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Luigi Alamanni

(1495-1556)

Luigi Alamanni, geb. zu Florenz 1495, bekannt als Epiker (»Girone il Cortese«, Paris 1548, und »l'Avarchide«, 1570), lebte am Hofe Franz I. und Heinrichs II. von Frankreich, nachdem er wegen seiner republikanischen Gesinnung aus Florenz verbannt worden war. Er starb 1556 zu Amboise.

Die Gräfin von Toulouse, die einzige von Alamanni bekannte Novelle, zum erstenmal 1794 in den Notizie de Novelieri Italiani, possedute dal conte Ant. Maria Borromeo zu Bassano veröffentlicht. Nach der Übersetzung von Ed. von Bülow bearbeitet.

Die Gräfin von Toulouse

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Als die Languedoc noch nicht unter der Herrschaft der goldenen Lilien stand, lebte in Toulouse ein Graf Renatus, den die Natur in vielen Dingen und unter anderen darin begünstigte, daß sie ihm schönere und wohlerzogenere Kinder als irgendeinem Fürsten Frankreichs gab. Außer zwei Söhnen hatte er eine Tochter, die jüngste von allen, welche von allen Leuten, die sie sahen, für eines der schönsten, verständigsten und anmutigsten Edelfräulein jener Zeit gehalten wurde. Des Grafen Schicksal blieb nur insofern kein freundliches, als der Himmel ihm zu seinem und des Landes bitterem Leide seine Gattin, die Schwester des Grafen von Provence, in ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr durch den Tod entriß. Wie die Gräfin auf ihrem Sterbebette demütig den Grafen um Vergebung aller Beleidigungen, die sie ihm doch nie erwiesen hatte, bat, legte sie ihm, ganz in Tränen gebadet, die Obhut ihrer Söhne, insbesondere aber ihrer Tochter Blanche ans Herz und verlangte ihm das feierliche, seinem Herzen unverbrüchliche Versprechen ab: ihrer Tochter keinen Mann, und wenn es der König von Frankreich wäre, zu vermählen, den sie nicht als den allein durch Tod oder Schande von ihr zu trennenden Gefährten ihres Lebens anzuerkennen zufrieden sei; denn man könne einer jungen Tochter kein schöneres Geschenk machen, als ihr die Freiheit zu geben, sich den Gefährten, dem sie immer gehören soll, nach ihrem eigenen Geschmack auszuwählen. Der Graf sah in der Erfüllung dieses zärtlichen und gerechten Wunsches die letzte, seiner geliebten Gattin in diesem Leben erweisliche Gunst und sicherte sie ihr unter Verpfändung seiner heiligsten Schwüre weinend zu. Er tröstete die Sterbende, wiewohl er eher selbst Trostes bedürftig war, und hielt sie in seinen Armen, bis ihre Seele dem teuren Körper entfloh, den er mit fürstlichen Ehren in der Hauptkirche von Toulouse, wo das Grab noch heutigentags zu sehen ist, beisetzen ließ.

Zu derselben Zeit, da auch Katalonien noch nicht dem Könige von Kastilien und Aragonien untertänig war, lag Don Hernando, Graf von Barcelona, in langwieriger Fehde mit dem Grafen von Toulouse. Unzählige blutige Schlachten wurden geschlagen und endeten bald zum Nachteil des einen, den der König von Spanien schätzte, bald unerwünscht für den von Frankreich unterstützten andern. Wie wir nun aber täglich geschehen sehen, daß unbedachte Fürsten aus eitlem Ehrgeiz miteinander Kriege beginnen, die zuletzt immer in Erschöpfung und Armut beider Teile ausgehen, so erkannten auch die beiden Grafen zu ihrem eignen Schaden zu spät, daß ihre Fehde nur ihre Nachbarn auf ihre Kosten bereicherte und ihre beiderseitigen Feinde erfreute. Sie verständigten sich daher in einem Vergleiche, der keines Vorteil und Ehre beeinträchtigte, und verabredeten, zu engerer Stiftung der neuen Freundschaft und zu ewiger Bewahrung des Friedens solle fernerhin ein verwandtschaftliches Band beide Fürstenhäuser vereinigen und die einzige Tochter des Grafen von Toulouse dem einzigen Sohn des Grafen von Barcelona versprochen sein. Nach einigen ward zur Mitgift Salces und Perpignan, nach andern eine Summe Geldes festgesetzt, die der durch Romeos treffliche Herrschaft damals zu großen Reichtümern gelangte Graf von Provence auf einige bei Arles und Tarascon gelegene Güter des Grafen von Toulouse lieh. Nachdem die Sache so weit gediehen war, brachte der Graf von Toulouse das seiner sterbenden Gemahlin gegebene Versprechen allerdings in Erinnerung. Es schien jedoch beiden Teilen dieser Punkt sehr leicht zu beseitigen, denn der junge Graf war als Erbe so großer Reichtümer an Adel von Geburt seiner Verlobten völlig wert und überdies schön und tugendhaft, wie nur irgendein damaliger Edelmann sein konnte, was vielleicht schwer zu glauben ist, weil er in Barcelona geboren war. Sein Vater sandte ihn also zur Einholung der vom ganzen Lande erwarteten Braut mit großer Pracht und stattlichem Gefolge nach Toulouse, wo man ihn ehrenvoll und liebreich wie einen hohen Fürsten und werten Sohn empfing und nichts unterließ, was die französische Höflichkeit und spanische Zeremonie erforderten. Nach den ersten Bewillkommnungen ward der junge Graf im Palaste seiner königlich geschmückten Braut vorgestellt, die ihren wunderbaren Reiz durch so anmutigen Anstand und so gewinnende Freundlichkeit erhöhte, daß der Bräutigam in das süßeste Staunen versank und seine durch den Ruf ihrer Schönheit nach ihrem Besitz entstandene Sehnsucht bei ihrem Anblick alles Maß verlor. Die in des ganzen Hofes Gegenwart öffentlich von der Absicht seines Besuches unterrichtete Jungfrau beobachtete ihn mit nicht minder scharfen Blicken als er sie, wiewohl sie ebenso verschämte weibliche Zurückhaltung als der Graf feurige Lebhaftigkeit bewies.

Nachdem der erste Empfang vorüber war, wurden die Tische aufgestellt, und man trug die ausgesuchtesten Speisen der Jahreszeit und mannigfache Leckerbissen auf und reichte der Landessitte gemäß den Gästen in kostbaren Gefäßen unter andern auch Granatäpfel dar, die in jenen Gegenden besonders gut gedeihen und dazu dienen, den Mund von dem Geschmack und den Fettigkeiten der verschiedenen Speisen zu reinigen. Der Graf hatte auch von den Granatkörnern genommen und verlor zufälligerweise ein einziges davon aus der Hand, erhaschte es aber sehr geschickt – wie er und viele andere späterhin versicherten, um Anmut der Bewegung und Behendigkeit der Hand zu zeigen – und führte es zum Munde, ohne daß es zu Boden gefallen wäre. Reizte nun ihr Schicksal die Braut zu einer vorübergehenden Laune an, oder schien ihr die geringfügige Handlung wirklich eines vornehmen Mannes nicht würdig zu sein, kurz, sie verdachte ihm dieselbe ungemein und stellte in ihrem Innern folgende Erwägungen an: »Da haben wir's nun, was ich so oft von wohlunterrichteten Leuten sagen hörte, daß die Katalonier die filzigsten, dürftigsten Menschen des Abendlandes sind. Ich habe zwar an diesem hier manche Kataloniens unwerte Eigenschaften gesehen; doch es mag wohl sein, daß er sie zu unserer Täuschung erheuchelte. Betrug ist ja von alters her eine allgemeine katalanische Sitte. Wer aber nicht einmal auf kurze Zeit, bis er seinen Zweck erreicht hat und zu seiner Natur wiederkehrt, in Worten und Tun tugendhaft scheinen kann, verrät gar keinen Verstand. Der Geiz, die Mutter und Amme aller andern Laster, soll eben, wie ich von einem meiner Lehrer weiß, die Eigentümlichkeit haben, daß er sich auch von dem geübtesten Heuchler nicht verbergen läßt. Ist einer von Natur geizig geschaffen, so ärgert er sich nicht nur, wenn er selber etwas ausgeben muß, sondern selbst, wenn er seine Feinde ihre Reichtümer genießen sieht, und fühlt darüber größere Pein als ein Verschwender empfinden würde, wenn ihm alles, was er auf der Welt besitzt, genommen würde. Was soll aus mir werden, steht es mit dem Grafen von Barcelona so? Wie geizig würde er nicht erst im Notfalle mit seinem Eigentum sein, da er schon im Überflusse mit dem Granatkorn eines andern kargt! Es ist gewiß kein Weib beklagenswerter als die hochherzige Gattin eines reichen Geizigen. Kummer und Verzweiflung werden ihr, was den anderen zu Belustigung und Gespötte dient. Der Himmel verhüte, daß es mir geschieht! Ich lebte lieber bis in mein spätestes Alter unvermählt als in der schmerzlichsten Reue, eine so übereilte Ehe eingegangen zu sein. Mein Vater mag sagen, was er will; ich weiß recht wohl, wie töricht einer ist, der sich durch anderer Zureden bewegen läßt, sich selbst zu schaden.« – Sie setzte mit diesem Entschluß ihren Überlegungen ein Ziel, und wie nach beendigten Festlichkeiten der Graf von Toulouse im Einverständnis mit dem Katalonier seine Tochter bei der Hand nahm und sie in ein Kabinett führte, wo er sie unter den väterlichsten Ermahnungen aufforderte, ihre Einwilligung zu geben, antwortete sie mit mutiger Entschlossenheit: Ein Gemahl, der ihre Neigung nicht verdiene, werde nie der ihrige. Der alte Vater hatte sich ihrer Weigerung nicht versehen und empfand sie schwer. Er hatte von dieser Verbindung Frieden und Landesglück erhofft und sah nun statt dessen abermals Krieg und Verwüstung voraus. Er verlangte, seiner Tochter Gründe zu wissen, und hätte fast über deren Nichtigkeit gelacht, indes er, wiewohl vergebens, trachtete, sie eines Bessern zu belehren. Es blieb ihr letztes Wort: Gebrauche er Gewalt gegen sie, trotz dem, was er ihrer Mutter angelobt habe, so opfere sie, ehe sie einwillige, lieber mit eignen Händen ihr Leben auf.

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Der alte Graf gedachte seiner verstorbenen Gemahlin und von der Zärtlichkeit zu seiner Tochter auch gerührt, erwiderte er betrübt: »Wenn es dein ernster Wille ist, so mag es sein. Ich tue dir nicht mehr Gewalt an als du dir selber.« – Dann verließ er das Zimmer und gab, mit den höflichsten Ausdrücken auf die oft am schlimmsten gegen ihr eigenes Leben gerichteten Launen der Frauen, namentlich der Töchter, hinweisend, dem Grafen von Barcelona zu verstehen, seine Tochter Bianca verweigere ihm ihre Hand.

Diese Worte gingen wie die schärfsten Pfeile durch des Kataloniers Gemüt und verwundeten es um so schmerzlicher, als er sein gutes Glück nicht bezweifelt hatte und der Erfüllung seiner Wünsche entgegensah. Nichtsdestoweniger verbarg er seinen geheimen Groll in seiner Brust, lächelte bitter und meinte, daß Höheren wie er wohl schon manchmal eine Absicht fehlgeschlagen sei. Bei so bewandten Umständen bleibe ihm freilich nichts anderes zu tun übrig, als baldmöglichst nach Barcelona zurückzukehren. Zu Vergütung der auf seiner weiten Reise erlittenen Beschwerden wünsche er aber wenigstens zu erfahren, was dem Fräulein eigentlich an ihm mißfällig sei, damit er in Zukunft seine Fehler bessere.

Der Graf von Toulouse schämte sich der Antwort seiner Tochter, konnte aber nicht umhin, sie einzugestehen. Der Katalonier mußte lachen, wie er sie vernahm, und erwiderte: »Fällt es mir wieder einmal ein, auf die Brautschau zu gehen, so erwähle ich dazu gewiß die Jahreszeit, wenn die Granatäpfel noch unreif sind, denn sie haben die Ceres der Tochter wie mich der Gemahlin beraubt.« – Er lobte hierauf des alten Grafen Lieb und Treue, sicherte ihm wiederholt Frieden und Freundschaft zu und ging zu andern Gesprächen über, bis dieser Tag zu seiner eben nicht großen Zufriedenheit endigte. Am nächstfolgenden nahm er scheinbar freundlichen Abschied, indem er seinen innerlichen Groll verbarg, trat in raschen Tagereisen den Rückweg nach Katalonien an und entließ sein ansehnliches Gefolge an der Landesgrenze, vorgebend, er wandere zu einem unfernen Andachtsorte, worunter seine Diener Unsere liebe Frau zu Montserrat vermuteten, und behalte, da man bei solchen Wallfahrten allen weltlichen Prunk ablegen müsse, nur zwei seiner vertrautesten Diener bei sich, auf daß er sein Gelübde voll Demut und heiligen Eifers erfülle. Nicht sobald war der Graf aber mit seinen Freunden allein, als er ihnen seine Absicht entdeckte und verkleidet mit ihnen unter Zurücklassung der Pferde zu Fuß nach Toulouse aufbrach.

Der Graf hatte sich als Juwelenhändler verkleidet und trug unterm Arm eines jener Kästchen, wie man sie täglich in Paris und ganz Frankreich und auch in Italien tragen sieht und in denen sie alle erdenklichen kleinen Sachen zum Verkauf herumtragen, die sie den Edelleuten und Edeldamen in deren Behausungen anbieten. Um dieses Kästchen zu füllen, hatte er viele Juwelen und Goldsachen von hohem Werte und einige andere feine Waren gekauft und einige von den Edelsteinen daruntergemischt, die er für seine Braut bestimmt gehabt, jedoch nicht die wertvollsten, damit er in der Stadt nicht als allzu reich auffalle. Auch schnitt er sich seinen Bart ab, den man damals in Katalonien zu tragen pflegte, und kehrte nach Toulouse zurück.

Am Ziele seiner Wanderung angekommen, mußten seine Freunde sich sorgsam verborgen halten und er selber trieb sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend handelnd in der Nähe des Palastes umher, damit er des Fräuleins Aufmerksamkeit womöglich auf sich lenke.

Es währte auch nicht lange, bis er am Abend eines äußerst schwülen Tages das schöne Mädchen, für das er gleich sehr in Haß wie in Liebe glühte, in Gesellschaft der ersten Jungfrauen des Landes, höchst anmutig weiß gekleidet, auf ihrem Balkone sitzen sah.

Vor Überraschung bebend grüßte er sie demutvoll und fragte, ob es einer der Damen gefällig sei, etwas zu kaufen, er habe vortreffliche und preiswerte Waren. Die Gräfin und ihre Damen verschmähten, der Landessitte nach, des Krämers Anerbieten nicht, ließen ihn in ihre Mitte kommen und verlangten seine Waren zu sehen. Sie fielen gleich ungestüm darüber her, eine nahm dies, die andere jenes in die Hand, und alle bestürmten ihn solchergestalt mit Fragen, daß der überhaupt nicht erfahrene Handelsmann weder was noch wem zu antworten verstand und sich, so gut er konnte, dadurch aus der Schlinge zog, daß er seine Worte immer an die Gräfin richtete. Nachdem er zur Zufriedenheit der Damen ziemlich viel von seinem Kram billig abgesetzt hatte, vertrieb ihn die Vesperstunde.

Er unterhielt seinen Handel geraume Zeit, fand sich fast jeden Tag bei derselben Gesellschaft ein und war bald so bekannt mit den jungen Mädchen geworden, daß es allen großes Vergnügen machte, mit ihm zu plaudern. Die andern Tabulettkrämer beneideten ihn bald höchlich um sein gutes Glück, denn sie wurden insgesamt um seinetwillen abgewiesen, der, in der Landessprache nicht geübt genug, um für einen Franzosen gelten zu können, sich für einen Navarreser ausgab, um kein Spanier zu scheinen. An einem der nächsten Tage paßte er die Gelegenheit ab, unbemerkt einer Kammerfrau der Gräfin, die zumeist ihre Gunst genoß und sich ihm für einige Geschäfte freundlich erwiesen hatte, nur so hingeworfen zu vertrauen, er sei im Besitz eines der schönsten und kostbarsten Kleinodien von der Welt, das er aber nicht mit sich herumzutragen wage, aus Furcht, man raube es ihm, denn er halte es so lieb und teuer, wie sein Leben selbst.

Als er sich gleich darauf entfernt hatte, schien der Kammerfrau jede Minute eine Ewigkeit, bevor sie ihrer Gebieterin des Navarresers Mitteilung wiedererzählen konnte. Indem sie nun die Gräfin vor Schlafengehen auszog, erzählte sie ihr von der wunderbaren Schönheit und Kostbarkeit dieses Edelsteins und fügte nach Weiberart noch manches Wort der Übertreibung hinzu. Wäre sie an der Gräfin Stelle, meinte sie, sie fände um jeden Preis Mittel und Wege aus, das Juwel zu besitzen, obwohl der Navarreser es nicht verkaufen wolle, denn es gebe für alles in der Welt ein Mittel, außer für den Tod. Sie trieb ihr Wesen so lange auf diese Weise fort, bis dem jungen Fräulein ein übermäßiges Verlangen nach dem Edelstein erstand, so daß sie die ganze Nacht keinen anderen Gedanken hatte und von nichts anderem als von ihm träumte. Mit dem frühesten Morgen gebot sie der Kammerfrau, alsbald zu dem Navarreser zu gehen und ihn in ihrem Namen so lange zu bitten und zu beschwören, bis er in den Verkauf des Edelsteins willige, oder ihr mindestens dessen Anblick zulasse, der vielleicht am besten geeignet sei, ihre Sehnsucht danach zu stillen. Die Kammerfrau begab sich zu dem heimlich über die Maßen erfreuten Grafen und trug ihm ihre Botschaft vor. Hatte er aber vorher schon das Juwel gerühmt, so erhob er es nun über alle Kostbarkeiten der Welt und beteuerte neuerdings unter tausend Schwüren, er ließe eher sein Leben als dieses Eigentum. Aus Rücksicht und Gefälligkeit wolle er sich allenfalls dazu verstehen, es die Gräfin sehen zu lassen; er mache aber die ausdrückliche Bedingung, daß außer ihnen beiden kein Mensch da, wo er sie träfe, zugegen sei.

Die Kammerfrau sah, daß weiter nichts mit ihm zu machen sei, und nahm das Anerbieten an. Sie verabredete mit ihm, zu welcher Stunde des Tages er kommen solle, und erstattete der Gräfin Bericht. Zur festgesetzten Zeit brachte der Navarreser den ersehnten Schatz, eine von den seltensten und größten Diamanten gebildete, durch katatonische Korsaren jenseits der Meerenge von Gibraltar bei Madeira gefangenen normannischen Seeräubern abgenommene und in die Hände des Grafen von Barcelona gebrachte, außergewöhnlich große, seltsam geformte Facette, die späterhin der König von Neapel besessen haben und gegenwärtig der Großherr als kostbarstes Kleinod besitzen soll. Spanischer Weise gemäß pries der verkleidete Graf das Juwel mit hochtrabenden Worten und tausend Umschweifen, versicherte bei seiner Redlichkeit, er schätze gerade dessen Schönheit wegen anderer trefflicher Eigenschaften am wenigsten, hob seine Gefälligkeit hervor und schloß, indem er das Futteral öffnete, er gestatte den alleinigen Anblick und weiter nichts.

Die junge Gräfin hielt das unschätzbare Kleinod in ihrer zitternden Hand. Je länger ihr Auge darauf weilte, desto mehr bezauberte sie die Pracht seiner Strahlen, und eine unwiderstehliche Sehnsucht flößte sich ihr ein, es zu besitzen. Sie schlug ihren mit dem Feuer der Diamanten wetteifernden Blick zu dem Navarreser auf und fragte: »Welch andere geheime Eigenschaften hegt das Kleinod noch?« Der Fremde schien einen Augenblick zu zögern und erwiderte endlich, als bezwänge er seine Abneigung, es zu sagen: »Gnädige Frau! Ist irgendwer einmal im Zweifel, was er in einer Sache beschließen soll, die ihm nahegeht, und schaut hinein, so wird, wofern es ratsam ist, sie zu vollbringen, der Stein so rein, als gingen von ihm der Sonne Strahlen aus, wofern sie aber unterlassen bleiben soll, so finster wie eine mond- und sternenlose Nacht. Es gab schon Menschen, die behaupteten, er sei der langgesuchte Stein der Weisen, doch schien er andern mehr ein Werk der Alchimie als der Natur. Man hat aber auch die Meinung aufgestellt, er habe Alexander dem Großen, der niemals ohne ihn in den Krieg gegangen, und späterhin dem Julius Cäsar angehört, der eben nur durch seine Kraft unüberwindlich geblieben sei.«

Nach diesen Worten hatte der schlaue Handelsmann das Kleinod schon wieder eingepackt und verabschiedete sich. Die Gräfin blieb mit ihrer Kammerfrau allein und rief zu wiederholten Malen: »Wie glücklich wäre ich doch, besäße ich ein so köstliches Ding, könnte es nach Belieben tragen und beschauen! Würde ich in der Folge wieder einmal, wie jetzt von dem Grafen von Barcelona, zur Ehe verlangt, welcher Vorteil für mich, erteilte mir mein Juwel untrüglichen Rat! –«

Aus diesem Sinnen erstand ihre dringende Bitte an die Kammerfrau, den Fremden abermals um den Verkauf der Nadel anzugehen und ihn selber den Preis der Nadel bestimmen zu lassen. Die Kammerfrau ging, wiewohl ohne Hoffnung, zum ersten und andern Male zu ihm. Er verweigerte aber nicht nur den Verkauf, sondern auch den Anblick des Juwels. Erst bei der dritten Sendung schien es dem Grafen Zeit, seine von vornherein gehegte Absicht zur Sprache zu bringen, und er erwiderte der Kammerfrau: »Deine Bitten und Vorstellungen, mein Kind, nicht minder auch die Anmut und Schönheit deiner Gebieterin machen mich beinah zu Verzichtleistung auf ein so teures Kleinod geneigt. Geh denn hin und sage der Gräfin, ich überließe es ihr, sofern sie mir dagegen gestatte, eine einzige Nacht so vertraut bei ihr zu ruhen, als wäre ich ihr Gemahl. Will sie dies nicht tun, so hinterbringe ihr, daß weder Geld noch irgend etwas auf der Welt imstande ist, mir mein Eigentum zu entziehen; sie möge sich also dann ihre Lust vergehen lassen und mir nicht länger mit Bitten beschwerlich werden.« Die Kammerfrau hinterbrachte ihrer Gebieterin diesen Beschluß und fügte, für des Navarresers Interesse gewonnen, hinzu, falls sich die Gräfin nicht entschließe, diese Bedingung einzugehen, könne sie selber sich nicht länger dazu verstehen, in der Sache noch einen Schritt zu tun oder noch ein Wort zu verlieren, denn sie sei überzeugt, es führe zu nichts.

Die Gräfin erzürnte sich über diese Botschaft auf das äußerste. Sie hielt ihre Ehre für schwer gekränkt und erging sich mit heftigen Reden und Drohungen gegen die Verwegenheit desjenigen, der ihre Keuschheit und Hoheit zu beflecken versuche, schalt aber auch die Kammerfrau, ihn nicht gebührenderweise darauf hingewiesen zu haben, welch' Betragen seinesgleichen gegen vornehme Damen gezieme. Die Kammerfrau lächelte ein wenig und erwiderte: »Als Ihr mich das erstemal zu ihm schicktet, gnädige Frau, glaubte ich, daß Euer Auftrag so gut ihm auszurichten sei wie seine Antwort Euch; ich verschwieg und änderte kein Wort, meiner Pflicht getreu. Seid Ihr mißvergnügt mit dem, was ich Euch hinterbracht habe, so ist es Eure Schuld. Es läßt sich eben selbst unser Herrgott gerechte Wünsche so gut wie ungerechte vortragen, hört gute wie böse Menschen an und erhört trotzdem immer nur, was ihm gut dünkt. Ich weiß also nicht, weshalb Ihr etwas vor ihm voraus haben wollt. Worin beleidigte Euch der fremde Mann? Das Fragen hat man überall in der Welt umsonst. Ihr seid noch zu jung und versteht nicht voneinander zu trennen, was eigentlich gut oder böse ist. Sind Eure Haare einmal so grau wie die meinigen, so werdet Ihr ganz anders zu reden wissen. Man muß allerdings oft so sprechen, wie Ihr gesprochen habt. Aber wo und zu wem? Weder hier, noch zu mir, noch zu denen, die Euch so ergeben sind wie ich, wohl aber zu fremden Menschen, die Euch, wofern sie Euch auch nicht glauben, wenigstens für eine kluge Frau halten, die unsere Kunst zu heucheln wohl versteht. Mir, die ich Euch ganz ergeben bin und nur Euch auf der Welt habe, kommt nicht so. Ich weiß recht wohl, daß ein Mann einer Frau keine größere Ehre und kein größeres Vergnügen erzeigen kann, als von ihr etwas zu verlangen, ohne das wir ein Tag ohne Licht, ein Meer ohne Wellen sind. Ich entschuldige Euch mit Eurem zarten Alter und habe mit Eurem Zorn Geduld, darum sage ich Euch, befriedigt Ihr den Navarreser klüglich und erhaltet Ihr den Edelstein von ihm, so habt Ihr nach meiner Meinung einen guten Handel gemacht. Und was zum Teufel könnt Ihr ihm denn weniger geben, als ihn mit einer Münze zu bezahlen, von der uns desto mehr zu schenken bleibt, je mehr wir davon geben? Der Sünde wegen seid nur unbesorgt. So etwas steht dem Alter und den Betschwestern an, die nichts weiter zu tun und zur Sünde überhaupt nicht mehr Gelegenheit und Lust haben. Die Jugend hat eine Ewigkeit vor sich, in der sie ihre Fehler gegen ihren Schöpfer bereuen kann. Die Ehre verliert man erst, wenn andere wissen, daß man sie verlor; wer sie geheim verlor, hat sie noch. Ich gebe Euch meinen Rat, und Ihr könnt es dann immer halten, wie Ihr wollt, Ihr wißt aber wohl, daß ich um so viel weiser als älter bin. Es ist ein Unglück, daß Ihr nicht meinen Willen und Verstand habt oder mir nicht Eure Jugend und Schönheit zuteil wurde, die binnen vierzig Jahren beide vergangen sind. Dieser Fremde scheint zwar nur ein geringer Handelsmann zu sein, ist aber seinem Angesicht, seinen Gesinnungen und seinem Betragen nach vielmehr ein Edelmann, der Eure Gunst verdient.«

Mit diesen und vielen anderen Worten bestürmte und widerlegte das schlaue Weib der Jungfrau Einreden so lange, bis sie, des Streites müde, sich überwand, sie zu heißen: »Geh denn und tue, was du willst, bestehe aber darauf, daß ihm eine Nacht genügt, und bestelle ihn so spät als möglich, damit ich weniger Ungemach erdulde und du weniger Gefahr läufst. Hast du dir einmal was in den Kopf gesetzt, so kommt man nicht eher zu Ruhe, als bis man es tut.« Ohne weiter viel zu sprechen, suchte die Kammerfrau nun, sobald sie konnte, den Navarreser auf und verabredete mit ihm, daß er in der folgenden Nacht um die Zeit der Frühmette an einer Hintertür des Gartens mit seinem Edelsteine sei.

Es geschah alles, wie es besprochen war, und wie der Fremde sich von der Gräfin trennte und ihr den Diamanten gab, sagte er ihr, er besäße noch einige andere Kleinodien von gleichem Werte, die er ihr um denselben Preis überliefern wolle. Die Kammerfrau hatte seinen Antrag gehört und stellte ihrer Gebieterin unter anderm so einleuchtend vor, die nun einmal geschehene Sache verschlimmere sich nicht, werde sie wiederholt, daß die Gräfin außer der Brillantfacette noch einen kostbaren Rubin und einen Smaragden gewann, denen der Navarreser schützende Kraft gegen Gift und die, trotz des heiligen Rochus von Montpellier, die Languedoc stets heimsuchende Pest zuschrieb.

Wie es aber zumeist geschieht, daß man findet, was man gerade am wenigsten sucht, so fühlte sich die Gräfin zu ihrem äußersten Grame nach Verlauf einiger Wochen schwanger. Sie beratschlagte über ihren Zustand mit der ungetreuen Kammerfrau, die ihr Mut und Geduld zusprach und sie ermahnte, ihr Geheimnis nur ja sorgfältig zu bewahren, weil in der Welt für alles Rat zu finden und sie gewiß ebensowenig die erste als die letzte sei, die man nach einem erlittenen Unfall dieser Art einst als Jungfrau verheiratet. Wollte sich ein jedes Frauenzimmer, das einmal gestrauchelt sei, darum die Haare abschneiden lassen, so würde man bald keines mehr ohne Nonnenhaube gehen sehen.

Es weckten aber eben solche und ähnliche Reden in der Seele der Gräfin alle Hoheit und allen Adel der Gesinnung wieder auf, die ihrem Stande gemäß in ihr ruhten. Sie erwiderte: »Mögen andere tun, was ihnen das beste dünkt, mich behüte Gott davor, daß ich meinen ersten Fehltritt durch einen zweiten verheimliche und ungeschehen mache. Ich werde nimmermehr einem Mann angehören, den ich betrügen müßte, um ihn in dem Wahne zu erhalten, er besäße in mir ein durch meinen Leichtsinn verscherztes Gut. Über den Sünder komme die Buße, und die Frucht empfange, wer sie säete. Ich bin deinem Rate seither nur zu sehr gefolgt; verschone mich ferner damit, wenn du mich nicht beleidigen willst, und bringe mir den Navarreser hierher. Erniedrigte ich mich auch einmal so tief, so will ich es doch nicht zum zweitenmal tun, indem ich einen anderen Mann hintergehe. Ja, ich halte entschlossen ferner auf dem Wege aus, wohin mich das Schicksal durch deine falschen Einflüsterungen und meine Unklugheit geleitet hat.«

Die Kammerfrau versuchte ihrer Gebieterin Entschluß vergebens schwankend zu machen und brachte endlich wohl oder übel den Navarreser herbei, dessen Scharfsinn bereits aus der Jungfrau kränklichem Aussehen seit kurzem richtig ihren Zustand ahnte.

Wie tief auch von innersten Schmerzen gebeugt die Gräfin war, empfing sie ihn doch mit tränenloser Festigkeit, und nicht wie ein junges, schwaches Mädchen, sondern wie ein entschlossenes, starkes Weib sprach sie zu ihm: »Dieweil dein gutes und mein schlimmes Glück, mein Freund, dein großer und mein geringer Verstand mich dahin gebracht haben, daß ich Hochgeborene eines Krämers Weib werden muß, wenn ich nicht Gott und die Menschen betrügen will; dieweil du also, wer du auch sein magst, der Gemahl einer Grafentochter bist: so bitte und beschwöre ich dich, daß du mich nicht verwerfen, vielmehr als dein Eigentum anerkennen wollest. Ich fühle mich schwanger von dir und gedenke auf keine Weise hierzubleiben, um andern Kummer und Ärgernis, mir aber selbst Schmerz und Schande zu verursachen. Ich bin bereit, mit dir in das Elend zu gehen und lieber diesem sterblichen Körper, der gesündigt hat, wehe zu tun, als durch leiblichen Wohlgenuß meine Seele und die Seelen anderer zu beleidigen. Richte dich so ein, daß wir morgen vor einbrechender Nacht geflohen sind. Ich nehme deine und meine eigenen Juwelen und etwas Geld mit mir, das uns vor Hunger solange schützen wird, bis ich begreife, was über meine Zukunft in den Sternen geschrieben steht.«

Wie überaus erfreut auch der Graf von Barcelona über das, was er die Gräfin sagen hörte, war, so hätte ihn doch die Betrachtung des der Jungfrau bevorstehenden Schicksals, im Falle es wirklich wäre, was es schien, der heiligen Gewalt des Himmels über das menschliche Gemüt und der Leichtigkeit, womit die Frauen zu betören sind, fast bis zu Tränen gerührt. Nichtsdestoweniger beherrschte er die Bewegung seines Herzens, indem er sprach: »Ich bin, wie Ihr wißt, edle Frau, ein armer schlichter Handelsmann, dessen Sinn immer dahin gerichtet stand, unbeweibt zu leben und zu sterben. Darum ersuche ich Euch, fallet mir nicht zur Last und stürzet Euch nicht selber ins Mißgeschick.« – Er würde noch mehr gesprochen haben; doch verschloß ihm sein Mitleiden mit ihr, der Wunsch, sie ganz zu besitzen, und Furcht, sie möge ihren Entschluß bereuen, den Mund.

Sie antwortete darauf: »Ich sage dir nichts mehr, mein Freund, als daß du bedenken wollest, wie dem gesegnetsten Menschen der Welt in seinem Leben nur einmal eine solche Gelegenheit, wie gegenwärtig dir von deinem guten Stern, geboten werden kann. Sieh also wohl zu, daß des Glückes Lächeln sich nicht in Zürnen über deine Torheit wandle, schlägt ein geringer Knecht, wie du, die Hand eines Fräuleins aus, das vor nicht allzulanger Zeit sich weigerte, des Grafen von Barcelona Gemahlin zu werden.«

Die letzten Worte entzündeten wieder einigermaßen des Grafen alten Groll und trieben sein Gemüt zur Rache an. Ohne fernere Weigerung erklärte er denn, er willige in ihren Wunsch; sie müsse sich aber gefaßt machen, in allen Dingen wie seine Frau und nicht wie die Tochter ihres Vaters zu leben und mit ihm von Land zu Land allein und zu Fuß zu wandern, wie seine Gewohnheit, sein Stand und Vorsicht es erfordern, um den Gefahren zu entgehen, die dem Entführer einer Grafentochter drohten. Die Jungfrau bewilligte auch diese Forderung mit Unterwürfigkeit und ging in der folgenden Nacht, nur von der weinenden Kammerfrau gesehen, in Pilgerkleidern, als Wallfahrer zum heiligen Jakob von Galicien, mit dem Grafen auf und davon.

Ein gewaltiger Aufruhr entstand in Toulouse und dem ganzen Lande, als sich die Kunde von ihrem Verschwinden verbreitete. Wie denn kein einziger Mensch die Wahrheit ahnte, so glaubten viele wohl, sie möge, von Gott plötzlich erleuchtet, in irgendein heiliges Nonnenkloster entflohen sein, weil sie in den Tagen, seit denen sie sich schwanger fühlte, größere Andacht als früher bewiesen und jede Gesellschaft, soviel sie konnte, gemieden hatte. Auch benutzte die allein besser als andere unterrichtete Kammerfrau diesen Umstand so geschickt und ersann ein so wahrscheinliches Märchen dazu, daß fast jedermann sich vollends überzeugte, die Sache verhalte sich so. Die mit geringem Eifer betriebenen Nachforschungen blieben demnach ohne Erfolg, und die Flüchtigen gelangten unangefochten über die Grenzen der Languedoc.

Es würde zu weitläufig sein, alle Prüfungen zu nennen, die der verliebte, frohe Graf seine betrübte Gattin unterwegs bestehen ließ. Vorher ungewohnt, nur wenige Schritte zu der bequemsten Zeit zu Fuße zu gehen, wo dann die vornehmsten Edelleute ihres Hofes sie geleiteten, war sie jetzt genötigt, im heißesten Juli, von der Bürde ihres Leibes bedrückt, über scharfes Gestein zu wandern und, dem ärmsten Geschöpf des Erdbodens gleich, Kummer und Ungemach zu erdulden. Denn der Graf lud sie nur seltene Male und mit rauhen Worten, die ihr mehr Kränkung als Trost oder Stärkung bereiteten, zu ruhen ein. Und sie bedurfte der Geduld, mit der sie sich an dem Tage gewappnet hatte, da sie aus Toulouse floh, um alle Verachtung zu ertragen, die ihr entscheidender Schritt nach sich zog. Befand sie sich auf ihrem Wege also am Tage schlecht, so genoß sie nachts, wo sie gehofft hatte, in der Herberge Schlaf und Erquickung zu finden, keiner größeren Ruhe, weil teils die Gasthäuser Kataloniens die schlechtesten von der Welt sind, teils es dem Grafen gefiel, sie zu peinigen.

In Barcelona, wo der Graf mit den beiden ihm auf dem Fuße aus Toulouse nachwandernden Hofleuten zugleich ankam, bezog er mit seiner Gemahlin eines der ärmlichsten Gasthäuser der Stadt, in dem eine brave Wirtin war, die nicht, wie die meisten ihres Gewerbes, lieber auf die Taufe als auf die Kuppelei verzichtete. Nachdem beide hier die erste Nacht und den ganzen folgenden Tag verbracht hatten, gab der Graf der Gräfin zu verstehen, sein Handel beschäftige ihn des Tages in der Stadt und erlaube ihm nur die Nächte über bei ihr zu sein. Sie selber möge, zur Erwerbung ihres Unterhalts, mit ihrer Hände Arbeit der Wirtin beistehen, denn er sei nicht gewillt, ihretwegen seine Juwelen oder sein Geld zu vertun; er erwarte im Gegenteil, wofern sie Frieden mit ihm halten wolle, daß sie von ihrem Verdienst noch erübrige. Die unglückliche Gräfin seufzte in ihrem Herzen schwer, gedachte sie doch, wie vielen Menschen ihr Vater zu leben gab, und wie sie selber nun für ihren kümmerlichen Lebensunterhalt zu sorgen gezwungen sei; ihrem Gatten aber erwiderte sie heitern Angesichts, sie werde nach seinem Willen tun.

Der Graf ging von ihr im Pilgergewande auf das Schloß, wo seine freudig überraschten Eltern mit Zärtlichkeit den lang Ersehnten empfingen, dessen Reise um viele Wochen länger gedauert hatte, als vorher zu erwarten stand. Der junge Graf verweilte unter seinen Freunden und Hofleuten bis zum Einbruch der Nacht und schlich sich alsdann verstohlen, wieder im Pilgerkleide, zu der Gräfin zurück, die er in der Frühe des nächsten Tages nicht eher verließ, als bis er ihr neue Lasten auferlegt und sie ermahnt hatte, ihrer Wirtin in aller Art von Diensten beizustehen. Ja, noch nicht zufrieden mit dem Geschehenen, sann er auf neue Mittel, seine Gattin zu prüfen und zu demütigen, indem er eines Nachts zu ihr sprach: »Ich gedenke morgen einem Rauchhändler, meinem Freunde, in der Werkstatt eines Schneiders zu trinken zu geben und müßte dazu eigentlich Brot kaufen, das hier teuer ist. Weil es mich nun ärgert, soviel Geld zu vertun, so sollst du, wenn du morgen früh die neubackenen Brote aus dem Ofen trägst, dich anstellen, als verlörst du etwas, und vier Stück davon, indem du dich bückst, in deiner Rocktasche verbergen. In der zweiten oder dritten Nachmittagsstunde komme ich und hole sie ab.« – Der hochherzigen Gräfin schien diese Zumutung über alle Maßen erniedrigend, und sie würde sie nicht für Ernst genommen haben, hätte sie nicht vorher so vieles über die schmutzige Armseligkeit der Spanier und Navarresen reden gehört. Wie sie aber glaubte, dafür halten zu müssen, ihr Gebieter scherze keineswegs, so bat sie ihn inständigst, er möge sie nicht zwingen, so etwas zu tun. Zornig entgegnete er jedoch: »Ist es dir noch nicht aus dem Sinn, daß du des Grafen von Toulouse Tochter bist? Versprachst du mir nicht an dem ersten Tage, da wir aus Toulouse wanderten, du wollest alles Vergangene vergessen und nur gedenken, das arme Weib des Navarreser Krämers zu sein? Ich wiederhole dir, wenn du in Frieden mit mir leben willst, so tue dies und alles, was dir von mir geboten wird; oder ich lasse dich allein und gehe anderswo meinem Glücke nach.« Die Duldende sagte ihm gezwungenen Gehorsam zu und vollbrachte am andern Morgen sein Geheiß.

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Der Graf ritt zu seinem Vergnügen jeden Abend durch die Stadt. Als er an diesem Tage, mit einem seiner beiden Begleiter, mit denen er in Toulouse war, vor der kleinen Wohnung seiner Gattin vorüberkam und Gelegenheit genommen hatte, dort anzuhalten, drängte sein ihm verwandter Freund, verabredetermaßen, sein Pferd zu der vor dem Hause mit der Gräfin sitzenden und Speisen zubereitenden Wirtin und fragte sie: »Wer ist die Jungfrau neben Euch, Alte?« Die Wirtin erzählte, wer die Fremde und wann sie bei ihr angekommen sei, und der Edelmann fuhr fort: »Wie, Alte! seid Ihr schon in dieser Welt ergraut und noch so neu darin? Das Weib da ist das schlauste und böseste ihrer Art und stiehlt Euch noch alles, was Ihr habt, hütet Ihr Euch nicht vor ihr.« Wie dies die Alte leugnete und die Jungfrau höchlich pries, sagte der Kavalier: »Ihr sollt, noch eh' ich von hier gehe, Euch mit eigenen Augen überzeugen, daß ich wahr gesprochen habe. Lüftet ihr ein wenig vorn die Röcke und greift ihr in die Taschen, so werdet Ihr darin etwas finden, das es Euch beweisen kann; ich habe nicht umsonst sieben Jahre lang in Toledo Nekromantie studiert.« Erst als er Miene machte, selbst den Beweis zu führen, untersuchte die gute Frau die Taschen ihres Gastes, mehr um dem Ritter zu gehorchen, als aus Mißtrauen, und fand die verborgenen vier Brote vor. Trotz ihres Staunens verteidigte sie aber doch die Unschuldige gegen ihren Kläger, der sattsam über sie spottete und lachte und von dannen ritt.

Es läßt sich nicht beschreiben, wie sehr die bedauernswerte Gräfin in Schmerz und Scham versank, sich vor so edler Gesellschaft in dem verächtlichsten Verdachte zu sehen. Die fast mütterliche Ermahnung ihrer Wirtin beantwortete sie sanft weinend mit der Bitte, ihr diesen Fehltritt zu vergeben, den sie nimmermehr wieder begehen wolle, verschwieg jedoch standhaft, auf wessen Gebot sie die Brote entwendete. Der Graf sagte ihr in der folgenden Nacht, er habe der Brote nicht bedurft, stellte sich aber sehr unzufrieden mit der Zurechtweisung, die sie erhalten, welche sie durch ihr eignes Widerstreben und Ungeschick verschuldet habe.

Die Gräfin von Katalonien, seine Mutter, hatte damals, einem Gelübde gemäß, für eine Andachtsstätte in Barcelona einige kostbare Arbeiten bei einem Künstler bestellt. Unter anderm waren dabei auch Perlen zu Tiergestalten zusammenzunähen, wie wir dergleichen täglich sehen. Mittels dieses Umstandes dachte der Graf seiner Gemahlin eine neue Beleidigung zu und sagte zu seiner Mutter, er habe von einem armen, in derlei Arbeiten geübten französischen Weibe gehört, das er ihr am nächsten Tage zusenden wolle, weil er ihren Aufenthaltsort kenne. In der Nacht sprach er deshalb mit seiner Frau und gebot ihr beim Verlust seiner Gnade, soviel Perlen wie möglich zu entwenden. Die Arme weigerte sich zwar mit bitteren Tränen, solches zu tun, teils wegen der erlittenen Schmach, teils um nicht dessen Haus zu betreten, dessen Hand sie vor kaum neun Monaten auf beleidigende Art von sich wies, und von dem sie leicht erkannt werden konnte, wenn er sie sah. Doch nach unendlichen schmählichen Drohungen des Grafen ergab sie sich drein und verabredete sich mit ihrem Peiniger, in ihrem Munde unter der Zunge die gestohlenen Perlen zu verbergen, von denen schon wenige ansehnlichen Gewinn brachten. Sie ward gleich des andern Morgens von der Mutter des Grafen beschäftigt und gefiel ihr und jedem, der sie sah, durch ihr Betragen ungemein, daß alle glaubten, sie müsse eine vornehme Dame sein, wie sie sich denn in allen Beschäftigungen eitler Edelfrau erfahrener und gewandter als andere erwies.

Die Jungfrau kümmerte sich wenig um das, was man von ihr sprach, und jedes vernommene Wort des Lobes durchschnitt wie ein scharfes Messer ihr Herz. Nur ihres Auftrages eingedenk, hatte sie schon drei der schönsten Perlen unter ihre Zunge gebracht, als eben der Ritter, der ihren Brotdiebstahl verriet, auf des Grafen Befehl in das Zimmer trat und der alten Gräfin sein Erstaunen bezeigte, ein solches Weib, dessen ersten und abermaligen Betrug er verkündete, in ihrem Palast zu sehen.

Die Gräfin von Toulouse empfand gegenwärtig um so empfindlicher Schande und Schmach, je größer der Gegenstand des Betruges und je hochstehender die Betrogene war. Die alte Gräfin aber maß alle Schuld ihrer Armut bei und entließ sie mit reichlicher Belohnung ihrer Mühe.

Es war nun allmählich des zürnenden Grafen Rachedurst für die erlittene Beleidigung gestillt, und er hielt das verwegene Vorurteil seiner Gemahlin für hinlänglich dadurch bestraft, daß sie viel niedrigere Dinge hatte begehen müssen, als es das Auffangen eines Granatapfelkornes ist. Überdies rückte die Zeit ihrer Niederkunft näher. Und so gab er denn jedes weitere Verlangen, sie zu kränken, auf und gedachte nur an sein Glück und an seiner Gemahlin Beruhigung. Er erzählte also seinen Eltern, was vorgefallen war, wie die Gräfin viel mehr aus Unerfahrenheit als aus eitler Habsucht gestrauchelt sei, und welche Beschämungen, welchen Schmerz und Kummer er ihr dafür bereitete. Schließlich offenbarte er ihnen seinen Wunsch, sie des andern Tages als Tochter des Grafen von Toulouse und als seine Gemahlin heimzuführen. Des Grafen Eltern bewiesen sich über diese Neuigkeit ebenso erfreut, als sie vorher über die vereitelte Verbindung mit ihrem alten Feinde mißvergnügt gewesen waren, und veranstalteten ein reiches, prachtvolles Fest, ohne öffentliche Angabe der Veranlassung.

Der junge Graf aber sagte in der Nacht zuvor zu seiner Gemahlin: »Morgen begeht man im Hause des Grafen dieses Landes ein großes Hochzeitfest, an dem sein Sohn, der Gott nicht genug danken kann, daß du ihn ausgeschlagen und Freiheit gegeben hast, ein so weit schöneres Los zu ziehen, sich mit der ältesten Tochter des Königs von Aragonien, der reizendsten Jungfrau Spaniens, vermählt.«

Die Gräfin war nicht stark genug, hier einen der Erinnerung gewidmeten Seufzer zu ersticken; der Graf aber fuhr fort: »Morgen ist in der ganzen Stadt ein Fest- und kein Werktag. Da du also nichts weiter zu besorgen hast, so denke ich, du gehst zu deinem Zeitvertreibe mit unserer guten Wirtin ein wenig auf das Schloß, um zu sehen, ob nicht das eine oder andere unversehens zu stehlen ist. Ertappen sie dich auch, so kommst du schon, als ein Weib, mit ein wenig Schande los, die vorübergeht und die der Arme sich gewöhnen muß, zu tragen.«

Schien es der Gräfin vorher hart, das andere zu tun, so kam ihr dies Gebot ganz unerträglich vor, und hatte sie jenes durch Bitten und Entschuldigungen von sich abzuwenden gesucht, so beteuerte sie jetzt mit Tränen und Klagen, lieber sterben zu wollen, als dazu sich zu verstehen. Dessenungeachtet zwang ihr der Graf durch die härtesten Drohungen das abermalige Versprechen ab, seinen Willen zu tun, bestimmte, nachdem er die alte Frau in sein Geheimnis gezogen hatte, wie und wann sie des anderen Morgens auf das Schloß gehen sollten, und begab sich selbst dahin zurück.

Am nächsten Tage fanden sich die vornehmsten Ritter und Frauen Barcelonas zur bestimmten Stunde des Gastmahls ein, vor dem die Gäste sich mit heiterem Gespräch und Tänzen belustigten. Die alte Gastwirtin führte, nach des Grafen Anordnung, eine Stunde vor dem Gastmahle die Gräfin fast mit Gewalt auf das Schloß. Wie war aber der Gepeinigten, die sich lieber unter das ärmste Volk in einen düstern Winkel verborgen als in Prunksälen sich gezeigt hätte, als der festlich gekleidete Graf heiteren Angesichts auf sie zutrat und mit lauter, vernehmlicher Stimme sprach: »Willkommen sei mir die edle Gräfin, mein geliebtes Weib! Es ist endlich an der Zeit, daß aus dem Navarreser Juwelier der Graf von Barcelona, aus der armen Pilgerin die Grafentochter und Gemahlin wird.«

Ganz aus der Fassung gebracht, sah die erstaunte und beschämte Jungfrau umher, ob nicht neben ihr eine andere stünde, an die sich diese Worte richteten. An Stimme und Aussehen aber bald erkennend, wer mit ihr sprach, blieb sie stumm und steif und ungewiß, was sie tun solle. Der Graf aber endete seine Anrede folgendermaßen: »Wofern es dich bedünkt, edle Gräfin, daß ich zu hart mit dir verfahren sei, so versetze dich einen Augenblick an meine, des in Liebe zu dir Entzündeten, Stelle, den du so willkürlich beleidigt und mit Spott und Hohn abgewiesen hast. Vielleicht gesteht mir dann eine Stimme in deinem Innern Nachsicht und Vergebung zu. Aber bei der Hoheit und dem Adel deines von mir besser in dem Stande der Erniedrigung als im Glücke erkannten Gemüts beschwöre ich dich, du wollest meine Beleidigungen vergessen und vergeben, wie ich die deinige. Vermagst du dies über dich, so reiche mir jetzt frei vor meinem Vater und meiner Mutter und vor so vielen Herren und Frauen dieses Hofes in Barcelona die Hand, die du mir in Toulouse verweigertest.«

Die Gräfin hatte ihren verlorenen Mut wiedergefunden und erwiderte mit fester Stimme, ernsten sittsamen Angesichts, nicht als ein armes Krämerweib, sondern als Fürstin folgendes: »Zu meiner unsäglichen Freude, mein Herr und Gebieter, laßt Ihr mich heute erkennen, wieviel größer mein Glück als mein Verstand gewesen ist, und ich mag Euch Eure Härte gegen mich um so leichter verzeihen, als die Rache immer gerechter ist als die Beleidigung. Ich reiche Euch hier meine Hand und gebe oder bestätige Euch vielmehr damit, was ich Euch früher in Toulouse verweigerte und alsdann in Gegenwart so unwürdiger Zeugen dennoch gab. Ich bin bereit, Euch anzugehören, oder mich verworfen zu sehen, je nachdem es Euer Wille ist und Eurem Herrn Vater oder Eurer Frau Mutter wohlgefällt, deren Entscheidung mir, als ihrer gehorsamen Tochter, heilig sein soll.« – Sie würde noch weiter gesprochen haben, hätten nicht Tränen ihre Stimme erstickt und die Eltern des Grafen sie weinend und unter dem freudigen Zuruf der Menge in ihre Arme geschlossen.

Sie ward alsbald hinweggeleitet, ihrer ärmlichen Lumpen entkleidet und in königliche Gewänder gehüllt, in denen sie vor dem Hof und Volke an der Seite ihres Gatten erschien.

Dem Grafen von Toulouse teilte man umständlich alles Geschehene mit, und er bestätigte in seiner höchsten Freude, die verlorene Tochter wiedergefunden zu haben und seinen liebsten Wunsch dadurch so unerwartet erfüllt zu sehen, das geschlossene Band, indem er eine reiche Aussteuer nachsandte. Freundschaft und das gute Vernehmen zwischen beiden Landen blieben in der Folge ungetrübt, und die junge Gräfin, die bald nachher einen sehr schönen Knaben gebar, schenkte ihrem Gatten noch viele andere Kinder und führte mit ihm ein langes, glückliches Leben.


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