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X.
Aachen.

Lage von Burtscheid. Nadelfabrik und Tuchfabrik daselbst. Tuchfabriken in Vaals. Färberei. Tuchhandel. Ideen über den künftigen Zustand von Europa. Krönungsstuhl von Marmor in der Kathedralkirche. Zerspaltene Thore von Erz, nebst der dazugehörigen Legende. Charfreitagsprocession.

Burtscheid liegt an der Ostseite der Stadt, und man hat dorthinaus einen angenehmen Spaziergang. Die Abtei ist schön gelegen und mit allem geistlichen Prunke aufgeführt. Gleich daneben zieht ein Wäldchen sich an einem großen Teiche hin, und indem man unvermerkt weiterkommt, geräth man endlich in ein enges, von waldigen Hügeln umschlossenes Thal, wo sich nicht nur mehrere heiße Quellen durch ihren aufsteigenden Brodem verrathen, sondern sogar ein ganzer Teich mit heißem Wasser angefüllt ist. Indem man an einer Reihe von schönbeschatteten Wasserbehältern fortwandert, erblickt man die romantischen Ruinen des alten Schlosses Frankenberg, innerhalb dessen Mauern ein Gastwirth den guten Einfall gehabt hat sich eine Wohnung einzurichten, welche manchem verirrten Badegaste sehr zu statten kommt, da man hier allerlei Erfrischungen und zugleich eine reizende Aussicht genießen kann. Was indessen das Vergnügen dieses Aufenthalts stört, ist die Nachricht, womit der Fremde bald bekannt gemacht wird: daß sich hier seit acht Jahren bereits zehn Menschen in einem Anfalle von Melancholie ersäuft haben. Ich suchte vergebens die Veranlassung zu dieser düstern Stimmung in der hiesigen Gegend, die so viel Abwechselung hat, so schön bewachsen und so vielfältig decorirt ist. Was hier zur Trauer und zur Verzweiflung führt, ist vermuthlich das Hazardspiel, welches, seitdem es in der Stadt verboten ist, in Burtscheid desto stärker getrieben wird.

Die Teiche in diesem Thale werden sorgfältig unterhalten, indem sie den in Burtscheid befindlichen Nähnadelfabriken sehr zu statten kommen. Wir besahen nur das Merkwürdigste, nämlich die Polirmühle, welche vermittels eines am Wasserrade angebrachten Getriebes die erforderlichen Vorrichtungen in Bewegung setzt. Von dem Krummzapfen steigt ein senkrechtes Gestänge in die Höhe, welches vermittels eines Daumens mit einer Horizontalwelle im zweiten Stockwerke des Gebäudes in Verbindung steht und sie hin- und herschwankend bewegt. Die Nadeln liegen in Rollen von dickem hänfenen Zwillich eingewickelt, zwischen Schichten von scharfen Kieseln von der Größe einer Linse, welche man aber zuletzt mit Sägespänen vertauscht. Indem sich nun die Walze bewegt, zieht sie ein in Haken hangendes wagerechtes Gatter hin und her, wodurch die darunterliegenden Rollen bewegt und die darin befindlichen Nadeln polirt werden. Unter jedem Polirgatter liegen zwei Rollen, und jede Rolle enthält dreimalhunderttausend Nadeln. Ich freute mich, hier wieder zu bemerken, wieviel man durch mechanische Uebung an Geschicklichkeit gewinnt. Einen Haufen verwirrt durcheinanderliegender Nadeln bringt der gemeinste Arbeiter durch Schütteln und Schwingen eines Kastens in wenigen Augenblicken vollkommen in Ordnung.

Burtscheid beschäftigt nach Verhältniß mehrere Tucharbeiter als die Stadt Aachen. Die ansehnlichste Fabrik, die des Herrn von Loewenich, besteht aus sehr weitläufigen, gut angelegten Gebäuden, und ihre Tücher werden vorzüglich geschätzt. Hier sowol als in Vaals und in Aachen selbst verfertigt man blos einfarbige Tücher, die im Stück gefärbt werden, da hingegen Verviers und die dortige Gegend blos melirte Tücher, die schon im Garn gefärbt sind, liefern. Vigogne- oder Vikuntücher werden insbesondere zu Montjoie fabricirt. Der Handel mit einfarbigen Tüchern scheint indessen ungleich sicherer zu sein, indem diese Fabrikate nicht wie jene andern dem Eigensinne der Mode unterworfen, sondern auf ein dauerndes Bedürfniß berechnet sind.

Wenn man in Aachen auf wirklich vorhandene Verordnungen hielte, so dürften daselbst keine anderen Tücher als blos von spanischer Wolle gewebt werden. In Vaals bestehen wirklich Kette und Einschlag aus spanischer Wolle, nicht blos der Einschlag, wie in andern deutschen Fabriken.

Diesen ersten Stoff bezieht also der hiesige Tuchfabrikant unmittelbar aus Spanien. Die feinste Wolle erhält man aus Bilbao wegen der Nähe der vortrefflichen Weiden von Asturien und Leon; die gröbere kommt von Cadix. Nachdem sie in Ostende gelandet worden, geht sie wieder auf Kanälen bis Herzogenbusch und dann zur Achse nach Aachen. Hier wird sie zuerst in ausgemauerten Vertiefungen gespült, aus denen man das unreine Wasser nach Gefallen ableiten kann. Um allen Betrug der Arbeitsleute zu verhüten, hat man diese Wollwäschen an freien, frequentirten Oertern angelegt. Wo diese Vorsicht nicht gebraucht wird (welches in der Stadt der Fall ist, wo man zuweilen auch das Waschen bei Nacht gestattet), da kann man oft durch die strengste Aufsicht der Entwendung eines ansehnlichen Theils der zugewogenen Wolle nicht vorbeugen. Je nachdem der Arbeiter sie mehr oder weniger mit Wasser angefüllt zurückliefert, steht es bei ihm, den Fabrikanten unvermerkt um sein Eigenthum zu betrügen.

Die reine Wolle wird den Landleuten zum Spinnen ausgetheilt. Für Aachen und die umliegenden Fabrikorte spinnen hauptsächlich die Limburger und die Flamänder. Im Herzogthum Jülich, wo der Ackerbau sehr stark getrieben wird, hat der Landmann viel zu harte Hände, um einen feinen Faden zu spinnen. Bei der Viehzucht auf den fetten Weiden von Limburg, wo die Hauptbeschäftigung des Bauers in Butter- und Käsemachen besteht, erhalten sich die Finger geschmeidiger, und überall spinnen Kinder und Weiber den feinsten Faden. Solche Beziehungen, welche die verschiedenen Wohnorte der Menschen und die denselben jedesmal angemessenen Modificationen des Erwerbes und der Lebensart mit sich bringen, interessiren um so mehr, wenn man sie erfährt, weil man nur durch die besondern Bedürfnisse einer großen Fabrikanstalt und durch das ernste Nachdenken über die Mittel, ihr Vollkommenheit zu geben, zur Wahrnehmung derselben geleitet wird. Aehnliche Bedürfnisse haben den speculirenden Geist in Berlin auf die Bemerkung geführt, daß der Soldat zum Spinnen ungleich geschickter ist als der pommersche Bauer. Wollte man diese Speculation noch weiter fortsetzen, so müßte man von dem Satze ausgehen, daß eine jede Kunst desto vollkommener getrieben wird, je mehr sich die Kräfte des Menschen darauf concentriren. Unstreitig also würde man es im Spinnen weiter bringen, wenn es durch fabrikenmäßige Anstalten, wo die Spinner einerlei Licht, Wärme und Obdach genössen, so vortheilhaft eingerichtet würde, daß eine eigene arbeitsame Klasse von Menschen sich blos diesem Gewerbe ergeben und davon allein subsistiren könnte. Menschen, die vom siebenten Jahre an sich nur dieser Beschäftigung widmeten, müßten in kurzem die Fertigkeit erlangen, besser und schneller als alle andern, die das Spinnen nur als Nebenwerk treiben, mit der Wolle umzugehen, und indem sie beides, feinere Fäden und in größerer Menge, lieferten, würde ihre Arbeit wohlfeiler werden, ohne ihnen selbst Nachtheil zu bringen. Wie aber eine solche Anstalt mit den jetzt gebräuchlichen Erwerbarten des Landmannes in eine Gleichung zu bringen wäre, sodaß der Bauer, der schon nicht der glücklichste ist, durch den Verlust des Nebenverdienstes, den er vom Wollspinnen zieht, nicht zu Grunde gerichtet würde, verdiente noch eine sorgfältige Untersuchung, wobei man immer wieder auf die längst gemachte Erfahrung zurückkommen müßte, daß der ungeheuere Druck, unter welchem der Landmann seufzt, das erste und unüberwindlichste Hinderniß bleibt, welches sich der Vervollkommnung aller Zweige der Industrie entgegensetzt. Man wundert sich, daß das Uebel nicht von Grund aus gehoben wird, und bedient sich doch keiner andern als der Palliativcur. Daher ist auch die ganze neuere Staatswirthschaft und die gepriesene Verschmitztheit der Finanzbeamten nichts als die verächtlichste Charlatanerie oder, was noch ärger ist, ein verabscheuungswürdiges System von Kunstgriffen, wodurch der Unterthan, genau wie der Negersklave in den Zuckerinseln, nur nicht unter derselben Benennung, zum Lastthier herabgewürdigt wird, dessen Unterhalt jährlich einen bestimmten Ueberschuß abwirft. Stört man durch eine neue für die Vervollkommnung des Kunstfleißes vortheilhafte Einrichtung das Allergeringste an diesem zerbrechlichen, aufs äußerste gespannten Mechanismus, so treffen die Rechnungen nicht mehr zu, und der Plusmacher, der nur rechnen kann, sucht den Fehler seines leeren Kopfes und Herzens in der vorgeschlagenen Neuerung. Ueberall, wo Fabriken nicht das Werk der freien Betriebsamkeit des Bürgers, sondern lediglich Finanzspeculationen der Regierung sind, wird daher auf die Vortrefflichkeit der Fabrikate weit weniger gerechnet als auf den Absatz, den man durch Verbote erzwingen kann, und es liegt also in den ersten Grundsätzen, nach welchen man eine solche Anstalt werden läßt, die Unmöglichkeit, sie zu der Vollkommenheit, deren sie fähig ist, fortzuführen. Oft fängt man da mit Vorkehrungen an, wo man eigentlich aufhören sollte, wie es z. B. bei den Baumwollmanufacturen in einigen Ländern der Fall ist, wo man zwar Farben, Pressen u. dgl. angeschafft, aber auf gute Gespinste nicht gedacht hat. Diese Fehler, wodurch sich nur die Unwissenheit der Administrationen verräth, sind indeß noch verzeihlicher, als wenn in Staaten, deren Bevölkerung verhältnißmäßig gering ist, die Erfindung und Anlegung solcher Maschinen, welche die Arbeit vieler Hände entbehrlich machen, laute Klagen veranlaßt. Diese Klagen, die in freien Ländern, wo der Fleiß jede Richtung nehmen darf, unerhört sind, gereichen dem Despotismus zur Schande, indem es seiner Willkür leicht werden muß, die außer Brot gesetzten Hände anders zu beschäftigen. Allein das schöne Schauspiel der Arbeitsamkeit bleibt das ausschließende Eigenthum freier Völker.

Geistlicher und oligarchischer Zwang hat den Fleiß aus den Mauern von Aachen vertrieben. Die Protestanten, die von manchen Bürgervorrechten ausgeschlossen und des Zunftwesens müde waren, fanden eine Stunde Wegs von der Stadt auf holländischem Gebiete nebst der freien Religionsübung auch die Freiheit, mit ihrem Vermögen und ihren eigenen Kräften nach ihrer Willkür hauszuhalten. In Vaals halten jetzt fünf Gemeinden (Katholiken, Lutheraner, Reformirte, Juden und Mennoniten) ruhig ihren Gottesdienst nebeneinander, und jeder Einwohner hat außer einem festgesetzten Grundzins nach echt physiokratischen Grundsätzen Das physiokratische System der Staatswirthschaftslehre ist dasjenige, welches die Hebung der landwirthschaftlichen Interessen für den bedeutendsten Staatszweck hält und deren Förderung derjenigen von Handel und Gewerbthätigkeit vorordnet. Das physiokratische System fand besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts großen Beifall. Anmerkung d. Hg. keine andere Abgabe, unter welchem Namen es auch sei, zu erlegen. Diese Einrichtung, welche die Republik in allen Generalitätslanden eingeführt hat, verwandelte in kurzem das kleine Dorf in eine Scene des zwanglosesten Fleißes. Die Anlagen des Herrn von Clermont zeichnen sich hier besonders wegen ihres Umfangs und ihrer Zweckmäßigkeit aus, und seine Fabrik beschäftigt in Vaals, Aachen und Burtscheid gegen hundertundsechzig Weber. Dreißig Jahre sind hinreichend gewesen, die Volksmenge und den Wohlstand eines unbedeutenden Dörfchens so unbeschreiblich zu vergrößern, daß jene fünf Gemeinden sich daselbst organisiren konnten. Wohin man sieht, erblickt man jetzt große Fabrikgebäude. Außer den ebenerwähnten, die dem Wahlspruche Spero invidiam (Ich hoffe beneidet zu werden) über der Thüre des Wohnhauses ganz entsprechen und zu erkennen geben, was der Fleiß vereinigt mit Wissenschaft, Beurtheilungsgabe, Erfahrung und Rechtschaffenheit billig erwarten darf, gibt es hier noch andere Tuchmanufacturen, eine Nähnadelfabrik u. s. w. Die hiesigen Tücher gehen mehrentheils nach der Levante; sie müssen zu dieser Absicht weiße Leisten haben und sehr leicht, von feinem, lockerm Gewebe sein. Wir sahen hier Tücher, die einem Grosdetours nicht unähnlich waren, von einer bewundernswürdigen Präcision des Gewebes. Die breitesten halten sechzehn Viertelellen und haben in dieser Breite 8400 Fäden. So fein ist das Gespinst, so gleichförmig das Gewebe, so schön die Farbe, so vorsichtig die Bereitung dieser Tücher, daß man bei den soliden Grundsätzen, nach welchen hier verfahren wird, dieser Fabrik einen langen Flor voraus verkündigen kann.

Ich habe die hiesigen Anlagen alle mit einem unbeschreiblichen Genusse in Augenschein genommen. Es beschäftigt die Phantasie auf eine äußerst überraschende Art, hier auf einem Punkte so mancherlei Producte fremder, zum Theil der entferntesten Erdgegenden ankommen, zur Verfertigung und Bereitung eines neuen Fabrikats angewandt, und dieses wieder in ebenso entlegene Länder versendet zu sehen. Mir wenigstens ist es immer ein fruchtbarer Gedanke, daß hier Tausende von Menschen arbeiten, damit man sich am Euphrat, am Tigris, in Polen und Rußland, in Spanien und Amerika prächtiger oder bequemer kleiden könne; und umgekehrt, daß man in allen jenen Ländern Tücher trägt, um den Tausenden hier Nahrung und Lebensbedürfnisse aller Art zu verschaffen. Das Phänomen des fortwährenden Austausches verschiedener Producte der Natur und der Kunst gegeneinander ist aber unstreitig desto wichtiger, weil die Ausbildung des Geistes so innig damit verbunden ist. Der Handel bleibt die Hauptursache von dem jetzigen Zustande unserer wissenschaftlichen und politischen Verfassungen; ohne ihn hätten wir Afrika noch nicht umschifft, Amerika noch nicht entdeckt und überhaupt nichts von allem, was uns über die andern Thiere erhebt, unternommen und ausgeführt. Das Bedürfniß, mehr zu umfassen, als der jedesmalige Erdpunkt, auf dem wir wurden, uns gewähren kann, sei aus unserer Natur hinweggedacht, und wir kamen nicht weiter als die Affen, die so gut wie wir ein geselliges Leben führen und sich zu gegenseitigem Schutze vereinigen. Nur dieses innere Streben, das Maß in unserm Kopfe allen Dingen anzupassen, macht uns zu Menschen, und je kräftiger es sich in uns regt, desto tiefer lassen wir die bloße Thierheit unter uns zurück. Durch dieses Streben ist der Russe in Kamtschatka dem Bewohner der Aleutischen Inseln und dem Wilden in Amerika an Vernunft und Ideenreichthum überlegen, wie animalisch er übrigens in seinem häuslichen Leben noch sein mag. Nur die Sorge für unmittelbare Erhaltung kann dem Bemühen nach einem größern Wirkungskreise Abbruch thun, und auch dies nur so lange, bis die Erfahrung gemacht ist, daß im letztern das erstere zu finden sei. Es scheint indeß doch, daß allzu großer Reichthum der Natur den Handel beinahe ebenso wenig begünstigt, wie ihre allzu große Kargheit. Wenn der Wilde in träger Gleichgültigkeit nach seiner Jagd oder von seinem Fischfang ausruht, so ist es nicht zu leugnen, diese Beschäftigungen hatten ihn in dem Grade angestrengt, daß er den Reiz für fremde Gegenstände kaum mehr empfand. Hingegen die Indier, die Chinesen, die Aegyptier und alle jene Völker, denen ihr gesegnetes Land eine ungeheuere Verschiedenheit von Producten im größten Ueberflusse darbot, bildeten sich schnell in ihrer eigenen Mitte, bis auf einen gewissen Punkt, wo die patriarchalische Autorität üppig ward und in einen Geist und Herz tödtenden Despotismus ausartete, der alle Kräfte des großen Haufens verschlang und ihnen ausschließenderweise nur zu seinem Nutzen eine Richtung gab. Bald entstand alsdann eine arbeitende und eine blos genießende Klasse, und jede von diesen theilte sich wieder, je nachdem die besondere Veranlassung dazu aus den übrigen Verhältnissen der verschiedenen Nationen entsprang. Das Interesse des Herrschers vertrug sich nicht länger mit allem, was die Einsichten der arbeitenden Menge erweitern konnte; ihr blieb daher der auswärtige Handel untersagt. Damit aber der Despot sich selbst die Quellen eines vervielfältigten Genusses nicht abschnitte, gestattete er fremden Kaufleuten den Verkehr in seinem Lande. Diese Einrichtungen erhalten sich in Indien und China bis auf den heutigen Tag; denn die politische Ohnmacht, die sie zur Folge hätten, reizte zwar oft die Begierde des Eroberers, aber jeder, dem die Eroberung glückte, fand das System der Unterdrückung so unverbesserlich, daß er sich wohl hütete, daran zu künsteln.

Lage und Zusammenfluß von günstigen Umständen entwickelten den Handlungstrieb bei den Phöniziern und Griechen, späterhin bei den Karthaginiensern, dann bei den Venetianern und Genuesern, zuletzt bei den Holländern, den Engländern und andern europäischen Völkern. Ueberall war jedoch diese Entwickelung von bürgerlicher Freiheit unzertrennlich und dauerte nur mit ihr. In Portugal konnte sie nur begleitendes Phänomen des Eroberungsgeistes sein und mußte, wie etwas Erzwungenes und Unnatürliches, in der Finsterniß des geistlichen Despotismus und der politischen Zwietracht verschwinden. In der deutschen Oligarchie hat sie wunderbar angekämpft gegen die furchtbaren Hindernisse des barbarischen Feudalsystems und scheitert nur an der mittelländischen Umgrenzung des Landes, die jede kaufmännische Operation zehnfach erschwert. Wieviel indeß trotz dieser ungünstigen geographischen Lage die Freiheit für den vaterländischen Handel zu leisten vermag, davon zeugt der Flor von Hamburg und Frankfurt, wie der Verfall von Nürnberg, Aachen und Köln.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist also der große Kaufmann, dessen Speculationen das ganze Rund der Erde umfassen und Continente aneinanderknüpfen, in seiner Thätigkeit des Geistes und in seinem Einfluß auf das allgemeine Regen der Menschheit nicht nur einer der glücklichsten, sondern durch die Masse von praktischen Erfahrungen, welche jener Verkehr bei ihm täglich vergrößert, und durch die Ordnung und Abstraction der Begriffe, die man bei einem umfassenden Geiste voraussehen darf, zugleich einer der aufgeklärtesten Menschen; mithin vor vielen andern derjenige, der die höhere Bestimmung unsers Wesens (zu wirken, zu denken und vermittels klarer Begriffe die objective Welt in sich selbst zu concentriren) auf eine sehr vollständige Art erreicht. Beneidenswerth ist das Schicksal eines Mannes, dessen Unternehmungsgeist vielen Tausenden zur Quelle des Wohlstandes und des häuslichen Glücks wird; desto beneidenswerther, weil er diese wohlthätigen Zwecke ohne die mindeste Beeinträchtigung ihrer Freiheit erreicht und gleichsam unsichtbarerweise die Triebfeder von Wirkungen ist, die jeder seiner eigenen Willkür zuschreibt. Der Staat ist glücklich, wenn er solche Bürger in sich faßt, deren große Unternehmungen nicht nur mit der höhern Ausbildung der Gemüthskräfte seiner geringern Mitbürger bestehen können, sondern vielmehr durch dieselbe neue Stetigkeit erhalten. Wo die äußerste Armuth den Handarbeiter drückt, wo er mit aller Anstrengung, deren er fähig ist, nie mehr als nothdürftige Befriedigung der unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse erwerben kann: da ist Unwissenheit sein Los mitten in einem Lande, wo die Wissenschaft die höhern Volksklassen mit ihrem hellsten Strahl erleuchtet; da also verfehlt er die edelste Bestimmung eines Wesens, selbst indem er als Werkzeug die Mittel zum Verkehr der Nationen befördert. Ganz anders aber verhält es sich, wo Geschicklichkeit und Fleiß, ihres Lohnes sicher, dem, der sie besitzt und anwendet, einen gewissen Grad des Wohlstandes verschaffen, der ihm die Erlangung wenigstens theoretischer Kenntnisse vermittels eines zweckmäßigen Unterrichts und einer guten Erziehung möglich macht. Wie klein und nichtswürdig erscheint nicht ein jeder Despot, der vor der Aufklärung seiner Unterthanen zittert, verglichen mit dem Privatmanne, dem Fabrikanten eines freien Staats, der seinen Wohlstand auf den Wohlstand seiner Mitbürger und auf ihre vollkommnere Einsicht gründet.

Von den Walkmühlen, wo die Tücher eine nasse Bereitung erhalten, welche theils wegen der schweren Arbeit, theils wegen der ekelhaften Beschaffenheit der zum Reinigen gebrauchten Stoffe, theils auch wegen der beständigen Nässe des Aufenthalts die Arbeiter mehr als jede andere angreifen muß, führte man uns in die neue Färberei, die in ihrer Art beinahe einzig ist, und wovon man nur noch zu Sedan in Frankreich etwas Aehnliches sieht. Ihre Anlage hat sicherlich mehr als zehntausend Thaler gekostet und vereinigt die drei wichtigsten Vortheile: daß sie geräumig ist, Holz erspart und Sicherheit vor Feuersgefahr hat. Sie ist von den übrigen Fabrikgebäuden ein wenig abgelegen und bildet einen einzigen großen Saal, der durch viele große Fenster erleuchtet wird, die zugleich zur Erhaltung des so nöthigen Luftzugs dienen. Genau in der Mitte desselben ist ein großer Thurm mit Mauern von ungeheuerer Dicke angelegt, welcher sich in den Rauchfang endigt. Die Benennung Thurm ist wirklich die passendste für dieses Gebäude, um welches ringsumher die Küpen oder Farbekessel in einem Kreise stehen. Die Feuerung geschieht von innen im Thurm. Das Holz liegt auf einem Roste, dessen einzelne Stäbe drei Zoll im Durchmesser haben und dennoch von der Hitze schmelzen. Die Flamme spielt im Kreise um den gefütterten Kessel, und der Rauch kommt durch eine über dem Schürloche angebrachte Oeffnung und steigt in der Mitte des Thurms heraus. Zwischen beiden Oeffnungen ist ein Schieber angebracht, der, wenn man ihn mit einer Hand zudrückt, das fürchterlichste Feuer im Ofen augenblicklich ersticken kann.

Die zur Fabrik gehörigen Wasserleitungen sind ebenso vortheilhaft eingerichtet, und jedes Zimmer wird dadurch hinlänglich mit Wasser versorgt. In der Färberei füllt man die Küpen vermittels geöffneter Hähne in wenig Augenblicken und leert sie ebenso schnell durch große Heber. Das unreine Wasser hat seinen Abfluß durch Röhren unter dem Fußboden. Was den Ueberfluß des Wassers noch im Werth erhöht, ist die Reinheit und Weichheit desselben, welches zum Nutzen der Fabrik sehr wichtige Eigenschaften sind. Im Winter bedient man sich lieber geschmolzenen Eises als Schnees, wegen der vorzüglichen Reinheit des erstern. Roth und grün wird hier vorzüglich schön gefärbt. Es gibt Scharlachtücher, welche der Fabrik selbst im Färben auf anderthalb Thaler die Elle zu stehen kommen. Dabei wird man freilich einen Aufwand von Cochenille gewahr, den man in andern Fabriken zum Schaden der Käufer gar wohl vermittels des wohlfeilern Fernambukholzes zu ersparen weiß.

In mehrern großen Zimmern sitzen die Scherer und Tuchbereiter. Die Karden, deren man sich hier bedient, werden in der Gegend von Aachen gezogen. Die Scheren kommen von Remscheid, und die Preßspäne, oder eigentlich dazu bereitete Pappendeckel, welche bei dem Pressen zwischen die Tücher gelegt werden, von Malmedy, seitdem die Engländer die Ausfuhr der ihrigen verboten haben. Die in Königsberg von Kanter angelegte Preßspanfabrik ist hier nicht bekannt; es scheint indeß nicht, als wenn die hiesigen Tücher dadurch noch etwas an Vollkommenheit gewinnen könnten. Die Preßspäne von Malmedy sind weiß und dick und haben nur wenig Firnis, weshalb sie auch gegen zwanzig Jahre dauern und dann noch zu anderweitigem Gebrauche dienen können. Ein Vorzug der hiesigen Tücher, den vermuthlich die Orientalen besonders zu schätzen wissen, besteht darin, daß man sie im Rahmen fast gar nicht reckt, und daß sie daher auch nicht einlaufen, wenn man sie ins Wasser legt.

Eine in Spanien seit einigen Jahren herausgekommene Verordnung hat nicht nur die Ausfuhr fremder Tücher nach Amerika, sondern auch den Verkauf derselben in Spanien selbst verboten. Wären die Tuchfabriken von Segovia und Guadalaxara so beträchtlich, daß sie beide Länder mit ihren Fabrikaten versorgen könnten, so möchte wol dieser Absatz für die deutschen Manufacturen gänzlich verloren sein; allein so groß auch die Activität ist, welche man sich bemüht, den inländischen Fabriken dort zu geben, so reicht doch die Menge ihrer Tücher noch nicht hin, und es läßt sich schon berechnen, daß das Verbot nicht von langer Dauer sein kann. Die erstaunliche Solidität und der Umfang der hiesigen Anlagen setzen die Eigenthümer in den Stand, einen solchen Zeitpunkt ruhig abzuwarten und selbst dem gänzlichen Verlust ihres Debits in einem großen Welttheile, falls es wider Vermuthen bei dem spanischen Verbote bleiben sollte, gleichgültig zuzusehen. Eine wichtigere Revolution für ganz Europa würde alsdann aber wirklich eintreten, wenn dereinst Spanien aus seiner Lethargie erwachen, alle seine Wolle selbst verarbeiten und die Ausfuhr dieses ersten unentbehrlichen Stoffs schlechterdings verbieten sollte. Da es vortrefflich gelegen ist, um den ganzen levantischen Handel an sich zu reißen, und da es den amerikanischen, wenigstens soweit seine eigenen unermeßlichen Colonien gehen, schon in Besitz hat, so würde es im Osten und Westen seine herrlichen Naturproducte, mit eigenem Kunstfleiße verarbeitet, wohlfeiler als bisher alle andern Nationen absetzen und doch mehr als sie alle dabei gewinnen. England, Holland, Frankreich und Deutschland, die sich jetzt von der Verarbeitung der rohen Producte Spaniens bereichern, würden, wenn sie von diesen ausgeschlossen wären, ihre Fabriken zu Grunde gehen sehen und nach Maßgabe des Vortheils, den sie ehedem daraus zogen, auch an ihrer politischen Wichtigkeit verlieren. Doch ehe es zu dieser furchtbaren Veränderung kommt, bedarf es zuvor einer Kleinigkeit: die Alleingewalt des Königs muß eingeschränkt, die Stände müssen wiederhergestellt, die Inquisition muß abgeschafft, die Freiheit des Gewissens und der Presse unwiderruflich zuerkannt und die Sicherheit des Eigenthums nebst der persönlichen Unabhängigkeit aller Bürger von willkürlichen Eingriffen in die Macht des Gesetzes fest begründet werden. Der erste Schritt zu dieser großen Wiedergeburt der spanischen Monarchie ist – das Verbot aller fremden Zeitungen und die gewaltthätige Eröffnung aller Briefe. Was gilt die Wette? Die Limburger spinnen noch in hundert Jahren spanische Wolle!

Der immer steigende Mangel an den zur Feuerung unentbehrlichen Brennmaterialien droht den hiesigen Fabrikanstalten, wie so vielen andern, mit einer Erhöhung ihrer Kosten, welche den zu erwartenden Gewinn beträchtlich schmälern kann. Seit langer Zeit sind die Wälder in diesen Gegenden und in den Niederlanden überhaupt durch den starken Anbau und die zunehmende Volksmenge verschwunden. Die Natur hat indeß für das Bedürfniß der Einwohner durch unterirdische Wälder, ich will sagen durch ansehnliche Steinkohlenflötze, reichlich gesorgt. Ueberall sieht man schon in hiesiger Gegend Kamine und Steinkohlenöfen, und niemand heizt noch mit Holz. Wie aber, wenn auch die Gruben endlich sich erschöpfen lassen und kein neues Substitut erfunden wird, zu dessen Wärme wir im Winter unsere Zuflucht nehmen und wobei wir unsere Speisen bereiten können? Was unserer mit Physik verbundenen Chemie noch möglich sei oder nicht, wage ich zwar keineswegs zu bestimmen; sie erfindet vielleicht ein Netz, in welchem sich das zarte Element des Feuers fangen und verdichten läßt, sodaß es uns wieder Wärme geben kann, indem wir es befreien; aber das ist auf allen Fall eine höchst unsichere Aussicht. Wahrscheinlicher kommt es mir vor, daß der Mensch zuletzt die Eis- und Nebelländer und die von Waldung ganz entblößten Gegenden des sogenannten gemäßigten Erdstrichs als unbewohnbar wird verlassen müssen. Wir fragen immer, wann doch endlich die Türkei sowol in Europa als in Asien im schönen Lichte der sittlichen Cultur wieder aufblühen, wann gebildete Völker Afrika bewohnen werden? Mich dünkt, die Antwort könnte man sich leicht erträumen; Hunger und Kälte werden dereinst gewaltiger und unaufhaltsamer als vor Zeiten der Fanatismus und der Ehrgeiz wirken, um die Völker von Europa in hellen Haufen über jene barbarischen Welttheile hinzuströmen. Wir werden uns in die Wälder des Hämus, des Taurus und Amanus »Hämus«, jetzt Balkan, Gebirge der europäischen, » Taurus« der asiatischen Türkei. Der » Amanus«, ein Gebirgsarm des Taurus zwischen Mittelmeer und Euphrat, bildete die Grenze zwischen Cilicien und Syrien. » Imaus« nannten die Alten ein hohes Gebirge in Mittelasien, vielleicht Mustagh oder Himalaja. Forster schreibt irrig Emaus. Anmerkung d. Hg., ja wol gar des Kaukasus und Imaus stürzen, die dortigen Barbaren bezwingen oder verdrängen und die Fackel der Wissenschaft wieder in jenen Kreis zurücktragen, in welchem sie zuerst dem Menschen in die Hand gegeben ward. Dünkt es Dich ein Frevel, daß ich mich so in die Zukunft hineinträume? Was kann ich dafür, daß meine Phantasie mir Wahrscheinlichkeiten vorrechnet und sich ein mögliches Bild daraus formt? Zwar besteht alles nun schon so lange in unserm Norden; so schöne Blüten und in solcher Menge sind bei uns aufgegangen, so manche herrliche Frucht des Geistes ist gereift, das Menschengeschlecht hat hier eine Bildung gewonnen, die es, wenn wir eins ins andere rechnen, noch nirgends hatte; wir schreiten vorwärts auf einem so schönen Wege; alles scheint unserer jetzigen Form des Wissens und unsern politischen Verhältnissen Dauer zu verheißen! Ich gestehe Dir, dieses Raisonnement kommt mir nicht viel besser vor, als die Hoffnung eines langen Lebens, womit alte Leute sich schmeicheln, die immer desto stärker an dem Leben hangen, je näher sie seinem Ziele rücken. Mir bürgt die Vergänglichkeit der Dinge dafür, daß, je älter eine menschliche Verfassung wird, ihr Ende um so näher sei. Wir können das Menschengeschlecht nur mit sich selbst vergleichen; und obschon der Theil seiner Geschichte, den wir kennen, gleichsam nur von gestern ist, so enthält er doch schon Begebenheiten genug, die uns lehren können, unter ähnlichen Umständen einen ähnlichen Ausgang zu erwarten. Die allgemeine Bildung und Entwickelung unserer Kräfte läßt sich fast nicht höher treiben. Können wir den Bogen stärker spannen, ohne daß er bricht? Kann unsere Vernunft noch scharfsinniger geprüft, können unsere größern und kleinern, öffentlichen und häuslichen Verhältnisse noch genauer berechnet werden? Sind wir dem höchsten Gipfel der Verfeinerung nicht nahe? Wenn man aber den Berg erstiegen hat, so bleibt in dieser Ixionswelt nichts übrig, als wieder kopfüber kopfunter das Rad in die Tiefe zu rollen und von unten auf sich über ein neues Gebirge zu schleppen. Thöricht wäre es allerdings, eine allgemeine Revolution in Europa, die den Zusammensturz politischer, sittlicher und wissenschaftlicher Formen mit sich brächte, im Ernste nur vom Holzmangel herzuleiten, der mich hier darauf geleitet hat. Aber als mitwirkende Ursache kann er immer bestehen, wenn schon das unübersehbare System unserer Kenntnisse, die Auflösung der Sitten, das Misverhältniß der Religionsbegriffe und der Regierungsformen zu dem jetzigen Zeitalter, der Verfall der Hierarchie, das zerstörte Gleichgewicht der Mächte, die Treulosigkeit der Politik, die Veränderungen des Handelssystems, die herannahende Blütezeit des amerikanischen Freistaats und solche wichtige Ursachen mehr noch ungleich schneller und kräftiger zu jenem Ziele wirken. Uebrigens, zum Trost aller armen Sünder auf und unter dem Throne, sind vielleicht tausend Jahre zu einer solchen Revolution die kürzeste Frist.

Ueber die Unbeständigkeit der Verfassungen nachzudenken, ist wol nirgends natürlicher als in Aachen, wo die Reichsinsignien den Fremden an die tausendjährige Dauer des deutschen Reichs, das jedoch in diesem Zeitraum so wesentliche Veränderungen erlitten hat, recht lebhaft erinnern. Ich habe die Kathedralkirche besucht. Sie ist mit kleinlichen Zierathen überladen, mit denen die Säulen von Marmor, Granit und Porphyr sonderbar genug contrastiren. Der Stuhl, worauf seit Karls des Großen Zeit so mancher deutsche Kaiser gekrönt worden ist, besteht aus schlechtem weißen Marmor und hat eine so unzierliche Gestalt, daß man ihn für eine Satire auf alle Throne der Welt halten möchte. So sehr uns der Vorzeiger bat, uns daraufzusetzen, spürte ich doch nicht die geringste Versuchung dazu und wünschte nur manchem deutschen Fürsten das Gefühl, womit ich da vor dem Stuhle stand. Die Geschichte der letzten Jahrhunderte war soeben vor meinem Gedächtnisse vorübergegangen. Was man in Wien, in Regensburg und in Wetzlar für ganz verschiedene Vorstellungen von den wesentlichen Bestandtheilen der Reichsverfassung hegt, wie allmählich die Kaiserwürde durch alle Metamorphosen bis zu ihrer jetzigen Form, wo ihr nur der Schatten ehemaliger Herrschermacht geblieben ist, sich hat einschränken lassen; wie die zahlreichen freien Stände jetzt unter der unwiderstehlichen Uebermacht von wenigen Allesvermögenden aus ihrer Mitte nur noch am Namen der Freiheit sich begnügen und den gesetzgebenden Willen dieser wenigen gutheißen müssen: dies alles erfüllte mich mit der niederschlagenden Ueberzeugung, wie wenig Willkürliches in den Schicksalen der Völker, wie wenig der Würde denkender Wesen Angemessenes sich in dem großen Gange der Weltbegebenheiten zeigt, und wie das Glück und die Wohlfahrt der Millionen, die auf dem Erdenrund umherkriechen, von todten Buchstaben, von eigensinnigem Bekleiben an bedeutungsleer gewordenen Ceremonien, von Nichtswürdigkeiten, welche leeren Köpfen Importanz geben, stets abhängig bleibt und keineswegs in ihrer eigenen Kraft und That besteht.

Die Thore von Erz an der Collegiatkirche sind zersprungen; allein diesen Spalt zeigt man hier als ein Siegeszeichen zum Gedächtniß der Ueberlegenheit der pfäffischen Verschmitzheit über die teuflische. Die Bürger von Aachen, erzählt uns die Legende, hatten, weil es ihnen an Mitteln zur Beendigung des Baues dieser Kirche fehlte, vom Teufel Geld geborgt und ihm dafür die erste Seele, die zur Kirchthüre hineingehen würde, zum Eigenthum überlassen. Als nun der Bau vollendet war, fand sich kein Mensch, der das Opfer dieses frevelhaften Vertrags werden wollte; die Furcht vor Satans Krallen wirkte so mächtig in dieser gläubigen Stadt, daß die Kirche wahrscheinlicherweise bis auf den heutigen Tag hätte leer stehen müssen, wenn nicht ein Priester auf den klugen Einfall gekommen wäre, einen Wolf, den man zum guten Glück lebendig gefangen hatte, durch die Kirche zu jagen. Der Teufel schlug aus Verdruß, sich überlistet zu sehen, die Thore von Erz hinter sich zu, daß sie zersprangen. Den Unglauben zu beschämen, der etwa sich erdreisten möchte, den Spalt im Erz durch einen Windstoß, der die Flügel zuwarf, natürlich zu erklären, stehen draußen vor demselben Thore zwei in Erz gegossene Denkmäler, wovon das eine den Wolf, das andere aber seine verdammte Wolfsseele, in Gestalt eines ungeheuern Tannenzapfens, vorstellt. Um übrigens von der Wirkung auf die Ursache zu schließen, müßte man nur, wie ich heute, die Charfreitagsprocession gesehen haben. Bei einem schneidenden Nordwinde gingen die frommen Büßenden, mehr als dreihundert an der Zahl, und schleppten barfuß und unter ihren dünnen Kitteln fast nackend, hölzerne Kreuze von gewaltigem Gewichte den Lousberg (Forster schreibt unrichtig Laufsberg), ein Berg unmittelbar bei Aachen. Anmerkung d. Hg. hinan. Ihr werdet freilich schreien: Besser etwas weniger Büßung, und keine Wolle gestohlen! Allein, es ist doch immer ein bewundernswürdiges Schauspiel, wieviel die Religion über unsere phlegmatische Natur vermag. Weise und tugendhafte Lehrer hätten ein solches Volk ebenso leicht ehrlich als andächtig gemacht.



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