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(1485-1529)
Luigi da Porto, geb. am 10. August 1485 zu Vicenza, gest. am 10. Mai 1529 zu Vicenza. Bekannt durch seine »Historischen Briefe«.
Romeo und Giulietta, 1524 geschrieben, geht vielleicht auf die 33. Novelle des Masuccio zurück und wurde von Bandello (9. Novelle des II. Teils seiner Sammlung) ausgeschmückt. Die Fassung des letzteren liegt dem Drama Shakespeares zugrunde. Nach der Übersetzung von A. Keller bearbeitet.
Wie ihr selbst gesehen habt, in der Zeit, da der Himmel nicht allen seinen Groll auf mich entladen, in den schönen Tagen meiner Jugend, ergab ich mich dem Waffenwerke nach dem Beispiel vieler großer und wackerer Männer und trieb diese Übung einige Jahre in eurem angenehmen Vaterlande Friaul, durch das ich je nach den Umständen bald in öffentlichen, bald in eigenen Angelegenheiten, bald da, bald dorthin gewiesen, zu gehen hatte. Ich pflegte immer, wenn ich ritt, unter anderen einen Bogenschützen mit mir zu nehmen, einen Mann von vielleicht fünfzig Jahren, der in seinem Geschäft sehr erfahren, sehr angenehm im Umgang, und wie fast alle Veronesen (denn er war aus Verona gebürtig) gesprächig war. Er hieß Pellegrino. Dieser Mann war nicht nur ein herzhafter und erfahrener Soldat, sondern ein gut aussehender Mann und, vielleicht mehr als es sich für seine Jahre schickte, fortwährend mit Liebesangelegenheiten beschäftigt, was dann seine Tapferkeit verdoppelte. Auch erzählte er gerne die allerschönsten Novellen, zumal solche, welche von Liebe handeln, in der besten Ordnung und so reizend, wie ich sie nie von sonst jemand gehört habe.
Als ich daher von Gradisca, wo ich in Quartier lag, mit diesem und zwei anderen von meinen Leuten, vielleicht durch die Liebe getrieben, nach Udine ging, auf der Straße, die damals ganz einsam, vom Krieg zerstört und verbrannt war, und in düsteren Gedanken versunken, mich entfernt von den anderen hielt, ritt der genannte Pellegrino, meine Gedanken ahnend, heran und sprach also zu mir: »Wollt Ihr immer traurig leben, weil eine grausame Schöne so tut, als mache sie sich nicht viel aus Euch? Ich weiß wohl, daß ich gegen mich selbst rede, aber doch, da man leichter Rat gibt als befolgt, muß ich Euch sagen, mein gnädiger Herr, daß, abgesehen davon, daß es sich für Euren Beruf nicht schickt, in der Gefangenschaft der Liebe zu sein, das Ziel, zu dem sie uns führt, fast immer so traurig ist, daß es gefährlich ist, ihr zu folgen. Zum Beleg könnte ich Euch, wenn es Euch recht wäre, eine Geschichte erzählen, die sich in meiner Vaterstadt zugetragen hat; es würde dies unseren Weg weniger einförmig und langweilig erscheinen lassen; auch könnt Ihr daraus ersehen, wie zwei edle Verliebte von Amor in einen elenden, mitleiderweckenden Tod geführt worden sind.«
Ich hatte ihm schon einen Wink gegeben, daß ich ihm gerne zuhören wolle, und er begann daher also:
»Zur Zeit, da Bartolomeo della Scala, ein höflicher und sehr feingebildeter Mann, die Zügel meiner schönen Vaterstadt nach seinem Gutdünken bald fester, bald freier lenkte, blühten daselbst, wie mein Vater gehört zu haben behauptete, zwei sehr edle Familien, die sich, entweder da sie entgegengesetzten Parteien angehörten, oder aus persönlichem Hasse, feindlich gegenüberstanden; die eine hieß die der Cappelletti, die andere die der Montecchi. Einer derselben, glaubt man mit Bestimmtheit, gehören die jetzt in Udine lebenden Messer Niccolò und Messer Giovanni an, die sich jetzt Monticoli da Verona nennen und die durch ein seltsames Schicksal veranlaßt worden sind, dorthin überzusiedeln. Übrigens haben sie von ihren Vorfahren wenig an ihren neuen Wohnort mit hingebracht, außer ihrer Höflichkeit und Artigkeit. In einer alten Chronik habe ich freilich zufällig gefunden, daß diese beiden Familien vereint Azzo von Este, den Befehlshaber der genannten Stadt, vertrieben haben, der später dank der Gunst der Sambonifazi wieder dorthin zurückkehrte; ich will es Euch aber, ohne etwas zu ändern, gerade so erzählen, wie ich es gehört habe.
Es waren also, wie gesagt, in Verona, unter den genannten Herren die eben angeführten adligen Familien, welche der Himmel, die Natur und das Glück gleichmäßig mit wackeren Männern und Reichtümern geschmückt hatten. Unter diesen herrschte, wie es meistens in den großen Häusern der Fall ist, was nun auch der Grund davon sein mag, eine grausame Feindschaft, um deretwillen schon mehrere Männer auf beiden Seiten den Tod gefunden hatten, so daß teils aus Überdruß; teils auch wegen der Drohungen des Fürsten, der die Feindseligkeit mit großem Mißfallen sah, sie endlich davon abließen, sich weiter zu befehden und, ohne förmlichen Frieden zu schließen, mit der Zeit so weit nahetraten, daß ein großer Teil ihrer Angehörigen wieder miteinander sprach. Während nun zwischen den beiden Familien der Streit auf diese Weise eingestellt war, begab es sich in der Faschingszeit, daß im Hause des Messer Antonio Cappelletti, eines sehr heiteren und aufgeräumten Mannes, der das Haupt der Familie war, viele Festlichkeiten bei Tag und bei Nacht veranstaltet wurden, bei welchen fast die ganze Stadt versammelt war. Zu einer derselben begab sich eines Abends auch ein junger Mann von den Montecchi, seiner Geliebten folgend, wie das so die Art der Liebhaber ist, ihren Damen wie mit dem Herzen so auch womöglich mit dem Leibe zu folgen, wohin sie gehen. Dieser war noch ganz jung, sehr schön und groß von Gestalt, heiter und wohlgesittet. Als er daher, wie alle anderen, die Maske abnahm und in seiner Tracht als Nymphe erkannt wurde, wandte sich kein Auge mehr von ihm, sowohl wegen seiner Schönheit, welche die jeder anderen, selbst der schönsten Frau in der Gesellschaft übertraf, als aus Verwunderung darüber, daß er und zumal bei Nacht in dieses Haus gekommen war.
Mehr Eindruck aber, als auf irgend sonst jemand, machte sein Anblick auf die einzige Tochter des genannten Messer Antonio, welche außerordentlich schön, voll jugendlicher Keckheit und von großer Anmut war. Sobald diese den Jüngling erblickte, nahm sie seine Schönheit mit solcher Gewalt in ihrem Gemüte auf, daß sie beim ersten Begegnen ihrer Augen meinte, sie sei nicht mehr sie selber. Der Jüngling hielt sich ganz schüchtern und allein im Hintergrund und mengte sich nur selten in den Tanz oder in ein Gespräch, da ihn nur die Liebe hierher geführt hatte und ihm bei der Sache nicht ganz wohl zumute war. Dies war dem Mädchen sehr leid, denn sie hörte, er sei ein sehr angenehmer, heiterer Gesellschafter.
Schon war Mitternacht vorüber, das Ende des Festes kam heran, und der Fackeltanz oder Huttanz, wie man es heißen will, wie er noch jetzt am Schlusse von Bällen üblich ist, nahm seinen Anfang. Man steht dabei im Kreise, und der Herr wechselt nach Belieben seine Dame, die Dame ihren Herrn. Bei diesem Tanze nun wurde der Jüngling von einer Dame gewählt und zufällig neben das schon verliebte Mädchen gestellt. Zu ihrer anderen Seite stand ein edler Jüngling Marcuccio Guercio mit Namen, welcher von Natur im Juli wie im Januar immer eiskalte Hände hatte. Als nun Romeo Montecchi (so hieß der Jüngling) links von der Dame zu stehen kam, und, wie es bei dem Tanze gewöhnlich ist, die Schöne seine Hand in die ihrige genommen hatte, sagte das Mädchen auf einmal zu ihm, vielleicht um ihn zum Reden zu bringen: »Gottlob, daß Ihr neben mich kommt, Messer Romeo!«
Darauf versetzte der Jüngling, welcher schon ihre Blicke bemerkt hatte, verwundert über ihre Worte: »Wie, Madonna? Ihr sagt Gottlob, daß ich komme?«
»Allerdings«, antwortete sie, »bin ich froh, daß Ihr neben mich kommt; denn Ihr könnt mir wenigstens diese linke Hand warm halten, während Marcuccio mir die rechte zu Eis erstarren macht.«
Romeo wurde dadurch etwas kühner und fuhr fort: »Wenn ich Euch mit meiner Hand die Eurige erwärme, so setzt Ihr mit Euren schönen Augen mein Herz in Flammen.«
Das Mädchen lächelte ein wenig, besorgte aber, man möchte sehen oder hören, daß sie mit ihm spreche, und sagte nur noch: »Ich schwöre Euch, Romeo, bei meiner Ehre, es ist keine Frau hier, die meinen Augen so wohl gefällt, als Ihr.«
Darauf antwortete der Jüngling ganz von Liebe entflammt: »Wer ich auch sei, ich bin, wofern es Euch nicht mißfällt, Eurer Schönheit treuer Diener.«
Kurz darauf war das Fest zu Ende, und Romeo überlegte beim Heimgehen die Grausamkeit seiner ersten Geliebten, welche für so vieles Schmachten ihm so geringen Lohn gab, und beschloß, sich, sofern es ihr genehm wäre, ganz dieser zu weihen, obgleich sie der Familie seiner Feinde angehöre. Auf der anderen Seite dachte das Mädchen fast an nichts als an ihn und befestigte sich nach vielen Seufzern in der Ansicht, sie müsse unendlich glücklich sein, wenn sie Romeo zum Gatten bekommen könnte; aber wegen der Feindschaft zwischen den beiden Häusern war sie sehr ängstlich und hatte wenig Hoffnung, ein so erfreuliches Ziel zu erreichen. So von ihren Zweifeln hin und her geworfen, sagte sie oftmals zu sich selbst: »Ich Törin! von welcher Lockung lasse ich mich in ein so seltsames Labyrinth verleiten, wo ich ohne Führer bleibe und nicht wieder heraus kann, wenn ich auch wollte, da Romeo mich nicht liebt; denn bei seiner Feindschaft gegen meine Familie kann er auf nichts anderes zielen als auf meine Schande, und wenn er mich auch zur Frau haben wollte, so würde doch mein Vater niemals einwilligen, mich ihm zu überlassen.« Dann kam sie wieder auf andere Gedanken und sagte: »Wer weiß, vielleicht grade, um den Frieden zu befestigen zwischen beiden Häusern, die schon müde und überdrüssig sind, sich fortwährend zu befehden, könnte es mir noch gelingen, auf die Art, wie ich es wünsche, zu seinem Besitz zu gelangen.«
Und daran hielt sie fest und fing an, ihm durch Blicke ihre Zuneigung zu bezeugen. Da nun die beiden Liebenden in gleicher Flamme glühten, und jeder den schönen Namen und das Bild des anderen in der Brust eingegraben trug, huben sie an, bald in der Kirche, bald am Fenster ihres stillen Liebesverkehrs zu pflegen, so daß es keinem von beiden wohl war, außer wenn sie sich sahen. Er vornehmlich fühlte sich so entflammt von ihrem holden Wesen, daß er fast die ganze Nacht mit größter Lebensgefahr allein vor dem Hause des geliebten Mädchens weilte, und bald zum Fenster ihres Zimmers emporkletterte und sich davor, ohne daß sie oder sonst jemand es wußte, hinsetzte, um ihrer süßen Stimme zu lauschen, bald sich auf der Straße hinlegte.
Eines Nachts nun begab es sich durch Fügung des Liebesgottes, daß der Mond ungewöhnlich hell leuchtete, und während Romeo eben auf ihren Balkon emporsteigen wollte, öffnete das Mädchen, sei es nun zufällig oder weil sie ihn in früheren Nächten gehört hatte, das Fenster, trat hinaus und sah ihn. Er aber, in der Meinung, nicht sie, sondern sonst jemand öffne den Balkon, wollte in den Schatten einer Mauer fliehen. Sie erkannte ihn jedoch, rief ihn beim Namen und sagte zu ihm: »Was macht Ihr hier um diese Stunde so allein?«
Er hatte sie nun auch schon erkannt und antwortete: »Wozu mich die Liebe treibt.«
»Wenn man Euch aber hier beträfe«, sagte das Mädchen, »könntet Ihr nicht leicht ums Leben kommen?«
»Madonna«, antwortete Romeo, »freilich könnte ich leicht ums Leben kommen, und das wird auch eines Nachts geschehen, wenn Ihr mir nicht helft. Aber da ich an jedem anderen Orte dem Tode ebenso nahe bin wie hier, so will ich nur suchen, so nahe als möglich bei Euch zu sterben, mit der ich doch ewig zu leben wünschte, wenn es dem Himmel und Euch gefiele.«
Darauf antwortete das Mädchen: »Ich würde nie ein Hindernis sein, wenn Ihr in Ehren mit mir leben wollt; wenn es nicht bei Euch mehr Hindernis fände, oder bei der Feindschaft, die ich zwischen Eurem, und meinem Hause bestehen sehe.«
»Ihr dürft mir glauben«, versetzte ihr der Jüngling, »daß man nichts heftiger wünschen kann, als ich unaufhörlich Euch zu besitzen wünsche, und deshalb, wenn es Euch ebenso genehm ist, die meinige zu sein, wie ich mich sehne, Euch anzugehören, so tue ich es gerne und fürchte nicht, daß mich Euch jemand entreiße.«
Nach diesen Worten verabredeten sie, wie sie in einer der folgenden Nächte sich mit mehr Muße sprechen könnten, und so schieden sie beide. Nachher kam der Jüngling oftmals hin, um Zwiesprache zu halten, und als er sie eines Abends, da viel Schnee fiel, an dem ersehnten Ort wiederfand, sagte er zu ihr: »Ach, warum laßt Ihr mich so schmachten? Faßt Euch kein Erbarmen mit mir, da ich Euch allnächtlich bei solchem Wetter hier auf der Straße erwarte?«
»O ja, freilich dauert Ihr mich«, antwortete das Fräulein. »Aber was soll ich denn tun? Soll ich Euch bitten, fortzugehen?«
Darauf erhielt sie von dem Jüngling zur Antwort: »Laßt mich in Euer Zimmer hinein, da könnten wir behaglicher miteinander plaudern.«
Darauf versetzte die schöne Jungfrau fast entrüstet: »Romeo, ich liebe Euch, so sehr ich jemanden lieben kann; ja, ich gestatte Euch mehr, als sich vielleicht mit meinem guten Rufe vereinigen läßt; ich tue dies, überwunden von der Liebe und Euren Vorzügen. Dächtet Ihr aber, durch langes Liebeswerben oder sonst ein Mittel noch darüber hinaus als Liebhaber meiner Liebe zu genießen, so gebt diesen Gedanken alsbald auf; denn Ihr müßtet doch mit der Zeit Euch von seiner gänzlichen Unhaltbarkeit überzeugen. Um Euch aber nicht weiter den Gefahren auszusetzen, in welchen ich Euer Leben schweben sehe, wenn Ihr jede Nacht in diese Gasse kommt, so sage ich Euch, daß, wenn es Euch gefällt, mich als Frau anzunehmen, ich bereit bin, mich Euch ganz hinzugeben und Euch ohne jede andere Rücksicht überallhin zu folgen, wohin es Euch beliebt.«
»Dies ist mein einziger Wunsch«, sagte der Jüngling. »So geschehe es denn gleich!«
»Es mag geschehen«, antwortete das Fräulein, »aber es muß hernach bestätigt werden in Gegenwart des Bruders Lorenzo von San Francesco, meines Beichtvaters, wenn Ihr wollt, daß ich mich Euch ganz ohne Bedenken hingebe.«
»Oh«, versetzte Romeo, »also ist der Bruder Lorenzo von Reggio der, der alle Geheimnisse Eures Herzens weiß?«
»Ja«, sagte sie, »und wir wollen zu meiner Beruhigung lieber alles weitere bis auf ihn aufsparen.«
Hiernach trafen sie dann vorsichtige Abrede über das, was sie zu tun hätten, und trennten sich für diesmal. Der erwähnte Mönch gehörte zum Orden der minderen Brüder von der Observanz, war ein großer Philosoph und beschäftigte sich viel mit naturwissenschaftlichen und magischen Experimenten, und war mit Romeo zu so inniger Freundschaft verbunden, daß ein festeres Verhältnis zwischen zwei Männern in jener Zeit wohl nicht zu finden gewesen wäre. Denn, einmal um bei dem törichten Volke in gutem Rufe zu bleiben und dann, um gewissen Vergnügen nachgehen zu können, sah sich der Mönch genötigt, sich einem edlen Jüngling in der Stadt zu vertrauen. Unter allen nun hatte er Romeo ausgewählt, welcher mutig und klug war, und ihm sein Herz ganz nackt und unverhüllt offenbart, das er sonst den anderen durch Verstellung verborgen hielt.
Romeo suchte ihn daher auf und sagte ihm frei heraus, wie er das geliebte Mädchen zur Frau wünsche, und daß sie miteinander verabredet hätten, er allein solle der geheime Zeuge ihrer Vermählung sein und danach den Mittler machen, damit ihr Vater nachträglich seine Zustimmung erteile. Der Mönch war damit einverstanden, teils weil er Romeo nichts hätte abschlagen können, ohne großen Schaden zu befürchten, teils auch weil er meinte, durch seine Vermittlung könnte die Sache vielleicht zu einem guten Ziele geführt werden; dies hätte ihm dann große Ehre beim Fürsten bereitet und bei allen denen, welche die Herstellung des Friedens zwischen den beiden Häusern wünschten. Es war Fastenzeit, und das Mädchen stellte sich eines Tages, als wollte sie beichten. Sie ging in das Franziskanerkloster, trat an einen der Beichtstühle, wie sie die Mönche und vor allem die Observanten dort haben, und ließ nach dem Bruder Lorenzo fragen. Als er hörte, daß sie hier war, kam er von der Klosterseite her zugleich mit Romeo in denselben Beichtstuhl, schloß die Tür, zog eine durchlöcherte Eisenplatte, welche die Jungfrau von ihnen trennte, hinweg und sprach zu ihr: »Ich pflege Euch immer gerne zu sehen, mein Kind, aber jetzt seid Ihr mir teurer als je, wenn es sich so verhält, daß Ihr meinen Messer Romeo zu Eurem Gatten wollt.«
Darauf antwortete sie: »Nichts wünsche ich sehnlicher, als ihm rechtmäßig anzugehören; darum bin ich hierhergekommen vor Euch, in den ich großes Vertrauen setze, damit Ihr nächst Gott Zeuge seid von dem, was ich, von Liebe bezwungen, zu tun vorhabe.«
Darauf wurde dann vor dem Bruder, welcher das Ganze als Beichtgeheimnis betrachten zu wollen versprach, sogleich Romeo mit dem schönen Fräulein getraut und zwischen ihnen die Abrede getroffen, sie wollten die folgende Nacht beisammen zubringen. Sie küßten sich sodann einmal und schieden von dem Mönch, welcher sein Gitter wieder in die Mauer einfügte und noch anderen Frauen die Beichte anhörte. So wurden denn die zwei Liebenden auf die angegebene Weise Mann und Frau, genossen mehrere Nächte ihres Liebesglückes und hofften, mit der Zeit Mittel zu finden, um den Vater der Frau zu besänftigen, der, wie sie wußten, ihren Wünschen entgegenstand.
Währenddessen begab es sich, daß das Schicksal, das jeder Lust der Welt feindlich in den Weg tritt, irgendeinen bösen Samen streute, aus welchem die fast erstorbene Feindschaft ihrer Häuser neu emporsproßte, sodaß es mehrere Tage bunt durcheinanderging, die Montecchi nicht den Cappelletti und die Cappelletti nicht den Montecchi aus dem Wege gehen wollten und sich deshalb einmal in der Via del Corso in Massen anfielen. Romeo kämpfte auch mit, hütete sich aber aus Rücksicht auf seine Frau, einen von ihrer Familie zu treffen; zuletzt aber, als viele von den Seinigen verwundet und fast alle aus der Straße verjagt waren, übermannte ihn der Zorn, er lief auf Tebaldo Cappelletti los, welcher der Heftigste seiner Familie schien, streckte ihn mit einem einzigen Schlage tot zu Boden und trieb die anderen, welche schon durch Tebaldos Tod in Verwirrung geraten waren, in eilige Flucht.
Man hatte schon bemerkt, daß Romeo den Tebaldo erschlagen, sodaß der Mord nicht verheimlicht werden konnte. Er wurde daher beim Fürsten verklagt, und alle Cappelletti schrien immer nur über Romeo, weshalb er denn von dem Gericht auf ewig aus Verona verbannt wurde.
Welchen Eindruck die Nachricht von diesen Vorfällen auf die arme junge Frau machte, kann jeder, der herzlich liebt, wenn er sich in ihre Lage hineindenkt, leicht ermessen. Sie weinte in einem fort so heftig, daß sie niemand zu trösten vermochte; und ihr Schmerz war um so herber, je weniger sie wagte, irgend jemandem ihr Unglück zu entdecken. Andererseits war dem jungen Manne der Abschied von der Vaterstadt bloß darum leid, weil er die geliebte Gattin verlassen mußte; und da er um keinen Preis hinweg wollte, ohne von ihr einen tränenreichen Abschied zu nehmen, und ihr Haus doch nicht besuchen durfte, so nahm er seine Zuflucht zu dem Mönche, und es wurde ihr durch einen mit Romeo befreundeten Diener ihres Vaters zu wissen getan, sie solle auch dahin kommen, was sie auch tat. Sie gingen beide in den Beichtstuhl und beweinten miteinander heftig ihren Verlust. Am Ende aber sagte sie zu ihm: »Was soll ich anfangen ohne Euch? Ich habe keine Freude mehr am Leben. Es wäre besser, ich ginge mit Euch, wohin Ihr geht. Ich will mir diese Locken abschneiden und wie Euer Diener hinter Euch hergehen, und Ihr könnt von niemandem besser und treuer bedient werden als von mir.«
»Da sei Gott vor, mein liebstes Leben«, entgegnete ihr Romeo, »daß, wenn Ihr mit mir kommen sollt, ich Euch anders denn als meine Gemahlin mit mir führe. Aber da ich gewiß bin, daß die Sache nicht lange auf diese Art fortgehen kann, und daß Friede werden muß unter unseren Familien, wo es mir denn auch leicht fallen wird, die Gnade des Fürsten zu erlangen, so meine ich, Ihr sollt einige Tage leiblich von mir getrennt bleiben, denn meine Seele ist unaufhörlich bei Euch; wofern sich aber die Sachen nicht so entwickeln, wie ich vermute, so können wir einen anderen Entschluß fassen über unser künftiges Leben.«
Nachdem sie dies unter sich verabredet, umarmten sie sich tausendmal und trennten sich mit Tränen, die Frau bat ihn dringend, ihr so nahe wie möglich zu bleiben und nicht nach Rom oder Florenz zu gehen; wie er gesagt hatte. Wenige Tage darauf ging Romeo, der bis dahin im Kloster des Bruder Lorenzo verborgen geblieben war, aus der Stadt und begab sich in aller Stille nach Mantua, nachdem er zuvor dem Diener der Frau aufgetragen hatte, alles, was er im Hause in bezug auf sie höre, dem Mönch sogleich zu wissen zu tun und alles, was sie befehle, getreu zu vollbringen, wenn er den Rest der ihm versprochenen Belohnung zu erhalten wünsche. Romeo war schon längere Zeit fort, und man fand die junge Frau noch immer in Tränen, sodaß ihre große Schönheit darunter litt, und ihre Mutter, welche sie zärtlich liebte, ihr wiederholt mit schmeichelnden Worten den Grund abzulocken suchte, weshalb sie so heftig weine.
»O meine Tochter«, sagte sie, »die ich so zärtlich wie mein Leben liebe, welcher Schmerz quält dich seit einiger Zeit? Woher kommt es, daß du keinen Augenblick ohne Tränen bleibst? Wünschest du vielleicht etwas, so tue es mir allein kund, denn in allem, soweit ich darf, werde ich dir Trost zu gewähren suchen.«
Dessen ungeachtet gab ihr die Tochter nur immer unerhebliche Gründe für ihre Tränen an. Die Mutter kam daher auf den Gedanken, es sei ein heftiger Wunsch, einen Mann zu bekommen, an diesem Weinen schuld, und sie habe ihr dies aus Scham oder Furcht verheimlicht. Daher sagte sie eines Tages zu ihrem Gatten, in der Meinung, dadurch das Wohl ihrer Tochter zu fördern, während sie doch auf ihren Tod hinarbeitete: »Messere Antonio, ich sehe schon längere Zeit unsere Tochter beständig so heftig weinen, daß sie, wie Ihr selbst wahrnehmen könnt, sich gar nicht mehr gleichsieht. Trotz allen Bemühungen, die Ursache ihres Weinens von ihr zu erfahren, kann ich doch nicht aus ihr herausbringen, woher es kommt; und von selbst komme ich auch nicht auf die Veranlassung, wenn es nicht vielleicht der Wunsch zu heiraten ist, den sie in ihrer Keuschheit nicht auszusprechen wagt. Ich meine daher, ehe sie sich verzehrt, wäre es gut, ihr einen Mann zu geben; sie war ja auf letzten St. Eufemien achtzehn Jahre geworden, und wenn die Frauen weit über diese Zeit hinaus sind, verlieren sie eher an Schönheit, als daß sie gewinnen. Sie sind ohnehin keine Ware, die man lange aufs Lager legen darf, obwohl ich unsere Tochter durchaus in keinem Stücke anders kenne als höchst sittsam. Überdies weiß ich, daß Ihr ihre Mitgift schon längere Zeit bereitliegen habt. Wir wollen uns daher nach einem anständigen Gemahl für sie umsehen.«
Messer Antonio antwortete, es wäre ganz gut, sie zu verheiraten, und lobte seine Tochter sehr, daß sie, wenn sie den Wunsch dazu verspüre, lieber ihren Kummer in sich verschließe, als sich ihm oder ihrer Mutter eröffne. Wenige Tage darauf knüpfte er auch wirklich mit einem Grafen von Lodrone Unterhandlungen wegen ihrer Vermählung an. Schon waren dieselben fast bis zum Abschluß gediehen, als die Mutter, in der Meinung, ihrer Tochter die größte Freude zu machen, zu ihr sagte: »Jetzt freue dich, meine Tochter; dann in wenigen Tagen sollst du mit einem vornehmen Edelmann würdig vermählt werden und damit wird die Ursache deines Jammers beseitigt sein; denn wenn du sie mir auch nicht hast entdecken wollen, so bin ich doch mit Gottes Hilfe darauf gekommen und habe es schon bei deinem Vater dahin gebracht, daß dein Wunsch erfüllt werden wird.«
Auf diese Worte konnte das junge, schöne Weib ihre Tränen nicht zurückhalten, weshalb die Mutter zu ihr sagte: »Glaubst du, ich halte dich zum besten? Es werden nicht acht Tage vergehen, so bist du die Frau eines schönen Junkers aus dem Hause Lodrone.«
Die Tochter aber verdoppelte auf diese Worte ihr Weinen, weshalb die Mutter schmeichelnd zu ihr sagte: »Ei, mein Kind, bist du denn nicht damit zufrieden?«
»Nein, meine Mutter«, antwortete sie, »und ich werde auch nie damit zufrieden sein.«
»Aber was willst du denn?« entgegnete die Mutter. »Sag' es mir, denn ich bin zu allem für dich bereit.«
Da sagte die Tochter: »Sterben möchte ich und sonst nichts.«
Da merkte Madonna Giovanna (denn so hieß die Mutter), als eine erfahrene Frau, daß ihre Tochter eine Liebe habe, gab ihr daher eine gleichgültige Antwort und verließ sie. Am Abend, als ihr Mann kam, erzählte sie ihm, was die Tochter unter Tränen geantwortet habe. Ihm mißfiel das höchlich, doch dachte er, es wäre wohlgetan, ehe man in den Unterhandlungen über ihre Vermählung einen weiteren Schritt tue, um sich nicht irgendwie in Verlegenheit zu setzen, in Erfahrung zu bringen, was denn eigentlich ihre Ansicht von der Sache sei. Er ließ sie daher eines Tages vor sich kommen und sagte zu ihr: »Giulietta (denn das war der Name seiner Tochter), ich bin im Begriff, dich standesgemäß zu vermählen, bist du damit zufrieden, mein Kind?«
Die Tochter hatte eine Weile geschwiegen, nachdem der Vater zu sprechen aufgehört, antwortete aber sodann: »Nein, mein Vater, ich bin nicht damit zufrieden.«
»Wie?« versetzte der Vater, »willst du denn in ein Nonnenkloster gehen?«
»Messere«, sagte sie, »ich weiß es nicht.«
Bei diesen Worten vergoß sie einen Strom von Tränen. Da sprach der Vater zu ihr: »Aber ich weiß es, daß du das nicht willst. Beruhige dich also; denn ich beabsichtige, dich mit einem Grafen von Lodrone zu vermählen.«
Darauf versetzte die Tochter heftig weinend: »Das wird nimmermehr geschehen.«
Messer Antonio war darüber erzürnt und bedrohte sie heftig, wenn sie seinem Willen ferner zu widersprechen sich erkühne, und überdies, wenn sie ihm den Grund ihres Weinens nicht offenbare. Da er aber nichts aus ihr herausbrachte als Tränen, war er über die Maßen unwillig und ließ sie mit Madonna Giovanna allein, ohne zu erfahren, auf was der Sinn der Tochter gerichtet sei. Die junge Frau hatte dem Diener ihres Vaters, welcher Mitwisser ihrer Liebe war und Pietro hieß, alles, was ihre Mutter gesprochen hatte, wieder gesagt, und vor ihm eidlich beteuert, daß sie eher freiwillig Gift trinken, als je einen anderen als Romeo zum Gemahl nehmen wolle, was ja gar nicht möglich wäre. Hiervon hatte Pietro insgeheim verabredetermaßen durch den Mönch Romeo (benachrichtigt, und dieser hatte an Giulietta geschrieben, sie solle um keinen Preis in ihre Vermählung einwilligen und noch weniger ihre Liebe gestehen; denn er werde höchstwahrscheinlich in acht bis zehn Tagen Gelegenheit haben, sie aus ihrem elterlichen Hause zu entführen. Messer Antonio und Madonna Giovanna bemühten sich unterdes gemeinsam vergeblich, durch Schmeicheleien und durch Drohungen von ihrer Tochter die Ursache zu erfahren, warum sie nicht heiraten wolle, und gelangten auch sonst nicht auf die Spur irgendeines Liebesverhältnisses. Oftmals hatte Madonna Giovanna zu ihr gesagt: »Sieh, meine süße Tochter, weine jetzt nicht mehr, denn du sollst ja einen Gemahl nach deinem Wunsch bekommen; ja selbst, wenn es einer von den Montecchi wäre, aus denen du, wie ich überzeugt bin, keinen wählen wirst.«
Giulietta aber antwortete nie mit etwas anderem als mit Seufzern und Tränen, dadurch kamen die Eltern in immer größere Besorgnis und faßten den Entschluß, ihre verabredete Vermählung mit dem Grafen von Lodrone möglichst zu beschleunigen. Als die junge Frau dies hörte, wurde sie über die Maßen betrübt und wünschte in ihrer Ratlosigkeit tausendmal des Tages den Tod herbei. Doch beschloß sie bei sich selbst, ihren Schmerz dem Bruder Lorenzo mitzuteilen, da sie nächst Romeo auf ihn die größte Hoffnung setzte und von ihrem Geliebten gehört hatte, daß er viele unglaubliche Dinge zu bewerkstelligen verstehe. Daher sagte sie eines Tages zu Madonna Giovanna: »Meine Mutter, wundert Euch nicht, wenn ich Euch die Ursache meines Weinens nicht sage, denn ich kenne sie selbst nicht; ich fühle nur beständig in meinem Innern eine solche Schwermut, daß mir alles miteinander, ja, das Leben selbst, zuwider ist, und ich kann mir nicht vorstellen, woher das rührt, viel weniger es Euch oder meinem Vater sagen, es müßte denn von einer begangenen Sünde herrühren, deren ich mich nicht erinnere. Da nun die letzte Beichte mich sehr erleichtert hat, so möchte ich, wenn Ihr nichts dagegen habt, wieder zur Beichte gehen, damit ich an dem nächstbevorstehenden großen Feste im Mai zur Heilung aller meiner Schmerzen die liebliche Arznei des heiligen Leibes unseres Herrn empfangen kann.«
Madonna Giovanna erklärte sich hiermit einverstanden. Zwei Tage darauf führte sie sie nach San Francesco und übergab sie dem Bruder Lorenzo, den sie zuvor schon dringend gebeten hatte, er möchte die Ursache ihres Weinens in der Beichte erforschen. Sobald die junge Frau sah, daß sich ihre Mutter ein wenig entfernt hatte, erzählte sie in aller Schnelle mit schmerzbewegter Stimme dem Mönch ihren ganzen Kummer und bat ihn bei der Liebe und innigen Freundschaft, welche, wie sie wußte, zwischen ihm und Romeo bestand, er möchte ihr doch in dieser äußersten Not seine Hilfe nicht versagen.
»Was kann ich hier zu deinem Besten tun, meine Tochter«, antwortete der Mönch, »da eine so heftige Feindschaft zwischen deinem Hause und dem deines Gatten besteht?«
Die betrübte junge Frau sagte darauf: »Mein Vater, ich weiß, daß Ihr vieles zu bewerkstelligen imstande seid und mir auf tausend Arten helfen könnt, wenn Ihr wollt. Mögt Ihr mir aber sonst keine Wohltat erweisen, so vergönnt mir wenigstens das: ich höre, daß man Vorbereitungen zu meiner Hochzeit trifft, in einem Palaste meines Vaters, welcher zwei Meilen von der Stadt gegen Mantua zu liegt. Dort wollen sie mich hinführen, damit ich weniger Herz habe, meinen neuen Bräutigam abzuweisen; sobald ich dort bin, kommt dann der mir Bestimmte auch dahin. Gebt mir nun soviel Gift, daß ich mich von diesem Kummer und Romeo von solcher Schmach befreien kann; wo nicht, so werde ich mir ein Messer in den Leib stoßen, was mir schwerer fällt und ihm auch weher tut.«
Als Bruder Lorenzo hörte, daß ihr Mut so groß war, und überlegte, wie sehr Romeo ihn in seiner Gewalt habe, sodaß er ihm ganz sicher feind würde, wenn er ihn in dieser Angelegenheit nicht förderte, sprach er zu der jungen Frau also: »Sieh, Giulietta, ich bin, wie du weißt, Beichtvater von der Hälfte dieser Stadt und stehe bei jedermann in gutem Rufe; auch wird kein Testament gemacht oder Friede geschlossen, wo ich nicht dabei wäre. Deshalb möchte ich um alle Schätze der Welt nicht in einen aufsehenerregenden Handel mich einlassen, noch wünschte ich, daß man mich in der Sache irgendwie für beteiligt halte. Dennoch will ich aus Liebe zu dir und zu Romeo mich zu einem Schritte verstehen, den ich noch für niemanden getan habe, unter der Bedingung jedoch, daß du mir versprichst, meinen Anteil daran immer geheimzuhalten.«
»Mein Vater«, antwortete darauf die junge Frau, »gebt mir nur unbesorgt das Gift, denn es soll nie jemand außer mir davon erfahren.«
»Gift«, versetzte er, »werde ich dir nicht geben, meine Tochter! Es wäre allzuschade, wenn du so jung und schön sterben solltest. Wenn du es aber über dich gewinnen kannst, etwas zu tun, was ich dir sagen werde, so getraue ich mich, dich sicher zu deinem Romeo zu bringen. Du weißt, daß die Gruft von euch Cappelletti sich außerhalb dieser Kirche auf dem Friedhofe befindet. Ich will dir ein Pulver geben. Wenn du das nimmst, wirst du auf achtundvierzig Stunden oder etwas mehr oder weniger in einen Schlaf versinken, daß jedermann, auch der größte Arzt, dich entschieden für tot halten wird. Du wirst dann ohne Zweifel, als wärest du verschieden, in der besagten Gruft beigesetzt, ich aber hole dich, sobald es Zeit ist, heraus und behalte dich in meiner Zelle, bis ich zu dem Kapitel reise, das wir in kurzem in Mantua halten. Alsdann führe ich dich in unserer Ordenstracht verkleidet mit mir zu deinem Gemahl. Aber sage mir, wirst du dich nicht fürchten vor dem Leichnam deines Vetters Tebaldo, der erst vor kurzem dort beigesetzt wurde?«
Die junge Frau war schon ganz heiter geworden und sagte: »Mein Vater, wenn ich nicht anders zu Romeo kommen könnte, so würde ich furchtlos selbst durch die Hölle zu wandern mich erkühnen.«
»Wohlan denn«, sagte er, »da du so gestimmt bist, bin ich bereit, dir zu helfen, aber ehe etwas geschieht, solltest du mit eigner Hand Romeo das Ganze schreiben, damit er nicht, dich tot wähnend, aus Verzweiflung irgendeinen übereilten Schritt tue; denn ich weiß, daß er dich über alle Maßen liebt. Ich habe immer Brüder, die nach Mantua gehen, wo er, wie du weißt, sich derzeit aufhält. Mache, daß ich den Brief bald bekomme, den ich dann durch einen zuverlässigen Boten senden will.«
Nach diesen Worten verließ der gute Mönch (wie wir denn immer sehen, daß ohne die Vermittlung dieser Männer nichts Wichtiges zu einem rechten Ziele gedeiht) die junge Frau in dem Beichtstuhl, eilte in seine Zelle und kehrte schnell, ein kleines Gefäß mit Pulver in der Hand, zu ihr zurück.
»Nimm dies«, sagte er zu ihr, »und trink es unbesorgt, wenn es dir recht ist, etwa um drei oder vier Uhr nachts, in frischem Wasser! Um sechs ungefähr wird es dann zu wirken anfangen und unser Anschlag muß uns unfehlbar gelingen. Vergiß aber nicht, mir den Brief zu schicken, den du an Romeo schreiben mußt! Es ist dies sehr wesentlich.«
Giulietta nahm das Pulver, kehrte ganz heiter zu ihrer Mutter zurück und sagte zu ihr: »In der Tat, Madonna, der Bruder Lorenzo ist der beste Beichtvater von der Welt. Er hat mich so sehr erhoben, daß ich von meiner Traurigkeit gar nichts mehr weiß.«
Madonna Giovanna, welche infolge der Heiterkeit ihrer Tochter auch von ihrer Betrübnis verloren hatte, antwortete: »Wohlan, meine Tochter, nimm darauf Bedacht, daß du ihn auch zuweilen wieder erhebest durch unsere Almosen, denn es sind arme Mönche.«
Unter diesen Gesprächen kamen sie nach Hause. Nach dieser Beichte war Giulietta ganz heiter geworden, so daß Messer Antonio und Madonna Giovanna allen Verdacht, sie möchte verliebt sein, aufgegeben hatten. Sie meinten vielmehr, irgendein unerklärlicher Anfall von Schwermut habe das Weinen veranlaßt, und hätten sie gern vorläufig ungestört gelassen und nichts weiter von einem Manne gesprochen. Sie waren aber in der Sache schon so weit gegangen, daß sie ohne Schwierigkeit nicht zurücktreten konnten. Als demnach der Graf von Lodrone wünschte, daß einer von seiner Familie das Fräulein sehe, und Madonna Giovanna etwas kränklich war, wurde verabredet, daß das Mädchen von zweien ihrer Muhmen begleitet auf das schon erwähnte Landgut des Vaters in der Nähe der Stadt sich begebe. Sie widersetzte sich durchaus nicht und ging hin. Da sie nun der Meinung war, ihr Vater habe sie so plötzlich dahingeschickt, um sie ohne weiteres ihrem zweiten Gemahl in die Arme zu werfen, hatte sie das Pulver mitgenommen, das ihr der Mönch gegeben; gegen vier Uhr in der Nacht rief sie eine Dienerin, welche mit ihr erzogen worden war und die sie fast wie eine Schwester hielt, ließ sich von ihr einen Becher mit kaltem Wasser geben und sagte, die Speisen des Abendessens hätten ihr Durst gemacht: Darein warf sie nun das kräftige Pulver und trank den Becher ganz aus. Darauf sagte sie zu der Dienerin und einer ihrer Muhmen, welche mit ihr aufgewacht war: »Mein Vater wird mir gewiß gegen meinen Willen keinen Mann geben, soweit von mir abhängt.«
Obgleich die Frauen, welche aus etwas grobem Teig gebacken waren, sie das Pulver hatten trinken sehen, von welchem sie behauptete, sie schütte es zur Erfrischung in das Wasser, und obgleich sie diese Worte hörten, schöpften sie doch keinen Verdacht und merkten nichts; vielmehr kehrten sie in ihr Bett zurück. Giulietta löschte das Licht aus, und als die Dienerin weggegangen war, tat sie, als müsse sie eines natürlichen Bedürfnisses wegen aufstehen, verließ ihr Lager, zog alle Kleider wieder an, und kehrte darauf in das Bett zurück, legte sich, als hätte sie geglaubt sterben zu müssen, in demselben so gut als möglich zurecht, faltete die Hände auf der Brust und erwartete so, daß der Trank seine Wirkung tue. Es dauerte auch nicht viel über zwei Stunden, so lag sie wie tot da.
Als der Morgen kam, und die Sonne schon eine gute Weile aufgegangen war, fand man das Fräulein in der Art, wie ich gesagt habe, auf ihrem Bette liegend. Man wollte sie aufwecken, aber umsonst, denn man fand sie schon fast ganz kalt. Da erinnerte sich die Muhme und die Dienerin des Wassers mit dem Pulver, das sie am Abend getrunken habe, und der Worte, die sie dabei gesprochen. Als sie ferner bemerkten, daß sie sich angekleidet und selbst auf dem Bette so eigentümlich hingelegt hatte, hielten sie das Pulver für Gift und sie jetzt für unzweifelhaft tot. Da erhob sich unter den Frauen ein großes Jammern und Heulen; besonders die Dienerin rief sie oft beim Namen und sagte: »O Madonna, darum also sagtet Ihr: Mein Vater wird mir gegen meinen Willen keinen Mann geben. Ihr habt trügerischerweise von mir frisches Wasser verlangt, das mir Elenden Euren herben Tod bereitet hat. O ich Unglückliche! Über wen soll ich am meisten klagen, über die Tote oder über mich selbst? Ach! Warum habt Ihr sterbend die Gesellschaft einer Dienerin verschmäht, der Ihr im Leben soviel Zuneigung zu erkennen gabt? Denn wie ich stets gerne mit Euch gelebt habe, so wäre ich auch gerne mit Euch gemeinsam gestorben. O Madonna, Euch habe ich darum mit meinen eigenen Händen das Wasser gebracht, damit ich Unglückliche auf solche Weise von Euch verlassen würde? Ich allein habe Euch, mir, Eurem Vater und Eurer Mutter auf einen Schlag getötet!« Bei diesen Worten stieg sie auf das Bett und schloß das scheintote Fräulein fest in ihre Arme.
Messer Antonio, welcher in der Nähe war und den Lärm gehört hatte, eilte, am ganzen Leibe zitternd, in das Zimmer der Tochter, und da er sie so auf dem Bette liegen sah und hörte, was sie in der Nacht getrunken und gesprochen hatte, schickte er, obschon er sie für tot hielt, doch zu seiner eigenen Beruhigung schnell zu seinem Arzte, den er für sehr gelehrt und erfahren hielt, nach Verona. Dieser kam, sah das Fräulein, berührte es an verschiedenen Stellen und erklärte, es sei infolge des genommenen Giftes schon vor mehreren Stunden verschieden. Als der unglückliche Vater dies hörte, brach er in einen Strom von Tränen aus. Die Trauerkunde verbreitete sich schnell von Mund zu Mund und war in kurzem auch zu der armen Mutter gelangt, welche plötzlich von jeder Lebenswärme verlassen, wie tot niedersank und als sie mit einem gellenden Schrei wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, sich wie von Sinnen die Brust zerschlug und, den Namen der geliebten Tochter ausrufend, die Luft mit Klagen erfüllte.
»Ich sehe dich tot«, rief sie, »o meine Tochter, du einzige Ruhe meines Alters! Wie hast du, Grausame, mich verlassen können, ohne deiner unglücklichen Mutter noch Gelegenheit zu geben, deine letzten Worte zu vernehmen? Ich hätte dir wenigstens deine schönen Augen zugedrückt und deinen kostbaren Leib gewaschen. Wie kannst du mich das von dir hören lassen? O liebste Frauen, die ihr da bei mir seid, helft mir sterben, und wenn noch ein Erbarmen in euch lebt, so laßt eure Hände (wofern ein solcher Dienst nicht zu niedrig für euch ist) mir eher das Lebenslicht auslöschen als meinen Schmerz! Und du, großer Vater im Himmel, da ich nicht so bald sterben kann, als ich wünsche, entzieh mit deinem Pfeile mich mir selber, da ich mir so verhaßt bin!«
Sie wurde sofort von einer ihrer Frauen aufgehoben und auf das Bett gebracht, und andere suchten mit vieler Mühe sie zu trösten; aber sie hörte nicht auf zu jammern und zu weinen. Die totgeglaubte Giulietta wurde indes von dem Landgute, wo sie sich befand, nach der Stadt gebracht und unter einer großen, prunkhaften Leichenfeier, von allen ihren Freunden und Verwandten bejammert, in der Gruft des Friedhofs von San Francesco beigesetzt.
Bruder Lorenzo, welcher in Angelegenheiten des Klosters die Stadt auf kurze Zeit verlassen mußte, hatte den Brief Giuliettas, den er Romeo übermitteln sollte, einem Mönch übergeben, welcher nach Mantua ging. Als dieser daselbst ankam, ging er zwei- oder dreimal in Romeos Haus und traf ihn unseligerweise nie an; da er aber den Brief nur ihm selbst einhändigen wollte, behielt er ihn noch bei sich. Pietro aber, welcher seine Herrin tot glaubte, beschloß in größter Verzweiflung, da er den Bruder Lorenzo in Verona nicht auffand, selbst Romeo eine so schlimme Kunde zu bringen, wie ihm der Tod seiner Geliebten sein mußte. Er ging deshalb des Abends aus der Stadt nach dem Landgute seines Herrn zurück und wanderte in der Nacht so eilig nach Mantua, daß er schon am Morgen bei guter Zeit daselbst anlangte. Er fand Romeo, noch ehe dieser von dem Mönche den Brief seiner Gattin erhalten hatte, und erzählte ihm unter Tränen, daß er die tote Giulietta habe beisetzen sehen, berichtete auch ausführlich, was sie zuletzt getan und gesprochen habe. Als dieser solches hörte, ward er ganz blaß und halbtot, zückte den Degen und wollte sich erstechen. Seine Leute hielten ihn zwar zurück, aber er sagte: »Mein Leben kann in keinem Falle mehr lange dauern, da mein wahres Leben gestorben ist. O meine Giulietta, ich allein bin schuld an deinem Tode, da ich nicht, wie ich dir geschrieben hatte, kam, um dich deinem Vater zu entführen. Du wolltest sterben, um mich nicht zu verlassen, und ich sollte aus Todesfurcht allein leben? Das soll nicht geschehen!« Und zu Pietro gewendet, sagte er, indem er ihm ein Trauerkleid, das er anhatte, schenkte: »Gehab dich wohl, mein Pietro!«
Pietro verließ ihn, Romeo schloß sich allein in sein Zimmer ein, und da ihm nichts unerträglicher schien, als ferner zu leben, überlegte er, was er nun mit sich beginnen solle. Endlich verkleidete er sich als Bauer, nahm ein Fläschchen mit Schlangenwasser, das er seit langer Zeit für einen Notfall in einer Truhe aufbewahrt hatte, steckte es in seinen Ärmel und machte sich auf den Weg nach Verona, in der Aussicht, entweder, wenn er erkannt würde, durch die Hand der Gerechtigkeit sein Leben zu verlieren, oder sich in der Gruft, deren Lage er wohl kannte, mit seiner Geliebten einzuschließen und dort zu sterben. Diesem letzten Plane war das Schicksal günstig; denn am Abend des auf Giuliettas Beisetzung folgenden Tages kam er nach Verona, ohne von jemandem erkannt zu werden, und wartete die Nacht ab.
Als er nun alles in Schweigen begraben sah, begab er sich nach dem Minoritenkloster, wo die Gruft sich befand. Die Kirche stand in der Zitadelle, wo damals die Mönche wohnten. Später haben sie dieselbe, ich weiß nicht aus welchem Grunde, verlassen und sind in die Vorstadt von St. Zeno gezogen, in das Kloster, das jetzt San Bernardino heißt, wiewohl sie einst vom heiligen Franziskus selbst bewohnt wurde. An den Mauern dieses Klosters befanden sich damals außerhalb große steinerne Familiengrüfte, wie wir sie an vielen Orten außerhalb der Kirchen finden. Eine derselben war die alte Begräbnisstätte aller Cappelletti, und daselbst befand sich das schöne junge Weib. Dieser näherte sich Romeo (es mochte etwa die vierte Nachtstunde sein), hob, da er sehr kräftig war, mit Gewalt den Deckel hinweg, und nachdem er ihn mit ein paar Hölzern, die er mitgebracht, so gestützt hatte, daß er gegen seinen Willen nicht zufallen konnte, schlüpfte er hinein.
Der unglückselige Jüngling hatte eine Blendlaterne mitgebracht, um seine Gattin noch ein wenig zu sehen. Sobald er in der Gruft war, zog er den Sarg hervor und öffnete ihn. Da sah er denn seine schöne Giulietta unter Knochen, Fetzen von vielen Toten, selber wie tot liegen. Darüber brach er alsbald in heftige Tränen aus und fing also an: »O ihr Augen, die ihr meinen Augen helle Lichter wart, solange es dem Himmel gefiel! O Mund, von mir tausendmal so süß geküßt, und von dem man so kluge Worte vernommen! O schöne Brust, die mein Herz in solcher Wonne beherbergte! Nun ich euch blind, stumm und kalt wiederfinde, wie soll ich ohne euch sehen, sprechen und leben? Ach, meine unglückliche Frau, wohin hat dich deine Liebe geführt, deren Wille es ist, daß ein so enger Raum zwei betrübte Liebende vernichte und beherberge? Weh mir! Das war es nicht, was mir die Hoffnung und jene Sehnsucht versprochen, welche mich zuerst in Liebe zu dir entflammten! O mein unseliges Leben, was soll nun dein Leitstern sein?«
Bei diesen Worten küßte er ihr Augen, Mund und Brust und wollte ganz in Tränen zerschmelzen. Unter seinem Weinen rief er: »Ihr Mauern, die ihr über mir steht, warum fallt ihr nicht über mich her, mein Leben abzukürzen? Aber da ja offenbar der Tod einem jeden in seine Gewalt gegeben ist, wär' es doch gewiß höchst niederträchtig, ihn zu wünschen und nicht zu nehmen.«
Darum zog er das Fläschchen mit der scharfgiftigen Flüssigkeit, das er im Ärmel verwahrte, heraus und fuhr also zu sprechen fort: »Ich weiß nicht, welches Geschick mich dahin führt, daß ich auf meinen Feinden, auf den von mir Erschlagenen, in ihrem Grabe sterben muß. Da aber neben unserer Geliebten zu sterben eine Wonne ist, mein Herz, so laß uns sterben!«
Darauf setzte er das grausame Wasser an die Lippen und trank es ganz hinunter. Sodann nahm er das geliebte Weib in die Arme, drückte es fest an sich und sprach: »O schöner Leib, letztes Ziel aller meiner Sehnsucht, wenn dir ein Gefühl übrig geblieben ist nach der Seele Scheiden, oder wenn sie meinen grausamen Tod sähe, so bitt' ich dich, es möge ihr nicht mißfallen, wenn ich nicht glücklich und vor aller Welt mit dir leben durfte, daß ich wenigstens insgeheim und traurig mit ihr sterbe!« Und so erwartete er, sie eng umfaßt haltend, den Tod.
Endlich war die Stunde gekommen, wo die Lebenswärme der jungen Frau die gewaltige erstarrende Kraft des Pulvers überwinden und sie erwachen mußte. Von Romeo an sich gedrückt und gerüttelt, erwachte sie daher in seinen Armen, und als sie wieder bei sich war, sagte sie nach einem schweren Seufzer: »Weh mir, wo bin ich? Wer umfaßt mich Unglückliche? Wer küßt mich?«
Sie meinte, es sei der Bruder Lorenzo, und rief: »So also, Mönch, haltet Ihr Romeo die Treue? Auf diese Weise wollt Ihr mich also sicher zu ihm führen?«
Als Romeo merkte, daß seine Frau lebe, verwunderte er sich sehr, erinnerte sich vielleicht Pygmalions und sagte: »Kennt Ihr mich denn nicht, meine süße Frau? Seht Ihr nicht, daß ich Euer betrübter Gatte bin, allein und heimlich von Mantua gekommen, um bei Euch zu sterben?«
Als Giulietta merkte, daß sie in der Gruft war, und einem Manne in den Armen lag, der sich für Romeo ausgab, wußte sie gar nicht, wie ihr geschah. Sie drückte ihn etwas von sich und schaute ihm ins Gesicht, und da sie ihn sogleich erkannte, umarmte sie ihn, gab ihm tausend Küsse und sprach: »Welche Torheit bewog Euch, hier hereinzukommen und mit solcher Gefahr? War es nicht genug, daß Ihr aus meinen Briefen erfahren habt, wie ich mich mit Hilfe des Bruders Lorenzo totstellen wollte, um dann in kurzem bei Euch zu sein?«
Da merkte der unglückselige Jüngling seinen großen Irrtum und rief: »O, mein mehr als trauriges Los! O unseliger Romeo, dessen Schmerz den aller Liebenden übertrifft! Ich habe Euern Brief hierüber nicht erhalten.«
Darauf erzählte er ihr, wie Pietro ihren scheinbaren Tod ihm als wahr gemeldet. In der Meinung, sie sei gestorben, habe er, um ihr im Tode Gesellschaft zu leisten, neben ihr ein sehr scharfes Gift genommen, so daß er den Tod bereits durch alle Glieder rinnen fühle. Als das unglückliche junge Weib solches hörte, ward sie vom Schmerz so übermannt, daß sie sich nicht anders zu helfen wußte, als daß sie ihre schönen Locken ausraufte und ihre unschuldige Brust zerschlug. Und sie übergoß Romeo, welcher schon rücklings hingesunken war, unter vielen Küssen mit einem Meer von Tränen. Fahler als Asche geworden und am ganzen Leibe zitternd, sprach sie: »Also müßt Ihr in meiner Gegenwart und durch meine Schuld sterben, mein teurer Herr? Und wird der Himmel zugeben, daß ich nach Euch, wenn auch nur kurze Zeit, lebe? Ich Unglückliche! Könnte ich wenigstens Euch mein Leben schenken und allein sterben!«
Darauf antwortete Romeo mit matter Stimme: »Wenn Euch meine Treue und meine Liebe je teuer waren, meine lebende Hoffnung, so beschwöre ich Euch bei ihnen, daß Ihr Euch nach meinem Tode das Leben nicht mißfallen lasset, wäre es auch nur, um wenigstens das Gedächtnis dessen zu erhalten, der, von Liebe zu Eurer Schönheit ergriffen, um Euretwillen vor Euren schönen Augen hinstirbt.«
Darauf antwortete ihm Giulietta: »Wenn Ihr um meines scheinbaren Todes willen sterbt, soll ich es dann nicht um Eures wirklichen willen tun? Es schmerzt mich allein, daß ich jetzt hier in Eurer Gegenwart kein Mittel zu sterben sehe, und ich bin mir selbst verhaßt, daß ich so lange lebe; aber ich hoffe, es wird nicht lange dauern, bis ich, wie ich die Veranlassung Eures Todes geworden bin, so auch denselben mit Euch teile.« Mit Mühe hatte sie diese Worte ausgesprochen, als sie wie tot zurücksank. Wieder zu sich gekommen, bemühte sich die Unglückliche, mit ihrem schönen Munde die letzten Atemzüge ihres teuren Liebhabers einzusaugen, welcher mit schnellen Schritten seinem Ende entgegeneilte.
Bruder Lorenzo hatte indessen gehört, wie und wann die junge Frau das Pulver eingenommen, und daß sie als tot beigesetzt worden war. Da er demnach wußte, daß der Zeitpunkt gekommen war, wo die Wirkung dieses Pulvers zu Ende ging, nahm er einen vertrauten Genossen mit sich und kam vielleicht eine Stunde vor Tag an die Gruft. Als er dort anlangte und sie weinen und jammern hörte, auch durch die Spalte des Deckels schauend ein Licht drinnen erblickte, verwunderte er sich sehr und meinte, die junge Frau müsse auf irgendeine Weise die Leuchte mit sich hineingenommen haben, und nun, da sie erwacht sei, werde sie von Angst vor einem Toten, oder vielleicht vor Besorgnis, immer an diesem Orte eingeschlossen zu bleiben, gepeinigt und weine darum. Mit Hilfe seines Begleiters öffnete er schnell das Begräbnis, erblickte Giulietta, welche mit zerrauften Haaren und vom Schmerz verstört dasaß und ihren halbtoten Geliebten auf den Schoß genommen hatte und sagte zu ihr: »Also fürchtetest du, meine Tochter, ich ließe dich hier umkommen?«
Als sie den Mönch erblickte, verdoppelte sie ihre Klage und sagte: »Nein, vielmehr fürchte ich, Ihr möchtet mich lebendig von hinnen führen. Um Gottes Barmherzigkeit willen, verschließt das Grab und geht von hinnen und laßt mich hier sterben; oder reicht mir ein Messer, daß ich es in meine Brust stoßend mich von allem Jammer befreie! O mein Vater! mein Vater! – Ihr habt meinen Brief gut überliefert! Ich werde schön vermählt werden! Ihr werdet mich schön zu Romeo geleiten! Seht ihn hier tot in meinem Schoß!«
Sie erzählte hier den ganzen Hergang und zeigte ihm Romeo. Als Bruder Lorenzo solches hörte, stand er wie von Sinnen. Er sah den Jüngling an, welcher im Begriff war, in ein anderes Leben zu wandern, rief ihn unter vielen Tränen beim Namen und rief: »O Romeo, welcher Unstern hat mir dich geraubt? Sprich auch ein wenig mit mir! Erhebe noch ein wenig zu mir deine Augen! O Romeo, sieh deine inniggeliebte Giulietta, welche dich bittet, sie anzuschauen! Warum antwortest du nicht wenigstens ihr, in deren Schoß du liegst?«
Romeo erhob bei dem teuren Namen seiner Gattin etwas seine matten, von dem nahen Tode schon beschatteten Augen und schloß sie wieder, nachdem er sie gesehen. Bald darauf, als der Tod ihm durch alle Glieder fuhr, zog sich sein Körper krampfhaft zusammen, er stieß einen kurzen Seufzer aus und verschied. Als der unglückliche Liebhaber auf die beschriebene Weise gestorben war, sagte der Mönch nach heftigem Weinen, als schon der Tag anbrach, zu der jungen Frau: »Und du, Giulietta, was willst du beginnen?«
Rasch entschlossen antwortete sie: »Hier sterben will ich.«
»Wie, meine Tochter?« rief Bruder Lorenzo, »sprich nicht also! Komm heraus! Wenn ich auch jetzt noch nicht weiß, was ich mit dir anfangen soll, so bleibt dir doch immer offen, dich in einem frommen Kloster zu verschließen und daselbst immer Gott für dich und deinen verstorbenen Gemahl zu bitten, wenn er es nötig hat.«
Sie aber antwortete ihm: »Mein Vater, ich verlange nichts mehr von Euch, als die Güte, die Ihr in Erinnerung an die Liebe, die Ihr zu dem Seligen hier (dabei wies sie auf Romeo) gehegt, mir nicht verweigern werdet, nämlich, daß Ihr unseren Tod nie bekanntmacht, damit unsere Leichname immer in diesem Grabe beisammenbleiben können; und wenn je unser Tod bekannt würde, so bitte ich Euch um jener Eurer Liebe zu Romeo willen, daß Ihr in unser beider Namen unsere unglücklichen Väter bittet, es möge ihnen nicht leid sein, sie, die die Liebe in dem gleichen Feuer verzehrt und zum gleichen Tod geführt hat, in einem und demselben Grabe zu lassen.«
Damit wandte sie sich zu dem neben ihr liegenden Leichnam Romeos, dessen Haupt sie auf ein Kopfkissen gelegt hatte, das man ihr in der Gruft gelassen, drückte ihm die Augen zu, badete sein kaltes Angesicht mit Tränen und sprach: »Was soll ich ohne dich ferner im Leben tun, mein Gebieter? Was bleibt mir sonst nach dir zu erreichen übrig, als daß ich dir im Tode folge? Gewiß nichts, damit von dir, von dem nur der Tod mich trennen konnte, der Tod selbst mich nicht ewig trenne.«
Nachdem sie dies gesagt, stellte sie sich ihr großes Unglück recht lebhaft vor die Seele, gedachte an den Verlust ihres teuren Geliebten, faßte den Entschluß, nicht länger zu leben, hielt lange den Atem an sich, und als sie ihn nicht mehr halten konnte, strömte sie ihn aus mit einem heftigen Schrei und fiel über den Leichnam tot hin.
Als Bruder Lorenzo bemerkte, daß die junge Frau tot war, machte ihn das Mitleid ganz fassungslos, und er wußte sich nicht zu raten. Ihn und seinen Begleiter faßte der Schmerz im Innersten, und sie beweinten herzlich die verschiedenen Liebenden. Da kamen auf einmal die Leute des Stadthauptmanns dazu, welche einen Dieb verfolgten. Sie fanden beide weinend an der Gruft, in welcher sie Licht erblickten, und eilten fast alle herzu. Sie umringten die Mönche und sprachen: »Was macht ihr hier, ehrwürdige Herren, um diese Stunde? Übt ihr etwa gar eine Hexerei aus auf diesem Grabe?«
Als Bruder Lorenzo die Häscher hörte und erkannte, hätte er tot umsinken mögen. Er sprach aber zu ihnen: »Komme mir keiner zu nahe! Ich bin nicht euer Dienstmann. Wollt ihr etwas, so verlangt es von ferne!«
Da sagte ihr Führer zu ihm: »Wir wollen wissen, weshalb ihr die Gruft der Cappelletti so geöffnet habt, wo erst vorgestern ein Fräulein aus der Familie beigesetzt worden ist. Wenn ich Euch, Bruder Lorenzo, nicht als einen wohlgesinnten Mann kennte, so würde ich sagen, Ihr seid hierhergekommen, um die Toten zu plündern.«
Die Mönche löschten das Licht und antworteten: »Was wir tun, das sollst du nicht wissen, denn es geht dich nichts an.«
»Allerdings«, versetzte jener, »aber ich werde es dem Fürsten anzeigen.«
Bruder Lorenzo, den die Verzweiflung ruhig machte, entgegnete hierauf: »Sag' es immerhin.«
Damit schloß er die Gruft und ging mit seinem Begleiter in die Kirche. Es war schon fast heller Tag, als die Mönche sich von den Häschern losmachten. Daher überbrachte einer der letzteren alsbald einem der Cappelletti die Nachricht, was mit diesen Mönchen vorgefallen sei; diese wußten vielleicht auch, daß der Bruder Lorenzo mit Romeo befreundet war, und wandten sich daher schnell an den Fürsten mit der Bitte, er möge, und wenn es nicht anders gehe, durch die Folter, aus dem Mönch herauszubringen suchen, was er in ihrem Begräbnis zu suchen gehabt habe. Der Fürst stellte Wachen aus, damit der Mönch nicht entweichen könne, und schickte nach ihm. Er erschien vor ihm, und der Fürst fragte ihn: »Was suchtet ihr diesen Morgen in der Gruft der Cappelletti, Domine? Sagt es uns, denn wir wollen es durchaus wissen.«
Darauf antwortete der Mönch: »Mein Fürst, ich will das Euer Gnaden gern sagen. Ich war der Beichtvater der Tochter des Messer Antonio Cappelletti, welche vor einigen Tagen auf so unerwartete Weise gestorben ist, und da ich sie sehr liebte, als meine geistliche Tochter, und mich nicht bei ihrer Leichenfeier einfinden konnte, ging ich hin, um über ihr gewisse Gebete zu sprechen, welche, wenn sie neunmal über einen Leichnam gesprochen werden, die Seele von der Pein des Fegefeuers erlösen. Weil wenige dies wissen und diese Dinge verstehen, sagen die Toren, ich sei hingegangen, um die Toten zu berauben. Ich weiß nicht, ob ich zu einer Räuberbande gehöre, wenn ich diese Dinge tue. Mir genügt diese geringe Kutte und dieser Strick, und ich würde von allen Schätzen der Lebenden zusammen kein bißchen nehmen, geschweige denn von den Kleidern zweier Toten. Sie tun nicht wohl, die mich auf solche Weise tadeln.«
Der Fürst hätte dies um ein kleines geglaubt, wenn nicht viele Mönche, die dem Lorenzo übelwollten, als sie hörten, daß man den Bruder Lorenzo auf dem Grabe gefunden habe, Lust bekommen hätten, dasselbe zu öffnen. Sie machten es also auf, und als sie den Leichnam des Liebhabers darin fanden, wurde es sogleich mit größtem Lärm dem Fürsten, welcher noch mit dem Mönche sprach, gemeldet, wie in der Gruft der Cappelletti, in welcher der Bruder bei Nacht betroffen worden sei, Romeo Montecchi tot liege. Dies schien allen fast unmöglich, und das Erstaunen war allgemein. Als Bruder Lorenzo dies hörte und einsah, daß er nun nicht mehr verschweigen könne, was er so gerne verhehlt hätte, fiel er vor dem Fürsten auf die Knie und sagte: »Verzeiht, mein Fürst, wenn ich Euer Gnaden auf Euere Frage eine Lüge erwidert habe; denn es geschah nicht aus Bosheit noch um Gewinnes willen, sondern um zwei armen unglücklichen Liebenden mein Wort zu halten.«
So sah er sich denn genötigt, den Hergang der traurigen Geschichte vor vielen Zeugen zu erzählen. Als Bartolomeo della Scala das hörte, konnte er sich vor Mitleid der Tränen nicht erwehren, er begehrte selbst die Leichen zu sehen und begab sich mit einer großen Menge Volkes an das Grab. Er ließ die beiden Liebenden herausbringen in die Kirche von San Francesco und auf zwei Teppiche legen. Unterdessen kamen ihre Väter auch in die Kirche, vergossen Tränen über ihren toten Kindern, und von doppelter Rührung übermannt, schlossen sie, obgleich bisher Feinde, sich in die Arme, sodaß die lange Feindschaft, die zwischen ihnen und ihren Häusern bestanden, und welche nicht Bitten von Freunden, noch Drohungen des Fürsten, noch erlittener Schaden, noch selbst die Zeit hatte auslöschen können, durch den erbärmlichen und kläglichen Tod der beiden Liebenden ein Ende erreichte. Es wurde ein schönes Denkmal bestellt, auf welches die Ursache ihres Todes eingegraben werden sollte, und so wurden die zwei Liebenden mit größter, würdigster Feierlichkeit unter den Tränen und dem Geleite des Fürsten, der Verwandten, ja der ganzen Stadt beigesetzt. Dieses klägliche Ende hatte die Liebe Romeos und Giuliettas, wie ihr gehört habt und wie mir Pellegrino in Verona mitteilte.