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Zustand der Belgier unter Prinz Karl von Lothringen. Staatseinkünfte aus den Niederlanden. Joseph's Ersparnisse. Aufhebung des Barrièrentractats. Schelde- und Tauschprojecte. Ueber die Rechtmäßigkeit von Joseph's Maßregeln. Wer auf Hoffnung säen dürfe. Misbrauch des Princips, das von Erhaltung der Ruhe ausgeht. Usurpation des Adels und des Klerus. Chimären der Gleichförmigkeit in Verfassung und Gesetzgebung wie in der Religion. Einführung des neuen politischen Systems und des Generalseminariums. Kampf mit dem Aberglauben. Ausbruch der Widersetzlichkeit während des Kaisers Aufenthalt in Cherson. Nachgiebigkeit des Generalgouverneurs. Widerrufung aller Neuerungen. Rebellion der Geistlichkeit. Weigerung der Subsidien. Aufhebung der Joyeuse entrée. Mönche schießen auf die Truppen in Tirlemont. Vonk's patriotische Verbrüderung. Emigranten in Hasselt und Breda. Uneinigkeit zwischen d'Alton und Trautmannsdorf. Einnahme von Gent. Waffenstillstand von Leau. Unruhe in Brüssel. Die vergebliche Milde des Ministers. Räumung der Hauptstadt und Flucht der Kaiserlichen. Van der Noot's Triumph. Unabhängigkeitsacte der vereinigten belgischen Staaten.
Seitdem das Haus Oesterreich in engere Verbindung mit Frankreich getreten war, hatten die schönen belgischen Provinzen von den ehemaligen feindlichen Ueberzügen ausgeruht und, eingeschränkt wie ihr Handel blieb, blos durch ihren innern Reichthum einen hohen Wohlstand erreicht. Karl von Lothringen, der eine lange Reihe von Jahren als Generalgouverneur seinen Hof zu Brüssel hielt, ward von den Niederländern so enthusiastisch geliebt, wie es fast immer bei Fürsten der Fall ist, die sich an der Bereitwilligkeit der Nation zur Erlegung großer Subsidien genügen lassen, ohne sich durch Neuerung und Reform einen Namen erwerben zu wollen, ohne durch stetes Misbilligen dessen, was andere thaten, ihre Einsicht auf Kosten der Selbstachtung ganzer Millionen von Menschen geltend zu machen, ohne Macht und Gewalt blicken zu lassen, wo die Gesetze allein entscheiden sollten oder wo alles durch Güte auf dem gebahnten Wege zu erlangen war.
Der Minister Stahremberg theilte mit dem Prinzen die Zuneigung des Volks, und beide wußten seine Vorurtheile zu schonen, seinem Geschmacke zu schmeicheln und seine Gutwilligkeit ohne Geräusch zu benutzen. Der glänzende Hof des Fürsten, seine Liebhabereien, der so leicht und um so geringen Preis zu erkaufende erhabene Name eines Beschützers der Wissenschaften und Künste, die von ihm angefangene Verschönerung der Stadt und seine Sorgfalt für die Unterhaltung und die Vergnügungen des Volks: das waren seine Ansprüche auf eine Liebe, die ihm Bildsäulen zu Fuß und zu Pferde, an öffentlichen Plätzen und auf den Giebeln öffentlicher Gebäude erwarb. Die Belgier zogen ruhig auf der breiten Heerstraße der Gewohnheit fort und verrichteten willig und mechanisch ihr Tagewerk, ohne sich um die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu kümmern. Ihr Vertrauen in die weise Führung der höhern Stände ging so weit, daß verschiedene brabantische Städte von ihrem Recht, Abgeordnete zur Versammlung zu schicken, keinen Gebrauch machten und der dritte Stand folglich zuletzt wenig mehr als dem Namen nach existirte. Die Geistlichkeit hatte beinahe in allen Provinzen, als erster und zahlreichster Landstand, ein entschiedenes Uebergewicht. Ihre treue Ergebenheit gegen den Hof beruhte auf einem gemeinschaftlichen Interesse. Die süße Herrschaft über die Gemüther, in deren Besitze man sie nicht störte, war immer einige dem Landesherrn gezollte Millionen werth. Man versichert, daß Maria Theresia während des Siebenjährigen Kriegs an wirklich bewilligten Subsidien und an negociirten Darlehen gegen hundert Millionen Gulden aus den Niederlanden gezogen habe; und noch kurz vor dem Ausbruche der Unruhen schätzte man den jährlichen Ertrag der kaiserlichen Einkünfte aus diesen Provinzen auf die unglaubliche Summe von sieben Millionen.
Der Kaiser hatte seine Niederlande selbst besucht und mit seinem Kennerblicke die tief eingewurzelten Misbräuche ergründet, die sich dem größern Flor derselben widersetzten. Er fand das Volk ungebildet, in Aberglauben versunken, träge und ungelehrig im Gebrauche seiner Geisteskräfte; übrigens aber mit physischen Vorzügen ausgestattet, stark und arbeitsam, und geneigt zum frohen, groben Sinnengenusse. Dem angeborenen Phlegma war Gutmüthigkeit zugesellt, eine glückliche Eigenschaft, durch die sich auf den Charakter noch wirken ließ, gleichsam wie ein schwerer Körper Beweglichkeit bekommt, wenn man ihn mit einem leichtern verbindet. Allein die bisherigen Erzieher dieses Volks bedurften selbst einer sorgfältigern Bildung. Mit dem deutschen und französischen Klerus war der belgische nicht fortgeschritten; er war um mehr als ein Jahrhundert zurück und der Abstich auffallend zwischen seinen auf die Blindheit des Volks berechneten Anmaßungen und der Lichtmasse in dem übrigen Europa, vor welcher kein erkünstelter oder unechter Heiligenschein bestehen kann.
Hier war indeß beides, die hierarchische und politische Macht des Staats, in den Händen der Geistlichkeit. Ihre Häupter herrschten in den Versammlungen der Stände, ihre Schlauköpfe wußten in Schulen und Akademien die Dummheit methodisch fortzupflanzen und alle, vom Höchsten bis zum Geringsten, lenkten das Gewissen der Einwohner nach ihrer Willkür. Es forderte Joseph's ganze Thatkraft und seinen Herrschergeist, um hier nicht an Läuterung zu verzweifeln, sondern sie wirklich anfangen und durchsehen zu wollen.
Er fing zuerst mit Ersparnissen an, auf welche man unter der vorigen allzu milden Regierung nicht geachtet hatte. Durch seine Bündnisse mit Frankreich gesichert und durch den Augenschein überzeugt, daß der Verfall der Grenzfestungen den Barrièrentractat Als im Utrechter Frieden 1715 die span'schen Niederlande an Oesterreich gekommen waren, erhielten durch den 1718 abgeschlossenen Barrièrentractat die Holländer das Recht zuerkannt, mehrere an der belgisch-französischen Grenze gelegenen Festungen besetzt zu halten. Joseph II. erklärte diesen lästigen und nutzlosen Vertrag 1781 für aufgehoben. Anmerkung d. Hg. von 1715 wesentlich schon aufgehoben habe, vermochte er im Jahre 1781 die Republik der Vereinigten Niederlande dahin, diesen Tractat auch förmlich aufzuheben und ihre Besatzungen aus allen darin benannten Festungen zurückzuziehen. Sobald er diesen Punkt gewonnen hatte, der die Generalstaaten im Grunde nur von einer unnützen und lästigen Ausgabe befreite, wurden alle niederländische Festungswerke, ausgenommen die von Luxemburg, geschleift und die Summen, die ihr angeblicher Unterhalt dem Staate jährlich gekostet hatte, in Zukunft für das Aerarium gewonnen. Aehnliche Reformen bedurften und erhielten jetzt alle Theile der Administration, und selbst die Gouvernantin der Niederlande, eine Schwester des Kaisers, wurde nebst ihrem Gemahl, dem Herzoge von Teschen, in ihren Einkünften auf eine bestimmte Summe eingeschränkt.
Von dem Charakter des Volks ließen sich vortheilhafte Veränderungen hoffen, wenn man es in neue Thätigkeit versetzte; es war vielleicht nur eine äußere Veranlassung nöthig, um in demselben schlummernde Kräfte zur Wirksamkeit zu berufen. Schon die Eröffnung der Schelde allein hätte diesen Erfolg haben müssen, da die Erscheinungen, die ihre Verschließung hervorbrachte, für ganz Europa so wichtig gewesen sind. Aber die eifersüchtige Politik der Nachbarn vereitelte diese glänzende Aussicht um so viel leichter, da die belgische Nation nicht einen Funken der Begeisterung blicken ließ, womit jedes andere Volk, das fähig gewesen wäre seinen eigenen Vortheil zu erkennen, bei einer solchen Veranlassung dem Landesherrn alle Kräfte dargeboten hätte.
Diese Fühllosigkeit mußte der Kaiser tief empfinden; sie mußte ihn auf die Wurzel des Uebels zurückführen und ihn in der ihm nur allzu gegenwärtigen Ueberzeugung befestigen, daß seiner höhern Einsicht das große Werk, seine Unterthanen wieder zu beseelen, allein aufbehalten sei. Wenn er wenig Achtung für die Vernunft des großen Haufens besaß, wenn er den Beruf in sich fühlte, seine Unterthanen, die ihm unmündige Kinder schienen, mit der ganzen Autorität des Vaters zu ihrem Besten anzuführen: wer findet den Irrthum nach solchen Beispielen nicht verzeihlich? Wer bedauert nicht den Monarchen, dessen Volk so weit hinter ihm zurückgeblieben war, daß er sich zu seinen Bedürfnissen nicht mehr herablassen konnte? Die Gleichgültigkeit der Belgier gegen die Maßregeln des Kaisers, die keinen andern Zweck als den größern Flor ihres Vaterlandes hatten, und bald hernach die störrige Widersetzlichkeit, die sie gegen seine vorgenommenen Neuerungen äußerten, erklären auch ein anderes Phänomen, welches sonst bei einem Fürsten, der so strenge Begriffe von Regentenpflicht hatte, befremdend scheinen möchte; ich meine das bekannte Project von einem Ländertausche, wodurch er diese so sehr verwahrlosten Menschen ihrem Schicksal überlassen wollte. Wenigstens ist es einleuchtend, daß einem Monarchen, der die unüberwindlichen Hindernisse, welche sich der Ausführung seiner Vervollkommnungsplane in den Weg legen würden, jetzt schon anfing zu ahnen, der Gedanke nahe liegen mußte, diese Bürde von sich zu werfen, um seine unermüdete Thätigkeit mit mehrerm Vortheil und vielleicht mit glücklicherm Erfolge andern, ihm näherliegenden Provinzen zu widmen. Erst als dieser große Plan vereitelt ward und der deutsche Bund sogar in Zukunft seine Ausführung unwahrscheinlich machte, gewannen die Reformen des Kaisers in den Niederlanden ein ernstlicheres Ansehen.
Wie weit ging denn nun des Kaisers Befugniß und Recht, seine Neuerungen durchzusetzen? Ueber diese Frage ward bereits lange und wird auch noch gestritten. Du weißt, was ich von solchen Fragen halte, wobei jede Partei gewisse Positionen als ausgemacht zum Grunde legt und keine bis auf die letzten Vernunftgründe zurückgeht. Denkende Männer, nicht blos die maschinenmäßigen Actenleser, denkende Männer, die sich sonst von den Fesseln des Vorurtheils frei zu erhalten wissen, können sich doch in einem solchen Fall, wo das Glück eines Volks von den Maßregeln eines Fürsten abhängt, vor einer kaltblütigen Erörterung scheuen und wol gar verlangen, daß das Herkommen, die Gewohnheit, das Ansehen der Person und die einmal bestehende Autorität als unantastbare Heiligthümer gelten sollen. Das Gefühl, welches sie zu dieser Forderung verleitet, macht ihrem Herzen Ehre, indeß freilich nur auf Kosten des Verstandes. Sie verwechseln nämlich handeln und denken, und ohne es selbst zu wollen, begünstigen sie dadurch einen ärgern Despotismus als denjenigen, den sie bestreiten. Die Folge der kaiserlichen Reformen war Widerstand, Aufruhr, Krieg; das Blut von Tausenden mußte fließen, die Ruhe von Millionen ward geopfert – für was? – für den Einfall eines Monarchen. Rühmlich und gut war seine Absicht, aber bei einem zweifelhaften Erfolg, und wenn so vieler Menschen Wohl auf dem Spiele steht, darf niemand selbst das Gute nicht durch gewaltsame Mittel erzwingen, dem Volke die gewissen oder eingebildeten Vortheile, die es schon genießt, nicht eigenmächtig entreißen, solange es in demjenigen, was man ihm an ihrer Stelle darbietet, keinen Gewinn erkennt. Im Gegentheil, man soll die goldene Regel des frommen Bonafides der Klosterbruder in Lessing's »Nathan der Weise«. Anmerkung d. Hg. befolgen:
Wenn an das Gute,
Das ich zu thun vermeine, gar zu nah
Was gar zu Schlimmes grenzt so thu' ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bei weitem nicht das Gute.
Noch mehr: der Thron schützt so wenig vor Irrthum, daß er unter gleichen Umständen oft eine Quelle desselben wird. Der Kaiser konnte wirklich irren, er konnte wol gar in guter Absicht etwas wollen, das an sich ungerecht und in allen seinen Folgen schädlich war. Wohlan! jene Maximen wollen wir einstweilen gutheißen, diese Möglichkeit zugestehen. Allein, wenngleich der Kaiser in den Niederlanden nichts hätte ändern sollen, so durfte er darum doch einsehen, was recht und gut, was der Bestimmung des Menschen und seiner ganzen Natur gemäß sei oder nicht. Mehr fordern wir auch nicht für uns; aber dies wenige darf man uns nicht verweigern, wenn man nicht allen Fortschritt der Erkenntniß hemmen und uns dem Rechte des Stärkern unterwerfen will. Ein anderes ist es, erkennen und öffentlich bekennen, was wahr, gut und recht genannt zu werden verdient, die Vernunft dort anwenden, wo sie am unentbehrlichsten ist, zur Prüfung der wichtigsten Verhältnisse des Lebens; ein anderes, die Welt nach dieser Erkenntniß, die sich nur allmählich einimpfen, nur langsam mittheilen und verbreiten läßt, plötzlich umschaffen und mit Gewalt vervollkommnen wollen.
Ueberdies ließe sich auch noch manches gegen die Allgemeinheit der Regel des guten Klosterbruders in Lessing's »Nathan« einwenden. Sie ist an ihrer Stelle in der Sittenlehre des einfachguten, stillen, beschränkten Menschen, der sich vom Geräusche der Welt zurückgezogen hat, in ihre Händel sich nicht mischen mag und den Rest des Lebens frommen Uebungen widmen will. Allein wer darf behaupten, daß diese Regel für alle Klassen von Menschen, nach der jetzigen Lage der Sachen, zur Richtschnur tauge? Andere Kräfte, andere Gaben, andere Erfahrungen und Ausbildungen haben auch eine andere Sittenlehre, wie einen ganz verschiedenen Beruf. Lessing sagt an einem andern Orte sehr schön, sehr wahr und edel: »Was Blut kostet, ist gewiß kein Blut werth«; allein man würde seinem Geiste unrecht thun, wenn man ihm die Folgerung andichten wollte, daß er alles Blutvergießen für entbehrlich gehalten habe. Sein durchdringender Verstand wußte zu wohl, daß alles, was geschehen ist, hat sein müssen. Für Meinungen ward ja von jeher Blut vergossen; und können wir leugnen, daß ohne die gewaltsamen Mittel, sie fortzupflanzen, wir vielleicht in unsern Wäldern noch Eicheln fräßen und Menschen wie die Thiere jagten? Der sanftmüthige Stifter des Christenthums sah voraus, daß er nicht den Frieden, sondern das Schwert und die Zwietracht brächte, und dennoch folgte er seinem innern Berufe. Wer wollte auch eines Luther Feuereifer nach Bonafides' Sanftmuth richten! Allerdings gibt es Fälle, wo man den Blick über die etwaigen Nachtheile hinaus, die im gegenwärtigen Augenblick aus einer Reform entspringen können, auf die guten Folgen richten darf, welche die Zukunft erst reifen und offenbaren wird. Allerdings darf man säen auf Hoffnung der zukünftigen Ernte. Die Frage ist nur, welches sind die privilegirten Menschen, die es wagen dürfen, sich über die vorhin erwähnte Einschränkung hinwegzusetzen und ihrem eigenen Blick in die Zukunft zu trauen? Wer darf die jetzige Ruhe in Erwartung der zukünftigen Wohlfahrt stören? Gibt es Merkmale, an welchen sich diese überlegenen Geister im voraus erkennen lassen? Oder bleibt es nicht immer in der Welt bei der alten Einrichtung, daß ein jeder nach seiner Einsicht und seinem Gefühle handeln müsse, auf seine Gefahr?
Wenn die Speculation einen Grundsatz aufstellt, so gibt sie ihm eine Allgemeinheit, die er in der Anwendung nicht behalten kann, wo unaufhörlich entgegengesetzte Tendenzen von Principien, die an sich gleich richtig, gleich gut und gleich allgemein sind, den Handelnden wo nicht in Verlegenheit setzen, doch zu Rücksichten nöthigen, die seine absolute Wirksamkeit einschränken. So mag es denn auch mit dem Begriffe von Volksglückseligkeit beschaffen sein, den man zuweilen so fest an die Erhaltung einer ruhigen Existenz zu knüpfen pflegt. Kein Bewegungsgrund – so will man behaupten – soll stark genug sein, den Vortheil zu überwiegen, der aus dem ungestörten Genusse der physischen Befriedigung entspringt. Auf die Gefahr, den Menschen in seiner einförmigen Lebensweise zu stören, soll es nicht erlaubt sein, ihn in neue Verhältnisse zu versetzen, die er blos der Neuheit wegen haßt. Wie aber, wenn jemand einsähe, daß, indem alles jetzt beim alten sein Bewenden hätte, das Misverhältniß bald zu einer Höhe steigen müßte, wodurch die Bande des Staats gewaltsam aufgelöst würden? Wie, wenn das ungestörte Beharren in einem Zustande der unvollkommenen Bildung, die den Menschen der Thierheit näher läßt als jenem Ziele, welches ihm in der Perfectibilität seiner Geisteskräfte gesteckt ist; wenn dieses schläfrige, träge Vegetiren endlich Unfähigkeit zur Vervollkommnung bewirkte; eine solche Erstarrung der Organe, die zur Vervollkommnung dienen, zu Wege brächte, daß die sinnliche Maschine keinen sittlichen Werth mehr erlangen, keiner subjectiven Ausbildung mehr fähig sein, sondern blos zu thierischen Funktionen tauglich bleiben könnte? Dann dürfte doch einem Manne, der große Macht in Händen hat und den Beruf in sich fühlt, mächtig in die Schicksale der Menschheit zu wirken, die Pflicht näher liegen, den Menschen Fähigkeit und Würdigkeit zum Genuß ihres Daseins zu verschaffen, als jene, ihnen einen Genuß zu sichern, der ihnen den Weg zum Ziel ihrer höhern Bestimmung abschneidet. Wer den Zweck will, muß auch die Mittel wollen. Ist die innere, sittliche Freiheit die wahre Grundlage menschlicher Glückseligkeit; ist alles Glück unsicher, außer demjenigen, welches in dem Bewußtsein der moralischen Unabhängigkeit besteht: so hintergeht man uns, wenn man in allen Fällen auf die Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes dringt und den hohen Genius anfeindet, der vielen Menschen Veranlassung gab, durch ungehemmte Wirksamkeit der Geisteskräfte sich zu jenem Bewußtsein emporzuschwingen.
Die aristokratische Partei schreit über Entweihung ihrer Rechte. Allein »in einem Staate, wo das Volk nicht wirklich repräsentirt wird«, erwidert die Gegenpartei, »dort existirt, strenge genommen, keine rechtmäßige Gewalt; alles ist Usurpation, und selbst die freiwillige Ergebung des Volks in den höchsten Willen der Aristokraten setzt eine schon früher an seinem Verstande verübte Gewaltthätigkeit voraus, ist ein Beweis von gekränkter Menschenwürde und verletztem Menschenrechte«. Alle sogenannten Souveränetätsrechte, behaupten die Demokraten ferner, sind ihrer Natur zufolge allen Menschen unveräußerlich eigen, und jede unwiderrufliche Uebertragung derselben, wann und wo sie auch erschlichen ward, ist nur ein Kennzeichen von menschlicher Ohnmacht und Unwissenheit. Diese beiden Eigenschaften sind allerdings so allgemein durch unsere Gattung verbreitet, daß sie gleichsam ihre charakteristische Bezeichnung ausmachen und allen Herrschern der Erde, statt des wirklichen Rechts, welches sie nimmermehr erweisen können, ein im verjährten Besitz und in fortdauernder Schwäche der Völker gegründetes, der Vernunft sogar furchtbar gewordenes Scheinrecht ertheilen. Solange die große Masse des Menschengeschlechts in einem Zustande der Unmündigkeit bleibt – und es hatte noch unlängst den Anschein, daß sie es ewig bleiben würde –, solange kann dieser Unterschied subtil und überflüssig scheinen; für denkende Menschen aber und für Völker, welche anfangen sich zu fühlen, ist er ohne Zweifel sehr gegründet und sehr erheblich zugleich. Nach diesen Voraussetzungen wäre es demnach offenbar: wer Joseph's Recht, in den Niederlanden nach seiner Erkenntniß des Bessern zu herrschen, in Zweifel zieht und seine Reform gewaltthätig nennt, der darf ihm wenigstens nicht das usurpirte, im Stumpfsinn und im Aberglauben des Volks geschöpfte Recht der Stände entgegensetzen.
Doch die Frage von Recht beiseite, so läßt sich allerdings noch bezweifeln, ob es der Klugheit des Regenten gerathen war, im gegenwärtigen Fall den Despotismus der Aristokratie entgegenzustellen und es darauf ankommen zu lassen, auf wessen Seite das Volk sich neigen würde. – Das Volk? Trägt es nicht überall die Fesseln der Gewohnheit als einen angeerbten Schmuck, den zu veräußern oder gegen eine schönere und nützlichere Zierde zu vertauschen es für ein Verbrechen hält! War es nicht in den Niederlanden insbesondere gleichgültig gegen jede Neuerung, auch wenn sie ihm, wie die Eröffnung der Schelde, mit keinem Umsturz seiner Verfassungen drohte und vielmehr reinen Gewinn zu bringen versprach? Konnte man vergessen, daß es in der Hand seiner Beichtväter ein blos leidendes Werkzeug ist? Vielleicht verachtete der Kaiser die wirklich auffallende Erschlaffung selbst dieser Theokraten, die dicke Finsterniß, in welcher ihre Geisteskräfte schlummern, die Feigheit, die so oft die Gefährtin eines bösen Gewissens ist; er glaubte vielleicht, die Sybaritenseelen würden zittern vor dem Ernst eines Mannes. Diese Ueberzeugung wäre dann ein neuer Beweis des Scharfblicks, womit Joseph die Menschen durchschaute. Wirklich zitterten sie, so oft er ihnen in furchtbarer Herrschergewalt erschien. Erst nach dem unglücklichen Feldzuge wider die Türken im Jahre 1788 wuchs ihr Muth gegen den sterbenden Kaiser, und selbst dann bedurfte es genau des ganzen Zusammenflusses von Begünstigungen des Schicksals, um ihnen das Zeichen zum Aufruhr zu entlocken.
Die Lieblingsidee des Kaisers, eine völlige Gleichförmigkeit des Administrationswesens und der Gesetzgebung in allen seinen Staaten einzuführen, ist ebenfalls nicht frei von Tadel geblieben. Es scheint in der That natürlicher, die Formen nach dem verschiedenen Genie der Völker abzuändern, als alle Völker in Eine Form zu zwängen. In Italien, Deutschland, Böhmen, Ungarn und Belgien sind die Menschen viel zu weit voneinander verschieden in physischen und moralischen Anlagen, in Sitten und Gewohnheiten, um gleichen Handlungen denselben Werth oder Unwerth beizumessen. Die Verschiedenheit des Bodens, der Lage, des Himmelsstrichs bestimmt diese Mannichfaltigkeit im Menschengeschlechte wie in der ganzen organischen Schöpfung, die nur durch sie desto reicher und schöner unsern Augen und unserm Verstande entgegenglänzt. Sie durch irgendeinen Mechanismus einschränken wollen, scheint beinahe eine Versündigung an der Natur. Allein zur Rechtfertigung des Kaisers muß man sich erinnern, daß er am Rhein und an der Donau, am Po wie an der Maas und Schelde, eine weit unbegreiflichere Gleichförmigkeit als die war, die er einführen wollte, wirklich errungen sah: eine Gleichförmigkeit des Glaubens an unsichtbare, die Vernunft und ihre Formen weit übersteigende Dinge, eine allgemeine, unbedingte Gleichförmigkeit, die sich bis auf die individuellsten Bestimmungen erstreckt, die sich ein Recht der unumschränkten Herrschaft über alle Gemüther des Erdkreises anmaßt und keinen Widerspruch erträgt. Die Entstehung eines ähnlichen Systems in politischer Hinsicht, in dem Verstande eines Monarchen, ist also leicht begreiflich, wenn man gleich bedauert, daß er es für so wichtig halten konnte. Ein solches Maschinenwerk hätte seinen Stolz beleidigen, es hätte seinem Geiste zu klein sein müssen. Der große Mann nimmt die Menschen wie sie sind, und indem er ihnen den Glauben an ihre Spontaneität und Selbstbestimmung läßt, weiß er sie, unfühlbar wie die Gottheit, nach seinem Willen und zu seinem Zwecke zu lenken.
Bereits im Jahre 1785 fing der Kaiser an, dieses System, welches er in seinen deutschen Staaten zum Theil schon gegründet hatte, auch in den Niederlanden einzuführen. Das Verbot der Einfuhr fremder Fabrikate und der Ausfuhr der rohen inländischen Producte fiel dem Speditionshandel dieser Provinzen sehr zur Last, indem es die Transportkosten durch die Erhebung starker Transitozölle um ein Merkliches erhöhte. Die Eintheilung des Landes in neun Kreise, nach dem Muster der österreichischen, die Ernennung der Intendanten in den Kreishauptmannschaften, die Einführung des neuen Gerichtssystems durch den Freiherrn von Martini, der dieses Geschäft in den italienischen Besitzungen des Kaisers bereits glücklich beendigt hatte, und die Abstellung verschiedener in den Privilegien zwar gegründeten, aber durch die Länge der Zeit in Misbräuche ausgearteten Einrichtungen, bedrohte den Adel und die höhern Stände überhaupt mit einer großen Schmälerung ihrer bisher genossenen Vorrechte und des überwiegenden Einflusses, den sie seit undenklichen Zeiten im Lande behauptet hatten. Es war des Kaisers Absicht, allen seinen Unterthanen, ohne Ansehen des Ranges, des Standes und der Person, gleichen Schutz des Gesetzes angedeihen zu lassen und von allen einen gleichförmigen Beitrag zu den Bedürfnissen des Staats zu fordern. Diesen gerechten und billigen Vorsatz konnte er aber nicht anders bewerkstelligen, als indem er den bisherigen Gang der Geschäfte in den Gerichtshöfen abänderte, wo derselbe zu verwickelt war und ihm gar zu viele Schwierigkeiten in den Weg legte, die Tribunale selbst aufhob und zur Erhebung der neuen Steuern andere Beamten, mit andern Vorschriften und Vollmachten als die vorigen, einsetzte.
Beinahe noch wichtiger war derjenige Theil seiner Reform, welcher die Diener der Religion betraf. In ihrer Person wollte er dem Volke bessere Erzieher und Führer bereiten, und stiftete zu dem Ende überall in seinen Landen, mithin auch in den belgischen Provinzen, ein Generalseminarium, ein Erziehungsinstitut für künftige Priester und Pfarrer, wo sie nach bessern Grundsätzen als bisher gebildet und in den Pflichten nicht blos des hierarchischen Systems, sondern auch der Menschheit und des Bürgers zweckmäßig unterrichtet werden sollten. Löwen, diese alte, einst berühmte, durch die Freigebigkeit ihrer Stifter vor allen andern begüterte Universität, die jetzt in den Pfuhl des ultramontanischen Verderbens gesunken war, erheischte die ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt des Monarchen und seiner Studiencommission. Die beinahe uneingeschränkten Gerechtsame dieser hohen Schule hatten daselbst in den Händen herrschsüchtiger Priester ein System von Misbräuchen, eine Verschwörung wider die Menschheit und was sie adelt, die Denkkraft, erzeugt, dessen schauderhafte Wirkungen ohne gänzliche Umschmelzung der Universität nicht vertilgt werden konnten. Es wurden anfänglich vier Direktoren in den vier Facultäten ernannt, um die Studien nach einem neuen Plan daselbst einzurichten; allein diese Vorkehrung, welche bei einem von der Geistlichkeit und dem päpstlichen Nuntius unter den Studenten angezettelten Tumult und in der Folge bei jeder Veranlassung den heftigsten Widerspruch erlitt, ward zuletzt unzulänglich befunden.
Die Erziehung des Volks, der Hauptgegenstand von Joseph's väterlicher Fürsorge, konnte nicht ohne große Kosten auf einen bessern Fuß gesetzt werden; die neuen Besoldungen der Schullehrer und Seelsorger beliefen sich auf ansehnliche Summen, zu deren Bestreitung der Fond erst ausgemittelt werden mußte. Den Kaiser führte sein Plan hier wie in Oesterreich, Ungarn und der Lombardei zu den todtliegenden oder gemisbrauchten Schätzen der Klöster. Die frommen Gaben und Stiftungen, womit die Vorzeit der Heiligkeit des monastischen Lebens fröhnte, zugleich aber sie wahrscheinlich auf die Zukunft hin untergrub und in wollüstigen Müßiggang verwandelte, sollten nunmehr ihre bisher verfehlte Bestimmung erreichen und, in einen allgemeinen Religionsfond gesammelt, dem Bedürfnisse des Volks, geläuterte, einfache Begriffe von Gottesdienst und Christuslehre zu empfangen, heilig sein. Die Klöster erhielten also den Befehl, den Betrag ihres Vermögens anzugeben; zugleich bestimmte man die Dörfer, wo neue Pfarren angelegt werden sollten, und um den Anfang der Rückkehr zur ursprünglichen Einfalt und Reinheit des Christenthums zu begründen, erschien das Verbot der Processionen und Wallfahrten, die den Müßiggang, den Aberglauben und die Immoralität im Volke unterhielten; die Andächtelei der Brüderschaften verschwand, die überflüssigen Feiertage wurden abgestellt und solchergestalt ward mancher Faden zerschnitten, durch welchen es der römischen Seelentyrannei vor zeiten gelungen war, ihr weites Reich auch in den Niederlanden zu begründen. Endlich schritt der Kaiser zur Aufhebung der entbehrlichsten Klöster und ließ die Güter der erledigten Prälaturen für Rechnung des Religionsfonds administriren. Alle diese Neuerungen brachten die Geistlichkeit in den Niederlanden mehr als in allen übrigen Provinzen seines Reichs wider ihn auf; und da sich alle Volksklassen zu gleicher Zeit für gekränkt und in ihren Rechten angegriffen hielten, alle nur erst das Unbequeme und die Last der Reformen empfanden, ohne in die Zukunft, wo ihnen wahre Vortheile winkten, hinausblicken zu wollen oder zu können, so erhob sich hier gleichsam eine allgemeine Stimme der Misbilligung, der Weigerung und des Unwillens.
Diese Uebereinstimmung gab den Vorstellungen, welche die Stände gegen die Verordnungen ihres Landesherrn einschickten, einen kühnen, zuversichtlichen, trotzigen Ton. Geduld und Güte waren die Beruhigungsmittel, deren sich der Kaiser anfänglich dagegen bediente. Den Nuntius Zondadari, als den Urheber der Unruhen in Löwen, hatte man aus dem Lande gejagt; aber den Cardinal von Frankenberg, der sich dabei nicht minder thätig bewiesen, behandelte Joseph, nachdem er ihn vor sich nach Wien hatte berufen lassen, mit ausgezeichneter Langmuth, und dem Bischofe von Namur verzieh er sein noch gröberes Vergehen. Die neue gerichtliche und politische Verfassung nahm mit dem 1. Januar 1787 ihren Anfang; der Staatsrath, der geheime und der Finanzrath wurden abgeschafft, und an ihre Stelle ein einziges Generalgouvernement mit einem dazu gehörigen Rath eingesetzt, worin der bevollmächtigte Minister des Kaisers den Vorsitz führte und über die sämmtlichen politischen und ökonomischen Angelegenheiten des Landes entschied. Alle Deputationen oder immerwährende Ausschüsse der Stände in den Niederlanden hob der Kaiser mit einem Federstrich auf und ließ dagegen einige Abgeordnete von den Ständen als Beisitzer in den Gouvernementsrath eintreten. Alle bis dahin subsistirende Gerichtshöfe, den hohen Rath von Brabant mit einbegriffen, alle Gerichtsbarkeiten der Gutsbesitzer auf dem platten Lande, alle geistlichen Tribunale und nicht minder die Gerichte der Universität Löwen annullirte er zu gleicher Zeit, um einem souveränen Justizhofe ( conseil souverain de justice) Platz zu machen, der in Brüssel residiren und als höchste Instanz in erforderlichem Falle die Revision der ebenfalls zu Brüssel oder zu Luxemburg in den dortigen Appellationsgerichten entschiedenen Processe übernehmen sollte. Die Eintheilung der sämmtlichen österreichischen Niederlande in neun Kreise war mit der Aufhebung aller bisherigen Grands-Baillis, Castellane und anderer Beamten verbunden, und schien berechnet, um die vorige Eintheilung nach den Provinzen gänzlich aufzulösen. Die Gubernialräthe oder Intendanten und ihre Commissarien erhielten die Oberaufsicht über alle Magistratspersonen und alle Administratoren der öffentlichen Einkünfte, nebst einer Jurisdiction, welche ihnen die summarische Justiz anvertraute.
Dieses furchtbare Heer von neuen Verfügungen drohte den Ständen augenscheinlich mit dem Verlust ihrer ganzen Autorität; einer Autorität, die, so sehr sie mit dem wahren Interesse des belgischen Volks stritt, ihnen gleichwol durch langwierigen Besitz und durch die feierliche, eidliche Bekräftigung aller ihrer Privilegien, von jedem neuen Thronbesteiger, und namentlich auch von Joseph II. im Jahre 1781, zugesichert worden war. Der Adel nebst dem dritten Stande, dessen Zustimmung unter den jetzigen Umständen leicht gewonnen ward, verbanden sich mit der Geistlichkeit zu gegenseitigem Beistande; sie wurden einig, zuerst das politische und gerichtliche System des Kaisers anzugreifen, und sobald ihnen dieses gelungen sein würde, mit vereinigten Kräften von neuem auf die Zurücknahme aller Verordnungen zu dringen, welche die geistliche Reform zum Ziele hatten.
Eine betrügliche Ruhe ging dem Ausbruch dieser verabredeten Bewegungen vorher. Der Kaiser hatte seinen Entschluß bekannt gemacht, seine erhabene Freundin, Katharina die Große, auf ihrem Zuge nach Taurien zu besuchen, und die Niederländer warteten den Zeitpunkt seiner Entfernung ab, um ihr Vorhaben auszuführen. Am 11. April hatte der Kaiser seine Residenz verlassen; am 17. versammelten sich die brabantischen Stände, und am 26. weigerten sie sich, die gewöhnlichen Subsidien zu bewilligen, es sei denn, daß alle neuen Einrichtungen, als unverträglich mit ihren Vorrechten, wieder aufgehoben würden. Das vom Kaiser abgesetzte Conseil von Brabant erklärte am 8. Mai die neuen Gerichte für verfassungswidrig und alle ihre Proceduren für nichtig. In Flandern, Hennegau, Tournesis, Mecheln und Geldern folgte man diesem Beispiele; nur Limburg und Luxemburg blieben ruhig und äußerten ihre Zufriedenheit mit der neuen Verfassung. Das Vorrecht der Niederländer, nur in ihrem Vaterlande gerichtet zu werden, war in der Person eines Seifensieders, de Hont, verletzt worden. Er sollte Betrug an einer landesherrlichen Kasse verübt haben; man hatte ihn in Verhaft genommen und nach Wien geliefert. Das Volk, gestimmt und gereizt durch die Widersetzlichkeit der Stände gegen das Gouvernement, bediente sich dieses Vorwandes, um mit einem allgemeinen Aufruhr zu drohen. Schon umringte es das Rathhaus und schickte zu den versammelten Ständen hinauf, um anzufragen, ob es zu den Waffen greifen solle; schon sah man Vornehme und Geringe, ohne Unterschied des Geschlechts, sich unter diesen Pöbel mischen, um ihn zu Gewaltthätigkeiten anzufeuern; schon schleppte man Strohmänner mit dem daran befestigten Namen »Kreishauptmann« durch die Straßen und verbrannte sie auf öffentlichem Markte; man warf dem Minister, Grafen von Belgiojoso, und andern kaiserlichen Beamten die Fenster ein und bewog dadurch den Präsidenten des souveränen Justizhofs, von Crumpipen, seinen Posten zu resigniren. Die Concessionen, wozu sich die Erzherzogin Christine nebst ihrem Gemahl genöthigt sah, schienen das Volk und die Stände nur beherzter zu machen. Am 30. Mai erfolgte in Brüssel ein neuer Auflauf, der mit den fürchterlichsten Symptomen ungezügelter Wuth im Pöbel und mit einer ungestümen Forderung von seiten der Stände an die Generalgouverneurs begleitet war. Die peremptorisch verlangte und noch denselben Abend erfolgte Entschließung, von der man schwerlich erfahren wird, wieviel davon erzwungen und wieviel freiwillig oder absichtlich zugestanden war, enthielt die Versicherung, die Privilegien, Freiheiten, Herkommen und Gebräuche, wie sie seit zweihundert Jahren bestanden hätten, unverändert aufrecht zu erhalten und alles zu annulliren, was dawider geschehen sei. Das Volk ging am andern Morgen von einem Extrem zum andern über, von aufrührerischer Wuth zu ausgelassener Freude. Sechshundert junge Brabanter, aufs prächtigste gekleidet, zogen die Generalgouverneurs in ihrem Wagen unter Begleitung der Musik in die Komödie; die Stadt war erleuchtet, man löste die Kanonen und läutete mit allen Glocken.
Des Kaisers beschleunigte Rückkehr nach Wien verwandelte die schönen Hoffnungen, womit man sich schon wiegte, in Trauern und Zagen. Er berief die Generalgouverneurs und den Minister Belgiojoso zurück und forderte von den Ständen eine Deputation, die ihm ihre Beschwerden vorlegen sollte. Die Stände sowol als auch der Magistrat von Brüssel machten Miene, die Erzherzogin und den Herzog zurückzuhalten; sie weigerten sich sogar, die Deputirten abzuschicken. Der Kaiser erneuerte seinen Befehl, und man gehorchte. Nach der Abreise der Generalgouverneurs und des Ministers vereinigte Graf Murray auf Verfügung des Kaisers in seiner Person die Befehlshaberstelle über die Truppen mit der Würde eines Interimsgouverneurs. Er ließ die Besatzungen der verschiedenen Städte ausmarschiren, Lager im Felde beziehen und sich mit Munitionen und Artillerie versehen. Diese Maßregeln hielten die Bürgercorps, die sich hier und dort zu formiren und zu bewaffnen angefangen hatten, in einiger Furcht, welche sich auf die gewisse Nachricht, daß der Kaiser ein beträchtliches Kriegsheer nach den Niederlanden beordert habe, noch um ein Merkliches vermehrte. Die von Wien zurückgekommenen Deputirten bewogen endlich die Stände, sich dem Willen des Kaisers zu unterwerfen und alles wieder auf den Fuß herzustellen, wie es vor dem 1. April gewesen war. Alle Provinzen fügten sich einer Verordnung, welche die beleidigte Monarchenehre als Genugthuung befolgt wissen wollte, und bewilligten endlich die noch immer vorenthaltenen Subsidien. Die Bürgerschaft in Brüssel allein hatte sich in ihre Uniformen und Cocarden verliebt und weigerte sich, sie abzulegen. Murray ließ am 19. September Truppen einmarschiren, und der Schwindel der Einwohner ging wirklich so weit, dass sie sich zur Gegenwehr setzten. Die ganze Stadt war eine Scene des wüthendsten Aufruhrs. In diesem schrecklichen Augenblicke entwarf ein kaiserlicher General den Plan einer allgemeinen Plünderung und Verheerung der Stadt. Das Schwert würde Joseph II. fürchterlich an den Einwohnern von Brüssel gerächt haben, fürchterlicher als sein im Grunde menschliches Herz es je ertragen hätte, wenn nicht der Herzog von Ursel, schon damals der eifrigste Gegner despotischer Maßregeln, ins Mittel getreten wäre. Sein Ansehen und seine Geistesgegenwart retteten die Stadt. Nachdem der Auflauf zwei Personen das Leben gekostet hatte, gelang es dem Herzog am 20., die Bürgerschaft zu ruhiger Folgeleistung zu bereden.
Die Nachgiebigkeit der Generalgouverneurs hatte jedoch den Kaiser zu sehr compromittirt, als daß er im Ernst daran hätte denken können, seinen Reformationsplan durchsetzen zu wollen. Kaum war also jeder Widerstand besiegt und der Nacken der Sträubenden unter das Joch gebeugt, als bereits am 21. September, vermöge einer zu diesem Behufe schon fertig liegenden Depesche, den Ständen alle ihre Forderungen zugestanden wurden, und die alte Landesverfassung, bis auf wenige zu näherer Verständigung aufgehobene Punkte, in ihre ehemaligen Rechte trat. Ohne Zweifel hatte der zwischen Rußland und der Pforte jetzt ausgebrochene Krieg, woran der Kaiser thätigen Antheil nehmen mußte, einen nicht geringen Einfluß auf diese Entschließung. Damit indeß künftighin die Güte und Sanftmuth der Generalgouverneurs vor ähnlichem Misbrauch gesichert werden möchte, schickte der Kaiser den Grafen von Trautmannsdorf mit einer erweiterten Vollmacht als seinen Minister nach den Niederlanden; und wie der Erfolg zeigte, so lag ein Theil dieser Sicherung in der Art des Verhältnisses, welches der Kaiser zwischen seiner Schwester, ihrem Gemahl und diesem Minister festgesetzt hatte. Der General d'Alton erhielt zu gleicher Zeit das Commando aller in den Niederlanden befindlichen Truppen an der Stelle des zurückberufenen Grafen von Murray. Gegen das Ende des Januar 1788 kehrten der Herzog Albert und die Erzherzogin Christine in ihr Generalgouvernement nach Brüssel zurück.
Die Stände der belgischen Provinzen hatten nunmehr in politischer Rücksicht ihren Endzweck völlig erreicht, und es wäre ungerecht, ihnen so viel Einsicht abzusprechen, als dazu gehörte, sich an diesen Vortheilen zu begnügen und die vorbehaltenen Punkte, nämlich die Einrichtung des Generalseminariums und die Angelegenheiten der Universität Löwen, des Kaisers Willkür zu überlassen. Unter den edeln Familien von Brabant und Flandern gab es unstreitig auch einzelne gebildete und aufgeklärte Personen, denen die Reformen des Kaisers im geistlichen Fache in ihrem wahren, wohlthätigen Licht erschienen, und die es folglich gern sahen, daß das Erziehungswesen eine bessere Einrichtung bekam. Allein die Geistlichkeit erinnerte jetzt ihre Verbündeten an den vorhin mit ihnen abgeschlossenen Vertrag; sie forderte von ihnen unbedingte Unterstützung zur Wiedererlangung aller ihrer Privilegien, und wußte es dahin zu bringen, daß man sich verpflichtet glaubte, diese treue Bundesgenossin, die sich zur Aufwiegelung des Volks so geschäftig erwiesen hatte, nicht zu verlassen.
Auf diesen Beistand trotzten die Bischöfe, indem sie auf die Erhaltung ihrer Priesterseminarien drangen und sich jeder Neuerung, die der Kaiser zu Löwen vornehmen wollte, muthig widersetzten. Bei der Eröffnung seines Generalseminariums am 15. Januar 1788 fanden sich keine Zuhörer ein, um die Vorlesungen der neuen Professoren zu hören. Das Gouvernement ließ hierauf die bischöflichen Seminarien verschließen und den Lehrern bei Strafe verbieten, daselbst Vorlesungen zu halten; allein der Cardinal-Erzbischof von Mecheln wagte es, gegen dieses Verbot einen förmlichen Process anhängig zu machen. Schon einige Zeit vorher hatte auch der Universitätsmagistrat versucht, sich als einen unmittelbaren Landstand anerkennen zu lassen; eine Anmaßung, welche in den Privilegien keinen Grund hatte und daher auch bald durch ernste Maßregeln zurückgewiesen ward. Dessenungeachtet äußerten viele der vorigen Universitätsglieder eine so halsstarrige Widersetzlichkeit, daß man sie in Verhaft nehmen mußte; andere entfernten sich, um diesem Schicksal zu entgehen, und die Studenten zogen haufenweise fort. Dies bewog den Kaiser, am 17. Juli eine neue Verordnung ergehen zu lassen, vermöge deren er die medicinischen, juristischen und philosophischen Facultäten nach Brüssel verlegte, die theologischen hingegen sammt dem Generalseminarium zu Löwen ließ und dem Cardinal, der seinen Proceß mittlerweile verloren hatte, nebst den andern Bischöfen anbefahl, sich dorthin zu begeben und die daselbst vorgetragene Lehre zu prüfen, um sich von ihrer Orthodoxie zu überzeugen. Die allgemeine Bewegung, welche diese Verfügungen in Brabant verursachten, ließ sich leicht auf ihre Quelle zurückführen, und die militärische Gewalt dämpfte die Unruhen, welche darüber in Brüssel, Mecheln und Antwerpen entstanden.
Diese Tumulte waren indeß nur das Vorspiel zu wichtigern Auftritten. In Hennegau und Brabant hatte die Geistlichkeit alle Gemüther gestimmt, mit dem Adel und den Ständen alles gekartet. Wenige Monate zuvor hatten diese letztern dem Kaiser in den unterwürfigsten Ausdrücken ihre gänzliche Rückkehr zu seiner väterlichen Huld bezeugt und ihn angefleht, die Spur aller vorhergegangenen Irrungen durch die Wiederkehr seines Zutrauens zu vernichten. Jetzt bewilligten die beiden höhern Stände die Subsidien, von denen sie jedoch voraus wußten, daß der sogenannte dritte Stand, der nur aus den Abgeordneten der drei Städte Brüssel, Mecheln und Antwerpen besteht, der Abrede gemäß die Zahlung verweigern würde. Den Vorwand zu dieser Verweigerung schämte man sich nicht von der unterbliebenen Herstellung der Processionen und Brüderschaften zu entlehnen; man forderte die Zurückgabe aller aufgehobenen Klöster und die unbedingte Zurücknahme aller Neuerungen im geistlichen Erziehungswesen. Der Kaiser setzte dieser muthwilligen Forderung am 26. Januar 1789 eine sehr ernsthafte Erklärung entgegen, wodurch er sich von allen seinen übernommenen Verpflichtungen wegen der ohne Grund verweigerten Subsidien loszusagen drohte. Die Stände von Brabant, denen es noch nicht Ernst war, den Klerus bei einer so frivolen Veranlassung in Schutz zu nehmen, beugten sich von neuem unter den Scepter, bewilligten die Steuern und flehten um Verzeihung und Gnade. Zu Mons hingegen im Hennegau, wo die Entlassung des Herzogs von Aremberg von seinem Ehrenposten als Grand-Bailli und die Wiederbesetzung dieser Stelle durch einen Ausländer, den verhaßten General von Arberg, die Erbitterung schon weiter getrieben hatte, beharrten die Stände auf ihrer Weigerung, und es blieb kein anderes Mittel übrig als die Cassation ihrer Versammlung und ihrer Privilegien und die Gefangennehmung der vornehmsten Misvergnügten.
Bei dem Kreislauf der Kenntnisse, welcher seinen Einfluß über alle Gegenden von Europa erstreckt, bei der Menge von statistischen Begriffen, welche durch die fortwährenden Misverständnisse von mehrern Jahren zwischen dem Volk und dem Monarchen immer genauer entwickelt werden mußten, wäre es in der That eine beispiellose, unbegreifliche Höhe und Allgemeinheit der Unvernunft gewesen, wenn unter zwei Millionen Menschen die gute Seite der kaiserlichen Reformen keinem eingeleuchtet hätte. So wenig Nachdenken im allgemeinen unter den Niederländern stattfinden mochte, so tief sie auch gebeugt waren unter das Joch der Vorurtheile und des Aberglaubens, so gewiß mußten sich dennoch einzelne Menschen finden, die in eigener Thätigkeit des Geistes zu reinen, unumstößlichen Resultaten gelangten, und andere, die einer bessern Ueberzeugung, sobald sie sich ihnen darbot, offen und empfänglich waren. Solche einzelne fanden sich wirklich, wie ich schon erwähnt habe, unter dem zahlreichen Heere der niederländischen Rechtsgelehrten. Die Bürger, wenigstens die wohlhabendsten unter dieser Klasse, blieben nicht durchgehends ohne Empfänglichkeit für ihren Unterricht. In den Maßregeln des Kaisers – so sehr sie einen despotischen Geist verriethen und aus der Voraussetzung zu fließen schienen, daß der Zweck in des Monarchen Hand die Mittel heiligen könne – erkannte man dennoch ein Bestreben, den aristokratischen sowol als den hierarchischen Einfluß einzuschränken und dem Volk ein größeres Gewicht beizulegen, mithin eine gewisse Annäherung zu dem Ziele der kleinen Anzahl von Patrioten, die eine vollkommenere Repräsentation für die einzige Grundfeste der Volksfreiheit hielten. Man hatte sich geschmeichelt, daß der Kampf zwischen dem Kaiser und den Ständen diese vortheilhafte Wendung nehmen würde; allein durch die plötzliche Wiederherstellung der alten Verfassung ging diese Aussicht verloren und es blieb nur noch der schwache Schimmer einer Möglichkeit, jene demokratischen Grundsätze im stillen unter dem Volke zu verbreiten. So entstanden von jener Zeit an die patriotischen Versammlungen, wo die Advocaten Vonk, Verlooy und verschiedene andere auf ihre Mitbürger zu wirken suchten. Es gab sogar einzelne Personen vom höchsten Adel aus den ersten und berühmtesten Häusern, denen die Absichten dieser Demokraten nicht unbekannt blieben und die sie unter der Hand begünstigten; entweder weil sie selbst, von einem viel zu richtigen Gefühl geleitet, den Gedanken verwarfen, Theilnehmer an der aristokratischen Tyrannei zu werden, oder weil ihr Ehrgeiz bei der Demagogenrolle besser seine Nahrung fand.
Das Schicksal arbeitete indessen für diese Partei noch früher, als sie es erwarten konnte. Die Unterwürfigkeit der Stände bei der letzten Veranlassung war so weit gegangen, daß sie sich sogar zu einiger Abänderung der Grundverfassung geneigt erklärt hatten. Dem Kaiser blieb es noch in frischem Andenken, daß die fehlerhafte Constitution des dritten Standes schuld an der neulichen Verweigerung der Subsidien gewesen war. Er benutzte daher den günstigen Augenblick, um eine neue Verfassung dieses Standes in Vorschlag zu bringen, die ihn vor dem überwiegenden Einflusse der beiden andern sicherstellen und den Stolz der drei bisher allein repräsentirten Städte herabstimmen sollte. Einen Vorschlag von dieser Art hatte man nur erwartet, um das vorige Mistrauen in seiner ganzen Stärke zu äußern und die Larve des guten Vernehmens mit dem Monarchen wieder abzuwerfen. Da der Kaiser zu gleicher Zeit die Absicht zu erkennen gab, die Bewilligung der Subsidien auf ewige Zeiten, wie man sie bereits im Jahre 1754 in Flandern ein für allemal zugestanden hatte, auch in Brabant durchzusetzen, und da er sich für berechtigt hielt, von dem hohen Rath ( Conseil) oder Justizhofe von Brabant die Promulgation seiner Edicte, wenn sie nicht mit den beschworenen Privilegien stritten, unverweigerlich fordern zu können; so versagten die versammelten Stände ihre Einwilligung zu allen diesen Zumuthungen und beharrten auf ihrem Entschlusse, selbst nachdem der Kaiser, zum höchsten Zorn gereizt, das Conseil von Brabant und die Deputationen der Stände cassirt und alle Rechte und Privilegien der sogenannten Joyeuse Entrée oder des Grundvertrags zwischen ihm und den Belgiern förmlich widerrufen und vernichtet hatte. Hieran erfolgte noch am 18. Juni 1789 die Aufhebung der Stände selbst, wie im Hennegau.
Eine so schnelle, so plötzliche Umstimmung der Gemüther konnte nicht blos einem Anfall von übler Laune beigemessen werden, vielmehr mußte sie schon von fern her vorbereitet gewesen sein. In der That hatte die Priesterschaft seit der Verschließung der bischöflichen Seminarien das Volk zur Aufkündigung alles Gehorsams unablässig angefeuert. Ueberall hörte man jetzt gegen die Person des Kaisers die gehässigsten Beschuldigungen des Unglaubens und der Ketzerei. Der Erzbischof und Cardinal von Mecheln fuhr fort, das Generalseminarium als irrgläubig zu verdammen und den Professoren verfängliche Fragen vorzulegen. Diesem Trotz folgte endlich die vom Minister dem Prälaten angedrohte Strafe, ihn von allen seinen Würden zu entsetzen und die Zurückforderung der Ordenszeichen, womit die verstorbene Kaiserin ihn beschenkt hatte. Noch ungleich gefährlicher und ahndungswerther mußte dem Generalgouvernement das Betragen des Bischofs von Antwerpen erscheinen, indem es diesem sogar Hausarrest ankündigte. Wie kräftig die Ermahnungen dieser Friedensapostel gewesen sein müssen, zeigt die fast unmittelbar daraus im Volk hervorgebrachte Gärung. Der Pöbel in Tirlemont, Löwen und Diest rottete sich zusammen, plünderte die Häuser der Kaiserlichgesinnten nebst den landesherrlichen Kassen, und feuerte unter Anführung der Mönche, die ihnen das Beispiel gaben, auf die daselbst in Besatzung liegenden Truppen. Unstreitig trug die Fortdauer des Kriegs gegen die Türken, die den Kaiser nöthigte, seine ganze Macht an den östlichen Grenzen der Monarchie zusammenzuziehen, nicht wenig dazu bei, die Niederländer so beherzt zu machen. Der unvermuthete Umsturz der monarchischen Verfassung in Frankreich, welcher genau in diesen Zeitpunkt traf, vermehrte ebenfalls den Schwindel dieses misgeleiteten Volks. Endlich hatte auch die Eifersucht gewisser europäischen Mächte gegen Joseph und seine große Bundesgenossin sichtbaren Antheil an der Verwegenheit, womit die Unterthanen des Kaisers in allen seinen Staaten sich gegen seine Verordnungen auflehnten. Der Advocat Heinrich van der Noot Heinrich Nikolaus van der Noot, geb.1750 in Brüssel, Advocat daselbst, Hauptvolksführer in der belgischen Erhebung gegen Joseph's II. befreiende Neuerungen. Nach Beendigung des Aufstandes, 1790 durch das Einrücken der Oesterreicher, flüchtete er nach Holland. 1797 kehrte er nach Belgien zurück und starb arm und vergessen 1827. Anmerkung d. Hg. negociirte heimlich im Namen des belgischen Volks, dessen bevollmächtigten Agenten er sich nannte, an einigen benachbarten Höfen und körnte seine angeblichen Committenten mit erdichteten oder auch wirklich erhaltenen Versprechungen.
Unter allen diesen mitwirkenden Ursachen, die das Feuer der Empörung heimlich anfachten, war keine dem Kaiser so wichtig und so bedenklich als die unbedingte Macht der Geistlichkeit über die Meinungen des Volks. Er erkannte jetzt zu spät, daß, die Zeit allein etwa ausgenommen, nichts vermögend sei, den nachtheiligen Eindruck auszulöschen, den der Fanatismus in einem abergläubischen Volke gegen ihn heraufzaubern konnte. Solange die Reformen nur die bürgerlichen Verhältnisse des Staats und seiner Glieder betrafen, hatte man sich zwar widersetzt, jedoch nicht aufgehört, den Landesherrn zu ehren und alle Pflichten gegen ihn zu erfüllen. Hingegen von dem Augenblicke an, wo die Priesterschaft seinen Glauben verdächtig machen und seinen Einrichtungen den Anstrich gotteslästerlicher Eingriffe in die Mysterien der Religion geben konnte, verwandelte sich die Achtung seiner Unterthanen in Abscheu und Haß. Die furchtbare Beschuldigung der Ketzerei hatte noch jetzt in den Niederlanden dieselbe Kraft, wie vor dreihundert Jahren im übrigen Europa; sie löste alle Bande der Pflicht und der Menschheit und raubte dem Beschuldigten alle Rechte. Joseph empfand also noch am Schlusse des 18. Jahrhunderts die ganze unwiderstehliche Gewalt der theologischen Zauberformeln, die vor alters seine Vorfahren auf dem Kaiserthrone so tief gedemüthigt hatten. Er empfand vielleicht noch mehr; vielleicht schmerzte ihn wirklich, in dem zerrütteten Zustande, worin sich seine ganze Organisation so kurze Zeit vor ihrer Auflösung befand, die verlorene Liebe dieses verblendeten Volks. Das Glück der Unterthanen hatte ihm bei allen seinen Reformen am Herzen gelegen; sie hatten dieses Ziel verfehlt und er nahm sie zurück. Am 14. August erschien wirklich ein neues Edict, wodurch die Universität zu Löwen in alle ihre Gerechtsame wieder eingesetzt und die bischöflichen Seminarien von neuem eröffnet wurden. Allein der Zeitpunkt, worin diese Handlung die Gemüther hätte besänftigen können, war verstrichen; das Zutrauen des Volks war dem Monarchen entrissen; eine leidenschaftliche Erbitterung hatte sich aller Klassen bemächtigt und sie alle gegen ihn unempfindlich gemacht. Man schrieb der Ohnmacht, der Furcht, der Verstellung eine Nachgiebigkeit zu, woran diesmal die Güte wirklich theilgehabt haben konnte; und im Taumel der Freude über diesen Triumph fing man an zu glauben, das Volk dürfe nur wollen, um von seinem Herzog unabhängig zu sein.
Die demokratische Partei blieb bei dieser Lage der Sachen nicht unthätig. Der Advocat Vonk entwarf den berühmten Plan einer Association, die er pro aris et focis nannte, und wozu er sich nur mit sieben andern Verschworenen (Verlooy, Torfs, Kint, Wenmals, Daubremez, Fisco und Hardi) verband. Diese beeidigten jeder anfänglich sieben bis zehn neue Mitglieder, welche wieder andere aufnahmen, und so ging es fort ins Unendliche. Jeder Verschworene gab sich einen Namen, den er auf eine Karte schrieb; derjenige, der ihn aufgenommen hatte, schrieb den seinigen dazu, und ließ die Karte auf diese Art an die ursprünglichen Häupter des Bundes gelangen. Solchergestalt übersahen diese auf einen Blick die Anzahl der Verbündeten, und außer ihnen wußte niemand den ganzen Zusammenhang der Verschwörung. Städte und Dörfer wurden auf diesem Wege zu einem gemeinschaftlichen Zweck vereinigt; man leitete alles dahin ein, zu gleicher Zeit im ganzen Lande durch eine gewaltsame und plötzliche Anstrengung die Macht des Kaisers zu bezwingen, ohne zuvor das geringste von diesem Vorhaben ahnen zu lassen. So wurden zu Mecheln dreitausend Menschen in drei Tagen für die Association gewonnen; ganz Löwen gehörte in acht Tagen dazu; in den andern Städten von Brabant und Hennegau warb man ebenfalls die Majorität der Einwohner an.
Fast zu gleicher Zeit beschloß die patriotische Versammlung in Brüssel, an den Grenzen der Niederlande ein kleines Heer zu versammeln. Wer für das Vaterland die Waffen ergreifen wollte, ward heimlich in die Gegend von Hasselt im lütticher Gebiet geschickt und dort aus einer Kasse, wozu die reichen Klöster und Abteien, die Kaufleute von Antwerpen und andere Privatpersonen große Summen gaben, bis zur gelegenen Zeit unterhalten. In der holländischen Grenzstadt Breda und ihrer Nachbarschaft versammelte sich ein zweiter Haufe von Flüchtlingen, den die patriotische Versammlung zu Brüssel in der Folge ebenfalls in Sold nahm. Van der Noot, dessen Vollmacht einige Mitglieder des Prälaten- und des Bürgerstandes unterzeichnet hatten, fuhr noch lange fort, sich zu schmeicheln, daß eine auswärtige Macht den Niederländern Hülfstruppen bewilligen würde; doch endlich verschwand sowol diese Hoffnung, als die noch weniger gegründete auf französischen Beistand.
So kühn und wohlersonnen diese Maßregeln scheinen mögen, so wenig hätten sie gleichwol gegen sechzehntausend Mann regulärer Truppen vermocht, welche d'Alton in den Niederlanden commandirte. Allein zu den Unglücksfällen, welche die letzten Monate von Joseph's Regierung bezeichneten, gehörte vorzüglich auch dieser, daß unter seinen Bevollmächtigten der Geist der Zwietracht herrschte. Die unumschränkte Macht des Ministers Trautmannsdorf mußte ihn bei denen verhaßt machen, die sich durch ihn von einem wirksamen Antheil an der Regierung ausgeschlossen fühlten; es konnte sogar das Interesse einiger Mitglieder des Gouvernements geworden sein, den Unternehmungen der Niederländer den glücklichsten Erfolg zu wünschen, solange nicht die gänzliche Unabhängigkeit, sowol der Sache als dem Namen nach, der letzte Endzweck der Insurgenten war. Das Misverständniß zwischen dem General und dem Minister hatte den Punkt erreicht, wo man so leicht die Pflichten gegen den Staat und den Landesherrn aus den Augen setzt, um den Eingebungen des Hasses und der Privatrache zu folgen. Trautmannsdorf erhielt beständig die freundschaftlichsten Ministerialversicherungen von dem Gesandten der Generalstaaten, daß seine Souveräne keinen Antheil an den Bewegungen der Niederländer nähmen, und affectirte daher, die bedenklichen Nachrichten, die ihm d'Alton von Zeit zu Zeit einschickte, für unbedeutend zu halten. Es war indeß nicht zu leugnen, daß die belgischen Flüchtlinge zu Breda unter der Hand allen Vorschub erhielten, der nicht für einen offenbaren Friedensbruch gelten konnte. Die Generalstaaten weigerten sich auch, den niederländischen Emissar van der Noot, der sich im Haag aufhielt, auf Ansuchen des kaiserlichen Gesandten auszuliefern. Allein so lange die ganze Gefahr eines Angriffs nur von einem so kleinen, so schlecht gekleideten und bewaffneten, so gänzlich undisciplinirten Haufen wie der zu Breda herrühren sollte, war der Minister zu entschuldigen, daß sie ihm verächtlich schien. Vielleicht schmeichelte auch seinem Selbstgefühl der Gedanke, alles noch ohne Zuthun des Feldherrn beilegen und beruhigen zu können. So begreift man wenigstens, warum er den Kaiser von dieser Möglichkeit bis auf den letzten Augenblick zu überzeugen und ihn zu gütigen Maßregeln zu stimmen suchte, indeß er die kritische Lage der Sachen entweder verhehlte oder selbst nicht in ihrem ganzen gefahrvollen Umfang übersah. Der Mann, der, im Gefühl seiner ihm anvertrauten Vollmacht, zu seinen eigenen Kräften leicht ein großes Zutrauen fassen mochte, gab auch wol eine Seite seines Charakters preis, die man benutzen konnte, um ihn in seiner Täuschung zu erhalten. Die doppelte und schwer zu vereinigende Absicht, dem Kaiser seine Provinzen und sich selbst den ganzen Einfluß seines Postens zu sichern, ward unausbleiblich eine Quelle schwankender, unzusammenhängender, widersprechender Handlungen, welche nur dazu dienten, der Nation die Schwäche und innere Zerrüttung des Gouvernements noch deutlicher zu verrathen.
Die Auswanderungen wurden indessen immer häufiger und erregten endlich die Aufmerksamkeit der Regierung. Am 30. September wurden sie bei Strafe des Todes und der Einziehung der Güter verboten. Bald darauf marschirte der General Schröder mit einem ansehnlichen Detachement nach Hasselt, um die daselbst versammelten Insurgenten zu zerstreuen; allein bereits am 6. October hatten sich diese nach den Städten und Dörfern des holländischen Brabants gezogen und machten nunmehr mit dem zwischen Breda und Herzogenbusch entstandenen Haufen ein Heer von vier- bis fünftausend Mann aus. Um die Geistlichkeit außer Stand zu setzen, diese Truppen fernerhin zu besolden und mit Kriegsmunitionen zu versehen, erschien am 13. October ein Edict, welches die Einkünfte von zwölf begüterten Abteien, Tongerloo, St.-Bernhard, Affligem, Gembloux, Villers, Vlierbeek, St.-Gertrud, St.-Michael, Diligem, Grimbergen, Everboden und Heylissem, sequestrirte und einer kaiserlichen Administration unterwarf. Von allen Seiten liefen jetzt Denunciationen gegen viele verdächtige Personen von allen Ständen bei der Regierung ein, Vonk und Verlooy entkamen aus Brüssel in dem Augenblick, da man sich ihrer bemächtigen wollte; einige von ihren Verbündeten waren nicht so glücklich und geriethen in die Hände ihrer Verfolger. Allmählich wurden sogar die ersten Familien im Lande verdächtig gemacht. Fünf Mitglieder der Staaten von Brabant, die Grafen von Spangen, Lannoy, Duras, Coloma und Prudhomme d'Hailly, kamen in Verhaft; man bewachte die Herzoginnen von Aremberg und von Ursel in ihren Palästen, und warf sowol den Schriftsteller Linguet als den kaiserlichen Fiscal Le Coq und den Schweizer Secretan, Hofmeister der Söhne des Herzogs von Ursel, ins Gefängniß. Ganz Brüssel erbebte von dem Gerüchte einer Verschwörung, welche in ihren Wirkungen der Sicilianischen Vesper geglichen hätte; eine Anzahl Häuser, hieß es, sollten in die Luft gesprengt, die Offiziere der Besatzung, die Glieder der Regierung und der Rechnungskammer zu gleicher Zeit ermordet werden. Wie viel Wahres oder Erdichtetes in dieser Beschuldigung lag, könnten nur die Protokolle jener Zeit erweisen; allein, was auch immer die Ursache gewesen sein mag, dem Schweizer Secretan ward die Todesstrafe zuerkannt; man schleppte ihn in das finstere Behältniß, wo überwiesene Missethäter die Vollziehung ihres Urtheils abwarten müssen, und erst nach einer zweimonatlichen Gefangenschaft rettete ihn endlich die Revolution. Alle Gefängnisse in Brüssel waren jetzt mit Personen aus allen Ständen, mit Priestern, Kaufleuten und Adelichen angefüllt, die man insgesammt irgendeines Verbrechens wider den Staat beschuldigte. Alles verkündigte die allgemeine Gärung, das gänzlich verlorene gegenseitige Zutrauen und die nahe Entscheidung.
Die patriotische Armee setzte sich nun den 20. October wirklich in Bewegung. Vonk hatte ihr in der Person seines Freundes, des ehemaligen kaiserlichen Obersten van der Mersch Johann Andreas van der Mersch, geb. 1734 zu Menin, Militär in französischen, dann österreichischen Diensten, verabschiedet als Oberst, trat 1789 an die Spitze der belgischen Patrioten, schlug mehrfach die Oesterreicher, ward General, dann als freisinnig von der klerikalen Partei des van der Noot verhaftet und bis zum Einmarsch der Oesterreicher gefangen gehalten. Er starb 1792 auf seinem Gute bei Menin. Anmerkung d. Hg., einen geprüften Führer erworben. Ihre ersten Unternehmungen waren gegen Turnhout und die unbesetzten Schanzen Lillo und Liefkenshoek an der Schelde gerichtet. Der General Schröder, der ihnen am 27. nach Turnhout entgegenkam, hatte anfänglich einigen Vortheil; als er aber in die Stadt einrückte, empfing man seine Truppen mit einem heftigen Feuer aus den Fenstern und von den Dächern, welches ihn nach einem blutigen Gefechte zum Rückzuge nöthigte. Die Insurgenten verließen jedoch freiwillig alle diese Postirungen wieder, um von einer andern Seite, jenseit der Schelde, einen Versuch auf Flandern zu wagen. Ueberall, wo sie erschienen, verbreiteten sie ein kühnes Manifest, welches van der Noot entworfen und unterzeichnet hatte, worin sie den Kaiser der Herzogswürde verlustig erklärten und ihm allen Gehorsam förmlich aufkündigten. Um diese Zeit hatte sich ein Ausschuß oder Comité der Stände von Brabant nach Breda begeben und dirigirte von dort aus die Operationen des Patriotenheers. Hierher hatte eine streifende Partei auch den Kanzler von Crumpipen gefangen geführt, den jedoch die Generalstaaten auf Ansuchen des kaiserlichen Chargé d'affaires wieder in Freiheit setzen ließen.
Am 13. November ward Gent von den Insurgenten besetzt, die sich nach einem fürchterlichen viertägigen Kampfe, wobei ein Theil der Stadt eingeäschert ward, in dieser Hauptstadt von Flandern behaupteten. Zu gleicher Zeit erklärten sich alle Städte dieser Provinz gegen den Kaiser. Die Wirkungen der Vonk'schen Verbrüderung äußerten sich plötzlich in allen Gegenden von Flandern, Brabant und Hennegau; Bürger und Bauern griffen zu den Waffen und vertrieben oder vertilgten die kaiserlichen Besatzungen. Van der Mersch rückte jetzt zum zweiten mal an der Spitze von fünftausend Mann aus den holländischen Grenzen bei Hoogstraaten in Brabant ein. Die Bestürzung über die von allen Seiten drohende Gefahr war bei den Anhängern der kaiserlichen Partei in Brüssel so groß, daß die Generalgouverneurs bereits am 18. November die Stadt verließen und sich über Namur und Luxemburg nach Koblenz flüchteten. Verschiedene kaiserliche Beamte nebst einigen Personen vom hohen Adel folgten diesem Beispiel. Der Minister ließ alle Gefängnisse in Brüssel, Antwerpen, Löwen und Mecheln öffnen und die Verhafteten, die sich in die Hunderte beliefen, von welchem Range und Stande sie auch waren, ohne alle Bedingung in Freiheit setzen; er vernichtete am 20. das Generalseminarium zu Löwen, den Stein des Anstoßes der niederländischen Geistlichkeit; er widerrief am 21. im Namen des Kaisers das Edict vom 18. Juni, stellte am 25. alle Privilegien von Brabant in ihrem ganzen Umfange wieder her, versprach eine allgemeine Amnestie, dehnte sie am 26. auf alle Provinzen der Niederlande aus und verbürgte sich mit seiner Ehre, daß der Kaiser den ganzen Inhalt aller dieser Declarationen genehmigen würde. Allein diese Maßregeln brachten jetzt auch nicht die geringste Wirkung hervor und änderten nichts in dem entschlossenen Gange der Gegenpartei. Schon am 23. November versammelten sich zu Gent die Stände von Flandern, und am 25. beschlossen sie vor allen übrigen Provinzen, daß der Kaiser aller Hoheitsrechte über die Grafschaft Flandern verlustig sei, und daß den sämmtlichen Provinzen der Vorschlag zu einer niederländischen Union gethan werden solle.
Nachdem van der Mersch über Diest und Tirlemont gegen Löwen vorgerückt war und den General d'Alton genöthigt hatte, daselbst Vertheidigungsanstalten zu treffen, nahm er am 29. seine Stellung bei Leau, woselbst noch an eben dem Tage der Oberst de Brou mit Friedensvorschlägen eintraf. Am 2. December ward auf zehn Tage ein Waffenstillstand geschlossen, den van der Mersch auf zwei Monate zu verlängern versprach, wofern die Stände von Brabant zu Breda diese Verlängerung genehmigen würden. Der Minister schmeichelte sich umsonst, auf diese Art zu neuen Unterhandlungen Zeit zu gewinnen; weder die Stände von Flandern, noch das Comité von Breda wollte seine Vorschläge hören. Der ganze Vortheil des Waffenstillstandes blieb auf der Seite der Patrioten; sie hatte man dadurch gleichsam förmlich anerkannt, man hatte ihnen in dem deshalb aufgesetzten schriftlichen Vergleiche diesen ehrenvollen Namen zugestanden, und man ließ ihnen Zeit, ihre Armee durch Freiwillige und vor allem durch die scharenweise einkommenden Ueberläufer aus dem kaiserlichen Lager zu verstärken.
Die Entfernung des Generalgouverneurs, die Nähe der patriotischen Armee, die Wichtigkeit, die man ihr durch einen erbetenen Waffenstillstand gegeben hatte, endlich die täglich aufeinander folgenden Concessionen des Ministers mußten der Gegenpartei Muth machen, alles zu unternehmen. Selbst die Vorkehrungen, welche d'Alton zur Erhaltung der Ruhe in der Stadt getroffen hatte, dienten den Patrioten zur Erreichung ihres Endzwecks.
Die Klöster, in denen die Truppen einquartirt lagen, boten die beste Gelegenheit dar, sie zum Ueberlaufen zu gewinnen; man drückte sogar den Schildwachen Geldstücke in die Hand, nahm ihnen ihre Waffen ab und schaffte sie heimlich zur Stadt hinaus. Das Misverständniß zwischen ihrem General und dem Minister ward den österreichischen Kriegern ein dringender Bewegungsgrund, ihre Fahnen zu verlassen und dahin überzugehen, wo die Freigebigkeit der Patrioten ihnen außerordentliche Vortheile und die Klugheit der Maßregeln größere Sicherheit für ihr Leben bot. Am 7. December hatte Trautmannsdorf den Einwohnern die Außenwerke preisgegeben, welche d'Alton kurz zuvor hatte aufwerfen lassen, um die Stadt vertheidigen und zugleich in Furcht halten zu können. Von diesem Augenblick an verwandelte sich die Feigheit des Pöbels in das entgegengesetzte Extrem des tollkühnen Muths. Am 10. December ward in der Hauptkirche zu St.-Gudula für das Glück der patriotischen Waffen eine feierliche Messe celebrirt. Gegen das Ende des Gottesdienstes steckte jemand die Nationalcocarde an seinen Hut und hob ihn, allen Anwesenden zum Signal, auf seinem Stock in die Höhe. In wenigen Minuten trug alles in der Kirche, in wenigen Stunden alles in der Stadt die Cocarde.
In diesem furchtbaren Zeitpunkt der allgemeinen Ungebundenheit konnte nur Ein Gegenstand die Vorsorge des Gouvernements erheischen: man mußte Brüssel vor seinem eigenen Pöbel retten. Dahin war es aber zwischen d'Alton und dem Minister gekommen, daß dieser die Stadt in den Händen der Bürger sicherer glaubte, als unter dem Schutz eines Militärs, dessen Treue durch wiederholte Desertion von einer Stunde zur andern verdächtiger, dessen Macht auch aus demselben Grunde immer unzulänglicher ward. Am Abend gab daher Trautmannsdorf den Bürgern ihre Waffen wieder; die Bürgercompagnien zogen noch in derselben Nacht auf die Wache, und am folgenden Tage verlegte der General, nach einigen unbedeutenden Scharmützeln, alle seine Truppen in die höhere Gegend der Stadt. Der Waffenstillstand war jetzt verstrichen; der Ausschuß zu Breda hatte sich standhaft geweigert, die vorgeschlagene Verlängerung zuzugestehen, und d'Alton mußte befürchten, wenn er noch länger in Brüssel zögerte, dem General van der Mersch in die Hände zu fallen. Ein schneller Abzug rettete ihn vor einem allgemeinen Aufstand und Angriff des Volks. Er eilte so sehr, daß seine Kriegskasse und drei Millionen an baarem Gelde im königlichen Schatze zurückblieben. Die Flucht des Ministers verrieth dieselben Symptome der Uebereilung; erst als er schon zwei Meilen von Brüssel entfernt war, erinnerte er sich seines Versprechens an die auswärtigen Minister, ihnen den Tag seiner Abreise zu notificiren. Der Abend dieses merkwürdigen Tags, des 12. December, ward in Brüssel mit Freudenfeuern, Erleuchtungen und andern Feierlichkeiten begangen, und bereits am folgenden Morgen stellte man den hohen Justizhof von Brabant wieder her. An eben diesem Tage räumten die Kaiserlichen die Stadt Mecheln, und am 14. zog van der Mersch wie im Triumph zu Löwen ein. Namur ward von den Patrioten besetzt, und das sehr verminderte Heer des Kaisers concentrirte sich, nachdem es alle zerstreuten Commandos und alle Besatzungen an sich gezogen hatte, in Luxemburg und der umliegenden Gegend. Die mislungenen Versuche der Patrioten, etwas im freien Felde gegen diese geübten und disciplinirten Veteranen auszurichten, bestätigten die Vermuthung, daß die bisherigen Fortschritte der Niederländer nicht sowol ihrer Tapferkeit als vielmehr der Uneinigkeit unter den kaiserlichen Anführern und ihren widersprechenden Maßregeln zugeschrieben werden müßten.
Am 18. December intonirte der Cardinal-Erzbischof von Mecheln, der während der letzten Unruhen, indeß man ihn in Frankreich glaubte, bei einem Krämer in Brüssel versteckt geblieben war, ein feierliches Tedeum in der Gudulakirche. Die Stände von Brabant waren zugegen; der Advocat van der Noot ward überall als Befreier des Vaterlandes vom Pöbel im Triumph umhergeführt und bald hernach zum Minister der brabantischen Stände ernannt. In allen Städten der abgefallenen Provinzen publicirte man sein Manifest, und der ehrwürdigste Name, den das 18. Jahrhundert ausgesprochen hat, der Name Franklin, ward entheiligt, indem man diesen Priestersklaven damit schmückte. Jetzt eilten Deputirte aus allen Provinzen nach Brüssel, um einen allgemeinen niederländischen Congreß zu bilden, welcher sich an die Stelle des Souveräns setzte und das große Werk der Union am 11. Januar 1790 vollendete. Die Vorschläge, die der Graf von Cobenzl vom Kaiser mitbrachte, wurden ungehört verworfen und die neue Macht der vereinigten belgischen Staaten schien einen Augenblick ihre Unabhängigkeit vom habsburgischen Stamme behaupten zu können.