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Vorrede an den wohlwollenden aber laienhaften Leser

Du, mein lieber Freund, tätest besser daran, dieses Buch nicht zu lesen. Ich warne dich nachdrücklich. Deine gewohnte Art, einen Band zu durchblättern, den Schluß vorweg zu nehmen, dir überflüssig erscheinende Schilderungen zu überschlagen, versagt hier. Die Teile greifen so ineinander, ergänzen sich derart, daß nur eine geordnete Lektüre den Sinn des Gesamtwerkes erschließt. Boshafterweise ist zudem die Steigerung eine allmähliche, der Fortgang amüsanter als der Anfang, und auch die gewissen Dinge (die du besonders liebst) stehen verstreut und vereinzelt.

Es ist kein Zufall, daß der Inhalt eines ganzen Abschnittes in einem andern abermals, jedoch in wenigen Zeilen und in grundverschiedener Auffassung behandelt wird. Denn so ist das Leben. Was für Thamar die Inbrunst und die erschöpfende Not ihres Daseins bedeutet, wird in der spöttischen Betrachtung Unbeteiligter zum Dutzendfall, gilt ihnen nur als ein galantes Abenteuer. Der Sturm, der Zweifel, die Sehnsucht, klammernde Hoffnung und der seelische Zusammenbruch eines Menschengeschickes – wie das der Michal – was sind sie, was werten sie, gemessen am Verhängnis einer Nation, an einer völkischen oder religiösen Entwicklung? Halte es auch nicht für schriftstellerisches Unvermögen, daß Stil und Rhythmus der Erzählungen so verschieden sind; daß du im gleichen Buch die Schwere geschichtlicher Schilderung, lyrische Musik, gemessene Wucht und Würde neben Humor, Spott und Ironie, oder nachdenkliche Reflexion neben der tändelnden Hingabe an den flüchtigen Eindruck findest. Denn nochmals – so ist das Leben. In allem ist alles. Die Harfe Davids, deiner eigenen Seele Harfenspiel haben mannigfache Saiten. Sie sind gestimmt für manche Melodie. Wie durch dieses Buch so schreiten durch viele Schriften armer Menschlichkeit Pathos und Ethos, Eros und Eris, Kosmisches und Komisches. Und alles wird überstrahlt von lächelnder Skepsis, etwas müder Resignation und der wehmütigen Melancholie einer ganz, ganz kleinen Verachtung.

Das heißt für den einen Entsetzen und für den andern lindernder Trost. Vielleicht habe ich dies Buch geschrieben, damit du dir über dein eigenes Empfinden Rechenschaft gibst. Viele Dinge sind darin, die deine Gegenwart ausfüllen und die dir sehr wichtig erscheinen. Und sie sind doch uralt und wirklich nicht von mir der Aktualität halber in die Vergangenheit hineinerfunden. Die Seele der Menschheit hat nicht viel Gutes im Laufe der langen Entwicklung hinzugelernt, und gar nichts vom Bösen vergessen. Der ganze gegenwärtige politische Streit mit seinen menschlichen Torheiten und menschenunwürdigen Klugheiten hat sich vor mehr als dreitausend Jahren schon einmal abgespielt. Parallelen wie der Gegensatz zwischen Nord und Süd eines um die Einheit ringenden Volkes; die Entwaffnung einer besiegten Nation, der Aberglaube der Sieger, man könne das Chaos mit Paragraphen zähmen und fesseln – alles dies war schon und hatte sicherlich auch damals schon Vorläufer. Auch der Streit um den Königsgedanken ist so alt, daß er beinahe schon abgeschmackt wirkt. Alles, was wurde, ist Wiederkehr, und es ist, wird und vergeht in einem und zu gleicher Zeit. Stein und Baum, Planet und Sonne, die Milchstraße und Milchstraßensysteme, die Zelle, der Mensch, die Idee und auch Gott.

Ist die Gottheit ein Krückengedanke des geängsteten Menschen, so bricht sie spätestens mit ihm zusammen. Hat ein Schöpfer diese Welt erdichtet, die das Gesetz der Wandlung und des Unterganges in sich trägt, so war sein »Werde Licht« die Kundgebung des Entschlusses, durch Selbstmord zu enden. Nur die Anbetung der Kreatur haucht den Göttern den Odem ein und erhält ihn lebendig in ihnen. Auch hierüber findest du einiges in dem Davidpsalm, den ich dir biete. Und vielleicht habe ich das Buch doch deswegen geschrieben. Was über Jahve-Jehova, seine Kirche und seine Religion erzählt wird, soll dich nicht kränken. Er war wirklich nur ein Göttlein unter vielen, hatte einen sehr schweren Wettbewerb zu bestehen und schlug sich im Anfang recht kümmerlich durch. Das ist wahr – aber auch das Gesetz von Sinai ist wahr. An Gott mag glauben, wer will, wer muß, wer kann. Das Göttliche zu leben, ist Pflicht von jedermann.

Der fromme König David erfüllte sie nicht. Ich habe ihn nie leiden mögen, und es war seit langem ein Wunsch von mir ihn vor dir zu entlarven. Legende, Dichtung, literarische Mißverständnisse, Priesterpolitik, das Unglück des Volkes Israel, seine messianische und zionistische Sehnsucht, die darstellende Kunst, Buchstaben-Aberglauben, theologisches Eifern – all das hat zusammengewirkt, um diesem Herrscher einen glänzenden Kronreif zu schmieden, der ihm nicht gebührt, und der dann auch gleich noch für den blutigen und alles Heilige schändenden Despoten Salomo ausreichte. David ist ein echter Nachfahr des ebenso unsympathischen Stammvaters Jakob. Neben dieser Schicksalslinie des Judentums aber zeichnen sich leuchtend die beiden andern: die prangende der Führer und Helden, auf der Moses, Simson, Saul, die Makkabäer, Paulus stehen. Und die andere mit ihrem sanften innerlich vertieften Schimmer, die der Menschheit süßesten Traum umgrenzt. Durch die Prophetengesänge zieht sie sich dahin, bis ihr Strahl sich in den Evangelien zur Gloriole des guten Hirten erhebt und in Johannes dem Liebereichen sich vollendet.

Und vielleicht schrieb ich dies Buch, um dich auch hieran zu gemahnen, dich zu erinnern, daß in dem Mischkessel Palästina ein gleichmäßig gearteter und reinrassiger semitischer Stamm so wenig sich bilden konnte wie etwa im germanisch-slawischen Kampf- und Siedlungsgebiet östlich der Elbe ein einheitliches deutsches Volkstum. Die Persönlichkeit Davids und seine Krieger allein hätten mich nicht hinreichend gelockt. Nicht die Lauten und die Schreier – die Stillen und die Schweigenden sind ja das Salz der Erde. Auch zu Davids Zeiten waren sie schon vorhanden. Hinter den Habebalden und den Eilebeuten verkroch sich kümmerlich allerlei Kleinzeug; Frauen, armselige Leute, schlichte Gemüter, denen nachzuspüren mir der Mühe wert erschien. Neben David, den die Welt zu unrecht rühmt, hat die Bibel uns eine Michal, einen Paltiel, eine Abisag von Sunem aufbewahrt. Sie kennen und verstehen zu lernen, scheint mir viel wichtiger für dich als das ganze Phrasentum von Ehrgeiz, Macht und Kampf und aufgeblasenem Herrscherdünkel. Es ist der ewige Zauber und das unvergängliche Verdienst der nazarenischen Seele, daß sie das Mitleiden zur Religion erhob, daß sie den Demütigen über den Hochmütigen preist und lehrt, daß das Heil nicht von den Gewaltträgern, sondern von den Friedfertigen kommt. Und ich wollte wohl, daß ich einst das Gegenstück zu »David schlägt die Harfe« erfassen könnte, eine Geschichte von Fischern, Zollpächtern, schwärmerischen Wanderpredigern, bußfertigen Dirnen und Zimmermannskindern. Mit dem Titel: »Jesus predigt am Berge!«

… Einstweilen nimm mit dem »David« vorlieb. Was in seiner Lebensfluten Tiefe noch Besonderes sich birgt, kannst du, wenn du dich durchaus bilden willst, aus dem Nachwort »An den gestrengen Herrn Schriftgelehrten« ersehen. Dir, meinem laienhaften Freunde und Gönner, hoffe ich mit dem Spiel der Oberfläche eine nicht ganz unergötzliche Stunde zu bereiten. Der Zeitgeist und der Zeitgeschmack erfüllen sie: Krieg und Hochverrat, Kongresse und diplomatisches Ränkegespinst, untergehende Schichten und der Hechtsprung neuer Kömmlinge an die vollbesetzten Tafeln des Genusses–… Liebe und Eifersucht, Toiletten- und Schlafzimmergeheimnisse, sinnliche Verirrungen und wilde Lüste jeden Grades–… Frömmigkeit und Frömmelei, Pietismus, Okkultismus, Freigeisterei und Wahrsagerei–… Heerführer, Landsknechte, Riesen, Räuber, Geheimbündler, gemeine Mörder und noch gemeinere politische – kurz Abenteuer aller Art. Sogar ein alttestamentarischer Detektiv ist nicht vergessen–… Alles also, was dich erhebt und erfreut, ist in dieser Schaubude zu finden. Hereinspaziert! Hereinspaziert! Hier ist zu sehen ein Wunderapparat – ein Relativitätskasten, der die Zeiten vertauscht, Vergangenheit und Gegenwart auswechselt und vereint. Hereinspaziert!!–… Und vielleicht, wenn ich ganz genau nachdenke, bewegte mich doch vor allem dieser Grund, mein Buch in deine seelenvolle Hand zu legen.


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