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In den ›Blättern des Wiener Burgtheaters‹ publizierte der Schriftsteller Georg Kulka einen Ausschnitt aus Jean Pauls ›Vorschule der Ästhetik‹, unter eigenem Namen und nur ganz wenig abgewandelt. – Karl Kraus wetterte in seiner Zeitschrift ›Die Fackel‹. Aber auch Egon Friedell meldete sich zu Wort: er empfahl »allen Schriftstellerkollegen« diese Form geistigen Gemeinnutzes, und um ein Beispiel zu geben, veröffentlichte er folgende Reflexionen.
Ich habe nicht nur Philosophie, sondern auch ein wenig Medizin, Jurisprudenz und – hier kann ich ein ›leider!‹ allerdings nicht unterdrücken – auch theologische Wissenschaften studiert, muß aber gestehen, daß ich dadurch nicht klüger geworden bin als vorher. Ich heiße zwar Doktor, tue aber seit zehn Jahren nichts anderes, als daß ich die Welt nach allen Windrichtungen an der Nase herumziehe. Ich sehe nämlich ganz deutlich, daß wir nichts wissen können! Ich bilde mir nicht ein, daß ich imstande sei, etwas zu lehren, wodurch die Menschen gebessert und bekehrt werden könnten. Dies ist der Grund, warum ich Okkultist geworden bin: ich wollte nämlich sehen, ob durch den Mund dieser Phänomene mir nicht doch manches Geheimnis kund werden könnte. In diesem Fall wäre ich dann nicht mehr gezwungen, mit saurem Schweiß etwas zu sagen, was ich nicht weiß, und ich wäre in der Lage, zu erkennen, was die Welt sozusagen im Innersten zusammenhält; ich würde, um einen alchimistischen Ausdruck zu gebrauchen, den ›Samen‹ der Dinge erschauen und nicht mehr in Worten kramen.
Wenn wir uns fragen, warum unser Herz sich oft bang in unserem Busen klemmt und jede Lebensregung durch einen unerklärlichen Schmerz gehemmt wird, so ist der Grund dafür meiner Ansicht nach einfach darin zu suchen, daß statt der lebendigen Natur uns Moder, Gerippe und angerauchtes Papier umgibt.
Da sitzen die Menschen, leimen zusammen und brauen, wenn mir ein Bild gestattet ist, ein Ragout aus dem Schmaus der anderen, versuchen, aus ihrem Aschenhäufchen kümmerliche Flammen zu blasen! Wenn die Bewunderung von Kindern und Affen nach ihrem Geschmack ist, dann mögen sie ja recht haben; aber das wage ich wohl zu behaupten, daß sie niemals Herz zu Herzen schaffen werden, wenn es ihnen nicht von Herzen geht. Und überhaupt: es trägt Verstand und rechter Sinn mit ein wenig Kunst sich selber vor. Wenn es jemandem ernst ist, etwas zu sagen, braucht er keine große Jagd nach Worten zu machen. Aber hier freilich kann ich die bittere Bemerkung nicht unterdrücken, daß die wenigen, die wirklich etwas erkannten und töricht genug ihr volles Herz nicht wahrten, von jeher gekreuzigt und verbrannt worden sind.
Unter diesen Umständen beschleicht einen oft die Frage, ob es nicht klüger und auch edler im Gemüt wäre, die Pfeile und Schleudern des wütenden Geschicks einfach durch Widerstand zu endigen. Ich bin überzeugt, daß man sich dadurch gegen eine See von Plagen wappnen würde. Im Grunde ist ja das Sterben nur ein Schlafen. Warum greift man nicht zu diesem Schlaf, der all diesem Herzweh ein Ende bereiten würde?
Nach meiner unmaßgeblichen Meinung ist die Ursache, warum wir dies unterlassen, in den Träumen zu suchen, die eventuell in diesem Schlaf kommen könnten. Das zwingt uns, stillzustehen. Ich glaube, nur die Furcht vor etwas nach dem Tod irrt unseren Willen, so daß wir, um es in eine kurze Formel zu fassen, die Übel, die wir haben, lieber behalten, als daß wir zu unbekannten fliehen. Ich will dieses Resultat meines Nachdenkens niemandem aufdrängen, vermute aber, daß meine Erklärung manches für sich haben dürfte. Jedenfalls werden viele Unternehmungen voll Mark und Nachdruck durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt und verlieren auf diese Weise, wenn ich mich so ausdrücken darf, den Namen der Handlung.
Überhaupt kann man wohl ganz allgemein den Satz aufstellen, daß nicht das, was lebendig kraftvoll sich verkündet, das gefährlich Furchtbare ist. Ich möchte vielmehr ganz im Gegenteil behaupten, daß das ganz Gemeine unser eigentlicher Feind ist, das ewig Gestrige, das, was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, aus dem ganz einfachen Grunde, weil es heute mitgegolten hat. Denn – seien wir einmal ehrlich! – der Mensch ist aus Gemeinem gemacht und nennt die Gewohnheit seine Amme. Das Jahr übt eben, mit Verlaub gesagt, eine heiligende Kraft. Und ich wage die paradoxe Behauptung, deren Stichhaltigkeit man mir aber nach einiger Überlegung einräumen wird: Sei im Besitze und du wohnst im Recht!
Hieran ließen sich noch mancherlei Folgerungen knüpfen, die ich aber, da sie sich in mir noch nicht zu einer eindeutigen Formulierung geläutert haben, lieber auf das nächste Mal verschieben will. Hoffentlich finde ich inzwischen für das, was in mir noch unklar gärt, das rechte Wort.