Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Frauen haben keine Seele. Das hat ein Kirchenkonzil gelehrt. Die rechte Erkenntnis der unbekleideten Dschainas, der Anhänger des ehrwürdigen Wardhamana Dschatiputra, hat es ergründet, und der alles zerlegende Geist der Talmudisten hegt keinen Zweifel daran. Man empfindet es auch selbst; die Seelenlosigkeit bedarf also keines weiteren Beweises.
Frauen haben auch keinen Verstand, keine Logik, keinen Einblick in tiefere Zusammenhänge. Jedermann (wenn auch nicht jede Frau) gibt zu, daß die Natur diese Gaben ausschließlich dem männlichen, für die Herrschaft über die Erde bestimmten Geschlechte vorbehält. Die Frau hat eigentlich auch keinen Körper, allenfalls einen Leib. Die eckige und kantige, nicht vom Fett weichlich und wulstig zu nichtssagenden Rundungen ausgebauchte Schlankheit, die allein die Sinne entzückende gerade Linie, die die männlichen Menschen ausnahmslos besitzen, ist den Frauen versagt. Auch keine edlen Charaktereigenschaften besitzen sie. Ihre sogenannte Güte ist Mangel an straffem Willen und an energischer Betonung des werten Ich. Gemüt ist Fehlen wahrhafter Kampfeshärte, Zärtlichkeit und Fürsorge zeugen von erbarmungswürdiger Unselbständigkeit. Eitelkeit, Verlogenheit, Zorn, Schwatzsucht, Trägheit – all dies findet man nur bei Frauen. Dies haben die Männer aller Zeiten und Völker festgestellt, ohne Widerspruch in sich selbst und untereinander zu finden. Nichts Bejahendes gibt es also im Wesen, im Leben, in der körperlichen und geistigen Anlage der Frau. Und die unerbittliche Klarheit der Folgerungen erzwingt den Schluß, daß diese völlige Verneinung auf allen Gebieten keine Wirklichkeit ist, sondern nur ein Begriff. Ein weiser Mann wird deshalb den törichten und aussichtslosen Versuch unterlassen, sich mit einem solchen Phantom seiner eigenen Vorstellung zu verbinden, etwa zu dem unmöglichen Zweck der Fortpflanzung oder zu irgendeinem andern Behufe. Gäbe es aber leibhafte Frauen, so wird der weise Mann seinen Verkehr mit ihnen auf das Mindestmaß beschränken. Nur mit einem einzigen Exemplar wird er sich befassen, zumal sie ja alle völlig gleich geartet und gestaltet sind. So haben es alle klugen Männer immer gehalten. Wann und wo in der Geschichte der Menschheit hätte ein Weib Macht oder Einfluß über einen verständigen und besonnenen Mann gehabt? Niemals! Auch für König David zum Beispiel, der in seinen Alterstagen sehr weise und sehr bedeutend war, spielten die Frauen keine besondere, sondern nur die Hauptrolle. Trotz aller logischen Regeln war er geneigt, sie für etwas sehr Wirkliches zu nehmen. Bisweilen, zuvörderst zur Nachtzeit war das ganz vergnüglich; meist aber verursachte es Placken und manchen erheblichen Seufzer.
Er kannte sein Geweib kaum noch gänzlich bei Namen, so reichlich war es allmählich geworden. Den größten Teil seines schönen Palastes (echt Zedernholz, bitte! tyrische Baumeister und Innenarchitekten; alles, was gut und teuer, bitte!) füllten Frauengemächer und Frauenzimmer. Hauptfrauen, Nebenfrauen, Hauptmägde der Hauptfrauen, Hauptmägde der Nebenfrauen, Nebenmägde der Hauptmägde; Fußwascherinnen und Stuhl-zum-Gottesdienst-Trägerinnen, Haarsalberinnen, Haarsalbebereiterinnen, Haarsalbebereiterinhelferinnen. Und alle wollten möglichst oft in ihrer Würde anerkannt und – erkannt werden. Wer etwa glaubt, ein König habe gar keine Pflichten, irrt sich und wandelt im Rate der Gottlosen. Sehr viele Pflichten sogar; zum Beispiel–… und dann–… – also genug, er hat sie.
Eine aber sorgte unablässig dafür, daß ihr Name und sie selbst ihm nicht aus dem Gedächtnis kam. Auch sie war nur eine Haremsinsassin wie die andern, Gegenstand gnädiger Lust, Sache, Sklavin ihres gebietenden Herrn und Eheliebsten. Sie hätte es nur einmal wagen sollen, sich anders als in tiefer Demut zu nahen, sich nicht zur Begrüßung in den Staub zu werfen, einen eigenen Gedanken zu hegen, einen Atemzug nur zu tun, der ihm, dem tapferen, frommen, ehrfurchtweckenden und -heischenden König nicht gefiel. Er hätte sie zernichtet, zerschmissen, zertötet, zerstäubt. War er nicht ein mächtiger Fürst und männlicher Mann? Ein sporentragender Hahn sozusagen? Erstaunte nicht die Erde vor seiner Pracht, erfüllte der Glanz seines Ruhms nicht oben und unten, vorn und hinten, alle Windrichtungen und, wenn es ihm beliebte, noch einige darüber? War er nicht David? – War er nicht?
Er war es. Juda-Israel hieß sein Reich, Jerusalem seine Hauptstadt und Bath-Seba die Frau, vor der er zitterte, die ihn beherrschte und deren Willen das oberste Gesetz war im Himmel und auf Erden.
Sie war die letzte, die er zur vollgültigen Gemahlin erhoben hatte. (Nachher hätte er sich erdreisten sollen! Auch Abisag von Sunem, seine lebendige Wärmflasche, wurde ihm erst bewilligt, als es sich bestimmt nur noch um eine harmlose, ärztliche Verordnung handelte.) Die Geschichte ihrer Liebe pfeifen noch heute die Spatzen von den Dächern, auf denen sie sich zunächst abgespielt hatte. Hüben der König, drüben Bath-Seba, die Frau des Hauptmanns Uria, der im Felde gegen die Ammoniter stand. Hüben geruhsame, abendliche Ausschau über unsere liebe und getreue und schöne Stadt. Drüben unsere liebe, ungetreue und schöne Frau, bekleidet mit allen Reizen ihres Unbekleidetseins, beschäftigt mit den mannigfachen Manipulationen einer sorgfältigen Körperpflege und der Wohltat eines bekömmlichen Bades. Ihrem Ehemann bekam es allerdings nicht ganz so gut. Die Nacht war warm; der König konnte sich gar nicht entschließen, das kühlende Dach zu verlassen. Er hätte doch keinen Schlummer gefunden. Auch die folgenden Nächte waren warm. Und auch sie waren schlummerlos. Es hilft nichts, die Wahrheit muß einmal gesagt werden: Auch Könige sind Menschen. Und mitunter fähig, Menschen zu erzeugen. Daß Prinzen niemals die Söhne ihrer Väter gewesen sind, ist boshafte Übertreibung. Für viele gilt das – nicht für alle. David genoß allein durch seine Hauptfrauen die Wonnen neunzehnfacher Vaterschaft, ungerechnet die Töchter und den erstgeborenen Sohn der Bath-Seba, der alsbald nach der Geburt starb. Nathan hatte den Tod gleich vorausgesagt, als die Badebekanntschaft des Königs ruchbar wurde. David, der vor den neu aufkommenden Sehern und Propheten wie Nathan eine abergläubische Angst hatte, sah deshalb der Niederkunft der Königin mit trüben Ahnungen entgegen. Als das Kind dann wirklich starb, war er eher beruhigt. Nathan hatte recht behalten, Jahve hatte ein Opfer eingefordert, damit schien ihm die Rechnung im wesentlichen beglichen. Es nützte nichts, sich zu härmen. Geschehen war geschehen. Das Kind war tot, man würde der betrübten Bath-Seba ein anderes schaffen. Ihr erster Ehemann Uria war auch tot. Vom Jammern stand er nicht wieder auf. Das wäre auch sehr unerwünscht. Er war halsstarrig und dumm gewesen und hatte sich sein trauriges Ende selbst zuzuschreiben.
Der König war ganz unschuldig. Oder so gut wie. Oder wenigstens so gut wie beinahe. Daß der Tag schwül und der Abend kühl war und Bath-Seba im Freien gebadet hatte, dafür konnte er gar nichts. Daß er sein Gelüsten nicht bezwingen konnte, war Gottesgabe und die heiße Natur seines Blutes. Dafür war er also wieder nicht verantwortlich. Als sie ihm dann ein süß-saures Geheimnis mitteilte, hatte er sofort Uria kommen lassen. Wäre der kein solcher ehrpußlicher Tolpatsch gewesen, es wäre alles gut ausgegangen. Auch andere Männer herzen fremde Frucht als eigenes Fleisch und Blut, und es war nicht einmal immer ein König, der als freiwilliger Helfer ihren Garten betreute. Man weiß es nicht, wird belächelt und ist glücklich. Das ist nun mal der Lauf der Welt. Unersättlich wie die dürstende Erde und der Schlund der Hölle ist der Schoß des Weibes, und ebensowenig Spur läßt die Umarmung des Mannes wie der Adler in der Luft, die Schlange auf dem Stein und des Schiffes Weg in den salzigen Fluten. Uria hätte sein schönes Gemahl umfangen sollen. So war es zwischen David und Bath-Seba besprochen. Dann war alles bestens erledigt. Deshalb hatte er auch unerbeten den Heimatsurlaub bekommen. Ein Verhängnis war es, daß dieser starrköpfige Hethiter sich auf das alte Gebot versteifte, nach dem der Soldat sich rein vom Weibe halten soll, solange der Feldzug währt; Kismet, daß er selbst in der Trunkenheit soviel Eigensinn besaß, nicht nach Hause zu torkeln, sondern im Palast unter der Wache des Königs zu schlafen. Nicht Davids Schuld. Das Schicksal hatte gesprochen. Diese unbezwingliche Keuschheit mochte ein Vorwand sein, er konnte etwas raunen gehört haben von den nächtlichen Katerfahrten seines Königs über die Dächer hin. Und wenn nicht – das Kind drängte zum Licht. Dann war es nicht einmal sicher, ob David Bath-Seba vom Steinigungstod der Ehebrecherin retten konnte. Das Volk war manchmal so komisch rückständig. Und ob sie den Namen des Geliebten nicht preisgab? – Wer kennt sich bei Frauen aus? Oft starrte sie düster vor sich hin und es war mit ihr nicht gut Feigen oder andere Südfrüchte essen. Die Leute machten schon genug Bemerkungen darüber, daß der König nicht mehr mit ins Feld zog. Es geschah zwar auf allgemeines Bitten, sein kostbares Leben nicht zu gefährden und die Leuchte nicht erlöschen zu lassen in Israel. Wenn er aber nun noch seinen Verbleib zu Hause dazu benutzte, die Frauen seiner Offiziere, die seine Schlachten schlugen, großherzig zu trösten und ihnen die Langeweile in Schäferstunden zu verkurzweilen, so war diese Art des königlichen Hirten, Lämmlein zu hüten und zu vermehren, Vater seines Volkes nicht nur zu sein, sondern auch zu werden, wohl geeignet, Anstoß und einiges Befremden auch bei den Wohlgesinnten zu erregen.
Das Ansehen der Monarchie war in Gefahr. Uria erhielt einen Brief Davids an den Generalfeldmarschall und lieben Vetter mit dem Befehl, den Briefträger beim Ausfall der Feinde aus der belagerten Stadt an der gefährlichsten Stelle einzusetzen und dann allein zu lassen. Joab, ein treuer Diener seines Herrn, war gehorsam und befolgte Davids Weisung. Uria, auch ein treuer Diener seines Herrn, war auch gehorsam, enttäuschte die Erwartungen, die sein oberster Kriegsherr auf ihn gesetzt hatte, nicht, sondern fiel als wackerer Soldat und brav. Mit seinem Tode besiegelte er seines Lebens Inhalt und Gelübde: allzeit bereit zu leben und zu sterben für meinen gnädigen König und Herrn! Er lebte wahrscheinlich gern, aber er starb geradezu beneidenswert schön. Nicht den ekelhaften Strohtod im Arme seiner keuschen und ehrenhaften Frau, im Kreise von Kindern und bedrückten Freunden, sondern – hussah! – den Tod der Reisigen im freien Felde, vorm Feind erschlagen, zu seines Königs Ehre und Gefallen. Hätte er um alle Umstände des Handels gewußt, so wäre er sicherlich ganz einverstanden gewesen. Er war des Herrschers Mann, gehörte ihm mit Leib und Seele, in allen Treuen. Besser, sein Blut befleckte die Erde als sein Atem die Krone. Der König hatte die Gnade gehabt, seine Frau seines Vergnügens wert zu finden. Der König geriet dadurch in eine etwas heikle Lage. Das darf nicht sein – das kann nicht sein. Auslöschen, wegblasen, was störend ist. Es lebe der König! – Es sterbe Uria!
Bath-Seba trauerte geziemlich, ward dann dem König zugeführt (diesmal durch die Türe, nicht über die Dächer) und hielt sich ruhig in ihrer Schwangerschaft. Und wenn nicht Nathan das allgemeine Gerücht aufgegriffen und David eine zerknirschende Bußpredigt gehalten hätte, und wenn dann weiterhin nicht das Knäblein alsbald nach der Geburt gestorben wäre, so hätte über allem sich der Schleier gebreitet, der für Ereignisse am Hofe im Interesse ungeschmälerter Untertanenliebe dringend erwünscht ist. Kinder und Völker dürfen nicht neugierig sein und nicht zuviel wissen vom Treiben der Erwachsenen und Mächtigen. Das ziemt sich nicht und belastet nur ihre Gemütsruhe. Gottes Zorn über den Tod des Uria aber erforderte eine besondere Besänftigung. Beinahe wäre der Feldhauptmann doch der Vater eines Sohnes des Königs geworden. Da genügte es nicht, zur Buße für an ihm begangenen Frevel etwa nach dem alten Brauch einen Sündenbock zu schlachten und den andern in die Wüste zu jagen – vielmehr lechzte das empfindsame Gewissen Davids nach einer ganz außergewöhnlichen Entsühnung. Da die Stadt Rabba, deren Bürger Uria von der Mauer her freundlicherweise erschossen hatten, sich um diese Zeit übergab, schien dies dem milden und allzeit gerechten König angemessen: Nicht, wie sonst wohl üblich, ließ er nur die Vornehmsten mit dem Schwert richten und den schundigen Menschenrest in die Sklaverei verkaufen, sondern er bestimmte die gesamte Einwohnerschaft zur Opferung. Alles Lebendige, Männer und Weiber, Säuglinge und Greise, ließ er zersägen, mit eisernen Zinken an den Boden festnageln oder eherne Keile durch ihre Leiber treiben. Einiges wurde auch zur Feuerung der Ziegelöfen nutzbar verwendet. Es gab ziemlich viel Lärm und war recht interessant für die Zuschauer. Die Betroffenen nach ihrer Meinung zu befragen, bot sich keine rechte Veranlassung. Der ganz tote Uria konnte zufrieden sein. Die sehr lebendige Bath-Seba war es jedenfalls. Mit einem reizenden Lächeln nahm sie den Bericht entgegen, bewunderte die zentnerschwere goldene Krone des Ammoniterfürsten Hanun (zersägt!), die der Liebste für sich mitgebracht hatte, und spielte versonnen in den Edelsteinen, die der Siegreiche über sie ausschüttete und die bislang die Damen aus Rabba geschmückt hatten (treffliches Heizmaterial!). Sie seufzte auch ein wenig. Aus ihrem bescheidenen Heim, vom Range einer einfachen Hauptmannsfrau, hatte das Schicksal sie hervorgeholt und erhoben. Man mußte sich erst daran gewöhnen. Schwere Dinge geschahen um ihretwillen; es ist nicht ganz leicht, Königin zu werden, nicht einfach, sich in Würde zu behaupten. Ein bißchen traurig machte es, an Rabba zu denken, aber was half das? Die Hauptsache ist doch – nicht wahr? – daß es einem selber gut geht. Was bekümmerten sie auch schließlich diese unbekannten Menschen. Sie waren doch nur Staub unter ihren königlich gewordenen Füßen. Jedenfalls durfte ihr Gewissen jetzt ganz beruhigt sein. Das Blut und das Todesstöhnen der ammonitischen Opfer hatten ihre Seele gereinigt – wie einst das wohlriechende Wasser und die Salben ihren Leib, als David sie ersah. Frei von Skrupeln und blütenweiß konnte sie nun ihrer Liebe sich widmen. Den Ammonitern hatte ein überaus gütiges Geschick vergönnt, ihr Leben für den wichtigsten Zweck hinzugeben, für das Wohlbefinden der Herrscherfamilie. Ihre Leiber bildeten den Thronsitz für ihre gnädige Herrin. Es war alles, wie es sein sollte. Süß war es zu wissen, daß für den Geliebten nichts unmöglich war, wenn es ihr Behagen galt. Erschauernd begingen sie das hochzeitliche Beilager zum andern Male. Und jetzt war es auch dem gütigen und verzeihenden Gotte wohlgefällig. Jahve war durch das großartige Hinschlachten der heidnischen Menschentiere offenbar versöhnt. Diesmal blieb das Kind am Leben, ein wunderhübscher Knabe war es, und sie nannten ihn, in dankbarer Demut vor Gott, der ihnen nach all der Aufregung nun den Frieden eines sonnigen Gemüts geschenkt: Salomo, das ist der Friedreiche. Abgekürzt: Friedrich.
Auch Nathan der Weise, der Gotteszornträger, beruhigte sich. Daß Bath-Seba ihn sofort zum Erzieher des kleinen Prinzen erwählte und, nachdem sie diesen die üblichen drei Jahre selbst gestillt hatte, ihm übergab, beeinflußte seine Meinung durchaus nicht. Im Gegenteil, er schädigte sich geradezu, wenn er seine gesundheitlich so wohlbekömmliche Armut, die die Glieder schlank und geschmeidig erhält, mit dem Fettansatz vertauschte, den eine Hofküche erzwingt. Es ist nicht jedermanns Sache, statt gerösteter Heuschrecken, gedörrter Kräuter, einer Handvoll Bohnen und dergleichen einfacher und die Säfte nicht verdickender Nahrung immerfort Wein, Kuchen, Braten und königliches Spalierobst zu genehmigen. Und ist nicht ein derber härener Prophetenrock, durch dessen Zerrissenheit Sonne und Wind ungehindert Zugang haben zum rauhhaarigen Männerbusen, besser als weiches Wollengewebe und Byssusleinen? Nathan hatte oft sehr schwere Bedenken, ob er nicht alles von sich werfen und schnell einmal in die Wüste austreten müßte, um sein Bedürfnis nach Enthaltsamkeit und Predigt zu befriedigen. Aber Bath-Seba, die viel Verständnis für philosophische Unterhaltungen bezeigte, wußte ihn doch zu überzeugen, daß sein Übertritt zum Hofjudentum verdienstvoll war. Übrigens in jeder Hinsicht. Sie verschwendete nicht, aber am rechten Platze war sie auch nicht geizig.
Salomos Erziehung war in der Tat sehr wichtig. Er hatte zwar fünfzehn ältere Brüder, fünfzehn Vormänner zum Thron. Aber immerhin war er ein Anwärter. Gibt es nicht Aussatz, Pest, Frauenlist, Schlangengift, Lungensucht und sonstige gnädige Krankheiten? Die zärtlich besorgte Mutter mußte mit allem erdenklichen Unglück in der lieben Familie rechnen und ihren Friedrich jedenfalls so bilden lassen, als ob er der Erstgeborene wäre.
So trödelten Nathan und der kleine Salomo einträchtig durch die königlichen Höfe und Gärten, lustwandelten am Bache Kidron entlang zum Brunnen Rogel und dann das Tal Hinnon hinauf, erstiegen die Anhöhe Morija, ja sie unternahmen auch weitere Ausflüge durch den Olivenhain am Abhang des Ölberges und bis auf seinen Gipfel oder gegen das Gebirge Ephraim hin. Der Ältere machte kluge Sprüch' und der Jüngere verstand sie meistens nicht ganz, prägte sie sich aber wortgläubig ein und entnahm daraus, was ihm geeignet schien. Wie dies so zugeht und die altbewährte Schulmethode ist. Salomo lernte, daß man den Vater, besonders aber die Mutter achten müsse und daß nur ein Narr Bürgschaft für seine Freunde übernimmt. Nathan bleute ihm Gottesfurcht ein und riet ihm dringend vom Verkehr mit bösen Buben ab. Das Rezept wurde ihm anvertraut, daß Kraut mit Liebe besser schmeckt als Mastvieh mit Haß. Man soll nicht schwatzen, wenn man etwas nicht weiß, sonst merken die andern, daß man noch dümmer ist als sie. Geizig sein ist lasterhaft, aber viel zu schenken ist albern. Der Reiche herrscht über den Armen, und wer sich Geld leiht, gerät in Abhängigkeit. Daraufhin beschloß Salomo, späterhin möglichst viel Schätze zu sammeln und für sich selbst zu behalten. Besonders beschäftigte ihn aber der eifervolle Zorn Nathans gegen die Unzucht im allgemeinen und die Huren im besonderen. Der von Natur etwas stiefmütterlich behandelte und deshalb sehr sittenstrenge Prophet konnte sich gar nicht genug tun in warnenden Bildern und abschreckenden Beschreibungen. (Wenn Bath-Seba bestimmt aus dem Wege war, flogen auch etwelche kräftige Wörtlein gegen Ehebrecherinnen.) Salomo merkte auf, zog wieder Schlüsse auf seine Art und erklärte in kindlichem Eifer und hohem moralischem Empfinden: »Wenn ich einmal König bin, dann gehe ich bestimmt nicht zu fremden Frauen – ich nehme mir alle, die mir gefallen, für mich – hundert oder zweihundert oder gleich tausend.«
»Wenn ich König bin!« Du liebes Jahvele! Fünfzehn Vormänner! Nathan strich über die Backen des Erhitzten und suchte ihn zu beruhigen: Alles ist eitel! – Aber der Gedanke kam auch in ihm nicht zur Rast und er spann sich zuweilen ein kleines wohlgefälliges Netzlein, in dem er schmackhafte Zukunftsfliegen fing und genießerisch ausschlürfte. Nathan, Prophet a. D., Lehrer des Monarchen, Professor Nathan, Reichsschulrat Nathan, Graf Nathan, Kultusminister–… Das ging honigseimiger ein und war behaglicher als mottiges Lodencape, Wanderbettelei, Pilgerstab, Almosenschale und Heuschreckenragout. Im Vorschuß auf künftige Herrlichkeiten ließ der weise Seher sich einstweilen die Haare schneiden und hub an, ein wenig weniger zu stinken.
Bath-Seba aber hatte der Gedanke noch ganz anders in den Krallen. Mochte die Königin im Harem herumhorchen, verklatschen, verleumden, Intrigen spinnen, Intrigen auffädeln, sich salben, schmücken, die Fußsohlen kitzeln lassen, Süßigkeiten naschen, Zähne feilen, Nägel färben, Mägde schimpfen, zwicken, schlagen, und was sonst der Tag an kleinen Annehmlichkeiten und Unterhaltungen bot – mochte sie nachts am Körper des Königs alle Wollust, alle verderbten Wonnen spenden und empfangen, die die Dienerinnen der Astarte und die großen Liebespriesterinnen zu Babel und in Ägypten erfanden und lehrten – immer hatte sie beharrlich das eine Ziel vor Augen, nie irrte sie von der Bahn ab, nie vergaß sie die schmerzhaft in ihr wühlenden Worte: König Salomo!
Nathans war sie sicher, auf seinen Freund, den Hohenpriester Zadok, konnte man auch rechnen. Aber demzufolge stand der andere, Abjathar, auf der feindlichen Seite. Und Joab, der Kanzler Josaphat, die niederen Heerführer und Beamten – lauter Gegner. Sie war ein später Eindringling bei Hofe. Die Tiefe ihrer Herkunft und die Höhe des Weges über die Dächer waren unvergessen und unverziehen. Vor allem aber – sie war die Lieblingsfrau. Gründe genug zur allgemeinen Feindschaft. Es war erschrecklich. Niemand wollte ihr wohl. Eine schwache Frau allein. Und fünfzehn Stiefsöhne! Und deren Mütter!
Ihr kleiner Junge gedieh indessen, wuchs heran und blickte kraft- und selbstbewußt. Aber seit der Geburt dieses Knaben »Frieden« war – David merkte es nur allzu gut – der Frieden aus seinem Hause völlig verschwunden. Er wußte, was Bath-Seba bewegte, was sie erreichen wollte, und wehrte ab. Denn die von ihr begehrte Änderung der Thronfolge zugunsten von Salomo mußte die heftigsten Erschütterungen im Haus und Land zur Folge haben. Aber sein Widerstand war schwächlich. Die Energie dieses rassigen Ehrgeizes war ein Naturereignis, undämmbar, überwältigend und ohne Gesetze; und er alterte, liebte die Ruhe und war der Sklave seiner Sinne und des berückenden Leibes der Bath-Seba. Es starben einige seiner Söhne, darunter der zweitgeborene Chileab, der Sohn der Abigail, deren Schicksal wie eine milde Vorflut zum Springsturm Bath-Seba verlaufen war. Der Tod kam plötzlich, unaufgeklärt; David ahnte finstere Kräfte, die die Wege zusammenbogen zwischen Salomo und seines Vaters Thron, aber er schwieg, forschte nicht, knurrte, wenn man ihm Vorstellungen machte. Man sollte ihn zufrieden lassen. Er war ein alter Mann. Alles war geschehen, was man von ihm erwarten konnte. Man wollte die Philister, Moabiter, Zobaiter, Syrer, Ammoniter, Amalekiter, Edomiter besiegen. Seine Generäle hatten die Philister, Moabiter, Zobaiter, Syrer, Ammoniter, Amalekiter, Edomiter geschlagen, ausgerottet oder zu Vasallenvölkern gemacht. Noch mehr Kriege? Noch mehr Beute? Oder noch mehr Gottesdienst? Zum versprochenen Tempelbau war es nicht gekommen; es war zu teuer und eben zu viel Kriegsunruhen. Aber sonst hatten sich die Priester wahrlich nicht zu beklagen. Also was wollte man von ihm? Er war ein alter Mann. Fortwährender Ärger und Weibergeschichten. Bath-Seba ließ nicht nach, und wenn er widerstrebte und zum tausendsten Male beteuerte, daß er ihr nicht willfahren könne, tobte sie, sprang übel mit ihm um, daß er sich am liebsten in ein Schneckenhaus verkrochen hätte und kläglich sein graues Haupt vor ihrem sprühenden Zorn und ihrer Ungnade schützen mußte. »Adulam,« stöhnte er in sich hinein, »Maon, Ziph und Engedi« – denn er gedachte der schönen Zeiten, da er noch nicht das elende Leben eines Königs führte, sondern ein freier Räuberhauptmann war, ein Herrscher über Weiber und Wüste (was ihm ungefähr dasselbe schien), oder er beneidete den Schatten Sauls. Wie war der einst mit seinen Frauen verfahren, selbst mit Michal, deren ätzenden Spott und laugende Befriedigung über seine Not er durch die Haremswände zu verspüren meinte. Aber dann verfiel Bath-Seba plötzlich in schreckliches Weinen. Er mußte sie trösten, war ganz hilflos. »Liebste Bath-Seba – goldigste Bath-Seba – Bath-Sebachen–… es soll alles geschehen, wie du willst. Hör' doch bloß auf, was sollen denn die Eunuchen denken?! – ich will ja alles tun – ich verspreche dir–…« Bei »Ich verspreche dir« versiegten die Tränen; das war die Zauberformel. Aber da stockte er, nein, es ging doch nicht – er vollendete den Satz nicht; seine ältern Söhne tauchten drohend vor seinem gequälten Geist auf, von allen andern zu schweigen, die drei As – Amnon, Absalom, Adonia, thronberechtigt vor Salomo, ihm (er gestand es sich ganz geheim) viel lieber als der naseweise eingebildete Fratz, den Bath-Seba vergötterte und verzog. Nein, es ging nicht. Er erhob sich, ein Stück der alten Kraft war in ihm lebendig. Bath-Seba erblaßte und neigte sich stumm. Es war wieder einmal mißlungen, man mußte es verschieben, warten, sich erneut mit Nathan und Zadok insgeheim beraten. Schwer, sehr schwer für ihre Ungeduld. David wurde älter und hinfälliger und teilnahmloser. Trotz ihrer Zärtlichkeiten, trotz Nathans salbungsvollen Reden, trotz aller jungen Lebensglut der Abisag von Sunem. Man mußte es anders anstellen. Der Zwist wurde alltäglicher Gast im Harem, schlüpfte von Kammer zu Kammer, jedermann war Feind von jedermann, Gruppen, Klüngel, Parteien bildeten sich, formten sich um, zerstoben – es war ein fortwährendes Gleiten und Suchen, Finden und Verlieren; Wirbel, die durcheinander liefen, David und die Krone der Mittelpunkt von jeder Hoffnung und jeder Bewegung. Da galt es zu schüren, zu reizen, zu verdächtigen, zu verhetzen. Sie ließ es sich wirklich sauer werden, die kleine Frau mit ihrem lässig lockenden Leib, dem das Mark aussaugenden sündigen Mund und der tödlichen Zunge der Delila. Allmählich wurde sie eine Meisterin der Hofkabalen und Ränke; Alkovengeheimnisse und Schlafstubenhistörchen mischte sie zu Elixieren von unheimlicher Kraft. Es war bewundernswert. Man muß bedenken, daß sie das beste aus sich allein lernen mußte. Nathan zählte auf diesem Gebiete nicht; er war nur ein Mann. Ein paar verschlagene Dienerinnen waren da und halfen etwas. Aber waren sie treu? Wieviel kostete ihr Verrat? Eine Tradition aber gab es für sie nicht. Saul hatte schmählicherweise verabsäumt, sich um diese wichtigen Dinge zu kümmern. Erst mit David begann ein eigentliches Hofleben. Andere Königinnen haben es besser. In jedem wohlgeordneten Schloß gibt es Vorbilder, Überlieferung, lehrreiche Anekdoten; die Eifersüchteleien, Mißgunst, Familienehrgeiz, Klatsch, Neid, Gemeinheit sind in ein System gebracht. Das hübsche Spiel der giftigen Reden, der giftigen Fäden, die man zu Fesseln, Stricken, Würgebändern, Fallnetzen webt und knüpft, ist den geschickten süßen Frauenhänden von Kindheit an vertraut. Man kennt sich aus in allen Schlupfwinkeln und Verstecken, im Etikettestreit und in dem Raschelkriege seidensanfter Unterröcke. Aber Dame Bath-Seba war eine self made woman. Und dieser David ein Trottel.
Etwas gelang gut – sogar ohne ihr Zutun. Den ältesten Sohn Davids, Amnon, hochfahrend und im überheblichen Gefühl seiner Kronprinzenwürde, ein Mann, den Weiberfleisch als Alltagsgericht schon übersättigt hatte, gelüstete es nach besonderer Kost für seine erschlaffenden Sinne. Thamar lockte ihn – eine Prinzessin, seine Halbschwester dazu – und er nahm sie mit Gewalt. Das war eine kleine anregende Abwechslung. Das Haus Davids hätte sich damit abgefunden. Man hatte sich gegenseitig manches nachzusehen. Edelmenschen können nicht mit der Philisterrichtschnur des Gesetzes gemessen werden. Und warum sollte Jugend – Tugend haben, da doch des Alters Weisheit vielfach Laster heißt? Für den Mann gilt: Erlaubt ist das, was gefällt. Die einzige Sünde, die es gibt, ist, daß ein anderer etwas erfährt. Unmoral ist Wissen Dritter. Die Gebrechen eines Fürstengeschlechtes vollends bestehen nur in den gesunden Ohren und Augen seiner Untertanen. Die Leuchtkraft der Krone verträgt die Sonne nicht. Ein Palast duldet kein Publikum, er ist keine Vogelwiese und kein Familienbad. Man muß den Pöbel fernhalten und seine Neugier absperren, das ist Regierungsweisheit von alters. Und manches Volk weilte nur deshalb im Zuchthaus, weil sein Herrscher im Unzuchthaus.
Amnon hätte den Mantel seiner Allzunächstenliebe nicht abziehen sollen von der Nacktheit seiner unbrüderlich entkleideten Schwester. Durch einen seiner Diener ließ er sie vor die Tür setzen. Nicht so der Kavalier. Solches muß dieser eigenhändig besorgen. Oder, noch stilvoller, man ist für die Dame nicht mehr zu sprechen. Das wäre erlaubte Notwehr gewesen. Denn häßlich schrillt die holde Flötenstimme einer Frau, wenn sie auf dem letzten Loch der Liebe pfeift. Amnon war gewiß zu bedauern; erst hatte er sich krank stellen müssen, um Thamar zu erlisten. Dann mußte er Kuchen kosten, den sie gebacken. Danach reichlich ihre andern Süßigkeiten; dazwischen die Salzigkeit ihrer Tränen – niemand kann das auf die Dauer aushalten. Es war also durchaus verzeihlich, wenn er ein Ende machte. Man kann schließlich nicht immer nur mit seiner Schwester schlafen. Insoweit gab die goldene Jugend von Jerusalem ihm recht. Aber die Zuziehung des Dieners widersprach den Sitten der guten Gesellschaft (d. h. also den Unsitten der schlechten). Thamar war doch kein kleines Mädel aus dem Volke, sondern Klasse. Eine Dame. Wohl durfte er sie bloßlegen, bloßstellen aber nicht.
Bath-Seba war restlos glücklich. Das mußte ein prächtiges Durcheinander geben. Daß David sich nicht einmischte, dafür sorgte sie schon. Er wurde zwar zornig, aber sie war um seine Gesundheit sehr bedacht. Aufregung wirkt ungünstig auf die Verdauung. Aber nun geschah das Unerwartete, nämlich gar nichts. Weder vergiftete die hasenherzige Thamar ihren Notzüchter, noch züchtete ihre Not den Haß ihres Vollbruders Absalom. Sie geisterte nur herum, manche meinten sie nächtens in den Höfen und sogar außerhalb der Burg bemerkt zu haben – was zweifellos nicht ziemlich war. Im Grund genommen war das Unglück nicht unabänderlich. Wenn Amnon sie auch geschändet hatte, so konnte sie doch ohne weiteres einem getreuen Hofbeamten aus besonderer Gunst vermählt werden. Prinzessinnen hat die Natur anders zusammengesetzt und gebildet als das gewöhnliche Weibervolk. Ihre Jungfernschaft erhält sich bekanntlich unter allen Umständen bis zur gesetzmäßigen Brautnacht. Ein Kutscher oder Bereiter kann eine Prinzessin gelegentlich zur Mutter machen, nie aber zur Frau. Doch dies nur nebenbei. Daß Absalom die Demütigung seiner Schwester schweigend hinnahm, machte Bath-Seba starr und entrüstete ihr tief moralisches Empfinden bedeutend. Ihr Bürgerstolz erwachte. Da sah man die ganze Verderbtheit dieses blaublütigen Gesindels. Die Mutter von Absalom und Thamar war selbst eine Königstochter, außer Michal unter Davids Frauen die einzige; ihr Vater war Fürst zu Geschur. Und nun ging Absalom neben Amnon einher, als wäre nichts vorgefallen, lächelte, pflegte seine berühmt schönen Locken, plauderte mit Hinz Manasse und Kunz Benjamin, leutselig gegen jedermann, wie es seine Art war, flanierte über den Fischmarkt und durch die Apothekerstraße (neueste Errungenschaft der Stadt; es kamen jetzt Fische von der Küste her und man kaufte Salben bei besondern Händlern, statt sie im Hause selbst zu bereiten) und ließ Gott, David, Amnon, und wer sonst wollte, gute Männer sein. Vierundzwanzig Monate hindurch, während denen es Bath-Seba an spitzen Bemerkungen nicht fehlen ließ. Natürlich nur, wenn sie sicher sein konnte, daß man sie alsbald der Maachas, Absaloms und Thamars Mutter, hinterbrachte. Nach Ablauf der zwei Jahre aber zeigte sich, daß sie Absalom bitteres Unrecht getan hatte. Er lud Amnon zum Fest der Schafschur ein und erschlug dabei den ahnungslosen Bruder, der längst die ganze Geschichte vergessen hatte. Nicht gerade in ritterlichem Kampfe, sondern unter Bruch des Gastrechts. Den trunken Gemachten durchbohrten mehrere Diener von hinten. Dies war ein besonders feiner Zug, entnommen dem Grundgesetz und unbeugsamen Urrechtsgefühl der Hebräer, Auge um Auge, Zahn um Zahn; Diener um Diener; du hast meine Schwester durch deine Sklaven fortgejagt – ich tue ein gleiches, dir, meinem Bruder. So ertränkte Absalom die Schmach in Wein und Blut, so wurde er ein furchtbar grimmiger Rächer der beleidigten Bruderliebe und Mannesehre; ein erhabenes Vorbild fürstlicher Gesinnung wurde er durch seine selbstlose Tat. Nebenbei Kronprinz.
Vorläufig freilich im Exil. Zwar bewahrheitete sich das hocherfreuliche Gerücht nicht, daß er außer Amnon auch die andern Söhne Davids, die er geladen hatte (Salomo war noch zu klein), umgebracht hatte. Er sank dadurch wieder in Bath-Sebas Achtung. Solche Halbheiten verstand sie nicht. Aber er zog es vor, schon wegen des einen Amnon – es war ja auch immerhin der Thronerbe – lieber nicht nach Jerusalem zurückzukommen, floh vielmehr zu seinem Großväterchen Thalmais nach Geschur. Nun, es war immerhin etwas; damit hatte er sich ausgeschaltet und Salomos Mutter wieder einen Stein vor ihren Füßen fortgeräumt.
Drei Jahre blieb er fern, mit Gottes gnädigem Beistand schwanden inzwischen wieder einige Davidsöhne dahin, kleineres Gestrüpp, das im Wege stand. Absalom selbst zog Bath-Seba schon kaum mehr in Betracht. Mochte er doch Herrscher in Geschur werden, das war auch ganz hübsch. Zwar nur eine bessere Dorfschönheit, eine Art Oberscheichentum, aber das war ja seine Sache. Daß Davids Erbitterung gegen ihn lebendig blieb und Absalom durch seine Mutter Maachas dies erfuhr, war selbstverständlich. War Bath-Seba denn etwa eine Stümperin?
Aber auch die Gegenpartei träumte nicht. Und es gelang ihr ein verblüffender Meisterzug, sie gewann den angesehensten Mann für sich, dessen Namen in der kleinsten Hütte Israels mit Ehrfurcht und Bewunderung genannt wurde, den Generalfeldmarschall Joab. Seine strenge Rechtlichkeit war unbestechlich, seine hingebungsvolle Treue für den König erprobt in allen Lagen. Hatte er nicht einst Abner aus dem Wege geschafft gegen den scheinbaren Willen Davids – hatte er nicht Uria vor Rabba sterben lassen und dann, als die Festung schon bis auf die Burg erobert war, den König herbeigerufen, damit der Ruhm des Sieges ihm zufalle? So stellte er sich stets hinter den Herrscher, so hielt er sein Schwert stets vor ihn. In ihm war die ehrliche Überzeugung der überirdischen Sendung Davids, der unverletzbaren Heiligkeit des Königsgedankens allzeit lebendig. So hoch er stand, so groß sein Ansehen war, immer blieb er seines gnädigen Herrn getreuer Lehnsmann. Mit Handkuß und Fußfall und Stirn in den Staub, und den wohlverdienten Lohn seiner heldenhaften und ehrlichen Taten nahm er als Zeichen besonderer königlicher Gnade entgegen.
Nach dem König der Kronprinz – auch der sein Gebieter in allem, soweit es nicht gegen den König selbst ging. Bei einem Mann von solch geradliniger, unbeirrbarer und ehrenhafter Gesinnung bedurfte es nicht vieler Mühen, um ihn für Absalom zu gewinnen. Mochte der Prinz auch durch einen Brudermord zur Thronfolge gelangt sein – das zu beurteilen oder gar zu verurteilen war nicht Joabs Sache. Jedenfalls war Absalom jetzt der erbberechtigte älteste Sohn Davids. Es gab da Weiberwirtschaft und Kabalen. Man wollte den Verbannten um sein Recht betrügen. Das geht nicht an. Man kann dem Herrscher nicht vorschreiben, was er tun soll. Aber in aller schuldigen Ehrfurcht und Untertanendemut ihn – halten zu Gnaden – aufmerksam machen auf das, was sich um ihn spinnt und heimlich knotet – das kann man. Und man muß es, wenn man Joab ist.
Das Wie bebrüteten dann die Weiber, Schreiber, Gottestreiber. Ging's gut aus, hatten sie den Erfolg für sich; ging's schief, so war Joab Manns genug, um alle Verantwortung allein zu tragen. Sie erdachten und schoben eine kniffliche Geschichte; der Feldmarschall begriff nicht ganz, wozu die vielen Umstände. Geradezu mit dem König reden, war doch das einfachste. Aber er fügte sich – es war richtig, der Einfluß der Bath-Seba war sehr groß, David alt und auch in frühern Zeiten hatte er manche, Joab unverständliche diplomatische Feinheiten bevorzugt, wo der Kriegsmann den Tanz der Schwerter für viel praktischer befunden hätte. Also los. Jahve verdamm' mich! Irgendein altes, kluges und mutiges Frauenzimmer trieben sie auf, aus dem fernen Theoka, damit ihr Erscheinen in Audienz Bath-Seba und ihren Spähern nicht auffiel; sie brachte durch einen lamentablen erdichteten Rechtsstreit den König zu dem höchstrichterlichen Spruch, daß die Blutrache im Falle des Brudermordes nicht zulässig sein sollte, wenn der Täter nicht ohne Grund gehandelt hatte und der Erbsohn ist, bestimmt, den Namen des Geschlechts fortzupflanzen. Damit war auch der Fall Absalom entschieden. Und da David trotz aller Hecheleien unserer lieben Frau Bath-Seba die Zuneigung für ihn nicht verloren hatte, so war er ganz froh, verzieh die List und Täuschung, und Joab holte den Freigesprochenen von Geschur heim nach Jerusalem.
Was er nicht wußte, war, daß er am gleichen Tage sein Leben verwirkt hatte. Die allerhöchste Macht im Staate verurteilte ihn ohne Erbarmen und langes Besinnen zum Tode. Man stellt sich einer Bath-Seba nicht ungestraft in den Weg. Das Schwert war über Joab, als hätte heimliche Feme ihn gezeichnet. Und es wird trotz aller Verdienste um König und Volk niederfallen auf ihn und ihn erschlagen zu seiner Zeit. Denn was wiegt höchstes Verdienst eines Mannes gegen die Rachegier einer beleidigten Frau?
Der wackere Joab erfuhr bald genug, daß er besser getan hätte, aus dem Maelstrom am königlichen Hofe sich fernzuhalten. Absalom war nun da, das hatte Bath-Seba nicht hindern können. Aber damit gab sie ihre Absichten nicht auf. Der willensschwach gewordene David, der sonst keine ruhige Minute gehabt hätte, beschwichtigte ihren Zorn mit dem Versprechen, den Zurückgekehrten nicht sehen zu wollen. Zwei Jahre weilte der Prinz in Jerusalem, aber doch in der Verbannung. Auf dem Zion durfte er sich nicht zeigen. Er raste über die Beschimpfung, alle Annäherungsversuche blieben vergeblich. Joab sollte helfen – hatte er ihn aus Geschur geholt, so war es seine Aufgabe, ihn auch völlig mit David zu versöhnen. Aber Joab wollte nicht. Er hatte Ärger genug, begegnete überall feindseliger Stimmung, unfaßbarer Gegnerschaft, kleinlichen Nadelstichen im Dienst. Laffen und Lümmel, deren Augen frech höhnten, ohne daß man dreinfahren konnte, da der Mund von widerlichem Schmeichel überfloß – es war ein rechtes Dornengestrüpp für einen alten Haudegen. Auch wollte er gegen den ausgesprochenen Willen des Königs mit dem Kronprinzen nicht in Verkehr treten. Das schmeckte nach Fronde und nichts war ihm so verhaßt. Absaloms hochfahrender Sinn hatte für die Schwierigkeiten des Generals gar kein Verständnis und Mitgefühl. Gehorchen sollte er – befahl nicht sein künftiger König? Und er fand ein sehr drastisches Mittel, den Widerspenstigen zu sich zu zwingen. Er ließ sein bestes Gerstenfeld, dem seinen benachbart, anzünden. Das half. Joab trat an. Man muß die Kinder nur mit der richtigen Rute züchtigen.
Als er ihn erst einmal bei sich hatte, wußte der gewandte Prinz den ungelenken Heerführer, dem nie recht zum Bewußtsein kam, wie schmählich man sein Ansehen, seine Beliebtheit im Volke und den Ruhm seiner Schlachten als Mittel für alle möglichen Zwecke unsauberer Dynastenpolitik mißbrauchte, bald zu überzeugen; seine oberste Pflicht war es, den Zwiespalt zwischen Vater und Sohn zu beseitigen. Joab folgte – das Wort Pflicht schlug alle Bedenken tot. Was schadet es, wenn das eigene Gerstenfeld im königlichen Dienst verbrennt? Dank vom Hause Isai? Wer rechnet damit, wer rechnet darauf? Das Gefühl der Erkenntlichkeit gehört in die Niederung kleinbürgerlicher Gesinnung. Der König aber steht einsam auf dem Gipfel der Gottähnlichkeit. Seine Huld ist Gunst und Geschenk. Und sein Dank besteht darin, daß er von seinen Untertanen stets aufs neue Opfer entgegennimmt. Joab wagte es zum zweiten Male, und es gelang in einer von Bath-Seba schlecht bewachten Stunde abermals. Absalom war gleich zur Stelle, der langentbehrte Anblick des Lieblingssohnes schmolz den künstlich aufrechterhaltenen Zorn. David umarmte und küßte den Kronprinzen. Joab stand gerührt und im Bewußtsein einer guten Handlung dabei. Jetzt mußte doch alle Welt zufrieden sein. Törichter Joab! Ein Frauenfuß zerreibt einen Käfer im Sande.
Absalom sah klarer als der wackere Vetter. Nun er bei Hofe wieder ein- und ausging, nicht nur auf Haremsbotschaft angewiesen war, sondern mit eigenen Augen prüfen konnte, sich auch wieder Mißvergnügte und Stellungerhoffende ihm zuwandten, erkannte er bald, daß trotz der Aussöhnung mit dem König seine Thronfolge gefährdet war. Und er beschloß, tatenlustig und klug wie er war, so rasch wie möglich zu handeln.
In aller Stille traf er seine Vorbereitungen. Selbst seine guten Freunde und vertrauten Gefährten, längst erkauft von der Partei Nathan-Zadok-Bath-Seba, wußten nichts Gefahrdrohendes zu melden. Der Prinz nahm sein früheres Leben eines vornehmen Müßiggängers wieder auf. Tonangebend in der Mode war er stets gewesen, jetzt trieb alle junge Männerwelt, seinem Beispiele folgend, geradezu einen Kult mit der eigenen Haartracht. Sie zu immer künstlerischen Gebilden zu ordnen, war wichtiger als Staatsgeschäfte. Der Ehrgeiz, bei dem alljährlich einmal stattfindenden Haarschnitt die längsten und schwersten Locken vorzuweisen, verzehrte die Gedanken der jungen Männer. Politik ist ein Wort fürs Naserümpfen, es riecht sauer und schal. Mochten sich die Greise um den Unsinn bekümmern. Die Jungmannschaft (die lose) pflog zärtliche und anmutige Gespräche miteinander, bewegte sich in lässiger und gezierter Haltung in den Straßen, allenfalls schwang sie sich in der Abendkühle dazu auf, nach gemessenen Rhythmen sonderbare steife Tanzschritte zu machen. Glück oder Unglück des Vaterlandes bekümmerte sie herzlich wenig.
Keiner aber konnte das Vorbild erreichen. Absalom war der geschmeidigste, hatte die schönste Frisur, zeigte das blasierteste und am stärksten gelangweilte Gesicht, wenn man von ernsten Angelegenheiten redete. Die Frauen schwärmten für ihn. Sein Eintreten für Thamar hatte ihren Stolz gekitzelt, seine Erscheinung entzückte ihre Augen und entzündete ihre Begierden. Kostverächter war er auch nicht; in aller Eile hatte er vier Kinder erzeugt. Sein Name wurde in häufigen galanten Abenteuern geflüstert, seine hervorragenden Leistungen auf dem Hauptgebiete weiblichen Interesses wurden unter allen Siegeln aller Verschwiegenheiten von Harem zu Harem mit mancherlei pikanten Einzelheiten gerühmt. Auch beim gemeinen Volke war er beliebt. Und hier nicht nur bei den Frauen. Die Männer gewann er durch seine schlichte Leutseligkeit. Nie duldete er den ihm als einem Prinzen zukommenden Gruß des Niederwerfens auf die Erde. Bevor einer zum Kotau gelangte, hatte er ihn schon ergriffen, zog ihn an sich und küßte ihn, als wäre er seinesgleichen. Wirklich, ein feiner, ein sehr sympathischer junger Mann, nicht so hochnäsig wie sonst die Vornehmen – da konnte sich mancher ein Beispiel nehmen.
So sprach das Volk und jeder war vergnügt, ihn zu sehen, und man sah ihn immer und überall. »Unser Prinz« – »unser Absalom« – als gäbe es nur den einzigen Davidsproß; man war stolz auf den Kronprinzen. Er war wirklich seines erhabenen Vaters echter und würdiger Sohn. Wie einst der junge David Saul in den Schatten und sich selbst ins hellste Licht der Sonne Volksgunst zu stellen verstand, so stahl nun Absalom die Herzen der Männer. Über die Mauern und Zinnen der hohen Stadt Jerusalem hinaus flog seine Beliebtheit ins weite Land hinein. Denn auch wenn er vor dem Tore der Stadt, am Versammlungsort aller Müßiggänger, dem Markt der Neuigkeiten und gesprochenen Zeitungen, sich aufhielt, handelte er wiederum wie einst Vater David: sehr klüglich. Für jeden Nachbarzwist, jeden Viehhandel, jede Eheschwierigkeit der in der Stadt rat- und hilfesuchenden Bauern bezeugte er Interesse, hörte geduldig den verwickelten Auseinandersetzungen und Klagen zu. Jeder hatte nach seiner Meinung vollständig recht. Wobei es nichts verschlug, auch einmal zwei entgegengesetzte Parteien zu verschiedenen Zeiten anzuhören und ihnen beizupflichten. Es konnte doch niemand im Ernst von ihm verlangen, daß er den gleichgültigen und langweiligen Blödsinn behielt und auseinanderhielt. Die Hauptsache war, daß der Fremde den Schlußrefrain im Ohre hatte: »Ja, lieber Freund – das ist nun meine Ansicht – und sie stimmt ganz mit der deinen überein, und wie gern würde ich dir beistehen. Aber ich bin ein Mann ganz ohne Einfluß beim König – ja, wenn ich Richter wäre in Israel, da würde jedem sein Recht – und natürlich vor allen andern dir das deine–…«
Wenn dann der so Beglückte zurückkam in sein Dorf, womöglich ohne seine Sache bei Gericht vorgebracht zu haben, müde von der Reise, den Laufereien, Scherereien oder gar nach verlorenem Prozeß, dann brannte doch die milde Flamme dieses Trostes in ihm: Einer war da, der hatte volles Verständnis für die Schlechtigkeit des Nachbarn, der den Grenzrain abgepflügt, einen hochgeborenen Mann gibt es in diesem verwünschten Wasserkopf Jerusalem, der hat ein Herz für die Nöte des Volkes – ach, wenn nur erst Absalom König wäre! Die Erzählungen der Heimgekehrten waren Send- und Werbeboten, gewannen Anhänger im ganzen Lande und es bildete sich, den einzelnen ganz unbewußt, überall eine große Partei der Absalomiten.
Allzulange ließ sich freilich dieses Spiel nicht unbemerkt fortsetzen. Absalom wußte das wohl; schon daß er scheinbar nur aus Lust an Prunk und Glanz sich eine Leibwache von fünfzig Trabanten hielt, kostbare Wagen und Rosse anschaffte, verstärkte den Strom des Mißtrauens bis zur Überschwemmung. Er mußte eine rasche Entscheidung herbeiführen, aber dazu bedurfte er wenigstens einer zuverlässigen Stütze. Er dachte an Joab, aber er verwarf den Gedanken schnell. Der war imstande, bei der ersten Andeutung zum Könige zu laufen und alles zu verraten und zu verderben. So hielt er anderweit Umschau unter den Großen und fand bald den Richtigen. In Gilo lebte Ahitophel, ein Fürst im Eigenen, aber häufig zu Hofe berufen, denn er galt als der klügste Ratgeber seiner Zeit, und gerade daß er es verschmähte, dauernd ein Hofamt zu bekleiden, und seine stolze Unabhängigkeit sich erhielt, machte ihn zum eigentlichen Leiter in allen ernsten Staatsangelegenheiten. Er war in Wahrheit der Großwesir, hatte auch den hohen Titel »Freund des Königs« erhalten, und seine Entscheidungen achtete jedermann, auch David selbst, als wären es Ratschläge Gottes. Bei der Priesterschaft, die den Abbau des einträglichen Orakelgeschäftes befürchtete, war er infolgedessen nicht beliebt. Auch kränkte seinen heimlichen Ehrgeiz und seine Eitelkeit, daß in letzter Zeit der Arachit Husai großen Einfluß bei David gewonnen, gleichfalls befragt wurde und jüngst gleich ihm zum »Freund des Königs« ernannt worden war. In diese Stimmung hinein fiel die Annäherung Absaloms, der klug genug war, sich scheinbar bedingungslos ihm unterzuordnen. Ahitophel prüfte die Anordnungen des Kronprinzen, erkannte sie als sehr gut und nahm ohne langes Zögern seine Partei. Der Helfer war gewonnen, der Aufstand brach los.
Unter dem Vorwand einer Pilgerfahrt nach Hebron nahm Absalom Urlaub. Zweihundert seiner Zech- und Modefreunde zogen mit, ahnungslos, zu welchem Tanz sie eingeladen wurden; sie versprachen sich viel Abwechslung und Vergnügen von dieser Spritztour. Gleichzeitig erging Botschaft an alle Stämme und verbreitete das Gerücht, Absalom werde in Kürze König werden. Ob mit Davids Zustimmung, blieb im ungewissen; man sprach und hörte nur das Hin und Wider. Erregung wurde gesät, die Nerven gespannt und die Stimmung für Absalom gewann Oberhand. Sobald die Posaune ertönte, und damit ein besonderes Ereignis sich ankündigte, mußte sich überall die zusammengepreßte Erwartung auslösen in den Ruf: »Heil, König Absalom!«
Alles ging planmäßig. Ahitophel fand sich pünktlich in Hebron ein, beim Opfer wurde Absalom zum Herrscher ausgerufen, alle huldigten ihm, auch die zweihundert Verblüfften mußten es wohl oder übel tun. Der Zulauf aus der Umgebung war stark. Die Mißwirtschaft bei Hofe, das Frauenregiment hatten den Boden bestens vorbereitet, Absaloms Beliebtheit, seine herzgewinnende Freundlichkeit, sein bedrohtes Thronfolgerecht, die Sympathie der Weiber, die ständig neuigkeitsdürstende Unruhe der Männer, die Autorität Ahitophels – David hatte sein Königtum verloren ohne Schwertschlag, über Nacht – und Bath-Seba war eine gemiedene Bettlerin.
Widerstand? Vergeblich – auch Jerusalem war übergegangen. Daß zweihundert Söhne aus den besten Familien mit nach Hebron gezogen waren, offenbar doch in vorheriger Kenntnis und im Einverständnis, daß gleichzeitig die Begeisterung für Absalom in allen Teilen des Landes aufflackerte, und daß gerade in Hebron, von wo David ausgegangen war, in seinem eigenen Stammland Juda also, Absalom gesalbt wurde, nahm dem König jeden Mut zur Wehr. Noch mehr lähmte ihn, daß der Lieblingssohn ihn überfallen hatte. Der Gedanke, gegen ihn zu kämpfen, war ihm unerträglich. Schließlich hatte Absalom ja nur an sich gerissen, was ihm über kurz oder lang doch gebührte und – eine Stimme im Innern Davids sagte es – er hatte recht getan. Wer weiß, wohin sonst Bath-Sebas Drängen geführt hätte. Und noch eine andere Stimme sprach und gemahnte an alte Zeiten, weckte die Toten auf in Davids Erinnerung und flüsterte von Vergeltung und göttlicher Gerechtigkeit und der Buße für die Sünde des Vaters im Verhalten des Sohnes – all dies zusammengefaßt in einem Wort und Klang und Bilde: Saul!
Am liebsten hätte David abgedankt. Er war so müde. Aber das erlaubte seine engere Umgebung nicht. Denn nicht nur Bath-Seba, auch die Priester – in diesem Punkte ging selbst Abjathar mit der Königin – die Beamten und das ganze Hofgeschmeiß fühlten sich in ihrem Wohlsein, ihrer wirtschaftlichen Existenz, ja in ihrem Leben bedroht. Ein neuer Herr bringt neue Knechte mit. Es wäre noch schöner, wenn ein Urwaldbaum keine Rücksicht auf die ihm Kraft und Wurzelsaft aussaugenden Schlinggewächse nehmen wollte. Ein König mag der absolute Herrscher und Herr eines großen Volkes sein, er bleibt abhängig von denen, die von ihm leben, bleibt der getreue Sklave seiner Dienerschaft.
David mußte also fliehen; in der Stadt konnten jede Stunde Vorposten seines Sohnes eintreffen, um ihn gefangen zu nehmen, höchste Eile war geboten. Der ganze Hof, Harem und Gesinde zogen, kaum mit dem Notdürftigen bekleidet und versehen, voran, die Leviten erschienen insgesamt, Zadok wollte die Bundeslade mitschleppen zum Zeichen, daß das Symbol des Gottesgnadentums nicht bei Absalom weilte. Der laue Abjathar widersprach nicht geradezu, aber David lehnte ab. In seiner inneren Zerrissenheit, mit halbem Gefühl auf der Seite des Sohnes, wollte er den Ausgang des Streites dem Zufall überlassen, zu Schärfe und mannhaftem Widerstand war er trotz des zähneknirschenden Unmutes seiner Kriegshelden nicht zu bewegen. Er beabsichtigte sogar, die gathitische Leibwache, die er aus der Zeit seines Aufenthaltes im Philisterlande her sich gebildet und stets auf die Sechshundertzahl von damals ergänzt hatte, in die Heimat zu entlassen; dies scheiterte nur an der mannhaften Festigkeit ihres damaligen Führers Ithai. David gab offenbar seine Sache völlig verloren. Nur mit Mühe konnte man ihn bewegen, mit einem geringen Zeichen den Gedanken seiner Herrschermacht noch aufrechtzuerhalten. Zehn Kebsweiber ließ er im Palast zurück. So verblieben sinnbildlich seine Heimstätte und sein Königssitz in Jerusalem. Ein Herrscher ist noch nicht völlig aus seinem Lande flüchtig und verschwunden, wenn er Liebe zurückläßt. Freilich ist Volkesliebe besser als die von Nebenweibern.
Damit stand es sonderlich. Jerusalem hatte ihn verraten. Das war nicht zu bezweifeln. Des Königs Weiber und Kinder mußten heimlich und hintenherum in Sicherheit gebracht und bei den letzten Vorstadthäusern gesammelt werden, die kostbare Bath-Seba zuerst, denn sie hätte die Masse sicherlich, wenn sie ihrer habhaft geworden wäre, mit Steinen überschüttet. Und nicht mit Edelsteinen, wie sie es gewöhnt war. Die Leute sind oft so roh. Morgen war Absaloms Tag. Seine jugendliche Kraft grüßten alle, Männer, Männlein und Frauen streuten Palmenzweige, riefen Hosianna und sangen Halleluja – Aber heute begleiteten David auf seinem Auszug allgemeines Weinen und Wehklagen, Trauer des Schlächters, der das Lamm zu seinem großen Bedauern töten muß, Mitleid des zarten, zärtlichen Fräuleins, die das Blut einer Taube zur Ohnmacht erschreckt, sie dann aber doch wohlschmeckig verspeist und zum besten ihrer holden Leiblichkeit gemächlich verdaut. Unerforschbarer, unausgeglichener Gegensatz von Grausamkeit und Hingebung in der Natur der drei immer Schwachen und Schwankenden, immer Gewaltigen und Zerstörenden – Kind, Weib, Volk. Daneben aber noch ein Besonderes: König David war sehr alt. Und er heimste dadurch den seltsamen Gewinn aller lange Regierenden ein. Mögen sie unbegabt, eigensüchtig, gefährlich sein, war auch ihre Herrscherzeit ausgefüllt mit verlorenen Kriegen, unglücklicher und unfähiger Politik im Innern und nach außen, starrem Festhalten an überlebten volks- und neuzeitfeindlichen Anschauungen, dynastischer Engstirnigkeit, religiöser und kultureller Beschränktheit, führten sie selbst ein Familienleben, das eine Sammlung von Verbrechen, Entartung, Wahnsinn und Erbärmlichkeit bedeutet (wie dies vorgekommen sein soll. Und nicht nur einmal. Und nicht nur vorzeiten) – gleichviel – das Alter spendet ihnen die Gloriole ehrfürchtiger Verehrung. Gesegnet sei das Alter! Die Königssippschaft hat guten Grund, dichte Nebel über alle Zweige der großen Familie zu wälzen. Es gehört zu ihrer Kunst, vergessen zu machen und selbst schnell zu vergessen. Haß, Liebe, Feindschaft, Freundschaft und – wenn es sich um gute Ehemöglichkeiten handelt – auch die religiöse Überzeugung muß man rasch wechseln können. Langmütig sind die Völker, gläubig und sentimental. Alles Unrecht, das ein unfähiger und bis zur Bösartigkeit verdummter Herrscher über sie gebracht, schmilzt in dem Satz zusammen: »Er hat soviel Unglück erlitten – und nun ist er doch so ein alter, alter Mann–…«
Dies Mitgefühl der treuherzig-grausamen Empörer brachte in David einen Umschwung hervor. In der tiefsten Niedergeschlagenheit regte sich das Königsbewußtsein, die süße Gewohnheit des Regierens. Noch weinte und klagte er, das Haupt verhüllt, barfuß. Vom Ölberg blickte er abschiednehmend auf das geliebte, gehaßte, heiß in Leidenschaft, Rausch, Lust und lächelnder Laune atmende Jerusalem. Ein schwacher, kränkelnder Greis, schon an der Schwelle des Todes, mußte er fliehen, verjagt, vertrieben ins Ungewisse, in Not und Elend, wie er einst den Weg begonnen, nun aber müde, oh so müde. Sein eigenes Blut stieß ihn in Schmach und Schande. Das der Erfolg eines langen mühseligen Lebens, das Ende eines großen Königstraumes. Mitleid mit sich selbst erfaßte ihn, unsäglicher, fassungsloser Jammer. Zu einem schwermütigen Scheideliede raffte sich sein Wesen zusammen. Alle erschütterte seine anklagende Klage; nie noch fand er so ergreifende Töne, nie noch sang so zehrendes Weh. Sie schrien – schluchzten – schwiegen dann und drängten sich blaß zusammen. Blickten jammervoll auf ihn, den König, den Sänger, und es zitterte in ihnen allen das alte halbvergessene Wort: David schlägt die Harfe!
Aber gerade die mutlose Trübsal der Seinen riß ihn aus seinen Tiefen. Noch einmal hob der Löwe von Juda sich empor. Seine Gedanken ordneten sich, neuer Wunsch, neuer Wille erwachte, und erstaunt sahen die nächsten, wie die Glieder sich strafften, das Auge Feuer gewann und in die zerfallene Menschenruine noch einmal Leben und Bewegung kam.
Der König befiehlt! Munterkeit und Entzücken rann über die eben Kleinlauten und Verzagten. Bis in die letzten Fasern prägt und prügelt sich die feige Lust des Gehorsams ein. Der König befiehlt! Alles ist Ohr und Haltung, beflissene Entsagung eigenen Wollens, eigenen Dürfens. Kurze, knappe Anweisungen gab David. Zadok und Abjathar kehrten in die Stadt zurück. Sie haben aufzumerken, Gelegenheit zu erkunden, Botschaft zu senden durch die Söhne Ahimaaz und Jonathan. Um dem gefährlichsten Widersacher zu begegnen, ist es notwendig, daß Husai (der wie die andern mit zerrissenem Rock und Erde auf dem Haupte sich ihm anschließen wollte!) scheinbar zu Absalom übergeht. Bedrohliche Anschläge seines Nebenbuhlers Ahitophel sind zu durchkreuzen, durch Vermittlung der Priester die Verbindung aufrechtzuerhalten. Inzwischen setzt man die Flucht fort; auf dem Wege stellten sich Hemmnisse ein, aber auch Hilfe. Ziba, der Hausmeister des Meribaal, des Enkels von Saul, führte reichlich Proviant zu, allerdings mit der Nachricht, daß sein Herr in Jerusalem verblieben und sich mit der Hoffnung trage, in der allgemeinen trüben Verwirrung vielleicht die Krone seines Großvaters für sich selbst herauszufischen. David hörte es schweigend an. Starb die Vergangenheit nie? Selbst dieser Krüppel, den er allein unter allen männlichen Nachfahren des großen Königs verschont, zu seinem Tafelgenossen gemacht und mit seinem Geschick in Frieden wähnte, hegte Feindschaft und neue Hoffnung. Fürchterlich ist die magnetische und magische Kraft der Krone. Der geringste Funke, den sie entsendet, fällt ins Blut und niemals löscht das verzehrende Feuer der Gier.
Und niemals stirbt der Haß der Unterlegenen. Der Paß von Bachurim war erreicht; von hier sah Michal einst, als sie zu David nach Hebron geführt wurde, abwärts zurück, dem verschwindenden Paltiel nach in die Gefilde ihrer Heimat. An der gleichen Stelle, an der Grenze von Benjamin, stemmte sich dem flüchtigen König alter unverjährter, unversöhnlicher Groll entgegen. Hier lebte noch die Tradition des großen Fürsten, der aus diesem Lande hervorgegangen; man hatte die Herrschaft seines Nachfolgers, des jüdischen Emporkömmlings David zähneknirschend ertragen, hatte machtlos dulden müssen, daß er die Sauliden ausrottete. Ein Menschenalter war über diese Dinge geweht, Jahr um Jahr eine dichtere Decke des Vergessens. Und doch lebten zu unterst im Bewußtsein vieler die Erinnerung und der Wunsch nach Vergeltung, und sie erhoben sich, knüpften den durch Jahrzehnte gerissenen Faden aus der Vergangenheit neu an, im Augenblick, da David ins Unglück kam und Rettung suchte im Lande Benjamin.
Simei, des Geras Sohn, aus Sauls Geschlecht, sprang ihm entgegen und mit ihm aller aufgespeicherte Zorn, alle unterdrückte Wut, aller Ingrimm der Besiegten und Unterjochten – und vielleicht die Stimme der Wahrheit. Fluchend und schimpfend, aus haßverzerrtem Munde, tobte der Entfesselte alles aus sich heraus – endlich, endlich! – was er tagein, tagaus in seinem Herzen bergen mußte und was die krampfige Zuckung des ohnmächtigen Grolles auch seiner Stammesgenossen, seiner Freunde war: »Fort mit dir – fort mit dir, du Bluthund, du heilloser Mann! Jetzt wird dir alles Blut vergolten, das du vergossen hast vom Hause Sauls, um König zu werden an seiner Statt. Jetzt kommt ebenso dein Reich an Absalom, deinen eigenen Sohn. Und du steckst endlich in deinem wohlverdienten Unglück, du Bluthund, du Bluthund!«
Rasend fuhr Abisai, Joabs Bruder, auf. Hinüber wollte er über die schmale Schlucht, die sie von dem frohlockenden, scheltenden, geifernden Mann trennte, der sich gar nicht genug tun konnte, wie ein Toller hüpfte und kreischte und brüllte. Den Kopf muß man ihm abschlagen, abreißen mit einer Hand; zertreten diesen Elenden, diesen Schurken, dieses Aas von einem toten Hund, das sich erdreistet, den König zu besudeln. Und Joab, ohne ein Wort zu sprechen, schickte sich gleichfalls an hinüberzueilen.
Aber David hielt die Söhne der Zeruja zurück. Die Beschimpfungen des Simei empfand er als Gottesgeißel. Sollte der feindselige Fremde Nachsicht üben an seinem Alter, das der eigene Sohn schmachvoll bespie? Hatte ein Mann vom Blute Sauls nicht Ursache, ihm zu fluchen? Sprach nicht das göttliche Gericht, vielleicht die göttliche Vergeltung aus seinem Munde?
Joab und Abisai und die übrigen im Gefolge verstanden solche weichlichen Regungen nicht – wirklich, der König begann kindisch zu werden. Aber sie fügten sich. Jetzt durfte keine Meinungsverschiedenheit in ihren Reihen aufkommen. Schamzerfressen duldeten sie, daß dieser freche Bursche den ganzen Weg entlang, der zu beiden Seiten der Kluft führte, sie geleitete. Diesseits sie, er jenseits. Unaufhörlich bewarf er David und seine Leute, die schweigend dahinzogen, mit Steinen und Erdklößen und unaufhörlich gellte sein Abscheu. Noch als sie zum Nachtquartier in den nächsten Ort einrückten, klang der schrille Schrei in ihren Ohren, die Mahnung an vergangene Sünden. Zum Tag erstandenes Gespenst aller, die David bei seinem Aufstieg rückhaltlos zerschmetterte und ins Elend niederstieß: »Du Bluthund! Du Bluthund!« Er aber, den der Schlummer floh in dieser Nacht, der in die tiefsten Gründe seiner Seele schachtete, allein mit sich und dem Schauer seiner Taten – sank zusammen vor diesem, vor dem wahren Gesicht des Volkes – vor der unbetrüglichen Stimme der Gerechtigkeit. So also würde sein Andenken, sein Name zu den künftigen Geschlechtern wandern. König David – der Bluthund! Ein Thron zerbrach, aus Selbsttäuschung und Selbstgefälligkeit gezimmert. Saul erhob sich aus dem Grabe, Saul siegte. – Hilflos wand David sich vor den Erscheinungen seiner gehetzten Phantasie. Furchtbar! – Die Rache vom Stamme Benjamin.
Aber der Morgen bannte freundlich den Alpdruck. Gute Botschaft kam, die Söhne der Hohenpriester brachten sie. Nicht ohne Lebensgefahr hatten sie den König eingeholt. Husai und ihre Väter Zadok und Abjathar hatten ihnen durch eine Magd Nachrichten für David übermittelt. Auf dem Wege aber fielen sie Spähern Absaloms auf, und hätte nicht eine listige Bäuerin ihnen geholfen, sie in einem Brunnenschacht versteckt, ein Tuch darüber gebreitet, scheinbar harmlos Linsen darauf verlesen und die Häscher auf falsche Fährte geleitet, so war ihr Leben Rauch vorm Höhensturm. Nun aber waren sie da, man horchte ihrer Erzählung; die Dinge standen nicht ungünstig. Die Priester waren treu und geschäftig, und die Hauptgefahr war dank der Schlauheit Husais, dem Absalom sein Überläufertum glaubte, abgewendet. Dies hatte sich begeben: Der Einzug des Prinzen in Jerusalem war ein Freudenfest und Triumphtag. David war vergessen, hatte nie gelebt, war tot – selbst der Bundeslade hatte man nicht so zugejubelt als dem herrlich anzuschauenden, in seiner Jugendfrische und männlichen Schönheit leuchtenden Kronprinzen. Nach allen Seiten grüßte er huldvoll und lächelte dem beglückten Volke zu. (Ekelhafte Komödie das! – Aber es muß sein. Die Zeit für Peitsche statt Honig kommt hoffentlich bald.) Kein Widerstand, kein Widerspruch – alle drängten sich, dem neuen Herrn zu huldigen, nur ja unter den ersten zu sein, die in den Lichtkreis seiner erhabenen Augen, in den Streukegel zu erwartender Belohnungen, Titel, Abzeichen und sonstiger Gnadenbeweise kamen. So ergriff Absalom unangefochten Besitz von der Stadt, von der Burg, von der königlichen Würde, von den Herzen und Köpfen seiner Untertanen. David war ausgelöscht – kein Schatten von ihm verdunkelte den Sonnentag, nichts ätzte Rost auf den Schimmer von Absaloms Krone. Gar nichts? Aber doch, da war noch der Haremsauswurf, die zehn Kebsweiber, die David zurückgelassen, ein Mahnen seiner Gegenwärtigkeit. »Steinigt die Königshuren!« »Ersäuft die geilen Katzen!« »Stürzt die schnatternden Vögel, das Ungeziefer, das dem Volk das Blut aussaugt, vom Dache auf die Straße!« Alle waren entrüstet, die Weiber voran, besonders die, die manchmal vom Mitleid des Harems Abfälle aus der Hofküche oder sonstige Bettelgunst erhalten hatten. Zitternd, zusammengedrückt, unflügge Strandvögel im versandenden Nest, ahnten die von aller Welt Verworfenen das Meer der Verachtung und der Mißgunst, das sie umbrandete und zu verschlingen drohte. Aber der weitschauende Ahitophel wußte Besseres, was ihnen Rettung brachte. Die Anwesenheit der Kebsweiber sollte dem entflohenen König den Schein der Herrschaft aufrechterhalten. Dieser Nimbus mußte zerstört werden. Zerstreut durch eine Tat, die zugleich die völlige Demütigung Davids bedeutete, seine Majestät wegblies, ihn in seiner Hausehre tödlich beschimpfte, unter die Niedrigsten der Niedrigen stellte und Absalom unwiederbringlich von ihm löste. Denn Ahitophel als einziger ließ sich vom Rausch der Stunde nicht betäuben. »Der Freund des Königs« wußte, daß man nur mit gesammelter und ganzer Energie das schwere Beginnen vollenden konnte. Zaudern, Plaudern und Schaudern ist die Trikolore des Untergangs. Man hatte gewonnen, man saß auf dem Zion – der Feind war flüchtig. Aber dieser Feind hieß David! David – immer noch! Und Joab und Abisai – und wahrscheinlich Zadok und Abjathar – und bestimmt, o sehr bestimmt: Königin Bath-Seba.
Ganze Arbeit! Und mit Erschauern, in stummer, atembeklemmender Ergriffenheit, aber auch von Wellen der Neugier, der sinnlichen Erregung, von plumpem Kitzel und lüsternem Behagen übersprudelt, wohnte das Volk von Jerusalem einem nie geahnten, unausdenkbaren, grandiosen und verruchten Schauspiel bei. Auf dem Dache des Palastes hatte Ahitophel ein Zelt errichten lassen, offen dem Anblick der Straße. Dorthin hatte man die zehn Frauen zusammengetrieben; Absalom, der König, Absalom, der Mann, trat mit festem Fuße ein; Herrschaft ergriff er auch über das verborgene Geheimnis und die Ehre des Vertriebenen. Vor den Augen von ganz Israel ging er ein zu den Frauen seines Vaters.
Das war eine unruhige Nacht. Sinnlichkeit und Unzucht feierten in den Häusern, in allen Winkeln und Ecken, auf den Dächern, auf den Gassen. Man war aufgewirbelt, lachte verzückt, sprach mit hastiger, ausmalender Andeutung von den Vorgängen im Palast. Aber jedenfalls – einen stärkeren Beweis des völligen Sieges gab es nicht. Wer diese Schändung wagte, mußte seiner Sache ganz sicher sein. Die Kühnheit seines Frevels gab ihm noch mehr Ansehen, gewann die etwa noch zaghaft zurückhaltenden Gemüter. Am andern Morgen war die letzte Spur von David in Jerusalem erloschen. Der kleine Teil seines Harems, den er nicht mitgenommen auf die Flucht, war verschwunden, aufgesogen und untergetaucht im Besitz des Nachfolgers. Absalom hatte seinen alten Ruf auf das beste bewährt. Kichernd raunten es sich die Mägde am Backofen zu, die Frauen in den Stuben und öffentlichen Bädern. In dieser Nacht hatte er die wenigen, die sich zu seinem Vater hatten bekennen müssen, durchaus erobert. Die zehn Kebsweiber waren von seinem Recht und seiner Kraft überzeugt. Mit Leib und Seele gehörten nun auch sie zur Partei der Absalomiten. Besonders mit dem Leibe.
Hätte Absalom auch dem zweiten Ratschlag Ahitophels zugestimmt, so hätte Bath-Seba sich und den jungen Salomo nur gleich erwürgen können, um dem Tod durch die Hand des Henkers zuvorzukommen. Ganze Arbeit – nicht nachlassen! Der Wesir wollte selbst aufbrechen mit der schnell zusammengerafften Mannschaft; auf zwölftausend etwa rechnete er, die im ersten Taumel sich mit dem Feldgeschrei »Glück zu dem König Absalom« betäuben und ihm folgen würden. Ein schneller Nachtmarsch, hinter David her – ehe der vom Schrecken sich erholen, Freunde, Bundesgenossen sammeln kann, wird er erfaßt; er ist müde, vom Schlaf benommen, von der Reise abgespannt; wie eine Windsbraut stieben die auserlesenen Krieger über ihn her, seine schwache Begleitung flieht, verwirrt, verworren – David bleibt allein – David bleibt–…!
Ein kühner, kluger, tapferer Plan. Auch Absalom leuchtete das ein; er wäre ihm schnell gefolgt, zu seinem Heile – wenn er noch so unbefangen die Dinge und Menschen gewertet hätte wie ehegestern. Aber inzwischen war er König geworden. Das aber ist ein schweres Fieber. Noch war seine Stellung nicht befestigt und gesichert, aber das Eitergift der ungalanten Königskrankheit zehrte schon an ihm: das Mißtrauen. Ein König ist niemandes Freund – niemand ist der seine. Allenthalben umspinnen ihn lauernder Verrat und Scheelsucht. Sein Weib, seine Kinder, der Thronfolger voran, sind seine schlimmsten Gegner, sie gönnen ihm das frohe Recht des Spitzenrittes nicht. Sie ducken sich seinem Spruch, aber sie trachten, ihn unversehens zu überholen. Wohl weiß er es, fühlt sich vereinsamt und verfolgt, doch ist es unabwendlich. Man kann nicht zugleich Höchstes sein und Höchstes haben. Herrschaft oder Liebe – beides wird keinem gewährt. Die Fürsten stehen außerhalb des Kreises still-friedlicher Menschen, deren niederes Glück sie meiden und neiden, sich verwehren und doch begehren. Frost ist um sie, Frost in ihnen, ihr Herz, ihr Gehirn ist vereist. König sein ist eine ewige Winternacht.
Dazu die immerwährende Angst vorm Sturz, vorm Aufruhr, vor den unheimlichen Gewalten der Tiefe, die man niederzwingen, ersticken muß, um sich selbst im Gleichgewicht auf schmalem Gipfelgrat zu halten, und die doch losbrechen, irgendwann, irgendwo den Purpur zerfetzen, in den Abgrund reißen und die Fahne der vermeintlichen Freiheit aufpflanzen auf den Trümmern der zerschlagenen Tyrannei. Das unaufhörliche Beobachten und unruhige Spähen, ob sich ein Nebenbuhler um die Gunst des so eifrig gehaßten, so schwer gefürchteten Pöbels zeigt; fortwährend die Nervenschminke aus der Büchse der Leutseligkeit ins leichenfahle Gesicht geschmiert, fortwährend zureden und die Bestie krauen und darauf achten, ob's nicht ein anderer noch besser versteht. Aufpassen, daß keiner, auch der erste Ratgeber, der geniale Feldherr nicht zu groß, daß er nicht mächtig wird. Jeden ausnutzen bis zu seiner Erschöpfung und wegwerfen, wenn er's am wenigsten erwartet. Ahitophels Rat war gut, sehr gut – also befrage man Husai! Ahitophel muß merken, daß er nicht der einzige, nicht unentbehrlich ist, daß der König handelt und entscheidet nach seinem Willen. Er hat uns nach Jerusalem gebracht – jetzt sind wir hier – König sind wir – zähme deine Ungeduld, Ahitophel – lerne erkennen, daß du nur ein Handlanger bist – dein Aufbrausen macht dich nur verdächtig, dein Hinweis, daß man nicht säumen dürfe, nützt dir nichts. Wichtiger als alles ist, daß du selbst nicht zuviel Erfolg erzielst. Bäume dich auf, Ahitophel – aber beuge dich. Du hast gesprochen, wohl – man höre Husai!–…
Der Arachiter kam – lächelte – lauschte – stimmte begeistert zu. »Ein guter Gedanke, den der Meister aller Meister entwickelt, ausgezeichnet – ganz vortrefflich – nur freilich – nur ein kleines Aber – oh ganz belanglos – dennoch – vielleicht zu erwägen–… Davids Gefolge ist tapfer und dem König ergeben; sie werden kämpfen, es geht um ihr Leben. Überraschen wird man sie schwerlich. Ein Joab leitet den Rückzug, der weiß ihn zu sichern, Wachen auszustellen–… Zwölftausend rechnet Ahitophel? Wundervoll – und wenn's auch nicht ganz soviel sind und wenn sich unterwegs Memmen absondern – es bleiben immer noch genug, den Kampf mit Ehren zu bestehen – wahrscheinlich wenigstens – sehr wahrscheinlich – allerdings das Gelände ist schwierig – ein anstrengender Nachtmarsch schwächt – Davids Leute sind ausgeruht, kampferprobt, seine Söldner geschult, wetterhart, Bären, denen man die Jungen geraubt – unsere Leute kann man in der Eile nicht genau mustern – die Möglichkeit eines Fehlschlages ist gegeben (aber die ist ja stets vorhanden) – Ahitophel hat ganz recht – der erste Eindruck ist entscheidend – aber wenn er nun ungünstig wird? – Wenn man nur etwas mehr Zeit hätte–… dann könnte man ganz Israel aufbieten von Dan bis Berseba, das ganze Heer. Der König Absalom, der jetzt die Hauptstadt noch nicht verlassen kann, selbst an der Spitze, das ist das wichtigste – das ist der sichere Sieg – und so über David her! Auf ihn und seine Leute! Sie würden kleinmütig werden, das ganze Volk gegen sie – der allgemein anerkannte, beliebte, machtvolle, neue König ihnen gegenüber – vor seiner Erhabenheit würden sie die Waffen wegwerfen, sich ergeben. Und wenn sie selbst Widerstand leisten, so werden sie von der großen Zahl einfach erdrückt. Keiner bleibt übrig – das dauert etwas länger, aber dafür ist es sicher, absolut sicher–…«
So überredete Husai listig den unerfahrenen Absalom, so blendeten ihn sein Dünkel und der Wunsch, daß Ahitophel nicht recht haben sollte. Er winkte dem falschen Freunde, der so scheinheilig ihm zu Lobe sprach, Beifall. Und alle um ihn, die soeben noch Ahitophel auf das höchste gerühmt hatten, nickten, wie der König nickte, und sahen den Abgewiesenen mißbilligend über die Schulter an. Husais Vorschlag wurde einmütig angenommen, der Diwan geschlossen, und die Nacht verlief statt auf einer Menschenjagd viel angenehmer bei Schmaus und Trank und Fackelschein, für alle sehr vergnüglich. Absalom erfreute sich seiner früheren Frauen und des molligen Zuwachses aus dem väterlichen Bestand. Sie zeigten ihre Künste, ihre Reigen, sangen und tanzten. Und Davids Hauskapelle stellte die Begleitmusik.
Schweigend hörten David und seine Getreuen den Bericht von alledem. Nichts verriet, wie der König die ihm angetane Schmach auffaßte. Eine leichte Bewegung ging durch die Reihe der grauen, bärbeißigen, zernarbten und in der Kriegskunst erprobten Führer, als die Boten Ahitophels Plan erwähnten. Aber sie wußten sich zu beherrschen. Als aber das Ende kund ward, Husais Hilfe und Sieg, da überwog doch die Freude alle Zurückhaltung. Sie sprangen auf und lachten, jünglingsfroh. Sie wußten alle genau wie Husai: Zeit ist Sieg.
Doch der Wind konnte umschlagen. So wie sie waren, mit dem Troß des Hofstaates, Weiber, Kinder, Sklaven, Unnützes als Gepäck, des Nötigsten ermangelnd, waren sie keinem halbwegs ernsthaften Angriff gewachsen. Die bessere Erkenntnis konnte sich durchringen, Ahitophels Ansicht nachträglich die Oberhand gewinnen; sie mußten die kurze, ihnen verschaffte Atempause nutzen. Einen festen Stützpunkt brauchten sie. Hilfsmannschaft, Proviant und Waffen. Der Kriegsrat war kurz und einhellig. In Davids Lager gab es keine Eifersüchteleien und keine Zauderer. Die Jahre der Gemeinsamkeit und die Gewöhnung hatten gesiebt, geläutert, geschweißt. Die Not der Stunde war Gebieterin. Rasch wurde alles zusammengerafft; Aufbruch. In Eilmärschen nach Nordosten, aus dem unsichern Benjamin heraus, entschlossen über den Jordan; hatte Juda, der Süden, seinen Stammesfürsten verleugnet und verraten, so mußte man beim Norden, bei Israel, Zuflucht nehmen. Waren Hebron und Jerusalem abgefallen, so war der Königssitz der Israeliten Mahanaim, wo ihr letzter selbständiger Herrscher, Sauls Sohn Eschbaal, residiert hatte, der gegebene Zufluchtsort.
Die Wahl erwies sich als richtig. Freundlich und hilfsbereit nahm die Stadt den König und seine Gefolgschaft auf. Und so stark war der Ruf des großen Fürsten, der das Reich geeint und seine Grenzen in bisher ungeahnter Weise erweitert hatte, so sehr hatte seine rücksichtslose Politik aus Blut und Eisen, mit Frömmigkeit verbrämt, Gewalt über die Gehirne der Menschen gewonnen, daß selbst die unterdrückten Völker im Banne seiner frühern Erfolge blieben und ihm jetzt zur Seite standen. Sobi, der Landpfleger der Ammoniter, der als Vasall Davids im wiederaufgebauten Rabba wohnte, meldete sich zur Stelle. Sein Bruder Hanun ließ einst den Gesandten Davids zu Schimpf die Bärte halb abscheren und die Kleider hälftig abschneiden. Dadurch entfesselte er den Rachefeldzug, der mit der Unterwerfung seines Volkes, der Zerstörung von Rabba, mit seinem eigenen Tode, mit der Zerstückelung der Bewohner der Hauptstadt unter Sägen, Keilen und im Ofenfeuer endete. Sobi hatte also einige Ursache zu feindseligen Gefühlen gegen den Vernichter der Souveränität seines Geschlechtes, den Massenmörder der Ammoniter. Und doch stellte er sich als erster in Mahanaim ein. Mit ihm Machir aus Lö-Dabar, in dessen Hause einst der letzte Sproß Sauls, Meribaal, Unterschlupf gefunden hatte, bis David ihn der besseren Beobachtung wegen nach Jerusalem holen ließ. Als dritter ein Großgrundbesitzer aus Roglim im Gilead, ein achtzigjähriger, hochangesehener, fast unabhängig auf seinem unermeßlichen Besitz schaltender Mann, mit Namen Barsilai. Sie schafften sofort allen Heeresbedarf heran, Bettzeug, Decken, Töpfe, irdene Geschirre, Weizen, Gerste, Mehl, geröstete Körner, Bohnen, Linsen, Grütze, Honig, Sahne, Schafe, Kuhkäse. Wichtiger aber noch war das Beispiel, das von ihnen ausging. Die Truppe Davids füllte sich auf; die Stämme des Nordens, schwerfällig und weniger beweglich als der immer unruhvolle Süden, hielten an Eid und Gelöbnis fest, und von den fernen Grenzen her, lief Stunde um Stunde die Zusicherung unverbrüchlicher Treue und Bereitschaft. Denn dort befanden sich die Mannschaften, die David in das tributpflichtige Gebiet gelegt hatte, in die Städte der Moabiter, Amalekiter, Edomiter, und nach dem siegreichen Kampf gegen König Hadadesar von Zoba sogar in das ferne Syrien bis nach Damaskus hin. Diese von der Heimat abgeschnittenen, auf den engeren Zusammenhang untereinander angewiesenen Männer, Soldaten und Beamte zumeist, faßten den nationalen Gedanken ganz anders und viel inniger auf als die Volksgenossen zu Hause. Den Auslandshebräern war das Wort Juda-Israel das heiligste ihrer Gebete, der Name David bedeutete ihnen das Symbol der Größe des Vaterlandes, das sie auf schwerem Posten vertraten – und zugleich einen Klang der Heimat und der Sehnsucht nach der Heimkehr.
In Jerusalem blieben die Dinge nicht verborgen. Absalom und die großtuerischen Jünglinge um ihn suchten zwar, von Husai aufgestachelt, durch Spott und Hohn und in der Geringschätzung des Feindes jede Besorgnis zu betäuben. Man würde diese Hungerleider, die siechen, knochendürren Greise mit einem Fliegenwedel aufscheuchen und verjagen. Aber man bot nun doch in Eile das Heer auf, gewann Amasa, einen echten Vetter Joabs und Abisais, als Feldmarschall, was einen vorzüglichen Eindruck machte, und zog so schnell wie möglich David und den Seinen nach; lärmend, fröhlich, siegesgewiß und im vornhinein trunken vom süßen Wein des Triumphes. Absalom gab sogar schon eine Siegessäule in Auftrag. Einer aber fehlte im Hauptquartier – Ahitophel. Kein Schade drum – ist man den Alten, den mürrischen Besserwisser und eingebildeten Klugschnacker los. Absalom wird's schon allein machen–… Ahitophel hatte, nach seiner Niederlage gegenüber Husai, noch einige Tage sich verweilt, er sah den unheilvollen Verlauf, des Königs Überheblichkeit und die seiner Umgebung. Es duftete nach Festen, Protzen und Prahlen, statt nach Ernst, Nüchternheit, Arbeit.
Der Norden blieb fest – das unheilvolle Ende rückte mit raschen Schritten entgegen. »Der Freund des Königs« wußte es, das Spiel ist aus. War er kurzsichtig gewesen, so war er doch zu stolz zur Reue. Der Gang zu David war ihm, trotz allem, was geschehen, vielleicht offen. In gefährlicher Lage sind selbst Könige zu vergeben und zu verzeihen bereit – bis auf weiteres. Aber auch dies »Bis auf weiteres« war der Weisheit Ahitophels nicht verborgen. Er verschmähte es, sich zu demütigen, abermals die Front zu wechseln. – Verspielt – vertan–… handle und benimm dich nicht als kläglicher Feigling, suche dich nicht in Sicherheit zu bringen, gib ein Beispiel – sei ein Mann!
Ahitophel sattelte seinen Esel, machte sich auf und zog heim in seine Stadt. Er beschickte sein Haus, dann schlang er die Schnur um den Hals. Und er ward begraben in der Gruft seines Vaters. Bath-Seba aber hob, als die Meldung kam, nur langsam den Kopf. Fest über die schwarzen Haare strich sie das wollene Tuch. Es knisterte um sie wie Funkentanz. Geradaus blickte sie – unergründlich und starr. Kein Frohlocken, keine Genugtuung leuchtete aus ihrem Auge. Nichts verriet den sie umgebenden beobachtenden Frauen ihre Meinung. Beherrscht und unbewegt blieb sie, wie in allen diesen Stunden der furchtbaren Flucht, des sie umströmenden Hasses und der unverhohlenen Feindseligkeit. Nur ihre feinen Nasenflügel zuckten, als nüsterten sie, Raubtier vor dem Sprunge, den Dunst der nahen Beute. Und ihre Lippen, ihre Zunge formten unwillkürlich die gewichtigen Worte: »Der Erste!«
Die Nähe des Feindes wurde gemeldet, die Heeresleitung beschloß, ihm entgegenzurücken. Das ermöglichte bei ungünstigem Ausgang den Rückzug in die Festung, auch hielt Joab das offene Feld in der Nähe von Mahanaim nicht für günstig. Der Gegner war in der Überzahl und besser ausgerüstet. Man mußte also verdecktes, schwer übersichtliches Gelände suchen, um über die Geringfügigkeit der eigenen Truppe zu täuschen, Hinterhalte zu legen, den Zermürbungskampf zu führen. Im dickichten Walde von Ephraim wollte er die Schlacht aufnehmen. David erbot sich mitzuziehen, aber die Feldherren lehnten ab, er müsse in Sicherheit bleiben, im schlimmsten Falle von der Stadt her die Fliehenden aufnehmen. In Wirklichkeit schien ihnen der wimmernde Greis, der nach dem kurzen Aufflackern seiner Kräfte wieder in Apathie zu fallen drohte, nur ein Hindernis. Es ließ sich kaum verbergen, daß er nur noch als Attrappe brauchbar war. Vor den Toren der Stadt nahm er die Parade ab, Bath-Seba zu seiner Rechten, bereit ihn zu stützen, wenn er zusammenklappen sollte. Zu seinen Füßen kauerte Abisag von Sunem, aber ihn fröstelte trotz ihrer und trotz der sengenden Sonne. Er entließ das Heer mit den mechanisch geläufigen Bewegungen des Grußes; wie sehr aber seine Gedanken schon auf Wallfahrt gingen, bewies er dadurch, daß er zum letzten Abschied den Feldherren nichts anderes zu sagen wußte als: »Schonet mir den Jüngling Absalom!« Die ganze Umgebung hörte es, er nannte ihn nicht Sohn, nur Jüngling, als sei er ein Fremder; aber alle drückte es, daß die Gefühle des Vaters stärker als die des beleidigten Königs waren. Seine Sorge flog nicht mit denen, die für ihn zu sterben sich bereiteten, sondern flatterte um das Leben des Feindes.
Bath-Seba hätte den weichmütigen Schwächling am liebsten zur Vernunft zurückgezerrt. Lief diese Sache gut aus, so mußte ein rasches Ende herbeigeführt werden. So ging es nicht weiter. Ein Blick auf die Gesichter von Joab und Abisai beruhigte aber ihre Empörung. Sie nahmen den Abschiedswunsch des Königs entgegen, ehern, unbewegt die Gesichtszüge wie stets. In ihren Augen aber war ein verdächtiges und gefährliches Flimmern, das das Herz der Königin schneller schlagen ließ. Ein furchtbares Feuer, das dem hochverräterischen Prinzen nichts Gutes verhieß. Joab, der die Versöhnung zwischen Vater und Sohn herbeigeführt hatte, fühlte sich offenbar aufs schwerste verletzt und hintergangen durch den heimtückischen Abfall von Absalom. Geriet er in seine Hände – dann mochte ihm Jahve beistehen und milde sein. Von Joab war auf Gnade nicht zu hoffen.
Nur der dritte Oberkommandierende, Ithai, der die Krethi und Plethi, Gathiter und sonstigen fremden Landsknechte befehligte, nahm auch diesen Befehl des Königs mit dem gleichen Ausdruck stumpfen und unnachdenklichen Gehorsams auf wie jeden. Er und seine Leute hatten ihr Leben für Sold verworben. Der König zahlte für ihr Fleisch und ihre Knochen, nährte, kräftigte und kleidete ihren Körper, er gehörte also ihm. Ob er ein Feind ihrer eigenen Heimat gewesen oder noch war, bekümmerte sie nicht. Ihre Aufgabe war es, für ihn zu kämpfen, ihn mit ihren Leibern zu schützen gegen jedermann, wenn es das Kriegsgeschick gebot, auch gegen eigene Landsleute, Vater und Mutter. Sie waren keine Ahnen des Warum und keine Enkel des Wozu. Ihre Sache war einfach. Sie dienten, fochten, starben. Zu jener großen Rasse gezähmter Wildlinge gehörten sie, menschlicher Haustiere, die die Klugheit der Könige oft aus fremden, zank- und abenteuerlustigen, zuweilen auch aus den eigenen Völkern sich heranbändigt. Dann tragen sie die Scheuklappen Disziplin und Manneszucht, werden gut gefüttert und in zweckdienlichen Ställen gehalten, vor der Ansteckung durch Ideen aber sorgsam bewahrt. Sich ihrer völlig zu versichern, drehte die Weisheit der Regierenden aus kümmerlichen Phrasen, veralteten Begriffen, verlogenen Sentimentalitäten den festen Zaum des Kadavergehorsams und der Stupidität. Um ihre Ohren knallt die Jenseitspeitsche der Gottesangst. So lernen sie die hohe Schule der Vertierung.
Der Kampf war heftig, aber kurz. Absaloms Truppen wurden aufs Haupt geschlagen, zersprengt; das Waldgestrüpp war verhängnisvoll, fraß noch mehr als das Schwert. Panischer Schreck und wüste Verwirrung. Der König floh als einer der ersten, sein scheuendes Maultier raste unaufhaltsam querwaldein. Die Zweige einer Terebinthe verfitzten sich in den durch den raschen Ritt aufgewirbelten langen, offenen Haaren. Noch hielten die klammernden Füße des Hochgeschnellten die Kruppe des Mulus, aber bald riß sich das toll gewordene Tier los, Absalom hing frei im Geäst des Baumes. Er tastete, griff, zerrte sich zu befreien. Jeder Versuch war vergeblich. Irre Gedanken durchzuckten das Hirn des qualvoll Gepeinigten. »Ahitophel! – hätte ich ihm gefolgt! – Husai muß hingerichtet werden; jetzt erkenne ich es klar, er ist ein Verräter. Hätte ich doch David lieber heimlich ermorden lassen, statt offen von ihm abzufallen. Hört denn niemand meinen Ruf um Hilfe? Wo sind die Hunde, die Schmeichler, die Verfluchten? Amasa! Auch ein Betrüger? Ist alle Welt nur so lange königstreu, als sie sich Gunst erhofft? Den Leibfriseur will ich foltern, wie konnte er mich in den Feldzug mit wallenden Locken reiten lassen. Überhaupt die ganze Mode ist unsinnig, sie muß von Grund aus geändert werden. Ein Edikt will ich erlassen. Jedermann muß bei Todesstrafe glattschädlig gehen. Ja, ein Edikt – wenn ich nur schon von dem verwünschten Baum los wäre; das brennt und reißt wie Molochs Ofenfeuer.« Er heulte vor Schmerz. Dann verstummte er; denn plötzlich überfiel ihn die jähe Angst, er könnte Feinde heranlocken. Das Herz stand ihm still – sie würden es doch nicht wagen, sich an ihm zu vergreifen. Er war der Gesalbte des Herrn. Und wenn selbst – immer blieb er doch der Kronprinz – des Königs Sohn – oh – eh – au – huhuhu. Der König weinte, der König winselte. Auch Könige haben Nerven, sind Fleisch und Blut wie jeder arme Teufel, werden in Lust erzeugt, nackend geboren, haben Hunger, Durst, hohle Zähne, Koliken und erdulden erbärmlichen Schmerz, wenn ein Baum sie unehrerbietig an den Haaren packt und nahezu skalpiert. Absalom verlor die Besinnung und wurde ohnmächtig.
Der Waldvogel aber, der in der Nähe seiner Lockenpracht sein Nest besaß und sehr empört und aufgeregt durch die wilden Schwankungen dieses unheimlichen Etwas gewesen war, das so plötzlich in seinen Frieden hineinsauste, beruhigte sich, als das Ungeheuer endlich sanft und still wurde. Erst zögernd, dann mutiger, wagte er sich in die weiche, ölzarte Masse, die an seinen Zweigen hing, überlegte, ob er sich etwas davon für seine Nestpolsterung abpflücken könnte, zupfte, dreist und vorlaut, ließ sich keck und anmutig auf dem Haupt des Königs nieder, salbte es auf seine allerliebste natürliche Weise und tirilierte ein Jubellied, begeistert über die Herrlichkeiten dieser schönen, wunderschönen, allerschönsten Welt.
Schritte scheuchten ihn auf. Ein Mann kam durchs Gebüsch, entdeckte den Hängenden, schnitt ihn aber nicht ab, noch rührte er ihn an. Die Angelegenheit schien ihm sehr heikel. Er rannte zurück und meldete es Joab. Der machte ihm Vorwürfe; den Feind erschlägt man, wo man ihn trifft, Belohnung hätte gewinkt. Der Soldat verteidigte sich, er hatte Davids Weisung an die Feldherren mitangehört. Joab wurde ungeduldig, ließ ihn stehen, ging selbst hinzu mit drei Speeren, und stach sie alle drei dem im Winde leise schaukelnden Herrn König in die Brust. Seine Waffenträger rissen den Körper auf seinen Befehl von der Terebinthe, mochte die Frisur dabei völlig zum Teufel gehen und Hautfetzen dazu, es kam nicht mehr darauf an. Der Gespießte und zu aller Vorsicht noch gänzlich Erschlagene wurde sofort in eine Grube geworfen. Steine auf ihn, ein mächtiger Haufen. So, das war erledigt. Das starre Rechts- und Rechtlichkeitsgefühl Joabs kam wieder ins Gleichgewicht. Er sandte einen Boten zu David: »Also ergehe es allen Feinden des Königs, wie es dem Absalom ergangen ist. Also ergehe es allen, die sich auflehnen gegen die königliche Majestät und darauf sinnen, ihr Übles zu bereiten.«
David klagte und weinte, sonderte sich von den Seinen ab, stieg auf das Dach des Hauses, schritt jammernd in das Söllergemach und brummelte vor sich hin: »Mein Sohn Absalom! Mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! O Absalom, mein Sohn, mein Sohn!«
Der Schwach- und Eigensinn dieses Greises war unerträglich. Bath-Seba war machtlos, er beachtete sie heute gar nicht. Alles stahl sich scheu und verdrossen zur Seite. Das Greinen des Königs erfüllte die Luft, das Gerücht verbreitete sich durch die ganze Stadt, die Leute wurden kopfscheu, es wurde ein Tag des Leides. Das siegreiche Heer rückte an, ward betroffen, unsicher und bestürzt. Der König, dem sie Thron und Leben gerettet mit ihrer Hingabe, verschmähte ihr Werk, ehrte ihre Wunden, ihre Taten nicht, mißbilligte sie und zürnte ihnen. Dies der Lohn für ihre Treue, ihren Mut, ihre Opfer, ihren Sieg. Ein verhülltes Haupt und der herzzerreißende Schrei: »Absalom – ach, mein Sohn – mein Sohn Absalom–…«
Joab traf ein, trat entschlossen in den Palast. So ging das nicht. Das bedeutete die völlige Auflösung der Armee, und noch war man nicht am Ende. Mit allem Ernst und aller Energie redete er auf den fassungslosen David ein und bewog ihn, Haltung zu bewahren. Könige dürfen kein eigenes Leid tragen, sie trauern nicht um Eltern, ihnen sterben keine Kinder. Steinerne Götzen, ragen sie hoch über Menschenweh und persönliches Empfinden. Der Ruch von sterbendem Fleisch erreicht sie, aber erschüttert sie nicht, Krankheit und Tod, selbst von den nächsten Angehörigen, liegen unter ihnen, sind außer ihnen. Der Anbetung zeigt sich unveränderlich immer der gleiche, unbewegte, unbewegbare Koloß. Das gleiche Lächeln, das gleiche Grinsen. Auch ihr eigenes Hinscheiden ist nur eine Episode. Der König ist tot, es lebe der König! Unsterblich ist er. Immer der eine, immer derselbe. Immer dasselbe.
David riß sich zusammen, bewillkommnete die Truppen, dankte ihnen. Die Gefahr des Zerfalls war beseitigt. Bath-Seba strich an Joab vorüber, ein milderes Gefühl bewegte sie. Er hatte sich an ihr versündigt, als er Absalom heimführte, aber nun hatte er es einigermaßen gutgemacht. Die Tötung des Kronprinzen mit eigener Hand, die mannhafte Haltung gegenüber David – sie war bereit zu verzeihen, ihn zu begnadigen, gemeinsame Sache mit ihm zu machen. David konnte es nicht mehr lange treiben, Joab war nicht sehr viel jünger, aber stahlnervig, kraftgeschwängert, breit und federgelenkig; Bath-Seba fühlte sich noch in guten Jahren. Man könnte, man müßte–… ihr kleines, spitzes Zünglein feuchtete hurtig zwischen den gespitzten Lippen, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen–… Joab sah sie gar nicht an, schritt vorüber. Weiberzeug war ihm gleichgültig, die ränkespinnende Bath-Seba ekelhaft. »Gut – gut–… wie du willst, mein Freundchen. Hüte dich – wahre dich–…«
Man sandte zu Zadok und Abjathar. David wollte sich Juda wieder gewinnen, da war die Hilfe der Priester unentbehrlich. In Israel traf man schon Anstalten, den König nach Jerusalem zurückzuführen, man zankte sich nur um den Vorantritt. Aber David hing an seinem eigenen Stamm, wenn Juda ihn auch verraten hatte, so schlugen doch die Herzen der Südmänner den gleichen Schlag wie das seine. Gegen den Willen Joabs und Abisais verhieß er allen Empörern, selbst dem Führer Amasa, Amnestie. Die Söhne der Zeruja tobten innerlich, sie spürten die Hand der Königin, die ihrem Ansehen den Nebenbuhler gegenüberstellte. Aber Joab schluckte die ihm zugefügte Beleidigung hinunter. Noch war Kriegsluft; und Pflichterfüllung über allem, Sache über Person. Politisch war der Schachzug Davids klug, das ließ sich nicht verkennen. Die Ältesten von Juda sandten nach Mahanaim und boten Frieden und Versöhnung an.
Der Rückmarsch nach Jerusalem wurde angeordnet. Überall im Lande zuckten zwar noch die unruhigen Funken der Empörung. Die einmal aufgewühlte Masse hatte sich noch nicht wieder gesetzt. Die Erregung war zu stark gewesen. Die Mißstände der letzten Jahre so groß, daß das Volk, nun seine Geduld einmal aufgerissen war, die Wundheit spürte wie eine blasige Flechte. Die Haltung der Hauptstadt war ungewiß. Aber man mußte es wagen, im abgelegenen Mahanaim war langes Verbleiben unmöglich.
Am Jordan traf eine Gesandtschaft von Juda ein, den König über den Strom zu geleiten. Das war ein gutes Zeichen. Auch eine größere Zahl angesehener Benjaminiten hatte sich an der Landesgrenze eingefunden, den heimkehrenden Monarchen zu begrüßen. Ängstlich unter ihnen Simei von Bachurim. Heut war David kein »Bluthund« und »heilloser Mann« – Erfolg ist der Zauberstab, der böse in gut verwandelt; der Mann aus Sauls Geschlecht fiel vor David nieder, bettelte um Vergebung, krümmte und verbog sich und warf zu seiner Entlastung in die Wagschale, daß er als einer der ersten sich einstellte. Abisai hob den Fuß, wie einen Wurm wollte er den feigen Lumpen zertreten, der es gewagt hatte, den König in seinem Elend zu beflecken und zu verfluchen, und der jetzt wie ein Hund barmte und um den Brocken der Gnade kroch. Joab stimmte dem Bruder bei, aber wiederum hielt David ihren Zorn zurück. Er wollte keinen neuen Zwist, keine Unzufriedenheit an diesem Tage; er hob Simei auf und schwur ihm das Leben zu. Die Feldherren wandten sich ab, ihr Verstand versagte. Diese Milde und Versöhnlichkeit machte sie krank, schwemmte sie auf, spritzte ihnen Galle ins Blut. Mit Palmenzweigen schlägt man keine Schlachten. Grausamkeit heißt das Gesetz des Kampfes, den Feind muß man vernichten, nicht schonen. Zitternde Unterwerfung und heulende Angst sind das alleinige Fundament des Friedens, die furchtbarste Kriegführung ist die beste, sie kürzt ab und heftet abschreckend sich in das Gedächtnis der Nachkommen. Knie auf die Brust und Daumen ins Auge – wehe dem Besiegten! – Auch Meribaal fand sich ein, auch ihm wurde verziehen; er berief sich auf sein Gebrechen. »Deswegen, nur deswegen habe ich mich nicht dem Könige angeschlossen; Ziba lügt, wenn er behauptet, ich habe selbst auf Sauls Krone gehofft. Wie könnte ich auf solche verwegenen, unverschämten Gedanken kommen? Ist mir nicht David stets ein gnädiger Herr gewesen, hat er mich nicht sogar an seine Tafel gezogen? Oh, ich habe Zeugen – getrauert habe ich, den Bart nicht gereinigt, meine Füße nicht gewaschen seit dem Tage, als mein König floh. Dieser schlechte Kerl, der Ziba. Aber ich habe Zeugen – ich kann es beeiden–…« Und er wies Bart und Füße vor. In der Tat, sie waren sehr schmutzig.
David entschied auch hier in Milde; der jämmerliche kleine Sohn seines edlen Vaters Jonathan, Enkel des großen Saul war in seiner fast possierlichen Selbsterniedrigung, in seiner Bereitschaft, sich und seine Abstammung als Schemel unter Davids Füße zu schieben, leicht zu durchschauen und widerlich. Aber es sollte Frieden sein mit aller Welt. Auch den Sauliden verschonte der König, beließ ihm sogar die Hälfte seines Vermögens –. Aber die andere Hälfte sprach er dem Ziba zu. Jedermann verstand den Sinn und die Absicht. Meribaal aber bedankte sich in überschwenglichen Worten, konnte sich gar nicht erschöpfen in Preis und Lob für des Königs Huld.
Und mit diesem kläglichen und beschämenden Satyrspiel, mit der Feigheit, dem sklavischen Winseln, der gierigen Sorge um Leben und Besitz schlug die Geschichte die Pforte hinter dem Drama des großen Königs zu. Nicht einmal in die dritte Generation reichten sein Geist, sein Mut, die Majestät seiner Gesinnung. Mit einem schrillen Mißklang verschwand Sauls Geschlecht von der Bühne der Weltbegebenheiten.
Aber unter all der kleinen Menschlichkeit gab es doch auch eine Erscheinung von Ehre und Würde. Barsilai, der in der Stunde schwerster Not als Freund sich bewährt hatte, geleitete den König bis an den Jordan, dann begehrte er Urlaub, heimzukehren in seine Stadt Roglim im Gilead. David wollte ihn nicht lassen, er bat, er befahl ihm, mitzuziehen nach Jerusalem, in seiner Umgebung zu bleiben. Er fühlte sich einsam unter den Seinen, hier verspürte er Ehrlichkeit, Echtheit, Adel der Seele, Freundschaft, wie er seit den Maitagen seines Lebens, seit Jonathans Heimgang, sie nie wieder erfahren. Unter all den krummen Rücken, krummen Gedanken, die die Menschen vor Königs Augen kleiner machen, endlich ein gerader und eigenmütiger Stolz. Aber Barsilai verschmähte es, achtzig Jahre der Unabhängigkeit einzutauschen gegen das Scheingold des Hofes. Seinen Sohn Chimham gab er, ungern genug, dem König mit; er selbst kehrte heim, den Rest seines Lebens zu verbringen wie bisher – ein freier Mann auf seinem freien Boden. Zu sterben nicht in der lauten Fremde, deren Glanz ihn nicht verlockte, sondern in der heiligen Stille an der heiligen Stelle, die ihn seit langem schon erwartete. Am Grabe seines Vaters, seiner Mutter.
So nahm der greise König Abschied von dem greisen Edeling. Kaum konnte er sich losreißen. Den andern war er nur Ausbeute, Mittel ihres Ehrgeizes, ihres Strebens, ihrer wilden Begierden und frevelhaften Wünsche. Hier war Sammlung, Frieden und Zufriedenheit. Aber er war der König. Er hatte kein Recht auf Feiertag, kaum ein Recht auf Sehnsucht. Vorwärts – voran – immer das gleiche Spiel, der gleiche Tanz, solange die Glieder gehorchen, solange noch ein Atemzug die müden Lungen hebt. Lebe wohl Barsilai – lebe wohl, Traum der Ruhe – lebe wohl Leben–… David betrat die Fähre und setzte über den Jordan.
Das Echo der Bevorzugung von Juda war lautes Murren in Israel. »Wir haben den König gerettet – warum stehlt ihr Abtrünnigen aus Juda uns seine Gunst? Mit welchem Recht drängt ihr euch vor, wollt ihn in aller Eile mit Beschlag belegen und heimwärts führen?« Zungenfertig standen die Judäer dagegen: »Er ist unseres Blutes, was begehrt ihr auf? Ihr fürchtet nur, daß wir schneller zu den Futterkrippen gelangen – aber noch haben wir nichts erhalten.« Schlechtes Gewissen sprach aus ihnen, und die ungelenken Leute aus Israel bäumten sich auf. »Der Norden ist größer, seine Bevölkerung zahlreicher als im Süden. Auf David haben wir besonderes Pfand durch die bewiesene Ergebenheit und Treue.« Aber der Gewandtheit und dem Maulheldentum der andern waren sie nicht gewachsen. Und Davids Sympathie war nicht auf ihrer Seite.
Das Gewitter entlud sich, ehe der König Jerusalem erreichte. Der Benjaminit Seba weckte den Aufruhr von neuem, predigte den heiligen Krieg, die Posaune der Empörung erscholl allerorten, und die alte, nie ganz gelöste Spannung sprengte jetzt die Fesseln. Republikanisches Feldgeschrei durchlief die Gaue des Nordens und Ostens: »Wir brauchen gar keinen König! Wir haben keinen Teil an David noch Erbe vom Sohn Isais! Ein jeglicher hebe sich zu seiner Hütte, o Israel!« Seba fand großen Anhang, das Land im Rücken des königlichen Heeres stand in vollem Aufruhr, die Front umzukehren und den Kampf aufzunehmen, war gefährlich. Man konnte zwischen zwei Feinde eingeklemmt werden. Der Rat entschied sich dafür, zunächst die Hauptstadt zu gewinnen, sie erwies sich als freundselig, die Priester hatten gut vorgearbeitet. Der Einzug erfolgte in aller Stille, es war Bruderkrieg gewesen, war's noch, niemand sollte sich gekränkt, in seiner Gesinnung beschnüffelt und vom Nachbarn mit Anzeigen bedroht fühlen. Vergebung, Verzeihung; Reue ist so gut wie Treue. (Und man kann ja später Musterung halten, wenn erst die Masse gebändigt ist.) In Revolutionszeiten sind Versprechungen der Könige noch billigere Ware als sonst. Der Herrscher, der so schweres Leid erfahren, hat aber später als Nachkrankheit ein schlechtes Gedächtnis. An einem Königswort darf man nicht deuteln, aber es verhallt sehr schnell. Und Hochverräter haben kein Recht auf Gelöbnisse und Zusagen aus der Notzeit.
Nur ein Geschehnis war schon jetzt unverzeihlich – obwohl es mehr Dulden war als Tun. Die zehn Kebsweiber hatten ihren Lohn für die ausgestandene Angst erhalten. Sie konnten sich nicht beklagen. Sie beklagten sich auch höchstens darüber, daß die Zeit ihrer Prüfung so kurz gewesen. Sie hätten gern noch etwas längere Zeit für ihren König und Gatten Unbill ertragen von dem starken Jüngling Absalom–… Das Leid der Wollust, die Wollust des Leidens – sie waren einfachen Gemütes und kannten sich nicht so recht aus. Des Königs Spruch verdammte sie zu lebenslänglicher Witwenschaft. Ihr Leib sollte versiegelt sein von nun an bis zu ihrem Tode. Jedermann erschauerte über die Grausamkeit dieses Urteils und die starre Unerbittlichkeit der Manneswürde. Nur im Palast selbst lächelten alle, bis zur kleinsten Haremsmaus. Die Geste der Entsagung stand dem alten Herrn ein wenig lächerlich. Sie tat den Kebsfrauen nichts Neues an. Und es fiel manch Wort des Neides gegen sie, von denen, die nicht für ihren König hatten leiden dürfen.
Nun war es Zeit, mit Seba abzurechnen. Das Aufgebot erfolgte nur in Juda. Israel war zerwühlt, zerrissen, die Mehrheit neigte zur Loslösung vom Reich und folgte Sebas Köder und Geheiß. Amasa sollte das Heer führen, der angesagte Tag des Aufbruchs kam, Amasa blieb aus. David verzweifelte, sollte seine Politik falsch gewesen, Amasa in heimlichem Einverständnis mit den Feinden sein? Hätte er das Wort »Einmal Verräter, immer Verräter« besser beherzigen sollen? Jetzt wandte er sich an die übergangenen, schwer beleidigten Brüder, und Joab und Abisai versagten nicht. Sie sammelten sofort ihre Getreuen, der Ruf ihres Namens war Blutkitt, die Leibwache der Plethi und Krethi unter ihrem neuen Hauptmann Benaja stand bereit, ebenso die Söldner – und unbekümmert um die etwaigen Heimtückeleien in Juda wandte Joab sich entschlossen gegen Norden.
Auf dem Marsche trafen sie auf Amasa und seinen Haufen. Ihre Haltung war unklar, unsicher, die Zögerung verdächtig. Joab wußte seinen Weg, kannte kein zaghaftes Überlegen. Er traf mit Amasa zusammen, wie zur Beratung, grüßte, griff ihn am Bart, als ob er ihm den Kuß des Friedens geben wollte. Aber sein Schwert ging immer noch gern ein und aus wie zu der Zeit, als es Abner am Tor zu Hebron erschlug, und wieder führte es seinen Lieblingstanz auf und fuhr Amasa in die Eingeweide.
Schreck und Bestürzung lähmte seine Leute; Joab ließ ihnen keine Zeit zur Überlegung. »Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich!« Der Anblick des getöteten Feldherrn konnte reizen und wankeln. Schnell wurde deshalb der Leichnam zugedeckt, von der Straße aufs Feld geschleppt. Eingeschüchtert ordneten sich die Judäer wie ein Mann unter, und Joab führte das verdoppelte Heer in Eile gegen den Feind.
Seine Wagschale in der Hand der Schicksalsgöttin Bath-Seba aber senkte sich immer tiefer, immer hoffnungsloser.
Unermüdlich jagte er Seba nach, unbekümmert, ob das Land neben ihm, hinter ihm treu war oder Abfall drohte. Seine Entschlossenheit bändigte und zähmte. Seba warf sich in die Festung Abel-Beth-Maacha. Joab, der auf die offene Feldschlacht gehofft hatte, fluchte und schimpfte entsetzlich, aber es half nichts, die verhaßte Maulwurfsarbeit der Belagerung war unvermeidlich. Sie wühlten sich zu den Mauern hin und trieben einen Wall, fast in der Höhe des Befestigungswerkes, bis an die vorderste Bastion heran. Der Sturm stand bevor; für die Umzingelten war die Lage bös, auf Entsatz war nicht zu hoffen. Eine kluge Frau parlamentierte von den Zinnen her mit Joab, erwirkte das Versprechen der Schonung der Stadt im Austausch gegen Sebas Kopf. Er flog über die Mauer ins Lager der jubelnden Davidsmänner. Der Krieg war zu Ende. Noch einmal war das Reich Juda-Israel geeint und David unangefochten sein König.
Ein verbrauchter, ein sterbender Mann. Bath-Seba sah es wohl – ihr blieb nur kurze Zeit. Im Hochdruck arbeitete sie, alle Kräfte in sich, in ihrer Umgebung faßte sie zusammen. Und wiederum gelang es ihr, unbarmherzig, unaufhaltsam im leidenschaftlichen Feuer ihres Willens die stumpfen Sinne des Greises aufzupeitschen, kein Mittel blieb verschont, mochte er dann vergehen, sein Herz in ihren Armen versagen, wenn nur vorher der lallende Mund das ersehnte, erkämpfte, durch soviel Hingabe, Leiden, Ängste, Schmach, Verzagtheit und immer wieder neu aufkeimende Hoffnung verdiente Wort spricht. Und sie erreichte es; David gab ihr das Gelöbnis, schwur ihr in feierlichster Form zu: »Dein Sohn Salomo soll mein Nachfolger, soll König sein in Juda-Israel!«
Nun war es geschehen. Jetzt durfte sie ausruhen – abwarten die kurze Frist, bis die Auflösung sich vollendete. Über Verbrechen, Tod, Krieg und Aufruhr war die Wanderin aus der Tiefe emporgeschritten. Nun stand sie auf dem Gipfel. Mutter des Kronprinzen, des Königs. Nun durfte auch Salomo aus der Zurückhaltung hervortreten. Das Ziel war greifbar nahe – es dämmerte der Morgen.
Aber noch einmal mußte sie das Zittern lernen. Adonia, nach Absaloms Tode der älteste Sohn Davids und nun von Rechts wegen Thronfolger, erfuhr von der Ernennung Salomos. Er wollte den Kampf aufnehmen. Die Krone gebührte ihm, er wollte sie nicht lassen. Und zu ihm stand der unerschütterliche Legitimist, der Mann des geraden Weges und des unbeugsamen Pflichtgedankens, Joab, der Tapfere, der Siegreiche, wahrhaft Große. Auch Abjathar schlug sich auf seine Seite. Von einer Herrschaft Bath-Seba-Salomo hatte er nichts zu erhoffen, da wurde sein Kollege Zadok, Nathans Freund, Oberbonze. Die Gefahr war groß. Zwar hielten die alten Parteigänger zu ihr, und die Leibwache unter Benaja war blind auf David eingeschworen, aber Bath-Seba wußte, was der Name Joab wog. Die Stimmung des Volkes, das Salomo kaum kannte, war ebenfalls auf der Seite des Prinzen Adonia, der um seinen klaren Anspruch betrogen werden sollte.
So war es eine stattliche Schar, die mit ihm auszog, und es waren die Besten von Hof und Staat, Heer und Kirche, auch Trabanten und eine gleißende Leibwache, wie einst Absalom, hatte er geworben. Wie jener gedachte er beim Opfer – die Stätte Sohelet beim Brunnen Rogel war dazu ausersehen – sich zum König ausrufen und salben zu lassen. Seine Anhängerschaft, sein Recht, seine Person waren untadlig, und nichts stand ihnen eigentlich gegenüber. Nur eine Kleinigkeit. Nur Wunsch und Willen eines Weibes.
Und diesmal hätte Bath-Seba beinahe versagt, denn zum ersten Male brachen ihre Nerven zusammen. Zu lang, zu schwer war gewesen, was auf sie eingestürmt. Sollte sie all das noch einmal durchmachen? Sie preßte die Hände an die zum Springen schmerzende Stirn, sie sah in den Feuerrädern, die vor ihren zusammengekniffenen Augen sich drehten, die fletschenden Gesichte der Vergangenheit–… Noch einmal fliehen, unter gespenstisch flackerndem Licht qualmiger Fackelbrände, in drückender Nacht, losgerissen von aller Bequemlichkeit, auf holprigen Pfaden, vom Maultier zerrüttelt, um sich Geschrei und Lärm, vor sich die Hoffnungslosigkeit–… noch einmal den Haß, die Verachtung, die Gemeinheit erdulden, Männerblicke, die grausamen Tod und Zerfleischung drohen, Frauenaugen, die hämisch in ihren Mienen wühlen, sich wohlig sättigen an ihrer Erniedrigung, ihren Schmuck, ihre Gewänder mit unverhüllter Begehrlichkeit mustern und in frechen Gedanken schon als Erbe unter sich verteilen. Rohe Knechte, die nicht aus dem Wege schreiten, absichtlich auf die wunden Füße treten, niedere Mägde, die der Gestürzten höhnen, ihrem Befehl und Ruf nicht mehr folgen, unverhohlen und schamlos ihr den Rücken weisen, sie demütigen bis in den Schmutz hinein, der ihr eigenes Wesen erfüllt. Nein – nein! Bath-Seba stöhnte auf, das war unausdenkbar, unerträglich. Lieber ein rasches, jähes Ende. Und keiner stand ihr zur Seite, half ihr, alle verließen, verrieten sie. David war kindisch, seine Söhne, seine Diener, das Volk haßten sie, warteten wie schlecht gezähmte Meute nur auf den Augenblick, da sich die Leine lockerte, um sich auf sie zu stürzen. Weshalb? – Warum? Was hatte sie denn getan, was verbrochen? Die alte Sündenschuld an Uria war verjährt, ausgetilgt, längst beglichen; die Priester hatten es mit heiligem Eifer versichert. Und sonst? Nur das, was jeder tut; ein bißchen weiter wollte sie kommen, ein wenig Vorrang haben vor den andern. Berechtigte ihre Klugheit, ihre Schönheit nicht dazu? War sie nicht ein wertvoller Mensch? Mein Gott, sie war doch nicht schlecht. Nicht schlechter jedenfalls als die übrigen. Hätte nicht jede an ihrer Stelle gleiches versucht, ebenso gehandelt? Was konnte sie dafür, daß ihr Körper dem König mehr geschenkt als irgendeiner sonst. Sie hatte ihn nicht gerufen, nicht angelockt, das Schicksal hatte sie in seine Arme gewirbelt. Oh, wäre sie doch geblieben, was sie war. Die einfache, schlicht-fröhliche, geliebte und hochgehaltene Gattin eines braven, ehrenfesten Mannes. Nicht sie hatte nach Hofluft, Königsglanz sich gesehnt; sie lebte ihren Tag heiter dahin, war bescheiden und zufrieden. Aus alledem war sie herausgerissen, auf einen ausgesetzten Platz geschleudert, mußte gegen versteckte Ränke kämpfen, ihrer Haut sich verbissen wehren. Dann allerdings war sie lieber Flamme geworden, als selbst zu verbrennen, hatte lieber ihren Fuß andern auf den Nacken gesetzt, um bedenkenlos über sie hinwegzuschreiten, als sich zum Teppich vor ihre Widersacher hinzurollen. War das nicht ihr gutes Recht? Für sich hatte sie nicht viel gewollt, nichts erstrebt, alles nur für Salomo, ihren Sohn. Ist das nicht Mutterpflicht? Jagt doch das wilde Tier für seine Brut. Menschlich, göttlich ist der Drang zur Zukunft, ist die inbrünstige Sehnsucht, fortzuleben in seinen Kindern, besser sie zu betten, höher sie zu stellen, als es einem selbst vergönnt war. Dafür hatte sie ihre Frauenkünste, ihre Weibesreize eingesetzt, die Sinne ihres Gatten entflammt, sich untertänig gemacht. Dem Sohne wollte sie den Thron errichten. Durch die Macht ihres Geschlechtes und aus seines Vaters Ohnmacht vor ihr. Jedermanns Tun!–… Sie hatte sich nichts vorzuwerfen – und doch und doch–… nun brach der Turm des Mühens so vieler Jahre, das Werk so vieler Stunden der Entbehrung, des zähen Wollens zusammen. Durch Blut und Kot war sie geschritten, vergebens, vergeblich. Der schillernde Traum des Ehrgeizes zerrann in die Leere des Nichts und ihre zitternden Hände griffen in das eisige Nein und das Dunkel.
Schluß denn! Ein Ende! Mutig und tapfer wollte sie untergehen. Niemand sollte sie zaghaft sehen. Die Verhaßten, diese Joab, Abisai, Abjathar sollten nicht den Triumph über sie genießen, der speienswerte Mob nicht aufheulen in gieriger Wonne, weil sie schrie unter der Peitsche der Folterknechte, weil sie dem Wurf gehässiger Steine jammernd erlag. Oder sollte gar dieser Knabe Adonia sie in seinen Harem schleppen zur schändenden Befriedigung seiner Gelüste? Sollte sie als ihrer Mägde Sklavin ihre Tage beschließen? – Nein – nie und niemals! Dies kann nicht sein – darf nicht sein – dies wird nicht sein! Es war ein völliger Zusammenbruch. Wäre nicht Nathan zufällig eingetreten, so war es um Salomonis Herrlichkeit geschehen, ehe sie begann. Der Zuspruch des gelehrten Mannes aber half, beruhigte die überhitzte Phantasie, führte die Fliegende auf den festen Grund zurück. Sie faßte sich, etwas beschämt. Wie konnte sie die Übersicht, die klare Besinnung verlieren im Augenblick der letzten Entscheidung. Pfui über sie; sie hatte sich benommen wie ein – Weib! Doch nun war ihre Energie wieder beisammen, schnell alle Möglichkeiten geprüft, mit Nathan durchgesprochen, und dann zur festen, kühnen Tat.
Sie betrat den Thronsaal. David dämmerte vor sich hin. Aber Bath-Seba verstand es auch diesmal, ihn zu erwecken. Von ihr erfuhr er, was man ihm noch verheimlicht, Adonias Beginnen und Begehren. Sie mahnte ihn an seinen Schwur. Nathan kam auf das Stichwort hinzu, hetzte, schürte den Zorn des Königs im Verein mit ihr. Es gelang. David, schon am Boden liegend, zappelte noch einmal am Faden der Puppenspielerin hoch. »Bin ich König?« zeterte er, »oder bin ich nicht König? Ist mein Eid ein Eid, mein Befehl ein Befehl? Erzittert die Erde, wenn ich aufstampfe? (Der Versuch hätte ihn beinahe zu Fall gebracht, aber Nathan sprang hinzu und faßte ihn gerade noch.) Was Jahve mir verheißen hat, vom ewigen Bunde, Dauer der Krone bei meinem Geschlecht, Segen und Unermeßlichkeit und–… und so–… das soll erfüllt werden an meinem Sohne Salomo. Also mein Wille! Diesem Adonia werde ich zeigen, was Kindesgehorsam heißt, was väterliche Autorität bedeutet. Herr im Hause und – und so–… Bath-Seba! Bath – Se – ba! (Sie trat vor.) Gut, gut, da bist du ja! Was habe ich dir versprochen? Du weißt es. Das werde ich halten, ob du willst oder nicht, ganz gleich, auch du hast dich zu fügen. Nur einer ist König – nur ich–… ich–… David–… Dav…« Er versank in Sinnen. Dann flackerte er wieder auf: »Gleich, sofort–… ruft mir Zadok – und Nathan – und wie heißt er doch gleich, Be… Be…ja. – Benaja; richtig, Benaja. (Alle waren auffällig schnell zur Hand.) Führet den Salomo heraus zum Heiligtum, salbt ihn öffentlich, ruft ihn zum König aus, jetzt, sofort, ich hab' es satt. Soll er sich weiter ärgern, meinetwegen größer und berühmter werden als ich, ich gönne es ihm, ich wünsche es ihm, aber ich – ich habe es satt. Meine Ruh' will ich endlich haben. Die Juden mögen sich ihren – Kram alleine machen!«
Und so ward Salomo, der Sohn der Bath-Seba (und auch des David Sohn), zum König über Juda und Israel erhoben, ausgerufen und gesalbt. Er saß auf dem Stuhl seines Vaters, der Mantel umhüllte ihn, den Königsspeer Sauls hielt eine jugendlich kräftige Hand. Und des Volkes Jubel, das Treugelöbnis aller anwesenden Hofbeamten und Vornehmen umbrandete die Stufen seines Thrones.
Der Sohn des Abjathar brachte die Nachricht eilends zu denen um Adonia. Sie hatten schon dem Getümmel, Flöten- und Posaunenklang von der Stadt her entnommen, daß Besonderes geschehen. Die schnelle Zuspitzung aber schmetterte sie gänzlich nieder. Im Handumdrehen sah sich Adonia verlassen und allein, selbst Joab war betroffen, doch hielt er aus und hätte Widerstand gewagt. Aber Adonia war nicht Absalom. Von Natur ängstlich und schüchtern, verzweifelte er sofort, wenn Hindernisse ihm begegneten. Er gab sich und seine Sache verloren, gedachte wenigstens sein Leben zu retten, entließ deshalb schleunigst seine Leute und floh in das Asyl des Heiligtums. Dort ergriff er die Hörner des Altars und winselte um Freiheit und Schonung.
König Salomos erste Regierungshandlung war ein doppelzüngiger Schwur. Er ließ dem Bruder ansagen: »Wenn du redlich bist, so soll dir kein Haar gekrümmt werden. Wirst du aber böse befunden, so sollst du sterben.« Dem arglosen Adonia schien das ausreichend, er hatte genug vom hohen Königsspiel, ließ seine Freistatt, huldigte Salomo und begab sich, froh des glimpflichen Ausgangs, in sein Haus.
Die Anstrengung der letzten Tage hatte Davids Lebenskraft völlig aufgezehrt. Sein Ende konnte stündlich eintreten. Er lag auf dem Ruhebett, meist apathisch, Bath-Seba war um ihn, alles bereitete sich auf den Heimgang. In der Hofkanzlei wurde eine offizielle Lesart seiner letzten Äußerungen ausgearbeitet, ein wenig zu frömmlerisch für Salomos Geschmack. Aber er ließ es gehen und hielt einstweilen gute Freundschaft mit jedermann aus des Vaters vertrautem Kreise. Die Rede pries das Leben des Gerechten (An David!), wiederholte die feierliche Verkündigung des ewigen Bundes zwischen Jahve und Davids Haus (An Salomo!), enthielt aber auch einige kraftvoll abschreckende Sätze gegen Mißvergnügte. Etwas von ausgerissenem Unkraut, Disteln, die man nicht mit den Händen anfaßt, sondern mit eisernen Zangen und schnell ins Feuer wirft (An alle!).
Aber neben dieser offiziellen Lesart gab es noch eine andere. Kurze Zeit vor dem Ableben wachte Davids Bewußtsein noch einmal auf, er begehrte, den Sohn zu sprechen. Alle verließen das Gemach und in dieser Zweisamkeit des eigenen Blutes kündete David seinen letzten Willen und erteilte seine letzten Ratschläge an den Erben und Nachfolger. Es war kein Testament der Milde und Vergebung; von diesem Manne, der sein Leben hindurch ein starker Hasser und ein unversöhnlicher Nachträger war, der es für die wichtigste Aufgabe eines Königs hielt, seine Feinde zu beseitigen und mit Gewalt die Macht zu festigen, sickerten auch in der Stunde der Trennung nur Worte aus dem Born des alten Geistes. Dem mächtigen Geiste, der einst der Väter Wüstenfahrt beherrschte, dem Geiste des Blutes, der Rache und der Vergeltung.
Also klang das Abschiedslied des sterbenden Schwanes:
»Ich gehe hin den Weg aller Welt – so sei getrost und sei ein Mann! Halte die Sitten, Gebote und Rechte und Zeugnisse Jahves. Entledige dich beizeiten aller, die dir gefährlich werden könnten, und räche mich an denen, die ich selbst nicht mehr erreichen kann. Gedenke, was Joab mir angetan, der Sohn der Zeruja. Nimm als Vorwand, daß er in der Heimat Kriegsblut vergoß, Abner und Amasa erschlug und tu nach deiner Weisheit, daß du seine grauen Haare nicht in Frieden hinunterlässest in seine Grube.
Sei klug in allem, was du beginnst und wo du dich hinwendest. Sichte Freund und Feind. Die Kinder Barsilais behandle gut, sie werden sich als ergebene Anhänger zeigen, wie ihr Ahnherr in der Stunde der Not. Aber den Sauliden Simei, der mich einst beschimpft hat, vergiß mir nicht. Ich mußte ihn verschonen und schwur ihm am Jordan das Leben zu. Du aber hast ihm nichts gelobt. Laß ihn nicht unversehrt. Du bist ein kluger Mensch. Du wirst schon wissen, was du zu tun hast. Jedenfalls lasse seine grauen Haare mit Blut hinunter in die Grube kommen–…«
Dies waren die letzten Worte des großen und frommen Königs, Gottesliebling, Erwecker, Mehrer und Erhalter des Reiches. In dem Wirrwarr seines Lebens, das durch alle Tiefen und über alle Höhen geführt, gab es nur einen festen Mittelpunkt: Ich! David kreiste nur um David allein. Dies machte ihn so gefährlich für seine Gegner, so stark und kühn, so erhaben groß – und so klein. Kein Gruß des Abschieds an sein Volk, der milden Verzeihung, der liebevollen Erinnerung entrang sich seinen zitternden Lippen. Nichts dergleichen ließ er als Vermächtnis zurück. Wie er gelebt, stets im Hinterhalt, stets nur auf der Rachefährte, mißtrauisch und vom Haß gesträubt, so trat er von der Szene. Der letzte Hauch seines Mundes hieß: Unversöhnlichkeit. Dies war die Musik seines Ringens und Gelingens, dies der väterliche Segen für seinen Sohn, der Dank für seine Diener, seine Untertanen. Der dürftig gewordene Körper streckte sich, das Augenweiß ging langsam in die Höhe, die Brust sank in sich zusammen, die Arme glitten ab, schmal sprang die kühn gebogene Nase aus dem vergilbenden Gesicht. Der große König war nicht mehr, war nichts mehr – war nicht mehr als der letzte Bettler, den der Hunger auf der Gasse niederstreckt. Der andere war über ihn gekommen, der größere Herrscher, der allmächtige, allausgleichende. Seine dürren Finger griffen in dies Saitenspiel. Mißtönende Klänge – ein verschwingender Seufzer, ein zerbrochenes Instrument – das Lied war aus. Und nur ein schwacher Widerhall schien in den Ecken des Hauses zu hängen. Von eines Menschen Werden und Vergehen, Streben und Erleben, von Listen, Abenteuern, Frauenliebe, Träumen der Macht und des Glanzes, Verrat und Verräterei, Krieg, Sieg und Niederlagen, fauligem Dunst und den Giftgefahren zerfallender Königspracht, von Göttern und Götzen, Dämonen und Popanzen. Die Melodie verschwamm, der Abschiedsklang aber blieb haften im Gehirn des Mannes, der kalt und unbewegt am Lager Davids stand. Das Lied des sterbenden Schwans hatte ihm wohlgefallen – war ganz nach seinem Sinn, und unwillkürlich nickte er dem Toten zu. »Du kannst beruhigt sein – ich werde nichts vergessen von deiner letzten Königsweise–… deiner Königsweisheit. Sie sollen erhalten, alle, die du mir anempfohlen – und noch andere – alle, die es angeht, was du ihnen zugedacht. Erfahren soll die Welt, was es heißt, wenn ein König stirbt. Was du in deiner Scheidestunde empfandest, was zum letztenmal bedeutet: David schlägt die Harfe!
König Salomo hob den Vorhang. Der Raum vor dem Sterbezimmer Davids war menschenleer, so hatte der Sohn es angeordnet. Es war nicht nötig, daß dieser Schwanengesang in Lauscherohren tönte. Nur einer stand, regungslos, an der äußern Mauer, groß, breitschultrig, mit kleinem bösem Kopf auf kurzem Hals, der der rohen gebändigten Muskelkraft eines ungeheuren Nackens entwuchs. Das blanke Schwert aufgestützt, die Wucht behaarter Hände auf dem Knauf, so harrte Benaja, Salomos vertrauter, blind ergebener Diener, bereit, jeden anzuspringen, der seinem Herrn zu nahen wagte. Ein Engel der Finsternis als Wärter vor verbotener Pforte.
Prüfend trat Salomo auf ihn zu, blickte mit den Augen des Zähmers und Bändigers auf das Menschentier, das keinem sich kuschte und gehorchte als nur ihm allein. Er war zufrieden. Benaja kannte nur einen Willen – den seines Herrn. Sein Hammer war er und sein beißender Hund, sein Blitz und sein fügsamer Sklave. Seine Augen funkelten Mord, seine Nüstern schnupperten Blut – er sollte zu tun bekommen; er sollte sich sättigen.
»Du hörtest König Davids – Friede sei mit ihm – letzte Worte?«
»Ich hörte nichts – ich hörte alles – was mein König mich zu hören heißt.«
Schweigend sahen sich die beiden an, minutenlang. Der Richter und der Henker. Und sie hatten einander verstanden.
In diesem Schweigen brüteten schwere Urteile des Herrschers, willige Vollstreckung durch seinen getreuen Helfer. Über dem Tropensumpf lastet solch grauenvolle scheinbare und scheinheilige Ruhe. Unheimlich, zähflüssig quillt in ihr Fruchtbarkeit, Urwald, Urwelt, unbewegt, unberührt, und doch ein unsichtbares unaufhörliches Keimen und Werden. In unaufhaltsamer Unrast, unter ungestümem und ungetümem Druck kreist aus diesem dumpfen Fieberhauch das Leben – Leben, das für die schon Geborenen Tod bedeutet. Brodelnde Blasen, die zerplatzend mit Absud des zerfallenden Moders die Luft verpesten, Wurzeln und Fasern, die Gift saugen, Gift treiben, und die Mannigfaltigkeit der tierischen Zellen, die unbewußt nur dem Morde und der Verwesung dienen, deren Werdezweck es ist, alles Sein vergehen zu machen, strotzende Gesundheit zu verschwären und zu zersetzen, zu zerstören auf jederlei Art. Kalte Rachsucht, rücksichtslose Beseitigung von allem, was das eigene Wohlbefinden stören könnte, Befriedigung aller Lüste auch um den Preis wertvollster Güter, Verhöhnen und Verlachen göttlicher und menschlicher Gebote – Undankbarkeit, Mangel an Ehrfurcht, Verneinung der Gemeinschaft des Blutes und des Geistes, Heldenverwitterung, Eidbruch, Brudermord, Schändung der Nächsten, Raub auch an den Fernsten – das waren die Weisheit Salomos, das Erbe und der Glaube, die er mit sich trug aus dem Sterbezimmer seines Erzeugers.
Den Tod von Joab goß dies kalte Schweigen des Königs in das willige Gefäß seines Zornes und seiner Befehle. Unverziehen war ihm seine Parteinahme für Absalom, unvergessen die Lehren des Hasses der Bath-Seba. Seine großen Verdienste halfen ihm nicht, nichts auch, daß er an die Tempelstätte Jahves sich flüchtete und dort die Hörner des Altars ergriff. Vor Salomos unbeugsamem Befehl, vor Benajas ruchlosem Gehorsam schützten kein Asylrecht und keine Heiligtümer. Kaum, daß es dem König der Mühe lohnte, die Tat mit dem Vorwand zu verbrämen, den Davids Vermächtnis ihm bot, dem ungesühnten Blut von Abner und Amasa. Mochte das Volk nach Gründen suchen, genug, daß hier einer vor dem Antlitz des Herrschers aufrecht zu stehen sich erdreistete. Mochte Jahve auch über die Entweihung seines Tempelfriedens zürnen, das verschlug nicht viel. Auch ein Gott hatte zu gehorchen, zeigte er sich widerspenstig, so konnte man auch ihn durch einen andern ersetzen. Auf den Stufen des Brandsteines verröchelte der große Feldherr, er hatte die Zufluchtsstätte nicht lassen wollen, so schlug Benaja dort ihn nieder. Vor dem Gnadenstuhl der Bundeslade verrauchte das Blut des Tapfern und Ehrlichen – ein Opfer für die Unersättlichkeit der königlichen Majestät.
Und Simei fiel. Nicht sofort, denn Davids Schwur stand ihm beschirmend zur Seite. Man mußte die Gelegenheit abwarten. Einstweilen wurde ihm nur verboten, den Umkreis der Hauptstadt zu verlassen. Die Todesstrafe stand auf Übertretung. Er war's zufrieden, er begehrte nur noch Ruhe, dachte nicht mehr an Aufruhr und Verschwörung, war losgelöst von der Heimat, von Benjamin, von der Sippe Sauls. Nach Jahren verfolgte er flüchtige Sklaven über den Kidronbach hinaus, fing sie und kehrte sofort zurück, ganz offen und selbstverständlich. Und bedachte längst nicht mehr, daß er einst den Vater des Königs einen Bluthund geheißen. Die Vergangenheit war ihm vergessen und gestorben.
Furchtbar erweckte Salomo sie von den Toten. Vergeblich war Simeis bettelnde Angst, sein jammernder Schrei, daß er doch den Sinn und Geist des königlichen Gebotes nicht verletzt habe, daß er sich, nur um sein Eigentum zu wahren, aus Jerusalem auf kurze Zeit hätte fortbegeben müssen. Der Tor – er wollte Vernunft und Gerechtigkeit setzen gegen eines Königs langversparte Rache. Eine Handbewegung des Sohnes wischte die unverjährte Beleidigung des Vaters aus, löschte das Leben Simeis von der Tafel der Atmenden. Und Salomo gebot Benaja, dem Sohne Jojadas; der ging hinaus und schlug ihn, daß er starb.
Nur Abjathar, dem Hohenpriester, wurde der Bluttrank nicht kredenzt. Daß er sich zu Adonia geschlagen – wenn auch nicht zu Absalom – war Grund genug, das Haupt ihm vor die Füße zu legen. Sein Kollege Zadok, der nun allein das Hofamt leitete, und Mütterchen Bath-Seba hätten nichts dawider gehabt. (Von Nathan wäre gleiches zu vermuten, doch hörte man nichts mehr von ihm, er starb wohl früh, seine Söhne aber standen in hohen Ehren und Würden.) Aber noch bedurfte Salomo der abergläubischen Furcht der Menge, noch schien ihm für den großen Prozeß der Reinigung von seinen Widersachern eine gewisse, wenn auch nicht allzu weitgehende Rücksicht auf Jahve wegen seiner anständigen Verheißung des ewigen Bestandes der David-Dynastie genehm und wünschenswert. So schonte er den Greis, der einst die Lade Gottes vor dem König David trug, und begnügte sich damit, ihn zu verbannen. In einem fernen Dorfe brachte der Gestürzte den kümmerlichen Rest seiner Tage zu. Nichts Sicheres ist mehr über ihn bekannt geworden. Nur eine dunkle Sage, eine schwache Vermutung überliefert der Nachwelt, daß er es war, der in der engen Einsamkeit und bittern Öde des Exils alles sammelte, was sein Gedächtnis aus der großen Zeit bewahrte, und das Leben Davids und seiner Helden sichtete und niederschrieb; auf seine Weise, in seiner Auffassung und Beleuchtung. Nicht zuletzt zur Verherrlichung des Jahvekultes und seiner verehrungswürdigen Priesterschaft.
Manche meinten, daß Davids letzte Worte gar nicht gesprochen wurden, daß der König überhaupt schon zu schwach und hinfällig gewesen war, um seinem Sohne noch so eindringliche und gewaltgierige Aufträge aufzubürden. Diese vermuteten, daß Salomo nur die eigenen Wünsche dem Vater unterschob, sein Tun rechtfertigen wollte mit der Geste erfüllter Sohnespflicht. Aber ihre Stimmen wurden nicht laut. Stand nicht Benaja da, der im Vorzimmer geharrt und auf Davids letzten Seufzer gehorcht hatte, auf das Abschiedslied des sterbenden Schwans? Und Benaja war bereit, alles zu bezeugen, was der König seinem Volke mitzuteilen für gut fand – mit dem vollgültigsten Zeugnis der Erde – der Schärfe seines Schwertes.
Andere suchten den grausamen Beginn der Regierung des »Friedensfürsten« mit allen Mitteln geschickter Verteidigungskunst zu rechtfertigen. Sie wollten nur das Gute sehen. Alle gefahrdrohenden Zeichen aus der Gemütsart des jungen Fürsten, alle Äußerungen hochmütigen Stolzes, größenwahnsinniger Selbstüberhebung, fahriger Genußsucht, seine Liebe für schimmernde Wehr, gepanzerte Faust und prahlerische Pracht, die so seltsam abstach von Davids immerhin bescheidener Hofhaltung oder gar der kargen Schlichtheit König Sauls – all das, was gewitterdrohend in die Zukunft wies, schwerbelastende Prüfungen dem junggeeinten Reiche Juda-Israel verhieß – all dies beschönigten sie, logen es sich in selbstbetäubender Nachsicht als Ausfluß jugendlicher Kraft, eines glänzenden Geistes, eines umfassenden Wissens und eines hohen und frommen Verantwortlichkeitsgefühls um. Echtes Gottesgnadentum. Barden und andere Lobhudler mehrten den Nimbus redlich, umwölkten das Volk mit Phrasen, Liedern und Gebeten, umnebelten den König selbst mit ihrer Verzückung und Vergötterung, nahmen ihm den Rest seiner Urteilsfähigkeit, jedes Maß für die Selbsteinschätzung und die letzte Achtung vor den Menschen. Sie alle, die in ihrer händlerischen Gier nach Erwerb und Vergnügen an dem Mark des Königsbaumes schmarotzten und vor der Wahrheit feige zur Seite bogen, trugen die Mitschuld an dem, was später kam und kommen mußte: An dem Verfall der Sitte, dem Niedergang der edelsten Kräfte des Volkes, am Umsturz des Reiches, seiner Zerrissenheit, seiner Zerreißung und dem Triumphe seiner neiderfüllten Feinde. Auch ehrliche, starre Träger der Überlieferung hielten sich künstlich in Blindheit; Söhne der alten Geschlechter, die mit David gelitten und gestritten, denen der Begriff der Majestät eine Herzens- und Gewissenssache war, die nicht besudelt werden durfte, nicht im Unrecht sein konnte. Schuldig auch sie, doppelt schuldig, weil sie sich als Führer und Auslese des Volkes dachten und dünkten. Sie schwiegen, als die Ratgeber und der Feldherr Davids in Ungnade fielen, als Abjathar verjagt wurde, Joab dem gotteslästerlichen Schwert erlag. Ihre Mannestreue siegte über ihre Manneswürde. Die Formel vom Wert im Bestande knebelte ihren Verstand. Alle aber, hoch und niedrig, Lehnsbürtige und armseliges Gesindel, Gefolgsfanatiker und heimliche Empörer bezeichneten, wenn sie eine Entlastung für den Fürsten, eine besondere Erklärung für sein unerhörtes Tun suchten, laut oder leiser als seinen bösen Dämon, als Triebfeder aller Unbegreiflichkeiten, als lasterhaften Erfinder und Gestalter jeden Frevels die verhaßteste Persönlichkeit in Juda-Israel, die am meisten gescholten und am stärksten gefürchtet wurde, noch aus Davids Zeit her: den Fremdling, den Eindringling, den Emporkömmling, den Schöpfer alles Finsteren und Bösen – des Königs Mutter Bath-Seba.
Sie taten ihr unrecht. Wohl atmete sie mit Befriedigung den Duft der Rache ein; gnadlos drosselnd zückte ihr Fuß nach dem Halse der in den Staub vor ihr Erniedrigten. Ihres Geistes Ruten stäupten Abjathar; ihrer Wünsche Marterzeug verstümmelte Simei; das Rad ihres alten Grimmes zertrümmerte Joabs kraftvolle Glieder. Salomo und Benaja waren die Fahnenträger ihrer Leidenschaft – sie verschafften ihr die süßeste Wollust, als gelassener Zuschauer sich letzen zu können an der menschenunwürdigen Demut, der grenzenlosen Pein derer, die es einst gewagt hatten, ihr zu mißfallen. Sie schlürfte dank des Sohnes ungebändigter Verfolgungssucht den wonnevollen Trank der Vergeltung bis zur Neige. Aber Werkzeug ihres Hasses war Salomo nicht. Aus eigenem schuf er, aus abgründigem Seelenbrunnen schöpfte er. Er kannte keine Götter über, duldete keinen Menschen neben sich. Vorm Angesicht des Selbstherrschers leuchtet kein Licht auf und hebt sich kein Rücken. Sklaven sind alle, ausnahmelos – und wäre es auch die eigene Mutter. Nur allzubald erfuhr sie es. Adonia gab die Veranlassung. Er hielt sich still und bescheiden, gönnte dem Bruder Ehren und Ruhm und gedachte, sein Leben in beschaulichem Genuß und dem vergnüglichen Nichtstun seiner Prinzenwürde zu beenden. Ein helles Haus, ein gepflegter Garten etwa, gute Küche, Wein von Sichem und Eskol, Musterviehherden bildeten das Ziel seiner Wünsche. Und schöne Frauen selbstverständlich. Von allem Erbe des Vaters begehrte er deshalb nichts für sich als Abisag von Sunem, Davids jungfräuliche Bettgenossin. Bath-Seba aber bat er, Werberin um sie beim Oberhaupt des Hauses, Salomo, zu sein.
Gering schien ihr das Anliegen. Und es schmeichelte ihrem Stolz, daß der Mann, an dem ihr Lebenswerk beinahe gescheitert wäre, nun gerade sie zur Mittlerin ausersah. Auch stand sie ihm milder gegenüber als andern alten Gegenspielern, denn er war harmlos und ungefährlich – und schließlich Davids Blut. So sagte sie ihm ihre Hilfe zu und eilte in den Thronsaal ihres Sohnes.
König Salomo saß einsam auf dem hohen Gestühl. Unnahbar und in sich verschlossen; eisige Kälte strahlte von ihm aus, sein Blick umkrallte die zitternden Kreaturen seiner Umgebung, hielt sie fest im Zaume seines Willens und erniedrigte sie zum Spielzeug seiner Launen. Der Mutter aber schritt er entgegen, die Stufen des Thrones hinunter. Er wußte, was er ihr verdankte, und er schätzte in ihr den Gleichklang der verwandten Gesinnung. So neigte er sich leicht vor ihr – vor sich in ihr – und er ließ ihr einen Sitz zunächst dem Thron zu seiner Rechten bereiten. »Eine kleine Bitte habe ich an dich,« sprach sie nach der feierlichen Begrüßung – »wolle mich nicht beschämen und erfülle sie.« »Fordere, meine Mutter,« erwiderte er, »ich werde dich nicht beschämen. Was du verlangst, will ich dir gewähren.« Und sie sprach für Adonia, erbat für ihn das Mädchen aus Sunem zum Weibe.
Salomos Antlitz verfinsterte sich. Der Zorn zog hinein, verschleierte seine Augen, entfesselte seine Wildheit und verschob die weichlichen Züge zu einer Maske der Versteinerung. Er hatte nicht vergessen, daß Adonia sich – und war's auch nur für eine Stunde! – zum König ausgerufen hatte. Weibische Schwäche schalt er es bei sich, daß der Halbbruder noch über der Erde weilte. Der ältere! Konnte nicht sein ehrgeiziger Traum einmal neues Leben gewinnen? Geschah es nicht schon jetzt vielleicht, da er vermessen seine Augen aufhob zur Gefährtin des Vaters? Wußte Bath-Seba nicht, hatte sie nicht bedacht, daß das Volk als rechten Erben den erachtete, der neben allen Schätzen des Verblichenen auch seiner Säfte Reichtum, seinen Harem, übernimmt? Salomos immer wacher Argwohn fand hier den Vorwand und die erwünschte Gelegenheit, das zweideutige Versprechen zu beseitigen, das er Adonia notgedrungen gab, als dieser Unterwerfung und Verzicht anbot gegen die Zusage der Schonung.
Und dann – Abisag von Sunem – gerade sie, die Auserwählte aus Juda-Israel, die jungfräulich und Erkennerin zugleich war, Blütenkelch und Frucht in einem. Wem gebührte die Würze und der Schmelz dieses Leckerbissens, ihre ungestillte und übersteigerte Begierde und die Inbrunst ihrer gesammelten und künstlich verhaltenen Gluten als ihm allein, dem König?
Furchtbar blickte er auf die erbleichende Frau, die ihn aus ihrem Schoß zum Lichte und über alle Hindernisse dann getragen hatte bis zur Giebelhöhe der Menschheit, zum Thron. Schneidend, höhnisch, gehässig fast war die Antwort, die er erteilte: »Warum bittest du um Abisag von Sunem dem Adonia? Erbitte ihm das Königreich doch auch zugleich. Denn er ist ja mein älterer Bruder – aber ich schwöre, diese Schmach zu rächen. Adonia soll dies wider sein Leben geredet haben. So wahr der Gott lebt, der mich bestätigt und hat sitzen lassen auf dem Stuhl meines Vaters, der mir mein Haus bereitet hat, wie er verheißen. Heute soll Adonia sterben.«
Und der König Salomo sandte hin Benaja, den Sohn Jojadas; der schlug ihn, daß er starb.
Bath-Seba aber zog sich schwankend, wortlos, rückwärts gleitend zurück. Als fürchtete sie für ihr eigenes Leben. Mit verstörten, vorquellenden Augen starrte sie auf den Sohn. Er stieß den Befehl heraus, sofort die Sulamitin ihm zuzuführen, und begab sich zu ihr, ohne der Mutter zu achten, ohne sich nach ihr umzuwenden.
Allein in der Öde des verlassenen Saales stand sie. Das Gefolge hatte sich dem eilends aufbrechenden König angeschlossen. Niemand kümmerte sich um die in Ungnade Gefallene. Und sie strich sich verstört über die Stirne.
War das ihr Sohn? – Das war ihr Sohn? Dafür all dies Dulden und Denken und Dingen?
Einen Herrscher hatte sie dem Reiche geben wollen, kraftvoller als Saul, klüger als David, leuchtender als alle Könige, die je die Welt gesehen.
Ja, er würde alle Kraft, alle Klugheit haben – für sich, für sich allein. Was ihm gefiel, würde er an sich reißen. Die kostbarsten Schätze aller Länder, die Essenz der Frauenschönheit aller Völker würde er einheimsen in seine Kammern. Der Tempel, den David geplant – Salomo wird ihn errichten. Großartig gegliedert in gigantischer Wucht. Ein Werk, wie es nie zuvor Menschenhirne erdacht, Menschenhand geschichtet hatte. Und ebenbürtig dem Palast Jahves auch der Palast des Königs selbst. Die Menschen aber, in ihrer Erbärmlichkeit, werden ihn preisen, ihre Phantasie ihn erheben, alles, was Dichtergabe und Weisheit der Lehrer ersinnt – ihm wird man es zuschreiben als dem Künstler und Künder. So wird die Legende seinen Namen in fernste Erdteile tragen und zu den spätesten Geschlechtern, ihn umweben mit Geheimnis und Zauber, zum Halbgott erhöhen, ihn der in seinem eigenen Bewußtsein bei Lebzeiten schon als höchste, als einzige Gottheit sich empfand. Vom kindlichen Glauben der Väter an die Macht Jahves wird er sich loslösen, anheimgegeben fremden Lüsten, fremdländischen Frauen und dem abergläubischen Spiele mit bizarren fremdartigen Götzenbildern.
So war es notwendig und unabwendbar. Werden – Blühen – Vergehen. Dies auch das Gesetz des Königtums. Dem Helden folgt der Kluge, und das Ende ist der Despot. Furchtbar, grausig erhellten sich die Gegenwart und die kommenden Tage der fröstelnden Frau. Sie erkannte den Unhold, den sie der Welt aufgedrängt, den Wüstling, der heute den Stiefbruder niederschlug und morgen vielleicht die grausame Hand im Dunklen nach den drei jüngeren Söhnen ausstreckte, die sie nach ihm David geboren hatte. Und würde er haltmachen vor ihr selbst? Ehrsucht und Ichsucht, Eitelkeit und Eigennutz sind der Inhalt seines Lebens. Der Menge aber wird er die Komödie der Gerechtigkeit vorspielen, ihr Gelegenheit verschaffen zu Gewinn und Reichtum und ihre Neugier stets aufs neue reizen und unterhalten. Welch ein Künstler! Klatschet Beifall, ihr Freunde!
Nach ihm die Sintflut. Der Zusammenbruch, der Bruderkrieg, die Feindschaft aller gegen alle, der innere, der äußere Niedergang; des Reiches Ende.
Denn Königtum und des Volkes Glück sind auf die Dauer unvereinbar; der gleichen Wurzel entringen sie sich, eine Zeitlang sprießen sie friedlich nebeneinander her. Aber langsam, bei mühseliger Pflege wächst des Volkes Stamm kraftsparsam aufwärts. Heftig und sprunghaft im Überschuß hitziger Säfte treibt ungeduldig der andere frühe Schößlinge, grünt einen jungen Maientag. Und welkt bald, weil er morsch ist im Kerne.
Bath-Seba schlug das Gewand fester um sich. Ihre Frist war abgelaufen, ihr Zweck erledigt. Sie hatte sich verschäumt, vergeudet – wozu? Wofür? Nie mehr wollte sie vor des Sohnes Angesicht treten – er würde sie bestenfalls nicht vermissen.
Ins Witwenhaus ging sie, sich zu verbergen. Ständig Trauerkleider wollte sie anlegen, wie einst Michal, Davids erste Gemahlin, nun auch sie, seine letzte.
Fern dem Geist dieser neuen Zeit, über die eine neue Sonne sich erhob, alles überglühend, aber auch alles versengend, wollte sie im Dunkel um David weinen und um ihre eigenen Taten. Dies war ihre letzte Pflicht. Und dies ihre Buße.
Schweren Fußes, mit gebeugtem Rücken – müde und greisenhaft schreitet Bath-Seba hinaus. Der Vorhang schlägt seine Falten hinter ihr zusammen und senkt sich über der Welt weiland des Königs David. – David, der die Harfe schlug.