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Gesang der Nacht


Sommernacht über Jerusalem. Schwer atmet im Schlafe die tageswerkmüde Stadt. Wo sind nun die beflissenen Gespräche der Männer, der Zank um das Mein und das Dein, das Feilschen und Deuteln, Verheißen und Versagen? Wohin entflohen der Schwall gereizter Worte, das Flüstern buhlerischer Schmeichelkünste, die Würde weisen Richterspruchs, der Freudenschrei über den Erstgeborenen, der Segensspruch an die Neuvermählten und das Klagegeheul im Hause der Toten? Wo blieb der Anruf der Priester am Opferstein, ihre dunkle Weissagung und das helle Preislied zum Lobe des Einzigen und Einen?

Und das hüpfende Spiel der Kinder im Sande und über den Steinen des Pflasters, das scheue Geheimnis der Frauen in der Dämmerung ihrer Liebeskerker? Ausgelöscht ist die feile Dreistigkeit der Dirnen, die verstohlene Scham der mannbaren Töchter. – Alles, was sich in den Häusern und auf den Söllern, was sich durch die Straßen des unruhvollen Ortes geruhsam bewegt oder hastet, alle, die Wohlwollen triefen oder Übles ersinnen, des Lebens Notdurft sorgend sich schaffen, zubereiten, umhandeln, alle, die arbeiten oder prassen, sammeln oder stehlen, in Liebe trotzen, in Verzweiflung vergehen – alle, die dem lebenden Tag gehören, den Tag erfüllen, als wäre er, als wäre ihrer Ewigkeit–… alle die Vielfältigen, Bunten, Regsamen, Sonnenfrohen, wo sind sie hin? Was sind sie, was gelten sie – da eine Sommernacht sich senkte über sie; eine Sommernacht über Jerusalem.

Verschlungen, verklungen, ausgetilgt und nie gewesen. Nur das Schweigen lastet dumpf auf den Hügeln der bangenden Stadt. Im Mondglanz schimmern die massigen Türme der Königsburg. Verzauberte Ritter, bis die Erlösung durch den jungen Morgen sie erweckt. Der Schatten der Mauern, unwirklich, fletscht das Gebiß seiner Zinnen ohnmächtig gegen das lachende Sternenheer. Das Gewirr der Häuser und Hütten an den Abhängen, über die Ebene gestreut, in die Schluchten gebettet, preßt sich ängstlich zusammen, wehrt sich gegen die unbekannten Gefahren der feindlichen Mächte der Finsternis. Im steinernen Sarge seiner Schlafkammern verstummte, tot für diesmal, das Menschengeknäul. Oder es wälzt sich ruhelos auf den Dächern, aber auch hier ohne Erquickung zu finden, Beute der erbarmungslosen Hitze. Die Nacht verschluckt alles, die Nacht verdeckt alle, merzt ihr Dasein aus und läßt ihnen nichts als den trüben, lastenden Schlummer und die Geißel zerquälender Träume.

Einsam, mahnend und abweisend hebt sich drüben auf der Dachfläche des Morija ein Felsengeviert, von dem heiligsten Altar der Höhen gekrönt. Auch dort, wo um den Brandplatz die Seufzer längst verrauchter Opfer wehen, herrscht lautlose Ruhe. Keines Vogels Ruf, keines schleichenden Tieres Laut kräuselt gegen das Menschenohr. Selbst der Wärter der Stiftshütte auf dem Zion, der das ewige Licht vor der Bundeslade bewachen soll, verfiel betäubt der Lockung dieser schwülen, schwellenden Sommernacht.

Die Not zweier brennenden Augen starrt durch die halbe Helle, die die nächtlichen Gestirne hinübersenden zum Betplatze Jahves. Bittere Gedanken kreuzen sich im Haupte der sichtenden Frau, die hoch aufragt in die drückende Stille. Worte fallen ihr ein, die ihr Halbbruder Salomo, ein mannbarer Jüngling jetzt, einst als Knabe oft sprach, wenn er, vom Laufe ermüdet, seinen Kopf im Schoße der lächelnd ihn streichelnden älteren Schwester barg. Nach dem Morija wies er dann hinüber, wo die behauenen Platten des Sockelaufsatzes rötlich erglänzten im Schimmer der abschiedgrüßenden Sonne. Ganz erfüllt und glühend erzählte er ihr seinen kindheitsphantastischen Plan: »Dort, wo jetzt der Altar steht über dem Felsengrund, will ich mir einmal einen Palast erbauen. Ganz mächtig muß er werden, fünfzig Meter lang und fünfzig Meter breit und fünfzehn Meter hoch. Und Säulenreihen sollen um ihn herum gehen. Drei oder lieber vier – aus Zedernholz. Das hole ich weither vom Libanon. Und alle Gemächer müssen auf ihnen ruhen. Und eine Halle soll darin sein, so groß wie das halbe Gebäude, nicht mit gestampftem Boden und gemauerten Wänden, wie des Vaters Königssaal, sondern oben und unten, und an allen vier Seiten ganz mit Holz getäfelt, Balken an Balken. Zu oberst aber auf dem Hügel, links vom Palast (denn voran steht dem frommen Sohne aus Israel die Himmelsrichtung, in der sich die Sonne erhebt und in die er, dankbar des neuen, gottgeschenkten Tages, sich zum Gebete neigt, und Mittag ist rechts und Mittnacht zur Linken) will ich statt der ärmlichen Hütte auf dem Zion für die Bundeslade einen großartigen Tempel bauen. Am Eingang – also weißt du, am Eingang stehen zwei Säulen aus glattem Erz mit dicken runden Knäufen und so allerhand Verzierung. Und das Haus Jahves soll nur von feinstem Zedern- und Zypressenholz und mit sehr viel Gold und noch andern kostbaren fremden Metallen gedeckt sein. Die Pilger müssen ganz geblendet sein, wenn sie vom Ölberg zum erstenmal das Ziel ihrer Wallfahrt erblicken. Innen aber soll es funkeln und glitzern von all den Gefäßen, die jetzt schon im Heiligtum stehn, und vielen, vielen neuen, die ich Jahve noch dazu schenke. Und der Altar ist ganz von Gold, und der Tisch der Schaubrote und die Leuchter zu beiden Seiten und Lampen, und Kessel, Schaufeln und Becken, und ich weiß nicht, was sonst noch. Alles aus Gold. Ja, und die Priester bekommen erzene Stühle.

Das herrlichste aber« – der Knabe richtete sich auf in stürmischem Eifer, hingerissen zur Sehergebärde von seiner eigenen Gebilde Überschwang – »das herrlichste aber ist das eherne Meer. Das ist ein Gefäß von gewaltigem Umfang, aus Erz gegossen, in einem Stück, eine Opferschale. Sie ruht auf dem Rücken von geschmiedeten Büffelstieren, die müssen sie tragen. Zweihunderttausend Menschen lasse ich unausgesetzt arbeiten, bis alles fertig ist, Lastträger, Steinmetze und alle. Und der Ruhm des Tempels und Palastes wird alle Welt erfüllen und alle werden kommen, um ihn zu bewundern, und werden mir huldigen. Mir, dem mächtigen König Salomo. Ich sehe mir dann auch alles an und zeige mich allen und lasse mich überall herumtragen in einer Sänfte aus Libanonhölzern, mit silbernen Füßen und goldener Lehne. Und ich ruhe mich vornehm aus auf einem purpurnen Polster.«

Begütigend, mütterlich hatte sie den Erregten beruhigt. Nachsichtig spöttelnd in ihren Gedanken: Ein Kindermärchen – ein Knabentraum.

Wie kamen ihr jetzt, in ihrem Weh und Unglück, des kleinen Bruders Märchen ins Gedächtnis?

Der Umriß des Gipfels des Morija hatte sie ins Leben erweckt und der schwache Schatten der Gottesstätte auf ihm. Ein Tempel soll dort drüben erstehen, ein kostbares, weithinragendes Gebäude – Zufluchtsort aller Bedrückten – Hilfsstelle der Elenden, Schutz und Wahrzeichen einer höhern Macht gegen das Unrecht und die Gewalttat an den Geringen!

»Wozu?« Höhnisch verzogen sich ihre Lippen. »Verdient Jahve solchen Dank, gebührt ihm Ehrfurcht? Nein – niemals« – und nun knirschte der Zorn ihre Zähne gegeneinander, daß ihre kleinere, ängstlich wartende und furchtsam das Dunkel durchspähende Begleiterin heftig erschrak.

»Denn alles Reden der Priester ist Lüge! Er lebt nicht, dieser Gott – und keine Götter leben. Oder es sind teuflische Dämonen, die sich am Unglück der Menschen sättigen und an ihrer Verzweiflung. – An meinem Unglück – an meinem verzweifelten Elend.«

Sie versank in brütende Gedanken, stand, ohne sich zu rühren, starr in sich hinein, hatte der kleinen Freundin vergessen. Bis diese sie zaghaft scheu am Kleide zupfte. Denn sie zitterte vor der Nacht und dem Wagnis des Unternehmens.

»Laß uns zurückkehren, Thamar,« bat sie flehend, »ich hab' solche Furcht – laß mich heim.«

Davids Tochter besann sich auf die Gegenwart der andern, die sie zu diesem nächtlichen Ausflug überredet hatte. Sie blieb ruhig im Gefühl der Herausforderung stehen. – Was sollte, was konnte ihr noch begegnen, seitdem das Unheil sie traf und niederschlug. Jedermann wich ihr aus, ließ ihr Platz, wo sie erschien, was sie begann. »Als wäre der Aussatz schon auf meinem Gesicht«, dachte sie oft bitter bei sich. Und war sie nicht befleckt, zerfressen, besudelt wie die Silberhäutigen? War ihr Hauch nicht Ansteckung, ihre Berührung nicht Schmach und Krankheitskeim? Der Trotz trieb sie zum Außergewöhnlichen, Unerlaubten. Was konnte ihr noch widerfahren. Konnte man sie strafen, selbst töten? Nur zu – nur bald. Sie wollte es lachend ertragen und mit ihrer letzten Rede Fluch und Abscheu von sich speien.

So hatte sie, im Gefühl der Unantastbarkeit aller Hoffnungslosen, den jüngsten Ankömmling des Harems bewogen, ihr heute zu folgen. Es war nicht schwer, die Stuben der Frauen zu verlassen. Die unerträgliche Tagesglut hatte alle erschöpft, alle strengen Schranken gelockert und gestürzt. David lag krank, apathisch, Bath-Seba und die Ihren waren dann stets besonders besorgt und kümmerten sich weniger um die Vorgänge in den Frauenabteilen. Die Wächter, von der Sonne erschlagen, zähmte der Schlaf der Erschöpfung. Alle Holzgitter waren über den Öffnungen hochgeschoben, alle Vorhänge zusammengerafft, damit der ersehnte Zugwind die unerträgliche Luft im Innern des Harems verrühre. Niemand achtete auf den andern, jeder war bis zur letzten Pein ausgedörrt und bleiern verklumpt und in sich zusammengesunken. Thamar konnte tun und gehen, wie sie wollte. Wer kümmerte sich auch sonst um sie? Sie wohnte im Hause ihres Vollbruders Absalom, seit das Unglück sie gezeichnet hatte. Aber sie hatte ungehindert Zutritt zum Harem Davids, dem sie vorher zugehört und in dem sie jeden Schlupfwinkel, jeden heimlichen Zugang kannte. So holte sie die Gefährtin heraus. Diese Kleine, Erschrockene, Zarte würde man sonst wohl besser bewahren. Sie war kostbar – das schönste Mädchen in Israel! Sie war wohl wert, daß alle Späher sie belauschten, alle Wächter Argwohn um sie trugen. – Und gerade deshalb reizte es Thamar, die Entehrte, Verworfene, tödlich Beschimpfte, sie einmal ganz allein für sich zu haben. Mitten in der Nacht. Nur sie beide.

Und noch etwas anderes bewegte sie, dämmernd zwar nur im Unterbewußtsein, doch ehrlich und stark: das Mitleid. Sie hatte in ihrer Verknöcherung und Verhärtung doch noch nicht ganz das Gefühl für das leidvolle Los der Geschlechtsgenossen verloren. Tiefer blickte sie in fremde Frauenseelen, seitdem ihre Sinne wissend, ihre Augen erkennend waren. Und sie ahnte hier einen Jammer, anders als der ihre, aber vielleicht von gleichem Gewichte.

Vom ersten Augenblick an fühlte sie sich zu dem lieben Mädchen, das kaum der Kindheit entwachsen war, hingezogen. Seltsames Gerücht ging ihrem Eintritt in den Harem voraus, Thamars Strenge, ihrem Befehl hatte dies junge, verschüchterte Weib keinen Widerstand entgegenzusetzen gewagt. Und sie sehnte sich nach Luft und freiem Weg und Kühlung, die Thamar ihr versprach. Die Enge der Mauern raubte ihr den Atem, das Neue, Ungeahnte, Unausdenkbare hatte ihre einfachen, schlichten Gedanken ganz verwirrt. Auch ängstete sie das Mißtrauen, die falsche, schmeichlerische Süßigkeit, der Zwang und die Aufsicht, die sie umspannen, seit sie nach Jerusalem gekommen war. Die Schnelle der Ereignisse der letzten Zeit hatten ihr noch kaum Klarheit über sich selbst gegeben. Das war alles so fremdartig, unheimlich und widerspruchsvoll verlaufen.

Jetzt, da ein sanfter Hauch über den Zion strich und den dumpfen Ring von ihrem Kopfe löste, kamen ihr Besinnung und Erinnerung. Die Bilder, die so überstürzend einander gefolgt, ordneten sich, und sie schritt rückschauend noch einmal entlang am Wege ihres Schicksals. Das frohe, unbekümmerte Kind sah sie vor sich, das sie selber gewesen. Verspielt, verträumt, von den Eltern, den Nachbarn, den Dorfgenossen gehätschelt und gekost, dank einem Zauber, den sie übte, ohne ihn zu kennen. Kein Zorn, kein Unmut widerstand dem Aufschlag ihrer Augenlider, und jede mürrische Unlust zerschmolz kläglich, sobald sie ihre Stimme hören ließ. Wenn sie aber lächelnd sich nahte oder gar zum Tanze schmiegsam und behende ihrer Glieder Anmut senkte und hob, dann konnte es, zu ihrem Erstaunen, geschehen, daß junge Burschen wie rasend aufstoben, hinwegjagten, um irgend etwas Ungewöhnliches zu vollbringen oder in der Einsamkeit ihrer Sehnsucht nachzutrauern. So groß war ihre Schönheit, ihre Herzensklarheit und der Liebreiz ihrer knospenden Frische. Niemand verletzte sie mit Wort oder Tat, alle hüteten eifersüchtig und froh ihrer Zugehörigkeit das Gottesgeschenk, das ihnen anvertraut war, das Wunder, das sich unter sie begeben. Und weit über die Grenzen ihrer Heimat, des Dorfes Sunem (das man auch Sulam ausspricht), drang der Ruf der jungen Abisag, der Sulamitin.

Sprüche und Lieder ertönten zu ihrem Preis. Vom Volke gedichtet, vom Volke gesungen. Sie liehen dem Herzschlag Worte, der heftig aufsprang, wenn sie vorüberschritt, und sie suchten ihren Reiz in Verse zu formen:

»Schön bist du, meine Freundin – fürwahr du bist schön.
Deine Augen leuchten wie Tauben, die hinter einem Schleier sich ducken.
Deine Haare gleichen einer Ziegenschar, die hinüber wimmelt über den Gilead.
Wie frischgeschorene Schafe prangt deiner Zähne Schmelz,
Wenn die Herde aus der Schwemme steigt, zwillingsgesegnete Mütter,
Und keine fehlt, und keine ist ohne das saugende Lamm.
Deine Lippen sind eine purpurne Schnur und dein Mündchen spricht Anmut,
Deine Wangen glühn wie der Apfel des Paradieses, wenn er überreif saftend am Baume zerspringt.
Dem Turme Davids gleichet dein Hals, zur Fernsicht gerichtet,
Tausend Trophäen schmücken ihn und die furchtbaren Waffen der Helden.
Deine Brüste aber beglücken den Blick, wie zwei schmale, junge Gazellen,
In sanfter Bewegung, ein Zwillingspaar, das unter den Lilien weidet –
Schön bist du – meine Freundin – o schön – vollendet in allem und fehllos.«

Abends, wenn die Schnitter vom Felde kamen und die Herde heimwärts schlenderte zu den Ställen, sangen die Jungmänner das Lied. Erst ertönte es einzeln in der Ferne, eine andere Stimme nahm es auf, von allen Seiten schlossen sich die Nahenden an, im Schreiten verstärkten sie es, bis es in vollem Chore jubelnd anschwoll zum Lobe ihrer, die die Anbetung aller war:

»Wer ist sie – die herabschaut wie das Morgenrot,
Schön wie der Vollmond und klar wie die Sonne?
Furchtbar wie Heerscharen ist ihre Macht.
In die Nußgärten schritt ich hinab – mich zu freuen an den sprossenden Sträuchern,
Nachzuschauen, ob der Weinstock treibt, ob die Granate ins Blühen gekommen,
Ach, ich kenne mich selbst nicht mehr – mir raubt die Besinnung die Tochter meines Volkes,
Verzaubert hast du mich, meine Schwester,
Mit deiner Augen einem und gekettet mit dem Schmuck deines Halses,
Wie schön ist deine Minne, meine liebliche Schwester.
Berauschender als Wein ist sie, deine Liebe.
Süßer als Balsam ist der Duft deiner Salben,
Deine Lippen träufeln mir Honigseim,
Süße Milch birgst du unter deiner Zunge,
Und deiner Gewänder Ruch ist wie Libanon.«

Dann antwortete wohl die Schar der Mädchen, die Arm in Arm die Dorfstraße entlangschritten, als ob der Zufall sie dahergebracht und ihrer Seele nichts ferner lag, als der heimkehrenden Jünglinge zu denken oder gar ihnen zu begegnen. Eine kleine Strophe, etwas spöttisch im Tone, trällerten sie als Erwiderung auf den Hymnus der jungen Männer, der der einen galt und doch allen. Keck und drollig rühmten sie sich selbst, und der Übermut verlieh ihren hellen Stimmen die Schwingen:

»Braun bin ich – doch hübsch, wie die Zelte Kedars,
Wie die Hüttenbehänge beim Wüstenstamm Salma.
Seht mich nicht gering an, weil ich dunkel bin,
Nicht verächtlich, ihr Töchter Jerusalems.
Denn die Sonne hat mich so heiß geküßt,
Und ich bin eine Rose von Saron,
Bin eine Lilie im Tal.«

Das schönste aber waren die Festtage. Da sammelte sich, wenn der Abendstern am Himmel erschien und den Sabbath beendete, das junge, muntere Volk an der Tenne des Dorfes. Flöten und Zithern waren zur Hand, bald wogte der Tanz; dann aber erhob sich ein Wunsch, ein Verlangen, ein unwiderstehlicher Ruf, in dem sich alle einten, Alte und Jugend: »Abisag! Abisag soll tanzen!« Und sie zierte sich nicht lange, man bildete einen Kreis um sie. Und Abisag tanzte. Um sie aber erscholl der Triumphgesang des Dorfes, ihr zu Ehren und zu Ehren von Sulam, das diese holdeste Tochter Israels geboren hatte:

»Dreh' dich – dreh' dich – Sulamitin,
Tanze, daß wir dich bewundern!«
»Sagt, was schaut ihr an Sulamit
Bei dem Reigen, den sie vorführt?«
»Wie schön sind deine Schritte in deinen Schuhen,
Tochter eines Edlen – Fürstenkind.
Deiner Hüften Wölbung gleicht geschmeidigem Kleinode,
Dem Werk eines Künstlers aus Meisterhand.
Dein Schoß ist ein Becher voll köstlichstem Tranke,
Dein Leib ist wie Weizen mit Rosen umsteckt.
Deine Brüste gleichen mutwilligen Böcklein,
Dein Hals einem Turme aus Elfenbein,
Deine Augen sind tief wie die Teiche von Hesbon,
Hoch wie der Karmel hebt stolz sich dein Haupt,
Wie der Purpur des Königs erstrahlen deine Haare,
Und gefangen liegt, wer diesen Flechten genaht!«

Fröhliche Tage – heilige Stunden des unbefangenen, neidlosen Glückes; da die Liebe der Ihrigen sie trug und bewahrte – selige Gefilde der Heimat, Eltern, Geschwister, Gespielinnen, Freunde, Vertraute meiner Kindheit. Sunem, süßes, geliebtes Wort, wo bist du – wo seid ihr? Ein anderer Tag kam, seltsam und unruhevoll. Da wirrte das Dorf durcheinander von merkwürdigen Reden, unbekannten Menschen, unverständlichem Geschehen. Eine Karawane zog ein, ernste Matronen, würdevolle, graubärtige Männer. Ein kurzes Gespräch mit dem Dorfältesten – Befehl des Königs! raunte es erschreckt ringsum. Kommen sie mit Frieden, kommt es zu Gutem? Eilig mußten sich alle in ihre Hütten begeben. Nur die jungen Mädchen wurden verlangt. Diese traten auf freiem Felde zusammen. Dort gebot man ihnen, der Kleider sich zu entledigen. Die alten Frauen prüften die Enthüllten, alle wurden zurückgeschickt, nur Abisag blieb.

Und dann – in der Dunkelheit selbst fuhr ihr die Scham brennend ins Gesicht; ihr Herz klopfte empört, wie immer, wenn sie an das dachte, was nun sich begab. Männer traten hinzu – fremde Männer. Schreien wollte sie, fliehen, aber die Angst hielt sie im Zaume, die Hände der Frauen fesselten sie, nicht ungut, aber doch zwingend. Das Köpfchen beugte sie zu Boden, daß niemand ihre fassungslose Bestürzung bemerke. Und flehend, als einzige mögliche Abwehr flüsterten halb unbewußt die vor aufsteigendem Weinen bebenden Lippen das Abwehrwort, das man sie gelehrt, das der Keuschheit Schutz gibt im ganzen Reiche von Dan bis Berseba. Das Wort, das höher geachtet wird als selbst das göttliche Gesetz, weil es an Sitte und Sittsamkeit mahnt, an die höchsten Güter ihres Volkes:

» So etwas tut man nicht in Israel

Einen Augenblick stockten die Männer, betroffen vom Angstruf der Reinheit. Aber dann schritten sie näher. »Des Königs Befehl!« Und das unmöglich Scheinende erfüllte sich. Eine Tochter Israels, eine Freigeborene, mußte nackend sich mustern lassen von den Augen unversippter Männer.

Den Ausbruch des Entzückens hörte, verstand sie nicht. Auch was der Vater ihr dann kündete, begriff sie gar nicht. Zu tief war sie verletzt und verwirrt. Man kleidete sie, man schmückte sie, hob sie in eine Sänfte. Daß es ein Abschied für immer sein könnte, ahnte sie nicht. Auch die Ihren dachten nicht anders, als daß es um eine kurze Reise sich handeln werde. Wenn sie auch in Sunem als erste erlesen – das wußte man freilich auch ohne die Fremden – so sollte sie nun doch erst neben die schönsten Mädchen aller Stämme und Städte gestellt werden, in Jerusalem sich der Prüfung unterziehen. Wie sollte das kleine Hirtenmädchen da bestehen neben all den hohen, gepflegten Jungfrauen aus edelstem Blut und alten Geschlechtern.

Aber bald drang die unerwartete Nachricht zurück. Die große Schau hatte stattgefunden und ohne Widerspruch, ohne Meinungshadern hatten alle Berufenen, Frauen und Männer, ja die Gefährtinnen ihres Geschickes selbst, in hellem Entzücken ihr den Preis zugesprochen: Das schönste Geschöpf, die prangendste Blüte am Baume Israels ist sie, unser Liebling, unser Stolz, unser Glück – ist Abisag, die Tochter von Sunem.

Nun ist die Dorfstraße öde und leer. Verdrossen schweigt der einst so liederfrohe Mund, die Arbeit riecht sauer, und lichtlos liegen die Äcker und Gärten. Keinem bringt es Trost, daß Abisag zum höchsten Dienste auserlesen ist, daß sie dem hochbetagten König David als Genossin zugeführt wird. Der Vater hätte gern auf die reiche Gabe verzichtet, die aus dem Kronschatz für ihn gesendet wurde. Und die Jugendgefährtinnen hätten des Ansehens freudig entbehrt, das ihnen zufloß, weil sie ihr zutraulich nahe geweilt, weil auch sie aus Sunem waren, der Wiege der Schönheit. Wäre sie nur wieder bei ihnen gewesen, hätte mit ihnen gescherzt und gelacht, im Reigen sich vor ihnen gezeigt unter dem Summen der Begleitmelodie:

»Dreh' dich – dreh' dich, Sulamitin,
Tanze, daß wir dich bewundern–…«

Abisag fuhr zusammen. Nah, ganz nah hatte sie die Stimmen gehört. Wo waren die Freunde – Sunem – kehrte es wieder – kehrte sie wieder? Nein – nur die Nacht war um sie, drohendes, finsteres Mauerwerk, und mitten in der dumpfen Wärme der Frost der einsamen Fremde.

Die Hand der Begleiterin weckte sie aus ihrer Versunkenheit. Jetzt war es Thamar, die drängte; aber sie führte nicht zurück, sondern vorwärts. An den vierseitigen Eckturm, der in der Nordostecke des Zion ragte und hoch ins Land drohte, ein Wahrzeichen von Davids königlicher Macht und ein Beobachtungsposten und Bollwerk gegen heranstürmende Heere, schlossen sich nach Westen und Süden die hohen Mauern an. Sie laufen hier am Rande des Hügels entlang, der ziemlich steil gegen das östliche Tal abfällt, durch das der Kidron nach der Regenzeit seine Wasser zum Toten Meer trägt; sanfter und nicht so tief klafft die Nordschlucht, die den Zion und den Morija scheidet. Einstweilen zog sich das Befestigungswerk nur um den Zion, der die Davidsburgen trug, aber Thamar hatte sagen hören, daß später auch der Morija und die nach Westen den Hügeln vorgelagerte Ortschaft befestigt werden sollten. Sich gegen die Jebusiter und die übrige Bevölkerung Jerusalems zu sichern, war für David kaum mehr nötig. Nun galt es, die Hauptstadt völlig gegen die äußern Feinde zu umschließen. Zwar waren jetzt alle besiegt – allein, wer kannte die Zukunft?

Eine kleine Pforte, hart am Turm, schuf einen Zugang zum Tale Kidron (das hier in seinem untern Lauf auch das Tal Josaphat genannt wird). Auf schmalem Felsenweg ging es hinunter zur Gihonquelle, die auf halbem Abhang dem Fels entspringt und, immer fließend, bei einer Belagerung den notwendigsten Wasserbedarf zu gewähren vermochte. Vom Turm aus war der Steig beherrscht, so daß kein Feind sich bis zur Quelle wagen konnte. In Friedenszeiten blieb das Pförtchen offen und unbewacht. Schwätzend zogen in der Abendstunde die Mägde des Königs den Pfad hinunter, um statt des stickigen Regenwassers aus den Zisternen das frische reinere Naß in Ziegenhäuten heraufzuholen. Oft ging das Füllen der Wassersäcke nur langsam. Denn merkwürdig war es um den Zustrom bestellt. In wechselnder Stärke, gleichmäßig schwellend und nachlassend, zweimal täglich im Sommer, viermal in der kühleren Jahreszeit, änderte der Quell die Menge seines Auftriebes. Als sei er irgendwo tief im Innern der Erde geheimnisvoll mit dem Meere verwandt und folge den Gesetzen der Flut und der Ebbe. Auch schmeckte das Wasser nicht unangenehm, aber doch etwas herbe und salzig.

Sicheren Fußes stieg Thamar hinab und führte Abisag, die etwas schwindlig auf dem unbekannten Wege tastete, mit der rechten Hand hinter sich her. Das Murmeln der Quelle ließ sie halten. Sie fühlte Abisags Unruhe; wenn sie auch nicht laut zu klagen oder gar sich zu widersetzen getraute, so war sie doch voll Angst vor der nächtlichen Unheimlichkeit. Wohin brachte Thamar sie – was wollte sie von ihr? Was raunte und wisperte, kicherte und murrte dort vor ihnen? Lauerten Gespenster dort, sollte sie den Göttern des Felsens geopfert werden?

Thamar, ihre Angst erkennend, beruhigte sie. »Es ist nur eine Quelle – dort können wir rasten. Fürchte dich nicht – was soll uns geschehen? Gespenster gibt es dort nicht; oft schon habe ich nachts diesen Weg gemacht, nie ist mir etwas begegnet. Vielleicht gibt es überhaupt keine Geister? Auch das nicht wahr? Erlogen wie alles, was man uns lehrt! Und wenn selbst – können sie schlimmer sein, bösartiger uns mitspielen als Menschen?«

Die letzten Worte hatte sie, umkreist von ihren zerrenden Gedanken, die Tag und Nacht sie peinigten und nie verließen, mehr zu sich selbst gesprochen. Abisag verstand den Sinn nicht ganz. Aber ihr Ohr hörte den Klang der entsetzlichen Verbitterung, ihr liebevolles Kleinmädchenherz fühlte die Not und das Leid, die ihr zur Seite schritten. Und es schlug so voll der heimlich bewunderten großen und herben Frau entgegen, daß sie die Schauer der Nacht tapfer in sich bezwang.

Thamar beugte sich zu dem kleinen Becken, in dem die Quelle aufgefangen wurde. Enttäuscht zog sie die Hand zurück, das Wasser war warm und deckte nur dürftig den Boden. Es war seine magere Zeit und die Sonne hatte unbarmherzig in die spärliche Ansammlung hineingesotten. Hier war Erquickung nicht zu finden. Sie zögerte, sollte sie das Unternehmen aufgeben? Aber die Sterne glänzten noch hoch, der Morgen war ferne und ihr Herz war gequollen im Drange nach Aussprache. Sollte sie nach den Siloahteichen weiterwandern? Sie waren die nächsten; Moos, Farnkräuter und üppig wucherndes Frauenhaar drängen sich um sie in dichter Fülle, weil sie, tief im Fels eingebettet, stets um sich Feuchtigkeit halten. Aber der Weg war beschwerlich und für die weichen Füßchen der bergungewohnten Abisag wenig geeignet. Die Baumeister Davids planten, durch eine tiefe Rinne die Gihonquelle nach dem obern Teich zu leiten, wenn es nicht anders ging, mit Durchbohrung des Felsens. Es war ein Gedanke von alters, der irgendwann einmal zur Ausführung kommen würde, um die Wasserversorgung der Stadt für jeden Notstand sicher zu stellen. Einstweilen waren erst einige Blöcke in mühseliger Handarbeit abgesprengt und zur Seite gewälzt. Aber das machte den Querweg an der obern Tallehne entlang noch schwieriger, besonders zur Nachtzeit.

So entschloß Thamar sich, nordwärts zu gehen, das Kidrontal hinauf, am Fuße des Morija entlang und um ihn herum. Hier führte ein ziemlich ebener Steig, bequem genug, nicht zu verfehlen. Zum Schluß kletterte sie ein wenig hinab, über loses Geröll teils, teils über sanft geneigte Wiesenmatte, die trotz der verheerenden Glut frische Kräuter und Gräser herbergte, weil sie vom Hauch des nahen Wassers überdunstet wurde und im Schatten der schmalen Kluft liegt, die westwärts herkommend hier ins Kidrontal mündet. Im Trichter drunten, im Kreuzungspunkte der beiden Schluchten lag einladend und still, verträumt und vom Vollmond grün überglänzt, die silberne Fläche des Teiches Bethesda.

Wasser! Frische ausstrahlendes Wasser – eine große Menge, für die naiven Augen von Abisag ein ganzer See. Sie fühlte sich beglückt, Thamar unendlich dankbar, daß sie sie hierhergeführt. Hier wehte beständig, durch die verschiedene Luftwärme der Täler erzeugt, ein leichter, angenehmer Hauch, und vom Teiche Bethesda her breitete sich Kühlung über die ausgetrocknete Haut der ermüdeten Frauen.

Ein Wink von Thamar gab die unausgesprochen erbetene Erlaubnis. Kaum, daß die hastigen Hände in Übereile fertig wurden mit dem Entknoten der Schnüre, dem Lösen der Tücher. Hier war die ihr versprochene, ersehnte Erfrischung des Bades. An den Dorfweiher von Sunem dachte sie, eine sorglich für Vieh und Menschen bewahrte, große Zisterne, die die Regenzeit füllte oder gar das nur selten erlebte Wunder des Schneefalls. Heimlich, ganz heimlich hatte sie einmal die kleinen, staubigen Füßchen hineingesteckt, herzklopfend, noch Monate später voller Gewissensplagen ob der begangenen Sünde. Jetzt durfte sie den ganzen glühenden Leib eintauchen. Er fühlte sich so heiß an, als habe ihr Blut sich in flüssiges Feuer verwandelt.

Schon hielt sie auf den Steinen am Ufer, schon hob sie das Bein, straffte sich die volle Wade, um vorsichtig die Zehen den flachen Grund ertasten zu lassen. Und nun schritt sie langsam aus dem Dunkel der Bucht hinaus und stand frei, Eva, göttlich, im Glanze des Mondscheins.

Eines tiefen Atemzuges Dauer nur, dann beugte sie sich, schöpfte das Naß, preßte es liebend, fest an die jungen Brüste, ließ den Leib überrieseln, plätscherte tändelnd, jauchzte leise auf, warf sich ruckweise mit gebreiteten Armen, um zu fassen, zu halten, zu besitzen, glückselig hinein in die Wohltat des Wassers.

Gut, daß sie ganz in die Freude vertieft, mit sich beschäftigt, in fröhlichem Lärmen auf Thamar nicht achtete. Diese, schon bereit, sich auch der hemmenden Kleider zu entledigen, hatte dann noch kurz gezögert, lächelnd der Hast zugeschaut, wie die mütterliche Nachsicht ein Kind belauscht, das gierig die erbettelte Süßigkeit in sich hineinschleckt. Überraschend traf sie der Aufglanz der Schreitenden. Nun stand sie ganz verändert, plötzlich aufgewühlt, stierend und keuchend.

Denn die makellose Gestalt – die unschuldsvolle Schönheit der Sulamitin peitschte grell und grausam in ihre verlorenen Sinne. Ihr Blut rauschte empor, umbrauste ihr Herz und trieb es ins Fieber. Sie klammerte sich mit reißenden Fingerspitzen, absplitternden Nägeln rückwärts an den Fels, den sie hinter sich griff. Um sich selbst zu fesseln, um sich zu hindern. Denn ihr Trieb befahl ihr, vorwärts zu stürzen, dort hinein, wo Abisag wohlig im Wasser tauchte, daß hier und da ein Arm, die Schulter, eine Lende, die Wölbung des Rückens empor schienen. Sich auf sie zu werfen, sie unter sich zu schleudern und – die Willige oder Widerstrebende – zu umschlingen, ihre Reize zu suchen, zu finden. – In sie zu versinken in Brunst und in Erschlaffung.

Thamar kannte solche Erregungen wohl – vom Hörensagen, von zufälliger Beobachtung. Lange schon wissend, war sie durch die Unzucht des Harems geschritten. Sie ahnte früh, sie erfuhr es später genau, was das hinsterbende Seufzen der Wollust verhieß und bedeutete, das oft genug an gewitterschweren Tagen, in keimschweren Frühlingsnächten aufstöhnte in dunklem Geheimnis. Eng gepfercht, vom Manne vernachlässigt, in halbem Nichtstun, mit verderbten Gelüsten – so hockten diese Frauen umeinander. Was die Natur nicht gebot, lehrte das schamlose Wissen der Älteren, der Mägde und der boshaften Verbrauchten. Unaufhörlich ergoß der Strom der Leidenschaft sich über alle, Begehren und Eifersucht, rasende Hingabe, gelangweilte Abkehr, Wahnsinn der Verschmähten, Haß der Genarrten, besinnungslose Gier, dumpf ergebene Hörigkeit, Bereitschaft, die eine zu töten, für die andere zu sterben – alle Phasen, alle Ekstasen rasten gegeneinander, durcheinander. Der Dunst der Liebestollheit, die Geilheit läufiger Tiere – die rote Hymne des Fleisches schwang sich auf, entflammte, triumphierte alltäglich, allnächtlich zwischen den Mauern des Harems von König David – und seinen Söhnen – und allen–…

Nie aber hatte Thamar solchen Trieben sich gesellt. Ihr Stolz, Besonderes zu sein, besonders sich zu halten, hatte sie vor der allgemeinen Lasterhaftigkeit bewahrt. Die schleimige Annäherung weichlich aufgedunsener älterer Insassen des Harems fand nur ihren Ekel, werbendes Liebesflüstern Gleichaltriger ihr Lachen als Echo. Man beschimpfte sie deshalb heimlich, aber man duckte sich vor ihr. Bis dann das Schicksal sie erbarmungslos in seinen Raubtierrachen riß. Von da ab wichen ihr alle scheu aus, mieden die unheimlich vor sich Hinbrütende. – Sie selbst aber war viel zu sehr in sich versenkt, vergrämt und verhadert, als daß sie auf das verachtete Treiben der Umwelt mit andern Augen sehen konnte als zuvor. Und dann – was waren, was bedeuteten Frauen, was solch kläglicher Ersatz für ihre Entbehrungen. Wie konnte man Gefallen finden am gleichen Geschlecht, wie hätte sie flüchten sollen zu den Nehmenden, da ihr Wesen beherrscht wurde von dem Gebenden – da sie dem Feind verfallen war, dem grausamen, gehaßten, geliebten – dem Manne.

Jetzt zum ersten Male erfaßte sie das wahnwitzige Verlangen, jetzt verstand, jetzt fühlte auch sie den unwiderstehlichen Drang, der eine Frau um die Gunst einer andern sich verzehren, betteln, jede Gemeinheit begehen läßt. Blendend kreiste es trotz des Dämmerlichtes vor ihren Augen. Außer sich geraten, hatte sie nur den einen Wunsch, hineinzuspringen und Abisag zu umarmen, Brust an Brust, bis die Glut ihrer Körper zusammenschmolz zur unauslöschlichen Einheit. Bis der süße, aufrührerische Strom des Lebens hinüberflutete von Mensch zu Mensch – was verschlug es, ob Mann oder Weib – bis sie in rasenden Küssen sich sättigte an den Lippen, auf den Gliedern, am elastischen Körper der Geliebten. Ihre Zähne wollte sie in sie eingraben, wütend, schmerzhaft, bis sie berauscht die Köstlichkeit ihres Blutes auf der Zunge spürte. Oder sie mußte vergehen vor ihr, hingeworfen in ersterbender Demut, den Mund gepreßt auf die gnädige Benedeiung ihrer angebeteten Füße.

Aber in ihren Kampf hinein, in den Zwiespalt zwischen der entfesselten Dämonie des Geschlechtes und dem innern Zuruf: »Sündige nicht! Nicht hier, nicht an dieser! Entehre das Vertrauen nicht, das dir geschenkt, beschmutze nicht die beseligende Reinheit dieses Kindes, besudle nicht das letzte Fleckchen Mensch in dir selbst« – in dies nächtige Sturmlied ihrer eigenen Seele brach abbrechend und befreiend ein Angstschrei aus der Kehle der Badenden. Sie sprang heraus, flüchtete, ohne zurückzuschauen, zu der wartenden Freundin, ahnte nicht, welche Gefahr ihrer harrte – und ward umfangen von schützenden, mütterlichen Armen. In einem Schlage erstarb aller Aufruhr des Blutes, jede niedere Versuchung in Thamar. Nichts sah sie, nichts hatte sie vor sich als ein verängstetes, aufgescheuchtes, banges Geschöpfchen, das, am ganzen Körper zitternd, mit ausgestreckter Hand vor sich auf die Wasserfläche wies, und sich vertrauensvoll rettete in die Obhut der klugen und starken Gefährtin.

Einen Augenblick später lachte Thamar hell auf und beruhigte dadurch die Erschreckte mehr als durch lange Auseinandersetzung. Nein, das war kein unheimliches Tiefenungeheuer, das dort, aus dem Grunde des Teiches aufsteigend, die arme kleine Abisag verschlingen wollte. Auch der Kobold der Gewässer trieb nicht sein neckendes Spiel, noch kündeten sich hämische Zauberer aus der Unterwelt an oder gar die finstern Geister, die die Erde peinigen und an ihr rütteln, bis sie vor Schmerzen donnergrollt und erzittert. Was dort in der Mitte des Beckens aufgurgelte und aufwallte, was die blanke Fläche, auf der der Mond sich eitel spiegelte, in Wellen und Ringe zerriß, daß die Bänder des Lichtes zersprangen und seltsam verflatterten – das war kein Wunder und kein Abenteuer. Das wiederholte sich in unbestimmten Abständen immer wieder; ein warmer Quell aus dem Felsenboden mochte wohl stoßweise zur Oberfläche sprudeln, ein Strahl mit Luftblasen und perlendem Schaume – Genaueres wußte man nicht, aber jedes Kind kannte diese Eigenart des Teiches Bethesda; gerade sie hatte ihm den Ruf besonderer Heilkraft verliehen. Von weither kamen Pilger, um die kranken Glieder, die gichtig krummen Gelenke in ihm gesund zu baden. Und ob nun vielleicht doch irgendwo im Urgrund der Erde ein Riese hauste, dessen feuriger Atem hier zur Höhe steigt, oder ein verhexter Unhold, der, in Höhlen gefesselt, seine Seufzer aufwärts sendet, um den Befreier zu rufen – jedenfalls war die Erscheinung seit alters bekannt und seit langem ungefährlich. Nur unklare Sagen meldeten, daß früher wohl einmal der aufsteigende Born den Teich zur Überschwemmung gefüllt oder ein heißer Springquell hoch in die Luft gestiegen sei und zugleich die Erde erbebte. Lange aber war derartiges nicht geschehen. Niemand fürchtete sich mehr, denn auch die Unheimlichkeit und Unerklärlichkeit der Natur stirbt langsam an der Gewohnheit.

Abisag horchte auf die berichtenden Worte, aber noch einmal ins Wasser getraute sie sich doch nicht. Sie kauerte sich nieder und genoß ein Weilchen behaglich die Nachruhe. Dann griff sie ohne Hast nach den Kleidern, band sitzend die Sandalen und ordnete sorglich das bespritzte Haar. Thamar hatte, um ihr mehr Platz zu gewähren, sich etwas höher niedergelassen, ins Dunkel gerückt, auf einem Stein, in dessen Spalten eine Olive ihre Wurzel drängte. Sie lehnte mit dem Rücken an dem Stamm; der Wunsch, selbst zu baden, war ihr vergangen. Nichts hätte sie jetzt bewegen können, ihren Körper vor Abisag zu entblößen. Ohne ein anderes Gefühl als das der zärtlichen Fürsorge sah sie auf sie nieder. Das Herz wurde ihr weit und warm, denn jede Bewegung sang das hohe Lied der Holdseligkeit der Sulamitin. Zutraulich blickte Abisag dann zu ihr auf, schob sich eng an ihre Knie, eingekuschelt in angenehmer Ermüdung, und bat wie ein Kind, dem man ein Märchen verheißen, wenn es sich artig verhält: »Und nun, Thamar – nun erzähle!«

Es gab ihr einen Ruck. »Erzähle!« Richtig, das hatte sie beinahe vergessen. Für heute hatte sie es der jungen Gattin des Königs versprochen, damit ihre letzten Bedenken beseitigt. »Wenn du mir heute nacht folgst, dann sollst du alles hören und wissen.« Mancherlei hatte man Abisag angedeutet, schadenfrohe halbe Bemerkungen, ihr unverständliche, giftige Scherzworte. Aber niemand hatte ihr recht Rede gestanden. Selbst in dem Pfuhl des Haremsklatsches zog die lüsterne Geschwätzigkeit sich in den vertrauten Schlamm und vermaulte sich, wenn Abisag die klaren, großen Augen hob. Scheu, ausweichend lenkte man ab. »Bist ja Thamars Schützling – bist ihr befreundet – frag' sie doch selbst.« Arglos hatte sie es eines Tages getan; ahnte nicht, welchen Sturm sie in der Freundin erregte. Prüfend, schweigend, blickte die sie an. – Nein, hier forschte keine Frauenneugier, gleichgültig gegenüber dem fremden Unglück, begierig nur auf Stoff zu gedankenlosem Geruddel – hier war echtes, ehrliches Mitgefühl, Anteilnahme am liebgewonnenen Nächsten. War es nicht Pflicht, die Ahnungslose aufzuklären, am eigenen Beispiel zu lehren, zu warnen vor den unbekannten Gefahren der Umgebung? So hatte sie ihr zugesagt, sie in alles einzuweihen, wenn die Stunde dazu gekommen.

Nun machte Abisag ihre Forderung geltend. Nur kurz zögerte Thamar, schob die Lippen fest zusammen. Ein schwerer Atemzug, Entschlossenheit dann. Sei's drum. Einmal mußte es doch geschehen – und jetzt gerade? Ja, gerade jetzt! Jetzt wollte sie sich ganz entschleiern, ihr wehes, zuckendes Leid aufdecken, sich völlig ausliefern, schonungslos. Sie hatte Buße zu tun für ihre unreinen Gedanken von vorhin. Sie wollte büßen in der Preisgabe der eigenen Erniedrigung und Schwäche.

»Ich bin aus altem, vornehmem Geschlecht, Abisag. Nicht nur David, dessen Vorfahren auch schon zu den Fürsten in Juda zählten, auch meine Mutter Maachas ist aus königlichem Hause. Ihr Vater Thalmais herrscht heute noch zu Geschur. Mein Bruder Absalom und ich sind unter allen Kindern Davids die einzigen, die sich solcher Abstammung rühmen können. Denn unter den andern Frauen Davids ist nur noch eine einzige eines Königs Sprößling, Michal, die Tochter Sauls. Aber sie hat ja keine Kinder.

Das gab uns Geschwistern eine Sonderstellung. Mochten die andern sie vielleicht auch nicht anerkennen, sogar über das, was sie unsere Einbildung nannten, spotten, so trugen wir doch den Kopf steif und sahen auf die übrigen hinab und fühlten uns von besserem Fleisch, von edleren Säften als sie. Von Kindheit an war ich deshalb für stolz verschrien – nicht mit Unrecht – und wurde gemieden. So lag, was meine Mutter mir als Auszeichnung gerühmt hatte, wie eine Last auf mir. Schloß mich aus aus dem Spiele der andern, zwang mich, gleichgültig zuzusehen, obschon ich am liebsten hineingesprungen wäre, um mitzutollen, die wildeste zu sein unter den Ausgelassenen. Und ich lernte früh schon, daß Vornehmheit die schlimmste Absonderung, die törichteste, weil freiwillig gewählte Einsamkeit bedeutet.

Aber sie hat doch auch ihr Gutes. Ich hielt mich nicht mit Nichtigkeiten auf, die sonst das Leben junger Mädchen ausfüllen. Der Ehrgeiz, meine eingebildete hohe Stellung in allem zu rechtfertigen, ergriff mich. Schneller, besser, gründlicher als die Altersgenossen lernte ich alles, was man von uns Mädchen verlangte. Meine Wirkarbeit war die kunstvollste, zeigte die schönsten Muster und Farben; Brot, das ich angesetzt, war am besten durchsäuert, im richtigsten Augenblick dem Backofen entnommen, und wenn ich auch ganz gelangweilt und lässig tat, so war es mir doch sehr angenehm, wenn selbst Ältere, ja verheiratete Frauen mich um Rat über dies und das befragten. Das Urteil meines Geschmackes war im Harem die höchste Entscheidung.

Bald aber genügte mir das nicht. Mich gelüstete nach mehr, nach dem Wissen der Männer. Da traf es sich gut, daß Absalom, nur wenig älter als ich, sehr aufgeweckten, eifrigen Geistes ist. Ich horchte auf alles, was man ihn lehrte, verstand und behielt vieles besser als er. Das Gesetz Moses und die Erzählungen aus der Vorväter Zeit prägten sich fest meinem Gedächtnis ein, und das Herz schlug mir hoch, wenn ich von den großen Müttern unseres auserwählten Volkes hörte, von Sarah, Rebekka oder der Retterin und Richterin Debora. Ihnen zu gleichen, in fernste Geschlechter meinen Namen zu tragen, das schien mir des Lebens wert und war das Ziel meiner Hoffnungen.

Manches hörte ich, die man unbeachtet in ihrem Winkel lauschen ließ, wie man glaubte, in einen Tand oder eine Handarbeit vertieft, was nicht für Mädchenohren bestimmt war – und was ich aufnahm, ohne es recht zu begreifen. Später – später ward es mir fürchterlich klar. Damals waren es nur dunkle Worte, andeutungsreiche Warnungen vor Gefahren für junge Männer, unter denen ich mir nichts Rechtes vorstellen konnte. Denn ich kannte den Sinn der Worte ›Buhlerin‹ und ›Verführung‹ und dergleichen nicht. Zu fragen getraute ich mich nicht, ängstlich, man könnte mir dann mein Horchen untersagen. Es gilt ja nicht als ziemlich, wenn Frauen sich allzuviel mit den Angelegenheiten der Männer befassen. So blieb mir damals auch der Sinn des Schicksals unserer Ahnin verhüllt, obschon gerade sie mich besonders beschäftigte. Denn nach ihr, Thamar, der Stammesmutter von Juda, war ich benannt.

Still und verschlossen, so wuchs ich heran, schweigsam, aber doch voll reger Gedanken. Mein Früchtedrang kam und ich schämte mich sehr, aber doch war mein Leib mir ein frohes Geheimnis; alles in mir bebte Erwartung, aber sorgsam hütete ich meine werbende Sehnsucht, und nach Brauch und Zucht schlug ich die Augen nieder, wenn andere Männer in der Nähe waren als mein Vater David oder mein Vollbruder Absalom. Längst auch hatte ich aufgehört, den Gesprächen der Männer zu lauschen. Denn dies erschien mir selbst jetzt dreist und ungebührlich. Still hoffte ich, daß des Vaters Auge bald gnädig auf mir verweilen und mir den Gatten bestimmen würde. Ich war reif und bereit für die Liebe.

Da lief eines Tages ein beängstigendes Gerücht durch den Harem. Die Stirn des Königs war umwölkt und alle blickten scheu auf seine Mienen. Amnon, der Erstgeborene, nach dem Gesetz also der Erbe des Thrones, war, so hieß es, schwer erkrankt. An einem unbekannten, merkwürdigen Gebresten. Das Orakel der Priester gab keine sichere Auskunft; von Schwären, von Eiterfluß war nichts zu sehen, sein Auge blickte klar, seine Haut war nicht heiß und trocken, nichts machte die Art seines innern Übels erkennbar. Doch wollte er sein Haus, das ihm David angewiesen hatte, seit er mündig geworden war, gar nicht mehr verlassen und er magerte ständig und ersichtlich ab. Haggith, seine Mutter, war sehr besorgt. Und wir nahmen alle Anteil daran, denn Amnon war stattlich und von ritterlicher Haltung und wir liebten in ihm den Stolz unseres Geschlechtes und ehrten in ihm unsern künftigen Herrscher.

So wirst du verstehen, daß ich vor Eitelkeit ganz aufgebläht wurde und mich vor Selbstüberhebung nicht zu lassen wußte, wie ein aufgeplustertes Vogelmännchen, das um das Weibchen girrt und wirbt, als mir angesagt wurde, einen Kuchen für Amnon zu backen. Denn danach, so sagte man uns, stand sein Verlangen. Und davon versprach er sich die Genesung.

Ich Törin, ich blinde verblendete Närrin glaubte in meiner Gefallsucht nichts anderes, als daß der Ruhm meiner Kochkünste zu Amnon gedrungen war und daß nun den Kranken nach Speise von meiner Hand gelüstete, weil ich sie am schmackhaftesten zu bereiten verstand. Ich ahnte nicht, daß sein Leiden nichts anderes war als Verlangen nach mir, das sich heftig und plötzlich in ihm entzündet hatte. Nach meinem Rang konnte er nicht hoffen, mich unrechtmäßig zu gewinnen, auch war ich Jungfrau, und du weißt, das Gesetz schützt die jungfräuliche Ehre mit besonderer Strenge. An eine hochgestellte Hauptfrau aber wollte er sich nicht binden, auch nahm er wohl an, der Vater würde die Ehe mit der Halbschwester nicht genehmigen. Wenn er als oberster Richter dies auch gewähren konnte und das Geschlecht des Königs über dem allgemeinen Gesetz steht, auch solche Ehen nicht ausdrücklich verboten sind, so sind sie doch seit langem schon nicht mehr gebräuchlich. Und es ist nicht ratsam, den Unwillen der Menge durch eine Handlung zu reizen, die ihr vermessen erscheint. Schwermut ergriff Amnon, weil er keinen Weg zur Befriedigung seiner heftigen Begierde nach meinem Besitz sah. Und dies zehrte aus seinem Leibe die Kraft. Doch all dies erfuhr ich erst nachmals.

Den Rat, mich durch einen Vorwand zu sich zu locken, um dann die Gelegenheit irgendwie zu nützen, gab ihm sein Freund. Ich nenne ihn dir, präge dir den Namen fest ein. Jonadab heißt er, Pest sei sein Atem, Aussatz sein Los. Noch weilt er auf Erden, denn er ist ein Neffe des Königs. Wenn er meinem Hasse nicht bald erliegt und meine Verwünschungen ihn nicht verderben – so denke du an mein Unglück. Und wenn du die Macht erhältst, räche mich – räche unser Geschlecht an diesem Verfluchten.

Er riet Amnon, sich niederzulegen und beim König, wenn er nach ihm sähe, ein Gebäck von mir zu erbitten. Die Laune eines Kranken – lächelnd gewährt. Und man sandte nach mir und ich eilte.

Vor seinen Augen knetete ich den Teig, scherzend und lustig, um ihn zu erheitern. Den besten Regeln gemäß. Ich wollte Ehre einlegen und fühlte mich auch nicht belästigt durch die Nähe des Mannes, denn er war ja krank und mein Bruder, und der Vater selbst hatte es befohlen. Da war alles recht und in Ordnung.

Ich nahm die Pfanne und schüttete aus, Amnon aber wollte nicht essen. Er schickte den Diener fort, der mich zu seinem Hause geleitet hatte, und die eigenen Knechte wies er hinaus; es schien ein störrischer Eigensinn von ihm, und alle glaubten an den Wahn eines Besessenen. Dann begab er sich in die innere Kammer, wo ein weiches Lager bereitet war, und rief mich hinein mit meinem Kuchen; dort wolle er ihn genießen. Unschlüssig stand ich, mir war sehr beklommen. Doch des Königs Weisung – und es war ja ein Leidender, da mußte ich helfen und durfte vergessen, daß es der Sitte zuwiderlief, wenn ich allein blieb mit einem Mann und gar ihm folgte in sein Schlafgemach.

Was nun kommt, ist brennendes Elend. Kaum war ich bei ihm, da griff er nach mir. Gestand mir seine Liebe, pries mit vielen Worten meine Schönheit, die ihn weidwund gemacht, sagte, daß ich allein seine Krankheit, ich allein seine Heilung sei. Schmeichelnd und verführerisch bedrängte er mich, liebkoste meine Wangen und meine Hüften, streichelte mein Haar und machte süße Worte und drängte mich listig und unmerklich gegen das Ruhebett. Bis ich niedersaß und er vor mir plötzlich kniete, meinen Leib umfaßte, meine Füße küßte, den Boden vor mir mit der Stirn berührte, und mit einem Aufschrei, einer wilden Bitte gegen mich, die Benommene, halb Besinnungslose sich stürzte und stürmte: »Ich kann ohne dich nicht leben – Thamar. Süßestes, geliebtestes Wesen, erbarme dich meiner, erlöse mich; ich bin verrückt vor Verlangen, vor Sehnsucht. Einzige, Göttin, Liebe – Geliebte, du mußt mir gehören – ich muß dich besitzen!«

Ich war schwach, dir will ich's gestehen. Überraschend, ungeahnt überfiel mich dieser Glutstrom der Leidenschaft. Meine Sinne erwachten, meine Lust reckte sich. Seine Stimme, seine Nähe, seine tastende Hand, auch etwas wie Mitleid mit seiner Not. Das Alleinsein, der flüchtige, stolze Gedanke, daß es der begehrteste Jüngling, der Kronprinz, die Zierde des Landes war, der sich vor mir beugte und wand; vor allem aber und immer wieder – das Blut, das Blut, das in mir sang, das in mir jauchzte: Die Stunde ist da, sei sein – sei dein! Vergiß die Bedenken, wirf dich hin, gib dich hin, laß dich nehmen, erobern, befreien – begnaden, du liebst ihn ja – erfüll' sein Flehen, sei glücklich, mach' glücklich, vergeh in seligem Erliegen – sei Weib! Werde Weib! Werde Königin, Thamar!

›Königin Thamar!‹ Es riß mich hoch. Wo war ich – was ging hier vor? Wer wagte, mich zu kränken? War ich nicht eines Königs Tochter, eines Königs Enkelin? Wo war meine Würde – durfte man mit mir umspringen wie mit einer hergelaufenen Dirne vom Felde? Verwirrt blickte ich an mir hinunter. War ich das? Thamar? Wie kam ich hierher? Wallte an mir nicht das lange, bunte, mit Ärmeln versehene Kleid hinunter, das zu tragen ein Vorrecht der Königstöchter ist, der Prinzessinnen, solange sie Jungfrauen sind. Der vor mir lag, verblüfft vom neu erwachten Widerstande, den er, der Frauenkundige, schon in nachgiebiger Schwäche erloschen wähnte, gefiel mir sehr, oh sehr. Ich liebte ihn zärtlich in diesem Augenblick, ich wollte keinem Manne lieber zu eigen werden als gerade ihm. Aber mich panzerte das Bewußtsein meiner Pflicht und meiner Stellung. Festigte mich gegen ihn – und gegen mich selber.

Und ich sprach zu ihm, der noch vor mir kniete, und strich ihm dabei besänftigend über die Locken: ›Nicht doch, mein Bruder, begehe keine Freveltat. Wo sollte ich denn meine Schande hintragen? Rede doch lieber mit dem König, unserm Vater, er wird mich dir nicht versagen. Ich flehe dich an, entehre mich nicht. Mich nicht und dich nicht–…‹ Und ich fügte das heilige Wort der Warnung, das strenge Wort unserer Väter hinzu, das jeden erschreckt und jedem zu denken gibt, abwehrt und zurückführt zur Vernunft und zur Tugend:

So etwas tut man nicht in Israel!‹

Aber« – Thamar senkte die Stimme, daß Abisag nur mühsam ihr folgen konnte – »aber es war alles vergebens. Der Wahnsinn war in ihm. Seine Seele war krank. Er gehorchte nicht, er hörte nicht. Wild sprang er auf – sein Auge loderte, Schaum stand vor seinen knirschenden Zähnen. Er packte mich, rang mit mir, griff roh und schmerzhaft meine Hände, meine Arme, drückte sie unwiderstehlich zusammen mit zwingender Kraft. Er hob mich, trug mich halb, bündelte mich nieder, ächzte, röchelte, seine Küsse wurden – Bisse, seine Liebkosung – Gewalt. Gewalt! Unwiderstehliche Gewalt! Und ich erlag. Und ich wurde geschändet–…«

Abisag erhob sich, umklammerte sie, schluchzte. »Laß – laß, es quält dich – Liebste, Ärmste – laß – laß–…«

Thamar hielt sie fest an sich, fühlte ihr Mitleid klopfendes Herz. Aber starr und streng blickte sie ins Mondlicht hinaus, über die neben ihr Kniende hinweg. Ihrer Beichte, ihrer Buße war noch nicht genug. Sie mußte weiter bis zum bittersten Ende. Eintöniger als vorher, als sage sie längst auswendig Gelerntes her, fuhr sie fort, halb unbewußt dabei die Erschütterte streichelnd.

»Schmerzt es dich, Kind – habe Dank – Doch höre weiter. Denn du hast noch lange nicht alles vernommen.

Das allerschlimmste ist meine Schuld. Meine eigene Schuld. Und sie begann im Momente meiner Entehrung.

Dies ist das ärgste: Mein Wille zerbrach. Als er mir nahe kam, ganz nahe, sein heißer Atem mich versengte, sein Körper den meinen suchte – da wollte ich fallen. Stärker als das schwache Widerstreben wurde der Wunsch in mir, ihm zu gehören. Wie eine entsetzliche Möglichkeit durchzuckte mich der Gedanke: Wenn er jetzt nachläßt–… Meine Arme wurden nicht kraftlos, freiwillig lockerte ich sie, mein Leib hob sich, dem seinen entgegen, ich gab nach. Nur leere Form war das letzte Sichversagen. In Wahrheit brannte ich so wie er, mein Unglück war Glück, die Zuchtlosigkeit mein heiligstes Heil. Und der Schrei meines Schmerzes, da ich zum Weibe wurde, war gleichzeitig Ausbruch des höchsten Entzückens.

So nahm er mich – so gab ich mich ihm. So holte er mich – und ich blieb.

Ja, Abisag, ich bin bei ihm geblieben. Die Pforten waren offen, ich schritt nicht hindurch. Mein Gesicht war gebrandmarkt – aber schöner, edler schien es mir aus der metallenen Scheibe entgegenzustrahlen als je zuvor. Gesang meine Rede, Tanz meine Schritte. Freude meine Tage – Rausch, ungeahnter, unausschöpflicher, zu den Sternen erhebender Rausch meine Nächte.

Unsere Nächte. Denn wir waren eins. Nicht den Räuber meiner Ehre erblickte ich in ihm, den Zerstörer meiner Gegenwart und meiner Zukunft. Ich bedachte nichts, befürchtete nichts. Ich dankte der List, die mich in seine Macht gelockt, pries den Namen des schlauen Ratgebers, lachte herzlich der Keckheit und des Kuchens und sah, hörte, fühlte nichts als: Leben! Mein Kopf erfaßte nur einen Gedanken, mein Herz fühlte nur noch eine Empfindung, das einzige Wort: Mein Geliebter!

Ich war benommen, Abisag, ich war verzaubert, ich weiß es wohl. Schamlos und ohne Hemmungen, rasend und völlig außer mir war ich. Eine Dirne, beschimpft, befleckt, mißhandelt, gequält – aber geliebt – o wie innig, wie toll, wie verzehrend geliebt. Und dir, der ich Wahrheit schulde, will ich es gestehen–… Peinigt mich, prangert mich an, speit auf mich und droht mir den Steintod – aber gebt mir wieder, was ich verlor! Laßt mich noch einmal den zärtlichen Kosenamen aus seinem Munde vernehmen, die vertändelte Stunde schenkt mir noch einmal – ein einziges Mal nur noch möchte ich sie erleben, die Nacht im Arm des Geliebten!«

Sie war aufgesprungen. Verzückt und entrückt wie eine Seherin, mit gebreiteten Armen. Abisag war zurückgeglitten, kauerte auf den Knien, hob die Hände wie zur Abwehr, oder als ob sie die Flugbereite zurückhalten wollte auf der sichern Erde. Was aber war es, was in ihr selbst vorging? Was hatte die Leidenschaft Thamars geweckt? Was drängte zum Lichte, suchte nach Ausdruck? Warum begann ihr Herz, das so unruhvoll die Wochen daher sich gedehnt und geklopft hatte, jetzt stoßweise auszusetzen? Erfüllte sie ganz, daß sie meinte, sie müsse ersticken.

Ehe sie sich Rechenschaft geben konnte, wurde sie abgelenkt. Thamar sank plötzlich in sich zusammen, so daß nun Abisag hinzueilte, um die scheinbar Fallende zu stützen. Aber sie lehnte ihre Bemühungen ab. Es war nichts weiter. Nur der Höhenrausch hatte sie verlassen, plötzlich war er von ihr gewichen; ihre Glieder gaben nach, Ernüchterung und Abspannung folgten dem übersteigerten Lebensgefühl, jetzt war sie müde, welk, energielos. Das ganze Elend der Gegenwart hockte grinsend wieder auf ihrem gebeugten Rücken.

Flüsternd fuhr sie fort: »Das Unausbleibliche trat nur allzu schnell ein. Ich ahnte nicht, daß dieses Glück je ein Ende nehmen könnte. Für mich war es ja das erste und höchste Erlebnis, der Inhalt und die Krönung meines Daseins. Und ich war ihm, der mich beschenkte, so dankbar, daß ich nie genug, nie zuviel ihm gewähren, ihm dienen zu können glaubte. Ich war sein eigen in jeder Faser meines Leibes, sein Besitz mit jeder Falte meiner Seele. In eigensinniger Freude sprach ich es mir selbst unzählige Male vor: ›Du bist seine Magd, seine Sache, sein Nichts. Er kann mit dir schalten und walten, wie er will. Selbst eine Mißhandlung wäre noch Genuß, käme sie von seinen angebeteten Händen.‹ Ich verzehrte mich vor Heimweh nach ihm, wenn er fort war, horchte, ob sein Schritt nicht erschalle, streichelte zärtlich seine Kleider, die alltäglichen Gegenstände seines Gebrauchs oder in quellendem Erschauern die Pfühle unseres Lagers. Ich weinte in überströmender Liebe. Meine Glieder flogen, wenn er mich ansah; ich verging, wenn er mich berührte; versank in Betäubung, wenn er mich umfing. Stets war ich bereit – gefällig zu allem, auf was seine längst stumpf gewordenen Sinne, seine verfeinerten, manchmal krankhaft überreizten Gelüste verfielen. Nie noch, glaube ich, Abisag, war eine Frau ein so geschmeidiges Werkzeug, ein derart folgsames, immer gestimmtes Instrument in der Hand ihres Meisters. Er konnte auf mir spielen, mit mir spielen, wie es ihm beliebte. Damals erachtete ich als die Bestimmung und die letzte Erfüllung des Weibes seine Demut, seine Selbstverleugnung und das restlose Aufgehen im Willen des Mannes. Heute weiß ich, daß Klugheit den Frauen anderes rät. Die bewahren sich die Liebe am längsten, die immer ein Letztes zurückbehalten, stets noch eine verschlossene Tür vor der innersten Herzkammer haben – oder zu haben scheinen–… Das Geheimnis der Liebe ist das Geheimnis – der Glaube ans Wunderland ihr Fahrtenwind. Hat der Mann erst einmal alles gefunden, so hat die Frau schon alles verloren.

Ich war dumm und unerfahren, Abisag. Heute bin ich sehend, jetzt bin ich wissend. Aber alle Klugheit, alle Erkenntnis – wie gern würfe ich sie hinter mich, könnte ich noch einmal sein, wie ich war. Töricht – unberechnend und glücklich.

Es kam, wie es mußte. Nur allzurasch langweilte ich ihn. Bald bemerkte ich es, verspürte Kühle, suchte verzweifelt sie durch stärkere Leidenschaft, durch noch mehr Hingabe zu überwinden, durch Fragen, Vorwürfe, wie ich es besser machen könnte, das zärtliche Verhältnis wiederherzustellen. Eifersucht entfachte sich in mir. Fesselte ihn eine andere? Ich setzte ihm zu – wurde ihm lästig. Ich hatte mich verausgabt, die Fülle meiner Gaben auf einmal vergeudet. Er wurde meiner überdrüssig. Ich greinte, bettelte – da schob er mich von sich. Ich raffte mich auf, besann mich auf das mir zugefügte Unrecht, suchte die Trümmer meines Stolzes, die Fetzen meiner einstigen Würde und Überlegenheit zusammen, ich pochte auf meine Stellung – er lachte mich übermütig und grausam aus und hieß mich gehen. Ich verstummte – und blieb. Meinen Ausbrüchen antwortete Gleichgültigkeit; bald war ich nur scheel geduldet, überall im Wege. Wie ein räudiges Tier stieß er mich schließlich beiseite. Ich kroch zurück, entehrte mich ärger selbst, als er mich entehrt. Da begann er, die Aufdringliche, die Klette zu hassen. Und dann – dann kam der letzte grauenvolle Tag. Noch einmal hatte ich es in Güte versucht. Sein spöttisches Lachen machte mich wütend. Ich begehrte auf, keifte, beschimpfte ihn – mit einer lässigen Handbewegung winkte er dem Diener – seinem Knechte–… mich, Thamar – die Tochter des Königs–… seine Knechte – mich – mich–… Sie packten mich trotz meines Schreiens und Sträubens. Sie warfen mich aus dem Hause hinaus–…!«

Mit einem Stöhnen beugt sie sich vornüber, das Gesicht gegen die hochgezogenen Knie, die Hände vorgeschlungen, und als Abisag sanft, trostbereit ihre Finger umklammerte, spürte sie heiße Tränen der Scham auf ihre eigenen Hände gleiten. Da stockten ihre Worte. Was gab es auch gegen solchen Kummer zu sagen?

Bald aber gewann Thamar ihre Fassung zurück. Sie strich trocknend über die Augen und fuhr mit lauterer Stimme fort. Und Abisag erschrak über den finstern Ausdruck, der jetzt ihre Züge beherrschte.

»So stand ich auf der Straße. Am lichten Tage, eine Augenweide für die glotzende Menge, eine verfemte, geächtete Buhlerin. Von diesem Augenblick an aber änderte sich alles in mir. Meine Liebe war wie ein Kind in meinem Leib, hätte aufwachsen können zum Segen für viele, mir selbst zur größten Freude. Nun starb sie plötzlich vor der Reife. Und das Tote in mir goß das Gift der Verwesung in alle meine Säfte und in meine Gedanken. Wie eine von unreinen Dschinnen Befallene, die nicht mehr von sich selbst weiß, handelte ich. Auf offener Gasse gab ich ein Schauspiel, zerriß ich das fürstliche Kleid, das ich immer noch trug, den bunten Ärmelrock der königlichen Jungfrauen, denn diese Gewandung kam mir nicht mehr zu. Und ich mußte ja auch den Trauerriß vornehmen, denn ich stand am Grabe meines eigenen Lebens. Staub hob ich vom Boden und bestreute mein Haar und ich wehklagte das Totengebet. Mit der Hand bedeckte ich mein geschändetes Haupt, zugleich zum Zeichen, was mir geschehen. Denn ich war meiner bräutlichen Keuschheit verlustig, aber es fehlte mir die den Frauen geziemende Umhüllung des Kopfes.

Mein Bruder Absalom kam hinzu, warf einen verstehenden Blick auf mich, fragte mich kurz und ich weinte ihm alles entgegen. Drohend hob sich Feuer in seinen Augen, aber dann führte er mich schnell in sein Haus, wies mir eine Kammer an – und wie sollte ich auch zurück in den Harem des Vaters? Die schlecht verhehlte Genugtuung oder gar das Mitleid, das mich dort erwartete, hätte ich niemals ertragen. Drum versteckte ich mich vor Licht und Menschen und wartete auf König Davids Entschließung. Der Herrscher und Vater mußte mich kommen lassen, mich anhören, mir Genugtuung verschaffen, Amnon zwingen, mich ehrlich zu machen, und ihn wegen seiner Missetat bestrafen. War er nicht der Richter in Israel, stand mir nicht das Gesetz klar zur Seite? War er nicht mein edler Erzeuger und darüber hinaus der gerecht gepriesene Führer von allen? Aufs höchste mußte sein Zorn emporflattern, sein Mitgefühl der Tochter sich zuwenden. Dies hielt mich aufrecht, dies war meine Hoffnung – mehr, meine Zuversicht. Ich wußte es ja, wie der König einst beim Heimgang des Blutsfreundes Jonathan wundervolle Worte und Töne gefunden. Berühmt war das Lied im ganzen Reiche, die Kinder lehrte man es als ersten Gesang und predigte ihnen damit zugleich die scheue Ehrfurcht vor dem großen Monarchen. Lag jetzt nicht ebensolcher oder größerer Anlaß vor? In mir war das Geschlecht des Fürsten gröblich beleidigt. Und war mein Schicksal nicht auch menschlich rührend? Ein König ist nicht nur König der Männer. Wir Frauen sind auch seine Untertanen und haben deshalb Anspruch auf ihn. Schutzbedürftiger sind wir, weil wir schwächer sind. Er ist unser Vormund, unser Vertreter – und er hat über Zucht und Sitte zu wachen. Das Leid aber, das mir widerfuhr, das Unrecht der Männer am Frauengeschlecht würde er milde zu sänftigen und zu vernarben wissen. Mein Verhängnis mußte ihn ebenso ergreifen wie damals der Tod des Freundes. War ich, seine Tochter, weniger wert? Der königliche Dichter würde, des war ich sicher, an der Gruft meiner Liebe und meiner Ehre eine Trauerweise erklingen lassen, so innig, so alle Herzen bezwingend wie einst die Hymne auf Jonathan. Die Großen und Kleinen in Israel würden einander mit wehmütigen Augen, mit sachten, fließenden, leisen Gebärden zunicken: ›Klagt nicht über Thamar – seid ruhig, seid stille. Ihr grenzenloses Weh kann ein einziger nur bis in die letzten Gründe erfassen. Seid schweigsam und weinet. Denn die Stimme des Königs, der Schmerz des Vaters, er spricht für uns alle. Neigt euch vor dem Ausbruch dieses Schmerzes, lauschet ihm: David schlägt die Harfe!‹

Aber nichts erfolgte. Zwar hörte ich, daß er sehr wütend geworden war, als er den Vorfall erfuhr. Wütend, nichts weiter; nicht ergriffen, nicht in seinem Richteramte, seiner Fürstenehre verletzt. Seine Ruhe war gestört, das machte ihn unwirsch. Für das, was wider das Recht geschehen, und für das, was seine Tochter erduldet, hatte er keinen heiligen Zorn, keine Künstlerwallung. Vielleicht kaum Unmut und jedenfalls kein Verständnis. Ein Weib – was weiter? Liebesdummheiten, Frauengefasel. Das wischt man fort wie lästiges Spinnweb, das einem quer überm Wege hängt. Da sagte ich ihm ab als Vater und König. Da erkannte ich ihn ganz in seiner altersschwachen, nörgelnden Angst vor Unbequemlichkeiten. Da begann ich den Mann in ihm zu verachten, und mit ihm alle Männer, die sich die Herren der Erde deuchen, die sich anmaßen, allein Gesetze zu machen, sich ihre Hüter zu nennen und die doch so dumm und eitel sind, nur bedacht, dem Unangenehmen aus dem Wege zu gehen, nur nichts zu erfahren, was ihnen die Galle erregt. Nur deshalb bedeuten wir Frauen weniger, weil sie geizen mit ihrem erschlichenen Vorrang, weil sie das Erbe der Welt, das sie gierig errafften, nicht teilen wollen mit uns, den Enterbten.

Aber gab es nicht andere, die noch nicht Greise waren mit verkalktem Flennen um Ruhe und Frieden? War nicht David anders gewesen? Priester und Ammen, die beiden großen Märchenerzähler, rühmten ja allwege die Kraft seiner Lenden, verkündeten preisend seine Heldentaten. Lebte nicht David in seinen Söhnen? Wo war mein Bruder Absalom?

Ich sagte es dir schon, als er mich zuerst traf, da flammte sein Blick auf und mein Herz wurde froh. Aber auch er erwies sich wie die andern. Dem übermütigen gewalttätigen Thronfolger wagte eben niemand entgegenzutreten. ›Schweig still, meine Schwester – es war doch dein Bruder, der dir beigewohnt hat – nimm's dir nicht allzusehr zu Herzen.‹ So ging seine Rede; sie säte in mich Abscheu auch gegen ihn. Er scheint mich in seinem Hause kaum zu bemerken und ich zeige mich wenig. Friedsame Arbeit habe ich verlernt, sie will mir nicht mehr von Händen und niemand verlangt sie von mir. So sitze ich müßig und denke nach über das, was mir widerfahren, und über alles, Menschen und Dinge, zumeist aber über uns Frauen. Kaum, daß ich bei Tage einmal die Wohnung verlasse, doch meine Nächte sind ruhelos. Da schweife ich umher in der schlummernden Stadt. Wahrhaftig zur Eule bin ich geworden und krächze Unheil und harre der Vergeltung. Woher aber soll sie mir kommen? Ich bin nur ein Weib, kann keine Waffen führen, und Amnons Haus ist zudem wohlbewacht. Zuweilen nur denke ich, es muß mir doch noch Genüge geschehen. Manchmal fliegt über Absaloms Züge ein finsterer Schimmer, wenn er auf mich sieht und sich unbeobachtet glaubt. Es huscht schnell vorüber, dann ist er wieder der leichtsinnige oberflächliche Stutzer, den alle gerne mögen und dem nichts am Herzen liegt als Modenarrheiten und seichtes Vergnügen. Jetzt sind es schon fast zwei Jahre, daß ich bei ihm weile. Mit Amnon, hörte ich, spricht er nicht, weder im bösen noch im guten. Das scheint, als ob er nicht vergessen hat. Doch kann ich sein Benehmen mir dann nicht recht erklären. Und manchmal sagt er ganz seltsame Worte. So äußerte er gestern gutlaunig im Vorübergehen: ›Nun, Schwester Thamar – demnächst ist Schafschur – ein fröhlicher Festtag für alle. Vielleicht aber auch für manchen nicht – vielleicht aber doch für dich selber.‹

Nun forsche ich, was das bedeuten mag – ob es überhaupt tiefern Sinn hat? Ich weiß es nicht und werd's wohl nicht erfahren und mein Kopf ist so müde vom Grübeln.«

Sie schwieg erschöpft von der langen Rede. Abisag streichelte sie erneut: »Arme, Ärmste – was hast du gelitten – was haben sie aus dir gemacht – wie hat man an dir gesündigt.« Und Thamar nahm dankbar das bebende empörte Mitgefühl dieses jungen, schlanken, gottesgeschenkten Mädchenkörpers entgegen.

Aber plötzlich griffen ihre Finger krallend in die Schultern der an sie Geschmiegten. »Bedaure mich nicht – komm mir nicht zu nah. Denn du weißt ja noch immer nicht alles. Unwert bin ich deiner Tränen, verworfen und befleckt. Aber dir, du Reine, Unschuldige, will ich nun auch das Äußerste beichten.

Was ich bis jetzt dir erzählte, war Verbrechen, das andere an mir begangen. Und wenn ich selbst dabei fehlte, war es aus Unkenntnis und liebender Schwäche – Schuld zwar, doch aber verzeihlich.

Aber in mir ist eine Umwälzung erfolgt. Und seitdem wurde ich in meinen eigenen verruchten Gedanken und Wünschen langsam zur sündhaften Frevlerin.

Erst war ich ganz erschöpft und erledigt, als die Scham mich überwältigt hatte. Ich verabscheute meinen Leib, dem das widerfahren, und ich haßte ihn, weil er widerstand und sich noch immer am Leben erhielt. Allmählich aber kamen andere Regungen in mir auf. Lockende Bilder und kitzelnde Phantasien; das höchste Entzücken hatte ich erfahren; nicht, daß ich geliebt wurde, das ist nur wenig; aber ich hatte geliebt, und das ist alles–… ›Aufhören zu lieben – nur das ist Hölle!‹ Und ich hatte eine Stufe erklommen, die nur wenigen der Zufall vergönnt. Amnon ist von Vaters Seite mein Bruder. Des heißen Blutes gleichschwingende Kreise zieht das Leben in ihm wie in mir. Das aber verstärkte und steigerte den Liebesgenuß ins unermeßliche. Fremd, doch nicht ganz fremd sind Geist und Körper, abwechslungsreich, reizvoll und doch vertraut. Im gleichen Pulsschlag steigt die Empfindung, löst sich die Spannung, die Frage des einen ist dem andern Antwort. Man versteht, man kennt einander, man liebt sich selbst im geliebten Gefährten. Man vergeudet die Zeit nicht mit Tasten und Erraten, läuft nicht Gefahr, aneinander befangen zu werden, aus Mißverstehen zu beleidigen und zu verstimmen. Gott schuf Adam und Eva aus einem Stoffe, die Eltern der Menschen waren ein Fleisch. Das Gesetz verbietet die Ehe der Vollgeschwister, sieht ungern die Verbindung allzu naher Verwandter. Aber etwas ist über dem Gesetz. Und stärker als alle menschliche Fügung, gewaltiger und süßer als andere Vereinigung ist das Ineinanderfluten zweier Ströme, die dem nämlichen Ursprung entstammen.

Und nachdem ich so des höchsten Genusses teilhaftig wurde, bin ich jetzt zur Abgrundtiefe gesunken. Die Erinnerung an Amnon ist meinen Begierden seit langem schon nicht mehr der einzige Reiz. Selbständig in mir wuchs noch etwas anderes: die furchtbare Qual meiner Sinne. Ruhig und fügsam lebte ich vordem. Aber nun ist meines Schoßes Siegel gesprengt. Wie ich mich auch kasteie und schelte und mühe – was in mir, mit mir ringt, ist mächtiger als ich. Stolz und unnahbar war ich einst, heute – Abisag, verbirg dein Gesicht, damit es mich Verworfene nicht betrachtet, denn ich bin eines Menschen Anblick nicht würdig – heute könnte kommen, wer immer wollte. Mich ergreifen und an sich ziehen. Ich würde ihm folgen, ihm angehören. Dankbar seine Hände küssen und alles tun, was er mir befiehlt. Und wär's ein Verbrecher und wär' es ein Sklave – wenn er nur die Lichterlohe in mir verlöscht. Denn es schreit in mir nach der Umarmung des Mannes.

Nun stoß mich fort, verachte mich – ich kann nicht anders – so ist die Wahrheit. Jetzt forsche ich gierig die Mägde aus, lausche auf ihre derben Zoten, am Scheine der Lust suche ich mich zu wärmen und kann doch nicht erglühen. Wehe der Frau, die einmal erkannt wurde und die das Schicksal dann wieder verschließt. Und so auch verstand ich endlich die Lehre, die Geschichte der Mutter unseres Stammes – meiner Namensschwester, der Dulderin Thamar.

Du weißt sie nicht? So laß dir berichten–…

Als Jakobs Sohn Juda geehelicht hatte, erweckte Gott drei Söhne aus seinem Samen. Der älteste Ger nahm ein Weib namens Thamar. Doch verblich er früh, und nach dem Brauche sollte Onan, der zweite, die kinderlos Gebliebene heiraten. Aber Onan weigerte sich dessen, verging sich lieber und mußte drum sterben. Nun wartete Thamar auf das Mannbarwerden von Sela, dem jüngsten und letzten der Brüder. Aber man vergaß ihrer im Hause ihres Vaters und Sela ward erwachsen und holte sie nicht.

Da vernahm sie, daß ihr Schwiegervater Juda, der auch inzwischen zum Witwer geworden war, zur Schafschur in ihre Gegend kam. Und sie legte dunkle Kleider an, verhüllte ihr Haupt mit dem Schleier der Freudenmädchen und setzte sich vor das Gesimse am Tore, an dem die käuflichen Weiber warten. Und als Juda vorüberkam, lockte sie ihn, er wohnte ihr bei und sie verfiel und ward Mutter. Für den Schürzenlohn aber verlangte sie ein Pfand, da Juda einen Ziegenbock, wie er als Schandzins üblich, nicht bei sich hatte, denn er weilte ja fern von seinem Besitze. Und sie forderte und erhielt seinen Ring, seinen Gürtel und den Wanderstab aus seinen Händen. Als er aber den Boten sandte, das Pfand auszulösen, da traf er sie nicht. Und niemand wußte vom Verbleiben der Dirne. Juda jedoch beruhigte sich, denn er war des besten Willens gewesen.

Nach Monaten aber bekam er die Kunde, daß Thamar seinen Namen entehrte und schwanger geworden war. Da ließ er sie kommen, um sie zu verbrennen. Denn dies war damals die Strafe für unerlaubte Buhlschaft, der sie geziehen. Da wies ihm Thamar den Ring und den Gürtel und gab ihm den Stab, den er vordem getragen, und sprach zu ihm vor versammelter Sippe: ›Der ist der Vater der Frucht in mir, der mir diese Sachen vertraute.‹

Da beugte sich Juda tief vor ihr und sagte: ›Sie ist gerechter als ich. Denn ich gab sie nicht dem Sela zum Weibe. Ich vernachlässigte das Gesetz, sie aber hat es beachtet. Und er nahm sie zu sich, aber er erkannte sie nicht mehr. Denn die Mutterschaft machte sie unantastbar für ihn für jetzt und in Zukunft. Ein Zwillingspaar brachte Thamar zur Welt. Als erster von beiden kam Perez zutage; der zeugte den Hezon, dieser den Ram, und der den Sohn Aminabal. Ihm folgte Nahessan, der schon als Fürst galt unter den Nachkommen Judas; Salma, sein Sohn, war der Vater des Boas. Dessen Erbe hieß Obed, mein Urgroßvater. Denn Obeds Sprößling war Isai, und Isai ist der Vater von David.

So also ist Thamar die Mutter der Könige, Gott hat ihre Tat gebilligt und belohnt. Und diese Tat war kühn und berechtigt, denn sie zwang die Männer, die Verheißung Gottes aus dem Garten Eden anzuerkennen. Mutter werden ist Segen – nicht Fluch. Mit dem Schmerze, mit dem wir Kinder gebären, bezahlen wir paradiesische Wonnen. Aber wir haben auch deshalb ein Recht auf sie. Was Thamar mich lehrte, will ich befolgen, und hat die Gewalt mich hungrig gemacht, schaffen Vater und Bruder mir nicht bald Speisung, indem sie mich einem Gatten gesellen, so will ich hingehen und also tun–…«

»Thamar, um Gottes willen, was willst du beginnen?«

Böse lachte sie in sich hinein. »Davon verstehst du nichts, du sanfter Cherub. Wohl dir. Fürchte dich nicht – mein Weg geht nicht zu magischen Künsten, er ist einfach und ganz natürlich. Die weisen Männer warnen vor ihm, er ist der männlichen Jugend gefährlich, aber er war und ist und wird immer sein, wenn auch die Schande ihn pflastert–…–… Frauen gibt es, die man ausgestoßen hat, man verachtet sie, aber man kann ihrer nicht entbehren. Unanständige Weiber nennt sie die Öffentlichkeit, aber die anständigen Männer suchen sie gern im geheimen auf. Groß ist ihre Macht und bedeutsam ihr Einfluß. Nicht höflich klingt, was die Lehrer der Knaben von ihnen sagen, aber solcherlei Warnung beweist gerade die Allgewalt, die sie besitzen. Einem goldenen Ring im Rüssel eines Schweines, einem Hunde vergleicht sie der Spruch eines Weisen. Wer zu ihnen geht, geht auf glühenden Kohlen, ihr Mund ist wie eine tiefe Grube – aber süß wie Honigseim sind ihre Lippen und glatter als Öl der Laut ihrer Kehlen. Sie bringen die unartigen Kindlein ums Brot, und ihr Feuer verbrennt die Gewänder der Bübchen. Schlangen sind ihre Leiber, ihre Herzen Netze und ihre Hände umstricken als unzerreißbare Fesseln. Wen sie halten, der folgt ihnen wie der Ochse zur Schlachtbank, wie ein Hirsch stürzt er in die verborgene Falle, wie ein Vogel flattert er in den Sprenkel. Er merkt nicht, daß es sein Leben gilt, bis der Giftpfeil ihm die Leber zerspaltet. Unwiderstehlich sind sie, diese Wilden und Unbändigen – ihr Lager ist der Thron dieser Königinnen des Morastes. Mit Balsam und Aloe und Zimmet ist es besprengt und gewürzt, mit bunten Teppichen aus Ägypten belegt. Das Gesetz verwirft sie – der Priester verdammt sie – der Lehrer beschwört den Zögling, sich ihnen nicht zu nahen. Verhüllten Hauptes müssen sie warten, in Winkelgäßchen und in ihrem bei Tage gemiedenen Quartier. Aber trotz alledem unterliegen ihnen immer wieder die Männer. So rächen sie das Unrecht, das ständig den Frauen zugefügt wird, am Geist und am Leibe der Missetäter. Sie sind unüberwindlich, unausrottbar, wie der Engel, der sich gegen Gott einst empörte. Zum Abgrund verstoßen, tragen sie dennoch, auch sie, das göttliche Licht in den Händen. Verflucht sind sie von der Heuchelei – gesegnet seien die Huren

Rasend hatte Thamar die letzten Worte herausgekeucht. Längst war Abisag entsetzt aufgesprungen, zurückgetreten. Grauen befiel sie – welche Entartung, welche Zerstörung! Was hatte man aus diesem Menschen gemacht, welchen Unrat in dies herrliche Gefäß gegossen. Wohin hatte der hohe Sinn sich verwirrt – war es möglich – würde sie solche Vorstellungen zur Wahrheit machen, entnahm sie nichts aus der andern Thamar hohem Opfer als das Äußere, das Niedrige. Wußte diese Thamar hier nicht, daß, wenn sie im Ernst es wagen würde, zum Schimpf ihres hohen Stammes, zur Kränkung ihres Geschlechts, zur Herausforderung des ganzen Volkes, im Schmuck der Dirnen um Mannesgunst zu buhlen, nur einer ihre Gluten ausschütten würde, nur einer käme, sie zu erlösen – der rasche, schmachvolle Tod?

Aber nein – Abisag beruhigte sich. Das waren ja nur Worte, Ausschweifung des entzündeten Blutes, Fiebergespinste – Spuk eines Wahns. Das war nicht Thamars, ihrer düsteren Freundin eigentliche Meinung – das waren nur dunkle Gesänge der Nacht. Während sie wieder auf die Entzügelte zuschritt, um sie leise zu beruhigen, krampfte sich jedoch erneut ihr Herz zusammen – sie verstand nun vieles, auch in sich selber, besser. Die Nacht ist auch in uns. Ist in uns allen. Ist auch in mir–…!

Wieder kam die Erschlaffung über Thamar. Sie sackte in sich zusammen, schämte sich. Was hatte sie da gefaselt, womit das Ohr des jungen Weibes beleidigt. Wie hatte sie sich so gehen lassen dürfen. Bittend flüstert sie um Vergebung:

»Es riß mich fort – verzeih und vergiß. Aber wenn man so wartet und niemand kommt und nichts geschieht – nur die erbarmungslose Hitze vom Himmel siedet die innere Unruhe, alltäglich, allstündlich – dann steigt es schließlich auf, was einem widerfahren und was man so hört, mischt sich, wirft Blasen und schäumt schließlich über–…«

»Verteidige dich nicht, Thamar – entschuldige dich nicht. Was hast du gelitten, was leidest du! Thamar – Geliebte, meine arme Schwester – ich verstehe dich – ich habe dich lieb–…«

Und die Erregung der beiden Frauen löste sich in einer Umarmung und in Tränen.

Erleichtert umfaßte Thamar dann Abisag; prüfend blickte sie in die Sterne. »Der Morgen ist nicht mehr allzufern – laß uns eilen, damit du rechtzeitig heimkehrst, niemand dich bemerkt und du dem Schelten entgehst. Allzulange schon staute sich dies alles in mir, jetzt, wo ich in dir die Mitwisserin habe, wird es mir leichter werden. Einem Menschen muß man sich anvertrauen können, das Schweigen frißt sonst bis in die Eingeweide.«

»Du wirst nichts unternehmen, ohne mit mir vorher zu reden?«

»Ich will es versuchen, das verspreche ich dir. Die Selbstbeherrschung fällt mir schwer, und ich kann nicht dafür einstehn, daß nicht doch plötzlich ein Trieb in mir mich unwiderstehlich zu etwas Ungewolltem hinreißt. Sieh, wie das Gewässer scheint mir die Frau. Quell ist sie und Strömen und unendliches Meer. Alles entspringt ihr, alles belebt sie, alles mündet in sie zurück, alles umfaßt sie, und mütterlich gütig nimmt sie es auf. Reinheit und Schlamm ergießen sich in sie, sind in ihr unauslöschlich verbunden. Von der Gihonquelle kommen wir her. Gleichmäßig, geruhig verrinnt unsere Jugend, jedermann zur Freude und zur Erquickung. Schwellend und ebbend, wie der Atem unserer hoffnungsfrohen Brüste, sanft gekräuselt vom Wind des Geschehens, aber zu flach, um in Tiefen aufgewühlt zu werden. Gemächlich ziehen unsere Tage dahin; nur zur Frühlingszeit, wenn die Sonnenstrahlen sich wandeln in Buntheit und Blüte, wenn der Brunstschrei der Tiere im Sange der Nächte in Schöpferfreude um Liebe lockt, dann wallt es auch in uns heftiger und stärker. Aber dennoch ebenmäßig, von der Sitte geregelt nach festen bestimmten Gesetzen. Unsere spröde Verschlossenheit aber ist herb, herb wie das Wasser von Gihon–…

Wenn aber der Mittag des Lebens unsere Sinne erküßte, dann wühlt es in unerforschlichen Untiefen – Unheimliches webt und hebt sich in uns. Unbestimmbar und nicht vorherzusehen, in seinen Ursachen nicht erkennbar, uns selbst ein Rätsel und ein wildes Geheimnis, so sprudelt nun das Leben in uns – wie die Wirbel im Teiche Bethesda. Und liegt auch Heilkraft und Segen darin, werden wir auch darum begehrt und gesucht, so sind doch die dunklen Kräfte des Innern, einmal entfesselt, stets eine Gefahr. Gut, wenn sie nur necken und schrecken, wehe, wenn sie sich so stürmisch entladen, daß sie alle Dämme weithin überspülen, furchtbar aber für uns und jeden, wenn sie glühend das kühle Gleichmaß zerspalten und die Erde beben und zerreißen lassen im Taumel von Lust und Verheerung.

Steinig läuft der Weg zwischen Gihon und Bethesda. Ich will suchen, ihn wieder zurückzufinden – doch ich fürchte mich vor mir selber–…«

Sie hatten sich schon heimwärts gewandt, die letzten Betrachtungen hatte Thamar mehr für sich gemacht, ohne dabei allzusehr der Sulamitin zu achten. Diese hörte nicht genau hin, hätte wohl auch kaum alles verstanden, was die vor ihr Schreitende sprach – Gedanken aus langen, einsamen Stunden, verbracht in Zweifeln und in der Erwartung. Abisag war kaum fähig, ihr zu folgen, sie wankte auf ihren wegmüden Füßen, der Mond war durch den Rücken des Gipfels verdeckt, und »steinig läuft der Weg zwischen Gihon und Bethesda«. Aber das war es nicht allein, das zum wenigsten. Der Geist der jungen Frau war aufgerüttelt. Empörung war in ihr über das Gehörte und mehr noch über das eigene Geschick. Auch sie war vergewaltigt, das wußte sie nun. Auch an ihr war Frevel und Unrecht geschehen – geschah noch dauernd. Thamar hatte ihr Klarheit verschafft, die letzten Schleier niedergerissen, nackt stand die unerbittliche Wahrheit vor ihr. Ein Opfer war sie, willenlos, ungefragt. Ohne Erbarmen ging das Messer durch ihre Kehle, sollte sie verbluten am Altar eines Götzen. Jetzt begriff sie alles, was ihr widerfuhr und was in ihr vorging. Sie hatte sich als eine Kranke gewähnt, weil das Herz sich ihr oft zusammenkrallte und Glutschauer durch ihren Körper flogen. Jetzt aber wußte sie, dies war nicht Krankheit, anderes war es: Auch in ihr war Bethesda.

Thamar bog rechts aufwärts vom Zuge des Kidrontales empor. Ein schmaler Bergsteig führte ziemlich steil auf den Rücken des Morija, kaum glaubte Abisag nachklimmen zu können, ihr Atem setzte aus, und ihre Knie brachen. Oben aber wurde es besser. Ein breiterer, teilweise in den Fels gehauener Pfad verlief auf dem Plateau sanft gegen den Davidshügel hin, vorbei an dem zackigen Felsendom, der Opferstätte, an deren Stelle Salomo seinen Palast hinträumte. Auch erhellte der sinkende Mond den Wandernden nun wieder die Spuren.

Einen Augenblick hielt Abisag ausruhend an. Sollte sie Thamar näher befragen, ihr eigenes Weh noch zu ihrem fügen? Nein – ganz erfüllt war Thamar von sich. So klug war sie, hatte so viel gelernt und gedacht, wußte der Frauen Wesen und Denken zu ergründen. Hatte sie aber nicht über allen die einzelne vergessen? Hatte ihr Leid sie riesenhaft hinauswachsen lassen über ihre Umwelt, war sie blind geworden oder herzverhärtet gegenüber ihrer Umgebung?

Aber vielleicht tat sie ihr Unrecht, vielleicht wollte sie nur heute nicht über sie reden, würde sie später ihr raten und helfen. Helfen? Wer konnte ihr helfen?

Jetzt waren sie am Rande der Schlucht zwischen Morija und Zion angelangt. Schneller noch führte Thamar, die Sterne erblaßten, im Osten wurde es lichtblau und fast ohne Übergang, ohne Dämmerung folgt dem Dunkel der grelle Tag. Rasch ging es in die kleine Senkung hinunter, über Treppenstufen drüben hinauf. Ein Zugang war auch hier neben dem Turme. Die Tür war geschlossen, doch Thamar gab das geheime Zeichen des Königsgeschlechts. Der Wärter öffnete; ohne Erklärung, stolz und selbstverständlich schritt Thamar an ihm vorüber. Er erkannte sie, warf sich in Ehrfurcht zu Boden, die verschleierte Abisag beachtete er gar nicht; wohl eine Magd der Prinzessin. Ihre nächtlichen Gänge waren bekannt, man nahm an, sie habe Davids Erlaubnis, munkelte im Volk wohl allerlei, aber niemand wagte, die vom Unglück Gestempelte anzuhalten oder gar zu befragen. So kamen die Frauen in die inneren Höfe des Hauptgebäudes. Ein stummer Abschied, Thamar wartete noch ein Weilchen. Nichts regte sich, unbemerkt war Abisag also hineingeschlüpft und wohl erschöpft sofort in Schlummer gesunken. Schwer wandte Thamar sich Absaloms Haus zu, sie würde keine Ruhe finden, weiter sorgen und plagen und sich härmen. Ein neuer Tag – ein neues Elend. Wann kam für sie die Stunde der Genugtuung – oder der Erlösung – oder das Ende–…?

Abisag aber schlief nicht. Zwar hatte sie sich auf ihre Polster geworfen, war fast hineingefallen. So konnte sie am ungestörtesten die Gedanken zu entwirren versuchen, die sich in ihr kreuzten und häkelten. Über eine Magd, die am Fußboden lag, hatte sie hinwegschreiten müssen. Sie achtete nicht darauf, ob ihr Fuß sie trat; nur schnell allein sein mit sich. Was kümmerte sie ein anderes Wesen? Wenn sie sonst auch gütig und voller Rücksicht die ihr zugeteilten Sklavinnen behandelte, so hätte sie jetzt, wenn eine sie zu stören oder aufzuhalten gewagt hätte, mit Schlägen sie von sich getrieben. Jede, auch die wohlgemeinteste Annäherung hätte sie als dreiste Belästigung und widerwärtiges Hindernis empfunden. Denn sie war im eiligen Lauf zu sich selber.

Nun lag sie und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Dunkel des Gemaches. Die stickige Luft legte sich beklemmend auf sie, die undeutlichen Geräusche, die von schweren Träumen der von der Hitze zermürbten Frauen Zeugnis gaben, regten ihre Nerven noch mehr auf, machten sie überwach und überspannten ihre Vorstellungen grausam.

So also ging es zu – nach allem, was Thamar erlebt hatte, wußte sie nichts Höheres, ersah sie in nichts anderem die natürliche Bestimmung und das Glück des Weibes als in der Verschmelzung mit dem Leben des Mannes. Ähnliches hatte sie, Abisag, auch unklar geahnt. Nun erhielt sie aus dem Beispiel, aus dem Munde der Freundin Gewißheit.

Aber was sollte dann aus ihr werden? Als man sie David zugeführt hatte, da war sie in Ängsten. An die jungen Männer des Heimatdorfes hatten bis dahin ihre erwachenden Sinne gedacht, wenn ihre keimenden Wünsche einmal flüchtig, beschämt zurückgewiesen, sich mit der Frage der Ehe beschäftigten. Statt dessen sollte sie die Gattin des Königs werden. Ein alter Mann, viel älter als der Vater – und sie war noch so jung. Aber dafür war es der König. Seinen Namen nannten alle in Ehrfurcht und Liebe, er, der mit Gott das oberste Wesen war, dem alle gehörten, der über das Schicksal ihrer Angehörigen, ihres Dorfes, ganz Israel-Juda schaltete und befahl. Und er saß in Jerusalem – einer gewaltigen Stadt. In einem ragenden Palast, auf erhöhtem Thron. Alle fürchteten ihn, alle gehorchten ihm, alle mußten glücklich sein, ihm dienen zu dürfen, ihm Freude zu bereiten, der für sie alle sorgte und wirkte. Mit kindlicher Zuneigung unterwarf sich Abisag dem Geheiß, König David zu folgen. Vertrauensvoll, wenn auch befangen, sah sie ihrer Zukunft entgegen. Sie war gewürdigt, ihm zu gefallen. Sie wollte ihm gern alles widmen, alles schenken, was sie war und besaß.

Und sie teilte sein Lager – die erste Nacht. Und viele – viele Nächte seitdem. So groß war die ihr seit Kindheit eingeflößte Verehrung vor dem König, so stark ihre Demut und Bescheidenheit, daß Enttäuschung und Widerwillen sie nicht übermannten. Jetzt aber, in der Pein dieser Nacht, trat das Bild des Erlebten schreckhaft deutlich vor sie. Der Ekel überkroch sie, wenn sie des dürren, verfallenen Greises gedachte, der grauen Haare, die den abgemagerten Körper über und über bedeckten. Was hatte die Zeit aus dem Helden der Lieder gemacht, wie hatte das Alter den feurigen Mann entstellt und vertrocknet. Das gräßlichste aber – Abisag fuhr jäh in der Erinnerung empor – das furchtbarste war die Kälte. Sie spürte sie plötzlich auf ihrer Haut, erstarrte bis in das Mark ihrer Knochen, empfand das zittrige und doch noch lüsterne Andrängen des Greises an ihren jungen, strahlenden Leib, wie er gierig sich einzunisten suchte in ihrem blühenden Fleisch, wie er Lebensglut gleichsam abzapfte, in sich hineinschlürfen wollte, um den eigenen abgestorbenen, vertrockneten Körper noch einmal zu erneuern. – Die Sage erzählt von den Geistern Verstorbener, die den Menschen das Blut aussaugen, um ihre Schemen für den frühen Verlust ihres Erdendaseins schadlos zu halten. Und stahl nicht auch David ihr Blut und ihr Leben? Worte fielen ihr ein, die sie wenig beachtet hatte, halb unterdrückte Ausrufe des Mitleids, bedauernde Blicke der Frauen und Mägde vom Tage an, als sie den Harem betrat. Jetzt konnte sie vieles zusammenreimen, jetzt wurde ihr alles klar und untrügbar. »Bath-Sebas Heilmittel« – so hatte man sie bezeichnet. Bath-Seba, das war die Gefürchtete, von der man nur leise und angstvoll im Harem flüsterte, denn die Wände atmeten Verrat, und die Luft war ihr Spion, und ihre Strafen folgten pünktlich, schnell, überraschend und unabwendbar. Sie war Davids letzte Hauptfrau, durch Ehebruch ihm in die Arme geführt; alle haßten sie, aber zerflossen vor ihr. Denn sie beherrschte den Herrscher.

»Bath-Sebas Heilmittel?« Was bedeutete das? Ja, das war es – wäre David noch Mann gewesen, nicht längst verbraucht und unfähig, so hätte Bath-Seba nie geduldet, daß er einer andern Frau sich gesellte. Aber weil Decken und Wein und Sonne, laue Bäder und lodernde Scheite den schon lebend zum Leichnam Erstarrten nicht mehr auftauen konnten, deshalb wurde der Rat gepflogen, deshalb fand man das verruchte Mittel: Ein in jungen Kräften schwelgendes Mädchen, trunken vom Rausche des Seins, strotzend im Wunder seiner treibenden Keime, wundervoll von Werdelust und Gesundheit, die sollte das Bett des Königs teilen, ihm von ihrem Überfluß spenden, den abgefrorenen Körper besiegen. Die Beste, die Schönste war dazu gerade gut genug. Deshalb die Prüfungen, die Auswahl, das Mustern; so suchte man das Juwel unter den Töchtern Israels, so wählte man Abisag von Sunem.

Ein krampfhaftes Weinen, das ihren ganzen Körper krümmte, löste den Druck ihrer Seele. Sie sank auf das Lager zurück, schlug die Hände vor das überflutete Gesicht. Welche Erniedrigung – welche Entwürdigung. Nicht des Königs Gemahlin war sie – niemals konnte sie es werden. Nur ein Gerät in seinem Dienste, nur eine gesundheitliche Verordnung, nur ein Hund, der ihm die Füße wärmen, ein schützendes Tuch, das ihn laben soll.

Wer hatte das Recht, sie so zu mißbrauchen? War sie nicht ein freier Mensch, zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geboren? Alles in ihr stürmte nach Betätigung, nach Knospenbildung und emsigem Entfalten – sie hatte einen Anspruch auf des Weibes Erweckung und Vollendung. Die Mutterschaft mußte man auch ihr gewähren! Wer durfte sie zur Sklavin verwerfen, ihr den göttlichen und natürlichen Segen rauben? Wer durfte die Ungeborenen in ihrem Schoße in der Willkür der Unfruchtbarkeit ersticken? Niemand – und wär's auch der König.

Sie würde – sie wollte–… was würde, was wollte, was konnte sie tun? Und der Zweifel faßte sie – was durfte sie tun? Vielleicht betrog sie sich, vielleicht war es gar nicht die Empörung über das angetane Unrecht, die sie jetzt so zerfleischte. War es nicht etwas anderes – – das andere–…?

Niemand sah sie, niemand bemerkte ihre Not – niemand wußte, was in ihr strebte und stritt. Aber sie selbst, sie mußte sich ehrlich sein. Wenn sie zu Gericht mit sich selber ging – war noch das Plätschern von Gihon in ihren Adern, oder war es der Spuk der Tiefe vom Teiche Bethesda?

War sie noch das unschuldige Kind, das in Sunem im Reigen geschritten? Hatten nicht vielmehr diese Tage im Harem, diese Nächte der kalten Umarmung sie vergiftet, ihre Sinne entfacht, Unzucht in ihre Gedanken gespritzt, sie wissend gemacht – trotz der Enthaltung?

Denn dem Manne ward sie anheimgegeben. Eine Ruine nur noch, ein sinkendes Wrack, aber dennoch der Körper des Mannes. Allmählich, unmerkbar war von seinen knöchernen Händen, aus dem widrigen Schmatzen des zahnlosen Mundes, den gierigen unbeholfenen Versuchen, sich ihr völlig zu nähern, trotz ihres Schauders, ihrer versteckten Abwehr der Funke in sie übergesprungen. Wie beneidete sie Thamar – die wußte ja nicht, sie ahnte ja nicht, was ihr angetan wurde. Was war alles Unglück, Vergewaltigung, Schande – sie war begnadet, sie war erlöst. Aber sie, Abisag, hatte man geächtet und verurteilt. Wo sollte sie hingehen mit ihren Begierden, wie sollte sie es ertragen, sich nicht hingeben zu dürfen, stets aufs neue entflammt zu werden und nie den Brand zu zerstreuen?

Nicht die Entehrten – denn sie haben genossen – die Jungfrauen, die nicht zum Leben gelangen, die täglich von neuem sterben müssen – verfielen der Notzucht der Menschheit.

Wenn es selbst einmal rauh klingt und ungebärdig – beseligend ist der Hymnus des Lichtes, das Ja der Schöpfung, das Triumphlied des Tages. Schmerzensreich ist nur die Straße der Entsagung, das Verbot, vom Baume der Erkenntnis zu pflücken. Gott hat es längst vergessen, aber die Menschen, vom Irrwahn besessen, halten noch immer daran fest. Schwermut und Trauer wachsen auf dem Grabe der nutzlos Verwelkten, die nicht wollen durften, nicht selbst sein konnten. Aus ihren verstummten Stimmen erhebt sich die ewige Anklage gegen menschliche Kurzsichtigkeit und stumpfe Beschränktheit, die graue Melodie der Freudelosen, der bange Todesschrei der Unterlegenen. Erklingt der Gesang der Nächte.

Aber diese eine Nacht war barmherzig gegen die arme kleine Abisag. Sie umhüllte allmählich doch die überreizten Nerven. Langsam glitten die häßlichen Bilder hinüber ins Reich der Träume. Noch seufzte sie manchmal auf, aber es war schon das Schluchzen des Kindes, das sich müde schrie und nun sich beruhigt. Es wurde leichter in ihr und endlich ganz einfach. Wie hatte sie sich nur so unnütz aufgeregt! Jetzt war alles heiter und sorgsam geordnet. Sie befand sich bei David im Königssaale. Aber das war kein Greis, sondern ein lebhafter, rascher, vollkräftiger Mann. Thamar stand neben ihr, glücklich wie sie. Beide schaute der König liebevoll an. Dann sah er sich mißbilligend um, winkte alle Hofleute herzu, als wollte er sie belehren, ihnen etwas ganz Wichtiges sagen. Und alle purzelten übereinander, eifrig und drollig, daß sie hellauf lachen mußte. Und mit ernstem, verweisendem Gesicht deutete der König auf beide Frauen. Sie hatten sich beklagt, das wußte sie soeben. Beklagt über ihn bei ihm selber. Und er winkte mit dem Kopf, ohne mit ihm zu wackeln, er hob den Finger, halb drohend, halb majestätisch. Und sagte ganz laut, daß alle es hören mußten:

» So etwas tut man nicht in Israel

Und jetzt – Musik–… unirdische Harmonien – was ist das? – Ach, wie töricht ist sie. Das ist doch – natürlich–… der königliche Sänger – er selbst, wie immer in den Stunden seiner Hingerissenheit – wenn Begeisterung ihn über sich selbst hinausträgt – ihr Gatte – ihr Geliebter – vor allem Volke, für sie – für Abisag:–… David schlägt die Harfe!

Unruhig schob sie sich hin und her, wandte sich zur Seite. Nein – Davids Harfe erklingt nicht mehr. Zerbrochen der Rahmen, zerrissen die Saiten. Das Lied seiner Liebe ist verweht und verschollen. Der Hofsaal versinkt – Thamar fort – alles dunkel. Aber das Tönen bleibt, fernher – surrend – was ist es nur? Was besagt es nur?

Und plötzlich weiß sie es – lauter klingt es – näher – jetzt erkennt sie es – ganz klar und ganz deutlich. Nicht Davids Harfe – viel schöner, viel besser – Flöten und Zithern–… das Lied ihrer Heimat:

»Dreh' dich – dreh' dich, Sulamitin,
Tanze, daß wir dich bewundern–…!«

Das süße Lied! »Ich komme – ich komme–…« Die Eltern – die Schwestern – die Freunde der Kindheit – Sunem–… Sunem–… geliebtestes Wort.

Klang und Farbe und Helle. Ganz umsponnen ist sie von Glück. Lächelt im Schlaf, atmet zärtlich, versinkt in das selige Unbewußtsein – ins Vergessen von Leid und Sorgen – in traumlosen Schlummer – ins verdämmernde Nichts.

»Dreh' dich–… dreh' dich–… Sulamitin–…
Tanze–… tanze–…«

Gesang der Nacht! – die sich milde vollendet. Eine Sommernacht über Jerusalem–…


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