Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Adlige

Djalla.
Leo Frobenius phot. 1908

Vielerlei Frauen lernte ich im Sudan kennen. Drei aber traf ich, die wurden mir zum Ausdruck höchstmöglicher Spannung des Frauentumes in diesen Ländern. Es waren das eine Adlige, eine Hetäre und eine Matrone.

Als ich während meiner letzten Afrikafahrt im Weltkriege anno 1915 in Asmara im italienischen Abessinien Hof hielt, empfing ich allerhand Besuch aus nahen und fernen Ländern. Nomaden vom Stamme der Beni Amr, Hadendoa und Bischarin, Bauern aus Gedaref, Araber aus fernen Oasen und naturgemäß viele Abessinier niederen und höheren Standes. Unvergeßlich wird mir vor allem eine sehr schöne, kluge und wohlhabende Abessinierin sein, die jedesmal mit einem großen Troß von Trabanten und Dienerinnen eintraf. Sie war über die erste Jugendblüte gealtert, war aber doch so erfüllt von einem natürlichen Liebreiz, der außerdem noch höchste Steigerung durch eine urnatürliche und ungekünstelte Klugheit erfuhr, daß es eine wahre Freude war, mit ihr zu disputieren. Das, was sie aus unbeirrbarer Ursprünglichkeit heraus mir in anmutiger Weise gab, das bedeutete Aufschluß über die Urnatur des Afrikanertumes, wie es in dieser Art so unmittelbar zu gewinnen ist. Gern sprach sie über Frauen und Frauenleben, über Liebe und Hingabe. Sie äußerte sich dann ungeschminkt und unbefangen, jedoch stets zierlich und taktvoll nach der Art der Orientalen. Sie schilderte mir das lustige und lockere Leben der abessinischen Frauen, machte kein Hehl daraus, daß sie selbst sich sicherlich niemals abhalten lassen werde, mit aller Leidenschaft den Begierden und Bedürfnissen der Natur zu folgen, verurteilte aber zuchtlose Geschmacklosigkeit mit allen Ausdrücken des Widerwillens.

Einige Worte schrieb ich damals nieder. Sie lauteten:

›Was wollen diese Missionare (der schwedischen Mission) von uns? Sie kommen als Männer. Ihre Frauen sind anders als wir. Und wie kann ein Mann wissen, was eine Frau ist. Das Leben der Frau ist ganz anders als das der Männer. Gott hat das so geschaffen. Der Mann ist der gleiche von der Zeit der Beschneidung an bis zu seinem Verwelken. Er ist der gleiche, bevor er zum erstenmal eine Frau aufgesucht hat und nachher. Der Tag, an dem eine Frau aber die erste Liebe genossen hat, schneidet ihr Leben in zwei Teile. Sie wird an dem Tag eine andere. Der Mann ist nach der ersten Liebe der gleiche, der er schon vorher war. Die Frau ist von dem Tag ihrer ersten Liebe an eine andere. Das bleibt im ganzen Leben so. Der Mann nächtigt bei einer Frau und geht dann fort. Sein Leben und Leib sind immer gleich. Die Frau empfängt. Sie ist als Mutter eine andere als die Frau ohne Kind. Erst trägt sie die Folgen der Nacht neun Monate lang im Körper. Es wächst etwas. Es wächst etwas in ihr Leben heraus, das nie wieder daraus schwindet. Denn sie ist Mutter. Sie ist und bleibt Mutter auch dann, wenn das Kind, wenn alle ihre Kinder sterben. Denn erst trug sie das Kind unter dem Herzen. Nachher aber, wenn es geboren worden ist, trägt sie es im Herzen. Und aus dem Herzen geht es nicht wieder heraus. Auch nicht, wenn es gestorben ist. Das alles kennt der Mann nicht; er weiß es nicht. Er kennt nicht den Unterschied vor der Liebe und nach der Liebe, vor der Mutterschaft und nach der Mutterschaft. Er kann nichts wissen. Die Missionare sind auch Männer. Was wollen sie aber von uns wissen! Gott hat das so geschaffen, also ist es so gut. Nur eine Frau kann das wissen und darüber sprechen. Deshalb lassen wir uns auch von unsern Männern nicht hereinreden. Eine Frau kann nur eines tun. Sie kann auf sich achten. Sie kann sich anständig erhalten. Sie muß immer sein wie ihre Natur ist. Sie muß stets Mädchen sein und Mutter sein. Vor jeder Liebe ist sie Mädchen, nach jeder Liebe ist sie Mutter. Daran kannst du sehen, ob sie eine gute Frau ist oder nicht. Ob es nämlich vor und nach der Liebe so ist. Einige sind nur Liebe. Sie sind nur Begierde. Diese werden schlecht. Sie werden zuchtlos. Andere sind nur Mutter, die sind langweilig und gute Tiere. Sie sind gut für das Land und taugen als Bäuerin. Eine gute Frau (will hier so viel sagen wie adlige Frau) wird sie nie. So steht es um uns Frauen, und unsere Männer wissen davon nichts. Auch nicht die Missionare.‹

 

Was diese schöne und kluge, wenn auch braunhäutige Frauenrechtlerin mir so auseinandersetzte, war durchaus dazu angetan, mich zum Grübeln zu veranlassen und an Vergleichsmaterial aus meinem Gedächtnis alles heraufzubeschwören, was ich an Erlebnissen von Frauenschicksalen in diesem Erdteile aufzuweisen hatte. Und so wurde der Diskurs der schönen Abessinierin mir denn auch zum Ausgangspunkte einer Betrachtung, wie sie heute in diesem und den beiden folgenden Porträts Niederschlag gefunden hat. Zumal das, was hier über die gute, die adlige Frau ausgesprochen war, rief die Erinnerung an eine Frau in mein Gedächtnis, die dreimal meinen Wanderpfad kreuzte, die mancherlei Ähnlichkeit mit der schönen Abessinierin hatte und doch auch wieder einen eigenen Typus trug – allein schon deswegen, weil sie dem fernen Westafrika entstammte.

Das andere adlige Weib, von dessen Lebensschicksal ich mehr zu sagen weiß, als von dem der Frau aus dem Gebirgslande Ostafrikas, hieß Djalla. Djalla war die Tochter eines saharischen Adligen aus Berberblut. Sie war aber nicht reinrassig. Ihre Großmutter war eine vornehme Soninkefrau, also eine Negerin, gewesen. Als ich Djalla zum erstenmal Ende Oktober in Kayes am oberen Senegal traf, trug sie noch die Locken der Saharastämme. Sie fiel mir bei meinem Gange durch die Stadt auf. Denn sie hatte drei dienende Frauen hinter sich und war in gute Gewandung gekleidet. Sie war fraglos schön, wenn auch der trotzig schwer gebaute Mund ihr etwas Brutales gab. Wenn sie lachte und die wundervollen braunen Augen blitzten, war sie der Ausdruck strahlend gebieterischer Hoheit. Dann verbreitete sie um sich eine Stimmung gesicherten Behagens. Sie lachte aber tagsüber nur selten. Erst am Abend taute sie auf. Weilte sie tagsüber einmal bei mir, so saß sie meist still mit auf dem Boden gerichteten Blick lässig da und erschien unüberwindlich melancholisch. Die Schwermut wirkte um so ausgesprochener, als sie schon etwa 23 Jahre alt sein mochte und mancherlei Erlebnisse ihre Spuren in diesem Gesicht hinterlassen hatten. Aber gleichwohl, ob ernst oder schwermütig, stets war der erste und letzte Eindruck, den sie auf uns ausübte, der einer ungewöhnlichen Willensstärke.

Diese Energie war das Entscheidende in ihrer ganzen Erscheinung, in allen ihren Bewegungen, in ihrem Mienenspiel. Djalla wollte etwas. Djalla war mit einer bestimmten Absicht auf die Wanderschaft gegangen. Djalla wollte einen Mann – einen Ehegatten nach ihrem Geschmack haben. Ihr Geschmack wurde aber bestimmt durch die Mischung des Blutes, der sie entstammte. Diese Mischung hatte einen Konflikt hervorgerufen, der ihr in seinen Auswirkungen ganz lax war und über den sie auch ganz unverschleiert wohl sogar Fremden gegenüber sprach. Denn der alte Neger, der mir Djalla als Kuriosum zuführte, kannte das Mädchen auch erst seit zwei Tagen und wußte in ihrer Vergangenheit trotzdem schon sehr gut Bescheid. Ich selbst sprach mit ihr in Kayes nicht über ihre Angelegenheiten, trotzdem ich genügend Veranlassung gehabt hatte, denn sie sprach in lässig ganz gleichgültiger Weise den Wunsch aus, ich möchte sie gegen die Zudringlichkeit eines französischen Beamten schützen. Als ich ihr erklärte, daß und warum ich das nicht könne, verstand sie es sogleich und schloß die Unterhaltung mit der Erklärung ab, sie wolle sich von ihrem Vater einen starken Sklaven senden lassen, der solle alle Zudringlichen anfassen. – Danach sprachen wir von anderem, von den Gepflogenheiten und Anschauungen der Saharastämme usw.

Als Djalla mit ihrem Anhang gegangen war, schmunzelte Nege hinter ihr her. Er sagte: ›Diese Djalla hat ihr Leben gefüllt wie einen Speicher.‹ ›Wie meinst du das?‹ Und Nege berichtete das, was offenbar in aller Leute Mund war.

Diese Djalla war die Tochter eines sehr angesehenen und wohlhabenden Chefs (sollte hier wohl heißen Scheiks). Die Sitte ihres Volkes erlaubte ihr, den Gatten nach eigenem Belieben zu wählen. Viele bewarben sich um sie. Vielen erweckte sie Hoffnungen. Mancher genoß wohl auch selige Stunden im Hause der Schönen. Keinem aber mochte sie sich für das ganze Leben hingeben. Und eines Tages verjagte sie den ganzen Schwarm der Verehrer. Sie bereitete die Reise vor. Vor einem Monat war sie nun am Senegal angekommen und alle Welt wußte, daß sie hier war, einen Gatten zu wählen.

Dieses war alles, das ich damals von der schönen Djalla hörte, die noch zweimal meinen Weg im Westsudan kreuzen sollte.

 

Die erste Hälfte des Sommers 1909 verbrachte ich im Lager zu Bamako am oberen Niger. Das Tätigkeitsfeld war mächtig angeschwollen. Assistenten und schwarze Zugführer waren ringsum über eine Kette entfernter Ortschaften verteilt und kleinere Trupps von Sammlern und ›Verbindungsoffizieren‹ zogen durch die Landschaften, warben seltene Gegenstände, landeskundliche Berichterstatter und sangesfreudige Barden an, um alle diese toten und lebendigen Schätze in mein Zentrallager in Bamako, in unsere Sammelkisten, Skizzenmappen und Tagebücher zu treiben. Das große starke Leben stellte große Anforderungen an das dunkle Personal. Der Stoffwechsel der Mannschaft war schnell und forderte aufmerksame Aufsicht. Unbrauchbare und Unzuverlässige lösten sich fast täglich ab. Tüchtige und Vielversprechende fanden stets neue Verwendung.

Unter den neuen Hinzugekommenen erweckte besonders ein Mann meine rege Aufmerksamkeit, ein gewisser Buba Dambele, ein großer,sehr ruhiger und würdiger Bursche von etwa 28 Jahren. Schon nach kurzer Probezeit erwies er sich als der zuverlässigsten einer. Er kannte das Land und die Leute in weitem Umkreis, war überall beliebt und gern gesehen, hatte ein scharfes Urteil in der Unterscheidung des Wesentlichen und Unwesentlichen. Demnach waren Anregungen und Vorschläge ebenso wie Ausführungen und Erledigungen gleich gut. Der Mann hatte einen großen Bekanntenkreis, und zwar – was für derartige Verhältnisse sehr beachtenswert ist, besonders unter der Gentry, im Kreise des Landadels. Dies war deswegen sehr merkwürdig, weil Buba Dambele seiner Geburt nach aus der Kaste der Numu, d. h. der Schmiede stammte, die am oberen Niger sehr wenig geschätzt, ja man kann sagen, vom Standpunkt der Horro, der Adligen, durchaus verachtet ist. Also ein sehr merkwürdiger und lediglich durch persönliche Tüchtigkeit erklärter Ausnahmefall.

Unter den Freunden in Bamako war ein gewisser Mamadu Kuloballi der Spezi Bubals. Als Kuloballi war Mamadu ein Keita, d. h. aus dem Geschlechte des Uradels, ja der Könige der Malinke. Mamadu gehörte also der höchsten Stufe der Adelskaste, Buba der niedrigsten Schicht des ›Bürgertumes‹ an. Die Freundschaft der beiden hatte aber etwas Rührendes. Jeden Abend nach Feierabend betrat Mamadu Kuloballi das Gehöft, begrüßte den Freund und wandelte dann stundenlang mit ihm Hand in Hand durch den Bananengarten, den ich hinter dem Expeditionsgehöft angelegt hatte. Oft bat mich Buba um den einen oder andern kleinen Gegenstand, um ihn dem Freund zu schenken, und Mamadu seinerseits brachte allabendlich dem Freunde ein Huhn, ein Stück Fleisch, Kolanüsse oder sonst eine Aufmerksamkeit oder Veredlung seiner einfachen Kost mit. Unternahm Buba in meinem Auftrage nach entfernteren Orten eine mehrere Tage in Anspruch nehmende Botschaft, so war Mamadu sein freiwilliger, unbesoldeter und sicherer Begleiter. Diese Freundschaft war so allgemein bekannt, daß die beiden gemeinsam überall als die ›Unzertrennlichen‹ bezeichnet wurden. Sie war in ihrer Art eine ausnahmsweise, weil sonst auch hier noch mehr als anderweitig die Zugehörigkeit zur Kaste, der Stand der Freiheit und die Höhe des Besitzes für den Zusammenschluß zur Freundschaft entscheidend war. Buba war aber wie gesagt von der Schmiedekaste, war arm und zum Verdienst gezwungen, und wenn auch noch Junggeselle, so doch nicht mehr der Jüngste. Mamadu dagegen entstammte dem Uradel, war außerordentlich wohlhabend und endlich noch nicht 20 Jahre alt. Allgemein aber schrieb man den beiden ein verbindendes Gemeinsames zu: sie hatten einer wie der andere in ihrem Leben noch kein Liebesabenteuer oder -verhältnis gehabt.

Etwa einen Monat lang genoß ich dieses so seltene und schöne Spiel einer vollendeten Harmonie.

Da zerriß das Band plötzlich, scharf, mit einem häßlichen Schlußakkord.

Ich hatte Buba nach der Stadt Kita geschickt. Fröhlich und Hand in Hand mit Mamadu reist er ab. Wie verabredet und pünktlich kam er am siebenten Tage zurück – aber allein und wie umgewandelt. Seine Augen waren traurig und trübe, seine Mienen und die Wangen fahl, eingefallen, verkümmert, der Klang seiner Stimme hohl, schal, beklommen. Taktvoll, wie es die Sitte dieser Länder mit sich bringt, fragte niemand nach dem Freunde und nach dem Grunde der Veränderung Bubas. Nach drei Tagen kam aber der Bursche, bat um seine Entlassung und seinen Lohn und kehrte dann, wie ich bald hörte, schleunigst nach Kita zurück. – Wenige Tage später hatte der schlaue alte Nege herausbekommen, daß sich in Kita eine Tragödie abgespielt hatte. Offenbar war es eine Liebesaffäre, denn eine Berbermaid spielte eine große Rolle. Buba hatte mit ihr Freundschaft geschlossen, sie aber hatte sich in Mamadu verliebt, hatte Mamadu zu einer Torheit verführt; Streit war ausgebrochen; Mamadu hatte die Kette der Freundschaft zerrissen und hatte sich zu irgendeinem Streich gegen den Freund hinreißen lassen, der den eingeborenen Gerichtsherrn veranlaßt hatte, ihn schnell in Gewahrsam zu nehmen, damit die französische Kommandantur ihn nicht erst zur Verantwortung ziehen könne.

Diese Enthüllung hatte eine langatmige ›ethnologische‹ Unterhaltung zur Folge. Ich fragte Nege, ob er einen Weg ausfindig machen könne, zur Entwirrung dieses Schicksalsknäuels beizutragen. Nege schüttelte den Kopf: ›Da kannst du nichts tun, mein Kommandant. Denn es ist eine Berberfrau in der Sache. Du weißt ja nun, wie die Berberfrauen sind. Sie lenken das Leben der Männer. Vieles haben dir Korrongo und die alten Barden über diese in dein Buch gegeben.‹ Und Nege erinnerte an die Geschichte der klugen Hatumata, die den Mann gesucht und gefunden hatte, der klüger als andere Männer war (Atlantisausgabe VI, S. 79ff.) – er verwies auf das Epos von Samba Kulung, der durch die Frauen zum Mannestum erweckt war (Atlantisausgabe VI, S. 95ff.) – er sprach von den herrlichen Frauen aus dem Norden und schloß ingrimmig: ›Jeder Schwarze, der sich mit diesen Frauen einläßt, verdient sein Unglück. Der schwarze Mann soll die schwarze Frau, der weiße die weiße begehren; alles andere führt zum Iblis (Teufel).‹

Sechs Tage nachdem Buba wieder nach Kita abgereist war, trat bei mir eine ältere Negerin ein. Sie trug mir vor: ›Meine Herrin sendet mich aus Kita zu dir. Sie sagt dir durch meinen Mund: ›Ich habe unter deine Freunde Schlechtes gebracht. Ich werde das Schlechte zum Guten wenden. Verzeih mir!‹ Meine Herrin ist Djalla.‹

Das war das zweitemal, daß Djalla unsern Weg kreuzte.

 

Als ich eines Tages im Anfange des August 1909 von einem Ausflug in die Niederung des Mbarabangu, jenes Tales, durch das sich einst das Timbuktu speisende Flüßchen ergossen hatte, heimgeritten kam, eilte mir ein Diener entgegen mit den Worten: ›Mein Kommandant! Das Mädchen aus Kita ist angekommen. Sie wartet im Hofe.‹ Das Mädchen aus Kita? Zunächst wußte ich nicht, wer das sein könne. Ich stieg ab, ging durch das Haus in den Lagerhof. In der Mitte saß lässig in einem Stuhl verlehnt, umgeben von einigen Frauen, eine zierliche Frauengestalt. Sie sah auf. Es war Djalla.

Allerdings sah ich vor mir nur eine bewußt Bekannte, ohne sie sogleich unterbringen zu können. Das Mädchen hatte sich sehr verändert. Daran war vor allem die Haartracht schuld. Als ich mit Djalla die ersten Unterhaltungen auf dem Lagerhofe in Kayes pflegte, trug sie die zottligen Locken der Maurenfrauen; jetzt hatte sie sich sehr sorgfältig à la Soninke frisiert. Wir begrüßten uns. Nach afrikanischer Art sprachen wir zunächst nur Allgemeines, Gleichgültiges. Danach eine Pause. Djalla blickte in ihrer alten Weise sinnend und träumerisch zur Erde. Plötzlich warf sie den Kopf zurück, sah mich mit ihren großen ernsten Augen voll an und sagte:

›Ich habe den Streit zwischen deinen Leuten geschlichtet. Sie sind wieder Freunde.‹ Verblüfft sah ich auf. Sie fuhr fort: ›Den Buba Dambele werde ich heiraten. Ich bin hierhergereist, um schnell meiner Mutter die Nachricht zu schicken und meine Rückkehr mit Buba mitzuteilen.‹ – Nun war es mir klar; sie, unsere Djalla aus Kayes war in Kita zur Ursache des Bruches zwischen Buba Dambele, dem Schmiede und Mamadu Kulluballi, dem Adligen geworden. Sie war die Berbermaid, von der Nege mir erzählt hatte.

Für den ersten Tag war es an Erklärung nach Landesbrauch genug. Djalla kam aber noch mehrmals zu mir und im Laufe verschiedener anregender Nachmittage gewann ich allmählich ein Bild ihres Lebens, das so recht den Widerschein der beiden Blutströme darstellte, die in ihr zusammengeflossen waren, des hamitisch-berberischen und des negerisch-äthiopischen. Wenigstens wurde mir das Schicksal dieser Frau aus solchem Gesichtsfeld heraus verständlich.

Djalla war als reiche Erbin, als Aristokratin, als wirkliche Schönheit und als bemerkenswerte Persönlichkeit von der ersten Zeit der Reife an wild umschwärmt gewesen. Sie war in ihrer Weise hochmütig und spielte mit dem Geschick ihrer Freier. Sie gab ihnen Aufgaben und ließ die Jünglinge schwierige Ritte machen, Streitfälle auskämpfen und sich in allem, was nur ein Frauenherz ersinnen kann, als dienstfertig erweisen. Dabei ließ sie ihre Laune herrschen. Sie gewährte oder versagte, sie nahm alles ohne Gegengabe oder schenkte viel und überreichlich. Jahrelang betrieb sie solchen Lebenswandel, bis ihr eines Tages irgend etwas widerfuhr, was sie mir nicht des näheren erzählte, daß sie aber einen plötzlichen Abscheu gegen die Männer und Lebensweise ihrer Heimat aufflammen ließ. Sie war dieses Lebens satt. Sie verlangte plötzlich nach Frauentum und Mutterschaft. Ich meine, es wäre die andere Strömung ihres Blutes gewesen, das nun forderte. Djalla verließ ihre Heimat und suchte das gelobte Land am Senegal auf.

In Kayes erlebte sie viel Enttäuschungen. Sie zog weiter nach Kita. In Kita traf sie Buba Dambele, der ihr einen starken Eindruck erweckte. Sie schloß Freundschaft mit ihm. Dann aber fiel ihr Auge auf die adlige Gestalt des Mamadu Kulluballi, der ihre Erinnerungen an die schönen Erlebnisse mit den schlanken Berberburschen weckte. Ihr Glutblick versengte die Vernunft Mamadus. In leidenschaftlichem Aufbrausen erhob er die Hand gegen den gemeinsamen Freund. Er wurde in Gewahrsam genommen. Djalla erschrak. Als Buba nach Kita zurückkehrte, stellte sie ihm ihr Vermögen zur Lösung des Freundes zur Verfügung. Beiden gelang es, die Eingeborenen zu beschwichtigen. Mamadu wurde aus der Haft entlassen. Er war gründlich ernüchtert. Erst wollte er sich das Leben nehmen – was in diesen Ländern in solchem Falle sehr leicht geschieht; ihn wieder in ein fahrbares Geleis zu bringen, war die zweite schwerere Aufgabe, die Buba und Djalla gemeinsam lösten.

In dieser Zeit sah Djalla den tieferen, zuverlässigeren Ernst, der das Leben Buba Dambeles, des schlichten Schmiedesohnes beherrschte. Das Negerblut in Djalla erfühlte die Erfüllung seines Schicksals. Buba und Djalla beschlossen die Ehe. Mamadu, der Adlige, aber schwor, ein treuer Diener dieses Paares werden zu wollen. Djalla war ruhig und zufrieden. Sie erhoffte eine Mutterschaft. Nunmehr wollte sie mit dem Gatten erst ihre Heimat aufsuchen, um ihn der Mutter vorzustellen und dann mit ihm am Senegal ein Landgut schaffen.

An einem schönen Morgen nahm das Mädchen von mir Abschied, um nach Kabara und auf dem Niger nach Kita zurückzukehren und den Gatten einzuholen.

Das war das drittemal, daß Djalla meinen Weg kreuzte.

 

An diese meine Aufzeichnungen aus dem fernen Westen mußte ich denken, als im Jahre 1915 die schöne Adlige aus Abessinien mir ihre Vorträge über die Zweiteilung im Leben der Frau hielt, die der Mann nie verstehen könne. Hier lag im Zusammenfließen zweier Rassen die gleiche Erscheinung. Und war hier nicht vielleicht das große Problem im Leben der Frau nach großen Linien fast urtümlich ausgedrückt? Als ßerberin eine große Geliebte, als Negerin aber hohe Mutter! – Und Djalla ist später sicherlich eine ausgezeichnete Mutter der Kinder des Schmiedesohnes Buba Dambele geworden.


 << zurück weiter >>