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VI.
Düsseldorf.

Ueber die Mittheilung der Eindrücke des Gesehenen. Wie bildet sich der Künstler? Erste Ansicht der Bildergalerie. Rubens' Jüngstes Gericht.

Heute weideten wir uns drei Stunden lang an der hiesigen vortrefflichen Galerie Die düsseldorfer Gemäldegalerie genoß im vorigen Jahrhundert eines wohlverdienten Rufs. Im Jahr 1805 wurde dieselbe nach München gebracht und bildet jetzt einen Hauptbestandtheil der Sammlungen in der dortigen Pinakothek und zu Schleißheim. Die 1866 aufs neue angeregte Frage, ob die Gemälde als Eigenthum der kurfürstlichen, jetzt königlich bairischen Regentenfamilie daselbst verbleiben oder als Eigenthum des ehemaligen Herzogthums Berg nach Düsseldorf zurückkehren sollen, ist noch nicht entschieden. Anmerkung d. Hg.. Gern nahm ich der Gelegenheit wahr, sie zum fünften mal in meinem Leben zu sehen, die Eindrücke von so manchem Denkmal des Kunstgenies und des Kunstfleißes aufzufrischen und vor allem an ein paar göttlichen Werken einer seelenvollen Phantasie, ein paar Lieblingsbildern, die stets gesehen dennoch immer neu bleiben und immer neuen Genuß gewähren, meine Augen und meinen Sinn zu erquicken. Du erwartest von mir weder eine Beschreibung noch ein Verzeichniß von diesem unschätzbaren Vorrath erlesener Meisterwerke. Weder ein trockener Katalog, eine mühsame Aufzählung aller einzelnen Stücke mit den Namen der Meister, noch selbst die treueste wörtliche Beschreibung dieser Gegenstände, deren Werth blos durch die Sinne empfunden werden kann, würde mich von dem Vorwurf der gemisbrauchten Geduld retten. Wo ist die Gemäldesammlung, von der man nicht nur vollständige, sondern sogar sogenannte raisonnirte Verzeichnisse hat, die mit Kunstwörtern fleißig ausstaffirt, mit Lobeserhebungen und nachgebeteter Verehrung manches berühmten Künstlernamens angefüllt sind?

Das Vergnügen, welches man bei dem Anblick eines Kunstwerks empfindet, wird dadurch geschärft, daß man die aus der Geschichte und Mythologie entlehnten Subjecte schon kennt und die Ausführung des Künstlers, seine Wahl des rechten, gefühlergreifenden Augenblicks, sein Studium der Natur in Zeichnung, Charakteristik, Stellung, Farbe, Beleuchtung und Kleidung der dargestellten Personen dagegenhalten kann. Allein von allem, was während dieses Anschauens und Vergleichens in uns vorgeht, läßt sich dem Abwesenden mit Worten wenig mittheilen, was seiner Einbildungskraft behülflich sein könnte, sich ein ähnliches Phantom des Kunstgebildes zu entwerfen. Die reiche Phantasie hat hier den Vortheil vor der ärmern, daß sie schon viele Bilder in sich faßt, auf die man sich beziehen, mit denen man das Gesehene vergleichen und solchergestalt sie in Stand setzen kann, sich eine lebhafte bildliche Vorstellung eines nie erblickten Gegenstandes zu vergegenwärtigen. Denn was mein Auge unmittelbar vom Gegenstande empfing, das gibt keine Beschreibung dem andern wieder, der nichts hat, womit er mein Object vergleichen kann. Der Botaniker beschreibe Dir die Rose in den gemessensten Ausdrücken seiner Wissenschaft, er benenne alle ihre kleinsten Theile, bestimme deren verhältnismäßige Größe, Gestalt, Zusammenfügung, Substanz, Oberfläche, Farbenmischung; kurz, er liefere Dir eine so pünktlich genaue Beschreibung, daß sie mit dem Gegenstande selbst zusammengehalten nichts zu wünschen übrigläßt: so wird es Dir, wenn Du noch keine Rose sahst, doch unmöglich sein, ein Bild daraus zu schöpfen, das dem Urbild entspräche. Auch wirst Du keinen Künstler finden, der es wagte, nach einer Beschreibung die nie gesehene Blume zu zeichnen; ein Blick hingegen, eine einzige Berührung durch die Sinnesorgane, und das Bild ist auf immer seiner Phantasie unauslöschlich eingeprägt. Was ich hier sage, gilt in einem noch höhern Grade von Dingen, die man vergebens in Worte zu kleiden versucht. Das Leben ist ein Proteus, der sich tausendfältig verschieden in der Materie offenbart. Wer beschreibt das unnennbare Etwas, wodurch in demselben Auge bald stärker, bald gedämpfter das inwohnende geistige Wesen hervorstrahlt? Gleichwol fassen wir mit den Sinnen diese zarten Schattirungen, und der Künstler selbst vermag ihr Gleichniß in seinen Werken darzustellen, sobald er sie scharf ergriffen in seine Phantasie getragen hat.

Ich möchte gern noch ein wenig länger umherschweifen, um desto eher zum Ziel zu kommen. Vergleichen, Aehnlichkeiten und Unterschiede bemerken ist das Geschäft des Verstandes; schaffen kann nur die Einbildungskraft, und in dem Objektiven sich selbst genießen nur jene reine innere Empfänglichkeit des Herzens, die ich in der höhern, eigentlichen Bedeutung des Wortes den Sinn nenne. Wir geben uns das Maß unserer Kraft nicht selbst, mehren und mindern es nicht, bestimmen nicht einmal die Art ihrer Aeußerung. Die Spontaneität unseres Wesens, vermittels deren wir empfinden, ist die gemeinste; sie ist sogar eine thierische Eigenschaft, und beide, die Phantasie sowol als der Verstand, setzen den Sinn voraus; ohne welchen sie leer und unwirksam blieben. Auch die Einbildungskraft hat man, wie mich dünkt mit Recht, den Thieren in gewissem Grade zuerkannt und daher der Urtheilskraft einen wesentlichen Vorzug vor ihr eingeräumt. Auf eine Rangstreitigkeit der Seelenkräfte wollen wir uns hier nicht einlassen, wenn man nur zugesteht, daß oft mit vieler Einsicht äußerst wenig Phantasie verbunden ist, hingegen die höchste schöpferische Energie des Geistes, der metaphysische Bildungstrieb, wenn ich ihn so nennen darf, welcher neue Wesen hervorbringt, ohne Phantasie sich nicht denken läßt.

Auf Verstand und Phantasie wirkt man aber weit öfter durch die Empfindung als umgekehrt. Wenn wir zum eigenen Hervorbringen zu kraftlos, zum Urtheilen und Vergleichen zu träge sind, dann genießen wir noch durch die Berührung verschiedenartiger Gegenstände, die auch ohne unser deutliches Bewußtsein ihre Grade der physischen Uebereinstimmung oder des Misverständnisses mit uns haben, uns anziehen oder abstoßen, angenehm oder widrig auf uns wirken. Mittelbar, durch die Sprache, können sogar diese Empfindungen von Herz zu Herz sich fortpflanzen; dies beweist insbesondere der Reiz, den Romane, Gedichte und andere leichte unterhaltende Schriften für den größten Theil der Lesewelt haben, und die Erschütterung, welche die darin geschilderten Empfindungen so allgemein verursachen. Diese Voraussetzungen scheinen mir auf die Kunst anwendbar, und meines Erachtens erreicht man besser seinen Endzweck, indem man wiedererzählt, was man bei einem Kunstwerke empfand und dachte, also wie und was es bewirkte, als wenn man es ausführlich beschreibt. Bei einer noch so umständlichen Beschreibung bedarf man einer höchst gespannten Aufmerksamkeit, um allmählich, wie man weiter hört oder liest, die Phantasie in Thätigkeit zu versetzen und ein Scheinbild formen zu lassen, welches für den Sinn einiges Interesse hat. Ungern läßt sich die Phantasie zu diesem Frondienst herab; denn sie ist gewohnt, von innen heraus, nicht fremdem Machwerk nach zu bilden. Aesthetisches Gefühl ist die freie Triebfeder ihres Wirkens, und gerade dieses wird gegeben, wenn man, statt einer kalten Beschreibung eines Kunstwerks, die Schwingungen mitzutheilen und fortzupflanzen versucht, die sein Anblick im innern Sinn erregte. Durch diese Fortpflanzung der Empfindungen ahnen wir dann – nicht, wie das Kunstwerk wirklich gestaltet war, aber gleichwol, wie reich oder arm es sein mußte, um diese oder jene Kräfte zu äußern; und im Augenblick des Affects dichten wir vielleicht eine Gestalt, der wir jene Wirkungen zutrauen und in der wir nun die Schatten jener unmittelbaren Eindrücke nachempfinden. Hier wird man mir doch nicht den Einwurf machen, daß ein solches aus der Empfindung allein geschöpftes Bild dem Werke des Künstlers sehr unähnlich ausfallen könne? Ich würde diesen Mangel gern eingestehen und mir nur die Frage erlauben, ob die Unähnlichkeit bei einer bloßen Beschreibung nicht noch mehr zu befürchten sei; die Gefahr zu geschweigen, daß in den meisten Fällen die Leser oder Zuhörer es wol nicht der Mühe werth finden möchten, ihrer Einbildungskraft diese Arbeit zuzumuthen, wo das Gefühl sie nicht dazu begeisterte. Allein was liegt denn auch daran, ob die Bilder, die wir uns selbst aus der bloßen Kraft unseres Wesens schaffen müssen, einem Vorbilde genau entsprechen? Je nachdem unser Geistesreichthum uns mit freigebiger oder mit karger Hand von der Natur gespendet ward, müssen auch seine Ausströmungen an Mannichfaltigkeit, Harmonie, Schönheit, Größe und Adel verschieden sein, und so oft es sich treffen mag, daß sie hinter dem, was große Künstler wirklich leisteten, weit zurückbleiben, sind doch auch die Fälle möglich, wo sie Meisterwerke überfliegen. Nicht immer sind die genievollsten, phantasiereichsten Menschen im Darstellen geübt, und wer erinnert sich hier nicht an Lessing's feine Bemerkung in seiner »Emilia«, daß auf dem langen Wege vom Sitze der Phantasie bis zum Pinsel oft so viel verloren geht? Wenn je ein Schluß a priori bindend ist, so bleibt es dieser: wo wir Seelenkräfte von seltner intensiver Stärke in einer göttlichen Harmonie vereint erblicken, da dürfen wir auf göttliche Ausgeburten sicher rechnen, sie mögen sich nun in materiellen Hüllen verkörpern, oder rein geistig, wie ihr Urquell, von Auge zu Auge, von Seele zu Seele hinüberblitzen. Gewiß, von diesen Geheimnissen der Geisteswelt sinnbilderte ich nicht so gelehrt, wenn ich nicht auf den Stufen des Tempels stände, wo jene Erscheinungen auch dem Akoluthen Akoluth (griech.), Diener, Nachfolger, Schüler; in der Sprache der Geistlichkeit Meßdiener; hier ein nur theilweise Eingeweihter, ein Dilettant. Anmerkung d. Hg. schon sichtbar sind.

Flamändische Maler haben den größten Antheil an der Bildergalerie in Düsseldorf. Ich hoffe, auf meinem Fluge durch Brabant und Flandern noch Denkmäler der Kunst anzutreffen, die mich mit ihnen aussöhnen sollen. Was ich hier nun schon so oft und mit einem so unbefangenen Sinn betrachtete, was ich in Potsdam, Kassel, Dresden, Wien und Mannheim von Werken des niederländischen Pinsels sah, war fast durchgehends von der Art, daß ich in dem vortrefflichen Handarbeiter den Dichter, in dem Bildner des Körperlichen den Seelenschöpfer vermißte. Denkt man sich den edeln Zweck der Kunst, die Ideen des Schönen, Erhabenen, Vollkommenen lebendig in uns hervorzurufen, so geht man oft an den gepriesensten Gemälden kalt und ungerührt vorüber, weil sie nichts von jener reinen, geistigen Phantasie verrathen, die das Gefühl in Anspruch nimmt. Freilich ist dies nicht die Stimmung, womit man eine Galerie von Gemälden besuchen sollte. Hier sind einzelne Verdienste schon hinreichende Empfehlungen, um einem Gemälde einen Platz zu verschaffen. Farbengebung, Beleuchtung, Gruppirung, kurz ein jeder Beweis von einer gewissen Energie im Darstellen hat hier Ansprüche auf Beifall, ja sogar auf Bewunderung. Ist es indeß eine Sünde wider die Kunst, bei dieser Zerstückelung des Verdienstes nichts zu empfinden, so will ich mich nur schuldig bekennen. In meinen Augen bleiben Götter, denen gerade das Göttliche, Helden, denen Geistesgröße, Grazien, denen Anmuth fehlt, allemal verunglückte Werke des Künstlers, er bezeichne sie noch so gelehrt durch Attribute, zeige dabei Studium der Natur und Antike und colorire das Fleisch nach dem Leben. Irre ich hier, so irre ich mit Horaz, wo er sagt:

infelix operis summa, quia ponere totum nesciet.
Verunglückt ist das Werk des Künstlers, der
Zwar alles, doch nichts Ganzes machen kann.

Ich fordere von dem Kunstwerke, das mir gefallen soll, wahrlich keine absolute Vollkommenheit, allein wesentliche Mängel oder Gebrechen darf es wenigstens nicht haben. Laß mich immer wieder auf meinen Lieblingssatz zurückkommen, der sich mit meinem ganzen Wesen so ganz identificirt: der Künstler, der nur für Bewunderung arbeitete, ist kaum noch Bewunderung werth. War hingegen seine Seele so reich, sein Trieb zum Bilden so kräftig, daß jener Beweggrund gänzlich wegfiel oder wenigstens ihn nie in seiner Unbefangenheit störte, daß er nur im Gefühl seiner überschwenglichen Schöpferkraft malte, so ist mir nicht bange, daß seine Werke nicht Abdrücke seiner selbst, mit allen Kennzeichen des Genius begabt, sein sollten. Auch hier gibt es indeß noch Stufen und Schattirungen. Die erste Organisation des Künstlers, seine Erziehung und Ausbildung von der Wiege an, sein Zeitalter, sein Wirkungskreis und sein Wohnort, alles arbeitet mit vereinten Kräften, eine eigenthümliche Stimmung in ihm hervorzubringen, auf eine bestimmte und beschränkte Art Ideenverbindungen in seine Seele zu legen und in seiner Phantasie herrschend zu machen, die in der Folge auf den Zuschauer eine ganz andere als die gewünschte Wirkung thun. Der Kanon des Schönen, den keine Vorschrift mittheilt, könnte vielleicht einem kühnen Geiste voll Künstlerfeuers fremd geblieben sein; die rohere, gemeine Natur um ihn her könnte ihn gehindert haben, seinen Blick bis zum Ideal zu erheben; Aberglaube, Fanatismus, Geschmack des Jahrhunderts könnten ihn in der Wahl seiner Gegenstände misleitet haben, sogar ihn haben scheitern lassen an der gefährlichsten Klippe für die Kunst, an dem Wunsche nämlich, mit dem Angenehmen das Nützliche als letzten Zweck zu verbinden, dieser fälschlich sogenannten Sittlichkeit der Kunst, welche die Wahrheit der Natur verleugnet und, indem sie belehren will, hintergeht. Der herrlichste Bilderreichthum kann, solchen Begriffen untergeordnet, in Erstaunen setzen und Bewunderung vom Zuschauer erzwingen, wenn eine hohe Darstellungsgabe damit verbunden ist; aber den Künstler, der so sich äußert, wird man in seinem Werke so wenig lieben können als jene morgenländischen Nationalgötter, deren Offenbarung nur Grausen und Entsetzen in den Gemüthern erweckte.

Ich will ihn ja bewundern, diesen großen Rubens Peter Paul Rubens, geb. 1577 zu Siegen in der Grafschaft Nassau oder zu Köln, gest. 1640 zu Antwerpen, ein hochgefeierter, wunderbar vielseitiger und productiver Maler, bewährte sich zugleich auf wiederholten Reisen nach Madrid und London als geschickter und glücklicher Diplomat. Gemeiniglich verweilte er in Antwerpen. Forster nennt ihn hier den Ajax unter den Malern, wol mit Bezug auf Ajas, Oileus' Sohn, welchen Homer als einen besonders behenden Läufer und tapfern Kämpfer preist; ebenso bietet der Trotz des Ajas gegen die Götter und Rubens' kecke großartige Darstellung des Letzten Gerichts Vergleichungspunkte. Anmerkung d. Hg., den Mann von unerschöpflichem Fleiße, von riesenhafter Phantasie und Darstellungskraft, den Ajax unter den Malern, dem man gegen viertausend bekannte Gemälde zuschreibt, dessen Genie den Himmel und die Hölle, das letzte Gericht über die unzähligen Myriaden des wiedererstandenen Menschengeschlechts, die Seligkeit der Frommen und die Pein der Verdammten in ein ungeheures Bild zu fassen und dem Auge sichtbar zu machen wagt; groß nenne ich es allerdings, so etwas mit dem Pinsel in der Hand zu unternehmen, diesem Chaos von Gestalten, wie sie mannichfaltig verschlungen in der Phantasie des Künstlers ruhten, Dasein auf der Leinwand zu geben, so umfassend in die heterogensten Gegenstände die bindende Einheit zu bringen und das Weltall mit wenigen Zügen zu erschöpfen. Dessenungeachtet wende ich meine Augen mit Schauder und Ekel hinweg von einer Darstellung, worin das Wahre, das der Natur so treulich Nachcopirte, nur dazu dient, ein Meisterstück in der Gattung des Abscheulichen zu vollenden. Unter allen Fehlern, in die der Künstler verfallen kann, ist keiner so groß, so durch kein Verdienst abzukaufen, als der, wenn er die Grenzen seiner Kunst verkennt. Was der Dichter in Worten schildern, was er sogar mit den stärksten Ausdrücken bezeichnen kann, das darf der Maler nicht gleich auch in Umriß und Farbe fassen. Alle die Abstractionen, die dem Schriftsteller so sehr zu statten kommen, sind für die bildende Kunst gänzlich verloren. Mit einem Worte, mit einem conventionellen Zeichen ziehen wir in unsern Kreis hinab, was gänzlich außerhalb desselben lag; Allmacht, Ewigkeit, Unendlichkeit, ja das Unbegreifliche selbst wird uns durch diese Bezeichnung zum Begriff. Allein empört sich nicht unser ganzes Gefühl gegen eine willkürliche Versinnlichung solcher Worte? Die Einbildungskraft des hochberühmten Rubens hat sich indeß vielfältig auf diese Art beschäftigt. In der hiesigen Galerie sind nicht weniger als fünf Gemälde damit angefüllt. Vom Jüngsten Gericht ist sowol eine kleine Skizze, als ein Stück in den größten Dimensionen vorhanden. Auch die Hölle sieht man zweimal abgebildet, einmal nämlich den Sturz der Dämonen auf einem größern Blatt, und sodann die Verstoßung der Verdammten in einem kleinern Entwurf, erglühend von verzehrendem Feuer. Ein fünftes Stück stellt uns die Scharen der Seligen vor Augen. Unter diesen Gemälden ist das große Bild vom Jüngsten Gericht das ruhigste, wenn man die größere Sorgfalt in der Anordnung mit diesem Ausdruck bezeichnen darf. Verglichen mit den übrigen möchte man es kalt nennen, denn vermuthlich hatte sich die Künstlerwuth in ihren ersten Ergießungen schon erschöpft.

Ich will es vergessen, daß der Gegenstand dieses Gemäldes offenbar außerhalb der Sphäre des Malers liegt. Die sinnliche Vorstellung dessen, was allen Begriff übersteigt, kann nicht anders als verkleinerlich ausfallen. Wie mag es also der Künstler mit dem Zweck seiner Kunst zusammenreimen, daß er Dinge abzubilden wagt, die in seinem Bilde nicht an Größe und Erhabenheit gewinnen, sondern augenscheinlich verlieren? Doch dieser Fehler ist bei modernen Künstlern so gewöhnlich und so tief gewurzelt in der oft nicht von ihnen selbst abhangenden Anwendung ihres Talents auf die Geheimnisse des Christenthums, daß Rubens darum nicht mehr zu tadeln scheint als Michel Angelo. Ich will es ebenfalls nur im Vorbeigehen berühren, daß schon gesellschaftliche Verhältnisse dem Maler verbieten sollten, einen Gegenstand der allgemeinen Ehrfurcht durch eine Schilderung verächtlich zu machen. Zwar weiß ich wohl, daß Tausende von Reisenden, denen dieses Bild schon wegen seiner Höhe von achtzehn Fuß oder, wenn es hoch kommt, wegen der darauf vorgestellten erhabenen Wesen Bewunderung und Anbetung entlockt, sich nimmermehr werden einfallen lassen, hier an eine compromittirte Würde der Religion zu denken; sowenig wie der Kapuziner in Spanien, der sein schmuziges Crucifix, woran die Ueberreste unflätiger Berührungen klebten, dem Reisenden zum Küssen darbot, sich träumen ließ, daß in einem solchen Zustande das Heiligste nur Ekel einflößen könne. Aber was gehen uns die grobsinnlichen Vorstellungen an, womit der geringe oder auch der höhere Pöbel seine Glaubenslehren noch mehr als durch ein unschickliches Bild geschehen kann, erniedrigt und seine schreckliche Unwissenheit an den Tag legt?

Doch hinweggesehen von allem, was diese strenge Kritik fordern kann, steht dem Kunstwerke noch eine andere Prüfung bevor. Es ist nicht genug, daß wir das Jüngste Gericht in dem Gemälde wirklich wiederfinden, wenn der Galerieinspector uns zuvor belehrt hat, diesen unbegreiflichen Augenblick der Zukunft darin zu suchen. Der Künstler muß vielmehr so klar und deutlich erzählen, daß wir auf den ersten Blick, was er darstellen will, sei es Geschichte oder Dichtung, in seinem Bilde wiedererkennen; oder aber wenn dieses nicht der Fall ist, wenn er nur auf jene vorher bekannten Gegenstände anspielen, ihre einzelnen Züge hingegen aus seiner eigenen Phantasie neu schöpfen will, so dürfen wir wenigstens zum Ersatz von ihm fordern, daß auch sein Gedicht ein schönes edles Ganzes sei, dessen Theile sich harmonisch zusammenfügen und sowol im einzelnen als in der Verbindung miteinander diejenige Rührung im Gemüthe des Zuschauers hervorbringen, ohne welche es Jammer wäre, daß jemals Zeit und Kraft an irgendeine bildende Kunst verschwendet wurden. Ist dieses nun die Wirkung von Rubens' großem Meisterwerke? Noch nie, ich gesteh' es Dir frei heraus, fand mein Auge darin einen Punkt, wo es hätte ruhen können. Nein, es war keine der Musen, die den Künstler zu solchen Ausgeburten begeisterte. An der dithyrambischen Wuth, die durch das Ganze strömt, an diesen traubenähnlichen Gruppen von Menschen, die, als ekelhaftes Gewürm ineinander verschlungen, eine verworrene Masse von Gliedern und – schaudernd schreib' ich, was ich sehe – einen kannibalischen Fleischmarkt vorstellen, erkennt man die wilde bacchantische Mänas, die alle Bescheidenheit der Natur verleugnet und, voll ihres Gottes, den Harmonienschöpfer Orpheus zerreißt.

Ganz zu oberst, am Rande des Bildes, ragt ein Greis hervor, fast wie die Alten den Neptun zu bilden pflegten, mit zerwehtem Haar und straubigem Bart. In seiner Linken hält er ein Kügelchen, nicht so groß wie sein Kopf; die Rechte ruht auf einer großen hellen Wolke, die von der Brust an seinen ganzen Körper verdeckt. Man ist gewohnt, auf diese Art ein Wesen darzustellen, welches eine jede Abbildung von ihm selbst ganz unbedingt verboten hat und in der That, wenn man sich einen Augenblick besinnt, auch schlechterdings nicht abgebildet werden kann. Ohne die Gewohnheit, die uns dergleichen Vorstellungen erträglich macht, würde es unmöglich sein, in dieser kümmerlichen Menschengestalt die erste Person des unsichtbaren Gottes, der ein unendlicher Geist ist, zu erkennen. Doch wir wollen es mit dieser Figur nicht so genau nehmen; Rubens verräth seine Verlegenheit hinlänglich, indem er sie im Hintergrunde hält, in sich gelehrt, mit halbgeschlossenen Augen, an dem, was unten vorgeht, keinen Theil nehmen und an allem, was Größe und Göttlichkeit bezeichnen könnte, leer ausgehen läßt, vermuthlich, damit die Hauptfigur so reich als möglich erscheinen möge. Tiefer hinabwärts sitzt auf den Wolken der Sohn Gottes. Ueber seinem Haupte schwebt die göttliche Taube oder, wenn man darüber streiten wollte, wenigstens gewiß ein Vogel; und ebenso schweben auch, jedoch weder beseelt noch beflügelt, das Scepter und das flammende Schwert. Wenn man die größte Anstrengung neuerer Künstler betrachtet, ist es unmöglich, sich des Gedankens zu erwehren, wie arm und hülflos in Absicht des Erhabenen und Idealischen sie dastehen würden, wenn sie nicht die Griechen zu Vorgängern und Mustern gehabt hätten. Dieser Weltrichter, den Rubens in den furchtbaren Ernst einer strafenden und belohnenden Gottheit kleiden wollte – was wäre der unter seinen Händen geworden, wenn uns keine Bildsäule eines Jupiter oder eines bärtigen Bacchus übriggeblieben wäre, deren Gesichtszüge und Stellung sogar er hier copiren mußte? Das Erborgte dieser Hauptfigur ist so auffallend, daß es mit der flamändischen Feistigkeit, die tiefer unten herrscht, einen seltsamen Contrast bildet; allein was sie noch widriger auszeichnet, ist der verfehlte Effect in allen Details, wo der Künstler es sich erlaubte, von der Antike abzuweichen, um die Spur seiner Nachahmung zu verdecken. Der theatralisch aufgehobene rechte Arm stört die ganze Harmonie dieser Figur und raubt ihr alle Würde. Alles an ihr ist aufgeregt, ob sie gleich sitzend vorgestellt wird; die linke Hand macht eine von sich stoßende Bewegung, der linke Fuß schreitet vor, der rechte ist unterwärts zurückgezogen, der Kopf rechts hingewandt, und das Kleid schwillt hoch auf vom Winde, sowol über der linken Schulter als hinter dem Rücken. Diese leidenschaftliche Stellung gibt einen unauslöschlichen Ausdruck von Schwäche; sie hat nichts von der erhabenen gleichmüthigen Ruhe der Gerechtigkeit und ein ehrbarer sterblicher Richter auf einem irdischen Stuhle wurde sich ihrer schämen. Ich begreife wohl, daß Rubens durch diese Bewegung Aufmerksamkeit erregen, Handlung andeuten, Eindruck machen wollte; allein eben darin liegt das Versehen, daß er dies alles durch Geberdenspiel erzwingen wollte. Er verwechselt also Seelenausdruck mit Leidenschaft; anstatt uns beim Gefühl zu fassen, declamirt er uns vor. Dieser Fehler ist der flamändischen Schule eigen; das blos Physische fesselt sie zu sehr, füllt so ganz ihre Einbildungskraft, daß ihr keine Hermeneutik der innern Geisteskräfte möglich ist. Grobe Pathognomik sieht man zwar bei diesen Künstlern, Leidenschaft oder auch sinnliches Gefühl können sie schildern; aber Seelengröße, Erhabenheit, Gedankenfülle, gehaltene Kraft, Zartheit des unterscheidenden Sinnes, kurz alles, was den Menschen adelt, ist bei ihnen das Werk des Zufalls oder einer höchst seltenen Ausnahme.

Auf demselben Wolkengewölbe mit dem Erlöser, aber in einiger Entfernung hinter ihm, stehen ihm zur Rechten Maria mit Petrus und Johannes, zur Linken Moses mit den Stammältern des Menschengeschlechts; im Hintergrunde zu beiden Seiten verlieren sich die Heiligen in großer Anzahl, und über ihren Häuptern kommen viele Engelsköpfchen zwischen den Wolken hervor. Die bittende Stellung Mariens verhindert nicht, daß mitten unter so vielen stehenden Figuren der sitzende Christus weniger, als er sollte, in die Augen fällt. Auch die Gruppen im Vordergrunde scheinen ihm etwas von seiner Größe zu rauben, so richtig übrigens die Perspective beobachtet sein mag. Es ist sehr viel Talent und Geschicklichkeit in der Anordnung jener obern wie der untern Gruppen, ihre Massen sind schön und verrathen den geübten Künstler; hier ist indeß von Erfindung und von Dichtung die Rede: ich vermisse den kühnen Schwung der Phantasie, der diese müßigen Figuren mit Individualität begaben soll, daß man sie nicht blos an ihren Attributen, wie den Petrus an seinen Schlüsseln, den Paulus am Schwert, den Moses an den Hörnern und den Gesetztafeln, erkenne. Mitleid und Neugierde malen sich jedoch in vielen Köpfen; Petrus, Johannes und Moses scheinen über den richterlichen Zorn zu verstummen, der an einer weiblichen Figur im Hintergrunde sogar den vollen Ausdruck des Schreckens, mit zurückgezogenem Kopf und vorgespreizter Hand, zu Wege bringt.

Jetzt kommen wir dem eigentlichen Schauplatz, dessen Gewühl auch die Himmlischen beschäftigt, etwas näher. Zwei sehr weit voneinander entfernte Zeitpunkte, der Auferstehung nämlich und des Gerichts, hat der Künstler hier vereinigt und in einen Augenblick zusammengerückt. Aus dieser poetischen Freiheit, die ich übrigens nicht tadeln will, sind bei ihm die wesentlichsten Fehler seiner Composition entstanden. Ganz unten auf dem Vordergrunde steigen mehrere Figuren unter einem schweren halb aufgehobenen Grabstein hervor, und wie die Gerippe ihren Ruheplatz verlassen, umhüllt sie ein neuer Körper. Ein solches Gerippe sieht man noch zwischen den umherliegenden Erwachenden im Dunkel der Grabeshöhle. Ineinander geschlungen und gewunden, reicht eine Gruppe dieser Auferstandenen von der Erde bis zum Wolkengewölbe, das den Thron des göttlichen Richters bildet. Auf Wolken, die bis zur Erde herabsteigen, steht oder schleppt sich diese schwere Masse mit Hülfe einiger Engel, die da und dort einem unter die Arme greifen, zum Himmel hinan. Links hingegen stürzt eine ebenso hoch aufgethürmte Menschenmasse, von Michael's Blitzen verfolgt und von andern Engeln gewaltsam niedergedrückt, aus dem Himmel in den Abgrund hinab, wo ein gähnendes Ungeheuer mit offenem Rachen ihrer wartet. Aegipanische Gestalten Abzuleiten von Aegipan, Ziegenpan. Der ziegenfüßige Pan war der Waldgott des Alterthums. Unter dem etwas gesuchten Ausdruck »Aegipanische Gestalten« mag also Forster ziegenfüßige Scheusale oder Teufelsgestalten verstehen. Anmerkung d. Hg. mischen sich unter die Stürzenden und ziehen, als ständen sie im Bunde mit den Engeln, ihre Beute mit sich hinunter, reiten auf den Hoffnungslosen und umschlingen sie mit gewaltigen Armen. Der Contrast zwischen beiden Gruppen ist unstreitig das Meisterhafteste in diesem ganzen Bilde. Die Seligen drängen sich in regellosem Streben dicht zusammen, verschränken sich untereinander und mit den Engeln und bilden eine Pyramide von Köpfen; nur die vordersten Figuren sieht man ganz bis auf die Zehen, und die unterste, ein Weib (wie man sagt, Rubens' zweite Gattin), sitzt noch halb betäubt, mit auf der Brust gekreuzten Armen und blickt nach dem Grabe, aus dem sie eben erst hervorgegangen ist. Die Verdammten hingegen fallen in der schrecklichsten Verwirrung und Unordnung; viele strecken die Beine hoch in die Luft, und ihre Glieder durchkreuzen sich nach allen Richtungen. Wer nie ein anderes Werk dieses Künstlers gesehen hätte, würde ihm hier auf den ersten Blick das Zeugniß geben müssen, daß er es wohl verstand, den menschlichen Körper unter allen Gesichtspunkten, in allen erdenklichen Stellungen und Biegungen, natürlich angestrengt oder gewaltsam verzerrt, und immer neu und unerschöpflich an Gestalten darzustellen. Auch das ist viel geleistet, wenn man bedenkt, wie es mit der Kunst der Neuern überhaupt bestellt ist; die wenigsten Maler haben es auch nur so weit gebracht. Allein was hätte nicht ein Künstler aus eben diesem Gegenstand geschaffen, ein Künstler mit empfänglicher Seele, mit dichterischer Phantasie und zartem Schönheitssinne! Nicht zu gedenken, daß die herabstürzende Gruppe gegen alle Wahrscheinlichkeit sündigt, indem sie früher im Himmel angelangt sein mußte, als selbst die auserwählte Schar, um schon verstoßen zu werden, ehe diese noch auf dem Wolkengewölbe ausgestiegen ist: so bringt doch die Vereinigung der Auferstehung und des Gerichts die Unbequemlichkeit mit sich, daß die Seligen eine zwar an sich sehr schöne, hier aber ganz unnatürliche Pyramidalgruppe bilden müssen, welche schon darum verwerflich ist, weil sie allen individuellen Ausdruck schwächt und die schönen Episoden, die sich hier dem Künstler wie dem Dichter darbieten, unmöglich macht. Durch das Aneinanderhangen der Gestalten erhält die ganze Masse eine so überwiegende Schwere, daß selbst das blödeste Auge sich mit der Möglichkeit, diese Menschen je auf Wolken wandeln zu sehen, nicht täuschen läßt. Nimmt man hinzu, daß Rubens hier, wie in allen seinen Gemälden, die menschliche Form so materiell und fleischicht als möglich vorstellt, so steigt die Unwahrscheinlichkeit bis auf den höchsten Punkt. Doch es sei darum! Den Auferstandenen ist es zu verzeihen, wenn sie in dem ersten schlaftrunkenen Augenblicke des Erwachens gerade so sich zusammendrängen und sich selbst das Emporsteigen erschweren; keineswegs aber dem Künstler, der keinen bessern Augenblick wählte oder diesen sich nicht interessanter dachte. In diesem ganzen Keil von Menschen ist nur Eine Begierde, nur Ein Drängen und Streben, hinaufzugelangen. Vergebens sucht man hier, was diese sonst nur grausenvolle Scene des Gerichts dem Herzen eines Menschen näher zu bringen im Stande wäre; hier ist weder die Freude des Wiedererkennens, noch der Ausdruck der göttlichen Liebe, noch irgendeine rührende Beziehung zu sehen, welche die Steigenden und Fallenden anders als durch die Nebeneinanderstellung verbände; nichts, mit Einem Worte, von allen jenen Meisterzügen, womit Klopstock sein erhabenes Gemälde von der Auferstehung im »Messias« schmückt. Es kann wahrlich einem jeden Zuschauer gleichgültig sein, ob die Figuren, die der Maler hier aufsteigen läßt, wirklich in dem Himmel ankommen oder nicht; es kann sich niemand gereizt fühlen, ihnen nachzusteigen, sich in ihre Haufen zu drängen und Seligkeiten, die solchen groben Geschöpfen genießbar sind, mit ihnen zu theilen. Unter ihnen gibt es keinen Verklärten, den man liebgewinnen, an dem man mit Bewunderung oder mit Zärtlichkeit hangen, auf dessen Wiedersehen man sich freuen; keinen Verdammten, dem man das Maß seines Verbrechens und die Gerechtigkeit des Urtheils an der Stirne lesen und dessen Fall man dennoch beweinen könnte. Ich finde zwar, indem ich mühsam mich durch das Gewimmel der Ringenden hindurchwühle, einen schönen Engelskopf; aber daß er nur schön und daß es nur Einer ist, gerade das erschöpft alle Strenge des Tadels. Von dem ganz mislungenen Michael mag ich nichts sagen, und ebenso wenig von seinen Begleitern, die zur Unzeit in die Posaune stoßen, da eben der Richter des Weltgerichts das Urtheil spricht. Mehr wußte also Rubens aus diesem großen Entwurfe, den die Apokalypse selbst im erhabensten Stil der bilderreichen orientalischen Dichtung behandelt, nicht hervorzuzaubern? Nur diese Vorstellungen weckte der Riesengang der Phantasie Johannis in ihm? Höher trug ihn der Fittich des Genius nicht, wenn er das größte Schauspiel sich dachte, das Menschen und Göttern je gegeben werden kann? Den Augenblick, wo die ganze Schöpfung sich zusammendrängt, sich neu organisirt, sich verwandelt, wo das Reich des Möglichen seine Schätze aufthut und die Phantasie in ihrem Ueberflusse schwelgen läßt, wo Jahrtausende mit ihren Begebenheiten und ihrer großen Verkettung von Ursachen und Wirkungen sich nebeneinanderstellen, wo das Verborgene offenbar, das Verlarvte in seiner Blöße, das große Verkannte in göttlichem Glanz erscheint – den Augenblick bezeichnet ihm nichts als diese zwei bedeutungsleeren, an aller Individualität verarmten Menschenhaufen? Sind die Schranken der Kunst hier wirklich zu enge, oder zogen sie sich nur für das Genie eines Rubens innerhalb ihres möglichen Umfangs in einen so engen Kreis zusammen?

Wenn ich vorhin die treue Nachfolge der Natur, welche Rubens in den Stellungen beobachtet hat, mit einigem Lobe erwähnte, so sollte sich dieser Beifall doch nicht auf die Richtigkeit der Zeichnung erstrecken. In dem, was er malte, sieht das Auge, welches der Zergliederer bemerken gelehrt hat, eine vernachlässigte Kenntniß der bestimmtern Gestalt der Theile und eine unrichtige Manier sie anzudeuten. Das Feuer des Bildners entschuldigt keineswegs diese Unrichtigkeit; denn wahre Künstlergröße findet man nur da, wo die wirkenden Kräfte zusammengehalten, zweckmäßig aufgespart, nicht blos in flüchtigen Explosionen eines Augenblicks verschwendet wurden. Wie die Natur mit immer gleicher, nie erschöpfter Energie ohne Unterlaß neue Bildungen von sich ausströmen läßt und gleichwol mit bewundernswürdiger Geduld alles bis auf die kleinsten Theilchen nach ihren ursprünglichen Modellen langsam und getreulich ausarbeitet, so muß ihr Nachahmer ebenfalls dem wilden Drange, der ihn reizt, die Gebilde seiner Phantasie im Materiellen darzustellen, einen starken Zügel anlegen können, damit sein warmes Brüten nur edle, vollkommene Früchte reifen möge. So wußte Rafael, der größte Mensch, der je den Pinsel führte, seinem Genius zu gebieten, indem er es nicht für kleinfügig hielt, zu jeder seiner Figuren eine Skizze zu entwerfen, deren Verhältnisse er mit dem Zirkel maß. Daher kommt es denn auch, daß die Arroganz der jungen Zeichner, die auf den ersten Blick an seinen Figuren nichts Besonderes sehen, bei dem ersten Versuche, sie zu copiren, zu Schanden wird. Diese Umrisse des flamändischen Pinsels hingegen mag man leicht in der Copie verfehlen, ohne befürchten zu müssen, daß Misgestalt die Unähnlichkeit verrathe.

Schönheit ist also nicht in den Formen von Rubens zu suchen; denn sie ist die Tochter des Ebenmaßes. Wären aber seine Figuren auch richtig gezeichnet, so würde doch schon allein ihre vlämische Feistigkeit den Begriff des Schönen verscheuchen. Dies ist bei ihm, wie es scheint, ein verderbter Geschmack, weil Italien ihn mit schönern Formen vertraut machen konnte. Ich habe seine Fleischmassen als natürlich rühmen gehört; allein ich finde sie unaussprechlich ekelhaft. Das hängende, erschlaffte, lappige Fleisch, die Plumpheit aller Umrisse und Gliedmaßen, der gänzliche Mangel von allem, was auf Anmuth oder Reize nur Anspruch machen darf – ich kann nicht sagen, wie mich das unwillkürlich zwingt, die Augen wegzuwenden, um einem widrigen Eindrucke zu entgehen. Unter zehn Bewunderern von Rubens würden kaum zwei oder drei den Anblick solcher Menschen, wie er sie hier malte, in der Natur ohne Widerwillen ertragen. Warum dulden sie aber oder bewundern wol gar im Bilde, was lebend sie anekeln würde? Weil der Pinsel das Allzuscheußliche verwischt; weil den meisten Menschen nur an der Nachahmung liegt, gleichviel was ihr Gegenstand sei; endlich weil wir den Schönheitssinn und den Geschmack zu den seltensten Göttergaben zählen müssen.

Wenn aber Rubens in den Umrissen und in der Darstellung des Schönen fehlte, bleibt ihm nicht wenigstens die Magie seines Colorits, die seit mehr als hundert Jahren so oft gepriesen ward und noch in voller Kraft besteht? Dieses Fleisch – wird der Kenner sagen – ist wahres, blutreiches Fleisch; diese zarte, sammtweiche Haut glaubt man anfühlen zu müssen; diese Lippen glühen mit lebendigem Purpur; überall sieht man deutlich, daß die Wirkung der Farben und des Aussehens verschiedener Oberflächen dem Gedächtnisse dieses großen Künstlers tief eingeprägt worden ist, und daß er auch die Kunst besessen hat, beides mit Wahrheit darzustellen. – Ich wünsche immer, wenn ich diese Lobsprüche mitanhören muß, daß gleich ein gutes lebendiges Modell zur Hand wäre, welches man entkleiden und neben ein Bild von Rubens hinstellen könnte. Man würde dann gar bald gewahr werden, daß jener Zauber, der so mächtig wirkt, noch um vieles von der wahren Farbe der Natur abweicht, und viel mehr in einer eigenthümlichen Art der Behandlung als in einer getreuen Auffassung des wirklich Vorhandenen liegt. Ich tadle es indeß nicht, daß Rubens so gern auch hier seine Carnationen durch stark aufgelegten Zinnober erhöht und mit durchschimmerndem Blau und mit gelben Widerscheinen fast zu verschwenderisch umgeht. An dem Platze, für den er dieses Gemälde bestimmte, würde man vermuthlich diese Farben so hervorspringend nicht gefunden haben als hier, wo sie dem Auge zu nahe gerückt sind. Man müßte die Jesuiterkirche zu Neuburg, wo dieses große Gemälde zuerst aufgestellt wurde, zuvor gesehen gaben, um urtheilen zu können, wiefern diese Rechtfertigung des Künstlers statthaft sei oder nicht. Daß indeß kein Flamänder je das Colorit von Rubens übertroffen habe, wenn es nicht zuweilen seinem Schüler van Dyck geglückt ist, bleibt seinem Ruhme unbenommen. Auch die Kunst der Beleuchtungen war sein; Licht und Schatten, zwar nicht der wesentlichste Vorzug dieses Stücks, sind gleichwol mit großer Geschicklichkeit darin ausgetheilt und thun die vortrefflichste Wirkung.

Wenn Kunstverständige einen Maler preisen wollen, pflegen sie auch noch sein Machwerk ( faire) herauszustreichen; und in diesem Betracht hat Rubens in der That vor vielen andern einen entschiedenen Vorzug. Er wußte seinen Pinsel leicht und kühn zu führen, er kannte seine Palette und den Effect ihrer Farben, er vertrieb diese zart und meisterhaft untereinander, gab ihnen Haltung und besaß eine große Uebung im Vertheilen und Abstufen der Lichtmassen und des hellem oder tiefern Dunkels. Dieses Verdienst gehört in Eine Klasse mit der Fertigkeit eines Tonkünstlers, die Noten frisch und rein vom Blatte wegzuspielen, oder mit dem ebenso mechanischen und ebenso bewunderten Talent, auf einigen Instrumenten die Schwierigkeiten der Ausführung zu überwinden und eine seltene Beweglichkeit der Finger sehen zu lassen. Allein wenn ich auch der Handarbeit unsers Rubens ihren ganzen Werth zuerkenne, wenn ich ihn ferner in seiner Anordnung und Gruppirung, im Reichthum seiner Gestalten, in der Farbengebung, im Faltenwurf der Kleidungen, in dem Feuer seines Geistes, womit er durcheinanderstürzende Figuren zur Einheit zurückzuführen weiß, wenn ich in diesem allen ihn bewundern kann: wie hoch wird denn sein Ruhm sich schätzen lassen, da wir überall, wo es auf ein nicht zu berechnendes Gefühl, auf innere Beweglichkeit und Empfänglichkeit, auf eine gebildete Sonderungs- und Umformungsgabe ankommt, wo von Erfindung und Wahl des Gegenstandes, dichterischer Ausführung aller einzelnen Bestandtheile des Gemäldes und Idealisirung der Gestalten die Rede ist, von seinen Verdiensten schweigen oder seiner Arbeit unsern Beifall versagen müssen?

Ein Meisterwerk gedachte der Künstler hinzustellen, das seinem fürstlichen Freunde die Dankbarkeit für ein gerettetes Leben ausdrücken sollte, ein Meisterwerk, das die Krone seiner Werke genannt zu werden verdiente – und sein ernster Sinn wählte sich das Weltgericht? Durch die Erhabenheit des Gegenstandes wollte er gleich auf den ersten Blick so den Trotz des tadelsüchtigen Kenners niederwerfen, wie er die Flamme des frommen Gefühls im großen Haufen anzünden wollte – und er schilderte die Gottheit in Gestalt eines abgelebten Greises, den Richter des Weltalls schwach in seiner Uebermacht wie einen gemeinen Tyrannen? Der Himmel und die Hölle sollten nebeneinanderstehen in seinem Bilde, zwischen ihnen das Menschengeschlecht, schrecklich verurtheilt zur Seligkeit oder Verdammniß – und ich sehe einen Raum, der höchstens fünf oder sechs Menschenlängen übereinander fassen kann, mit einem an der Erde hinschwebenden Nebel gefüllt, auf welchem einige Figuren müßig stehen, andere in gedrängtem, schwerfälligem Phalanx hinaufsteigen, andere wildverschränkt mit stygischen Mächten zusammenstürzen über ein scheußliches Drachenhaupt? Ordnung und Einheit sollten unsere Blicke fesseln – und es ist die Einheit, die Ordnung des Chaos? Wen diese Erfordernisse unbefriedigt ließen, der sollte noch der Schönheit huldigen; ein Umriß, der Natur wie mit List entwendet, konnte den entzücken; ihn gewann ein Farbenzauber, der das zarte Gebilde des menschlichen Körpers vom Lebensgeist durchathmet, bis zur Täuschung darzustellen vermag – und sind nun diese vlämischen Dirnen schön? sind diese Umrisse richtig und gefällig? sind diese Carnationen bei aller ihrer Frische nicht Manier?

Doch es ist nicht das erste mal, daß gerade dann, wenn große Künstler mit Vorsatz alle ihre Kräfte aufboten, das erzwungene Werk ihrem Geiste mislang. Auch die Empfängnisse der Phantasie sind unbedingte Gaben eines göttlichen Augenblicks.



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