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Nationalität, Kultur, Rasse

Itanka, die Rassige.
Hans Martin Lemme pinx. 1905.

Im Jahre 1905 überschritt ich aus dem Innern Kongobecken und aus dem Kongostaat kommend den Kassai und befand mich damit auf dem Boden des portugiesischen Angola, im Bereiche einer sehr eigenartigen Volksbildung, im Lande der Kioque. Bei den Lubastämmen war ich im Kulturkreise Südostafrikas gewesen. Diese Luba sickerten aus dem Kongoquellgebiet heran. Die Kioque jedoch kamen von dem Plateau, welches im Süden die Wasserscheide Kassai-Sambesi bildet. Eine neue Welt. Schon wenige Tage nach dem Eintreffen im Kioquegebiet, das mir schwer genug gemacht worden war (vgl. ›Im Schatten des Kongostaates‹, S. 318ff.), war ich von ihr so stark befangen, daß ich das Balubagebiet hunderte von Tagen hinter mir zu haben vermeinte.

Hier im Kioquegebiet wurden Einblicke in das Kräftespiel von Nationalität, Kultur und Rasse gewährt, deren Schau sämtliche Eindrücke, die ich auf allen späteren Reisen gewann, entscheidend beeinflußte und somit grundlegende Bedeutung erhielt. Allerdings, den Urgrund der Erscheinung eines plötzlich und unvermittelt auftauchenden Nationalismus, den konnte ich erst aufdecken, nachdem reiche Erfahrungen und sorgfältige Untersuchungen am Nordrande Schwarzafrikas, an der Südgrenze der Sahara mir das Bild im Großen geklärt hatten.

Hier nun eine Schilderung dieser eigentümlichen Erscheinungen nach dem ungedruckten Tagebuche von 1905 (Manuskripte 1, Ethnographie IX, S. 19ff.).

 

Die Kioque repräsentieren unter allen mir bekannt gewordenen Stämmen Südafrikas das einzige Beispiel kriegerisch und handelspolitisch energischen Vordringens. Die Baluba schwellen von Osten heran. Sie sickern als Rasse. Sie gehen im fremden Dienst als Arbeiter auf. Sie verlieren die Stammeszugehörigkeit, weil sie keine Nationalität besitzen. Die Kioque besitzen dagegen eine Nationalität und erfüllen sie ständig. Bei ihnen kann man studieren, wie das Nationalitätsbedürfnis oder -verständnis wirkt.

In Moamba traf am Tage nach unserer Ankunft ein Bote Mwuilas ein. Mwuila brauchte hundert Leute mit fünfzig Flinten. Wozu, das war nicht gesagt. Möglich auch, daß man es uns und unsern Leuten nicht sagte. Wie ein Bienenschwarm summten die Angesehenen zusammen. Nach fünf Minuten Besprechung lief alles in alle Richtungen. ›Mwuila braucht das. Mwuila erhält es.‹ Es handelte sich um den weitest nach Norden vorgeschobenen Posten der Kioquewanderung. Es war selbstverständlich, daß er in jeder Weise gestützt wurde. Noch am gleichen Abend gingen hundert Männer mit fünfzig Gewehren ab – für mich eine traurige Sache, denn die mir zugesagten fünfundsiebzig Träger fielen fort. – Ich fragte den Häuptling Moamba, was er oder seine Leute für die Hilfeleistung erhalte. Er zuckte die Achseln. ›Vom Tschikapa (also aus Süden) kommen schon wieder andere.‹ Die da nach Norden zogen, würden sicher nur zum Teil zurückkehren. Ein Teil siedelt sich dort oben an. Das Kioquevolk treibt unaufhörlich nach Norden und die Städte der Häuptlinge sind für den großen Strom nur Herbergen, Rastplätze. Die Jugend zieht weiter nach Norden, bis ein guter Platz gewonnen ist, der sich für Körnerbau und als Sklavendepot eignet und bei genügendem Reichtum an jungen Weilern zur Urwaldlichtung, Dorfgründung und reichlicher Kindererzeugung lockt. Da bleibt dann die reifende Jugend. Eine neue Herberge wandernder Abenteurer ist gegründet. Die Leute greisen hier und deshalb findet man in den Dörfern nach Süden zu mehr alte Leute und beschauliches Leben, an der Front des Vormarsches mehr Jugend und Unternehmungslust.

Wie bei keinem andern Volke Südafrikas kann man bei den Kioque die Wirkung des Nationalgefühles erkennen, kann man beobachten, wie heterogene Elemente zusammenfließen. Natürlich kann nur der kleinste Teil dieses mächtig um sich greifenden Volkskörpers aus Kioqueblut bestehen. Und doch ist das Ganze ein Schlag, eine Art. Alles Fremde und Neue bildet sich sogleich nach dieser Art um. Das ›Neue‹ und ›Fremde‹ sind Sklavenelemente. Der Kioque kauft vor allem andern Sklaven. Nur ein Teil dieser Sklaven wandert nach Westen, um gegen Vieh und Gewehre umgetauscht zu werden. Das Vieh repräsentiert aufgespeichertes Kapital. Die Gewehre werden den Sklaven übergeben. Die bewaffneten Sklaven repräsentieren aber das zinstragende, arbeitende Kapital. Sie stellen das zunächst Fremde und Neue im Nationalkörper vor.

Das Wesen dieser Art von Sklaverei will verstanden sein. Es gibt kein widerwilliges Dienen und stumpfsinniges Ertragen in dieser Form der Sklaverei. Die Leute, die nach Westen gegen Gewehre verkauft werden, die haben allerdings meist kein glückliches Los, keinerlei Frohsinn und nicht viel Fortschrittliches zu erwarten. Die Sklaven jedoch, die im Dienste der Kioque bleiben, die sind vom ersten Tage an mit diesem Zustand in eine höhere Form des afrikanischen Lebens eingeführt. Denn sie haben eine Flinte erhalten! Und damit sind sie eine Art bewaffneter Händler! Sie können im klugen Wirken für ihren Herrn von diesem gar bald eine Frau und später die vollständige Freiheit erhalten. So war Mwuila, der mit Pogge und Wißmann durch das von diesem erschlossene Bassongegebiet gereist war, ein Sklave Mukanjangs und ist heute ein höchst einflußreicher Häuptling. – Mit der Flinte zieht in den Sklaven sogleich das Nationalitätsgefühl ein. Um alles in der Welt läuft er nicht mehr fort und in seinen alten faulen Schlaraffenzustand zurück. Nein, er hat mit der Flinte zusammen auf der Stirn die Kioquetätowierung erhalten. Er gilt als Kioque, er wird als Kioque geachtet, ein frohes Händler-, Jäger- und Wanderleben lacht seiner. Die Nationalisierung ist vollendet. Es soll nie vorkommen, daß ein solcher Sklave entrinnt. –

Jedem Kenner wird es auffallen, daß diese Form der Nationalerweiterung genau dem arabischen System von 1870-1890 im Westen des Tanganjika entspricht. Es ist die uralte Form der ostafrikanischen Nationalbildung, die wir bei allen Fortschreitenden im Südosten seit Jahrhunderten wahrnehmen können, die Form der Nationalerweiterung, die dem südostafrikanischen Kultur- und Rassendasein entsprossen ist. Sie birgt in sich die Kraft eines schnellen Fortschritts, gleichzeitig aber auch den Keim der Fäulnis. Solche Gründung kann nicht perinieren. Das fühlt man schon nach wenigtägigem Aufenthalt in einem älteren Dorf solcher Gründungsform, etwa in Kabakaba. Vorn in der fortschreitenden Linie war alles Einheit und alles ging nach dem Maßstab der Tüchtigkeit. Kioqueadel und Kioquesklave – Schulter an Schulter. Dagegen tragen in den alten Dörfern die Adligen gar pomphaft die ›Dschimba‹, sitzen auf Vorrechten und vornehmen Stühlchen, beziehen aus dem Süden eine echte Kioquefrau, leben vom alten Ruhme und stecken das ein, was ihre Linienkämpfer in Handel und Wanderleben erringen. Es sind die Zwischenhändler, die Faulen, Geriebenen. Sie umgeben sich mit einem Hofstaat, leben in reichem Weiberflor und in ewigen Rechtsstreiten. Der großen Einheit der vorderen Fortschrittslinie entspricht im Hinterlande ewige Häkelei, Katzbalgerei und oftmals blutiger Eifersuchtskrieg. Der Zerfall des Einflusses und die Machteinbuße tritt in der Nachhut der Kioque noch schneller ein als bei einem Stamme vom Typus der Baluba, weil deren Sozialkörper zwar vaterrechtlich veranlagt ist (der älteste Sohn erbt nach dem Vaterbruder Reichtum und Häuptlingstum), aber auf der andern Seite kein Herrscherhaus die Bedeutung und die traditionelle Macht etwa einer Jamwo-Dynastie erworben hat, ja, weil es überhaupt keine Herrscherhäuser gibt.

Die Erkenntnis der Vergänglichkeit und des endgültigen Mangels national-sozialer Einheit und Haltbarkeit darf uns aber nicht hindern, die intensive Nationalisierung als solche anzuerkennen und zu würdigen. Und dieser Prozeß, der allein die Aufsaugung so vieler heterogener Elemente, das Anwachsen eines kleinen Stammes zu einer Volkswelle verständlich macht, äußert sich in Kunst und Hüttenbau, Geistesleben, Handwerk, Tracht. Als Rasse leben in einem Dorfe vielleicht fünf Kioque und vierhundert Fremdstämmige. Als Nation betrachtet, stellen alle vierhundertfünf eine Einheit dar.

 

Die Rasse der Kioque führt uns zu eigenartigen Fragestellungen. Die Nationalentwicklung, wie ich sie eben zu umschreiben suchte, macht es unmöglich, von einer einheitlichen Rasse ›Kioque‹ zu sprechen, ein Beleg dafür, wie gefährlich es ist, Rassen- und Kulturprobleme durcheinander zu bringen. Denn wenn seinerzeit die Kioque ganz zur erstarrenden Ruhe, damit zur äußeren Vereinheitlichung und zum abgeschlossenen kulturellen Typus gelangt sein werden, dann sind im Volkstypus an Elementen erhalten: Kioque, Bapende, Baluba, Bekete, Bangala, Massongho, Bambunda, Kalunda usw., und es dürfte doch sehr die Frage sein, ob die Herausbildung eines rassigen Typus mit der Abklärung einer kulturellen Einheitlichkeit und Selbständigkeit auch im neuen Gebiet Hand in Hand geht.

Die Buntheit, die heute herrscht, spottet jeder Beschreibung. Die Kioque sind gleich an Tätowierung, Tracht und Vitalität, sonst nicht. Und doch gibt es fraglos einen absolut klaren und reinen ›Kioquetyp‹ auch im anthropologischen Sinne. Man erkennt ihn auf den ersten Blick. In jedem Kioquedorfe sahen wir fünf bis zehn echte Typen neben drei- bis vierhundert anderen. Fast immer waren es Frauen, nur selten Männer. Wenn vorhanden, trat er meist so klar hervor, daß es nicht zu verkennen war. Der alte Kioquetypus ist jedenfalls nicht das, was wir unter Negertypus verstehen. Er ist ausgesprochen hamito-mongoloid. Ich gebrauche dieses Mischwort, weil mir jede der beiden Beziehungen allein genommen nicht genug sagt. Die ausgesprochen schiefe Augenstellung liegt im mongolischen Typus, die vornehme graziöse Linienführung des Profils entspricht dagegen mehr unserer Auffassung des hamitischen, wie wir es zum Beispiel in edlen Berberköpfen nicht selten wahrnehmen.

Als mein Maler und ich zwei dieser Typen zum erstenmal sahen, sagten wir wie aus einem Munde ›Ägypterinnen‹. Und kleine Jungen solcher Mütter nötigten uns das Wort auf: Eskimo. Denn der kindlich runde Schädel mit den vorspringenden Backenknochen, den schiefen Chinesenaugen und verhältnismäßig gelbbraunen Haut wirkten überzeugend. Wahrscheinlich hätte man solche Gestalten, im Kreise von Mongolen sehend, als den Mongolen fremdartig erkannt. Aber hier unter Baluba-, Bapende- und Baketeleuten hatten sie mehr das den Mongolen Typische. Ich betone, daß in den Hamito-mongoloiden hier ein ›hinneigen zum‹, kein ›genau gleichen‹ verstanden sein will.

Die Frage nach dem direkten ›woher‹ stand uns im Vordergrunde. Die Herkunft der Mütter mußten wir kennen, um das Dasein dieser Kindergesichter verstehen zu können. Und darauf erhielten wir Antwort. Es war schon aufgefallen, daß Frauen des ägyptischen Typus stets nur in den Häusern der einflußreichen Häuptlinge lebten. Es waren die ersten Gattinnen Moambas, Tschifammas, Mona Kabakabas. Kabakaba sagte mir, daß, wenn ein Häuptling sehr wohlhabend und einflußreich geworden sei, er sich im Süden bei den Kioque eine Frau kaufen lasse, eine Frau, deren Vater und Mutter Kioque sind, ›eine Frau aus dem Lande, wo der Kassai herkommt‹. Das Land, wo der Kassai herkommt, wird aber als das Ursprungsland, das eigentliche Heimatland der Kioque von allen bezeichnet. Hier also liegt ›ursprünglicher Typus‹ vor; ursprünglich auch im wünschenswertesten Sinne geographischer Beziehung.

Wenig hatten wir zu tun mit der Frontstellung der Kioque. Ich erlebte sie vor allem im Hintertreffen, in den Ortschaften der Steifgewordenen. Da erschienen sie denn in jeder Kleinigkeit als Vertreter einer Kultureinheit – einer Einheitlichkeit in dem Bedürfnis und in der Fähigkeit umzuwerten, die war erstaunlich. Aus dem Reisewerke wiederhole ich einige Szenen.

Kaum waren wir in der ersten Kioquestadt angelangt, als meine bis dahin eine erschreckliche Zukunft befürchtenden Träger wie von einem Alpdruck befreit jubelnd aufatmeten. Denn zunächst wurde umgehend die Magenfrage gelöst. Und reicher können Felder nicht Frucht tragen, eiliger können Frauen nicht Essen bereiten, herrlicher können Erdnüsse nicht geraten. Natürlich will alles bezahlt sein.

Ja, alles will bezahlt sein, auch die Geschenke. So raffinierte Ausnutzung der Geschenksitte kannte ich noch nicht. Freund Moamba, der gar ehrbar und immer jovial lächelnd in meiner Nähe weilte, sah kaum, daß mir irgendein Gegenstand gefiel, so ›schenkte‹ er ihn mir auch schon. Ein Stuhl ist hübsch, ich erwähne das. ›Nimm ihn, er ist dein!‹ Ein Schwein ist besonders groß, ich mache meine Begleiter darauf aufmerksam. Gleich ist Moamba zur Stelle: ›Nimm es, es ist dein!‹ So geht es in einem fort. Nachher arbeite ich. Ein Mann kommt auf meinen Arbeitstisch zu: ›Moamba hat dir mein Schwein geschenkt.‹ Ich sage: ›Ach so, das war nicht Moambas Schwein, und du willst es zurückhaben?‹ Der andere antwortet entrüstet: ›Das ist geschenkt‹, und dann mild lächelnd: ›du kannst ihm ja auch etwas schenken.‹ Ein anderer Mann kommt: ›Moamba hat dir meinen Stuhl geschenkt‹. Ich sage: ›Ach so, jetzt willst du ihn bezahlt haben?‹ Der andere entrüstet: ›Bezahlt? Geschenke bezahlt man nicht. Schenke mir etwas.‹

Am andern Tage eins, zwei, drei, vier usw., im ganzen zwölf Häuptlinge! Alle kommen mit so großen dicken Schweinen, wie ich sie vordem in Afrika nie sah, und ein jeder ist schon von vornherein in dem Gedanken, daß ich die Gabe nicht annehmen könne, beleidigt. Und so will sich die schlaue Bande eiligst meiner Stoffe bemächtigen. Selbstverständlich alles mit der größten Liebenswürdigkeit. Natürlich hält das mein kleiner Warenvorrat nicht auf die Dauer aus, aber immerhin mußte ich doch eine ganz große Portion von Schweinen akzeptieren, und war recht froh, als mein belgischer Gefolgmann sich bereit erklärte, die Tiere für die Handelskompanie zu übernehmen. Zuletzt habe ich mich diplomatisch aus der Affäre gezogen. Ich hatte unglücklicher- beziehungsweise glücklicherweise noch Messingdraht bei mir, der in diesem Lande gar keinen Wert hatte, weil er momentan im Überfluß vorhanden war. Ich schenkte für die Schweine nicht Stoffe, sondern Messingdraht, und schleunigst hörten die weiteren Zufuhren auf. Alles in allem war meine neue Freundschaft recht teuer.

 

Dann kamen die Frauen des Dorfes – ein neuer Geschäftstrick – und tanzten, tanzten den Zeichner der Expedition direkt in Begeisterung, daß er sogleich zu Papier und Feder griff, um einige der allerdings allerliebsten Szenen festzuhalten. Der Refrain eines letzten alten Abschiedsliedes lautete am 6. Oktober abends: ›Tschiballaballa ist ein Sohn Kabassu Babus, und er hat viel Stoffe und Perlen und Salz, Matabischi, Matabischi.‹ Das letzte Wort Matabischi bedeutet Geschenk.

Es kamen fröhliche maskierte Bekischi vom Nachbardorfe herüber, denn es war nebenan just Beschneidungszeit. Sie tanzten – ein neuer Geschäftstrick. Die Maskentänze der Bakischi waren früher gar feierliche Zeremonien, hier aber klang ihre Stimme lieblich und im höchsten Fistelton vibrierend: ›Matabischi, Matabischi!‹ Es führt bei den Kioque alles zu Geschäft, Geschenk, Einnahme.

Gleich am ersten Abend ist Moamba in diskreter Weise zu mir getreten und hat mich gefragt, ob meinen Leuten nicht das Essen viel besser schmecken würde, wenn die Frauen es in abendlicher Plauderstunde tête-a-tête überreichten. Ich suchte lächelnd die Lösung des Problems abzulehnen, indem ich bemerkte, das ginge mich nichts an, das sollten die Leute machen, wie sie es wollten. Mir wäre es nur recht, wenn sich die Kioque mit meinen Leuten recht anfreundeten. – O Himmel, daß ich den letzten Satz aussprach! Als ich abmarschierte, trat Moamba zu mir und sagte freundlich lächelnd: ›Die Kioque haben sich mit deinen Leuten sehr gut angefreundet, besonders die Frauen, willst du ihnen nicht ein Geschenk machen?‹ – Ich sage nochmals, hier wird alles zum guten Geschäft. So verfluchte ich im Innern meinen Satz von der guten Freundschaft.

 

Aber einmal, hier im gleichen Dorfe Moamba, erlebte ich auch das Aufbegehren jenes Blutes, das in die vorderste Linie der Kioquewelle vordrängte und nun im allgemeinen Hinterwasser des Kulturstromes mit aller nationalistischen Leidenschaft der Urrasse aufbegehrte. Die solches mir enthüllte, war ein reiner Tropfen des Kioquequelles, es war ein junges Weib, keine andere als Itanka, die junge Gattin des Fürsten Moamba. –

Es war schon spät in der Nacht. Ich saß noch mit einem Lubadolmetsch in meiner Arbeitshütte. Itanka, die Schöne, trat herein. Sie setzte sich in einen Winkel. Nach einiger Zeit sagte sie zu dem Dolmetsch in gebrochenem Luba: ›Katukka! (Mach, daß du herauskommst!)‹ Ich fragte: ›Weshalb soll er gehen?‹ ›Ich will mit dir allein sprechen.‹ ›Ich verstehe dich schwer. Er sagt mir alles in meiner Sprache.‹ Itanka schwieg. Ich arbeitete weiter. Nach einer Weile begann Itanka wieder, diesmal in leisen Tönen: ›Tschiballaballa, Moamba sagt, ich solle heute bei dir bleiben,‹ ›Itanka, das geht nicht.‹ ›Moamba wird mich schlagen.‹ ›Ich werde morgen mit Moamba sprechen.‹ Schweigen.

Mit einem Ruck sprang Itanka auf. ›Tschiballaballa, du ziehst weiter. Du ziehst dahin, wo die Kioque mit dem schwarzen Volk (bantu bafike; die Kioque bezeichnen die andern Neger als Schwarze, sich eher als Rote) kämpfen. Auch ich will dorthin. Ich will nicht im Frieden leben mit den Schwarzen. Ich bin rot. Ich will mit dir gehen. Ich wollte zu den Männern, die im Kriege mit den Schwarzen liegen. Ich werde zurückgehalten im Lande, wo die Bafike sich den Bauch vollschlagen und soll den Bafike helle Kinder gebären. So ist es. Ich soll für die Bafike auf den Markt gehen. Ich soll für die Bafike Feld bestellen. Ich soll für die Bafike Essen machen, und ich soll den Bafike helle Kinder gebären. Das will ich nicht mehr. Tschiballaballa. Nimm mich mit. Bringe mich zu den Kioque, die gegen die Bafike kämpfen.‹

Itanka stand vor mir, bebend vor Erregung, das Antlitz von Tränen übergossen, zornig und flehend. Ich redete ihr begütigend zu; ich kramte ein Geschenk zusammen, das Moamba und sie befriedigen mußte. Ich sandte das scheinbar getröstete große Kind mit dem Dolmetscher nach Hause. Ich glaubte, damit einen Konflikt, eine nur vorübergehende Wallung beigelegt zu haben. – Ich täuschte mich.

Als ich einige Zeit später bei den Bapende nach den neuesten Nachrichten aus dem Kioquelande fragte, wurde mir als erstes erzählt: das junge Weib Moambas ist ihrem alten Ehemann entflohen. Sie ist mit einem jungen Burschen in die kriegerische Front des Kioquetumes entwichen. – Also doch.

Heute weiß ich, daß dies eigenartige Kioqueblut aus der vordersten Welle der über Ostafrika nach dem fernsten Süden vorgedrungenen hamitischen Rasse und Kultur hervorgegangen ist. In Itanka hatte Nationalismus, Kultur und Rasse gegen das Äthiopentum und gegen die Negerrasse revoltiert.

 

Der Druck des 1. – 3. Tausend dieses Werkes erfolgte im Jahre 1924 bei Poeschel & Trepte in Leipzig. Die Bildtafeln stellte F. Bruckmann A.-G., München, her. Emil Preetorius zeichnete Einband und Titel. Einhundert numerierte Exemplare wurden auf Bütten abgezogen und vom Verfasser eigenhändig signiert.

 


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