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11. Kapitel.
Der Urkundenraub

Heinrich war, seitdem Paulus von der Burg verschwunden war, wie ausgewechselt. Sonst hatte er sich um die Arbeiten bekümmert, welche die Dienstmannen auf den Dörfern vornahmen, um das Land von dem Schlamm zu reinigen, welchen die Überschwemmung, auf den Äckern zurückgelassen; eifrig, wie er war, hatte er selbst Hand mit angelegt, und die Leute verehrten ihn wegen seiner Freundlichkeit und seines thätigen Wesens. In den letzten Tagen war er jedoch auf der Burg geblieben und Hilda war die erste, welche mit der Feinfühligkeit der Blinden merkte, daß mit ihrem jungen Vetter etwas nicht ganz in Ordnung wäre. Er war jedoch schweigsam, und sie fragte nicht; aber sie litt ungemein darunter, da sie für den Jüngling vom ersten Augenblick an, wo sie seine Stimme hörte, die höchste Freundschaft und Zuneigung empfand.

Am Morgen nach dem Überfall zog der Troß mit Cornelius, seinen Wagen und Knechten weiter, und von der äußern Mauer herab verfolgte Hunold und Heinrich die langgestreckte Linie, deren Wagen und Menschen von ihrem hohen Beobachtungspunkt aus, sich wie Spielzeug ausnahmen.

Irma führte die Blinde herzu und sagte zu ihr, als sie Heinrich gegenüberstanden: »Da ist Dein Vetter mit dem mürrischen Gesicht.«

»Geh, Kind,« sagte Hilda, die sich von ihrer Hand befreite, und das Kind sprang dahin, um aber sofort wieder zu kommen und der Blinden schmeichelnd ins Ohr zu flüstern. Hilda hörte aufmerksam zu, nickte mit dem Kopf und jubelnd sprang die Kleine dahin.

»Sie will Walter, unsern zukünftigen Spielmann, der aber vorerst mächtig schreit und unserer Frau Jutta oft die Nachtruhe raubt, ein wenig tragen. Das Kind hat seines Gleichen gern,« fügte sie nachsinnend hinzu, »es ist gegen mich harmlos zärtlich und so lieb,« fügte sie, langsam sprechend hinzu.

Eine kleine Pause entstand. Hilda versuchte zu reden, aber so oft wie sie sich anschickte es zu thun, schien ihr die Stimme zu versagen.

Hunold nahm sich ihrer an und sagte:

»Wertes Fräulein, Ihr möchtet Eurem Vetter etwas sagen und Euch stört meine Anwesenheit. Erlaubt, daß ich meinen Geschäften nachgehe; Ihr aber werdet durch süßes Geplauder und verständiges Raten Eurem Vetter die Wolken von der Stirn verjagen, die jetzt auf ihr thronen. Nehmt Eure kleine Hand und glättet ihm die Falten von der Stirn und Eure so herzig klingende Rede wird seinem Herzen wohlthun. Kehre ich wieder zurück – und das bald – so hoffe ich den Zauber, der Euch inne wohnt, an ihm bethätigt zu sehen.«

Mit feinem Lächeln hörte ihm die Blinde zu.

»Wo lerntet Ihr diese Rede, Spielmann, diese schönen wohlgesetzten Worte,« und dabei schien sie ihm mit ihren glanzlosen Augen ins Antlitz sehen zu wollen.

»Mich unterweist in derartigen Reden ein Lehrer, der stets bei mir ist, der mich immer zum Guten anleitet und mich vom Bösen abzubringen sucht. Das ist mein Herz.« Bei diesen Worten entfernte sich Hunold und der Burghof nahm ihn bald auf, in den, er sich einige Pferde, von denen ihm eins der Ritter Ottokar geschenkt hatte, vorführen ließ, um sich ein edles Tier auszuwählen.

Die Blinde zog Heinrich mit sich auf eine Bank fort. »Seit langem, lieber Vetter,« so begann sie, »bist Du mürrisch, und die Tante und ich entbehren leider Deines sonst so herzigen Geplauders. Was bedrückt Dein Herz, sag' es mir, damit ich Deinen Frohsinn wieder erwecke und unserer Base Hedwig Gutes berichten kann.«

Heinrich schwieg vorerst, dann aber sich erhebend stellte er sich vor das Mädchen und sagte:

»Schwer, liebe Hilda, hatte ich in den letzten Tagen zu tragen, denn mein Vertrauen, das ich in einen Freund gesetzt, ist schwer getäuscht worden. Das dem Freunde Anvertraute ist mir in veränderter Gestalt zurück gegeben worden – laß uns darüber schweigen, da ich es nicht für möglich hielt!«

Die Blinde schwieg. Nach einiger Zeit wandte sie ihr Haupt, das sie nachdenklich auf ihre Brust hatte sinken lassen, und mit leiser Stimme sagte sie zu Heinrich: »Du sprichst von Paulus.«

Sie mußte dreimal dasselbe wiederholen, bis Heinrich antwortete: »Wohl schien er mir ein Freund zu sein, so daß ich keinen Anstand nahm ihm mein Vertrauen zu schenken. Ich übergab ihm die Kapsel, welche auf Pergament geschrieben meine Ansprüche auf mein Erbteil, die Lingenburg und den Ehrenfels nebst den ihnen zugehörenden Liegenschaften enthielt. Nach dem Zwiegespräch mit Hunold entfloh er. Ein Knabe gab heut morgen mir die Kapsel zurück; er sagte, ein Reiter, der bis in die Nähe dieser Burg gesprengt war, hätte ihm den Auftrag gegeben, mir allein die Kapsel zu überreichen. Ich öffnete dieselbe und an Stelle zweier Pergamente, die sie sonst barg, fand ich in ihr nur eins davon, das meine Ansprüche auf die Lingenburg darthut. Der zweite Pergamentbrief, welcher mich als Herrn der Burg Ehrenfels und der zu ihr gehörenden Ortschaften erweist, ist entwendet.«

»Und Paulus?« bemerkte zitternd die Blinde.

»Nur der Mönch kann ihn genommen haben, denn nur er weiß, daß ich durch das Pergament allein vor dem Kaiser meinen Anspruch auf jene Burg mit ihren Ländereien darthun kann. Er war hier und erfuhr vom Ohm Ottokar, daß nur in Folge der Pergamente, welche die Kapsel enthielt, die ich ihm gezeigt, ich von ihm nach seinem Tode als Besitzer der Lingenburg anerkannt worden bin und Peter von Ehrenfels allen Grund zu wünschen hat, daß die Beweismittel meines Anrechtes auf Ehrenfels bei Seite geschafft werden. Aus Rache für die Unbill, die er sich hier angethan wähnt, hat der Mönch die Schrift wahrscheinlich an Peter ausgeliefert.«

Hilda wiegte ihr Haupt hin und her und nach einiger Zeit sagte sie: »Was hilft das Klagen! Du bist ein Mann, sei kühn und tapfer. Zieh nach dem Ehrenfels, befrage Peter darum und da Du Augen hast, so wirst Du bemerken, ob, wenn sein Mund lügt, es auch seine Augen thun. Vielleicht findest Du dort Paulus. Geh mit ihm nicht hart um, sondern verzeih ihm, werther Vetter, sollte er, vom Bösen verführt, Dir dieses Leid wirklich angethan haben. Verzeih ihm, denn er ist ein Mensch und also sündhaft wie wir alle, versprich es mir, Heinrich; ich bitte für ihn.« Dabei sank sie ihm zu Füßen und Heinrich, bestürzt über die Dringlichkeit ihrer Bitte, hob sie vom Boden auf und versprach es ihr.

Hunold hielt vor der Burgpforte und die Zugbrücke rasselte soeben hernieder, damit er ins Freie gelange, als Heinrich ihm vom Fenster aus zurief. Er wandte das Pferd, und als sein Freund eiligen Laufes auf dem Burghof erschien, setzte er sein Roß in Bewegung, um es von Heinrich bewundern zu lassen. Doch dieser sprach nur wenige Worte zu ihm herauf, und als Hunold nickte verging nur eine kurze Zeit, bis Heinrich von Altkirch mit Stahlpanzer und Stahlhaube versehen ein bereitgehaltenes Pferd bestieg und beide mit einander über die Zugbrücke auf dem Wege davon trabten und den Weg nach dem Ehrenfels einschlugen.


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