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Vom Ideal. Italienische Malerei. Susanna von Domenico Zampieri (Domenichino) und von Annibal Carracci. Heilige Familien von Rafael und von Andrea del Sarto. Pietro da Cortona's Ehebrecherin. Carlo Dolce. Johannes in der Wüste von einem Ungenannten. Guido Reni's Himmelfahrt der Jungfrau. Aretin von Tizian. Christus mit der Dornenkrone von Correggio. Barbarei.
Die Rose, sagen wir, ist die schönste unter den Blumen, und ein ziemlich allgemeines Wohlgefallen an ihrer Gestalt scheint dieses Urtheil zu bestätigen. Ich weiß nicht, ob der göttliche Apoll, oder wähle Dir welches andere Ideal Du willst, ob dieses ebenso allgemein durch übereinstimmendes Gefühl als Inbegriff der menschlichen Schönheit anerkannt und angenommen wird; aber das weiß ich, daß der Mensch vor allen andern Gegenständen der Natur einer wahrhaften Idealisirung fähig ist, indem das Ideal, welches der Künstler entwirft, zugleich mit dem richtigen Verhältnisse des menschlichen Körpers als einer besondern Thiergattung auch die Sittlichkeit des Menschen als mitempfunden darstellen muß. Von keinem andern Wesen wissen wir die Bestimmung, die relative Zweckmäßigkeit und folglich die subjective Vollkommenheit so genau und bestimmt in allen ihren Momenten anzugeben wie von uns selbst; von keinem andern Wesen wissen wir aus vielfältig gesammelter Erfahrung den Begriff dieser Vollkommenheit mit einer tiefempfundenen Vollkommenheit der Form zu paaren. Den physiognomischen Sinn, so unmöglich es ist, ihm eine Methodik unterzulegen, können wir uns selbst nicht ableugnen; aber es bedarf keines Erinnerns, daß er vom Menschen zum Menschen ungleich wirksamer ist, als in Beziehung auf die Qualitäten der Thiere und Pflanzen und deren Signaturen (laß mir das mystische Wort nur hingehen) in der äußern Gestalt. Es scheint uns zwar oft gar etwas Verächtliches um die Bestimmung der mancherlei Wesen, die zugleich mit uns die Erde bewohnen; wir wähnen auch wol uns selbst als letzten Zweck des Daseins aller Dinge um uns her. Allein ein geringer Grad von Naturkenntniß kann uns aus diesem Irrthum reißen. Ueberall stoßen wir auf Organisationen, die wir noch nicht kennen, die wir nicht zu brauchen wissen, deren Verhältniß zu den übrigen Erdenwesen uns räthselhaft bleibt; und wollen wir die Augen öffnen, so wird sich uns täglich und stündlich die Ueberzeugung aufdrängen, daß wir von der Art, zu sein, zu genießen, des Daseins froh zu werden und seine Bestimmung zu erreichen, eines jeden andern Dinges außer dem Menschen selbst auf dem Wege der Empfindung nichts Vollständiges erfahren können, indem die Natur alles Identificiren mit fremden Gattungen unmöglich macht. Ein Wesen aber, mit dessen Organen wir nicht empfinden, in dessen Lage wir uns nicht hineindenken und hineinahnen können, von dessen innerer Vollkommenheit können wir uns auch kein Ideal abstrahiren, und dieses ebenso wenig mit dem Gefühl, das wir von der Schönheit seiner Gestalt haben, in eine Harmonie bringen oder mit einer bestimmten Form bezeichnen.
Den Menschen können wir idealisiren; darum bleibt er allerdings der höchste Gegenstand der bildenden Kunst. Wie nun aber das Ideal gestaltet sein müßte, das die gesammte Gattung vorstellen sollte, ist darum noch nicht ausgemacht. Wenn wir darin übereinstimmen, daß es über die individuelle Natur hinausgehen und, was von Vollkommenheiten in einzelnen Personen durch das ganze Geschlecht zerstreut ist, zu einem harmonischen Ganzen vereinigt darstellen müsse, so wird uns bei der Ausführung immer eines jeden individueller Schönheitssinn im Wege stehen, und jeder Künstler, wie er selbst moralisch groß oder klein ist, wie er auffassen, theilnehmen und mittheilen kann, auch wie er Gelegenheit hatte, das einzelne Vortreffliche zu sammeln und zu vergleichen, wird uns das Ideal seiner Phantasie mit andern Zügen schildern. Fürwahr also eine höchst verwickelte Aufgabe, da, wo sich alle zuletzt auf ein unwillkürliches Gefallen und Nichtgefallen berufen, einen Ausspruch wagen, eine Wahl treffen zu müssen, zumal da der Fall des Kenners, des Kunstliebhabers und überhaupt eines jeden, der sich auf die Beurtheilung eines Kunstwerks einläßt, von dem Falle des Künstlers insofern nicht verschieden ist, daß jeder von ihnen zu dieser Beurtheilung andere Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringt.
Auf etwas Gemeinschaftliches, auf eine gewisse Uebereinstimmung des Gefühls gründet sich indessen doch das Bestreben eines jeden Künstlers, die tiefempfundene Schönheit darzustellen. Es ist unstreitig, daß die Empfindung des Wohlgefallens bei den meisten Menschen nach einer gewissen Analogie berechnet werden kann. Völker, deren Bildung, Erziehung, Sitten und Wohnsitze sich ähnlich sind, werden im allgemeinen über Gegenstände der Sinne ein übereinstimmendes Urtheil fällen und in ihren Empfindungen von Gerüchen, Gestalten, Tönen und Geschmacksarten miteinander harmoniren. Die eigentliche Schwierigkeit entsteht erst dann, wenn Schönes mit Schönem verglichen und Grade des mehr oder minder Gefälligen angegeben werden sollen. Alsdann zeigt es sich, daß wir zur Bildung des Geschmacks, als des echten Kunst- und Schönheitssinns, ebenso wol Uebung bedürfen und den Beistand unserer übrigen Gemüthskräfte hinzurufen müssen, wie es zur Vervollkommnung irgendeines andern Gebrauchs dieser Kräfte nöthig ist. Weil nun aber das Wesen des Ideals es mit sich bringt, daß es ein Abdruck der sittlichen Vollkommenheit in sinnlich anschaulichen Formen sei, so scheinen zur Hervorbringung eines solchen höchstvollendeten Werks der menschlichen Kunst dreierlei Requisite in der Person des Künstlers zusammentreffen zu müssen: erstens eine reiche Ausstattung mit jenen überlegenen Seelenkräften, in deren Fülle und Harmonie schon individuelle Größe und subjective Vollkommenheit gegeben ist; zweitens Schauplatz und Gelegenheit zur zartesten Entwickelung und Ausbildung dieser innern Energie, höchste sittliche Cultur; drittens hohe Darstellungsgabe und innerer Trieb sowol als äußere Veranlassung, sie in Wirksamkeit zu versetzen.
Der Geschmack, womit das Ideal der Schönheit beurtheilt werden muß, wenn anders seine Aussprüche unparteiisch sein sollen, setzt in demjenigen, der ihn besitzt, das Vermögen voraus, zwischen dem Wohlgefallen am Schönen und einem jeden andern Interesse, welches der Verstand oder auch die Begierde an einem schönen Gegenstande nehmen können, zart und rein zu unterscheiden. Die Empfindung, die das Schöne in uns hervorbringt, ist vom Reize unabhängig und zugleich durch keine Operation der Vernunft erklärbar. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb der höchste Schwung, den die bildende Kunst zur Erreichung des Ideals sich je gegeben hat, in den mythologischen Statuen der Alten zu suchen ist, theils weil ihr Gegenstand hinausragte über den gewöhnlichen Stand aller menschlichen, wirklich existirenden Vollkommenheit, theils weil die Bildhauerei – das abgerechnet, daß sie das Materielle dem Gefühl und dem Auge zugleich preisgibt – jene vollkommene Ruhe nothwendig macht, welche die Betrachtung des Schönen begünstigt, indem sie uns durch keinen pathognomischen Eindruck unterbricht. Es war eine glückliche Uebereinstimmung der Kunstideen mit dem Religionssystem jener Völker, daß man diese Muster der übermenschlichen Schönheit und Vollkommenheit zu Gegenständen der Anbetung erhob und ihnen dadurch neben ihrem ästhetischen Werthe, der nur von wenigen rein empfunden werden konnte, zugleich für das Volk ein näherliegendes Interesse gab. Dies, verbunden mit so Vielen andern Begünstigungen, womit Verfassung, Klima, Lebensart und vor allem angestammter Reichthum der Organisation, dem Griechen zu statten kamen, wirkte kräftig und ohne ein zweites wetteiferndes Beispiel in der Geschichte zur Ausbildung des Geschmacks und zur Erzeugung jenes allgemeinen zarten Kunst- und Schönheitssinns, für welchen namentlich der atheniensische Demos so berühmt geworden ist.
Bei uns ist der reine Kunstgeschmack in Ermangelung alles dessen, was ihn bilden, vervollkommnen und allgemein entwickeln konnte, nur auf wenige einzelne Menschen eingeschränkt. Der Anblick der bloßen Schönheit ohne einiges Interesse ermüdet den großen Haufen der Künstler und Kenner, die nicht mehr das Knie vor ihr beugen, ihr huldigen und Schutz und Gaben von ihr erflehen. Die idealisirten Götter und Göttinnen sind nicht mehr; Menschen von bestimmtem, individuellem Charakter Menschen, durch herrschende Leidenschaften und Gemüthsarten bezeichnet, sind an ihre Stelle getreten. Die Kunst mußte also ihrem ersten, wahren Endzweck, der Darstellung des Idealischschönen, ungetreu werden, oder ihre gewohnte Wirkung verfehlen und auf alle Herrschaft über die Gemüther Verzicht thun. Das letzte wäre nur in dem Einen Falle möglich gewesen, wenn der Geist des Zeitalters nicht auf den Künstler gewirkt hätte; wenn, von Zeit und Umständen unabhängig, der künstlerische Genius, in abstracter Vollkommenheit schwebend, mitten unter Christen ein Grieche geblieben wäre.
Aber Veränderung und Wechsel sind ja die Devisen unseres so schief in seiner Bahn kreiselnden Planeten! Der ewige Reihentanz bringt immer neue Verhältnisse, neue Verwickelungen, neuen Kampf unserer Kräfte mit den Kräften des Weltalls hervor, und, frei heraus bekannt, wäre nicht der Dienst der schönen Ideale gestürzt, so hätten wir noch keinen Rafael Rafael Santi, geb. 1483 zu Urbino, gest. zu Rom 1520, der König der Maler, Haupt der römischen Schule. Anmerkung d. Hg., keinen Tizian Tiziano Vecellio, der vorzüglichste Meister der venetianischen Schule, geb. zu Cadore 1477, gest. 27. August 1576, fast hundertjährig, zu Venedig an der Pest. Anmerkung d. Hg. und keinen Correggio Antonio Allegri von Correggio (1494? bis 1534), ein besonders durch den Zauber seiner Farbe höchst bedeutender Künstler. Anmerkung d. Hg., wir hätten in der Kunst keine individuelle, menschliche Schönheit, keinen Farbenzauber und keine Anmuth. Du wirst mich der Paradoxie beschuldigen; aber ich will es hier in Gegenwart der großen Namen, die ich eben nannte, gleichsam unter ihrer Fahne betheuern, daß, weil einmal dem also ist, es auch für uns noch allenfalls am besten sei. Was sollen uns die alten Lappen, wären sie auch noch so schön, auf dem neumodigen Kleide? Griechische Gestalten und griechische Götter passen nicht mehr in die Form des Menschengeschlechts; sie sind uns so fremd wie griechisch ausgesprochene Laute und Namen in unserer Poesie. Es mag seine Richtigkeit haben mit der göttlichen Vollkommenheit der beiden Meisterwerke des Phidias Phidias von Athen, der größte Bildhauer des Alterthums, gest. 432 vor Christi Geburt. Ein Zeitgenosse des Perikles, verherrlichte er die Tempel zu Olympia, Athen u. s. w. durch unerreichte Kunstwerke. Anmerkung d. Hg., seiner Minerva und seines Jupiter; aber je majestätischer sie da säßen oder ständen, das hehre Haupt für unsern Blick angrenzend an den Himmel, desto furchtbarer unserer Phantasie; je vollkommenere Ideale des Erhabenen, desto befremdlicher unserer Schwachheit. Menschen, die für sich allein stehen konnten, hatten keckes Bewußtsein genug, um jenen Riesengottheiten ins Auge zu sehen, sich verwandt mit ihnen zu fühlen und sich um dieser Verwandtschaft willen ihren Beistand im Nothfalle zu versprechen. Unsere Hülfsbedürftigkeit ändert die Sache. Wir darben unaufhörlich und trotzen nie auf eigene Kräfte. Einen Vertrauten zu finden, dem wir unsere Noth mit uns selbst klagen, dem wir unser Herz mit allen seinen Widersprüchen, Verirrungen und geheimen Anliegen ausschütten, dem wir durch anhaltendes Bitten und Thränenvergießen, wie wir selbst geduldig und mitleidig sind, ohne ihn zu ermüden, Beistand und Mitleid ablocken können, dies ist das Hauptbedürfniß unsers Lebens, und dazu schaffen wir uns Götter nach unserm Bilde. In dem nächsten Kapellchen kann ich die Ueberzeugung finden, daß die unbegreifliche Gottheit selbst schwerlich irgendwo mit dem herzlichen Vertrauen angerufen wird, womit eifrige Christen hier zu den Heiligen beten, die einst Menschen waren wie sie. Dies ist Stimme der Natur, trotz allem, was die Philosophie, die nur in Abstractionen lebt, darüber dogmatisiren mag. Gleichheit ist die unnachlaßliche Bedingung der Liebe. Der Schwache kann das Vollkommene nicht umfangen; er sucht ein Wesen seiner Art, von dem er verstanden und geliebt werden, dem er sich mittheilen kann.
Zu diesem Menschengeschlechte nun gehören unsere Künstler, und für dasselbe arbeiten sie. Von Griechenlands Idealen ist genau noch so viel übriggeblieben, daß es ihnen zu einem Fingerzeige dienen kann, wohinaus vor diesem der Weg der Kunst liegen mochte. Mit dem Sinne für das hohe Schönheitsideal ist aber auch die Möglichkeit, es wieder zu erreichen, verschwunden. Die Mannichfaltigkeit des Individuellen ersetzt uns indeß diesen kaum mehr empfundenen Verlust. Einzelne aus der Natur gegriffene Charaktere mit Beibehaltung ihrer Individualität zu idealisiren oder mit einem Abglanze des Schönen auszuschmücken, welcher hinreicht, die Empfindung des Wohlgefallens zu erregen, dies ist das Ziel der neuern Kunst. Also arbeitet sie auch nicht mehr für den reinen ästhetischen Sinn, vielmehr, um ihrer Wirkung gewisser zu sein, intriguirt sie durch Handlung den Verstand und besticht unser Begehrungsvermögen durch den Reiz der Grazien. Wir sind es schon so gewöhnt, dem Künstler in dieser Richtung zu folgen, daß oft die bloße Nachahmung des Natürlichen ohne den mindesten Versuch zum Idealisiren unsere Forderungen befriedigt, oft die Erdichtung der Beziehungen, in denen man uns eine Handlung darstellt, völlig hinreicht, uns über die gänzliche Abwesenheit alles Schönen zu beruhigen. Eine unausbleibliche Folge dieser Verrückung des eigentlichen Kunstziels ist die Abzweigung der Kunst in so manche ganz verschiedene Darstellungsarten, womit es endlich dahin gekommen ist, daß insbesondere der jetzigen Malerei kein Gegenstand in der Natur, der nur mit Farben sich bezeichnen läßt, außerhalb ihrer Grenzen zu liegen scheint.
Wenn aber hier und dort unter den Künstlern eine große Seele hervorgeht, so wird sie nach ihrem angeborenen innern Adel das Schöne dennoch ahnen, ihm nachstreben und sich zuweilen ungeachtet aller Hindernisse dem vorgesteckten Ziel nähern. Die physische Natur und die Stufen der sittlichen Ausbildung verschiedener Völker müssen diesen Flug des Genius entweder begünstigen oder hemmen. Italien! reizendes Italien! Noch sah ich dich nicht! Italien ist reich an den Trümmern der altgriechischen Kunst, und seinen Bewohnern hat der mildere Sonnenstrahl zugleich mit einer gewissen Unabhängigkeit von manchem klimatischen Bedürfnisse auch ein reiches Maß von Spontaneität und Empfänglichkeit zugetheilt. Was ich von dorther kommen sah, es sei nun Gemälde, Gedicht oder Gesang, das hat einen Zauber, der das Auge fesselt wie das Ohr und den Sinn auflöst in Entzücken. Wenn ich hier in den Saal trete, wo die Werke italienischer Meister, mit flamändischen untermischt, meinem Blicke begegnen, mir ist zu Muthe wie einem Europäer, der nach einem langen Aufenthalt im Orient endlich einen näher mit ihm verwandten Menschen erblickt; er untersucht nicht erst, ob der Fremde ein Deutscher, ein Franzose, ein Engländer, ein Spanier, ob er ketzerisch oder rechtgläubig sei: genug, es ist ein Franke, dessen Sinnes- und Denkungsart den seinigen gemäßer sind, der ihn und den auch er besser versteht.
Es ist Zeit, daß ich's bekenne: kaum hatte ich diesen Morgen das Papier aus der Hand geworfen, so eilte ich noch einmal in die Galerie, um nur an transalpinischen Werken mich satt zu sehen. Was ich jetzt seit einer Stunde daherphantasire, ist nur die Reaction, die der Anblick dieser von allem flamändischen Machwerk so abweichenden Gestalten in meinem Kopfe veranlaßt hat. Zuerst ging ich langsam durch die Säle, sah, wo die Italiener hingen, und merkte mir in jedem Saale die Stücke, die ich näher betrachten wollte. Die Lüsternheit wird übermüthig, wenn sie im Ueberflusse wählen kann. Unter der Menge dessen, was Künstler und Kenner hier interessant finden würden, zog mich nur wenig an durch Züge von inwohnender Schönheit, die von einem Sinn des Malers für menschliche Größe zeugten. Ich ging aus mit dem Vorsatz, zu sehen, ob ich etwas finden würde, das ich um seiner Schöne willen lieben könnte, und Du weißt, diese Liebe gehorcht keinem Zwange: sie ist das Kind der freien Unbefangenheit; sie ist ein Kind, kein erwachsener gewitzigter Amor. Ich lasse die Klugen dastehen und predigen vom Unterschied und Charakter der verschiedenen italienischen Schulen, ich lasse sie da eine Gruppe bewundern, weil sie pyramidalisch sich spitzt, dort eine Draperie, die wahr gefaltet oder auch groß geworfen ist, hier einen Ausdruck, der die Natur nachahmt, hier wieder einen wie hingezauberten Effect des Lichts. Das alles ist vortrefflich und sogar verdienstlich, wenn Du willst; doch wenn von lieben die Rede ist, so muß auch von Gestalt allein die Rede sein. Ich kann einen Haufen von Menschen, und stände er noch so malerisch, nicht als bloßen Haufen, ich kann keinen Rock, kein Geberdenspiel, keine Beleuchtung, keine Farbe lieben. Findet sich dies alles mit einer edlen Zeichnung und einer schönen Form zu einem Ganzen vereinigt, alsdann ist das Kunstwerk von einer hinreißenden Vollkommenheit; aber auch abgesondert von allem Nebenwerk ist ein bloßer Umriß, mit Rafael's Schönheitssinn entworfen, mehr werth als das vollendetste Gemälde, dem dieses wesentliche Bedingniß fehlt. Licht und Farbe, Bewegung, Ausdruck und Anzug kann die Einbildungskraft sich zu einer gegebenen schönen Gestalt leicht hinzudenken; hingegen den feinern Genuß stört unwiederbringlich eine schlechte oder gemeine Natur, das Gemälde sei übrigens noch so meisterhaft ausgeführt.
Hast Du nicht die Susanna von Domenichino Domenico Zampieri, genannt Domenichino, einer der besten Meister der sogenannten eklektischen Schule, bedeutender Geschichtsmaler, geb. 1581 zu Bologna, gest. 1641 zu Neapel. Forster schreibt irrig stets Dominichino. Anmerkung d. Hg. bewundern und rühmen gehört? Die ist nun wirklich ein schön und richtig gezeichnetes Weib, und dennoch gefällt sie nicht, weil ihr gemeines Gesicht an sich nicht reizend ist und auf eine höchst widrige Art von dem häßlichen Schrei entstellt wird. Das Hauptinteresse des Stücks geht also verloren, man muß sich zur Schadloshaltung an Nebensachen ergötzen. Doch auch die Stellung ist ungraziös und sogar unvortheilhaft, indem sie die ganze Figur wie ein lateinisches Z zusammendrückt. Die Farbengebung des Nackten ist für einen Domenichino immer zu bewundern, jedoch zum Theil verblichen. Die im Bade rothgewordenen Füße, die man dem Maler zum Verdienst anrechnet, weil er die Natur so gut zu belauschen gewußt, machen gleichwol für das Auge eine unangenehme Disparität. So gefährlich ist es manchmal, in der Nachahmung des Natürlichen zu weit zu gehen. Es fällt dem Zuschauer lange zuvor auf, daß die Susanna rothe Füße hat, ehe er sich bescheidet, sie könne auch wol schon aus dem Wasser gestiegen sein. Die Scene ist übrigens gar nicht poetisch behandelt. Ein jedes gemeine Weib, das nicht von ausgelassenen Sitten ist, würde sich so benehmen; hier aber sollte der Künstler ein edles, tugendhaftes, großes Weib bezeichnen. Da er einmal mit einem ungeheuern Badetuche so freigebig war und die keusche Jüdin noch überdies zur Sicherheit mit einer Balustrade umgab, so wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sie voll Anmuth und Würde, stehend, mit edlem Unwillen auf den Lippen, mit einem großen Blick der Verachtung in den reizenden Augen hinzustellen, fest, entschieden und entschlossen, sich eher der Lästerung als den Begierden ihrer Verfolger preiszugeben. Dann hätte meinetwegen sich auch ihr Mund öffnen mögen, um Hülfe zu rufen; dieses Rufen hätte nicht, wie das Geheul des Schreckens, ihr Antlitz entstellt. Ich gestehe gern, daß die apokryphische Erzählung selbst zu einer solchen Begeisterung keine unmittelbare Veranlassung gibt. Wie entdeckt sich Susannens Unschuld? Ein Knabe verhört die Kläger, und weil einer das schöne Weib in den Armen ihres Liebhabers unter der Linde, der andere unter der Eiche gesehen haben will, ist das Hauptfactum, worin beide übereinstimmen, nicht wahr! Bei solchen Gelegenheiten erinnert man sich auch eines Baumes! Allein die Juden in Babylon glaubten an Keuschheit, und Daniel bewährte seine Weisheit, indem er diesen Glauben zu Gunsten der schönen Susanna benutzte. Es scheint übrigens nicht, daß Domenichino auf diesen Theil der Geschichte Rücksicht genommen hat; denn es stehen eine Menge von Bäumen verschiedener Art im Garten um das Bad herum. Dachte er vielleicht, die Aeltesten hatten wol beide recht? Die Susanna ist indeß ein Lieblingssujet der Malerei. Van Dyck's Behandlung dieses Gegenstandes habe ich schon erwähnt; hier ist noch eine dritte Susanna von Domenichino's Meister, Annibal Carracci, die ganz nackt, ganz ruhig und sorglos dasitzt und sich aus einem Springbrunnen Wasser auf die Hände rinnen läßt. Die Figur ist eine gute Akademie, ziemlich warm colorirt, und weiter nichts. Die alten Faunen beschleichen sie.
Von Rafael's Händen sah ich hier nur ein kleines Bild, eine heilige Familie, in seiner ersten Manier, wo er Meister Perugino's Pietro Vannucci von Perugia, genannt Perugino, geb. angeblich 1446, gest. 1524, der beste Meister der sogenannten umbrischen Malerschule, Lehrer von Rafael Santi. Anmerkung d. Hg. Fesseln noch nicht abgeworfen hatte. Das ist eine steife Gruppe! Von Joseph's Kopf herab längs dem Rücken der Elisabeth und der Schulter der Madonna ist es ein wahrhaftes Dreieck. Die Farben sind hart und grell, und des trocknen Pinsels wegen scheinen manche Umrisse eckig; von Licht und Schatten ist kaum eine Spur. Das nackte Christkind ist von Gesicht etwas häßlich und, Elisabeth ein wenig gar zu alt. Die Landschaft ist hell und bestimmt, so trocken und hart wie die Figuren. Von wenigen Bildern hier läßt sich so viel Nachtheiliges sagen – aber auch von wenigen so viel Gutes. Die Aengstlichkeit der Pyramide abgerechnet, ist es die traulichste Vereinigung, die sich in einer Familie denken läßt. Elisabeth und Maria sitzen beide auf der Erde und haben ihre Kinder zwischen sich. Johannes sitzt der Mutter im Schos und ist ein niedlicher Bube; der kleine häßliche Bambino (italienisch), kleines Kind. Anmerkung d. Hg. reitet der Madonna auf dem Knie und ist, außer den Gesichtszügen, ebenso richtig und schön gezeichnet. Die holde Mutter betrachtet ihr Kind mit einem Blick voll himmlischer Anmuth und Zärtlichkeit; ihr Kopf neigt sich sanft vor über ihn, und auf ihrer Stirne thront jungfräuliche Schönheit. Ich habe noch keinen Maler gesehen, außer Rafael und Leonardo da Vinci (l452-1519), das gefeierte Haupt der lombardischen Malerschule, einer der größten Künstler aller Zeiten. Anmerkung d. Hg., der die Jungfrau und die Mutter so in ein Wesen zu verschmelzen gewußt hätte. Alle Mysterien beiseite, dieser Charakter ist in der Natur: moralische Jungfräulichkeit, reines Herz und reine Phantasie, mit Mutterliebe im schönsten Bunde! Er gehört, das will ich gern zugeben, zu den seltensten Erscheinungen, aber jene beiden großen Menschen faßten ihn, und ich weiß, er ist nicht ausgestorben mit den Urbildern, von denen sie ihn wie einen Sieg davontragen. Mehr Grazie, mehr ungezwungene natürliche Grazie – doch eine andere gibt es ja nicht – mehr als diese Madonna haben wenige Gebilde der Kunst. Elisabeth blickt auf zum heiligen Joseph, der, an seinem Stabe gleichsam hangend, mit seinem gutmüthigen Gesichte gedankenvoll dreinlächelt. Die Köpfe sind schön und bei aller selbst idealischen Schönheit dennoch mit Nationalzügen und mit lieblicher Individualität, rein und unmittelbar aus der lebendigen Natur, verwebt. Dies ist es, was sie so reich an Charakter und in ihrer geistigen Fülle so anziehend macht. Das Costüm ist einfach und schön, ohne die allermindeste Anmaßung und künstlerische Koketterie, vermuthlich geradezu von der damaligen Volkstracht entlehnt. Nach allem, was ich anderwärts von Rafael's Werken gesehen habe, und nach den Kupferstichen von seinen größern Gemälden im Vatican zu urtheilen, bleibt dieses kleine Stück von einem verhältnißmäßig sehr geringen Werth; aber dennoch glimmte schon hier der Funke, der bald Flamme werden und jedes andere Licht verdunkeln sollte. Er verräth auch hier bereits ein hohes Dichtergefühl von der Würde seines Gegenstandes. Die geheimnißreiche Lehre seiner Kirche zeigte ihm die erhabensten Wesen in der geringsten, ungebildetsten Klasse eines ungebildeten Volks. Diesen schuf er in seiner Einbildungskraft eine schöne Harmonie ihrer Geisteskräfte; er bildete in ihren Zügen die sanfte, reine, richtige Empfindung und jene Güte des Herzens, wozu er in sich selbst das Urbild fand; mit Einem Worte: er gab ihnen an intensiver Vollkommenheit, was ihnen an extensivem Wissen fehlen mußte. Götter waren es nicht, die er zu schildern hatte; allein es blieb ihm unbenommen, sich wenigstens göttliche Menschen zu denken und sich die Bedingnisse anschaulich zu machen, unter denen die einfachsten Hirten seines Volks sich bis zu dieser moralischen Vortrefflichkeit hinaufadeln ließen. Mit solchen Begriffen schien er geschaffen, der Religion durch die Kunst einen neuen Glanz und ästhetische Wirksamkeit, die einzige, die ihr noch fehlte, zu verleihen; und dieses Verdienst erkannte Leo Der Sage nach beabsichtigte Papst Leo X., Rafael Santi durch Erhebung zum Cardinal zu ehren. Anmerkung d. Hg. vielleicht, als er ihm den Purpur bestimmte. Allein wer vermochte ihm nachzufliegen den kühnen, erhabenen Flug? Schon jetzt verehrt der große Haufe der Kunstliebhaber in seinen Werken nicht sowol seinen Genius als seinen Ruhm. Verschwiege man ihnen den Namen des Künstlers, sie wüßten es wahrlich nicht zu begreifen, was man an seinen Bildern hat. Was ist Zeichnung und Form für jeden, der nur Augen hat für vlämische Farben? Noch eine Revolution, wie unser Geschlecht deren so viele erlebt hat, eine, die uns Italiens Schätze raubte, wie Griechenlands Schätze einst verschwanden – und unsere Nachkommen werden es nicht mehr glauben, daß es je einen größern Maler gab als Rubens.
Ich muß auch dieser heiligen Familie noch erwähnen, die sich neben Rafael's seiner so vortheilhaft ausnimmt; sie ist von Andrea del Sarto Andrea di Agnolo, genannt del Sarto, aus Florenz, gest. daselbst 1530, hauptsächlich Heiligenmaler, vortrefflicher Meister der florentinischen Schule. Anmerkung d. Hg., dem sein Lehrer Michel Angelo Michel Angelo Buonarotti aus Florenz (1474-1563), ein großartiger Meister, gleich gefeiert als Maler, Bildhauer und Architekt. Anmerkung d. Hg. das Zeugniß gab, daß er groß wie Rafael geworden wäre, wenn er nur dieselbe Gelegenheit, sich zu bilden und sich zu zeigen, gehabt hätte. Etwas von diesem Lobe geht wol auf Rechnung der Eifersucht; aber die eigene Größe des Florentiners bürgt uns, daß es nicht ganz ungegründet war. Sein Schüler hat hier alles geleistet, was das Sujet nur tragen konnte. Die Madonna hat sanfte Weiblichkeit und ist wirklich schön, wenngleich nicht von erhabener Schönheit; Elisabeth hat Spuren von verblichenem italienischem Reize; der kleine Johannes mit seinem sprechenden ausdrucksvollen Gesicht ist mit einer glücklich getroffenen Kinderschönheit begabt, und nur der Engel hinter der Jungfrau hat einen dummen Blick. Die Simplicität, die Natur und Eleganz der Zeichnung sind im höchsten Stil der Kunst; die Farben für einen Maler aus der florentinischen Schule gut gewählt und schön verschmelzt; überhaupt ist an der ganzen Ausführung keine Klage über irgendetwas von demjenigen, was in Rafael's ebenerwähntem Bilde misfällt; vielmehr ist alles sehr weich und mit großer Leichtigkeit gehalten. Man bedauert nur, daß das Bild durch Zufall und Ausbesserung gleich viel gelitten hat. Es ist noch eine zweite Madonna von Andrea del Sarto in dieser Sammlung; sie sitzt auf einem Thron, der ein paar Stufen erhöht ist, und hält das vor ihr stehende Christkind. Vorn sitzt links St.-Marcus und rechts kniet ein Engel. Dem vorigen Bilde kann man dieses nicht an die Seite stellen; zudem ist es auch unvollendet und folglich härter und trockener, als es vermuthlich hätte werden sollen; doch erkennt man darin den Meister. Warum die schöne sitzende Figur St.-Marcus und kein anderer Heiliger sei, wird sich so leicht nicht überzeugend darthun lassen, weil sein Gefährte, der Löwe, nicht dabeisteht, und es doch nicht so leicht ist, alle und jede Heiligen, wie weiland die griechischen Götter, an ihren Eigenthümlichkeiten zu unterscheiden. Paulus und Barnabas wurden zwar von den Einwohnern von Lystra für den Mercur und Jupiter angesehen; allein dem Kunstsinne dieser ehrlichen Lykaonier, die damals noch Erscheinungen von ihren Göttern für möglich hielten, möchte wol nicht sehr zu trauen sein.
Im Vorübergehen fällt ein Blick auf Pietro da Cortona's Pietro Berettini von Cortona (1596-1669), Maler und Baumeister der spätern, ausartenden Zeit. Anmerkung d. Hg. schöne Ehebrecherin; doch was sage ich? Ehebrecherin? Das Bild schreit Rache über diese Verleumdung, oder – wenn dieses Weib eine Ehebrecherin war, so werfe, wer schuldloser ist, den ersten Stein auf sie; denn dieses Weibes Sünde war eine Tugend. Mit gebundenen Händen steht sie da, den abgewandten Blick in Thränen, den Blick, dem zu begegnen der tückische Kläger nicht werth ist. Es ist die Ruhe eines hohen Bewußtseins in ihren Zügen, und in dem etwas zusammengedrückten Munde Schmerz und Trotz des gekränkten Gefühls. Die Form des Gesichts ist sehr edel; man sieht, es ist Studium der Antike, angewandt auf eine schöne Skizze nach der italienischen Natur. Im ganzen Kopf, in der Stellung, in der Draperie herrscht eine Einfalt und Grazie, welche diesem wackern Pietro eigen war. Der halb entblößte Hals und die trefflich gezeichneten Hände sind gut colorirt, und das ganze Bild gehört zu der kleinen Anzahl der hier vorhandenen, vor denen man lange stehen und bei denen man immer weiter in die Seele des Künstlers hineinlesen kann.
Dies ist schon nicht der Fall bei Carlo Dolce's aus Florenz (1616-86), ein guter, aber etwas weichlicher Maler der spätern Zeit. Anmerkung d. Hg. Christus mit der schönen Hand; man sieht und bewundert die Hand, die am Ende doch nur allzu mühsamen Fleiß verräth, und wenn man einen alltäglichen Christuskopf findet, geht man weiter. Seine Madonna mit dem Kinde, in dem Vorsprung am Fenster, ist das Idol der Menge derer, die täglich die Galerie besuchen, ein bis zum Ekel süßes, gelecktes, elfenbeinernes und noch obendrein verzeichnetes Machwerk, bei dem der Ausdruck im Fleiße verschwindet.
Ueber diesem spiegelglatten bunten Bildchen hängt ein Johannes in der Wüste Dieses von Forster so hochgepriesene Bild ohne Namen ist ohne Zweifel der jetzt in München befindliche, dem Giulio Pippi, genannt Romano (1492-1546) zugeschriebene Johannes der Täufer. (Dillis, »Verzeichniß der Gemälde der königlichen Pinakothek«, 1839, S. 154.) Anmerkung d. Hg. in Lebensgröße. Die Zeit hat diesem göttlichen Werke gegeben und genommen: gegeben eine Wahrheit des Colorits, die es vielleicht bei seiner Verfertigung nicht hatte; genommen aber an einigen wenigen Stellen den bestimmten Umriß, dessen dunkle Schatten sich in den noch dunklern Hintergrund verlieren. Auf seinen linken Arm gestützt, den linken Fuß an sich hinaufgezogen in eine Ruhe, die doch nicht unthätig ist, den rechten vor sich hinausgestreckt, des Körpers andere Stütze, so sitzt Johannes ruhend da in jugendlicher Kraft und Blüte, sein sinnendes Haupt der rechten Schulter zugewandt. Unter seiner Linken liegt auf dem Felsensitze das Kreuz, und in der Rechten, deren Arm links hingehalten seinen Schos beschattet, hält er das andere Emblem des Täufers, die mit dem Quell, der unter seinem Sitze hervorströmt, angefüllte Schale. Diese Zeichen geben ihm für den Christen ein eigenthümliches Interesse; sie versetzen uns in den bestimmten Gesichtspunkt, aus welchem der Künstler beurtheilt werden muß, den nämlich, in dessen ekstatischem Helldunkel er das Urbild seiner Schöpfung erscheinen sah. Doch dieser Künstler war nicht nur Christ, er war zugleich ein Mensch; und mit Menschen menschlich zu reden, ersann er dieses unübertreffliche Denkmal seiner Kunst und seines leise ahnenden, in die Tiefen der Seele göttlich herabsteigenden Geistes. Wenn im Strome wechselbringender Jahrtausende die jetzigen Einkleidungen des Wahren längst verschwunden und vergessen sind und es ebenso unmöglich sein wird, unsere Hieroglyphen, als es uns jetzt ist, die ägyptischen zu entziffern, dann bliebe dieses Gemälde, falls ein glücklicher Zufall es bis dahin erhielte, jener späten Nachwelt ein Vereinigungspunkt mit der Blütezeit unserer heutigen Kunst, ein Spiegel, in welchem man die Bildungsstufe und den Geist des vergangenen Geschlechts deutlich erkennen, und ein lebendiges, solange es Menschen gibt, verständliches Wort, wodurch man vernehmen würde, wie einst der Sterbliche empfand und dachte, der dieses Zeugniß seiner Schöpferkraft hinterließ.
Kraft in Ruhe, nicht Abspannung, sondern Gleichgewicht: dies ist das aufgelöste Problem. Wir sehen einen Mann in Jünglingsschönheit sitzen; der Körper ruht, doch nur vermittels wirkender Muskeln, und der rechte Arm schwebt frei mit der gefüllten Schale. Indem er sie zum Munde führen will, verliert sich sein Geist in seiner innern Gedankenwelt und seine Hand bleibt ihm unbewußt schweben. Schön und rein sind die Lippen, von unentweihter Reinheit. Milde lächelnd belohnen sie, wer ihrer Stimme horcht; jetzt aber folgen sie dem Zuge eines weichern Gefühls. Ist es vielleicht die stille Freude der Hoffnung? Wenigstens umschweben frohe Gedanken den geschlossenen Mund und scheinen gleichsam zu buhlen um die Hülle des Lautes. Niedergesenkt ist der Blick; theilnehmende Bewunderung einer geahnten Größe drückt die Augenlider; unter ihrer großen schwärmerischen Wölbung, die so himmlischrein hervortritt aus dem Schatten der Augenbrauen, steht ein Göttergesicht vor der innern Sehe, wogegen ihm die mit Reiz geschmückte Erde nur Staub ist. Ein Ocean von Begriffen liegt klar auf seiner Stirn entfaltet. Wie heiter ist diese Stirn! Keine Begierde, keine stürmische Leidenschaft stört den heiligen Frieden dieser Seele, deren Kräfte doch im gegenwärtigen Augenblick so rege sind! Vom runden, festen Kinne bis zur braungelockten Scheitel, wie wunderschön ist jeder Zug, und wie versinkt dennoch die Sinnenschönheit in hervorstrahlender, erhabener Seelenstärke!
Die Deutung dieser Umrisse, dieser Züge bleibt durch alle künftigen Aeonen unverändert dieselbe; je zarter der Sinn, je reicher der Verstand, je heiliger glühend die Phantasie, desto tiefer nur greifen sie in den unergründlichen Reichthum, den der Künstler seinem Werke schuf. Uns indessen kann es individueller in Anspruch nehmen; uns erinnert es an Geschichte und an tausendfache Beziehungen, deren ununterbrochene Kette uns selbst mit unsern Zeitgenossen umschlingt und mit dem dargestellten Gegenstande verbindet. Wir kennen diesen erhabenen Jüngling. Das Buch des Schicksals einer verderbten Welt lag auseinandergerollt vor seinen Augen. Durch Enthaltsamkeit und Verleugnung geschärft und geläutert, ergründete sein reiner Sinn die Zukunft. In einsamen Wüsteneien denkt er dem großen Bedürfnisse des Zeitalters nach. Zu edel, zu groß für sein gesunkenes Volk, hatte er sich von ihm abgesondert, hatte es gestraft durch das Beispiel seiner strengen Lebensordnung und kühn gezüchtigt mit brennenden Schmachreden. Jetzt fühlt der ernste Sittenrichter tief, daß diese Mittel nichts fruchten; in die ekelhafte Masse selbst muß sich der edle Gärungsstoff mischen, der ihre Auflösung und Scheidung bewirken soll, Aufopferung, Langmuth, Liebe – und zwar in welchem, den Geschlechtern der Erde, ja seiner rauhen Tugend selbst noch unbegreiflichen Grade! – fordert die allgemeine Zerrüttung des sittlichen Gefühls. Hier wagt er es, diese Eigenschaften vereinigt zu denken, im Geiste das Ideal eines Menschen zu entwerfen, der sie bis zur Vollkommenheit besitzt. Bald aber dünkt es ihn, dieses Bild sei nicht ein bloßes Werk der Phantasie, es verwebe sich mit bekanntern Zügen, ja er kenne den göttergleichen Jüngling, in dem die Rettung der Erdebewohner beschlossen liegt! Dieses Bewußtseins frohe Schauer sind es, die der gesenkte Blick, im innern Anschauen verloren, uns verkündet. Wer ahnt den Feuerstrom der Rede, der sonst von diesen Lippen floß, allen Widerstand bändigte und die zagenden Herzen ergriff? Diese überwundenen, gerührten Lippen sinken in die Ruhe der großen, freudigen Zuversicht. Das ist der Täufer Johannes!
Und wenn er es nicht wäre? Wenn nur die Kunst ihn so zu schildern, so zu dichten, so aus fernen Aetherbahnen als einen hellen Stern in vollem Glanze uns näher zu rücken vermöchte? Dankt' es denn nicht die Religion der Kunst, die sie verherrlicht? Gewiß, es kann nicht gleichgültig sein, da wir einmal den leibhaften Johannes nicht zu sehen bekommen, ob man uns erhabene oder kleinliche Vorstellungen bei diesem Namen erweckt. Nie wäre man lau und gleichgültig gegen das Heilige und Göttliche geworden, wenn die Lehrer der Menschen dasjenige, was sie in liebreicher Absicht so nannten, durch keine unedle Vorstellungsart entweiht, wenn sie das Schöne und das Gute rein empfunden und in neuer Klarheit aus reinem Herzen mitgetheilt hätten. O du mit der Engelseele, aus deren Abgrund du diese entzückende Erscheinung heraufzaubertest und sie zugleich als Bild des Edeln dachtest, der sich noch nicht werth hielt, seines höhern Freundes Füße zu berühren, wer bist du, daß ich bei deinem Namen dich nennen mag, nicht blos dich denken muß als den ernsten Schöpfer dieses Johannes? Doch, wer du auch seist, hier lebt ein Abdruck deiner Kräfte, in dem wir dich bewundern und lieben. Wie heilig ist der, in dessen Seele dieses vollendete Wesen aufstieg! Keine Bulle – Gott und die Natur kanonisirten ihn.
Ich begreife es nun, daß selbst der Apollo einem Menschen so viel nicht sein kann als dieser Mensch Johannes. Die Gleichartigkeit seines Wesens mit dem unserigen zieht uns zu ihm hin; er ist in aller seiner Vollkommenheit noch unser Bruder; in ihm fühlen wir uns ergänzt; von ihm wollen wir lernen, weil wir ihn verstehen, weil er durch Nebeneinanderstellung und Vergleichung, durch Sonderung des Verschiedenen und Einigung des Uebereinstimmenden erkennt und denkt wie wir. Der Apoll hingegen ist, was er sein soll, ein Gott. Von seiner Erkenntnißart haben wir keinen Begriff; sie ist ganz Intuition, ganz reiner Sinn, wie wir es dunkel ahnen in seiner Gestalt. Ihn fassen wir nicht; von ihm können wir nichts lernen; er kann uns nichts als erfreuliche Erscheinung sein, außer etwa in gewissen Augenblicken, wenn auch wir, über uns selbst hinaus exaltirt und zu einer höhern Reizbarkeit gespannt, ohne von der Vernunft gestört zu werden, der Intuition des reinen Kindersinnes genießen. Allein diese Augenblicke mit ihrem Himmelreich sind unserm Schwachsinn allemal gefährlich, und die Abspannung, die darauf erfolgt, kann mehr als zu deutlich lehren, wie wenig wir für Göttergenuß und den Umgang mit Göttern geschaffen sind. Unsere Ungenügsamkeit ist Schwäche; die Griechen blieben bei der Erscheinung stehen und freuten sich des Anblicks ihrer Schönheit.
Was ich aber nicht mehr begreife, das ist, wie man es noch wagen kann, einen Christus als Kunstwerk darzustellen. Malt man ihn mit den Zügen eines Götterideals, so hat er nur das Interesse der Schönheit; allein er rührt nicht das Herz. Im Gegentheil, schildert man einen Menschen, wie will man das Göttliche dergestalt hineinverschmelzen, daß es dem Interesse des Herzens nicht schadet? Und läßt man dieses ganz hinweg, wie ist es möglich, die Menschheit so hinaufzuadeln, daß sie noch größer als hier Johannes erscheint? Auch habe ich noch keinen Christuskopf gesehen, von dem ich sagen könnte: er ist es. Vielleicht ist das indeß weniger die Schuld der Künstler als der Theologen. Zu seinem Johannes durfte der Maler einige Ideen von dem fälschlich sogenannten Antinous entlehnen; diese schöne Natur, die von echten Kennern als ein Werk der höchsten griechischen Vollendung anerkannt wird, bot ihm die Züge eines kühnen, trotzigen, starken Jünglings dar, deren wilde Größe sich im Johannes mit dem sanftern Ernst des Denkers so vereinbaren ließ, daß die sinnliche Schönheit zwar untergeordnet, aber dennoch die bedeutungsvolle Zierde seines Wesens blieb. Man erkennt auf den ersten Blick die Aehnlichkeit des Gemäldes mit dem Marmorbilde; allein wie arm wäre der, dem außer dieser Aehnlichkeit nicht die eigene Schöpfung des Künstlers entgegenleuchtete. Nach meiner Empfindung versündigte er sich stärker an der Kunst, als wenn er im Virgil nur den Nachahmer Homer's erblicken wollte. Jeder Zug dieses Johannes bürgt uns für den Dichtergenius seines Urhebers, wenn nicht schon die eigenthümliche Behandlungsart sein Verdienst erwiese. Nie zeichnete ein Florentiner richtiger und schöner; und bei dieser Wahrheit des Farbenschmelzes vermißt man Tizian's magischen Pinsel nicht. Rafael, dem man hier das Gemälde zuschreibt, hat zu keiner Zeit diesen Grad der Vollendung im Colorit erreicht. Eine andere Hypothese nennt Andrea del Sarto als den großen Künstler dieses braungelockten Jünglings; und wenn er wirklich sein ist, dann hatte Michel Angelo doch wol recht. Ich trage einen unauslöschlichen Abdruck dieses in seiner Art einzigen Meisterwerks mit mir davon. Was Italien dereinst Schöneres und Vollkommeneres mir zeigen könne, muß ich von der Zeit erwarten; aber die Stunden gereuen mich nicht, die ich den weichen, kurzen Locken, die so schön das Haupt umgeben, den seelenvollen Zügen, den unnachahmlichen Umrissen dieses einfachen, in sich vollkommenen, bewundernswürdigen Ganzen zum letzten mal schenkte. Jetzt nichts mehr von dieser bunten, blendenden Sammlung! Meine Augen werden nicht müde, den schönen Johannes zu sehen; allein sie erliegen der Menge. Einen Abschiedsblick werf' ich indeß noch auf Guido's Guido Reni, bedeutender Geschichts- und Heiligenmaler der eklektischen Schule, geb. 1575 zu Bologna, gest. daselbst 1642. Anmerkung d. Hg. gen Himmel fahrende Madonna; ihr danke ich einen viel zu schönen Genuß, als daß ich ganz von ihr schweigen könnte.
In Dresden sah ich Rafael's große Behandlung dieses Gegenstandes. Dort ist es die Königin des Himmels, die wieder zurückkehrt auf den Thron, der ihr Eigenthum ist. Sie schwebt nicht, sie steht, mehr sinnend als froh; die Göttliche verläßt eine Welt, zu welcher sie nie gehörte. Die anbetenden Engel jauchzen nicht; die Himmel feiern. – Und Guidos Maria? Sie ist so menschlich schön Ein Weib, das, jetzt von den Leiden, den Fesseln der Erde befreit, den Himmel offen sieht. Ihr trunkener Blick, ihr verklärtes Gesicht, ihre ausgebreiteten Arme verkünden ihre unaussprechliche Wonne. Zwei Engel zu ihren Füßen, bezaubernd wie nur Guido's Engel, tragen sie empor, schmiegen sich an ihr Gewand, freuen sich ihrer voll himmlischer Liebe – nein! Menschen dürfen es nicht sprechen, wenn Engel sich freuen!
Dies ist eine neue Welt, blos möglich, lichtumflossen und in reinem Lichte bestehend! Da ist nichts Irdisches, nichts Ungeläutertes zu sehen. Selbst der große blaue Mantel der Verklärten ist reiner, verdichteter Aether des Himmels, wenn wir ihn mit Kleidern von irdischem Gewebe vergleichen; er ist nicht schwer, er gibt nur Würde und Glanz. Die Jungfrau, schlank und schwebend und völlig bekleidet – in ihren Zügen sind Spuren von der Erinnerung des Künstlers an Niobe's Töchter –, scheint bereits einer himmlischen, unzerstörbaren Lichtnatur theilhaftig; man sieht sie an und glaubt an eine Auferstehung. Die Schönheit der Engel und ihre Grazie spotten aller Beschreibung; ihr Ausdruck ist himmlische Unschuld und seraphische Liebe. Sie bedürfen nicht der Erkenntniß des Guten und Bösen; die Welt, die wir in ihnen ahnen, umfaßt und erschöpft alle Formen des Lichts und der Wahrheit. Es gibt Ideale der Schönheit, die verschieden von griechischen Göttergestalten sind; in diesen Engeln erblick' ich sie zum ersten mal. Ich hatte nicht geglaubt, daß es möglich wäre, die Wunder des Empyreums Nach der alten griechischen Naturphilosophie der oberste Weltraum, wo sich das als feinstes und leichtestes Element nach oben strebende Feuer sammelt und die leuchtenden Himmelserscheinungen entstehen. Bei den christlichen Philosophen der Ort des Lichts, Himmel. Anmerkung d. Hg. mit sinnlicher Form zu begaben, Engelreinheit gepaart mit dem milden Feuer der seligen Geister, die einander durchdringen, und mit dem ewigen Reize der Heiterkeit, in göttlicher Jünglings- und Graziengestalt hinzuzaubern. O Guido, süßer Schwärmer, wie verführerisch wird durch deine Phantasie die Schwärmerei! Alles in diesem Gemälde ist Magie und magisch ergreift es das Gefühl: die zarte Richtigkeit der Zeichnung; die Stellung der Madonna; die Form der Gruppe; die holde Anmuth des ganzen Gedichts; die Pracht und Zierlichkeit der ätherischen Gewänder; und, ich wage es zu behaupten, sogar die blendende Glut der Farben, die eine Lichtwelt versinnlichen, nach welcher unser blödes Auge kaum hinauszublicken wagt! Hier sollten die Maler lernen, wie Engel fliegen und wie Verklärte schweben.
Ich reiße mich endlich los. Von Tizian's und Correggio's Werken enthält die Galerie nichts, das dieser großen Namen würdig wäre. Ein Porträt unter jener Himmelfahrt, die Arbeit des erstern von diesen Meistern, ist wegen des Umstandes merkwürdig, daß ein berühmter Physiognomiker es für das vollkommenste Ideal eines Christuskopfes, das ihm noch zu Gesicht gekommen sei, erklärte; und dieses Ideal war – der muthwillige Aretino Pietro Aretino aus Arezzo (1492-1556) lebte zu Rom und Venedig; ein satirischer Schriftsteller, theilweise von äußerster Leichtfertigkeit. Anmerkung d. Hg.! Ich denke darum nicht schlechter von diesem physiognomischen Urtheil; denn es läßt sich auf eine ähnliche Art vertheidigen, wie Sokrates das Urtheil des Physiognomen über ihn selbst rechtfertigte. Ein Christus mit der Dornenkrone, das einzige Stück, welches man hier von Correggio zeigt, mag wol bewundernswürdig sein, wenn man nur auf einem Gesichte, das so tiefes Leiden ausdrückt, den Blick könnte ruhen lassen. Einst war es eine Philosophentugend, recht zu handeln und die schauderhaftesten Gegenstände wie die lieblichsten mit Gleichmüthigkeit anzusehen. Seitdem man aber die Unempfindlichkeit, die selten recht thut, damit zu verwechseln pflegt, ist nichts Verdienstliches mehr an diesem Stoicismus, und die Philosophie hat ihn längst der Politik, die immer nur repräsentirt, überlassen. Zu einer andern Zeit und an jedem andern Orte außer dieser Sammlung wäre die Flucht nach Aegypten vom alten Paul Veronese Paolo Cagliari, genannt Veronese, geb zu Verona 1528, gest 1588, der bedeutendste Meister der spätern venetianischen Schule. Anmerkung d. Hg. ein Stück, das bemerkt zu werden verdiente; Guercino's Francesco Barbieri, genannt Guercino da Cento (1590-1666), mit den Carracci, Domenichino und Guido Reni als hervorragender Meister der eklektischen Schule zu nennen. Anmerkung d. Hg. Dido und die Verkündigung Mariä von Tintoretto Jacopo Robusti, genannt Tintoretto (1512-94), Tizians Schüler und bedeutender Meister der spätern venetianischen Schule. Anmerkung d. Hg. wären auch eines Blickes werth; einen kleinen Albani Francesco Albani aus Bologna (1578-1660), Jugendfreund und Mitstrebender Guido Reni's, besonders bekannt durch mythologische Gemälde. Anmerkung d. Hg., eine schlafende Venus von Carlo Maratti (1625-1713), gemäßigter Manierist der spätern Zeit. Anmerkung d. Hg., ein paar Köpfe von Guido Guido Canlassi, genannt Cagnacci (1601-81), Guido Reni's Schüler, lebte und starb zu Wien. Anmerkung d. Hg., selbst Cagnacci's Mutter der sieben Schmerzen und Spagnoletto's Jusepe Ribera, genannt Spagnoletto, geb 1588 zu San-Felipe unweit Valencia in Spanien, Hofmaler in Neapel, gest. 1656, bedeutender, wenn auch nicht anziehender Heiligenmaler. Anmerkung d. Hg. Hirten, die im Felde bei dem Lobgesange der Engel erwachen, würde man noch mit einigem Vergnügen betrachten. Ich eile gesättigt vorüber.
Von der sehr reichen Sammlung von Kupferstichen und Handzeichnungen, welche die hiesige Akademie der Künste besitzt, kann ich Dir nichts erzählen, was Du nicht schon wüßtest. Ich erkundigte mich aber nach den Formen, worin die herrlichen Abgüsse von Antiken gegossen sind, die wir zu Mannheim sahen. Allein Du erräthst nimmermehr – daß man sie zerschlagen und zum Straßenbau verwendet hat. Nun sage mir einer, ob wir nicht noch die alten Barbaren sind!