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9. Kapitel.
Die streitbare Kirche

Der neue, kleine Ankömmling hatte einige Zerstreuung in das einförmige Leben der Burgbewohner gebracht. Hilda widmete sich seiner Pflege mit ihrer ganzen Selbstverleugnung; schon nach wenigen Tagen verlangte das Kind nach seiner zweiten Mutter, und laut erschallte sein Ruf »da da,« wenn es des Morgens von Jutta im reinlichen Gewande in das Frauengemach gebracht wurde, und es seine Wohlthäterin erblickte. –

Das große Wasser war in die Ufer zurückgetreten, und die Dorfleute, welche die Überschwemmung vor wenigen Tagen in die Burg getrieben hatte, waren jetzt mit ihren Frauen emsig beschäftigt, ihre Wohnhäuser wieder aufzurichten und die Äcker und Wiesen von dem Morast und dem Sande, welchen der Fluß mit sich geschleppt und hinterlassen hatte, zu reinigen. Manche Thräne floß in den grauen Bart des alten Bauern, wenn er das Werk jahrelangen Mühens und Schaffens durch den grimmen Feind so zerstört sah, daß wieder Jahre seines Lebens dazu gehörten, um den Grund und Boden urbar und für ihn ertragfähig zu machen.

Aber die Arbeit tröstet, und bald herrschte auf den umliegenden Ortschaften wieder froheres Leben, denn früh erwachte die Natur in diesem Jahre. Die Februarsonne schien goldig und kräftig auf die von dem Schnee befreiten Zweige, und ringsum war Strauch und Baum vom ersten, grünlichen Schein umflossen, hie und da sprangen auf den Sträuchern schon einige vorlaute Knöspchen auf, denen der warme Vorfrühling einige Bürgschaft für ihr weiteres Gedeihen gewähren mochte.

Der helle Sonnenschein, der Thal und Berg übergoß, der blaue, durchsichtige Himmel, den das Auge mit Entzücken sah und die reine, würzige Luft, welche die fernen Berge in einen wunderbaren bläulichen Dunst hüllte, ließen die Insassen der Burg rechte Frühlingsfreude empfinden. Nur einer war dort, dessen Wesen zu Anfang von allen wohlthätig empfunden wurde, bis es seit der Rückkehr des Spielmanns von dem Ehrenfels vollständig umgewandelt erschien. Es war Paulus, der die Arbeiten, welche ihm Ottokar übertragen, zur vollsten Zufriedenheit des Ritters beendet hatte, und nun Zeit und Gelegenheit abwartete, um in Gesellschaft zum Kloster zurückzukehren. Seit der Überschwemmung, die das Landvolk, wie die landbesitzenden Ritter gleich stark betroffen hatte, war die Unsicherheit der Straßen so groß geworden, daß nicht einmal der Mönch es wagte, den Weg nach Hameln allein einzuschlagen, da die Ehrfurcht vor der Geistlichkeit, welche bisher noch den ritterlichen Räubern eigen war, durch die Not der Zeit völlig geschwunden schien.

Der Charakter des Mönchs war seit Hunolds Rückkehr von der Burg Peters wie ausgewechselt; die kurze Zeit seiner Abwesenheit hatte in Paulus, der vorher dem Spielmann eng befreundet war, eine tiefe Mißstimmung gegen Hunold aufkommen lassen. Er äußerte offen seine Unzufriedenheit, daß Ottokar und Hedwig, ganz besonders aber Heinrich und Hilda den Spielmann in jeder Weise auszeichneten, und mit allen Künsten der Überredung versuchte Paulus auf Heinrich einzuwirken, daß er von seiner Freundschaft mit Hunold ablasse. Der Blinden, welche ihn gebeten hatte, das Kind, das sie auferzog, zu taufen, da es keinen Namen trug, sagte er, daß ein Kind des Bösen, denn das sei das Geschenk, welches der Spielmann mitgebracht, er nicht taufen könne und wolle. Der Spielmann übersah die Feindseligkeit des Mönchs, und mit seinem Witz und Verstand wußte er es dahin zu bringen, daß die Schroffheiten, die Paulus gegen ihn verlautbaren ließ, von ihm als Späße aufgefaßt wurden, wodurch der Mönch nur noch gereizter wurde.

Eines Abends saßen sie sämtlich in dem Frauengemach der Burg. Ottokar und Hedwig, ihnen zur Seite der Mönch, auch Hilda und Heinrich waren um den runden Tisch der Kemenate versammelt, und lauschten einem Liede, das Hunold mit meisterhaftem Gesange vortrug:

»Ich saß auf einem Steine,
Da deckt ich Bein mit Beine,
Darauf der Ellenbogen stand;
Es schmiegte sich in meiner Hand
Das Kinn und eine Wange.
Da dacht ich sorglich lange
Dem Weltlauf nach und ird'schem Heil;
Doch wurde mir kein Rat zuteil,
Wie man drei Ding erwürbe,
Daß ihrer keins verdürbe.
Die zwei sind erd- und weltlich Gut,
Das oft einander schaden thut,
Das dritte Gottes Segen,
An dem ist mehr gelegen. –
Die hätt' ich gern in einem Schrein.
Ja leider mag es nimmer sein,
Daß Gottes Gnade kehre
Mit Reichtum und mit Ehre
Je wieder in dasselbe Herz!
Sie finden Hemmung allerwärts.
Untreu hält Hof und Leute,
Gewalt fährt aus auf Beute;
So Fried als Recht sind todeswund:
Die dreie haben kein Gele#it,
Die zwei denn würden erst gesund.«

»Ist diese Dichtung von Euch?« fragte die Burgfrau, nachdem der Spielmann geendet.

»Nein,« erwiderte Hunold, »ein größerer Sänger, ein Mann dem Gott das Herz eines Kindes und den Mut eines Löwen verlieh, der in Hütten der Niederen weilte und von den Großen gesucht und belohnt wurde, hat es gesungen, und von ihm habe ich das Lied selbst gelernt. Kennt Ihr Walther von der Vogelweide Walther v. d. Vogelweide war der größte politische Sänger des Mittelalters; sein Höhepunkt ist die Zeit von 1198-1227. nicht? Sein Wort war mild wie Nachtigallensang für seine Freunde, doch ein scharfgeschliffenes Eisen seinen Feinden. Ein echter Sänger war er, unstät, ohne Heim, ohne einen Heller, und doch immer zufrieden. Er liebte sein Vaterland, nie gab er seine Überzeugung preis, und seine Leier und sein Wort – beides erklang zum Preis, zum Lobe und zur Verherrlichung der Hohenstaufen. Ruhelos und rastlos trieb ihn sein Sang umher, und, seht meine Freunde, so wie ich kein Heim habe und, wenn ich morgen diesen gastlichen Ort verlasse, nicht weiß, wo ich mein Haupt am Abend hinlege, so war auch er auf die Güte seiner Gönner angewiesen.«

Er hielt einen Augenblick inne und seine Finger durchfuhren das Saitenspiel. Ottokar und Heinrich sahen bewundernd zu dem Sänger auf, dessen warme Sprache ihr Herz gefangen hatte, während Hilda ihr Haupt in dem Schoß der Schloßherrin barg, zu deren Füßen sie sich gelagert, welche mit feuchtem Blick zu der Blinden hernieder sah, über deren Wangen die Thränen wie Perlen herniederrollten.

Die Stille wurde durch Paulus unterbrochen:

»Der Sänger Walther von der Vogelweide,« sagte er, »war kein frommer Mann, denn er verunglimpfte den Papst in seinen Liedern, und in jenem gottlosen Streit, den sie den Sängerkrieg auf der Wartburg nennen, war er der Genosse Wolframs von Eschenbach, der wie ein Wolf im Schafspelze fromme Lieder dichtete, doch den Statthalter Gottes auf Erden bekriegte!«

»Ha, ist das so gemeint?« rief der Spielmann und in seinen Augen spielte ein Feuer, das die Anwesenden erschreckte. »Das Recht ist Euch ja geworden auf der Wartburg, Euch Pfaffen, denn Liederspiel und Wohlthun und freies Wort und Frauenminne ist auf der Wartburg erstorben vor dem grausen Würger, Konrad von Marburg. Konrad von Marburg, ein fanatischer Bettelmönch; vom Papst zum Ketzerrichter in Deutschland bestellt, wurde am 30. Juli 1233 in der Nähe von Marburg von dem empörten Volke erschlagen.«

»Würger?« rief der Andere erbost und sein Zorn ließ ihn seine Hand erheben und jedes Wort, als wenn er auf der Kanzel stehe, mit einem Schlage der flachen Hand begleiten, »Würger? Was ihn seines Amtes Pflicht hieß, das that der große Mann.« –

»Der große Mann!« So höhnte Hunold. »Er schlachtete die Menschen ab, darin war er groß, während mein Sänger, Walther, von Herzen wahrhaft fromm war und mit gutem Rat viel Heil und Segen stiftete. Ruft er doch den Fürsten zu:

»Seid mild, friedfertig, laßt euch stets in Würde schauen,
So loben euch die reinen, süßen Frauen;
Scham, Treue, Milde, Zucht sollt ihr mit Freuden tragen,
Dienet Gott und schaffet Recht, wenn Arme klagen.«

»Nicht kannte er ein falsches Wort, sondern stets gab er seine Überzeugung kund. Die Geistlichkeit, die das Volk immer gegen den Kaiser aufhetzte, und der Papst, welcher gegen den Hohenstaufenkaiser den Bannstrahl schleuderte und Fürsten wie Völker von der Treue und von der Gefolgschaft zu ihm lossprach, die waren seine Feinde und« – so fuhr Hunold fort – »wie spricht er von ihnen in seinen Liedern. »Die Geistlichkeit in Kutten traget, statt Gott der Menschen Herz zu weihen.

Gewalt siegt ob, des Rechtes Ansehn schwindet:
Wohlauf! Hier frommt nicht müßig sein.«

Der Spielmann hatte sich in Feuer geredet und sein blitzendes Auge leuchtete kampflustig zu dem Mönch hinüber. Dieser saß mit aufgestützten Ellenbogen, ohne eine Miene zu verziehen, an dem Tische, und als Hunold geendet sah Paulus zu den Genossen empor, welche ihn umgaben, um zu prüfen, welchen Eindruck die Rede des Spielmannes auf sie gemacht. Der Ritter und die Hausfrau mochten einen leisen Unmut, der sich in ihrem Gesichte widerspiegelte, nicht verbergen, während Hilda und Heinrich mit gefalteten Händen, längst nachdem Hunold seine Streitrede geendet auf seine Worte zu horchen schienen. Das Gesicht der Blinden war von einer leuchtenden Glückseligkeit erfüllt, und ihre sternlosen Augen starrten dahin, von wo soeben des mannhaften Sängers Stimme erschollen.

Gerade die Begeisterung, die sich lautlos und doch so beredt auf dem Antlitz der Blinden zeigte, ließ bei dem Mönch die Zornröte emporflammen. Er, der überlegte und so ruhige Mann, erhob sich, eilte mit schlürfendem Tritt zu dem Sessel, den Hilda einnahm, und faßte dessen Lehne mit beiden Händen; dann, sich über diese beugend, sprach er zu dem überraschten Mädchen folgende Worte: »Die Jugend, mein Kind, horcht gern glatten Worten, und ein Spielmann weis gut Reden schön zu setzen. Aber die Wahrheit fehlt ihnen und die Jugend sieht nur den glitzernden Schein, ohne sich vom Gehalt des Dargebotenen zu überzeugen! Er schmäht die Kirche, wie sie sein so hochgepriesener Walther verunglimpfte. Der wußte sein Wort für einen jeden Kaiser aus dem Hohenstaufenhause zu feilen, bis er sich endlich vom Kaiser Friedrich ein Besitztum erbettelt hatte. Oder ist es nicht wahr, fahrender Spielmann, was ich eben berichte? ›Ich hab ein Lehen, alle Welt!‹ rief er aus, er, der so lang des Kaisers Lob gesungen, bis Friedrich ihn mit einer Schenkung beruhigte.«

In Hunold kochte es: »Lügnerischer Mönch,« rief er aus, »Du bist in Deiner Schule gut erzogen, um das Wahre falsch zu deuten!«

»Unterbrecht mich nicht,« gebot der Mönch, der gegen Hilda gewandt, jetzt in ruhigem Ton fortfuhr: »Merke wohl auf, meine Tochter,« hierbei hielt er ein wenig an, und seine Stimme erzitterte. »Das Leben eines Mönches ist ein köstliches gegen dasjenige jener Leute, die mit ihrem Saitenspiel durch die weite Welt wandern und sich bei jedem Ritter zu Gaste laden, unbekümmert ob ihr Erscheinen angenehm ist oder Unruhe verursacht. Und was für Weltkinder unter diesen Sängern in der Welt umherziehen, davon werde Dir Kenntnis, indem ich die Geschichte eines derselben berichte.«

Er ging zu seinem Sessel zurück und seine Augen suchten Hunold, der inzwischen an das Fenster getreten war und in die Landschaft hinausschaute, über welche der bleiche Mond sein zitterndes Licht ergoß.

»Ullrich von Lichtenstein Ullrich von Lichtensteins Blütezeit war von 1222-1255.,« erzählte Paulus, »lebte etwa einige vierzig Jahre vor uns und war in Steiermark zu Hause. Der war ein Sänger, welcher nicht wußte, daß sein Körper und sein Lied Gottes Eigentum, daß Kasteiung und frommer Gesang dem Herrn ein Wohlgefallen sei. Die Geschichte vom Tristan und der Isolde wollte er verwirklichen, und er erkor eine Dame zu seiner Isolde um ihr als Tristan zu dienen. Er war vollends ihr unterthan, und auch den gottlosesten und sonderbarsten Wunsch seiner Dame beeilte er sich zu erfüllen. Sie bemerkte ihm, daß ihr sein Mund nicht gefalle und – der Tropf ließ sich seinen Mund operiren, und als sie erfuhr, daß Ullrich im Turnier ihretwegen einen Finger verloren, ward sie böse und schalt den Boten einen Lügner, denn verletzt hätte der Ritter seinen Finger im Turniere wohl und das Glied wäre krumm, aber verloren hätte er den Finger ihrethalben nicht. Der Thor fürchtete ihre Ungnade und übersendete ihr den Finger, den er sich auf die Rede seiner Dame hin selbst abgehackt. Dabei hatte dieser Minnesänger eine Frau zu Hause, die mit ihren Kindern darbte; er aber bekümmerte sich darum nicht, denn wie bei allen unseren fahrenden Sängern ist ihm der Frauen Dienst das Höchste und das Heiligste auf der Welt.«

Ein höhnisches Lachen erklang vom Fenster her: »Mönchlein sollt' ich Dir all die herzählen, die als Geistliche nicht nur eben so verrückt waren, wie jener Unglückliche, den Du Dir gerade als abschreckendes Beispiel hervorgesucht hast, sondern die mit Gottes Wort Schacher und Wucher trieben, und ihre geweihten Klosterhallen mit Zuchtlosigkeit erfüllten, – bis zum jüngsten Tag könnte ich meinen Mund bewegen. Aber es ist so Eure Art, aus guter Frucht noch einen Wurm herauszulesen; wäre er auch nicht vorhanden, Ihr fändet ihn doch!« Damit schritt Hunold vom Fenster her an den Tisch und stand dem Mönche gegenüber.

Dieser jedoch drückte seine beiden Hände gegen die Stirn und die Augen schließend, sprach er im ruhigsten Ton: »Seht, Freunde, dagegen diejenigen Sänger, aus denen der edle Glaube spricht, und die Gottes Wort achten. Habt Ihr vernommen von dem Bruder Berthold von Regensburg, dem Franziskaner, dem Prediger, dem Dichter, der die Sünde haßt, der aus dem Leben zum Volke spricht, und den die Ketzer seiner Frömmigkeit wegen hassen. Ist es nicht besser gegen den Geiz und die Habsucht, gegen den Luxus und gegen die Unsittlichkeit zu kämpfen und sein Leben einzusetzen für die heilige Sache des Papstes, als nichtssagende Reime zu schmieden, oder sich einen Finger abzuhacken? Wer kennt jenen Ullrich von Lichtenstein? Aber fragt die Tausende und aber Tausende, die sich in Österreich und Ungarn, in Böhmen, Mähren und Thüringen um den Franziskaner scharten, dessen Lippe von Weisheit troff, und der eine jede Wiese zur Kirche und einen jeden Baum zur Kanzel machte! Wer obsiegt, der Gottlose, oder der seinen Gott im Herzen trägt und ihn auf allen Wegen bethätigt?«

Bei den letzten Worten hatte sich der Mönch erhoben und die Blicke der beiden Streitenden trafen sich. Paulus, der sich jetzt in Begeisterung, ja in Wut hineingeredet hatte, vermochte seiner Bewegung nicht Herr zu werden, wogegen der Spielmann seine ihm sonst eigne kaltblütige Ruhe völlig wieder bekommen hatte.

»Die Kirche und jeder römische Priester,« sagte er spöttisch, »stehen unter dem Befehle des Bischofs von Rom; sie sind geknechtet, und müssen das thun, was jener will, und wenn Du,« so wandte er sich an den Mönch, »auch bitter fühlst, daß Dein Oberer Unrecht thut, so mußt Du es tragen, denn Du bist der Untergebene und die Religion befiehlt Dir zu gehorchen. Aber ich und meine Kunst sind frei; was Euch Sünde erscheint, ist uns Lust, ohne daß wir Böses thun. Wir lieben schöne Kleider, Ihr verbietet sie; wir lieben frohen Tanz, Ihr thut ihn in den Bann; wir freuen uns, wenn beim Turnier die Lanzen splittern, Ihr verabscheuet es, denn ihr fühlt hinter Euren Klostermauern und bei Eurem Nichtsthun nicht die Kraft, um sie zu erproben. Wir stehen zum Kaiser und zu Deutschland, Ihr zum welschen Papst und zu Italien. Bedenke Mönch, daß Dich ein deutsches Land erstehen sah, daß auf deutschem Boden Du groß wurdest, und daß Dein Vaterland Dich beherbergt und Dich nährt. Was that Dir der Papst, daß Du zu ihm stehst? Dabei fällt mir ein Lied dessen ein, der wegen seiner Gesinnung Dir Feind ist. Hört Ihr, die Ihr anwesend seid, hört Ihr zu, was Walther von der Vogelweide von jenem sagt, dem der Mönch dient.«

Von der Wand herunter nahm Hunold sein Saitenspiel, und es auf den Tisch stellend durchfuhren seine Finger die Saiten im kurzem Vorspiel. Eine kräftige Marschmelodie erfüllte den Raum, und die Stimme Hunolds erscholl in die Ohren seiner Zuhörer:

»Ich hab es gut gemacht!
Ich hab zwei Deutsche unter eine Krone gebracht,
Daß sie das Reich verwüsten und zerstören.
Unterdessen füllen wir die Kassen.
Die Deutschen müssen zum Opferstock,
Ihr Gut ist alles mein,
Ihr deutsches Silber fährt in meinen welschen Schrein.
Ihr Pfaffen esset Hühner und trinket Wein,
Und laßt die deutschen Lumpen fasten.«

Der letzte Accord war kaum verklungen, als die Blinde auf den Sänger zuschritt und, ihm die weiche Hand hinreichend, sagte: »Herr Hunold, laßt das Streiten und singt uns eher das Lied, das Ihr so schön uns vorgetragen: ›Es stand eine Frau alleine und schaute über die Heide.‹ Hilda bat so eindringlich, daß es ihr anzumerken war, sie suche dem Streit, der so unerquicklich über sie alle hereinbrach, ein Ende zu machen. Aber es gelang ihr nicht, denn der Mönch war um den Tisch herumgegangen und stand urplötzlich vor ihr. Mit rollendem Auge und vor Wut erstickter Stimme, ihre Hände in die Seinigen nehmend, rief er ihr zu: »Sein Sang hat Dein Herz bestochen und Dich mir abwendig gemacht. Der falsche Schein hat auch Dich geblendet, darum hat Dich Gott gezeichnet. Du stößt mich von Dir, wo ich Dir wohl wollte, wie ein Vater seinem Kinde. Komm her zu mir, mein Kind,« fuhr er zu der Blinden gewendet und seine Stimme klang flehend, wie die eines Kindes, »daß ich Dich ferner durch das Leben geleite, da Du sehender Augen bedarfst, und Du,« schrie er Hunold zu, »Dich heiße ich Unhold, denn kein Spielmann bist Du, sondern ein Gespenst, ein böser Geist, der die Menschen bethört und sich an ihrem Unglück weidet. Du Unhold« – bei diesem Worte hatte sich ihm der Spielmann zugewandt und ein fremdes, altes, graues Gesicht starrte dem Mönch entgegen. Dieser fuhr einige Schritte zurück und bedeckte mit der einen Hand sein Gesicht; die andere streckte er der Erscheinung, die auf ihn mit langsamen Schritten zutrat, entgegen, und fast unbewußt entrangen sich ihm die Worte: »Dich habe ich nicht gewollt, Du Furchtbarer.« Damit stürzte er aus der Thür und war verschwunden.

Die Blinde war bei dem Wutausbruch des Mönches in Ohnmacht gesunken. Mit lautem Aufschrei brach sie in ihrem Sessel zusammen und Ottokar, Hedwig und Heinrich suchten sie durch Belebungsmittel wieder zum Bewußtsein zurückzubringen. Keiner der Anwesenden hatte gesehen, was zwischen dem Spielmann und dem Mönch vorgefallen war, und nur Heinrich erinnerte sich der letzten Worte Paulus, die ihn ungemein schmerzlich berührten. Der Spielmann war ans Fenster getreten und sah schweigend in den Hof; Heinrich stand hinter ihm und als sich Hunold umwandte und seinen Arm um des Ritters Hals legend, ihm mit seinem milden Blick ins offene Auge sah, da traten Heinrich die Thränen aus den Augen und mit vorwurfsvollem Tone entrang sich ihm die Frage: »Warum spieltest Du dem Mönch so übel mit? War er uns nicht Freund von dem Tage, als wir mitsamt auf die Burg zogen, und hat er uns nicht Dienste geleistet, die uns in seine Schuld gaben?«

Mit ernstem Lächeln schüttelte der Spielmann sein Haupt: »Dir liegt die Welt noch im rosigen Schein, und die Jugend liebt das Ideal, liebt Aufrichtigkeit und Treue. Hast Du jenem Dein Herz geschenkt, so erfahre, daß es ein Unwürdiger ist, der im Kloster Vergessenheit sucht für das, was er im früheren Leben gesündigt. Aber die Abrechnung, die Vergeltung wird ihn zu finden wissen; ich werde ihn wieder sehen.«

Heinrich sah scheu zu dem Manne empor, der mit tiefem Ernst und väterlicher Liebe zu ihm sprach, dessen Stimme vorher im Streite mit dem Mönch, wie Donnerrollen klang. Beide gingen Hand in Hand zu der Blinden, deren Angesicht, bleich und mit Thränen überströmt, der Lampe zugewandt war und welche jetzt, von ihrem Ohm und Hedwig unterstützt, stummen Grußes das Zimmer verließ, um ihr Lager und die Ruhe aufzusuchen.

Heinrich aber, dessen Herz voll des Erlebten war, schritt noch zu später Nachtstunde unter der Linde im Burghofe auf und ab und gedachte des Mönchs, wie er damals im Klosterhofe die Tauben fütterte und ihm ganz Freund schien. Der Mond glitzerte durch die Zweige des Baumes, die Luft war mild wie im Frühling; er nahm auf der Holzbank, die sich um den Stamm der Linde zog, Platz. Die Augen fielen ihm zu und der Schlummer überwältigte ihn. Traumbilder zogen vor seiner Seele vorbei und ließen in ihm das noch einmal erstehen, was er soeben durchlebt hatte. Da sah er den Mönch vor dem Spielmann auf die Knie gesunken und, neben Hunold, Walther von der Vogelweide auf einem Steine sitzend, und das Haupt auf die Hand gestützt, genau so, wie es im Liede steht. Der Mönch hatte eine Kapsel in der Hand, die Heinrich wohl bekannt war, denn sie war sein Eigentum und dieselbe, die seine verbrieften Rechte auf sein großväterliches Erbteil in Deutschland enthielt. Hunold wollte sie dem Mönche entreißen, aber je mehr sich er sich bemühte, Paulus beizukommen, desto mehr entfernte sich dieser – bis er ganz verschwand und an seiner Stelle Hilda stand und wie beschwörend ihre Hände zu dem Spielmann empor hob.

Am anderen Morgen wurde Heinrich durch ein kitzelndes Gefühl aus dem Schlafe geweckt. Tilo kauerte neben ihm, und als der Ritter die Augen aufschlug, sagte das Kind, daß der Vater oftmals unter der Bank ruhend liege, von der Heinrich im Schlaf und ohne zu erwachen heruntergeglitten war, und daß er ihn dann stets auf diese Weise wecken müsse. Heinrich mußte über den Störenfried lachen, doch als er sich erhob, waren ihm Glieder und Kopf so schwer, daß er eiligst seine Lagerstatt aufsuchte, um den versäumten, erquickenden Schlaf nachzuholen.


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