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17. Kapitel.
Das Eselsfest am Palmsonntag

Als Heinrich und Hunold die Lingenburg verlassen hatten, fanden sie an dem Fuße des Burgberges den Kellermeister Karl mit ihren Pferden vor, und unter Thränen nahm der treue Diener von ihnen Abschied; Heinrichs und Hunolds Sinn stand danach, als fahrende Gesellen von Stadt zu Stadt, von Burg zu Burg zu wandern. Schwer wurde es Heinrich, seinen Ohm zu verlassen, auch hatte er sich gescheut von Hilda Abschied zu nehmen, da ein Wort von ihr, wie er selbst fürchtete, ihn in seinem Entschlusse wankend gemacht haben könnte. Doch seine frohe Natur ergötzte sich an allem, was sich seinem Auge darbot, so daß er, trotz des anstrengenden Rittes, bei seiner Einkehr in die Herberge durch scherzhafte und mutwillige Worte dem schweigsamen und düsteren Spielmann ein Lächeln abzugewinnen suchte. In der Stille der Nacht hörte er, wie sein Freund auf der Lagerstatt tief aufseufzte. Besorgt hob er seinen Kopf vom Kissen und fragte, weshalb der Schlaf denn sein Auge fliehe. Der Spielmann antwortete, daß das Opfer, welches Heinrich ihm seinetwegen gebracht, indem er ihm in die Fremde folge, ein so großes sei, daß er ihn zur Lingenburg zurücksenden müsse; denn dort, in dem kleinen Kreise schlügen ihm alle Herzen entgegen, während die Welt ihm nur Mißmut und Enttäuschung bringen könne.

Heinrich beruhigte ihn.

»Nicht aus Abenteuersucht folge ich Dir, sondern weil enge Freundschaft mich Dir verbindet. Könnte ich doch Zeit meines Lebens mit Dir zusammen sein! Mit Wehmut und Schrecken denke ich, daß dereinst unser Weg sich trennen möchte! Laß uns aber, so fügte er hinzu, vorerst noch lange zusammen leben, Du Lieber, damit ich Dir ähnlich werde.«

»Bete zum Herrn, daß Dein Wunsch sich nicht erfülle; und ob wir noch lange zusammen bleiben, o Heinrich, das zu bestimmen liegt nicht in meiner Macht.« Damit wandte er sich um und schien eingeschlafen, denn Heinrich empfing auf seine Bitten, ihm Vertrauen zu schenken und ihm seinen Kummer, der ihn vielfach bedrücke, mitzuteilen, keine Antwort. –

Palmsonntag war es und heitere Frühlingswonne lag über den Straßen und Gassen der Stadt. Mächtiger Glockenschall lud die Einwohnerschaft in die Kirchen und aus den offenen Kirchthüren brauste voller Orgelklang und frommer Gesang der gläubigen Menge auf die sonnigen, leeren Straßen hinaus. Als Hunold und Heinrich ihre Herberge verließen war das Hochamt soeben beendet, und die Menge, in festlichen Gewändern, erfüllte jetzt die Straßen, welche die Jugend von Hameln mit fröhlichem Lärm durchzog, denn gerade ihr stand ein Schauspiel bevor, das zum Scherz und Übermut stets Anlaß gab. Das Eselsfest ward heut, wie alljährlich am Palmsonntag, von der Kirche gefeiert, zur Erinnerung an den Einzug Christi in Jerusalem.

Von der Klosterkirche nahte der Zug; Chorknaben in weißen flatternden Gewändern gingen vorauf und schwenkten an Ketten silberne Rauchfäßchen, die einen betäubenden Weihrauchduft verbreiteten. Hinter ihnen gingen die dienenden Brüder des Klosters und inmitten der Geistlichen trabte ein Esel mit geistlichen Gewändern behangen, welcher an beiden Seiten von je einem Klosterbruder geleitet wurde. Die fliegenden Kleider mochten ihm unbequem sein und oftmals stand er still, sein graues Haupt schüttelnd – so daß ihn die Mönche weiterziehen mußten. Es folgten die Chorherren, Priester und Diakone und zuletzt, unter einem purpurfarbenen Baldachin, der Großprior in weißem, goldgesticktem Chorkleide. Er stützte sich auf Paulus, der mit hochmütigem Blick auf die Menge herabsah, die knieend die Straße säumte.

Der Zug hielt an der Kirchenpforte an, und die Unterdiakone und Chorknaben empfingen ihn hier mit dem Gesange einer kirchlichen Weise, deren Inhalt der Preis der Eselstugend war, welche der Kirche Reichtümer verschafft. Bis dahin bewahrte die Menge eine andächtige Ruhe, als aber ein Priester, welcher eine Messe sang, einen jeden Vers, den er anstimmte, mit einem dreimaligem »Y-A« schloß, ward die Lustigkeit der bisher Andächtigen erregt, und bald wurde die Stimme des Vorsängers durch den Lärm erstickt, welcher durch die vielfachen Wiederholungen dieses Naturlautes seitens der fröhlichen Menge hervorgerufen wurde. Duller und Hagen. Deutsche Geschichte: Kirchenwesen und Geistlichkeit.

Auch Heinrich belustigte vorerst diese Procession. Er war mit seinem Freunde bis zur Kirchenpforte vorgedrungen und stand mit ihm unter dem Volke, welches seine Frömmigkeit erkennen zu geben glaubte, indem er sich heiser schrie, doch bald widerte ihn diese Art von Gottesfurcht an, und als er hierüber zu Hunold eine Bemerkung machen wollte, sagte dieser:

»Das Volk sieht nichts Arges darin und jeder diene Gott so gut er es versteht. Vor einem Jahrtausend wurden die ersten Christen zu Märtyrern, und zarte Jungfrauen, denen das Leben noch viel Freuden bieten konnte, wurden von den römischen Imperatoren den wilden Tieren vorgeworfen. Auch heut giebt es Leute, die ihrem Glauben alles opfern, aber sie finden sich nur unter den Laien. Damals gingen die Führer, die Geistlichen, mit todesmutigem Beispiel voran, jetzt hüten sie sich ihrem Kopf oder auch nur ihrem Magen wehe zu thun!«

Heinrich ergriff den Arm seines Freundes, denn dieser hatte laut in die Menge hineingesprochen, und die Procession nahm eben in umgekehrter Reihenfolge als sie gekommen, den Weg in das Kloster zurück. Da schrak Heinrich mit einem Male zusammen. Der Thronhimmel, unter dem der Großprior ging, wurde nahe bei ihm vorbei getragen und sein Auge hatte Paulus erblickt, der mit stolzem Schritt neben dem geistlichen Oberhaupte dahinschritt. Der erste Gedanke war, dem hochmütigen Mönch nachzustürzen, um ihm den blutigen Lohn für seinen Verrat angedeihen zu lassen, jedoch Hunold hielt ihn mit eisernem Griffe zurück und sagte langsam in lateinischer Sprache:

»Bist Du weise, so scheue Dich zu thun, was Du später bereuen würdest.«

Die ruhige Art des Begleiters dämpfte die augenblickliche Erregung des jungen Ritters. Aber auch der Mönch hatte einen Augenblick gezaudert, seinen Fuß weiter zu setzen, sein Gesicht verfärbte sich, denn auch er hatte sie gesehen, und wohl hatte er bemerkt, was in Heinrich in diesem Augenblicke vorgehen mochte. Bald aber hatte er seine Haltung wiedergewonnen, ruhig und selbstbewußt schritt er neben dem Großprior dahin und kaum hatte Paulus das Klostergebäude erreicht, so berichtete er seinem geistlichen Vorgesetzten, daß jene beiden in Hameln sich befänden, die allein das Interesse an dem Pergament hierhergetrieben haben könnte.

»Nicht ich,« so endete er seinen Vortrag vor dem Großprior »bin es, den sie suchen, sondern sie werden die Kirche schädigen, indem sie ihr Gut heraushaben wollen. Aber wir müssen uns verteidigen gegen Hinterlist und Tücke, denn der, welcher den Jüngling in seinem Anspruche unterstützt, ist ein Feind unseres Glaubens, ist ein Hasser des heiligen Vaters, es ist der wahre Anti-Christ.«

»Du hast das Werk begonnen,« erwiederte der Großprior, Deine Hand allein kann es beenden. Du bist ein tapferer Streiter der Kirche, und Du wirst über ihre Feinde siegen. An uns hast Du stets einen Rückhalt und kommst Du in Not und Gefahr – die Kirche erinnert sich gern derer, die ihr ergeben sind.« –

Hunold und Heinrich hatten in einer Herberge Quartier genommen, die sich nicht weit ab von dem Rathaus befand. Sie lag in einer jener engen, krummen Gassen, die planlos die ganze Stadt durchkreuzten und die eng aneinander gebauten Häuser nur soweit von einander trennten, daß kaum zwei Wagen einander ausweichen konnten. Bisweilen war schon eine Besserung in der Anlage der Straßen zu erblicken. Die Straße, welche vom Kloster ins Freie führte, war gerade und eben; auch waren die Fußpfade in den Hauptwegen längs der Häuser mit Steinpflaster versehen, so daß Schnee und Regen den Gang des ehrsamen Bürgers zum Wirtshaus nicht mehr verhindern konnten. Die Häuser bestanden aus Fachwerk; ein großer Hausflur führte auf eine breite Treppe, die, im Sommer mit frischem Tannenreisig bestreut, dem Eintretenden einen würzigen Waldgeruch entgegen sandte. Die Zimmer baute der Bürger des dreizehnten Jahrhunderts eng und niedrig, denn der Grund und Boden war in der Stadt bei dem großen Zuzug von außerhalb teuer, und der lange Winter verlangte ein warmes, trauliches Gemach. Unter dem Hause zog sich der weite, stark gewölbte Keller entlang, welcher im Sommer herrliche Kühle spendete und den Vorräten von Nahrungsmittel und Wein eine verläßliche Unterkunft gewährte. Die Häuser der Patricier, welche bereits als Material Ziegel und Steine aufwiesen, zeichneten sich durch Erker an der Front des Hauses und durch Laubengänge um dieselben aus; die Zimmer waren nur durch wenige, kleine Fenster notdürftig erhellt und Schornsteine hatten nur diejenigen Häuser, die erst ganz neuerdings errichtet worden waren. –

In der Herberge ging es laut und fröhlich zu. Der Festtag hatte viele Landbewohner in die Stadt geführt und diese mochten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, um mit den Städtern, bei denen der kirchliche Festtag nach dem Gottesdienst die ausgelassenste Fröhlichkeit erweckte, beim Glase Weine sich einen vergnügten Tag zu machen. In der Gaststube saßen um den laugen, weißgescheuerten Tisch etliche zwanzig Hamelner Bürger, die sich zu einem fröhlichen Gelage dort zusammen gefunden hatten; das obere Ende der Tafel nahm der Altmeister der Schneiderzunft, Herr Rathgen ein und handhabte mit Geschick und Würde das Amt des Vortrinkers. Vor ihm stand der große Pokal, aus dem er den Zechgenossen Bescheid trank und welchen man den »Abt« nannte, während die kleineren Becher, aus denen die Genossen ihm antworteten, »Mönche« hießen. Schon neigte sich der Tag, während die Stimmung und Unterhaltung der Trinker lauter und angeregter ward; der Vortrinker hatte manche Gesundheit ausgebracht und das viele Singen fröhlicher Trinklieder trocknete die Kehlen rechtschaffen aus, so daß die Becher immer wieder gefüllt werden mußten. –

Die Gefangennahme Bodo's und der geplante Rachezug gegen Peter beschäftigte die Gemüter auf das Lebhafteste, und da der Wein eine freie Aussprache verstattete, so erhitzten sich die Gemüther, wenn die verschiedenartigsten Meinungen sich Geltung verschaffen wollten.

Die Sonne war im Untergehen und die abendliche Dämmerung senkte sich über die Stadt. Die Zechenden bemerkten die vorgeschrittene Zeit nicht; ihre Unterhaltung wurde immer lauter, so daß Hunold und Heinrich, die der Abend in die Herberge zurückgeführt, von den Anwesenden ungesehen deren Unterhaltung anwohnen konnten. Sie hatten unterweges vernommen, daß die Stadt endlich gegen die Wegelagerer etwas Ernstliches unternehmen wollte, und daß Peter von Ehrenfels in allernächster Zeit den Fehdebrief der Stadt Hameln erhalten würde. Die Zunftmeister, welche an der Zechtafel über diesen Kriegszug sprachen, wünschten denselben beschleunigt, denn sie welche ein entscheidendes Wort bei allen Unternehmungen der Stadt mitzusprechen hatten, waren von den ritterlichen Schnapphähnen oftmals unangenehm mitgenommen worden. Aber die Geldfrage brachte in das gute Einvernehmen einen Riß. Die Stadt hatte durch unglückliche Kriege und Brandschatzung in den letzten Jahren so viel gelitten, daß bisher ein jedes Unternehmen, welches von Seiten des Bürgermeisters und des Rates wider die Raubritter geplant war, an dem Widerspruch der Zünfte scheiterte. Die Zünfte besaßen eigene Banner und Zeughäuser und zogen unter ihrem Oberalten oder Zunftmeister wider den Feind aus. Der Bürgermeister konnte ohne Zustimmung dieser Handwerker und Genossenschaften nichts unternehmen und die Sitzung am Tage vor dem Palmsonntag, in welcher der Kriegszug gegen Peter beraten wurde, war ohne Erfolg geblieben, da die Zunftmeister das Geld nicht bewilligen wollten.

Das inzwischen gebrachte Licht erhellte nur notdürftig den Raum und an dem langen Tische wurden die Gemüter immer aufgeregter. In den Frohsinn, der die Tafel bisher beherrscht hatte, mischten sich bereits bittere Worte derer, die für, gegen diejenigen, welche gegen die Geldbewilligung waren, als Hunold eine Fiedel, welche an der Wand hing, ergriff und auf derselben eine so feurige Weise hervorzauberte, daß die ganze Versammlung auf den ritterlich gekleideten Spielmann hinblickte und das Streiten und Schreien darüber vergaß. Die Töne folgten sich unablässig, bald hellaufjauchzend und Freude verkündend, bald voll tiefster Wehmut, klagend und stöhnend. Das Spiel des wundersamen Mannes riß die Meister so hin, daß sie alles Hadern und Streiten vergaßen, und gepackt von dem feurigen Rhythmus schlugen die Füße der Zunftmeister den Takt nach der Musik, ihre Fäuste aber bearbeiteten den Tisch, daß die Gläser klirrten und mancher Tropfen Weines aus dem vollen Pokal über den Rand floß. Mit einem kräftigen Bogenstrich, welcher der Fiedel einen jauchzenden Accord entlockte, beendete Hunold sein Spiel und die Fiedel mit dem Bogen in der Linken haltend, trat er an den großen Tisch heran, gerade dem Zunftmeister Rathgen gegenüber, und sagte nach einer artigen Verbeugung:

»Mit Verlaub, Ihr ehrenfesten Herren, zum Wein gehört Gesang oder lockeres Spiel, und Streit in der Weinlaune hat schon die beste Freundschaft zu Fall gebracht. Hunold ist mein Name, meines Zeichens bin ich ein Spielmann; der dort sitzt, ist mein Kamerad, ein junger deutscher Freund, aus dem Lande Italien kommend, der deutsche Sitte bei Euch, Ihr Herren, lernen will; er ist ein vornehmer Herr, von edler Herkunft!«

Der Vortrinker erhob sich und reichte seinen halbvollen Pokal dem Spielmann und sagte:

»Trinkt, edler Freund, und reichet auch Eurem Freunde den Willkommentrunk. Setzt Euch mit dem Jüngling zu uns, denn Euer Spiel erfreut unser Herz, und der Wein, das Saitenspiel und frohe Aussprache unter Freunden gehören doch zu den köstlichsten Dingen im menschlichen Leben! – Bringt Wein für unsre Gäste,« rief er dem Wirt zu – »und Ihr, wackerer Spielmann, der Ihr so fremdartig ausschaut, Ihr wißt wohl gar artige Geschichten, die wir gern hören. Kommt her und erzählet, gern hören wir Neues berichten!

Der Spielmann und Heinrich folgten der Aufforderung und bald stand vor ihnen ein »Mönch«, aus dem sie wacker Bescheid gaben.

»Nun Spielmann,« erklang die tiefe Stimme Rathgen's durch den Naum, »berichte wer Du bist, woher Du kommst und was Du neues weißt!«


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