allen Aufmerksamkeiten der Liebe umgeben hat. Es scheint, seine Treue hat sie am Ende dennoch gerührt. Er ist vollkommen glücklich, denn er hat seinen höchsten Wunsch erreicht. Er besitzt das einzige Weib, welches er je geliebt hat, und ihre Kälte empfindet er nicht, weil er gerade so ist. Dennoch ist mir diese Heirath ein Räthsel; aber fragen kann und mag ich nicht; überdem gehe ich in diesen Tagen nach England, wo mich ein Oheim durch seinen plötzlichen Tod zum Besitzer eines bedeutenden Vermögens gemacht, jetzt, wo nichts mehr Werth für mich hat; das ist der Hohn des Schicksals.«

Lothar nahm seine Hand und sagte leise:

»Master Wilson, vor einer halben Stunde sah ich Sie zum Erstenmale und schon jetzt: bitte ich Sie um den größten Freundschaftsdienst. Ich muß Candida sprechen, und nur Sie können mir dazu verhelfen. Ich muß sie aber allein sprechen. Mein Gefühl verlangt es gebieterisch. Wollen Sie in meinem Namen darum bitten?«

»Ich will es thun,« sagte der gutmüthige Wilson herzlich, »ich will es noch heute Abend thun. Geben Sie mir Ihre Adresse, so bringe ich Ihnen morgen Früh die Antwort.«

»Aber hören Sie,« sagte der Graf, indem er aus seinem Portefeuille seine Karte nahm, »hören Sie, ich muß sie allein sprechen; es handelt sich um Wichtiges.«

Welche Nacht für Lothar; er war zerschmettert. Als er noch selbst verheirathet gewesen, hatte er sich nicht halb so unglücklich gefühlt; seit dem Tode seiner Frau hatte aber seine Phantasie ihm so unendlich schöne Bilder vorgespiegelt. In dem Gedanken an Candida's Verheirathung mit einem Andern lag Vernichtung für ihn.

Wilson erschien wirklich in aller Frühe und brachte die Antwort seiner Cousine.

»Sie wird Sie heute Morgen um zwölf Uhr mit Vergnügen empfangen. So sagte sie mir in Gegenwart ihres Mannes, und sie gab auch Befehl, keinen andern Besuch hereinzuführen; denn Sie seien ein alter Freund von ihr und ein Liebling ihres verstorbenen Vaters. Mein Vetter, der unbedingtes Vertrauen in seine Frau setzt, und zwar mit Recht, fand es auch ganz natürlich, daß sie Ihnen Ihre Bitte gewährte.«


Neuntes Kapitel.

Der Graf fand Candida zu der bestimmten Zeit in ihrem Zimmer. Wie eine trauernde Königin stand sie vor ihm, ernst und dennoch rührend war der Ausdruck ihres edlen Gesichts. Lothar fand sie jetzt noch schöner als in den Zeiten ihrer ersten Jugend; ihre Züge waren bedeutender und ihr Profil wo möglich noch reiner und der Antike ähnlicher geworden. –

»Was haben Sie mir zu sagen, mein Freund?« fragte sie. »Sie sehen, ich bin bereit, es zu hören. Ich bin Ihnen noch so dankbar um meines Vaters willen; sie hatten immer so viele Liebe zu dem ältern Manne.«

»Ich liebte ihn nur um Ihretwillen, Candida.«

»Stille, reden Sie nicht von mir, von mir ist gar nichts mehr zu sagen.«

»Und dennoch komme ich nur, um von Ihnen reden zu hören. Ich komme, um aus Ihrem eigenen Munde Ihr Leben zu erfahren, aber wahr, wahr wie vor Gott sollen Sie mit mir reden. Weiter verlange ich nichts und gehe dann, um Sie auf Erden nicht wieder zu sehen; aber das sind Sie mir schuldig, denn Sie haben mein ganzes Dasein zerstört, wenn auch ohne es zu wollen!«

Candida sah ihn groß an.

»Mein Leben soll ich Ihnen sagen? ich habe nicht gelebt; nein, Lothar – denn ich habe nicht geliebt. – Was die Menschen mein Leben nennen, können Sie aus den Zeitungen erfahren, weiter weiß ich nichts.«

»Und warum haben Sie sich vermählt, Candida, wenn Sie nicht liebten?«

»Das will ich Ihnen ganz einfach sagen; um Ruhe zu finden. Glück fand ich nicht, so wollte ich doch wenigstens Ruhe genießen. Ich habe viele Männer gesehen, aber keinen, dem ich freudig Herz und Hand hätte geben können. Bei näherer Bekanntschaft fand ich nur Egoismus, Eitelkeit und Habgier. Es mag recht viele edle Männer geben, aber –« sagte sie schmerzlich lächelnd – »ich habe nicht das Glück gehabt, ihnen zu begegnen. Ich wünschte mich von der Bühne zurückzuziehen, ich hatte das Treiben auf den Brettern satt; aber ich war noch nicht alt genug, um selbstständig im Privatleben existiren zu können. Als Künstlerin hatte mir die Oeffentlichkeit Schutz verliehen; so lange ich eine berühmte Sängerin war, durfte ich einsam mich hinter meine Lorbeeren verschanzen, aber das ging nicht für das Fräulein von Tessen. Mein Vater, bei dem ich leben konnte, starb auch um diese Zeit. Ich war nun ganz verlassen und die ewigen Bewerbungen der Männer um meine Hand verbitterten mir das Leben. Mein Ruf als Sängerin, so wie die Kunde, daß ich mir ein bedeutendes Vermögen erworben, verschafften mir diese Ehre. –

Sie haben,« fuhr Candida fort, »keinen Begriff von den Albernheiten, die man anwendete, um meine Hand zu gewinnen. Jeder Glücksritter glaubte sich dazu berufen. Mir erschien der Gedanke eines legitimen Schutzes dadurch immer wünschenswerther, auch die Bühne fing an mir ganz unerträglich zu werden. Kein anderer Ausweg, als mich zu vermählen. Lord Howard war mein Freund, mein treuer Verehrer seit langer Zeit. Seit drei Jahren war kein Tag vergangen, wo er nicht irgend eine Aufmerksamkeit für mich gehabt. Ich hatte mich an seinen Umgang, an seine liebevolle Sorgfalt gewöhnt. Er ist ein Mann von Ehre, mit warmer Liebe für das Rechte und Gute. Und dann gestehe ich Ihnen, daß ich nicht ohne Ehrgeiz bin. Lord Howard's Rang galt auch etwas in meinen Augen.

Ich war in meiner Kunst eine der Ersten gewesen, und wollte nun nicht in der Gesellschaft eine der Letzten sein. Hätte ich geliebt, so wären solche Rücksichten natürlich weggefallen, aber mit freiem Herzen hat man auch einen freien Blick. Lord Howard's Eigenthümlichkeiten, sein kaltes, überlegtes Benehmen bot mir überdieß noch die Garantie einer gesicherten, ruhigen Zukunft und – ich reichte ihm meine Hand. Aber Alle, die mich kennen, nennen mich ein herzloses Wesen, ohne Gefühl, ohne Fähigkeit für Liebe, und wundern sich nur, wie ich diese Leidenschaft so gut habe darstellen können. Diese Meinung werden auch die Menschen bis zu meinem Tode von mir behalten; denn wo ein Herz nicht dem ersten Besten sich öffnet, da ist nach ihrer Ansicht gar keines vorhanden. Es kann sein, daß ich zuviel von der Liebe verlangt habe; aber ich fühlte den Reichthum meines eigenen Herzens. Davon werde ich aber nie mehr reden. Jetzt will ich nur noch Ruhe.«

Lothar hatte zugehört, ohne Candida ein Einzigesmal zu unterbrechen. Jetzt stand er auf und sagte mit tiefer Stimme:

»Ich will auch Ruhe suchen!«

»Wo ist Ihre Frau?« fragte Candida, ihn zurückhaltend.

»Sie hat die Ruhe gefunden, aber ohne sich je darnach gesehnt zu haben. Sie ist todt.«

»Todt!« rief Candida und schloß die Augen; dann nach einer Weile: »wann starb sie?«

»Den ersten Mai in Petersburg.«

»Den zweiten Mai fand meine Trauung in Paris statt.«

Ein tiefer Seufzer folgte diesen Worten. Lothar nahm ihre Hand; er hatte ihren Seufzer verstanden, er vergalt ihm Jahre des Schmerzes.

»Leben Sie wohl, Candida! ich scheide, lassen Sie mich noch einen Kuß auf Ihre reine Stirne drücken!« Sie knieete nieder auf das Tabouret, er stand vor ihr und nahm ihr schönes bleiches Antlitz zwischen seine beiden Hände und hauchte einen Kuß auf ihren Scheitel, dann verließ er rasch das Zimmer.

Unten an der Treppe begegnete er Howard, der ihm die Hand reichte.

»Kommen Sie von meiner Frau?«

»Ja.«

»Ich hoffe, Sie besuchen uns öfter.

»Das ist nicht möglich, denn ich gehe eben weg.«

»Das bedaure ich; wohin gehen Sie?«

»Wo man Ruhe findet!« Und mit einem flüchtigen Gruße eilte er fort.

Kopfschüttelnd blickte der Lord ihm nach. Denselben Tag nahm auch Wilson Abschied von seinem Vetter und dessen Gemahlin.


Im Gasthofe zum Schiff in Salzburg kamen einige Tage später zwei junge Männer von Wien an. Es war der Graf mit Wilson. Sie waren schnell Freunde geworden. Wilson ging aus, um die Stadt zu besehen, während Lothar vorgab, ihm wegen eines wichtigen Briefes erst später folgen zu können. Doch kaum war der junge Engländer auf der Straße, so hörte er einen Schuß fallen. Ein schrecklicher Gedanke durchblitzte ihn, er eilte zurück.

Lothars Thüre war verschlossen; mit verzweifelter Kraft sprengte er sie. Sein Freund lag todt am Boden, die Pistole neben ihm. – Auf dem Tische fand er einen offenen Brief:

 

»Mein lieber Wilson.

Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen zum Lohne Ihrer Freundschaft solchen Schrecken bereite; doch Sie sind ein Mann und werden es überwinden. Aber ich beschwöre Sie, verbergen Sie vor Candida die Art meines Todes. Ich gehe aus der Welt, um Ruhe zu finden.« –

 

Candida hat auch die Todesart des Grafen nicht erfahren. Sie lebt jetzt in England friedlich mit ihrem Gemahl, der sie liebt und verehrt, soviel es sein Phlegma zuläßt. Ein Sohn ist ihre Freude, ihr einziges Glück. Ein anderes hat sie seit ihrer eigenen Kindheit nicht gekannt; trotz ihrem reichen, der Liebe fähigen Herzen ist ja ihr Leben unerhellt geblieben vom Strahl der Sonne. Jung, schön und gepriesen, eine der beneidetsten Frauen ihrer Zeit, hat sie nie das Glück glücklicher Liebe gekannt. –


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