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Masuccio von Salerno, Geburtsdatum unbekannt, gestorben 1475 oder 1476. Sein Novellenbuch (Novellino) wurde 1476 von Sixtus Reisinger aus Straßburg, der 1471 nach Neapel gekommen war und die neue Buchdruckerkunst dorthin verpflanzt hatte, daselbst gedruckt. Die Niederschrift hat 1460 begonnen.
Tragödie zweier Liebenden; die 31. Novelle. Entnommen aus: »Der Novellino des Masuccio von Salerno, zum erstenmal vollständig übertragen von Hanns Floerke, München 1918 (Perlen älterer romanischer Prosa, Bd. XXIV u. XXV).«
Zu der Zeit, die im Königreich Frankreich die Jungfrau (von Orléans) erstehen ließ, lebten in der Stadt Nanzig, der ersten und vornehmsten unter allen anderen im Herzogtum Lothringen, zwei gar hochgemute und tapfere Ritter, jeder von ihnen ein uradeliger Herr verschiedener Kastelle und Ortschaften in der Umgebung genannter Stadt, von denen der eine der Herr von Condé, der andere Herr Jean von Bruscie hieß. Und wie das Schicksal dem Herrn von Condé eine einzige Tochter, Martine geheißen, gewährt hatte, die für ihr zartes Alter voll seltener Tugend und preislicher Sitten war, dabei an Schönheit des Leibes und Antlitzes alle Mädchen ihres Landes übertraf, so war auch Herrn Jean von vielen Söhnen ein einziger am Leben geblieben, der Louis hieß, fast gleichaltrig mit Martine, sehr schön, großherzig und mit jeglicher Tugend reich begabt war. Wiewohl nun die genannten Barone durch nahe Verwandtschaft verbunden waren, hatte sich doch von den Tagen ihrer Ahnen her allmählich eine so große Freundschaft und Vertrautheit zwischen ihnen herausgebildet, daß es, von ihren fortwährenden Besuchen abgesehen, den Anschein hatte, als seien ihnen die Vasallen und anderen Besitztümer in einer Weise Gemeingut, daß sie kaum wußten, wem das eine und wem das andere gehöre.
Als nun Louis das männliche Alter erreicht hatte, geschah es, daß er sich infolge des beständigen Anblicks Martines und des häufigen Verkehrs mit ihr, ohne daß irgend jemand sich dessen versah oder darauf achtete, in das Mädchen verliebte und sie sich in ihn. Und die Liebesflammen erfaßten sie von außen wie von innen mit solcher Macht, daß sie keine Ruhe zu finden vermochten, außer wenn sie miteinander plauderten und sich, wie ihre Liebe und ihr blühendes Alter es ihnen eingaben, ergötzten.
Unter diesem verliebten Spiel genossen sie mehrere Jahre lang glücklich ihrer Jugend, ohne jedoch dabei zu einer unerlaubten Handlung geschritten zu sein. Und obwohl beide Teile auf das sehnlichste danach verlangten, die letzten Früchte der Liebe zu kosten, hatte sich doch Louis, dessen Liebesglut ein wenig gedämpfter war, aus Scheu vor den Vorwürfen des Mädchens und der Verwandtschaft, vorgenommen, sich nicht eher mit ihr zu vermischen, als bis es ihm durch die Ehe erlaubt sein würde, und er hatte diesen tugendhaften und unabänderlichen Entschluß seiner Martine mehrmals geoffenbart. Diese empfand darüber keine geringe Befriedigung und ermunterte ihn beständig, doch durch einen treuen Vermittler ihren beiderseitigen Vätern die ersehnte Verbindung vorzuschlagen. Louis, der nichts weiter begehrte als dieses, ließ dem Herrn von Condé durch seinen eigenen Vater in sehr wohlgesetzten Worten den Vorschlag machen. Der Herr von Condé jedoch verweigerte unter Anführung vieler einleuchtender Gründe seine Einwilligung zu dieser Verbindung durchaus und forderte Herrn Jean in würdiger und gemäßigter Form auf, zur Bewahrung der gemeinsamen Ehre den Verkehr der beiden Kinder derart einzuschränken, daß Louis nur in ganz dringenden Fällen sein Haus betrete. Und so wurde ihnen von beiden Seiten auf verschiedenem Wege nicht allein die eheliche Verbindung, sondern sogar jeder Verkehr verboten.
Es würde zu weit führen und auch überflüssig sein, wollte ich erzählen, wie laut und andauernd der beiden Liebenden Klagen, wie tief und traurig ihre Seufzer waren, wie bitter ihr Schmerz. Was aber am meisten an Louis nagte, war der Gedanke, daß seine außerordentliche Tugend und Selbstbeherrschung es waren, die ihm so übel mitgespielt hatten, daß er selbst nicht begriff, durch welche Ketten seine Seele im elenden Körper zurückgehalten würde. Dennoch raffte er sich zu dem Entschluß auf, durch Vermittlung eines treuen Boten seine Martine brieflich zu besuchen und sie inständig zu bitten, wenn sie irgendeinen ihrem Heile dienlichen Ausweg gefunden hätte, ihm doch davon Mitteilung zu machen. Er schrieb also den Brief und übersandte ihn ihr in aller Heimlichkeit.
Als die Jungfrau, die trotz ihres unerträglichen Schmerzes bei sich beschlossen hatte, die Größe ihrer Seele zu zeigen, den Überbringer des Schreibens erblickte, nahm sie tränenfeuchten Antlitzes den Brief in Empfang, las ihn und sagte, da sowohl der Schmerz wie der Mangel an Gelegenheit sie hinderten, brieflich zu antworten, zu dem heimlichen Boten: »O du einziger Mitwisser unserer verborgenen und unnennbaren Liebe, empfiehl mich dem, der dich sandte, und sage ihm, daß er entweder mein Gatte und der einzige Herr meines Lebens wird, oder daß ich selbst freiwillig meine Seele durch Dolch oder Gift zum Verlassen des gramgebeugten Leibes zwingen werde. Und wenn er auch durch seine übergroße Tugend und sein Bestreben, die Ehre meines Vaters mehr zu wahren, als unsere Liebe und Jugend zugeben wollen, unserer Liebesseligkeit ein Ende bereitet hat, so daß wir uns weder sehen noch sprechen können, so will ich doch, so er den Mut hat, von einem seiner Getreuen begleitet, mit einer Strickleiter oder irgendeinem anderen Mittel, das es mir ermöglicht, mich herabzulassen, zu unserem Kastell und unter das Fenster meiner Kammer zu kommen, alsbald zu ihm herniedersteigen, um mit ihm die Burg eines gemeinsamen Verwandten aufzusuchen und dort unsere Ehe zu besiegeln. Ist mein Vater dann mit der vollendeten Tatsache einverstanden, dann gut, wenn aber nicht, so wird sie doch nicht ungeschehen gemacht werden können, und er wird gute Miene dazu machen müssen. Wenn dein Herr sich also zu diesem Schritt entschließt, so möge er ohne Zögern in der nächsten Nacht auf die angegebene Weise zu mir kommen.« Der treue Diener, der sich die Botschaft wohl eingeprägt hatte, verließ die Jungfrau, nachdem sie ein bestimmtes Zeichen, das einem Irrtum vorbeugen sollte, ausgemacht hatten, und als er wieder bei seinem Herrn eingetroffen war, berichtete er ihm Wort für Wort, was die Geliebte gesagt hatte. Dieser brauchte aber nicht erst lange zur Ausführung des Vorschlags ermuntert zu werden, er berief vielmehr alsbald gegen zwanzig wackere und beherzte Jünglinge, die mit ihm befreundet und seine treuen Vasallen waren, und nachdem er alles Erforderliche vorbereitet hatte, erreichte er in der Nacht auf Richtwegen in wenigen Stunden mit seinen Genossen geräuschlos das Kastell seiner Dame und gab unter ihrem Fenster das verabredete Zeichen. Kaum hatte sie, die ihn mit Sehnsucht erwartete, es vernommen und erkannt, so ließ sie einen starken Faden hinab, den er an der Strickleiter befestigte. Sie zog sie damit empor, befestigte sorgfältig die eisernen Haken am Rande ihres Fensters und stieg ohne jede Furcht, wie wenn sie sich schon öfter in dieser Kunst geübt hätte, daran herunter und wurde von ihrem Louis in den Armen aufgenommen. Nach unzähligen Küssen gewannen sie die Straße, wo ein kräftiges Reitpferd auf die Dame wartete, und sie, inmitten ihrer treuen Diener hinter einem kundigen Führer herreitend, voller Freude ihren Weg zu dem vorgesehenen Ziele verfolgten.
Aber ihr widerwärtiges Schicksal hatte es wohl anders mit ihnen beschlossen und führte sie einem bitteren und, wie ich glaube, unerhört schrecklichen Ende entgegen; denn sie hatten noch keine Meile zurückgelegt, als sich ein so gewaltiger und andauernder und von Sturm, dichten Hagelschauern und entsetzlichem Donner und Blitz begleiteter Platzregen über ihnen entlud, daß es schien, als wollte das ganze Himmelsgewölbe über ihnen zusammenstürzen. Die Finsternis war so groß und der Sturm so unwiderstehlich, daß nicht allein die Unberittenen, die meist ohne Mäntel waren, sich samt dem Führer, hier und dort Hals über Kopf Schutz suchend, verirrten, sondern auch die beiden Liebenden, die sich fest bei den Händen gefaßt hatten, einander kaum zu sehen vermochten. Ganz erschreckt und voll Angst, dieses plötzliche Unwetter möchte eine Heimsuchung Gottes für den begangenen Raub sein, wußten sie nicht, wo sie waren, noch wohin sich wenden, zumal sie keinen ihrer Begleiter in der Nähe hörten, und niemand auf ihr fortgesetztes Rufen antwortete. Da befahlen sie sich Gott, überließen ihren Pferden die Zügel und vertrauten ihnen und dem Schicksal die Wahl des Weges und ihr Leben an.
Nachdem sie, vom grausamen Tode einem schrecklichen Ende entgegengeführt, mehrere Meilen bald in dieser, bald in jener Richtung, wie ein Schiff ohne Steuermann, zurückgelegt hatten, erblickten sie in der Ferne ein kleines Licht, das sie wieder einige Hoffnung schöpfen ließ, und gaben ihren Pferden diese Richtung, während die Wut des Unwetters auch nicht einen Augenblick von ihnen abließ. Als sie dann nach ihrem langen Ritte an den Ort gelangten, wo das Licht brannte, klopften sie an die Tür. Es ward ihnen geantwortet und aufgetan, und da entdeckten sie, daß sie in ein Spital von Aussätzigen geraten waren. Einige von diesen verwüsteten Gestalten traten ihnen entgegen und fragten sie rauh, wer sie um diese Stunde an diesen Ort geführt hätte. Die beiden jungen Leute waren so erstarrt und ermattet, daß sie nur mit Mühe zu sprechen vermochten; Louis antwortete daher so kurz wie möglich, das Unwetter und ihr böses Geschick seien die Ursache, und er bat sie dann, sie möchten um Gottes willen ihnen ein wenig Feuer und ihren Pferden Unterkunft gewähren.
Obwohl diese Ausgestoßenen, da sie jeder Hoffnung auf Gesundung bar sind, mit den Verdammten verglichen werden können, und keine Spur von Menschlichkeit und Erbarmen in ihnen lebt, halfen sie ihnen dennoch, von einer schwachen Anwandlung von Mitleid bewogen, aus dem Sattel, stellten ihre Pferde zu ihren Eseln in den Stall und führten das Paar in ihre Küche an ein großes Feuer, wo sie sich mit ihnen niedersetzten.
Wenn die beiden jungen Leute im Innern auch vor dem Umgang mit solchen verseuchten und von der Krankheit zerfressenen Geschöpfen zurückschauderten, so bemühten sie sich doch, da ihnen nichts anderes übrigblieb, sich darein zu finden. Der belebende Einfluß des Feuers hatte es zuwege gebracht, daß Louis und Martinen die verblaßte Schönheit in einem Grade wiedergekehrt war, daß es schien, als hätten sie Diana und Narziß ihre Wohlgestalt entwendet. Dieser Umstand entfachte in einem gottlosen Schurken aus der Zahl jener Aussätzigen, der im letzten Kriege als Soldat gedient hatte und noch entstellter und verwüsteter war als die anderen, die wilde Begierde, das schöne Mädchen fleischlich zu erkennen, und er beschloß in seiner häßlichen Leidenschaft, unter allen Umständen den Geliebten der Jungfrau aus dem Wege zu räumen und sich dann der herrlichen Beute zu bemächtigen. In diesem Entschlusse zog er einen Genossen ins Vertrauen, der nicht weniger schurkisch und grausam war als er selbst, und ging mit ihm in den Stall, wo der eine die Pferde losband, gewaltigen Lärm machte und schrie: »Ritter, komm doch und mach deine Pferde fest, damit sie unsere Esel nicht scheu machen!«, während der andere mit einem großen Beil in der Hand hinter der Tür auf ihn lauerte, um den schrecklichen Mord zu begehen.
O ruchloses Schicksal, daß du flatterhaft bist und keinem deiner Untertanen ein dauerndes Glück gönnst, und die beiden unschuldigen Tauben mit trügerischer Hoffnung in das Netz ihres unnennbar grausamen Todes gelockt hast! Wenn es dir nicht beliebte, die unglücklichen Liebenden durch deine ruhigen sturmfreien Meere glücklich dahinsegeln zu lassen, hattest du nicht unendlich viele andere Mittel, sie im Leben und im Tode zu trennen? So hast du dir also diesen Weg als den grausamsten vorbehalten? Wahrlich! ich weiß gegenüber diesen verabscheuungswürdigen Werken nichts weiter zu sagen als: wehe dem, der seinen Glauben und seine Hoffnung auf dich gründet!
Als Louis sich rufen hörte, ging er, obwohl es ihn hart ankam, und er sich ungern von dem Feuer trennte, dennoch schwankenden Schrittes zum Stalle, um seine Pferde zu beruhigen, und ließ seine Dame in der Gesellschaft vieler jener Aussätzigen beiderlei Geschlechts zurück. Kaum aber war er in den Stall getreten, als der wilde Verbrecher ihm einen derartigen Schlag mit dem Beile auf den Kopf versetzte, daß er, ohne einen Wehruf ausstoßen zu können, tot zu Boden stürzte. Und obwohl der Schurke erkannte, daß er unzweifelhaft tot war, ließ er doch noch weitere grausame Beilschläge auf seinen Kopf herniedersausen. Hierauf ließ er ihn liegen, wo er lag, und ging mit seinem Kumpan in den Raum zurück, wo die unglückselige Jungfrau sich aufhielt. Und da die beiden ein gewisses Übergewicht über die anderen hatten, befahlen sie, daß jeder seinen Schlafplatz aufsuchen solle, was augenblicklich geschah. Als die unglückliche Martine allein zurückgeblieben war und beständig, ohne Antwort zu erhalten, nach ihrem Louis fragte, näherte sich ihr schließlich der Mörder und sagte mit seiner entstellten, rauhen Stimme zu ihr: »Mein liebes Töchterchen, du mußt dich in Geduld fassen; denn wir haben soeben deinen Mann umgebracht; laß also die Hoffnung fahren; denn ich beabsichtige, deine reizende Person, solange ich lebe, zu genießen.«
O ihr mitleidigen, tränenreichen Damen, die ihr euch herbeigelassen habt, die Schilderung dieses entsetzlichen und unerhörten Ereignisses in meiner Novelle zu lesen, – wenn eine von euch je einen Gatten liebte oder für einen Geliebten glühte, und ihr, verliebte Jünglinge, die ihr auf dem Gipfel eurer blühenden Jugend steht, wenn irgendwann die Liebe eure Brust mit gleicher Flamme durchloderte und auch nur ein Funke von Menschlichkeit in euch glimmt, begleitet bitte mit euren schmerzlichen Tränen meine Feder, die den bitteren und unerträglichen Schmerz nicht zu schildern vermag, den das unglückliche Mädchen, mehr als je ein anderes Weib, in diesem Augenblicke empfand. Denn indem ich mich anschicke, eine Schilderung dieses Herzeleides zu versuchen, erscheinen vor meinen Augen die schreckenerregenden Gestalten jener Aussätzigen, die das bejammernswerte Mädchen umstanden, mit ihren rotumränderten Augen, ihren haarlosen Augenbrauen, ihren zerfressenen Nasen, ihren verschwollenen, abschreckend gefärbten Backen, ihren umgestülpten Lippen, ihren schmutzigen, paralytischen und kontrakten Händen, diese Gestalten, die mehr einer teuflischen als einer menschlichen Erscheinung ähneln, wie aus dieser Schilderung ersichtlich, und sie haben eine solche Gewalt über mich, daß sie meine bebende Hand am Weiterschreiben verhindern.
Ihr, die ihr mit erbarmungsvollem Herzen zuhört, stellt euch also vor, was für Gedanken auf sie einstürmten, und welches Entsetzen es ihr, von dem Herzeleid zu schweigen, verursachte, sich zwischen zwei beutegierigen Hunden zu sehen, die so hitzig waren, daß es schien, als wollte jeder von ihnen der erste sein, sie anzuspringen.
Nachdem sie unter markerschütternden Schreien immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand gerannt war, immer wieder ihr zartes Gesicht zerkratzt hatte, daß das Blut daran herunterlief, und mehrmals in Ohnmacht gefallen und wieder zu sich gekommen war, erkannte sie, daß es für sie keine Rettung und Hilfe mehr gab und beschloß nun, ohne eine Spur von Furcht, ihren Louis, wie sie ihn im Leben begleitet hatte, nun auch im Tode zu begleiten und ihm nachzufolgen. So wandte sie sich also zu jenen wilden Tieren und sagte zu ihnen: »O ihr erbarmungslosen und entmenschten Geister, ich flehe euch beim alleinigen Gott an, nachdem ihr mich des einzigen Schatzes meines Lebens beraubt habt, gewährt mir, bevor ihr euch meines Leibes bemächtigt, die einzige Gnade und laßt mich einige Augenblicke den Leichnam meines unglücklichen Herrn sehen und ihm Ehre erweisen und ihm mit meinen Tränen das blutige Antlitz waschen!«
Weit entfernt, die Absicht der Jungfrau zu ahnen, wollten sie ihr, um ihr gefällig zu sein, diese Bitte nicht abschlagen und führten sie an den Ort, wo der arme Louis ermordet dalag. Kaum erblickte sie den Leichnam, als sie sich wie eine Rasende, mit einem Schrei, der bis an den Himmel rührte, auf ihn warf. Und nachdem sie genug geweint und sich sattgeküßt hatte, blickte sie, obgleich sie ein Messer bereit hatte, ihr verzweifeltes Vorhaben auszuführen, nach der Seite ihres Geliebten und sah dort den Degen, den die Mörder ihm noch gelassen hatten, und er schien ihr den kürzesten und schnellsten Weg zur Ausführung ihres Planes zu verheißen. Sie nahm ihn also unbemerkt an sich, verbarg ihn zwischen sich und dem Leichnam und sagte: »Bevor das bereitgehaltene Eisen das Herz durchbohrt, rufe ich dich, huldreicher Geist meines Herrn, der du vor wenigen Augenblicken auf gewaltsame Weise diesen armen Leib verlassen mußtest, an und bitte dich, laß es dich nicht verdrießen, auf den meinen zu warten, der sich freiwillig mit dir vereinigen wird: möge euch die ewige, in gleichen Flammen glühende Liebe vereint und umschlungen halten, und wenn es unsern verweslichen Leibern infolge der ihnen vorbestimmten Frist nicht beschieden gewesen ist, in dieser Welt zusammenlebend das Glück der Liebe zu genießen und uns unsere einzigartige Hingebung zu beweisen, so will ich, daß ihr Geister ewig miteinander verknüpft seiet und einander genießet, und den euch zugeteilten Aufenthaltsort, welcher es immer sei, für ewig zusammen besitzet. Und du, o edler und vielgeliebter Leib, sollst als Opfer und eheliches Eigentum den meinigen empfangen, der sich mit der größten Bereitwilligkeit beeilt, dir zu folgen, wohin du gehst. Nicht zur Lust, sondern als Schlachtopfer war er dir bestimmt, und der Totenweihrauch, der nach beendigtem Leichenbegängnis gespendet zu werden pflegt, bestehe aus unser beider zusammengeflossenem und an diesem elenden Orte vermodertem Blute, unserem Blute und den Tränen unserer grausamen Väter!«
Nach diesen Worten wollte sie, obwohl es sie danach verlangte, noch länger zu weinen und zu klagen, und ihr noch andere herzerschütternde Worte zu Gebote standen, doch nicht länger säumen, die letzte Reise, die sie sich vorgenommen hatte, anzutreten; sie stemmte daher geschickt den Knauf des Degens gegen die Brust des Leichnams und richtete die haarscharfe Spitze gerade auf ihr Herz, und indem sie sich ohne jeden Schauder und ohne jede Furcht hineinwarf, ließ sie sich von dem kalten Eisen durchbohren und rief dabei aus: »Ah! ihr ruchlosen Hunde, so nehmt denn die von euch so sehr begehrte Beute hin!« Und indem sie den toten Liebsten fest an sich preßte, schied sie aus diesem schmerzenvollen Leben.
Kaum hatten jene die letzten Worte vernommen, als sie ein mehr als spannenlanges Stück Eisen zwischen ihren Schultern herausragen sahen. Es fehlte wenig, und der Schmerz über diesen Anblick hätte sie getötet. Da sie aber gleich darauf wieder für ihr elendes Leben befürchteten, machten sie sofort eine große Grube im Stalle und begruben die beiden Leichname, ohne sie zu trennen, wie sie lagen. Dies war also das klägliche und grauenhafte Ende des verliebten Paares.
Nachdem es zu vielen erbitterten und todbringenden Kämpfen zwischen ihren Vätern und unzähligen Totschlägen zwischen ihren Vasallen gekommen war, wollte die Gerechtigkeit Gottes es nicht leiden, daß ein so ungeheuerliches Verbrechen ungerächt bliebe. Sie verhängte darum über die Mörder die verdiente Strafe, indem es infolge einer Feindschaft, die im Laufe der Zeit unter den Aussätzigen ausbrach, geschah, daß einer der Leprosen dieses Spitals den Mord, wie er sich in Wahrheit zugetragen hatte, enthüllte.
Die Kunde davon kam den beiden Baronen zu Ohren, und sie schickten im gegenseitigen Einverständnis Bewaffnete zu der angegebenen Stelle des Spitals. Diese gruben nach und fanden die Leichen der edlen und unglücklichen Liebenden, deren grausamer und entsetzlicher Tod, obwohl sie bereits ganz verwest und auseinandergefallen waren, durch den Degen bezeugt wurde. Sie hoben ihre irdischen Reste aus dieser häßlichen Ruhestätte heraus, legten sie in einen Holzsarg und schafften sie aus dem Stall, dann schlossen sie die Türen des Hospitals, legten darin und in allen Nebengebäuden Feuer an und verbrannten alle Insassen samt ihrer Habe. In wenigen Stunden waren so alle Gebäude, die Kirche nicht ausgenommen, mit allem, was darin war, in Asche verwandelt. Die Überreste der beiden Liebenden aber brachten sie nach Nanzig, wo sie unter allgemeinem Schmerz nicht allein der Verwandten, Freunde und Stadtbewohner, sondern auch aller Fremden, die in Trauerkleidern folgten, unter erhebenden kirchlichen Feiern in einem gemeinsamen Grabe beigesetzt wurden. Auf die Grabtafel aber wurden zur Erinnerung an die beiden unglücklichen Liebenden die folgenden Worte gesetzt: