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Oft habe ich mir in Afrika die Frage vorgelegt: in welcher Art von Menschenhänden in diesem Erdteile vor allem die Macht liege. Ich sah in hoher Stellung nur wenige starke Menschen, die aus ihrem Lebenskreis heraus mehr als die Mehrzahl – aber viele schwache, die ihre Möglichkeiten überhaupt nicht zu erfüllen vermochten. Drei Lebensformen tragen aber auch dort die höchste Ausdehnungsfähigkeit in sich: die des Priesters, die des Königs und – die des Dienenden.
Alle drei sehen wir zunächst durch die Augen Europas. Wie sollten wir auch anders sehen, als durch unsere Augen, die wir nun einmal Europäer sind? – Ach, wenn Europas Sendlinge immer nur durch natürliche Augen gesehen hätten! Ach, wie viel anders stände es um manches Urteil, manche Überzeugung, manche Tat und Untat! Aber das ist das Schlimme: wenn die Europaforscher nach Afrika oder nach irgend einem andern schönen Erdteil hinauszogen, dann waren sie von vorne herein ausgerüstet mit Gläsern, mit festaufgeschnallten Brillen, durch die wir alles betrachteten, wie kleine Kinder im Spiele, etwa mit Hilfe von roten, blauen oder braunen Glasscherben sich die Welt wechselnd verzaubernd. Dem Europäer war das aber kein Spiel, die Schau durch das farbige Glas nicht wechselbar. Festaufgeschnallt war die Blickverzerrung; unerschütterlich ernst und überzeugt von der Unmöglichkeit, die Dinge anders als durch solche verbildenden Scherben zu sehen, starrte der Geist Europas in die Außenwelt. Indianer wurden zu Helden (Cooper), Südinsulaner zu Kindern der Inseln der Seligen (Forster usw.), Neger zu Fetischanbetern und Halbmenschen.
Wie sollte Europa nun bei so festem Willen zur Starre durch Blickverzerrung wahrnehmen, was sein natürliches, sein naturgeborenes, sein naturklares Auge sonst sofort hätte wahrnehmen müssen! – O, du armes und dummes Europa, das sich in seiner unendlichen Verblendung stets für allein urteilsfähig, für stets am weisesten, für das Wissens- und Beobachtungsfähigste gehalten hat! Und ihr armen andern, die ihr unter die Armseligkeit dieses schrecklichsten aller Aberglauben, der furchtbarsten aller Irrlehren, der schauerlichen Selbstüberhebung und Selbstvergötterung die Schönheit und Freiheit des Stiles eures Selbstseins zerfließen fühlt! Ihr armen andern!
Und dieses Augenglas Europas ward vielfach zur Verbrecherbrille! – in dem Augenblick, als der Zweck geheiligt werden mußte – als Europa für Amerika Sklaven brauchte! Da wurde ein christliches Gewissen schnell besänftigt, da wurden die Afrikaner zu schlimmsten Heiden, ihre Weltanschauung zum tierischen Fetischismus, ihre Priester zu Betrügern und Gauklern, ihre Könige zu barbarischen Lüstlingen und Menschenmördern gemacht – und sie wurden solange dementsprechend behandelt, bis sie das wurden, was sie sein sollten.
Europa aber exportierte sein schwarzes Elfenbein mit gutem Nutzen nach Amerika. –
Wehe, wann wird Europa diese schwarze Schmach wieder von sich abgewaschen haben!
Mit dem Sklavenhandel wurde die Brille abgelegt. Aber das von der Tatsächlichkeit zunächst geblendete Auge hatte eine gute Weile nötig, ehe es sich an das Licht in diesem Dasein gewöhnte. Vor 100 Jahren erreichte die erste Expedition der neuen Zeit am Tsadsee das Innere des Erdteiles. Mächtige Staaten, große Hofhaltungen, prunkende Fürstenempfänge! Die Menschen in selbstgefertigten weitfaltigen Gewändern, große Architekturen, Städte mit hunderttausend und mehr Einwohnern! Das ertrug das dem direkten Tatsachenblick entfremdete Auge des Europäers nicht. Das konnte unmöglich afrikanisch sein. Schnell setzte Europa ein anderes Glas auf – die Brille des Islam. So konnte man sich mit der Tradition abfinden. Orient und Islam waren altanerkannt. Und islamische Priester- und Gotteshäuser gab es auch. Also war die Tradition gerettet, und somit wurde der schroffe Übergang von der vollkommenen Verachtung des gesamten Schwarzafrikas zur Anerkennung seiner Fähigkeit, uraltes Kulturgut durch Jahrtausende zu erhalten, geschaffen. Neger blieb Neger, Stumpfbold – Stumpfbold! Und dafür gab es Belege die Hülle und die Fülle. Versprengt zwischen den städtebildenden Herrschertümern höherer Kultur lebten kleine Völkchen nackt, armselig im Äußern, bedürfnislos und bescheiden. Das waren die Neger, das war das eigentliche Negerafrika. Das waren die Tiere. Und Moslim wie Europäer wetteiferten miteinander um die Palme, diese Niederen herabzusetzen und sich als die Heilbringer, die Segenspender, die Höchststehenden zu rühmen.
Das war ein angenehmer Ausweg. Das Höhere kam alles mit dem Islam. Das Niedere war afrikanisches Urgut. Nicht nur schlichte und abenteuerliche Forschungsreisende, auch gelehrte Männer verteidigten das durch dick und dünn. Man wollte nicht sehen, daß die sozialen Grundlagen des Königtumes nichts mit islamischen Staatsformen zu tun hatten, daß die Architektur und jedes Gewerbe dem Arabischen im Sinne der Konstruktion fremdartig und eigenartig, daß Volksdichtung und Tradition altheidnisch waren!
Wie konnte dieses Brillenguckertum nun aber etwa ein Interesse gewinnen für das, was rein äußerlich als niedrig, hinterwäldlerisch, primitiv, urtümlich auf den ersten Blick erschien! Das versprach keinen andern Gewinn, als die gelegentlich pikante und würzige Zutat zur breiten Schilderung des pompös ›Islamischen‹. Das war gut als Hintergrund, von dem die Farbenpracht der Großen abstach. Der nackte Heide, der kümmerliche Heide, der geistlose Heide. Man schilderte ein komisches ›Kleidungsstück‹, eine archaistische Waffe, eine groteske Bauform. Aber man übersah, daß diese Niederen die Emsigsten von allen sind, waren, stets gewesen sein müssen. Denn durch die freiwillige Arbeit dieser in Berge und geschützte Täler verdrängten Niederlinge ernähren sie die Weltstädte, versorgen sie die Märkte. Ihre Architekturen sind an Formenreichtum, Durchbildung technischer Vollendung denen der Städte weit überlegen. Man übersah, was nicht zwangsmäßig gesehen werden mußte.
Wie konnte man aus solchem Blickwinkel heraus auf den Gedanken kommen, die Weltanschauung der Schichten zu untersuchen, oder gar erst in Betracht ziehen, welche von beiden Weltanschauungen, die der ›Höheren‹ oder die der ›Niederen‹ etwa tiefer, einheitlicher, größer an Format, schwerer an spezifischem Gewicht sei! Die Unmöglichkeit zu einer solchen Fragestellung war so selbstverständlich, daß auch, nachdem ich im Jahre 1913 die Großartigkeit dieser primitiven Menschen in ihrer Einheitlichkeit aufgedeckt habe, kein Mensch in Europa es wagte, hierzu Stellung zu nehmen. Erst jetzt …
Was nun aber ist der Sinn eines afrikanischen Königtumes? Was heißt dort drüben ›Herrscher sein‹ im tiefsten Sinne des Wortes?
Einer hat das als erster gesehen, gefühlt und erlebt wie kein zweiter seit damals. Das war Georg Schweinfurth, der Entdecker des Ubangilandes, der Pygmäen, der Bedeutung innerafrikanischen Kulturwesens. Georg Schweinfurth stieß auf langen mühevollen Märschen vom Nil aus über die Wasserscheide Bahr-el-Ghasal-Kongo erst in das Gebiet der Sande, dann 1870 in das der noch so gut wie unberührt, d. h. erst kürzlich von den nubischen Elfenbeinhändlern eröffnete Mangbattu vor. Über die Mangbattu herrschte damals der große Munsa. Das war unverfälschtes ›Innerafrika‹. Schweinfurths Zeichnungen und sein Bericht sind Monumente klassischer Bedeutung. Seine wundervolle Schilderung des ersten Zusammenkommens mit dem König in der Riesenhalle, die von hunderten festlich geschmückter Menschen gefüllt war und die mit einer Beschreibung der nie vorher gesehenen Pracht hochstehenden Barbarentumes eingeleitet wird, sei hier wiedergegeben:
›So hatte ich wohl bereits eine Stunde, vertieft in das Anschauen aller dieser Herrlichkeiten auf meinem Sitz ausgeharrt, als endlich lauter Hörnerklang, Volksgeschrei und verdoppelter Donner der Pauken das Nahen des Herrschers zu verkünden schienen. Es war indes wiederum nur ein Präludium, denn Munsa lag immer noch in den Armen seiner Schönen, die ihn schminkten und bemalten. Große Rührigkeit machte sich am Eingange der Halle bemerkbar, wo eine großartige Ausstellung von Prunkwaffen hergerichtet wurde. Ich sah da Pfosten in den Erdboden einrammen und darüber verquer lange Stangen befestigen, um an diesem improvisierten Gerüst viele Hundert ganz aus Kupfer geschmiedeter Lanzen und Wurfspieße in allen Formen und Größen zu befestigen oder kreuzweise daran anzulehnen. Die Strahlen der äquatorialen Mittagssonne verbreiteten über diese Anhäufung von rotglänzendem Metall einen blendenden Schein und ein Glühen wie von flammenden Fackeln erstrahlte an allen Lanzenspitzen, deren symmetrische Reihen einen prächtigen Hintergrund für den Thronsitz des Herrschers abgaben. Es war in der Tat eine wahrhaft königliche Pracht, die da entfaltet wurde, waren für zentralafrikanische Begriffe Schätze von unberechenbarem Wert zur Schau, und alles bisher Gesehene weit in den Schatten stellend.
›Erst nach beendeter Aufstellung der Prunkwaffen schien es Ernst mit dem Kommen des längst angekündigten Königs werden zu wollen. Ein Hin- und Herrennen entstand von Ausrufern, Platzmachern und Festordnern, die Volkshaufen drängten nach dem Eingange zu – jetzt, still! – da kommt der König. Voran schreiten Musikanten, die auf kolossalen, aus ganzen Elfenbeinzähnen geschnitzten Hörnern blasen, und andere, die in ihren Händen plumpe, aus Eisenblech roh gehämmerte Glocken schwingen. Den Blick gleichgültig vor sich hin gerichtet naht endlich derben Schrittes der rotbraune Cäsar, gefolgt von einer Schar seiner Lieblingsweiber, in Putz und Haltung wild, romantisch, malerisch. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wirft er sich auf die niedere Thronbank und betrachtet seine Füße. Mohammed (der Führer der nubischen Handelskarawane) war seinem königlichen Freunde gefolgt und setzte sich mir gegenüber auf die andere Seite neben den König auf einen ihm dargereichten Schemel. Zur Feier des Tages hatte auch er seine besten Kleider angelegt, so saß er da im theatralischen Staat eines Obersten der Arnauten.
›Wohl hafteten meine Augen auf der phantastischen Figur des Kanibalenherrschers, nicht satt sehen konnten sie sich an diesem seltsamen, wilden Gesellen, von dem das Gerücht ging, er esse täglich Menschenfleisch. Mit Ringen und Ketten und vielem fremdartig geformtem Schmuck an Armen und Beinen, an Hals und Brust, auf dem Scheitel vorn ein großes halbmondförmiges Gebilde, alles aufs glänzendste geputzt und geschliffen, erstrahlte der Herrscher in seiner schweren Kupferpracht wie im roten Schimmer einer sonntäglichen Küche, ein Staat, der freilich nach unseren Begriffen eines königlichen Schatzes unwürdig erschien, er erinnerte gar zu sehr an jene Rüstkammern bürgerlicher Opulenz. Sein Anblick hatte indes etwas über alle Maßen Bizarres, denn alles, was er an sich hatte, trug den unverfälschten Geschmack Zentralafrikas zur Schau, und nur die Kunsterzeugnisse des eigenen Landes wurden hier als würdig erachtet, der Majestät eines Königs der Mangbattu als Schmuck zu dienen.
›Ein imposanter Federhut beschattete das Haupt und saß über anderthalb Fuß hoch hinten auf der Höhe des Scheitels, indem er, wie es die Mangbattumode vorschreibt, über den oberen Teil des Chignons gestülpt war. Dieser Hut bestand aus einem schmalen Zylinder von feinem Rohrgeflecht und war außen mit drei Etagen von roten Papageifedern besetzt, große Federbüschel derselben Art krönten die Spitze. Einen Schirm hatte der Hut nicht, wohl aber war vorn über dem Scheitel nach Art der Schirmwehr am Normannenhelme die erwähnte kupferne Mondsichel angebracht. Die durchbohrten Ohrmuscheln trugen fingerdicke Kupferstäbe. Am ganzen Leibe war der König mit der landesüblichen Schminke von Farbholz eingerieben, die seinen ursprünglich hellbraunen Körper wie antike Färbung pompejanischer Hallen verlieh. Seine einzige Kleidung, gleichfalls durch nichts von der allgemeinen Mode des Landes abweichend, nur von ausgesuchter Eleganz und Feinheit, bestand in einem großen Stück verarbeiteter Feigenrinde, die mit demselben Farbstoff imprägniert war, der als Schminke diente, und umhüllte im äußerst schwungvollen Faltenwurfe den halben Körper, Kniehosen und Leibrock zugleich darstellend. Fingerdicke, stilrunde Riemen von Büffelhaut, die im Schoß zu einem kolossalen Knoten verschlungen waren und an den Enden schwere Kupferkugeln trugen, hielten als Gürtel das schön besäumte Rindenzeug an den Hüften zusammen. Dieser Stoff war so sorgfältig behandelt worden, daß er ganz das Aussehen von schwerem Moirée antique erhalten hatte. Um den Hals hing feingegliederter Kupferschmuck, der einen Strahlenkranz über die ganze Brust warf, und an den nackten Armen waren sonderbare, mit Ringen beschlagene Zylinder befestigt, ähnlich den Trommelschlägeln, die ein Tambour an sich trägt. An den Gliedmaßen des Unterarms und des Schienbeins waren spiralige Kupferringe bis zur halben Länge hinaufgewunden, und unter dem Knie je drei glänzende hornartige aus Hipopotamushaut geschnittene und gleichfalls kupferbeschlagene Ringe befestigt. In der Rechten schwang Munsa als Zepter seiner Würde den sichelförmigen Mangbattusäbel, an diesem Platze eine Luxuswaffe von purem, lauterem Kupfer.
›Als der König Platz genommen hatte, wurden ihm zur Rechten und zur Linken zwei schön geschnitzte Schemel oder Tischchen hingestellt, die das beständige Naschbedürfnis mit Servietten von Feigenrinde sorgfältigst bedeckt bargen. Wirklich kunstvolle Flaschen von porösem Ton enthielten sein Trinkwasser.
›Das war also Munsa, Selbstherrscher der Mangbattu, ein Abglanz jener halbmythischen Majestäten von Zentralafrika, von denen bisher nur die Namen nach Europa gedrungen waren, eine Art Muata Njamvo oder Groß-Makoko, den ich nun von Angesicht zu Angesicht erschaute, so recht ein wilder König ohne jede Spur entlehnten europäischen oder orientalischen Schmucks; war doch nichts Unechtes oder Erborgtes an ihm zu finden.
›Munsa mochte ein Mann von nahe an die Vierzig sein, seine ziemlich hohe Gestalt war schlank, aber kräftig, der Wuchs stramm und gerade, wie bei jedem Mangbattu. Durchaus nicht einnehmend waren seine Gesichtszüge, obwohl sie den nicht unschönen Typus dieses Volkes aufzuweisen hatten. Etwas Neronisches war an ihnen, etwas wie von Überdruß und Übersättigung. Ein ziemlich dichter Knebelbart saß am Kinn, auch die Backen waren mit einigem Haarwuchs bekleidet. Eine völlig kaukasische Nasenbildung schloß sich dem fast orthognaten Profil an, nur die besonders stark aufgeworfenen und wulstigen Negerlippen standen hierzu in lebhaftem Kontrast. In den Augen aber brannte ein wildes Feuer tierischer Sinnlichkeit, und um den Mund ging ein Zug, den ich bei keinem der übrigen Mangbattu wiedergefunden habe. Da lagen Habsucht und Gewalttätigkeit höhnend auf der Lauer und die Freude am Grausamen; nie sah man den Mund zu einem Lächeln sich verziehen.
›Eine geraume Zeit war verstrichen, bis zwanglose Blicke vom Könige zu mir herüberstrahlten, zu dem nie gesehenen Blaßgesichte mit den schulterlangen Haaren, dem Manne in der knappen schwarzen Hülle. Eine Begrüßung war meinerseits noch nicht erfolgt. Ich hielt den Hut in den Händen, da ich aber sah, daß jeder Mann auf seinem Sitze verblieb, als der König eintrat, so tat ich desgleichen und mußte warten, bis ich gefragt wurde. In der Halle tobten die wilden Fanfaren der Kannibalen. Munsa, der, während aller Augen auf ihn gerichtet, in nachlässiger Haltung vor sich zu Boden starrte, erhob ab und zu sein Haupt, und wenn er seine Augen scheinbar gleichgültig durch die Versammlung schweifen ließ, so bestrich ihr unheimliches Feuer auch meine Person, so tropfenweise seine Neugierde befriedigend. Wer in aller Welt, frage ich, hatte diesen wilden Afrikaner solche Fassung und Selbstbeherrschung gelehrt, wer den königlichen Aplomb und die Gravität seiner Schritte?
›Nach und nach begann er einige Fragen an mich zu richten, die sein erster Dolmetsch (der die Hauptperson in allem unsern Verkehr mit den Eingeborenen spielte, da er der Landessprache mächtig war) einem meiner beiden Niam-Niam übermittelte, der mir die Sprache arabisch wiedergab. Indes, sie waren sehr gleichgültiger Natur und berührten weder den Zweck meines Kommens, noch das Land meiner Herkunft. Munsas Fragen vergegenwärtigten mir den barschen Empfang, den einst Friedrich der Große Reinhold Forster, dem Begleiter des unsterblichen Cook bereitet hatte. ›Hat er schon einmal einen König gesehen?‹ – ›Ja, Majestät,‹ war die Antwort, ›zwei zahme und drei wilde‹. Überhaupt schien Munsa sehr ängstlich an dem Grundsatze der Orientalen festzuhalten: ›Nil admirari‹, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen. Die gleiche Einsilbigkeit beobachtete er auch bei meinem späteren Besuche, wo es ohne jegliches Zeremoniell herging.‹
Soweit der Bericht Georg Schweinfurths aus dem Jahre 1870. – Als andere europäische Forscher (Junker, Emin Pascha, Casati) in diese Länder kamen, konnte nur noch festgestellt werden, daß Munsa im Jahre 1873 das Opfer einer Intrigue der nubischen Elfenbeinhändler und der Kugel aus einem nubischen Gewehr geworden war.
Dreiunddreißig Jahre später war Munsa zu einer mythischen Persönlichkeit geworden.
Dieses nun erfuhr ich selbst.
Im Jahre 1906 lag ich mit der Expedition am oberen Sankurru. Nur der herrliche Strom trennte mich von Lussambo, dem Lagerort eines belgischen Truppenteiles. Diese Soldaten waren rekrutiert aus allen möglichen Gegenden. Es waren da wilde Basoko vom Aruwimi und zierliche Mongo vom Tschuapa, schwere Baluba vom Lualaba und hochaufgeschossene Bari vom Nil. Unter ihnen waren auch einige Mangbattu. Um sie bemühte ich mich besonders. Es waren drei aufgeweckte Kerle, die mir allerhand aus ihrer schönen Heimat und – vom König Munsa erzählen konnten.
Ja, sie sprachen gern vom König Munsa; sie erzählten allerhand von ihm; aber was sie da berichteten, war nicht Erzählung von einem Eigenleben; es war letzter Nachklang von der Bedeutung eines untergegangenen Königtums, das nicht mehr allgemeingültig war, weil die jetzigen Könige nicht mehr so sind und leben, weil mit Munsa als letztem der alten Art sich die Legende von einer Vergangenheit verbunden hat. Munsa war nicht mehr ein König, er war der letzte König der Vergangenheit, einer goldenen Vergangenheit und damit zu dem König geworden.
Allerhand Fürstenhöfe hatten wir damals besucht, die Einflußgebiete großer Herrscher durchquert, sterbende Traditionen von gewaltigen Königen der Vergangenheit eingesammelt. Gerade jetzt kamen wir aus der Hauptstadt Lupungus, des letzten machtvollen Fürsten vom südostafrikanischen Typus, dem auch vorher die heute schon degenerierten Prinzen des Kaniokavolkes zugehört hatten. Im Westen hatten wir verblaßte Überlieferungen über den Totila, den großen im Mittelalter herrlich gewesenen Kaiser vom Kongo gefunden; im Norden, uns jetzt wieder benachbart, dehnte sich das Reich des Königs der Bakuba aus, des kunstreichsten und kunstfertigsten aller alten Kulturvölker Innerafrikas im Süden des Kongo.
Vieles sprachen wir hiervon an schönen Abendstunden, und Angolaleute wie Bihe, Ubangibewohner wie Mangbattu, Basoko, Baluba, Bakuba hörten zu. – Und wer da etwas zu sagen hatte, erzählte vom Adel und Königtum seines Landes.
So ist es und war es in Bihe.
So ist es und war es in Urua.
So ist es und war es in Lunda.
Anders war es aber fast stets in Mangbattu zur Zeit des Königs Munsa.
Denn denkt doch nur: jeden Tag aß der König Munsa Menschenfleisch, mußte er Menschenfleisch essen!
In jeder Nacht mußte der König Munsa bei drei Frauen schlafen, niemals aber bei der gleichen in drei nacheinanderfolgenden Nächten!
Nie durfte der König etwas unternehmen, was sich nicht den Priestern im Orakel als ersprießlich enthüllt hatte!
Nie durfte er ein Gericht oder ein Getränk mit irgend jemand anders teilen!
Nie durfte er auf der bloßen Erde sitzen!
Stets mußte er dies!
Nie durfte er das! –
Ja um alles in der Welt, war denn der König ein gewaltiger König? – und gab es denn für ihn nie ein anderes als ›nur dürfen‹, ›nur müssen‹?
Oh, sicher war Munsa ein ganz großer König. Er konnte Kriege führen, gegen wen er wollte. Aber er fragte erst das Mapinge, das Orakel, ob es auch gut sei. Er konnte jeden Menschen töten, wenn er wollte, nur ließ er sich von den Priestern sagen, ob das auch wünschenswert sei. Er konnte jede Frau, die er wünschte, besitzen, nur ließ er erst das Orakel fragen, ob er auch eine gute Nacht haben werde.
›Und ihr andern Mangbattu, fragt ihr denn auch immer erst Priester und Orakel, ehe ihr etwas unternehmt?‹
In vielen Fällen fragen alle Mangbattu, das ist ja ganz klar, denn jeder Mensch will sich gern sicher sein des guten Ausganges seiner Unternehmungen. Aber ein gewöhnlicher Mensch ist doch zuletzt nicht König Munsa. Was ein gewöhnlicher Mensch tut, ist eigene Sache, was König Munsa tat, war aber Sache der Mangbattu, aller Mangbattu. Deshalb war ja König Munsa so groß und größer als jeder andere König. Und das sieht man daran, daß, als König Munsa einmal Eigenes tat, er starb und Mangbattu an Nubier und Europäer fiel.
›Wie war denn dies?‹
Wie das war? Ja, das ist eine traurige Geschichte! Das hängt mit einer Frau zusammen und hat König Munsa den Tod eingetragen. Diese Sache aber war so. Eigentlich hat die Sache angefangen mit Tuba, das war nämlich der Vater König Munsas. König Tuba sandte immer Leute nach Osten, die mußten bei den schwarzen (die Mangbattu nennen sich ›rote‹, sie sind auch sehr hell) Völkern Vieh einfangen. König Tuba hatte eine Frau, die hieß Nitiko. Die liebte er sehr. Nitiko wollte durchaus eine solche Reise mitmachen. Das Orakel sagte, es sei nicht gut. Nitiko ging aber doch als Mann angezogen und bewaffnet mit zur Razzia. König Tubas Leute wurden fast alle totgeschlagen. Nitiko wurde gefangen. Von da an ging es König Tuba schlecht. Viele Jahre nachher gingen König Munsas Leute in das gleiche Land. Sie fingen unter den Schwarzen zwei junge helle Menschen, Bruder und Schwester, die hießen Langbo und Madnja. Das waren die Kinder der Nitiko. König Munsa freute sich an ihnen. Besonders das Mädchen Madnja liebte er sehr. Er hielt sie wie ein Kind. Einmal kamen Nubier. Einer von ihnen wollte Madnja zur Frau haben, König Munsa wollte es nicht. Das Mapinge sagte: ›Gib Madnja fort.‹ König Munsa gab Madnja fort. Dann schrie sein Herz nach ihr. Er sandte einen Boten und ließ ihr heimlich sagen: ›Entflieh dem Nubier. Ich will dich zu meiner Frau machen!‹ Madnja floh. König Munsa ließ Madnja verstecken. Das Mapinge war sehr böse. Das Mapinge verlangte, daß König Munsa den Langbo töte und von seinem Herzen esse. König Munsa mochte es nicht. König Munsa ließ Langbo sagen: ›EntfIiehe!‹ Langbo floh. Ein Nubier kehrte zurück. Er erschoß den König Munsa. König Munsa hatte viele Tausend kupferne Schwerter (Trumbasche) und Lanzen. Er wurde als Leiche dazwischen aufgestellt. Langbo wurde gefangen und getötet. Die Priester gaben dem Mapinge. Es war zu spät. Der König war so groß, daß nur das ganze Volk seine Schuld zahlen konnte. Die Mangbattu sind auch heute noch groß und mächtig. Aber Nubier und Europäer sind im Mangbattuland. – Siehst du, so groß war der König Munsa!
Und alle meine Dolmetscher und Zuhörer: Baluba und Lunda, Bakuba und Bakongo, Bassonge und Batetela stimmten dem zu.
Ein wohlgebildeter Loango murmelte aber:
›Der König ist das Leben (= mojo) seines Volkes.‹
Ich glaube, dies Wort ist nicht schlecht.
Der afrikanische König ist Volksschicksal. –
Im nächsten habe ich noch mehr hierzu zu sagen.