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Nun saß David also in der Burg Zion, hoch über den Lehmhäusern dieser ewig unruhigen Jebusiter und Hebräer, die gemeinsam Jerusalem bewohnten, und baute unauffällig die Befestigung aus. Süden und Norden, alle Stämme hatten ihn zum König gesalbt, und Krönungssalbe ist ein gutes Schutzmittel. Aber dicke Mauern sind ein noch besseres.
Allmorgendlich zog er sich auf seinen Lieblingsplatz, vor das Obergemach, auf das flache Dach seines Hauses zurück. Hier hatte er Ruhe vor Beamten, Bittstellern, Sklaven und dem Gewirr seines reichlichen Harems. Ein strenges Hausgebot hielt alle fern, nur die Priester hatten das Vorrecht, in Notfällen den König auch hier aufzusuchen. Sonst aber wagte niemand ihn zu stören, alle wußten in ehrfurchtsvoller Scheu: Der König regiert und sinnt auf seines Volkes Wohl.
Daß er geradezu schlief, wäre zuviel gesagt. Vielmehr lag er in einem trägen Dämmerzustand, im angenehmen Gefühl des Gelöstseins. Erinnerungen, Träume, Pläne, wollüstige Regungen überspülten ihn. Jede Sinnesreizung nahm er wahr, einen Schrei vom Hofe, eine Bewegung auf einem der gegenüberliegenden niedrigen Dächer, einen fauligen Duft, den die Sonne durch die sonst unbewegte Luft zog. Aber er grübelte den Dingen nicht nach. Am liebsten ließ er sich in sanften halben Gedanken wiegen, meist über den Verlauf seines Lebens, wie er nun schließlich doch ans Ziel gekommen und alles sich so herrlich gefügt hatte.
Angenehme Bilder malten sich in dem Sonnenglast vor seinen blinzelnden Augen. Da tauchte ein mächtiger Schädel auf, noch im Knochenbleich von unheimlicher Kraft und Gewalt. Aber wie sollte Sauls verwester Kopf nun David fürchten machen? Er lag hier, wohlig in der Wärme, der gerechte und geliebte König über Juda und Israel. Und Saul war auch an dem ihm gebührenden Platz. Sein Schädel zierte den Tempel des Dagon zu Asdod oder den der Astaroth, die Gerüchte gingen hierin auseinander. Der Rumpf hatte lustig an den Mauern von Beth-San im Winde geschaukelt, zur Freude der Töchter der Philister, der Kinder der Unbeschnittenen. Bis ihn die Männer aus Jabes in Gilead heimlich des Nachts holten. Die Fleischfetzen verbrannten sie und setzten die Asche unter einem Baum bei, und sie fasteten sieben Tage. So statteten sie den Dank für die erste Tat Sauls als König ab – als er ihre Stadt entsetzt und ihre Väter vor dem Schicksal bewahrt hatte, das rechte Auge zu verlieren. Jedenfalls – Saul war tot. Und sein Geschlecht fast völlig ausgerottet. Um Jonathan war es schade. Er hatte sich stets freundschaftlich erwiesen und seine Liebe war süßer als Frauenliebe gewesen. Aber immerhin ist ein lebendiger Blutsbruder weniger wert als ein toter Prätendent. Nur ein Sohn von ihm, der hinkende Meribaal, den die Diener Jahves später Mephiboseth, den Schandmenschen, nannten, war verblieben. Eine verständige Amme hatte ihn als Knaben fallen lassen und damit zum König untauglich gemacht. Seiner Oheime und Vettern hatte man sich jüngst bei günstiger Gelegenheit entledigen können. Als eine dreijährige Dürre geherrscht hatte, orakelten die Priester willfährig eine alte Blutschuld Sauls an den Gibeonitern als die Ursache, und David mußte, um den Zorn der Gottheit zu besänftigen, zu seinem großen Bedauern selbstverständlich, die letzten Söhne und Enkel Sauls, sieben an der Zahl, nach Gibeon ausliefern, wo sie sofort gehängt wurden. Meribaal hatte er dabei verschont. Sieben auf einmal war etwas reichlich, wenn auch die Angst vor der dörrenden Grausamkeit Gottes, der Priesterspruch und der Hunger das Volk stumpf und gedankenlos genug gemacht hatten. Man glaubte David aber seine Tränen über das bittere Schicksal, das er – leider, leider – den Söhnen Sauls bereiten mußte, eher, weil er in herzzerreißendem Flehen wenigstens den hinkenden Sohn Jonathans freibat vom harten Verlangen Gottes und der Gibeoniten. Die sieben aber, die das Verbrechen begangen hatten, mit geraden Gliedern in Davids Weg zu stehen, starben zum Wohl des Volkes. Da half keine unmännische Sentimentalität. Die Dürre mußte ein Ende nehmen, besser sieben Tote als Zehntausende im Hungerelend. Gott war streng, aber – so meinten die, die am Leben blieben – doch auch sehr gütig. Die sieben Hingerichteten lagen dann monatelang unbegraben, den Vögeln und dem Wilde ein Anreiz. Die stille Dulderin Rizpah, Schmerzensmutter von zweien dieser Märtyrer, wehrte den Tieren in Sonnenglut und schreckender Nacht den Zugang. Nach Davids Darstellung war dies nur auf die Härte der Gibeoniten zurückzuführen. Er gewährte den Toten schließlich ein ehrliches Begräbnis, zusammen mit der herbeigeholten Asche Sauls und den Gebeinen Jonathans in der Gruft des Kis, des Stammvaters des Geschlechts. Freilich fand mancher, daß er dieses Zeichen des Edelmuts gegen die gerichteten Sauliden schon früher hätte geben können. Aber die so sprachen waren nörgelnde Vaterlandsfeinde. Oder sie verstanden den hohen Sinn ihres Herrschers nicht.
Den Meribaal-Mephiboseth aber, den letzten Überlebenden, behielt er vorsichtig im Auge. Nach einiger Zeit ließ er ihn durch zuverlässige Leute von seinem Wohnort Lo-Dabar nach der Residenz holen. Da sie ihn harmlos befanden, so brauchte ihn auf der Reise Gottes Zorn nicht zu treffen. In der Hauptstadt genoß er großmütige Behandlung und speiste alltäglich an der königlichen Tafel. Man sparte einen Hofnarren, und die Späher konnten ihn beobachten. Und das war alles, was von Sauls direkter männlicher Nachkommenschaft atmete, ein mißachteter Krüppel. Denn Eschbaal, der nach Sauls Tode König von Israel gewesen war und den die Spötter Isboseth, den Mann der Schmach, benannten, hatte solchem Spitznamen gemäß gelebt und geendet. Aber das lag schon vor dem Tode der sieben, als David noch in Hebron Hofhalt führte.
Tief und befriedigt schlürfte der König die Luft ein. Das war doch ein Meisterstück gewesen. Da der israelitische König Eschbaal dem Kriege auswich, hatte der jüdische König David ihn durch geschickte Diplomatie zur Strecke gebracht. Solange der hochangesehene Abner, Sauls rechtschaffener Feldmarschall und erster Beamter, zu Eschbaal hielt, war dieser wohlbewahrt. Aber es fand sich Gelegenheit, dem jungen Herrscher klarzumachen, daß Abner doch eigentlich nur ein Handlanger Sauls des Großen gewesen war und sich viel zuviel gegenüber der königlichen Würde herausnahm. Davids Priesterschaft hatte korrespondierende Mitglieder auch am Hofe Eschbaals in Mahanaim. Es kam aus nichtigem Anlaß zu zorniger Auseinandersetzung. Der König getraute sich zwar nicht, Abner zu entlassen, aber er war recht froh, als dieser auf einige Zeit sich entfernte und als Sondergesandter Michal, Sauls Tochter, zu ihrem Gatten David geleitete. In seiner Vertrauensseligkeit und Einfalt ahnte er nicht, daß David und Abner sich bereits zu seinem Untergang verschworen hatten.
Mit großen Ehren nahm David den berühmten Feldherrn auf. Aber er hatte nicht übersehen, seinen eigenen vom Hofe gerade abwesenden Oberstkommandierenden Joab, der dem Eintreffen Abners recht scheel entgegenblickte, daran zu gemahnen, daß an dessen Händen noch ungesühntes Blut von Asahel, Joabs Bruder, haftete. Nach vergeblicher Warnung, von ihm abzulassen, hatte Abner diesen in der Notwehr und ehrlichem Kampf getötet. Für Joab aber war die Tat Vorwand genug zur Blutrache. Als er eilig nach Hebron zurückkehrte, war Abner schon wieder aufgebrochen. David hatte ihn nicht länger gehalten, da er heimbegehrte, um ganz Israel für ihn zu gewinnen. Also sandte Joab ihm Boten nach und ließ ihn bitten, zu einer vertraulichen Unterredung noch einmal nach Hebron zurückzukommen. Arglos folgte Abner der Einladung, ihm lag selbst daran, mit Joab über die künftige Zusammenarbeit Rücksprache zu nehmen. Unter dem Tore von Hebron trafen sich die berühmten Heerführer, und Joabs Schwert, das gern ein- und ausging, führte seinen Lieblingstanz auf und fuhr in Abners Bauch.
Der König hatte natürlich von gar nichts gewußt. Laut beklagte er den plötzlichen Heimgang dieses Fürsten und Großen von Israel, er zerriß seine Kleider, gürtete einen Sack um und befahl ein gleiches seinem Gefolge. Als erster schritt er hinter dem Leichentuch, wies alle Speisen am Begräbnistage zurück, und jedermann war höchlich erbaut. Die Männer empfanden tiefen Schmerz über den schweren Gram ihres Herrschers, sie flüsterten sich zu, wie man nun wieder erkenne, daß er milde und friedliebend, sanft und gerecht und edelmütig selbst gegen seine Gegner war. Unversehrt hatte er Abner ziehen lassen, wider sein Wissen und Wollen war danach das Gast- und Geleitrecht verletzt. In Trauer und Kasteiung sühnte er den Mord, an dem er doch ganz unschuldig, der ihm so schrecklich zuwider war. Und die Frauen huschten zusammen und schwatzten und surrten, wanden die bunten Schnüre um die Hände, hockten nieder und berichteten eifrig, was ihrer Eheherrn Weisheit geäußert: »Unser guter König« – »Ja, wenn die Militärs in seiner Umgebung nicht wären« und »Die Gerste wird nun wohl im Preise anziehn« und »Wenn Israel nur nicht den Krieg erklärt« und »Michal soll selbst ihrem Bruder Eschbaal einen Bericht gesandt haben« – hier kicherten die Frauen, sie flüsterten noch leiser, damit die Kinder, die um sie spielten, nichts hörten – »Michal – ob sie schon in andern Umständen ist? – und ob's ein Sohn wird? – und ob er einmal David auf dem Throne folgen wird?–…«
Aber alle, Männer und Frauen, waren darin einig, daß es ein schönes Begräbnis war.
Mit Joab setzte sich David gründlich auseinander; zunächst unter vier Augen. Der hitzköpfige Eisenfresser hörte gelassen zu; er verstand das alles sehr gut, war lange genug im Hofdienst. Wenn er auch die Federfuchser wie Seraja, den Urkundenschreiber, und Josaphat, den Kanzler, verachtete und den Priestern abhold war, so sah er trotzdem ein, daß David auch solchen Vögeln manchmal freien Flug gewähren mußte. Er verargte es ihm auch nicht, daß er ihn dann auch noch öffentlich verfluchte. (Es war übrigens nicht der ganz große Bannfluch mit »Erde tue dich auf und Himmel verschlinge ihn«, mit »Pestilenz und Ausrottung des Geschlechtes durch den Herrn Zebaoth« – sondern nur der mittlere mit Eiterfluß, Aussatz und etwas Bettelstab.) Jedenfalls, Joab blieb auf seinem Posten. Und alles andere war ihm ganz gleichgültig.
Die Folgen von Abners Tod stellten sich rasch ein. Eschbaal war durch das Ereignis ehrlich erschüttert, wenn auch etwas erleichtert, weil die Stimme des nörgelnden Schulmeisters nun erloschen war. Vertrauensselig und unbesorgt lebte er weiter wie bisher. Mit aller Welt stand er in Freundschaft, wer sollte ihm etwas Böses tun? So konnte man ihn in seiner eigenen Schlafkammer, in der Mittagsruhe, am lichten Tage erschlagen. Und mit seinem Haupte eilten die beiden Attentäter Rechab und Baana unverweilt nach Hebron um sich den Totensold zu holen.
Hier ächzte David in seinem Dämmerzustande wohlig, diese Erinnerung kitzelte ihn immer wieder zu einem satten, zufriedenen innerlichen Lachen. Daß doch die Torheit der Menschen nicht ausstirbt! Es ist gut so – denn die Dummheit der Völker ist das Fundament der Throne. Aber das Maß war hier unbegreiflich voll gewesen. Erst dieser Schwächling Eschbaal selbst, der in den Tag hineinlebte und starb – und dann seine Umgebung, die eigentlich wissen mußte, daß sein Haupt einiger Beobachtung und Behütung wert war, solange es die Krone Israels trug – für die ja vielleicht noch jemand anders einiges Interesse besaß. Und schließlich die beiden Narren, die dieses Haupt in abgeschlagenem Zustand und außerdem noch ihre eigenen lebendigen Köpfe hertrugen zu dem weisen und gerechten, sündenfreien, volksgeliebten und – klugen David, Sohn Isais, dem König von Juda. War ihnen denn das Schicksal des Amalekiters unbekannt, der die Botschaft von Sauls Tod und seine Krone überbracht hatte? Glaubten sie, David würde sein bewährtes Verhalten, das ihm damals alle Herzen gewonnen hatte, ihnen zu Liebe ändern? Alle hatten es ihm hoch angerechnet, daß er seiner Zeit den unwillkommenen Boten sofort getötet hatte. Und alle waren überzeugt gewesen, daß die Trauerhymne über Saul ihm aus dem Herzen kam.
Nun, angesichts des bleichen Hauptes des Eschbaal erhub er wieder eine laute Klage. Ein besonderes Lied, wie damals, verfaßte er allerdings nicht, soviel Anstrengung war nicht nötig. Eschbaal war nicht Saul und Davids Stellung doch auch eine ganz andere als vor sieben Jahren, zur Zeit der Schlacht von Gilboa. Damals ein Verbannter, geächtet und landesfeind in der Philisterstadt Ziklag. Heute König von Juda in den Gefilden von Hebron. Es schien ihm völlig ausreichend, seiner betrübten Entrüstung kurzen Ausdruck zu verleihen. Hart fuhr er die verblüfften Männer an, gottlose Bösewichte schalt er sie, weil sie einen gerechten Mann (!) in seinem Hause (!!) auf seinem Lager (!!!) ermordeten. Ehe die von soviel sittlicher Empörung ganz Betäubten ein Wort zur Entgegnung fanden, oder gar zum Hinweis auf gewisse Versprechungen und Zusagen, waren sie auf Davids grimmes Geheiß schon ergriffen. Und er gebot, sie zu erwürgen, ihnen Hände und Füße abzuhauen und sie über dem Teiche aufzuhängen. (Riß der Strick, so war noch das Wasser da – sicher ist sicher.)
Jetzt war der Weg frei, er brauchte sich gar nicht mehr anzustrengen. Alle Hindernisse waren überwunden. Das Ziel war erreicht, der Traum der Jugend ging in Erfüllung. Die Ältesten von Israel erschienen zu Hebron, schlossen einen Bund mit ihm und salbten ihn zum Nachfolger Eschbaals. Das wieder geeinte Land hatte seinen Fürsten: David der Erste, König von Juda und Israel.
Nun war er völlig eingeschlummert, die Sonne war gestiegen und machte sich trotz des Schattens am Söller fühlbar. Ruhig ging sein Atem, ein stolzes Lächeln lag um die selbstsüchtigen und sinnlichen Lippen. In den Schlaf hinein hörte er die eine Melodie, die der Leitgesang seines Lebens gewesen war: König von Juda und Israel – König von Juda und Israel. Nie hatte sie ihn verlassen – sie umsummte ihn an den Lagerfeuern in den Wüsten, als er vorm Zorne Sauls mit den Seinen floh, in Höhlen sich verkroch und wie ein Steinbock am schwindelnden Abhang klebte. Sie war zu ihm gedrungen aus dem Munde des Trösters Jonathan, der ihn heimlich aufsuchte – das Blühen der Heide Siph war um sie und der Sang der Bienen und tausendfältigen Käfer. In seinem todesängstlichen Stoßgebet hatte sie mitgeschwungen, als er am Seile unter dem Fenster hing und nur Michals, seines Weibes, starke Hand ihn hielt, damit er den Häschern ihres Vaters entrinne. Fest eingewurzelt war sie in seinem Hirn, und sie rollte als Last auf jedem fieberhastenden Körperchen seines Blutes; sie erfüllte die Luft um ihn und in ihm, sie begleitete den Lärm des Kampfes und die Stille seiner Einsamkeiten, seine Verheißung bedeutete sie und seine Sehnsucht, sie war sein Traum und sein Wille zur Tat. Um derentwillen hatte er gemordet und verraten, gelogen und geheuchelt, geschmeichelt und betrogen. Als Schrei und Peitschenpfiff hatten diese Worte ihn gejagt mit lechzender Zunge, vergehendem Atem und dem letzten Erzittern seiner Glieder; hatten ihn gehetzt wie eine tolle Bestie, verächtlich gemacht vor dem eigenen Ich und zur Selbstaufgabe gezwungen, ihn in den Staub geworfen vor die Priester, deren Kreatur er war, und vor die Füße seiner Feinde und der Feinde seines Volkes, bei denen er letzte Zuflucht erflehte. Das bittere Brot des Landesverräters und Geächteten warfen sie ihm zu; diese Worte: »David, König von Juda und Israel, König von Juda und Israel!« selbst in der höchsten Lebensgefahr, als die Knechte des Achis schon über ihm waren, dem noch zaudernden Philisterfürsten rieten, den gefährlichen alten Widersacher, der sich zu ihm geflüchtet hatte, niederzuschlagen, als sie schon die Schwerter und Keulen gegen ihn zückten und Achis die Hand hob, zum Zeichen der Billigung – selbst da noch, als ihm in Todesangst die letzte List einfiel und er plötzlich in lautes Gelächter ausbrach, unter den zugreifenden Händen tobte, die Augen verdrehte, mit dem Kopf gegen die Türpfosten rannte und den Geifer in den Bart triefen ließ – selbst in dieser Stunde des gespielten Wahnsinns, der ihm das Leben rettete, verstummte die hoffende Mahnung in ihm nicht. Er heulte unsinnige Silben aus der würgenden Brust, sie quollen aus seiner sterbenszitternden Kehle in lallenden Lauten des Irrsinns. Aber in seinem Innersten tönte anderes, erscholl ein Echo voll heißer Kraft und jauchzender Gewißheit: Und doch – und dennoch – und trotz alledem – »David – David! König von Juda und Israel!«
Nur einmal war der Zweifel überstark gewesen. Im Schlaf stöhnte David tief auf; der Alpdruck kam über ihn, der Angsttraum, der nicht von ihm wich, nie und nirgends. Grausige Ereignisse, Nachtfaltern gleich, flatterten ans Licht aus unheimlichen Abgründen seiner Seele. In jeder Krankheit, jedem körperlichen Unbehagen richteten sie sich auf und stürzten ihn von seinem Hochmutssitz und aus seinen Triumphgefühlen hinab in das kleinlaute Nichts. Die Erinnerung träufelte Gift in das Behagen seiner Tage und ätzende Qual in die Müdigkeit seiner Nächte. Alles war geschehen, weil es so sein mußte, Vorherbestimmung, Notwehr; wer König werden will, wer König sein will, der darf nicht zartbesaitet durch das Leben schreiten. Und Davids Harfe war nicht zartbesaitet. Wenn nur das eine nicht gewesen wäre – die Kinder – dieser klägliche Todesschrei sterbender Kinder–…
… Damals war es gewesen, nach dem erheuchelten Wahnsinn vor dem Königsstuhle des Fünftfürsten der Philister. Dem geisteskranken Manne hatte Achis königlichen Schutz und Frieden gewährt und ihm die Stadt Ziklag zum Aufenthalt bestimmt. Völlig vertraute man ihm nicht; er durfte mit den Seinen die Banngrenze nicht verlassen, und ab und zu tauchten fremde Philister auf, behorchten die Wasserschöpferinnen am Brunnen und entschwanden bald wieder. David wußte also, daß er umspäht wurde, und mahnte und warnte seine Leute beständig. Sie hielten sich auch zunächst still, ließen die Weiber arbeiten, hockten im heißen Sande und erzählten die alten Sagen aus den Tagen der Urväter, die Märchen von den seligen Flüssen des Gartens Eden und den Wassern des Berges Ararat, von den Opfergluten Kains und Abrahams, der flammenden Säule am Roten Meer und den Blitzen des Berges Horeb – aber die Wasser und Feuer der Vergangenheit erstickten und verzehrten nicht die gegenwärtige Unrast ihres Blutes. Die erzwungene Ruhe machte sie schlaff, die Muße mürrisch und widerwillig. Sie waren das freie Räuberleben in den Steppen und Einöden des Felsengebirges allzu gewohnt. Sie lechzten nach dem Kampf mit Männern, nach dem wollüstigen Schrei der trotzig und wild wehrenden und schließlich doch dem Zwang der Manneskraft erliegenden Frauen. Unerreichbar schien der Tag, der von David ihnen versprochenen königlichen Würden und Schätze. Das schlimmste aber war, daß manchmal in den sternenklaren Nächten ein leises Summen zu Davids Hütte drang, schwermütige Klänge der Sehnsucht, Lieder des Heimwehs. Er wußte wohl, von solchem Akkord bis zum Posaunenstoß des Aufruhrs war nur ein kleines Intervall. Auf das Haupt jedes dieser Männer, vor allem der siebenunddreißig Getreuen, hatte Saul hohe Summen ausgelobt. Konnte nicht Untätigkeit Untat wecken? – War Davids Kopf nicht Preis genug zur Lösung aller andern?
Etwas mußte geschehen. Die Gefahr des Abwartens war zu groß, und da die Überwachung durch die Philister nachließ, wagte es David, den Bannbezirk zu verlassen. Einen jähen Raubzug unternahm er in das Gebiet der friedlichen Gessuriter, und als dies glückte, suchte er auch die benachbarten Girsiter und Amalekiter heim. Bald in jenem Dorfe, bald in dieser Oase tauchten nun überraschend seine schnellen zum Überfall geübten Mannen auf. Wüstenpiraten, die wie der Sandsturm wirbelnd sich auf alles Leben stürzten. Die Quellen verschütteten sie, Fruchtpalmen hieben sie nieder bis zur Wurzel. Die Gerüste der Mahlsteine zertrümmerten sie zu Splittern und zerbrachen alles Handwerkszeug. Das Vieh wurde in die Öde gejagt oder mitgeschleppt. Was ihnen gefiel an Gewandung, Schmuck, Geräten, Götzenbildern, Hüttenzierat und sonstigem Tand der armseligen Hirtenvölker, rafften sie an sich. Und hinter ihnen fletschte die Vernichtung, heulte gräßlich die Freude der Schakale und Hyänen. Daß man die Männer tötete, war selbstverständlich. Man war doch Träger der höheren Zivilisation. Da sie etwas besaßen, was die Habgier ihrer Nachbarn reizte, hatten sie die Schuld am Kriege sich zuzuschreiben. Des Führers strengstes Geheiß verlangte aber auch den Tod der Frauen. Und David hielt fest an diesem Befehl, obschon mancher seiner tapferen Krieger murrte, daß nur hastige Lust ihm möglich war statt dauernder Besitz und Genießen. Gleichgültiger spießten sie die Kinder auf, sie waren rauh und weicher Regung fremd geworden – wer schonte sie selbst, und wer würde ihrer Brut sich erbarmen? Gerade hierbei aber litt einer schwer. Einem grub sich das Todesröcheln der hilflosen Kleinen auf immer in die Ohren. David schloß die Augen, um ihren letzten Kampf, ihre anklagende Verkrümmung nicht sehen zu müssen. Und konnte doch den Laut und das Bild nie mehr fortlöschen von der Tafel seines Gedächtnisses.
Es mußte sein – er durfte dem Erbarmen keinen Raum gewähren. Niemand durfte übrigbleiben, der nach Gath hätte kommen und Zeugnis ablegen können wider ihn. Denn dem König Achis erklärt er das Wachstum seiner Herden, den großen und ständig sich steigernden Reichtum an Schafen, Rindern, Eseln, Kamelen und Kleidern damit, daß er Einfälle gemacht hätte ins Land Juda und der Schutzvölker der Judäer, der Jerahmeliter und Keniter. So schmeichelte er sich noch tiefer in das Zutrauen des Philisterfürsten ein, zeigte sich als den Feind seiner Feinde, losgelöst von seinem eigenen Volke. Seine Sechshundert erhielt er frisch und waffenfähig und guten Mutes und brach doch die Brücken zu seinen eigenen Stammesgenossen nicht ab. Die Todesseufzer aber – die Tränen der Kinder – was sind sie vor der erhabenen Weisheit, der menschlichen Güte und dem selbstlosen Streben der Erwachsenen? Wenn sie zu Tausenden verwaist werden, verkommen im Elend unbehüteter Jugend, im Sumpf ersticken, wenn ihre Körper verdorren und sich verkrüppeln, weil der Feind den Hunger um die Grenzen und ins Land hineinjagt wie ein fressendes und feuerspeiendes Ungeheuer, wenn sie verrecken unter dem eisernen Tritt des Krieges, was tut es? – Eine Krone steht auf dem Spiel, ein Wahn der Massen brüllt, die Wahrheit einer göttlichen Religion muß bewiesen werden, der Reichtum der Reichsten ist noch nicht reich genug–… Das Stahlbad des Krieges kräftigt die Trefflichsten eines tüchtigen Volkes, verheißt Zuwachs an Land und Macht und Schätzen und gibt den Soldaten Gelegenheit zu Ehren und Aufstieg. Wer darf sich da kümmern um die Not und das Elend der geringen Leute und um die Leiden der Kinder?
Davids kluge Diplomatie erwies sich wieder einmal als ganz vorzüglich. Achis fühlte sich seiner nun ganz sicher. Die Grausamkeit gegen die frühere Heimat mußte David auf immer in die Gefolgschaft der Philister zwingen; der Überläufer und Verräter konnte für Juda und Israel nie mehr etwas anderes sein als ein verabscheuungswürdiger Todfeind. Deshalb trug der Fürst kein Bedenken, als der große Heerbann wider Saul aufgeboten wurde, auch seinem Lehnsmann David und dessen Gewaffneten den Gestellungsbefehl zu senden. David war unangenehm berührt. Aber er erkannte sofort, daß jeder Versuch einer Drückebergerei unmöglich war. Eine Ausrede, ein Zögern nur, hätte Mißtrauen erregt, sorgfältiges Nachspüren und Entdeckung seiner Lügen und sichern Tod zur Folge gehabt. Der Übertritt nach Juda war gleich gefährlich; dort drohte unerbittlich Sauls Haß. So mußte er das Gesicht wahren und Freude heucheln über die ehrenvolle Aufforderung zur Heeresfolge; er berief die Seinen zusammen und zog in Eilmärschen nach Aphek, dem angesagten Aufmarschorte. Er beschloß aber bei sich, in der Schlacht genau aufzumerken, wohin der Sieg sich neigte. Je nachdem konnte er den Philistern tapfer helfen und nach gewonnenem Kriege vielleicht wenigstens als ihr Lehnsfürst die Herrschaft über Juda und Israel erhalten. Oder er ging mitten in der Schlacht zu Saul über. Dann mußte der den alten Zwist vergessen, ihn amnestieren und sogar belohnen. Und dann würde man ja sehen – Gott und die Priester würden schon weiter helfen.
Aber es traf sich noch viel günstiger für ihn. Denn als er sich beim Heere der Philister einstellte, schalten die andern Fürsten sehr auf Achis, daß er die Hebräer mitstreiten lassen wollte gegen ihre Landsleute. Sie fürchteten, als hätten sie sein Inneres erschaut, Davids Abfall und Verrat. Vergebens vermaß sich Achis seiner Treue, bot jede Bürgschaft, erzählte von seinen kühnen Beutefahrten ins Judäerland. Die vier andern bestanden darauf, daß David schleunigst abzog, und wollte Achis es nicht schon zu Anfang der geplanten Operationen zum Zwist der Verbündeten im Großen Hauptquartier kommen lassen, so mußte er nachgeben. Er sprach sich sehr empört über die Engstirnigkeit seiner Freunde aus und entschuldigte sich vielmals bei David. Der zeigte sich tiefbetrübt, mißmutig und arg enttäuscht, verabschiedete sich von Achis und zog sehr zufrieden wieder heim nach Ziklag.
Die Hand des Herrn war offenbar wieder über ihm gewesen. Denn nun brauchte er nicht teilzunehmen an der Schlacht im Gebirge Gilboa, in der die Juden und Israeliten die entscheidende Niederlage erlitten und Saul und seine Söhne fielen. Das Blut seiner kampferprobten Schar hatte er schonen können, sie hatte sich sogar durch den Zuzug eines Häufchens kühner Mannassiter vermehrt, und es konnte nicht ausbleiben, daß sich die Blicke der geängsteten, führerlosen, von den Priestern nach Sauls kläglichem Ende noch mehr beeinflußten und von einem Vormarsch der siegreichen Philister schwer bedrohten Judäer sofort auf David richteten. Auch Sauls Anhänger wußte er klüglich zu gewinnen. Bald klang auf den Gassen und zur Flöte der einsamen Hirten auf der Steppe ein neuer Sang, Davids Klagelied über den Hingang Sauls und Jonathans und ihrer Helden. Das Schwert Sauls ward gerühmt, das stets gedampft hatte vom Blute der Erschlagenen und vom Fette der Feinde, und der Bogen Jonathans, der nie sein Ziel verfehlte. Ihrer Holdseligkeit gedachte des Dichters Kunst, pries ihre Adlerschnelligkeit und ihre Löwenkraft und die Freigebigkeit und wahrhaft königliche Huld Sauls, der Gold, Kleinode und Scharlach gespendet hatte zum Schmucke der Frauen. Und in ganz Juda wußte man es bald, und darüber hinaus auch in Israel: David schlägt die Harfe!
Keine Andeutung war in seiner Totenklage vom Grimme Sauls wider ihn selbst, alle rühmten seinen Anstand und Herzenstakt. Als er in kühnem Entschluß die Grenze überschritt und vor Hebron erschien, der priesterlichen Freistadt der Söhne Aarons, fand er offene Tore und offene Herzen, und die Ältesten aus Juda fanden sich sofort ein und salbten ihn zum König.
… Der Atem Davids war wieder friedlicher und ruhig geworden. Die Angstgesichte waren zerstoben, die Erinnerung an den glücklichen Ausgang ließ die schweren schwarzen Schatten abgleiten von seiner Seele, sie kehrte heim aus der bittern, blutgefleckten und schmachumhüllten Vergangenheit in die freudige und ehrenvolle Gegenwart. Und der König von Juda und Israel schlummerte traumlos weiter.
Ein Geräusch ermunterte ihn. Er blinzelte gegen die Sonne, noch im Halbschlaf verfinsterte sich sein Gesicht. Die Störung ärgerte ihn, und die beiden Männer, die vor ihm standen, liebte er nicht gar sehr. Sofort aber faßte er sich, richtete sich, vollends wach, empor, sprang vom Lager, ergriff sie herzlich bei den Händen und zog sie in die Kühle des kleinen aufgemauerten Dachgemaches.
»Sieh da – Zadok und Abjathar, meine lieben, teuren Freunde. Zu Gutem führt der Herr Zebaoth euch her – was bringt ihr eurem König, dem Knechte des Herrn?«
Die beiden Priester zögerten einen Augenblick mit der Ansprache, als suchten sie nach den Worten der Begrüßung; beide waren etwas befangen, der große Hagere und der gerundete Kleine; dann begann Zadok zu sprechen:
»Gegrüßet seiest du, Gesalbter des Herrn; der Herr lasse sein Antlitz leuchten über dir, er mache deine Feinde zum Schemel deiner Füße, er erhöhe dich und dein Haus und halte die Krone bei deinem Samen ewiglich. Er breite deine Herrlichkeit aus über die Lande und«–… hier fiel Abjathar ein, ängstlich, zu kurz zu kommen–… »und er reiße die Götzendiener vor dir auseinander wie das Wasser, er zerstöre durch dich die Greuel der Moabiter und Ammoniter, er mache deinen Namen groß wie den Namen der Großen auf Erden, er segne deine Weiber, Kinder, Ochsen, Esel, Kamele, Schafe, Ziegen nebst den Lämmern und Zicklein, die um sie springen–…«
… »Und so weiter,« dachte David. »Und so weiter. Und so weiter. Das alles kenne ich doch schon und habe es oft gehört, und es ist gut, wenn das Volk dabei steht. Es erhöht das Ansehen und die Ehrfurcht. Aber unter uns wäre soviel Aufwand wirklich nicht mehr von Nöten.« Er nickte den Priestern zu, aber diese ließen sich nicht unterbrechen; der König mußte die ganze Litanei über sich ergehen lassen und war in seinem Innern sehr böse, denn er wußte – Priesterworte kosten Geld; viele Priesterworte kosten sehr viel Geld.
Äußerlich aber machte er ein frommes, aufmerksames Gesicht, als stünde er vor unerhörten Offenbarungen.
Endlich waren sie fertig, der Atem ging ihnen schon schwach, umständlich verneigten sie sich gen Osten, hoben die Hände und spreizten die Finger zum Zeichen des Segens, dann erst ließen sie sich erschöpft nieder und fächelten die erhitzten Gesichter.
»Der Herr Zebaoth«, begann dann Abjathar wiederum, »ist uns erschienen und hat uns geboten, zu dir zu eilen, David, König von Juda und Israel.«
Auch diese Einleitung kannte der König, sie verhieß zumeist nichts Gutes. Aber höflich und diplomatisch wie vor den Gesandten eines fremden, mächtigen Fürsten hielt er den aufsteigenden Zorn zurück. Was wollten sie nun schon wieder, diese unersättlichen Nachfahren Aarons.
»Ich hoffe, daß ihr gute Botschaft bringt von meinem Herrn. Habe ich nicht nach seinen Geboten gelebt und mich von Sünden rein gehalten? (Eilig durchrann sein Gedächtnis die letzte Zeit. Nein, es lag wirklich nichts von Belang vor, nichts wenigstens, was eine große Bedrohung und entsprechende Buße und Lösegeld gerechtfertigt hätte.) Ich habe die Opfer dargebracht, wie es festgesetzt ist, und ich habe gesorgt für die Gerechten des Herrn. Wo sind sie hin, die die Widersacher von euch und euren Brüdern waren? Sie sind zerstreut in alle Winde, ihre Gebeine sind den Tieren der Wüste verfallen, und ihr Name ist ausgetilgt in Juda und Israel. Saul erließ Gesetze gegen die Priester, meine Freunde, er verbot den Zeichendeutern, Propheten und Zauberern ihr Werk und klärte das Volk auf, daß es abließ vom Glauben an die Heiligkeit der Leviten, die nicht säen und doch ernten von der Arbeit aller Stämme im Lande Kanaan. Auf der Höhe bei Gibea schlug er durch Doegs Hand fünfundachtzig der Diener am Heiligtum auf einen Satz, er machte Nobe, der Priester löbliche Stadt, dem Erdboden gleich – nur du, mein lieber Abjathar entkamst dem Gemetzel. – Aber der Herr gab Saul in die Hand der Philister, und die Krone kam an mich, und ich wandelte das Wort des vom Herrn Verworfenen, hob auf seine Edikte und war den Priestern hold und heilsam. – Was will der Herr Zebaoth durch euren Mund seinem Knechte verkünden? Sehet, ich bin seiner Verheißung gewärtig.«
Unruhig hatten die beiden hin und hergewetzt; sie verstanden den König wohl, verspürten die geheime Drohung in den Erinnerungen an die Priesterverfolgungen von Saul, die er ans Licht rief, Zadok sah Abjathar an, Abjathar den Zadok. Ob sie es verschoben? Eine günstigere Stunde abwarteten? Denn der Rat der Priester hatte Großes ausgesonnen, und David schien heute wenig zugänglich. Sie hätten ihn vielleicht nicht im Schlafe stören sollen. Doch es galt von Zeit zu Zeit das Privileg zu wahren, und einmal mußte diese Angelegenheit zur Sprache und zu Ende kommen.
»Nichts Böses gedenkt dir der Herr, unser Gott. Er ist freundlich über dir und deinem Hause, o erhabener Sohn Isais.« – (»Na, also,« dachte David, »nur gut zureden; seht ihr, wir verstehen uns schon – aber was wollt ihr denn eigentlich?«)–… »Sondern es handelt sich um des Herrn eigenes Wohl und Gedeihen. Er ist betrübt, daß man sein Heiligtum vergißt, und fürchtet, das Volk könnte ihn gering achten und abfallen von ihm – und dann wohl auch von dem König, den er eingesetzt – wenn er sieht, wie die falschen Götzen ringsum geehrt werden und mit Schätzen überhäuft. Verlassen und vergessen aber steht sein Zeugnis in der Ferne, an unziemlichem Platze und nur den wandernden Hirten bekannt. Kein eigenes Dach ist ihm mehr bereitet, nicht einmal eine Hütte, wie zu den Zeiten, da unsere Väter wanderten durch die Gefahren der Wüste. – Also sprach der Herr zu uns: ›Gehet zu David, meinem Auserwählten und von mir Erhobenen und Gesegneten und ratschlaget mit ihm, wie man mir Ehre erweise, und das Volk kräftige im Glauben an mich und in Demut vor seinem König.‹«
David dachte nach. In den Worten der Priester steckte verborgen ein weiser Sinn. In erster Linie kam es ihnen natürlich nur darauf an, die eigene Macht zu festigen und für ihren Säckel zu sorgen. Aber sie hatten recht, sein Los war mit ihrem verknüpft, sie hatten ihn geführt und beraten und unterstützt, und er durfte es mit ihnen nicht verderben. Sicherlich war es klug, dem Volke ein sichtbares Zeichen von der Herrlichkeit seines Gottes zu geben. Prunkvoll und glänzend mußte er ihnen erscheinen und mit Freudenfesten und Getöse nahegebracht werden. Das lenkte auch sein ewig unruhiges Gemüt von Kritik und Widerspiel gegen seine eigene königliche Majestät ab. Denn die Sinne des Volkes gleichen denen von Frauen und Kindern, unstet und der Abwechslung froh, ergötzen sie sich am Schein und schmeichelnden Worten, und das Spielzeug, das sie heute ans Herz gedrückt, reizt morgen nur noch zur Zerstörung und wird mißachtet als Auswurf und Kehricht.
»Weise scheint mir, wie immer, der Wille des Herrn und klug das Wort seiner erwählten Diener. Aber unwürdig bin ich vor euch und stumpf sind meine Ohren; sie hören wohl, aber sie verstehen nicht. Mich dünkt, ich sollte Ira rufen lassen, er wird besser erfassen, was meine hohen Gäste meinen.«
Wieder wurden die Hohenpriester unruhig. Ira, der Jairiter, war der Hauskaplan Davids, einer der Ihren zwar, aber seiner Stellung nach doch ein nicht ganz zuverlässiger Wettbewerb. Auch mochten sie nicht gern einen Aufschub. Die Sonne stieg und es nahte die Zeit des Mittagopfers – und des Mittagsmahles.
»Unser Herr und König tue nach seinem Wohlgefallen. Doch wer vermöchte schneller und richtiger das Gebot des Allerhöchsten zu verstehen als der Herrscher über Juda und Israel. Auch bedarf es nur eines einzigen Wortes–…«
»Was also wünscht der Herr, mein Herr und Gott? Gesegnet sei sein Name!«
»Darauf sprechet: Amen – Amen! Der Herr wünschet die Heimführung der Bundeslade.«
Die Bundeslade!
Wie mit einem Zauberschlage versank vor David alles. Seine Burg und Zadok und Abjathar neben ihm, die Krone, die er trug, und der blutige Weg, der ihn zu ihr geführt. Ein Knabe war er, ein unschuldiges Kind, vom Ehrgeiz unversehrt, von den Lockungen der Priester noch nicht vergiftet. Der Sabbath feierte über der Arbeit, ein Büblein lehnte am Knie von Urgroßmütterchen Ruth, und mit leiser, singender Stimme erzählte sie im Dämmer des Frauengemaches die alten Mären der Ahnen.
Erzählte die Mär, wie sie überkommen war von Mund zu Mund durch die Jahrhunderte, ausgeschmückt durch das Lied der Sänger und die schweifende Phantasie der Mütter und Kinderfrauen. Ihr weißer Scheitel neigte sich über den braunen Jungenkopf mit den großen fragenden Augen und dem Rot der eigenwilligen Locken. Ihr gutes, stilles, zerfälteltes Greisenantlitz bewahrte noch einen Schimmer der demütigen Hingabe und stillen Treue, die die jungfrischen Züge der Ährenleserin beseelt hatten, als sie vor Boas stand, dem Gebieter der Felder. Und wenn auch im Innersten, ganz im Innersten des nur schwach bewegten, fast hundertjährigen Herzens die Scheu und Verehrung vor dem gewaltigen Komos, dem furchtbaren Gotte der Moabiter, ihrer Stammesgenossen, nicht erstorben war, so hatten ihre Lippen doch gelernt, den unsichtbaren Jahve zu preisen, und sie kündete dem Urenkel den Sang von der dreifachen Heiligkeit des Herrn des Himmels und der Erden.
Am liebsten hörte er von den Taten Mose des Gesetzgebers und Führers der Väter. Und den Höhepunkt bildete hier wiederum die Sage vom Berge Horeb in der Wüste Sinai. Von Angesicht zu Angesicht standen der größte Mensch und der erhabenste Gott einander gegenüber. Nicht wie einst Jakob, im Traum nur, und umgeben vom Chor der Engel, nicht am irdischen Fuße der Leiter der eine und auf dem unendlich fernen Wolkenthron der andere, sondern gleich und einander ebenbürtig, auf einsamer Gipfelhöhe, ganz allein beide. Ganz allein.
So rangen sie miteinander, ohne Zeugenschaft von Menschen oder Dämonen, einer in den andern versenkt. So schlossen sie den ewigen Bund. Im kreißenden Aufruhr der Natur, im Feuergeysir des Berges, in Sturm, Grellblitz und murrendem Donnerdumpf, bei lastendem Wolkendunkel, unter der Furcht der erzitternden Erde und vor der unendlichen schweigenden Erhabenheit des Weltalls wurde das göttlich-menschliche Gesetz geboren, das seinesgleichen nicht hatte vordem und niemals überflügelt werden wird im Laufe der Jahrtausende.
An der Schwelle des gelobten Landes, auf dem Gipfel des Nebo, ward späterhin Moses Erdenwallen vollendet; das Volk aber, das er befreit hatte aus unwürdiger Schmach, das er mit sicherem Willen gerettet hatte aus aller Not der Wüstendürre und des reißenden Meeres, das er geläutert hatte, wenn es zaghaft wurde und an die Botschaft des Ewigen vergessen wollte, betrat die verheißenen, glücklichen Gefilde von Kanaan. Mit sich führte es durch die lange Zeit der Wanderung, der Sehnsucht und der Erfüllung das sichtbare Unterpfand des heiligen Bundes, die Lade mit den steinernen Tafeln vom Berge des Sinai.
Nicht kostbar genug konnte die Hülle für ein solches Kleinod sein. Und nicht schmückende Worte genug konnte die Erzählerin für die aufgeregten Wünsche des Knaben finden. Er sah ihn genau vor sich, den Schrein aus dem Holze der Akazie, des Baumes des Lebens. Wie glänzte der Überzug innen und außen von der spiegelnden Pracht des puren Goldes. Feingewunden, leicht und gefällig zu schauen und doch von gediegenem Gewicht war der rotgoldene Kranz, der sich um den Rand schmiegte, und edel geschwungen fügten sich die vier güldenen gegossenen Ringe an den Seiten ein. Ihre Bestimmung war es, die goldbeschlagenen Stangen aufzunehmen, mit denen man das Heiligtum vorantrug in die Feldschlacht. Dann wurde es in den Vorhang der Stiftshütte gewickelt, der aus blauem und rotem Purpur, Scharlachtuch und weißem Leinen gewirkt und mit den Bildern von Cherubim bestickt war. Eine zweite Schutzhülle von Dachsfellen schmiegte sich darüber und über allem breitete sich eine schimmernd blaue Decke. So geleitete es das Heer in den Kampf für Gottes Herrlichkeit und die Erhöhung des auserwählten Volkes. Oben auf der Lade aber befand sich der Gnadenstuhl, eine Platte, völlig von feinstem Golde gefertigt und gekrönt von zwei Cherubim, die des Künstlers Bezaleel Hand aus Gold getrieben hatte. Ihre Flügel breiteten sie schützend und segnend über dem Zeichen des Bundes, und das holde und ernste Antlitz wandten sie einander zu und neigten es in Demut leicht gegen das irdische Abbild der göttlichen Geruhsamkeit. Die Wunder des Paradieses selbst wurden so auf die Erde gebracht. Denn als nach Mose auch seine Begleiter, Aaron und die zweiundsiebenzig Auserwählten, Gott schauen durften auf seinem himmlischen Throne und der des Himmels Bläue widerstrahlende Saphir, die Grundlage seines Herrschersitzes, vor ihnen leuchtete, da bildete den Schemel seiner Füße eine Gnadenbank und getreu nach ihrem Muster wurde der Aufsatz der Lade gefertigt. In alle Zeit ward so den Stämmen Judas und Israels gewährt, daß Jahve unter ihnen weilte und in Gnaden mit ihnen war. Himmel und Erde einten sich in diesem sichtbaren Zeichen und Abglanz der unendlichen Erhabenheit. Der Geist Gottes, der Himmel und Erde geschaffen, hatte seinen irdischen Ort in der heiligen Schöpfung des Gesetzes vom Berge Horeb, das aufbewahrt wurde in der Lade des Bundes.
… So klang die Mär der Ahne. So tönten die verlorenen, vergessenen, reinen Stimmen der süßen Kindertage nachhallend nach den frommen Worten der längst dahingegangenen ehrwürdigen Mutter seines Geschlechtes im Ohre des Mannes wieder, der nun selbst ein Herrscher geworden war über das Volk, das Mose einst begnadet mit den hohen zehn Geboten des Rechtes und der Sittlichkeit.
Schweigend, erstaunt hatten die beiden Priester das Spiel von Davids Augen, das Zucken seines Gesichtes betrachtet. Sie wagten den Sinnenden nicht zu stören. Aber sie atmeten erleichtert, als er nun freundlich ihnen winkte. Der Zauber der Vergangenheit hatte ihn gefesselt; nichts war in ihm als ein Gefühl der Scham, daß ihm so ganz die Weihe seiner eigenen Jugend abhanden gekommen war. Denn in all dem Drang und Wirrwarr seiner Mannesjahre hatte er an die alten Märchen und das Schicksal der Bundeslade wahrhaftig völlig vergessen.
Inzwischen aber waren sein Verstand und seine Zweifel gewachsen. Dieser ehrwürdige Schrein, den niemand je mit Augen gesehen hatte als die Hohenpriester, die allen Grund hatten, seine Geheimnisse zu bewahren, mochte in Wahrheit wohl nur ein Kasten aus einfachem Holz sein, dürftig gefügt und mit ärmlichem Zierat. Oft hatte er derartige alte Truhen gefunden bei seinen Raubfahrten zu Nomadenvölkern, deren Rest die Wüste noch herbergte. Amulette und Hausgötzen und den armseligen Schmuck ihrer braunen tierisch-stumpfen Frauen bargen sie darin. Wären die Lade und der Gnadenstuhl wirklich so goldschwer gewesen, wie die Überlieferungen der Priester und das Raunen der Märchenerzähler vor den Toren der Städte und das Flüstern der alternden Haremsfrauen der Neugier der drängenden Kinderschar es ausmalten, so hätten die habsüchtigen Diener des Dagon zu Asdod sie sicher nicht herausgelassen, als sie nach der Niederlage der Hebräer bei Aphek in die Hand der Philister fiel. Das war noch vor Davids Zeit, aber sein Vater hatte oft davon gesprochen, denn es war ein großer Schrecken und Wehklagen bei allem Volke gewesen. Aber vom spätern Los des Bundeszeichens war David nichts mehr bekannt.
Abjathar und Zadok gaben ihm Auskunft. Die Priesterschaft hatte getreulich alles zusammengetragen, was an Gerücht und Erkundigung zu erlangen war – und es zurechtgelegt nach ihrem Interesse. David lauschte aufmerksam, freilich nicht ohne heimliche Anmerkungen in seinen spöttischen Gedanken. Wunder über Wunder hatte angeblich die Lade verrichtet; auch nach ihrer Erniedrigung zur Tempelbeute des Dagon. Der große Götze selbst hatte sich vor ihr beugen müssen. Zweimal fanden ihn seine Priester in den Staub geworfen von seinem hohen Thron, ein anbetender Sklave vor dem verhüllten stummen Gesandten des Herrn Zebaoth. Und beim zweiten Male war er nur noch ein Rumpf, die Hände waren ihm abgehauen. Alles Volk sah es und die Dagonsdiener drängten selbst ängstlich, daß man den unheimlichen Gast schnellstens aus dem Bezirk des Tempels entfernte. Um den Triumph über die Hebräer zu erhöhen, beschloß man darauf, das eroberte Weihgerät auszustellen in allen Städten der Philister. Das machte aber das Unheil noch größer. Denn nun brachen Plagen aus, wo immer die Lade erschien. Die Beulenpest und ungeheure Mäuseschwärme verheerten das Land. Und bald waren alle darin einig, daß man sich von diesem zauberischen Verhängnis möglichst befreien und es dahin schicken müsse, woher es gekommen. Mochte es dann die Hebräer besser behandeln oder lieber noch auch sie mit Beulen und Mäusen bestrafen.
Man packte die Lade also sorglich auf einen Wagen, bespannte ihn mit zwei Kühen, legte ein Kästlein mit aus Gold gearbeiteten Beulen und Mäusen dazu als Sühnopfer und Abkehrzeichen und führte alles bis an die Grenze. Die Geleitmannschaft dankte Zebaoth und Dagon in einem Gebet, als die Kühe, sich selbst überlassen, sich nicht zurückwandten, sondern die Gemarkung überschritten und so Heil und Unheil wieder zurücktrugen ins Land der Hebräer. Sofort waren die Leviten der Gegend bei der Hand, erhoben großes Jubelgeschrei, ordneten tagelange Opfer an und stellten die Bundeslade hoch auf einen mächtigen Felsblock, daß alle weithin sie erblicken konnten. Sie blieb aber immer in ihrer Verhüllung, denn wer sie selbst zu schauen wagte, der war – wenn er nicht einer der Nachkommen Aarons war – des Todes. Und gegenüber all diesen Ereignissen, den Wundern im Land der Philister, den Plagen, der glücklichen Heimführung durch den göttlichen Willen, der den Kühen die rechten Wege wies – wofür sie übrigens als erstes Opfer geschlachtet wurden – gibt es keinen Zweifel. Ein sichtbarer, jedes Bedenken ausschließender äußerer Beweis ist vorhanden: Der Felsblock, auf dem die Lade nach der Heimkehr Rast erhielt, ist immer noch da. Mitten in der Ebene beim Dorfe Beth-Semes liegt er, und wer ihn sehen will, mag dorthin wandern.
Die Lade steht allerdings nicht mehr darauf. So sehr die Leviten auch lärmten – den Beth-Semiten war nicht wohl zumute. Geopfert hatten sie, was man verlangte, aber nun wünschten sie, daß das Heiligtum möglichst bald weiter fortziehe. Sie waren einfache, schlichte Ackerbürger, besaßen nur kleine Hütten, unwürdig als Aufenthaltsort einer Reliquie. Auch wollte keiner sie gern bei sich beherbergen. Sie kratzten sich hinter den Ohren, zuckten die Schultern, rieben die verarbeiteten Hände und waren sehr verlegen und bekümmert. Was ihr Levit so eindringlich vorstellte, war alles sehr schön. Ganz Israel würde sich wallfahrend einfinden, wenn sie die Lade behielten. Geld und Opfertiere würden ihnen zuströmen, jeder seinen Vorteil finden mit Beherbergung von Pilgern, Arbeiten für den Gottesdienst, Verkauf von wundertätigen Schnitzereien, geweihtem Öl, Schaufäden. (Und er, der Dorflevit, würde aus einem armen Bettelpfaffen ein großer und reicher Priester werden.) Gewiß, gewiß, das alles lockte und reizte – aber auf der andern Seite: Beulen und Mäuse–… es blieb eine unheimliche Angelegenheit. Angst siegte über Habgier und die Dorfversammlung beschloß, man sei einer so großen Gnade unwert.
Also sandte man Boten nach der Waldstadt Kirjath-Jearim, auch Baal-Juda geheißen, in der eine angesehene Stadtpriesterschaft die Bürger leitete. Die Männer dort wagten es nicht, dem ehrenwerten Angebot sich zu entziehen, aber auch ihnen war recht bänglich zu Gemüte. Mit vielem Singen und Beten holten sie die Lade ob, opferten und fasteten, um sie nur ja nicht zu erzürnen. Aber sie in ihrer Stadt selbst zu bewahren, dazu brachten sie die Geistlichen doch nicht. Nicht ohne Schlauheit legten die Ältesten ihnen dar, daß nur erhabene Einsamkeit der Lade gebühre; sie sei sicherlich von den vielen Irrfahrten sehr ermüdet und von den Wunderkämpfen mit Dagon sowie dem vielfachen Geplage stark überanstrengt. Nun noch der ungewohnte und ungesunde Aufenthalt im Freien, auf dem harten Stein bei Beth-Semes. Man handle sicherlich am meisten in ihrem Sinne, wenn man ihr völlige Abgeschiedenheit und Gelegenheit zu ruhevoller Selbstbesinnung gewähre. Da treffe es sich nun ganz vorzüglich, daß außerhalb des Stadtweichbildes auf dem hohen Hügel das Haus des Abinadab stehe; dorthin wolle man sie bringen.
Den Leviten war dieser Ausgang nicht recht, aber sie drangen mit ihren Wünschen nicht durch. Zu groß war die abergläubische Angst vor dem der Stadt zugedachten Weihgeschenk – und auch einige Leviten selbst waren nicht frei von Besorgnis. Es geschah also nach dem Willen der Bürger. Abinadab konnte dem einmütig gefaßten Entschluß nicht widerstehen. Er war selbst Levit und sein Anwesen genoß den Schutz der Stadt. Man gewährte ihm auch reichliche Vergünstigungen für das Gastrecht, das man begehrte. Und damit wenigstens der Überlieferung genügt und der Schein eines Tempeldienstes aufrechterhalten werde, setzten die andern Leviten Eleasar, einen Sohn des Abinadab, zum Hohenpriester ein, und wenn er auch nicht die Prunkkleidung besaß, die Aaron und seine Söhne getragen haben sollen, so machte er doch seine Sache gar nicht schlecht. Wenn zufällig ein paar Bauern auf dem Wege zur Stadt oder im Abenddunkel ein von Liebeskummer, Körpergebresten oder heimlicher Sünde beschwerter männlicher oder weiblicher Mitbürger aus Kirjath-Jearim in seines Vaters Haus Einlaß begehrte, um zu beten und zu opfern, so trat Eleasar mit großer Würde auf, murmelte Unverständliches und führte den Bittsteller in die Nähe des großen verhangenen Kastens. Von den Wanderfahrten war die blaue Decke ausgeblichen und zerschlissen, aber ihr Vorhandensein verstärkte den Eindruck des Geheimnisvollen. Jeder konnte darunter vermuten, was er wollte, empfand Schauer des Unsichtbaren, erleichterte sein Herz und – worauf Eleasar mit Fug und Recht sorgfältig hielt – auch seinen Beutel.
Die Lade führte also ein beschauliches, geruhiges und einigermaßen würdiges Dasein. Die Welt ging inzwischen wieder einmal aus den Angeln. Das Priesterreich zerfiel, die Monarchie ward eingesetzt, Saul wurde König, Saul siegte, Saul herrschte, Saul unterlag und starb. Krieg und Frieden wechselten über Juda und Israel, Erntesegen und Dürre folgten einander, ein Geschlecht ward mannbar und verging – und während all dem, was die Gemüter so aufregte, nach ihrer Meinung noch niemals geschehen war und sich nie wieder ereignen würde, stand die Lade des Bundes mit dem Fußschemel Gottes unangefochten im Hause auf dem Hügel. Saul, dem man davon gesprochen hatte, schob das mit einer Handbewegung beiseite. – Was kümmerten ihn der Priesterschnack und die Altweibergeschichten, mochten Lade, Beulen und Mäuse bleiben, wo sie wollten; er brauchte für sein Heer Männer und Speere und Bogen, der Hilfe einer alten Kiste bedurfte er nicht. Die Geringschätzung des Königs wirkte ansteckend und allmählich war für Juda und Israel die Bundeslade gänzlich verschollen.
Nur das Gedächtnis der Priester blieb zäh und aufmerksam. In ihren Geheimberatungen spielte die Lade eine ziemliche Rolle und jetzt hatte man beschlossen, sich ihrer zu bedienen. Der Wettbewerb war unerträglich schwer geworden. Niemand wollte mehr opfern und die Jahve-Priesterschaft unterstützen. Die Kollegen von der Götzenschaft waren nur heimlich am Werke, machten aber sehr gute Geschäfte. Es ging ihnen beim Verkauf von Zaubermitteln, Hausfetischen und Gesundbeten viel besser als den Geweihten des ewigen und wahren Gottes. Man mußte das Volk neu gewinnen. Und dazu war die Auffrischung der alten Legende und ein großes Schauspiel, zu dessen Mittelpunkt die Lade sehr gut dienen konnte, das gegebene Mittel. – Unausgesprochen, im Untergrund schlummerte der Gedanke und die Hoffnung, daß das Wiederaufleben der religiösen Gesinnung das Volk vielleicht zu den glücklichen Zuständen der Vergangenheit ganz zurückführen und einmal, nach dem Sturz des Königtums, der reine Priesterstaat wieder errichtet werden könnte.
David las in der Seele seiner sehr verehrten Freunde. Er wußte wohl, was sie und die Ihren bewegte. Und er war nicht der Mann, um weicher Jugenderinnerungen halber sich in Gefahr zu begeben. Aber ihm erschien der Gedanke einer feierlichen Heimholung der Lade dennoch gut. Ein Wiedererstehen des Reiches der Kleriker fürchtete er nicht. Ihre Herrschaft war gar zu schamlos gewesen und für den schlimmsten Fall hatte Saul gelehrt, daß das Fleisch und Bein von Priestern scharfen Waffen ebensowenig widersteht wie das profaner Menschen. Die Neuerrichtung einer Stätte für die Lade aber gab der Phantasie des Volkes Ablenkung und Beschäftigung für lange Zeit. Kriege standen nicht in Aussicht, also mußte man auf anderes sinnen, damit das Volk nicht auf Dummheiten verfiel. In Davids regem Geist entstanden sofort weitumfassende Pläne. Neue Ämter und Würden konnten geschaffen, Auszeichnungen verteilt, Gehälter festgesetzt werden. Unter dem Vorwand notwendiger Tempelwachen ließ sich die Leibgarde der fremden Söldner, der Krethi und Plethi, unauffällig vermehren und zu einem stehenden Heer ausbauen. So wuchs die Anhängerschaft, die mit dem Gedeih und Verderb des Königs ihr eigenes verband. Allmählich würden sich bevorrechtigte Geschlechter bilden, ein Amts- und Schwertadel, feste Stützen für Thron und Altar. Und auch die Handwerker, denen der Tempeldienst Beschäftigung und Gewinn bot, ergaben eine staatserhaltende Partei. Vor allem aber konnte sich daraus, daß man für die Bedürfnisse der Wallfahrer allerlei Waren bereitstellte, der Handel entwickeln. Einzelnen Nachbarvölkern, besonders den seefahrenden, brachte er großen Nutzen. Die Hebräer aber hatten sich bis jetzt, ihrer natürlichen Anlage und Bestimmung als Viehzüchter, Ackerbauer und Krieger gemäß, dafür ungeeignet erwiesen; die Kaufleute waren durchweg Ausländer. Er selbst, der König, mußte Mittelpunkt alles Geschehens sein und bleiben. Einen Tempel wollte er errichten über der Bundeslade – gewaltig, ragend in alle Lande, ein Denkmal seiner eigenen Macht und Größe. Einen Dom, der seinen Namen durch die Zeiten trug, in mächtiger Bauart und aus edelstem Material. Die Grabpyramiden der Ägypter, zu denen die Vorväter die Ziegel hatten streichen müssen, sollte er in den Schatten stellen. Dafür konnte im Namen Gottes das Volk zu Fronarbeit herangezogen und gewöhnt werden. Nach dem Tempel würde er dann ein noch größeres, noch schöneres, noch kostbareres Bauwerk entstehen lassen, den eigenen Palast. Und wenn er selbst dies alles nicht mehr fertigen könnte, so wollte er seinem Nachfolger die Aufgabe vererben. Könige müssen bauen oder Krieg führen. Des Volkes Müßiggang ist aller Empörung Anfang. Und wie bequem und in höherem Dienste, zu Gottes Wohlgefälligkeit, ließen sich die königlichen Schatzkammern füllen. Jedermann würde freiwillig spenden für das von Gott selbst gewünschte Werk, das für die Allgemeinheit Glück und Segen bedeutete. Die Gebefreudigkeit stets neu anzufachen, war Sache der Staatsbeamten und Priester. Sie fanden ja auch ihre eigene Rechnung dabei.
Der Entschluß Davids stand fest – und in einer neu sich erhebenden lyrischen Anwandlung beabsichtigte er gleichzeitig, den alten Traum der Kindheit zu verwirklichen. In aller Stille sollten vereidete Priester und Künstler eine neue Bundeslade fertigen, so gestaltet, wie die Überlieferung der Märchen sie schilderte. Das war ein gottgefälliger Umtausch; die Priester würden das schon orakeln. Und wenn jemand von den notwendigen Arbeitern nicht verschwiegen war – nun so gab es ja rasche Mittel genug, ihn gänzlich und zuverlässig auf immer zu verstummen.
Der König erhob sich: »Der Wille des Herrn Zebaoth ist mir oberstes Gesetz. Was er euch, ehrwürdige Väter, verkündete, soll ausgeführt werden. Rüstet euch zur Abholung der heiligen Lade. Wohin gedachtet ihr sie zu überführen?«
»Nach Silo, o König, wo die Stämme einst die Stiftshütte errichtet hatten und die Hohenpriester ihres Dienstes walteten. In Trümmern liegt die heilige Stätte. Aber schnell kann sie wieder erstehen, wenn du es befiehlst. Also ist der Wunsch des Herrn.«
»Hierin müßt ihr ihn mißverstanden haben, Zadok und Abjathar. Besinnet euch genau – ihr habt euch wohl verhört. Eine Stimme in mir deutet mir dies untrüglich. Nicht nach Silo – nach Zion wird der Herr gesagt haben. Denn hier allein, auf der Burg des Königs, auf dem Berge seiner Hauptstadt ist der würdige Platz für das Zeichen des Bundes – hier allein kann der Bau des Tempels, den ich errichten will, in Größe und Pracht sich vollenden.«
Abjathar sah den Zadok an – Zadok den Abjathar. Sie verstanden sich und verstanden den König. Er hatte die geheimen Absichten der Priestergemeinde durchschaut. Es mußte ihm alles daran liegen, seine eigene Stellung zu stärken. Daß in dem fernen Silo eine priesterliche Nebenregierung entstand, die leicht die Quelle von Intrigen gegen ihn selbst werden konnte, war ihm nicht genehm.
Immerhin war es besser, mit David gemeinsam in Jerusalem den Jahvedienst zu festigen, als die Lade ganz im Dunkel versinken zu lassen. Auch bestand stets die Gefahr, daß er seine Gunst einem der andern Baale zuwendete und von Jahve, dem obersten Baal der Welt, abfiel. Was aber würde dann aus seiner Priesterschaft? Alle Hofleute und das gemeine Volk würden sich dem Beispiel des Königs anschließen. Die Religion des Herrschers ist auch der Glaube seiner Untertanen. Tröstlich war die geschickte Andeutung von dem großen Tempel. Die klugen Priester erfaßten sofort, was für Vorteile und Nutzen sie selbst davon haben konnten. Und mit honigsüßem Lächeln, ohne den Grimm über die halbe Vereitelung ihrer Absichten irgend zu verraten, beeilten sie sich, David zu zeigen – daß sie einander wert und würdig waren.
»Die innere Stimme des Königs hat nicht getrogen – was wir kündeten, war nur eine Prüfung des Herrn, die er uns anbefahl vorzunehmen an dir, seinem Gesalbten. Also lautete sein volles Geheiß: Gehet hin und redet zu David, meinem frommen und auserwählten Diener. Und schlagt ihm vor, die Lade des Bundes wieder nach Silo zu bringen, von wo sie ausging in der Väter Zeiten. So aber David fest im Glauben an mich ist und eingedenk all des Großen, das ich für ihn getan, so wird er antworten: Nicht also! Ich bin des Herrn und der Herr ist meiner. Und da er mich erhöhet hat über Juda und Israel und mir die Davidsstadt Jerusalem anwies zum königlichen Sitz, so muß auch sein Heiligtum an dem Ort sein, den er ausgezeichnet hat vor allen andern. Und auf dem erhabensten Punkte soll der Tempel des Herrn sich erheben in Glanz und Herrlichkeit, eine köstliche Gottesfrucht. Ihr süßer Kern aber ist die Lade des Bundes!«
(Denn das mit dem Tempel mußte man wenigstens sichern. – Nun war es nicht nur ein hingeworfenes Wort Davids, sondern eine feste Abmachung!)
Und Zadok fügte sogleich den Worten Abjathars hinzu: »Heil dir, König, daß du auch diese Prüfung so herrlich bestanden. Der Herr behüte dich und beschütze dich – er lasse sein Antlitz leuchten über dir und segne dich in seinem heiligen Namen Zebaoth.«
Alle drei neigten sich gegen Osten und sprachen: »Darauf saget: Amen – Amen.« Und sie waren wieder einmal vollständig einig.
Es war Davids Art, was er einmal für gut befunden, auch ohne Zögern und ohne zaghafte Schwäche durchzuführen. Er erhob die Hand zum Zeichen feierlichen Gelöbnisses und sprach:
»Ich will nicht rasten und mich nicht unnütz in meinem Harem verweilen, mich nicht dem beruhigenden Schlaf hingeben und meine Augenlider schlummern lassen, bis dieses Werk begonnen und die Stätte für den Herrn zur Wohnung seiner Größe bereitet wird. Wir wollen eilends hinziehen und anbeten vor dem Gnadenstuhl, dem Fußschemel des göttlichen Thrones und aus der Verbannung im Waldgebirge wollen wir das Heiligtum herbeiführen und sprechen: Herr, mache dich auf zu deiner Ruhe – du und die Lade deiner Macht.«
Beifällig nickten die Priester. Ihre Aufgabe war es nun, dies königliche Wort alsbald unter dem Volke zu verbreiten. Es zeigte, welches Gewicht der Herrscher der Angelegenheit beimaß, und alle Wohlgesinnten würden sich sofort dienstbereit und opferfreudig zeigen. Davids oberster Rat, dem er das Geschehene und seine spätern Absichten vorlegte, stimmte in allem zu. Sendlinge wurden durch ganz Juda und Israel geschickt, und der Zug, der schon kurze Zeit darauf sich ansammelte, war überwältigend. Besonders in der Jugend fand die Idee begeisterte Zustimmung. Die Väter waren noch in Gedanken der Kleinstaaterei und der Stammessonderheiten befangen; alter Groll aus den frühern Bruderkämpfen wirkte nach; die aus Israel waren zudem mit der offenkundigen Vorzugsstellung von Juda, auch mit der Erwählung des Juda nahe gelegenen Jerusalem zur Hauptstadt nicht recht zufrieden. Die Reste der Kanaaniter, die eingesprengt unter den Hebräern wohnten und sich noch nicht völlig assimiliert hatten, hielten sich gleichfalls abseits. Ein einhelliges Reich der eingewanderten Eroberer drohte ihre völkische Eigenart, ihre besondern Sitten, Gebräuche, Spracheigentümlichkeiten und religiöse Überlieferung schnell aufzusaugen. Die Jugend aber war bedingungslos und begeistert großisraelitisch. Deshalb hingen sie glühend an dem Einiger des Vaterlandes David, und ihrer unitarischen Einstellung war der Zug zur Heimholung der Bundeslade hoch willkommen. Die religiöse Seite interessierte sie wenig. Aber es galt dem alten nationalen Symbol! – Aus der verborgenen Einsamkeit auf dem Hügel im Waldgebirge, um den die Raben kreisten, sollte es strahlend hervorgehen. Aus der Demütigung, in die der Sieg des Erbfeindes, die Zersplitterung der Stämme, die politische und geistige Zerrissenheit es verbannt, würde es in triumphierender Kraft erstehen, in die neue Hauptstadt gelangen und so die Einigung aller Stämme bekräftigen und weihen. Die bange, früher unterdrückte und verfemte Frage: »Was ist des Hebräers Vaterland?« hatte endlich ihre Antwort gefunden: »Das ganze Kanaan soll es sein – das ganze Juda-Israel ist es geworden!«
Abinadab, in dessen Hause die Lade nun ein Menschenalter weilte, schritt, von der Ehre benachrichtigt, mit seinen Söhnen Usa und Ahijo dem Könige und seinem Zuge entgegen zu feierlicher Begrüßung. Nur sein ältester Sohn Eleazar hielt sich fern und war nirgends zu sehen. Er war mit der Fortführung der Lade gar nicht einverstanden. Aber solche kleine egoistische Sonderinteressen konnten nicht berücksichtigt werden, wo doch das allgemeine Wohl und die völlige Uneigennützigkeit aller andern Beteiligten – besonders seiner priesterlichen Kollegen – in Betracht kamen. Als eine besondere Auszeichnung für das Geschlecht Abinadabs, der selbst zu alt war, um die Reise nach Jerusalem mitzumachen, wurde der Transport der Lade seinen beiden Söhnen übertragen. Sie wußten ja auch am besten Bescheid, wie man sie zu heben und zu tragen hatte, denn sie waren neben ihr aufgewachsen, und das etwas ungefüge und schwere, immer noch in die blaue Decke gehüllte Stück war ihnen ein vertrautes Hausgerät, dem sie ohne Scheu sich näherten. Das übrige Volk aber war, trotz aller Begeisterung, von einer gewissen Bängnis nicht frei und hielt sich in ehrfürchtiger, aber auch vorsichtiger Entfernung. Ganz zu trauen war dem unheimlichen Dinge nicht. Auf der Herfahrt waren die alten Legenden lebendig geworden, weitergegeben von Mund zu Mund, und auch den Tapfersten war etwas beklommen. Besonders das Kästchen mit den Beulen und Mäusen, das mit aufgeladen wurde, gab zu denken.
Aber alles verlief friedlich. Unter großem Getöse der sich ganz verzückt gebärdenden Priester und Leviten wurde die Lade herausgetragen und auf einen bereitstehenden neuen Wagen gehoben. Usa und Ahijo besorgten dies ohne viel Aufenthalt, dann schritt Ahijo voran, um die Zugtiere vorn zu leiten; Usa trieb sie von hinten an und paßte auf, daß auf den holprigen Karrenwegen alles gut vonstatten ging.
Man atmete erleichtert auf, als der Wagen sich in Bewegung setzte, und schnell ordnete sich der Gesamtzug in der vorbereiteten Weise. David selbst mit den Priestern und den Vornehmsten seines Hofes nahm die Spitze. Fahnen wurden über ihnen geschwenkt, schwarz-weiß-rot, die alten Farben des Stammes Levi. Ihnen schlossen sich die Spielleute an, die fortan in Jerusalem als ständige Tempel- und Palastkapelle tätig sein sollten. Ihr Dirigent war Chenanja, der Finder neuer Sangesweisen, ein verständiger Mann, der nicht nur die Sänger heranzog und unterwies, sondern im stillen Gemach auch die Texte und Weisen ersann oder herrichtete, die dann als eigene Kunstwerke des Königs das Ohr seiner Zuhörer erbauten und seinen Dichterruhm in alle Lande verbreiteten. Das Orchester war aus einem Sextett hervorragender Künstler auf der achtsaitigen kurzen Harfe mit Begleitinstrumenten wie Zimbalo, Psalter und Saitenspielen mit Böden aus auserlesenem und besonders hergerichtetem Tannenholz zusammengestellt. Posaunen und große Pauken vervollständigten es. Eine rauschende, verherrlichende und die Sinne aufregende Symphonie hatte Chenanja für diese Gelegenheit komponiert, und alle Hörer standen im Banne der wahrhaft göttlichen Musik. Aber die feierlichste Stimmung und den tiefsten Eindruck erweckte es doch, wenn in Abständen eine einzelne Stimme sich vernehmen ließ, vom Orchester nur in zartem Piano umschmeichelt und im Kehrreim unterstützt vom Chor. David selbst, sein Instrument im Arme haltend und greifend, der königliche Sänger und Virtuose, ließ sich vernehmen zu Ehren des Herrn Zebaoth, und alles Volk lauschte beseligt und hoch beglückt und flüsterte beifällig: »Welch ein König! Siehe da: David schlägt die Harfe.«
So wand sich der Heereswurm langgestreckt bei Tage über das Land. Des Abends aber erglühten die Lagerfeuer; reichlich erfreuten Speise und Trank die Gemüter, und laut und prahlend wurden alte Heldenmären kund oder lärmende Fröhlichkeit, Spiel und Gesang erfrischten die Sinne und erregten, auch ohne daß Frauen dabei waren, den jugendlich schäumenden Übermut. Bis die Wachen Ruhe und Frieden geboten, die Stimmen verklangen und nur das Flimmern der hellen Sternennacht beweglich blieb über dem schlummernden Volke.
Da ereignete sich eines Tages ein unvorhergesehener und aufregender Zwischenfall. Die Zugtiere, erschreckt vielleicht durch besonders dröhnende Posaunenklänge und Paukenschläge, wurden unruhig, drängten beiseite und brachten den Wagen in Gefahr umzufallen. Usa sprang schnell voran und griff nach der Lade, die im Übergewicht in den Schmutz der Straße zu stürzen drohte. Hierbei hatte er nicht acht auf eines der scheuenden Rinder, es schlug aus und traf ihn so unglücklich, daß er stracks niederstürzte und ein weniges später seinen Geist aufgab.
Panischer Schrecken ergriff jedermann und alle standen fluchtbereit, in abergläubischer Furcht, die schreckliche Lade könnte noch mehr Unheil anrichten, Feuer speien, durch die Lüfte fahren und den Leuten den Kopf abreißen oder auch alle Versammelten auf einmal mit Beulen und Schwären überschütten. Die Nächststehenden drängten eilig rückwärts, es entstand eine weite Leere um den Wagen, die Lade und Ahijo, der bestürzt und tief betrübt neben Usa kniete und abwechselnd den Bruder und die verwünschten Rinder ansah. Der Zug drohte sich gänzlich aufzulösen, denn wer irgend konnte, drückte sich schnell zur Seite.
In diesem Augenblick zeigte sich aber die überragende Geistesgröße und -gegenwärtigkeit der Priester. Unvorbereitet, unverabredet erhoben sie die Hände und stießen einhellig Rufe der Verzückung und Begeisterung aus.
»Gepriesen sei der Herr Zebaoth!« »Ein Wunder – ein Wunder!« »Siehe die Hand des Herrn!« »Lobet den heiligen Namen – der sich hier geoffenbart hat!« »Unvergänglich ist die Herrlichkeit Jahves, der Erretter von Israel ruhet nicht von seinen Taten – unüberwindlich ist seine Macht – die Erde ist der Schemel seiner Füße und das Himmelsgewölbe seine diamantne Krone–…«
Sie überboten einander; auf einen Wink fielen die Posaunenbläser ein, andere schrien mit, ohne zu wissen warum und zu welchem Zweck. Die Gemüter waren verwirrt, aber das Geheul der Priester lenkte die Angst ab und festigte die Zaghaften.
Und ehe eine neue Welle des Schreckens sie überfluten und ehe sie Zeit finden konnten, ihre Meinungen auszutauschen und Entschlüsse zu fassen, hatten sich schon Zadok und Abjathar auf eine erhöhte Tenne, die am Wege lag, geschwungen und standen wie auf einer Kanzel vor der Volksgemeinde.
»Fürchtet euch nicht, spricht der Herr. Denn er ist euch wohlgesinnt und spendet euch allen den heiligen Segen durch uns und Glück und Wohlstand euch und euren Kindern und Kindeskindern und den Kindern eurer Kindeskinder. Gepriesen werde sein Name. Darauf sprechet: Amen – Amen!«
»Amen – Amen« hallte das Echo der tausendköpfigen Zuhörerschaft. Und sie waren wieder eingefangen in die Hürde der Worte.
»Ein Wunder ist geschehen. Ein großes Wunder, wie es der Herr unser Gott einst vollbracht, als Mose vor dem grimmen Pharao stand, der unsere Väter nicht ziehen lassen wollte aus Ägypten. Damals befreite er sein auserlesenes Volk, führte es durch die Wüste und gab das Gesetz und ließ die Lade erbauen zum Zeichen des Bundes. Also aber gebot er: Wer dem Heiligtum sich nahet mit ungeweihter Hand und nicht ein Kehatiter ist von Aarons Samen oder wenigstens der andern Leviten einer, der vergreift sich an Gott und muß sterben des Todes. Und also hat der Herr Zebaoth (gelobt sei er!) seine Macht erwiesen und seine Verheißung wahrgemacht und gezeigt, daß er allein der Herr der Heerscharen, der Schöpfer des Himmels und der Erde ist und seine Kraft ungemindert seit je und ebenso die Macht seines Heiligtums. Denn da dieser Frevler Usa die Lade berührte, statt dem Herrn oder seinen Dienern die Versehung zu überlassen, traf den Fürwitzigen der Finger Gottes und streckte ihn nieder zum Zeichen und zur Warnung für alle. Ein Opfer dem Willen des Herrn ist er gefallen Ihr aber lebet ohne Sorge und Furcht, denn nun erst seid ihr voll entsühnt und geheiliget auf immerdar. So ziehet hin in Frieden, preiset den Herrn und senket eure Herzen in Demut vor seiner Milde und Güte und Herrlichkeit. – Auf, laßt uns beten.«
So sprach Zadok, und Abjathar, ein wenig von Neid erfüllt, mußte bei sich zugeben: Es war eine treffliche Predigt. Alles Volk betete mit Inbrunst und war erleichtert und befreit. Denn Zadoks Worte hatten alle überzeugt und ihre Seele erfrischt und aufgerichtet. Und ebenso ihren Mut und ihre Tapferkeit gegenüber unbekannten und unheimlichen Gefahren.
Auch David neigte das Haupt. Er bewunderte die Klugheit der Priester und die geläufige Fassung der Zadokschen Ansprache; für das Volk war das gut und notwendig. Aber er war ein Kenner, ihn konnten schöne Redensarten nicht dumm machen und verblüffen.
Das war alles Unsinn. Usa war ja Levit gewesen oder wenigstens war sein Geschlecht als priesterlich anerkannt. Denn wie hätte man sonst seinen Bruder Eleazar zum hohen Dienste der Lade bestimmen und weihen können? Und Usa selbst hatte sein ganzes Leben hindurch im Hause, in dem die Lade stand, zugebracht, sie sicher Hunderte Male berührt und gewiß auch in kindlicher Neugier längst unter ihre Decke gespäht. Auf dem Anrühren der verdeckten Lade stand übrigens nach der Überlieferung gar nicht der Tod, sondern nur auf ihrer Betrachtung selbst (was David nie anders aufgefaßt hatte als ein kluges Mittel, die Neugier von ihrem wirklichen Aussehen und Befund fernzuhalten). Und hatte nicht vor aller Augen Usa die Lade herausgebracht aus seines Vaters Hause, den Transport die ganzen Tage geleitet, wobei er oft, besonders auf den steigenden Pfaden, die Lade festhielt? – Wenn es einen allmächtigen Gott Zebaoth gab – war es dann nicht beinahe Frevel, was dieser Priester geredet hatte – durfte er als Gottes Finger bezeichnen den Huf eines Rindes?
Wenn es ihn gab – David geriet in Verwirrung. Er hatte den Glauben stets verkündet und unnachdenklich bekundet. So forderten es seine Kinderlehre, die Gewohnheit, sein Vorteil und das Gebot der Staatsklugheit. Er hatte auch keine Zeit, sich viel mit Grübeleien aufzuhalten. Zum mindesten war Jahve nicht schlechter als die andern Gottheiten, und an ihm selbst hatte seine Macht sich jedenfalls bewährt. Er hatte also alle Veranlassung, ihm anzuhängen. Für das Volk aber ist weniger von Bedeutung, was es glaubt, als daß es glaubt.
Aber nun – diesem Usa war ein Unrecht geschehen. Daß sein Tod irgendwie mit der Lade zusammenhing, war auch für David eine Selbstverständlichkeit. Das entsprach der abergläubischen Anschauung der Zeit, von der auch der König nicht frei war. Dann war es aber das beste, die Hände von der Sache zu lassen. Was in letzter Zeit von ihrer Wirkung bekannt war, war nur Unangenehmes. Als man sie in den Feldzug mitführte, hatte man statt zu siegen die fürchterliche Niederlage bei Aphek erlitten. Ihr damaliger Hüter, Samuels Vorgänger, der Hohepriester Eli, verlor seine beiden Söhne in dieser Schlacht, stürzte, als man ihm die Nachricht vom Verlust der Lade brachte, vom Stuhl und brach sich das Genick. Bei den Philistern – Beulen und Mäuse. Und jetzt, wo man ihr ein Volksfest veranstaltete, ihr Ehren erwies und noch größere zudachte, tötete sie den armen, ihr zärtlich zugetanen Usa in dem Augenblick, als er sie vor der Demütigung bewahren wollte herunterzupurzeln. Das war ein ganz undankbares, bösartiges und grobes und jedenfalls sehr unheimliches Ding. Man überließ es am besten seinem Schicksal. Vielleicht wollte es auch nicht in den Lärm und die Unruhe eines großen Gottesdienstes, war altersgrämlich, wünschte sich Ruhe und Einsamkeit und genügte sich an ländlichen Verehrungen und Opfern. Das klügste ist, man läßt Eleazar holen, der die Lade genau kennt und weiß, wie man sie behandeln muß, damit sie kein weiteres Unheil anrichtet. Der mag sie dann wieder an ihren Ort heimgeleiten. Mit Dank für die gehabte Bemühung. Eine Ausrede vor dem Volke zu finden, ist Sache der Priester, die ihn in dies Abenteuer gelockt haben. Das wird ihnen auch nicht schwer fallen. Und für Jerusalem wird man schon etwas anderes ersinnen.
Er teilte den Priestern seine Absicht mit. Sie baten ihn aber flehentlich, davon zu lassen. Und als sie darauf hinwiesen, daß die Folgen unübersehbar waren, daß man den Widerwillen der Lade, nach Jerusalem zu gehen, leicht als Abneigung gegen den Herrscher deuten könnte, wurde er unschlüssig. Daran war Richtiges, das ließ sich nicht leugnen. Die Angelegenheit konnte sehr unangenehm werden.
Diesmal fand Abjathar einen lösenden Gedanken. Er schlug vor, da die Gründe des Zornes Jahves dunkel seien, den Plan nicht sofort aufzugeben, sondern eine Probezeit zu bestimmen. Erklärte man jetzt dem Volke, daß die Lade zurückwolle zu Abinadab, ins Haus auf den Hügel, so war der Eindruck der denkbar schlechteste. Würde aber, des Unglücksfalles wegen, eine Unterbrechung angeordnet, so blieb alles noch in der Schwebe. Man konnte inzwischen überlegen und das Verhalten der Lade beobachten. Erwies sich Usas Tod als Zufall und die Lade im allgemeinen als friedlich und wohlgeneigt, so konnte man sie später doch nach Jerusalem bringen. Anderenfalls mußte man sie ohne Aufsehen fortschaffen, verlauten lassen, sie sei, in aller Freundschaft übrigens, von selbst zu Abinadab zurückgewandert. Und dann würde man schon weiter sehen. Zeit gewinnen ist das Gebot der Stunde.
Dieser Rat leuchtete ein und David gebot also. Es traf sich gut, daß ganz in der Nähe des Unglücksfalles ein Haus stand. Dorthin wurde die Lade eilends gefahren und acht gegeben, daß nicht etwa Ahijo sie anfasse (denn es konnte sich auch um einen Rachefeldzug der Lade gegen die Söhne Abinadabs handeln, etwa wegen früherer Unziemlichkeiten). Das Gefolge löste sich auf, ein jeder froh, ungefährdet davongekommen zu sein. Nur David, seine nächsten Vertrauten und die Priester blieben noch ratschlagend beisammen.
Das Haus in der Nachbarschaft gehörte einem Bauern namens Obed-Edom. Die Lade ihm zuzuführen, widersprach eigentlich allen Überlieferungen. Denn der brave Landmann war kein Nachkomme Aarons, auch kein Levit aus den übrigen Geschlechtern, ja nicht einmal ein Hebräer. Vielmehr stammte er aus Gath, war also philistäischer Abkunft. Er machte auch unter diesem Hinweis den Versuch, gegen den ungebetenen und höchst unerwünschten Gast zu protestieren. Schon sah er seinen und seiner Familie Untergang. Aber sein Einspruch half ihm gar nichts. Das wichtigste war zunächst, der Lade ein Unterkommen zu schaffen. Nach dem vorherigen Ehrenaufwand konnte man sie nicht auf offnem Felde stehen lassen, auch hätte sie das sicher sehr übel genommen. Denn selbst in der Zeit der Wüstenwanderung war sie stets in der Stiftshütte vor Wetterunbill geborgen. Vielleicht war sie überhaupt zarter Gesundheit und vertrug längeren Aufenthalt in freier Luft nicht gut.
David hielt nach den schüchternen Bitten des armen geängsteten Obed-Edom sein Haus sogar für ganz besonders geeignet. Jetzt mußte ja die Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit dieser verdammten (o Verzeihung!) Truhe sich am besten erweisen. Setzte die Lade ihre Tücke fort, verbreitete sie Unheil und Ungedeih, so war es sicherlich besser, den bösen und erzürnten Gott, der in ihr steckte, nicht nach Jerusalem hineinzulassen. Wer weiß – vielleicht war Jahve die lange Zeit der Abgeschiedenheit langweilig geworden (denn er ist bei Licht besehen stets reichlich tumultuarisch und liebt Aufregung und Kampf und Abwechslung), hatte die Lade verlassen und irgendein Wüstenkobold hatte sich des herrenlosen Unterkommens bemächtigt und trieb Unfug. Wenn aber umgekehrt die Lade sich bei Obed-Edom freundschaftlich benahm, dann war ihre Gutartigkeit und Sanftmut voll erwiesen, da sie nicht einmal darüber zürnte, daß man sie im Hause eines unreinen Philisters gelassen hatte. Dann war die Tötung Usas wirklich nur eine Ausnahmeregung ihrer Gemütsart.
Dem letzten dringlichen Flehen des Obed-Edom begegnete David mit unheilverkündender Schärfe. Wenn alles gut abging, sollte ihm das Gastrecht entlohnt werden. Einen kleinen Posten im Dienste der Lade, etwa den eines Türhüters, stellte der König in Aussicht. Dazu brauchte man nicht Levit zu sein. Sollte aber bedauerlicherweise die Lade Tod und Verderben speien, so dürfte sich Obed-Edom auch nicht beklagen. Er ging dann mit den Seinen unter in dem Bewußtsein, mit Gott für König und Vaterland gestorben zu sein. Der schönste und edelste Tod.
Dem friedlichen Ackerbürger leuchtete das nicht ein. Er fand gar keinen Tod schön, sondern das Leben. Das beschauliche, arbeitsame und stille Leben im Kreise seiner Angehörigen. Aber solch stumpfsinniger Mangel an Enthusiasmus und Patriotismus nützte ihm nichts. Der König hatte gesprochen. Seufzend mußte sich Obed-Edom in sein Los fügen. Die Lade kam in sein Haus, die andern atmeten erleichtert auf. Was lag an Obed-Edom, wer fragt nach dem einzelnen? Jede große und gerechte Sache fordert Opfer, und es war nicht einmal ein Angehöriger der Volksmehrheit, der Hebräer – sondern nur ein Fremdling im Lande.
David kehrte eilends nach Jerusalem zurück. Seine Anwesenheit dort war jetzt doppelt notwendig, um etwaige Unruhen, die der unliebsame Zwischenfall erwecken konnte, im Keime zu ersticken. Bei Obed-Edom blieben zuverlässige Wachmannschaften. Sie sollten aufpassen, daß er die Lade nicht etwa heimlich aus dem Hause schaffe, und über ihr Benehmen regelmäßig berichten. Sie hielten sich übrigens in sehr angemessener Entfernung von dem Anwesen und waren von ihrem Auftrag nichts weniger als erfreut.
Aber die Lade benahm sich sehr anständig und führte sich ganz ordentlich auf. Obed-Edom und die Seinen taten alles, um ihr Wohlwollen zu gewinnen; sie opferten ihr reichlich und beteten sie früh, morgens und mittags an. Das ganze Haus, das vorher geruhsam und träge sein Leben abgehaspelt hatte, gewann einen festlichen Anstrich. Die Erregung beflügelte seine Insassen auch zur Arbeit und überall gesteigerten Tätigkeit. Man putzte und säuberte fortwährend, um dem hohen Gast sich würdig zu erweisen, und da er dies anscheinend wohlgefällig aufnahm, gewann die Fröhlichkeit die Oberhand. Mit Lachen und Singen ging das Tagewerk vor sich und die etwas schlampige und nachlässig und notdürftig geleitete Bauernwirtschaft gedieh unter diesem wohltätigen Ansporn der Lade ganz vortrefflich.
David wollte aber ganz sicher gehen und ließ trotz der regelmäßigen erfreulichen Berichte die Lade an ihrer Stelle. Es konnte eine Falle von ihr sein. Man mußte abwarten, ob es sich nicht nur um eine vorübergehende gute Laune handelte. Als aber drei Monate unverändert verflossen waren, schien ihm alles in bester Verfassung und die Abholung der Lade wurde erneut angeordnet.
Diesmal traf man alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln. Nur einwandfreie Leviten leiteten die Überführung; Ahijo mußte fernbleiben und auch Obed-Edom und seine Kinder, die den liebgewonnenen Hausgenossen ungern scheiden sahen, durften nur ganz von weitem Abschied nehmen. Den Vater trösteten ein gnädiges Wort des Königs und der kleine Beamtenposten, der ihm winkte. Die Kinder aber klagten sehr; sie ahnten, daß die Zeit der guten Speisen, Opferabfälle und des häufigen Kuchenbackens auf immer vorüber war. Friedlich vor allem versammelten Volk nahm die Lade aufs neue ihren Platz auf dem Wagen ein; Zadok und Abjathar selbst schritten jetzt zu beiden Seiten und unter Hochrufen, Lobpreisungen und der neueinstudierten Symphonie des Gesamtorchesters setzte der Zug sich wieder in Bewegung.
David, der König von Juda und Israel, aber tat noch etwas Besonderes. Es war ihm eingefallen, ob die Lade nicht vielleicht ihm persönlich ein Warnungszeichen hatte geben wollen. Er hatte sich nicht immer ganz ehrfürchtig gegen den Herrn Zebaoth verhalten. Im Innersten hatte er ihm etwas gleichgültig gegenübergestanden und seine Gebete und Danksagungen waren mehr Lippen- als Herzensdienst. Das Verhalten der Lade gab zu denken. Am Ende war an dem, was die Priester von der Macht und Gewalt gerade dieses Gottes redeten und was er als ihr Handwerk nicht allzuhoch bewertet und gewogen hatte, doch mehr. Schaden konnte es keinesfalls, wenn man sich mit Jahve und seiner Lade so gut wie möglich stellte. Der Tod Usas hatte ihn nachhaltig betroffen und Furcht ihn ihm erregt. Und die Priester hatten während der drei Monate die günstige Gelegenheit dieser Stimmungen des Königs weidlich ausgenutzt.
So hatte er sich entschlossen, in noch nie dagewesener Weise selbst zur Verherrlichung der Lade mitzuwirken. Diesmal schlug er nicht die Harfe. Ohne die Würde des königlichen Mantels, im linnenen Ephod, dem kurzen Leibrock, wie ihn die Priester tragen, stellte er sich an die Spitze des Zuges. Und das ganze Volk sah das unerhörte Schauspiel: Der König tanzte.
Tanzte mit aller Macht, sprang wie eine Gemse, die die Lust stößt, federte wie eine vom Baum fallende Frucht, wirbelte wie ein Kreisel, den die Hand der Kinder treibt, wandelte in feierlichem Gleichschritt vorwärts und zurück, wie rosenbekränzte Jungfrauen, die mit ernsten Mienen Hand in Hand die einzelnen Figuren des kultischen Reigens winden, schnellte sich in die Höhe, angefeuert vom eigenen Schrei, und sank tief in die Knie zurück, wie die Gaukler auf den Festwiesen, drehte sich, schleifte, stampfte den Boden, verschob die Muskeln des königlichen Bauches, reckte, schlang, wellte und verstrickte die Glieder, wiegte den Oberkörper in rhythmischem Takte, geriet in ekstatische Zitterkrämpfe und erregte sich bis zum Schäumen des Mundes. Heulend wie die geheimnisvollen Brüderschaften der rasenden Propheten und Wahrsager, die um den großen Brunnen von Seku sich versammeln und mit ihrem kreischenden Aberwitz alle Vernünftigen anstecken – mit verzerrten Mienen und verdrehten Augäpfeln, wie die dem Baal-zebub, dem Fliegengott zu Ekron, Verfallenen und von seinen Dämonen Besessenen – so tobte der König von Juda und Israel umher. Die untergehende Sonne goß Feuer auf sein rötliches Haar, überströmte das Gesicht, die nackten Arme und Beine mit Schweiß, der Staub der Landstraße klebte an seinen Füßen, rann strähnend über seinen Körper und hatte den Linnenrock verschmutzt und verfleckt.
Und hingerissen und beifällig, angesteckt von dem Tanzrausch ihres Herrschers, folgten viele seinem Beispiele. Der König tanzte! Solch ein Talent hatte niemand an ihm gekannt oder vermutet. Es ging ein Taumel der Verzückung von ihm aus, teilte sich allen mit und schlug seine Wogen dann wieder zu ihm zurück. Immer toller schleuderte und warf er seinen Körper. Nun würde Jahve doch wohl zufrieden und ihm wohlgesinnt sein; sein Atem keuchte, sein Körper erzitterte in jeder Faser, seine Augen glühten, und wenn er hochsprang und sein Rock sich blähte, konnte jedermann sehen, wie seine königliche Unterleiblichkeit zu Ehren Gottes sich durchaus entblößte.
So raste der Zug dahin, so sprang, jagte, taumelte er durch das Misttor, den südlichen Zugang der Stadt, durch die Gassen von Jerusalem, erwartet und bewillkommt von der ganzen Bevölkerung, die den Lärm und die hingerissene Begeisterung noch vervielfältigte. Das Gottesheiligtum war angelangt. Segen und Freuden für alle. Lobet den Herrn – predigt seinen Namen, gedenket seiner Wunder und seines Bundes immerdar! Bringet Geschenke dem Herrn und betet ihn an! Alles, was Odem hat, preise den Herrn – halleluja!
Ein Volksfest begann, wie es nicht erhört war in Juda und Israel. Jeder, auch der Ärmste, Mann und Weib, erhielt Rosinenkuchen, Feigen, Öl und Wein und Fleisch geschenkt, selbst das Gesinde und die Jebusiter, die sich hinzudrängten. Aus der Umgegend und weither waren die Teilnehmer gekommen, und alle waren glücklich und erleichtert. Das königliche Haus war vollständig vertreten, die Leibwache, die Knechte, die Hofleute, sogar die Haremsdiener durften ein Weilchen zusehen. Die Frauen des Volkes hatten sich unter die Männer gemischt, die der Vornehmen beobachteten dicht gedrängt von den Dächern und aus den Hofausgängen das herrliche Schauspiel des Einzugs, und alle jauchzten: »Heil, König David, Heil! Gepriesen sei der Tänzer Gottes!«
Was verschlug es, daß eine einzige Stimme der Mißbilligung in den Jubelchor sich mengte, daß seine Gattin Michal den König verächtlich nannte und sich ihm entzog an diesem Abend und für alle Zeit. Es gab der Weiber mehr, man brauchte nur Umschau zu halten von den Dächern. Mochte sie verkümmern und vertrocknen in ihrer verspäteten Altjüngferlichkeit. Der Ärger über ihr Benehmen verflog bald. Zu groß, zu deutlich war der Erfolg, als daß man sich aufhalten konnte mit dem dummen spröden Stolz dieser mißgünstigen Saulidin.
Mit der Lade war das Symbol der göttlichen Gnade eingekehrt auf dem Zion. Jetzt war das Davidsreich fest gegründet und vor allem Sturm gewahrt in fernste Zukunft. Gott und der König! – Schlachtruf für Juda-Israel, der die Feinde bezwingt und die Herrschaft ausbreitet über alle Völker der Erde. Gott und der König! – Diese heilige Zweieinigkeit schreckt unruhige Gemüter und hält sie danieder, denn alle Gunst und alle Macht des Himmels und der Erde begegnen sich in diesem Worte.
Über fernste Länder und Zeiten wird der Glanz, der von Jahve und David ausgeht, sich verbreiten. Über alle Heimstätten der Menschen erhebt die eine sich, die der Sitz des höchsten Königs und des allerhöchsten Gottes ist. Die Davidstadt, die Stadt der Bundeslade, die Stadt der Verheißung und der Erlösung; die Königin unter den Städten – die heilige: Jerusalem!