Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(1405-1464)
Äneas Sylvius Piccolomini, geb. am 18. Oktober 1405 in Corsignano, zu Florenz ausgebildet, auf dem Basler Konzil in verschiedenen Stellungen beschäftigt. 1442 machte ihn Kaiser Friedrich III. zum Sekretär der Reichskanzlei. 1447 wurde er Bischof von Triest, 1450 Bischof von Siena, 1458 Papst unter dem Namen Pius II. Gest. 1464 (14. August).
Die Geschichte zweier Liebenden, auch »Euryalus und Lucrezia« genannt, lateinisch geschrieben; ein Jugendwerk (1444). Näheres bei J. Devay, E. S. Entlehnungen in der Novelle Euryalus und Lucretia und ihre ungarischen Bearbeitungen. Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte, Berlin 1896, S. 401. – Nach der Übersetzung von Ed. v. Bülow bearbeitet.
Wie große Ehren dem Kaiser Sigismund entboten wurden, als er in Siena einzog, ist bekannt. Man hatte für ihn den Palast eingerichtet, der bei der Marthakirche in der Straße gelegen ist, die zur Porta Tufi führt. Nachdem die gebührenden Empfangsfeierlichkeiten vorüber waren, und der Kaiser vor dem Palaste erschien, traten ihm daraus vier verheiratete, an Alter, Schönheit und Pracht der Gewandung nahezu gleiche Edeldamen entgegen, die man eher für eine Erscheinung himmlischer als sterblicher Wesen hielt. Wären es nur drei gewesen, so hätte es nahegelegen, sie mit den drei Göttinnen zu vergleichen, die dem ruhenden Paris erschienen. Der Kaiser war zwar schon bei Jahren, empfand aber noch große Neigung zum weiblichen Geschlechte und ergötzte sich an nichts mehr als an dessen Umgange. Sobald Seine Majestät die Edelfrauen gewahr wurde, sprang er vom Pferde, bewillkommte sie und brach, zu seinen Begleitern gewendet, in die Worte aus: »Sahet ihr jemals Frauen, diesen vergleichbar? Ich weiß nicht, ob ich Angesichter von Menschen oder von Engeln vor mir habe.« Die Frauen senkten ihre Blicke zu Boden und wurden schöner durch ihre Schamhaftigkeit; denn die ihre Wangen übergießende Röte glich dem Blute des Purpurs auf dem indischen Elfenbein oder der von der Lilien Schnee gekühlten Rosenglut. Allen anderen voran leuchteten die Reize Lucrezias, eines jungen Weibes von noch nicht zwanzig Jahren, das dem Geschlechte der Camilli entsprossen und dem sehr reichen Menelaus als Gattin verbunden war. Dieser aber war einer solchen Zier seines Hauses nicht wert, wohl aber verdiente er es, daß sie ihn betrog oder, wie wir zu sagen pflegen, ihm ein Geweih aufsetzte, gleich dem eines Hirsches. Lucrezia ragte an Körpergestalt über die anderen empor; ihr reiches, goldenes Haar floß ihr nicht wie den Jungfrauen auf den Nacken hinab, sondern war mit Gold und Edelsteinen durchflochten und aufgebunden. Auf ihrer edlen, hohen Stirn war keine Falte zu sehen. Die von wenigem schwarzen Haar sanft gespannten Bogen ihrer Augenbrauen schieden sich voneinander im rechten Ebenmaße, ihre Augen leuchteten mit solchem Scheine, daß sie wie die Sonne die Sehkraft der Anschauenden verdunkelten, je nach ihrer Willkür töteten oder die Getöteten wieder ins Leben erweckten. Ihre Nase trennte die rosigen Wangen in gerader Richtung und genauem Verhältnis, und es konnte niemand die Lieblichkeit, wenn sie lachte und in jeder Wange ein kleines Grübchen entstand, ohne das Verlangen, sie zu küssen, sehen. Ihr Mund war zierlich und klein, und die korallenfarbigen Lippen luden zum Kusse ein. Ihre kleinen, in gleicher Ordnung gestellten Zähne schienen aus Kristall gebildet, und die Rede ihrer beweglichen Zunge lautete gleich dem süßesten Gesange. Was läßt sich von der Gestaltung ihres Kinns und von der Weiße ihres Halses sagen? Es war nichts an ihrem Körper, das nicht des höchsten Lobes würdig gewesen wäre. Ihre innere Bildung entsprach ihrer äußeren, der niemand, ohne ihren Gatten zu beneiden, ansichtig ward. Nichts hörte sich lieblicher an als die züchtigen Worte und der anmutige Scherz ihrer Lippen. Sie gab nicht, wie viele Frauen tun, ihre Ehrbarkeit durch strenge Miene kund; wohl aber verhehlte sie ihr fröhliches Gemüte nicht mit mehr als ziemlicher Scheu und Befangenheit und hegte einen männlichen Geist in zarter, weiblicher Brust. Ihre Kleidung war mannigfaltig und reich und ermangelte nicht der Halsketten, Gürtel und Armspangen, der Schmuck ihres Hauptes wunderbar, und eine Fülle von Perlen und Diamanten schmückten ihre Finger und ihr Haar.
Es befand sich zwar auch unter diesen Frauen die wenige Tage darauf gestorbene Katharina Petrucci, deren Sohn der Kaiser noch als Knaben die Ritterschaft verlieh, und deren Leichnam er zu Grabe begleitete. Aber so wunderbar ihre Schönheit und ihr Liebreiz auch waren, so stand sie Lucrezia darin doch nach. Von aller Munde erscholl Lucreziens Name, der Kaiser und alle redeten ihr Lob, und wohin sie sich wendete, dahin folgten ihr seine und aller Augen, die sie sahen. Vor allen anderen aber ward einer mehr als billig zu ihr hingezogen, ein Franke, Euryalus, den weder seine Gestalt noch sein Besitz zur Liebe ungeeignet machten. Er war an Alter zweiunddreißig Jahre, nicht von hoher, aber von angenehmer, schöner Gestalt, hatte leuchtende, stets gütig blickende Augen und zeigte in seinen Bewegungen Würde und in seinen Gliedern natürliches Ebenmaß. Die anderen Hofleute hatten sich durch den langen Kriegsdienst von Geld entblößt. Dieser Euryalus aber, der schon an sich reich war und durch die Freundschaft des Kaisers viele Geschenke erhielt, erschien von Tag zu Tag geschmückter und herrlicher, in goldgestickte, purpurne und seidene Stoffe gekleidet, mit seinen vielen Dienern und Pferden vor der Welt. Es ging ihm nichts ab als der Müßiggang, zu Erregung der sanften Wärme des Gemüts und der gewaltigen Kraft der Seele, die wir die Liebe nennen, und die Jugend und Üppigkeit auch in ihm, unterstützt von den freundlichen Gütern des Glückes, siegen ließ. Seiner selbst nicht mehr mächtig, sowie er Lucreziens ansichtig ward, begann Euryalus heiß für sie zu erglühen und konnte sich um so weniger ersättigen, je mehr seine Augen sich an ihrer Schönheit weideten. Es blieb seiner Liebe nicht die Vergeltung aus. Wunderbar! Es gab da so viele wohlgestaltete Jünglinge. Und eben diesen einen erwählte sich Lucrezia. Es gab da so viele schöne Frauen. Und eben diese eine erwählte sich Euryalus. Nur an diesem Tage erkannte keines von beiden die Liebesflamme des anderen, und jedes meinte in der seinigen vergebens zu glühen.
Als daher dem geheiligten Haupte des Kaisers die schuldige öffentliche Ehrerbietung erwiesen war, und Lucrezia heim nach Hause kam, fand sie ihr Gemüt ebenso gänzlich Euryalus zugetan, wie Euryalus das seine Lucrezien, und sie fing schon ihrer Ehe zu vergessen und ihren Gemahl zu hassen an, indem sie ihre Wunde durch das ihr eingeprägte süße Bild des Geliebten offen erhielt und keine Rast und Ruhe in sich zu finden wußte. Sie sprach zu sich selbst: »Ich weiß nicht, wie es kommt, daß ich meinen Gemahl gar nicht liebhaben mag, daß mich seine Worte verdrießen, und daß mir allezeit doch das Bild des fremden Mannes, der heute zunächst dem Kaiser stand, vor Augen schwebt? Tilge die empfangenen Flammen aus deiner keuschen Brust, wenn du kannst. Unglückliche! Wenn du es könntest, würdest du eben nicht krank sein, wie du es bist. Eine unbekannte Gewalt zieht mich wider meinen Willen zu ihm hin. Ein anderes rät mir die Liebe, ein anderes die Vernunft. Ich weiß, was das Bessere ist, aber dem Schlimmeren folge ich. O edle, angesehene Bürgerin! Was hat dir dieser Fremde angetan? Was entbrennest du solchergestalt? Was verlangt dich nach einem Jüngling aus fernem Lande? Wofern dir dein Gemahl mißfällig ist, so mag dir diese Stadt einen anderen geben, den du liebst. Doch wehe mir! Ein solcher hätte nicht sein Angesicht. Wen rührte nicht seine Gestalt, sein Alter, sein Geschlecht, seine Tugenden! Meine Brust hat er fürwahr gerührt, und ich verzweifle. Gott schick' es zum besten. Doch wehe! Sollt' ich mich einem Fremdling hingeben, ich weiß nicht wem, der wohl von dannen schiede, nachdem er sein Verlangen gestillt, mich verließe und einer anderen sich zu eigen gäbe? Dem sieht freilich sein Angesicht nicht gleich, und es berechtigt mich der Adel seines Gemütes, nicht zu fürchten, daß er unsere Liebe verraten und vergessen werde. Was fürchte ich denn, da das sicher ist? Ich bin schön genug, ihm ebenso heißes Verlangen nach mir einzuflößen wie mir nach ihm gegeben ward; ich bin schön genug, ihn ewig an mich zu binden. Wie viele Freier umgeben mich allenthalben, wohin ich mich wende! Wie viele Nebenbuhler beobachten stets meine Tür! Wag' ich's und gebe der Liebe nach, so wird er entweder hier bei mir bleiben, oder mich mit sich nehmen, wenn er von hinnen zieht. Ich verlasse also meine Mutter, meinen Gemahl und mein Vaterland? Streng ist meine Mutter und meinen Freuden allzeit hinderlich; meinen Mann will ich lieber entbehren als dulden, das Vaterland ist da, wo es uns wohl ergeht. Aber meinen guten Ruf verlöre ich. Indes, was sind mir die Reden der Menschen, die ich nicht höre? Wer allzuviel auf seinen Ruf gibt, wagt nimmer etwas. Viel andere Frauen haben es auch getan! Den beschuldigt niemand des Irrtums, der mit vielen irrt.« So sprach Lucrezia bei sich selbst. Und auch Euryalus nährte kein geringeres Feuer in seiner Brust.
Zwischen des Kaisers Hof und seiner Herberge lag Lucreziens Haus, so daß Euryalus nicht an den Hof gelangen konnte, ohne Lucrezien an hohen Fenstern, wo sie sich ihm zeigte, zu sehen. Daß sie jedesmal errötete, sowie ihr Blick den Geliebten traf, gab dem Kaiser zuletzt ihre Liebe kund; denn da er seiner Gewohnheit nach bald dahin, bald dorthin und häufig an ihrem Hause vorüberritt, so nahm er wahr, daß Lucrezia, so oft sie seinen Begleiter Euryalus sah, die Farbe wechselte. Er sagte deshalb einst zu ihm: »Nun, Euryalus, verdrehst du hier den Frauen den Kopf? Das Weib hat dich lieb.« Desgleichen hielt er ihm ein andermal, als neide er ihm sein Glück, wie sie vor Lucreziens Haus vorüberkamen, die Augen mit seinem Hute zu und sprach: »Du sollst heute nicht sehen, was du liebst, ich will mich des an deiner Statt erfreuen.« Worauf Euryalus erwiderte: »Was willst du damit sagen, Kaiser? Ich habe nichts mit ihr gemein, und es ist unvorsichtig von dir, daß du die Umstehenden argwöhnisch machst.«
Euryalus hatte ein kastanienbraunes Pferd mit hochgeschwungenem Halse und feingebautem Kopfe, das durch sein breites Kreuz und seinen feurigen Mut auffiel und bei dem Schalle der Trompeten nicht stillezustehen vermochte, sondern die Ohren spitzte, aus seinen Nüstern gleichsam Funken sprühte, in das Gebiß knirschte, die üppige Mähne schüttelte und den Boden mit den Hufen zerstampfen wollte. Diesem edlen Tiere glich Euryalus, sobald er Lucrezia sah. Und auch sie, solange sie allein war, nahm sich wohl vor, der Liebe den Weg zu ihrem Herzen zu versperren; erblickte sie aber Euryalus, so gab es für ihre Flammen kein Maß und Ziel. Es ist wahr, was die Weisen meinen, daß die Keuschheit nur in schlichten Häusern wohnt und nur durch Genügsamkeit erhalten wird, in reichen Häusern dagegen nicht heimisch bleibt, weil ein jeglicher, der im Schoße des Glückes ruht, seinen leiblichen Begierden nachhängt und immer Ungewöhnliches begehrt. Je öfter Lucrezia Euryalus vorüberkommen sah, desto weniger zügelte sie auf die Dauer ihre Leidenschaft. Sie erwog lange Zeit bei sich, wem sie sich vertrauen solle. Denn wer da schweigend liebt, fühlt um so schärfere Pein. Zuletzt erschien ihr einer von ihres Mannes Dienern, ein bejahrter Deutscher, Josias mit Namen, der seinem Herrn lange gut und treu gedient hatte, eher seines Volkes als seiner Person wegen ihres Vertrauens am würdigsten.
Und als der Kaiser einmal mit einem großen Gefolge von Edlen durch die Stadt an ihrer Wohnung vorüberkam und sie Euryalus auch bei ihm sah, rief sie Josias: »Tritt hierher, Josias, und blick' aus dem Fenster hinab. Wo findet man unter allen Völkern diesen ähnliche Männer? Sieh, wie sie aufrecht und stattlich daherkommen, wie schön ihnen das goldlockige Haar um das Antlitz wallt! Wie milchfarben ihre Hälse, wie schön sie sich halten! Wie stark ihre Brust! Dieser Leute Geschlecht ist ein anderes als unsere Erde erzeugt. Es ist der Same der Götter oder ein vom Himmel herabgesandter Stamm. Wenn meine Augen es nicht bezeugten, so würde ich dir niemals geglaubt haben, was du mir von ihnen hättest erzählen mögen, wiewohl der Ruf von ihnen sagt, daß den Deutschen vor allen Völkern der Vorzug gebührt. Kennst du einige von ihnen?« – »Ihrer viele«, antwortete Josias. – »Auch den Franken Euryalus?« – »Ich kenne ihn wie mich selbst. Wozu fragst du dies?« – »Ich will es dir sagen«, sprach Lucrezia weiter; »denn deine Gutartigkeit läßt mich vertrauen, daß es durch dich nicht offenbar werde. Unter allen, die bei dem Kaiser sind, ist niemand mir werter als Euryalus, meine Seele ist voll von ihm, ich weiß nicht, in was für Flammen ich entbrannt bin, ich mag sein nicht vergessen, noch mir Frieden gönnen, bevor ich ihm mein Herz nicht erschlossen. Geh hin, Josias, ich bitte dich, und sag ihm, daß ich ihn liebhabe; ich fordere sonst nichts von dir, du sollst mir auch nicht umsonst diese Botschaft tun.«
»Was höre ich?« entgegnete Josias, »sollte ich eine solche Schandtat begehen oder auch nur denken? Meinen Herrn verraten? Herrin! Jetzt, da ich altere, soll ich eine Sünde begehen, die ich jung vermieden habe? Lieber verbanne du, edle Tochter dieser Stadt, die unreine Liebe aus deiner Brust und gib nicht verderblicher Anfechtung nach. Lösche das Feuer deiner Begierden aus, denn dies fällt demjenigen nicht schwer, der ihrem ersten Andrange widersteht. Wer hingegen das süße Übel liebkosend in sich nährt, der gibt sich der Knechtschaft eines harten und übermütigen Gebieters hin und vermag sein Joch nicht abzuwerfen, wenn er es will. Wie? Wenn dein Mann dies inne würde! Weh! Mit was für Strafen würde er dich peinigen! Keine Liebe vermag lange verborgen zu bleiben.«
»Schweig«, sagte Lucrezia, »du redest vergebens, ich lasse mich nicht schrecken. Wer nicht zu sterben fürchtet, fürchtet nichts. Diese Sache mag ein Ende nehmen, wie sie will, so werd' ich's leiden.«
»Wo gerätst du hin, Unglückliche?« fuhr Josias fort, »du willst dein Haus entehren und allein von deinem Geschlechte eine Verbrecherin sein? Du siehst es für eine sichere Sache an? Tausend Augen bewachen dich. Nicht deiner Mutter, nicht deinem Manne, nicht deiner Sippschaft, nicht deinen Mägden wird dein Fehltritt verborgen bleiben. Gesetzt, daß deine Dienstleute schweigen, so werden deine Pferde und Esel reden, deine Hunde, deine Türen, deine Marmorsteine werden dich anklagen. Und wenn du es auch allen verbirgst, verbirgst du es doch Gott nicht, der alles sieht. Was ist deine gegenwärtige Pein gegen die Gewissensangst, die du empfinden wirst, wenn dein verschuldetes Gemüt sich vor dir selber scheut? Bei großen Sünden wohnt keine Treue. Darum beschwöre ich dich, bezähme deine gottlose Liebesglut und behüte dein reines Gemüt vor solcher Untat!«
»Ich weiß wohl, daß es recht ist, wie du sprichst«, erwiderte ihm Lucrezia, »aber ich fühle mich gezwungen, das Unrechte zu tun. Meine Seele erkennt den tiefen Abgrund, vor dem ich stehe, und ich stürze mit Bewußtsein hinein. Die Leidenschaft überwindet mich, und die Gewalt der Liebe zwingt mein Herz zu tun, was sie ihm gebeut. Viel, oh, viel habe ich dawider gestritten, aber umsonst. Trag darum hin die Botschaft, wenn du dich mein erbarmst.«
Josias seufzte bei diesen Worten auf und sprach: »Bei diesem weißen Haare meines Alters, bei dieser von Sorgen müden Brust und bei den treuen Diensten, die ich deinem Manne leiste, fleh' ich dich an, laß von deinem bösen Willen ab und hilf dir selbst. Wer gesund werden will, ist schon zum Teil gesund.« – Da sagte Lucrezia: »Es ist noch nicht alle Scham von mir gewichen, und ich will dir folgen, Josias. Meine einzige Rettung in diesen Nöten ist, mit dem Tode der Sünde zuvorzukommen.« Erschrocken über diese Worte sprach Josias: »Herrin, mäßige die Hitze deines zügellosen Gemüts und sei auch im Leben würdig, wie du es im Tode bleiben willst.« – »Ich bin entschlossen zu sterben«, erklärte Lucrezia, »und durch einen freiwilligen Tod meine Keuschheit zu wahren.« – »Ich leide es nicht«, rief Josias. – Lucrezia aber: »Wer sich zu sterben vorgesetzt hat, dem ist nicht zu wehren.«
»Nun denn«, sprach Josias, »ist deine Leidenschaft also heiß und zügellos, so heißt es mehr an dein Leben als an deinen Ruf denken, denn der Ruf ist oftmals trügerisch und sagt von dem Bösen Gutes wie von dem Guten Böses aus. Ich will Euryalus versuchen. Ich nehme es auf mich, dir zu dienen, und hoffe, die Sache nach deinem Wunsche zu Ende zu führen.« Mit diesen Worten richtete er ihr entzündetes Herz zu neuer Hoffnung und Zuversicht auf; war aber durchaus nicht willens, was er ihr versprach, zu erfüllen, sondern gedachte ihr Verlangen von Tag zu Tag hinzuhalten und zu schwächen, weil er wohl wußte, daß durch Aufschub und Krankheit schon viel Liebesflammen erloschen sind: bis entweder der Kaiser von dannen zöge, oder bis ihr Sinn sich zum Besseren wende. Von sich weisen mochte er ihren Auftrag darum nicht, weil er besorgte, sie würde einen anderen Boten wählen oder sich gar ein Leids antun. Er stellte sich an, als ginge er oft bei dem Franken ein und aus, und versicherte Lucrezien, Euryalus freue sich ihrer Liebe und trachte nur nach Zeit und Gelegenheit, mit ihr zusammenzukommen; benahm ihr aber entweder jede Möglichkeit, ihn zu sehen, oder richtete es so ein, daß er selbst aus der Stadt geschickt ward, und vertröstete sie dann auf seine Wiederkehr. Also hielt er ihre krankhafte Sehnsucht viele Tage hin, sagte zuletzt, um nicht zu lügen, wirklich einmal zu Euryalus, als er ihm begegnete: »Oh, wenn du wüßtest, wie lieb man dich hier hat!«, ließ sich aber auf keine nähere Erklärung ein, als jener ihn fragte, was er damit sagen wolle.
Inzwischen hatte auch Euryalus keine Rast und Ruhe in seinen Gliedern; ein heimliches Feuer durchloderte seine Adern und zehrte das Mark seiner Gebeine auf. Er wußte freilich von Josias' und Lucreziens Botschaft nichts und strafte sich innerlich oft, solange er noch seines Verstandes mächtig war, mit den Worten: »Weißt du nicht, Euryalus, wie gewaltig die Leidenschaft ist? Lang Weinen, kurz Lachen. Wer lieb hat, der stirbt immerfort und liegt doch nimmer tot.« Als er aber sah, daß alles Ankämpfen gegen seine Liebe umsonst war, rief er aus: »Was widerstrebe ich Armer vergebens? Und warum sollte es mir nicht anstehen, der Liebe zu frönen? Wer ist je ein größerer Buhler gewesen als unser Kaiser? Wie oft ist er in den Netzen der Liebe gefangen worden? Was ist natürlicher als diese Anfechtung? Wenn die Liebe sich regt, entflammt sie die unvernünftigen Tiere und die Wunder des Meeres. Nichts ist ausgeschlossen und der Liebe undurchdringbar. Aller Haß stirbt in der Liebe ab. Die Liebe facht die ungestümen Flammen der Jugend an und erwärmt dem müden Alter das erkaltete Herz. Unbekannte Wunden schlägt sie selbst der jungfräulichen Brust. Warum sollte ich allein den Satzungen der Natur widerstehen?« –
Nachdem er mit sich selbst zu diesem Beschlusse gekommen war, tat er sich nach einer Kupplerin um, die an das Weib seiner Liebe einen Brief bestellen möge. Er gab sein Verlangen einem in solchen Dingen wohlerfahrenen und ihm getreuen Diener und Begleiter kund, durch den ihm eine Frauensperson gebracht ward, der er einen Brief übergab, der folgendermaßen lautete:
»Ich erböte Dir, Lucrezia, durch dieses Schreiben gern Gruß und Heil, wäre mir nur einige Macht des Heils. Aber alles Heil und aller Trost meines Lebens kommt von Dir. Ich liebe Dich mehr als mich selbst und glaube, daß das Feuer meines versehrten Herzens Dir nicht verborgen sei. Es verkündet Dir es, wenn ich Dich sehe, mein Seufzen und mein tränenfeuchtes Angesicht. Oh, leid' es mit Nachsicht, daß ich Dir mein Herz öffne. Mich fesselt Dein Liebreiz und die edle Anmut Deiner Gestalt, die Dich alle überragen läßt. Was Liebe sei, habe ich vorher nicht gewußt, Du hast mich ihrer Gewalt unterworfen. Ich habe lange gekämpft, ich bekenne es. Aber die heißen Sonnenstrahlen Deiner Augen haben mich meiner Kraft beraubt. Um Deinetwillen entbehre ich Schlaf und Speise und Trank. Dich lieb' ich Tag und Nacht, Dein begehr' ich, Dich rufe ich. Dein harr' ich, Dein denk' ich, Dich hoff' ich, Dein freu' ich mich, Dein ist mein Gemüt, Dein bin ich ganz, Du allein vermagst mich zu erretten oder zu verderben. Tue denn das eine oder das andere und schreibe mir, was Dein Wille ist, auch sei gegen mich nicht härter mit Worten, als Du mir mit Deinen Augen warst, die mich banden. Ich bitte nichts Größeres, als daß ich zu Dir reden und Dir sagen dürfe, was ich Dir jetzt schrieb. Gibst Du mir das, so leb' ich und lebe selig; versagst Du es, so erlischt mein Herz.« –
Die Kupplerin suchte eilends mit dem versiegelten Briefe Lucrezien auf und sagte zu ihr, als sie ohne Zeugen war: »Diesen Brief sendet dir der alleredelste und mächtigste Liebhaber des kaiserlichen Hofes, der dich inniglich bittet, daß du dich seiner erbarmen mögest.« – Die Frau war ihres Gewerbes wegen allgemein und auch bei Lucrezien berüchtigt, die es sehr verdroß, sich ein so ehrloses Weib zugesandt zu sehen. Sie schalt alsobald mit Worten auf sie los: »Sag' an, du Verworfene, welch Begehren führt dich in dieses Haus? Was für Unbesonnenheit hat dir geraten, mir vor Augen zu kommen? Du unterstehst dich, in edle Häuser zu gehen und mächtige Frauen in Versuchung zu bringen? Kaum bezwinge ich mich, dir nicht in die Haare zu fahren. Du gibst mir Briefe! Du siehst mich an und redest mit mir! Bedächte ich nicht mehr, was mir zu tun anständig ist, als was du verdienst, so wollte ich dich heut' so behandeln, daß du nimmer wieder Buhlbriefe trägst. Hinweg, du Hexe. Nimm deinen Brief wieder mit. Doch nein! Gib ihn mir, daß ich ihn zerreiße und verbrenne.«
Sie nahm das Papier, zerriß es in mehrere Stücke, trat es mit Füßen, spuckte darauf und sagte, als sie es in die Asche des Feuers warf: »Auch dir gebührte diese Strafe, du Kupplerin, die du des Feuers würdiger als des Lebens bist. Aber entweiche schnell, daß dich mein Mann nicht ersieht und nicht die Strafe, die ich dir nachgelassen habe, über dich verhängt. Hüte dich wohl, mir je wieder vor Augen zu kommen!« –
Ein anderes Weib hätte sich gefürchtet; diese aber kannte die Art und Weise der Frauen und sprach bei sich selbst: »Nun willst du ganz gewiß, derweil du nicht zu wollen scheinst.« Laut aber sagte sie: »Vergib mir, Frau, ich meinte hieran recht zu tun und dir zu gefallen. Da dem aber nicht so ist, so lasse ich von meiner Torheit ab und komme nicht eher wieder als du willst.«
Sie schied von ihr mit diesen Worten, hinterbrachte Euryalus: »Fasse Mut, du glücklicher Liebhaber, die Frau hat dich mehr lieb als du sie, noch aber fand sie nicht Muße, dir zu schreiben. Ich fand sie traurig, aber sowie ich ihr deinen Namen nannte und deinen Brief gab, machte sie ein freundlich' Gesicht und küßte das Papier tausend Male. Ich zweifle nicht, daß sie dir bald Antwort gibt.« Empfing dann ihren Lohn und ging; trug aber Sorge, daß man sie nicht auffinden könne, damit sie keine Prügel für ihre Lüge davontrug.
Lucrezia hingegen suchte, als die Alte fort war, die einzelnen Stücke des Briefes auf. fügte sie zusammen, ein jedes abgerissene Wort an das andere, und machte die Handschrift wieder leserlich, die sie mit gierigen Augen tausendmal überflog und mit ihren brennenden Lippen tausendmal küßte, bis sie zuletzt die kostbaren Bruchstücke sorgfältig in ein Nesseltuch schlug und, bald dies, bald jenes Wort sich in Gedanken zurückrufend, stündlich ein größeres Maß von Liebe in sich sog. Ihre Antwort an Euryalus lautete:
»Laß ab von dem, Euryalus, was Du nicht erstreben sollst. Bekümmere mich nicht mehr mit Boten und Briefen und halte mich nicht für eine der Frauen, denen man ein verrufenes Weibsbild zusenden darf. Suche Dir eine andere Buhlerin, meine Liebe wird immer keusch und ehrbar sein und gestattet mir nichts Frevles und Ungebührliches.«
Wie hart auch dieser Brief klang, und wie sehr er auch der Aussage des alten Weibes zu widersprechen schien, so eröffnete er doch zu fernerer Gemeinschaft den Weg. Euryalus stand nicht an, auch seinerseits Lucreziens Boten zu vertrauen, und besorgte nur, der welschen Sprache, deren Erlernung er sich mit allem Fleiße widmete, nicht mächtig genug zu sein. Wie die Liebe indes in allen Dingen die beste Lehrmeisterin ist, so setzte sie ihn bald in den Stand, ohne fremde Beihilfe, die ihm zu seinem ersten Brief nötig gewesen war, Lucrezien in toskanischer Sprache zu antworten:
Ganz unverschuldeter Weise treffe ihn ihr Zorn wegen der Sendung des übelberüchtigten Weibes. Er habe dasselbe als Fremder nicht gekannt und keine andere Botin seiner nichts Unehrbares hoffenden und verlangenden Liebe gehabt. Denn eben als ein frommes Weib halte er sie über alle Maßen teuer und wert, weil er die Meinung hege, das höchste Gut einer Frau sei nicht die vergängliche, schöne Form und Bildung, sondern ihre Zucht und Schamhaftigkeit. Seine Sehnsucht stehe nur danach, ihr sein Gemüt in mündlicher Zwiesprache zu eröffnen, was ja in schriftlicher nicht möglich sei. – Er sandte ihr mit diesem Briefe einige an Stoff und Arbeit kostbare Gaben zu, und Lucrezia erwiderte:
»Ich habe Deinen Brief empfangen und klage fürder nicht wegen der Kupplerin. Daß Du mich liebhast, achte ich nicht für groß, denn Du bist nicht der erste und einzige, den meine Gestalt dazu verführt. Es haben mich viele schon vergebens geliebt und viele lieben mich noch vergebens so wie Du. Mit Dir Worte haben mag und kann ich nicht, und wo Du nicht eine Schwalbe bist, findest Du mich nicht allein, denn die Häuser sind hoch und die Zugänge verschlossen und verwahrt. Deine Gaben habe ich empfangen. Mich freut ihre künstliche Arbeit. Auf daß sie aber nicht als Pfand der Liebe und nicht umsonst bei mir seien, so sende ich Dir einen Ring, den mein Vater meiner Mutter gab, und dessen Edelgestein nicht weniger wert ist als Dein Geschenk.« Euryalus schrieb ihr darauf zurück:
»Wie übergroße Freude mir Dein Brief auch bereitet hat, so betrübt es mich doch, daß Du meine Liebe zu Dir so klein achtest. Es mögen Dich viele lieben, doch es kommt kein Feuer dem meinen gleich. Du glaubst mir nicht, weil Du nicht mit mir reden willst. Tätest Du dies, Du dächtest bald anders von mir. Oh, daß ich Deine Schwalbe wäre! Lieber möchte ich mich in einen Floh verwandeln, damit Du mir das Fenster nicht verschließen könntest. Warum willst Du nicht mit mir reden? Lucrezia, der ich ganz Dein eigen bin, der ich nichts begehre, als nach Deinem sittsamen Willen zu tun? Warum tötest Du mich mit Deinen Worten, derweil mir Deine Augen das Leben verleihen? Sprich es aus, daß Du mich liebhast, so bin ich selig. Daß Du meine Gaben nimmst, danke ich Dir. Du magst dabei denken, was Du willst, meiner Liebe bist Du in ihnen doch eingedenk. Nimm auch gütig auf, was Du hierbei empfängst. Dein Ring kommt nimmermehr von meinem Finger und ist immer von den vielen Küssen, die ich ihm Deinetwegen gebe, naß.«
Als nun auf diese Weise viel hin und wieder geschrieben worden war, fertigte zuletzt Lucrezia folgenden Brief an Euryalus ab:
»Ich wollte Dich gern, Euryalus, wie Du bittest, meiner Liebe teilhaftig machen, wie es Dein Adel und Deine Sitte verdienen. Ich sage nicht, wie sehr mir Deine Gestalt und Dein liebreiches Gesicht gefallen, aber ich muß mich hüten zu lieben, denn ich kenne mich selbst und weiß, daß ich in der Liebe kein Maß und Ziel halten würde. Du kannst hier nicht lange verweilen, und hätte ich mich Dir erst ergeben, so könnte ich Dich nicht mehr entbehren. Du würdest mich nicht mit Dir nehmen, und ich würde nicht bleiben wollen. Das Beispiel vieler Frauen, die von Fremden verlassen wurden, warnt mich, Dich zu lieben. Ihr Männer seid festeren Gemüts als wir Frauen und besser imstande, das Ungestüm der Liebe zu bändigen. Ergriff erst die Gewalt der Leidenschaft eine Frau, so läßt sie nur im Tode von ihr ab und gibt ihr nur in Augenblicken Ruhe. Wir opfern ihr unseren Ruf und unser Leben. Je mehr wir des Geliebten entbehren, desto wilder und rücksichtsloser verlangen wir nach ihm, und wir fürchten keine Gefahr, sofern nur unser Verlangen gestillt wird. Darum ist mir, der Vermählten, Edlen, Angesehenen geraten, mir den Weg der Liebe, vornehmlich gegen Dich, den Fremdling, zu verschließen, und ich will Dich gebeten haben, erstrebe meine Liebe nicht ferner durch die Deinige, die doch meinen Tod nicht begehren wird. Für Deine Gaben sende ich Dir ein goldenes, perlengeziertes Kreuz, das, wenn es auch klein ist, doch des Wertes nicht entbehrt. Leb' wohl!«
Als Euryalus diesen Brief empfing, schwieg er nicht, sondern ergriff die Feder und schrieb ihr, zu neuen Bitten entzündet, folgendes:
»Sei gegrüßt, meine Seele, Lucrezia, die Du mich, wenn auch nicht ohne bitteren Beigeschmack, mit Deinem Briefe beseligtest. Ich habe ihn oft gelesen und öfter geküßt: er rät mir aber anders, als er mir raten soll. Du bittest mich, daß ich aufhöre, Dich zu lieben, weil es Dir nicht anstehe, eines Fremden Liebe zu befriedigen. Aber je länger ich auf Deine abmahnenden Schriftzüge sehe, desto mehr entzündet mich die Vorstellung der zierlichen Hand, die sie niederschrieb. Genug also laß es der unnützen Worte sein. Heiß die Berge hinab in die Ebene, die Flüsse zurück in ihre Quellen gehen! Ich vermag so wenig meine Liebe zu Dir aufzugeben, als die Sonne ihre Bahn aufgibt. Nicht so leicht, wie Du meinst, Lucrezia, löscht ein Mann seiner Liebe Flammen aus. Was Du unserem Geschlechte zuschreibst, geben andere dem Deinigen schuld. Glaube mir, daß ich ewig Dein bin und kein Fremder, weil ich nicht als Bürger dieser Stadt geboren ward. Meine Heimat wird immer da sein, wo Du bist. Und wenn ich jemals von hinnen nach Deutschland müßte, würde ich doch schnell wieder bei Dir sein. Der Geschäfte des Kaisers sind viele in diesem Lande, bald eine Gesandtschaft, bald ein anderes Amt. Der Kaiser bedarf eines Statthalters in Toskana und ernennt mich gewiß dazu. Darum glaube nicht, Lucrezia, daß ich von Dir scheiden kann. Erbarme Dich Deines Liebhabers, der wie Schnee vor der Sonne vor Dir vergeht. Sieh meine Leiden an und setze ihnen ein Ziel. Was peinigst Du mich so lange? Ich wundere mich, wie ich so langen Kummer habe aushalten, so viele Nächte ohne Schlaf und so viele Tage ohne Speise und Trank habe zubringen können. Siehe, wie mager und bleich ich bin. Es ist ein schwacher Faden, der noch meine Seele und meinen Leib zusammenhält. Hätt' ich Dir Vater, Mutter oder Kind getötet, Du möchtest keine härtere Strafe an mir vollbringen können. Strafst Du mich also, weil ich Dich liebe, was würdest Du mir erst in Vergeltung Böses tun? Ach, Lucrezia, meine Herrin, mein Heil, meine Zuflucht, nimm mich an in Gnade! Laß mich Dein Diener sein, Lucrezia, Könige und Kaiser haben ihre für treu erfundenen Diener lieb. Leb' wohl, Du meine Hoffnung und meine Furcht!«
Wie ein innerlich gebrochener Turm, der äußerlich noch fest war und unüberwindlich schien, beim ersten Windstoße zusammenstürzt, so schloß Lucrezia auf diesen Brief ihrem Geliebten ihr Herz mit folgenden Worten auf:
»Ich mag Dir nicht mehr zuwider sein und Dir meine Liebe nicht mehr verbergen, Euryalus. Du hast gesiegt, und ich bin die Deinige. Ich Arme, daß ich Deine Briefe jemals annehmen mußte! Welchen Gefahren setze ich mich aus! Sieh zu, daß Du hältst, was Du mir geschrieben hast. Ich gebe mich Deiner Liebe hin. Verläßt Du mich, so bist Du ein grausamer Verräter und Bösewicht. Ein Weib zu betrügen ist leicht, aber je leichter, desto abscheulicher. Noch ist alles, wie es war. Gedenkst Du mich zu verlassen, so sage es, bevor die Liebe heftiger entbrennt, auf daß wir nicht beginnen, was uns hernach begangen zu haben reut. In allen Dingen muß man auf das Ende sehen. Ich, als eine Frau, sehe nicht weit. Dir als dem Manne liegt es ob, für Dich und mich zu sorgen. Ich gebe mich Dir und Deiner Treue auf ewig hin.«
Die Liebenden sandten einander noch viele Briefe zu, und Euryalus konnte nicht mit soviel Leidenschaft schreiben, daß Lucrezia ihm nicht noch glühender geantwortet hätte, und beide glühten vor schwer zu befriedigender Sehnsucht nach einander, weil Lucrezia nie allein ausging oder der Obhut ermangelte. Allerdings hütete der eifersüchtige Menelaus seine Hausfrau nicht nur so ängstlich, sondern auch vergeblich wie einen Schatz. Denn es ist ein allgemeines weibliches Gebrechen, gerade danach zumeist zu streben, was am strengsten verboten ist. Je mehr die Frauen ihren freien Willen haben, desto weniger sündigen sie, und ihre Keuschheit hütet niemand, wenn sie es nicht selber tun. Eine Frau ist ein unbezähmtes Tier, das keinen Zaum verträgt.
Lucrezia hatte einen unechten Bruder, dem sie heimliche Briefe an Euryalus zu bestellen gegeben und ihre Liebe anvertraut hatte. Dieser Bastard wohnte bei der Mutter Lucreziens, die mit ihrer Tochter häufig zusammenkam, weil ihre Häuser unfern voneinander lagen, und hatte mit ihr den Anschlag verabredet: wenn ihre Mutter in der Kirche sein würde, Euryalus in seine Kammer zu bescheiden, wohin dann Lucrezia die alte Frau angeblich besuchen kommen und bis zu ihrer Rückkehr bei ihm bleiben solle. Dieser ersehnte Augenblick sollte in zwei Tagen eintreten. Die Zwischenzeit dehnte sich den Liebenden zu Jahren aus. Das Glück begünstigte aber ihre Wünsche nicht. Denn an dem festgesetzten Tage schien die Mutter Verdacht zu schöpfen und schloß, als sie von dannen ging, ihren Stiefsohn aus, der alsbald zu Euryalus eilte und ihm die traurige Nachricht brachte, die ihm nicht weniger schmerzlich war als Lucrezien.
Lucrezia hatte sich auch einem Vetter ihres Mannes, namens Pandalus, anvertraut und forderte sogar Euryalus auf, ihn anzureden, indem er treu und verschwiegen und vielleicht ihrer Liebe förderlich sei. Euryalus hielt es aber immer nicht für geraten, ihn in sein Geheimnis zu ziehen, weil er ihn stets an Menelaus' Seite sah und hintergangen zu werden fürchtete. Während er sich noch bedachte, was zu tun sei, erhielt er den Befehl, nach Rom zu gehen, um wegen der Krönung mit dem Papste zu verhandeln, und mußte wohl oder übel dem kaiserlichen Willen Folge leisten. Er blieb zwei volle Monate aus, die Lucrezia daheim in ihrem Hause, bei verschlossenen Fenstern, und, zu jedermanns Erstaunen, in Trauerkleidern verbrachte. Ihre Verwandten und Freunde, die sie oft betrübt und traurig im Bette liegend fanden, maßen es einem körperlichen Übel bei und schafften alle Arzneien herbei, von denen sie wußten. Sie ward aber nicht heiter und froh und wollte nimmermehr aus ihrer Schlafkammer gehen, bevor sie hörte, daß Euryalus wiederkehre und der Kaiser ihm entgegengeritten sei.
Gleich als ob sie aus einem schweren Schlaf erwacht wäre, legte sie aber alsdann ihre schwarzen Kleider von sich, öffnete ihre Fenster und erwartete, geschmückt wie sonst, in Freuden den geliebten Mann. Der sie also erblickende Kaiser sprach zu Euryalus: »Leugne nicht mehr das Offenbare, Euryalus. In deiner Abwesenheit hat niemand Lucrezien gesehen, jetzt geht sie wie die Morgenröte auf, da du wiederkehrst. Die Liebe und den Husten verbirgt man auf Erden nicht.« »Du scherzest, Kaiser, mit mir, wie du gewohnt bist«, sagte Euryalus, »und gäbst mich wohl gern dem Gelächter preis. Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Das Wiehern deiner Pferde und der Ruf deines langen Bartes hat vielleicht das Weib herbeigelockt.« – Dabei blickte er verstohlen zu Lucrezien empor und versenkte Auge in Auge, der erste Trost beider nach seiner Wiederkehr.
Wenige Tage darauf erkundschaftete Euryalus' getreuer Diener, Nisus mit Namen, der bestrebt war, seiner Sache zu dienen, eine hinter Menelaus' Haus gelegene Herberge, aus der man heimlich in ein Gemach desselben sehen konnte. Er machte sich den Gastwirt zum Freunde und führte seinen Herrn an den zuvor selbst wahrgenommenen Ort. Beide Häuser waren nur durch einen Abzugsgraben getrennt, in den nie ein Sonnenstrahl oder ein menschlicher Fuß drang, und die Fenster standen keine drei Ellen voneinander ab. Lange saß der Liebende daselbst, auf einen Glücksfall harrend, der ihm Lucrezien zuführe, und täuschte sich am Ende nicht; denn sie kam. Er flüsterte der hierhin und dorthin Blickenden leise zu: »Was tust du, Gebieterin meines Lebens? Wohin wendest du deine Augen, mein Herz, ich bin hier. Auf mich, auf mich sieh, meine Lust!« – »Du bist hier, mein Euryalus!« sagte Lucrezia, »mit dir darf ich reden? Oh, daß du in meinen Armen wärst!« – »Das will ich bald sein,« sprach Euryalus, »ich lege eine Leiter hier an, und du öffnest mir dein Gemach.« – »Davor hüte dich, Euryalus,« antwortete Lucrezia, »willst du mich bei Ehren erhalten sehen. Es ist hier zur Rechten ein Fenster und ein sehr böser Nachbar; auch dürfen wir dem Wirt nicht trauen, der uns beide wohl für wenig Geld verriete. Suchen wir einen anderen Weg. Genug, daß dieser uns zu sprechen dient.« – »Dein Anblick bringt mir den Tod,« sagte Euryalus, »drücken dich meine Arme nicht bald an mein Herz.«
Sie unterredeten sich lange an diesem Orte, tauschten mit Hilfe eines Rohres Geschenke aus, und Josias ward mit Schmerzen ihren Verkehr inne. Umsonst bemühe ich mich, dachte er, dieser Liebe Einhalt zu tun. Es sei denn, daß ich mit List diesem Dinge zuvorkomme, so muß meine Frau zugrunde gehen, und meines Herrn ehrlicher Name wird geschmäht. Von zwei Übeln stelle man das schlimmere ab. Die Frau liebt, und das schadet nichts, wenn es heimlich ist. Sie ist vor Liebe blind und erkennt nicht, was sie tut. Kann ihre Keuschheit nicht behütet werden, so ist es genug, die Ehre ihres Hauses zu retten. Die Unkeuschheit ist eine allgemeine Sünde der Menschen, aber als der Keuschere gilt, wer sie insgeheim begeht.
Indem sah er Lucrezien aus ihrer Schlafkammer gehen, trat zu ihr und redete sie mit den Worten an: »Wie kommt es, daß du mich von deiner Liebe nichts mehr wissen läßt? Du hast Euryalus nicht minder lieb als zuvor und verbirgst es mir? Sieh wohl zu, wem du dich vertrauest. Die erste Staffel echter Weisheit ist, nicht liebzuhaben, die andere, so zu lieben, daß es nicht offenbar werde. Allein und ohne Beihilfe wirst du es nicht vollbringen. Du weißt, wie sehr du mir vertrauen kannst, darum sage mir, was du willst. Es soll meine höchste Sorge sein, deine Liebe geheimzuhalten und dich vor der Strafe zu bewahren, damit deinen Mann keine üble Nachrede trifft.«
»Es ist dem, wie du sagst, Josias,« antwortete Lucrezia, »und ich vertraue dir. Du warst, ich weiß nicht wie, allzeit säumig seither und meinem Verlangen abgeneigt. Jetzt, da du dich mir selbst anbietest, will ich deine Dienste gebrauchen und fürchte nicht, von dir betrogen zu werden. Du weißt, wie heftig ich liebe. Ich halte es nicht länger aus. Euryalus krankt vor Liebe, und ich sterbe. Wenn wir nur einmal zusammenkämen, würden wir mäßiger lieben und blieb' unsere Liebe eher verborgen. Geh zu Euryalus und sage ihm, der einzige Weg, zu mir zu gelangen, sei der: über vier Tage brächten uns die Bauern Korn. Er möge sich als Kärrner kleiden, einen Sack auf sich laden und den Weizen die Treppen empor auf den Speicher tragen helfen. Mein Gemach habe einen Ausgang nach der Stiege zu, ich wolle seiner an diesem Tage warten und ihn zu mir einlassen, sobald er an die Tür klopfe.« Josias belud sich mit dem Verbrechen dieses Auftrages, weil er größeres Übel fürchtete, und entledigte sich desselben pünktlich an Euryalus.
So traf die Morgenröte des anberaumten Tages den edelsten und liebsten Diener des Kaisers, den reichsten an Gütern, Weisheit und Gelehrsamkeit sehnsuchtsvoll des Augenblickes harrend an, da er seine purpurnen, seidenen Kleider ablegen, einen Sack auf sich nehmen, sein Antlitz mit häßlichen Farben entstellen und sich zu schnöden Knechten gesellen könne. Mit kluger Vorsicht der letzte der von dem Speicher Zurückkehrenden, öffnete Euryalus leise die inmitten der Stiege gelegene Tür, verschloß sie hinter sich und war bei dem geliebten Weibe, das allein bei einer Seidenstickerei vor ihm saß. »Gott grüße dich, mein süßes Leben«, sagte er, als er zu ihr trat. »So hab' ich dich gefunden, meine Sehnsucht, so darf ich dich umfangen, wonach ich so lange dürstete, wo uns niemand sieht, so birgt dich keine Wand, keine Ferne mehr meinem Auge!« –
Hatte auch Lucrezia diesen Anschlag selbst gemacht, so erschrak sie doch über Euryalus' plötzlichen Eintritt und meinte eher einen Geist als ihn zu sehen, da sie es nicht glauben konnte, daß ein so großer Herr sich solchen Gefahren aussetzen würde. Unter seinen Küssen und Umarmungen ihr Bewußtsein wiederfindend, erkannte sie ihn und sagte: »Bist du es endlich, liebster Euryalus?« – Eine dunkle Röte übergoß ihre Wangen, sie schloß ihn enger in ihre Arme und drückte einen langen, brennenden Kuß auf seine Stirn. Dann fuhr sie fort: »In welche Gefahr hast du dich um meinetwillen begeben! Jetzt weiß ich, daß ich dir die Liebste bin. Jetzt hab' ich deine Liebe zu mir versucht und bewährt erfunden; aber auch du sollst dich nicht in mir täuschen. Der Himmel wolle unsere Liebe zum besten fügen und ihr einen glücklichen Ausgang geben! Solange dieser Geist meine Glieder beseelt, gehöre ich keinem Menschen als dir. Mein Mann ist mir wider meinen Willen gegeben, und mein Gemüt weiß nichts von ihm. Wohlan, meine Wollust und Freude, wirf dies grobe Gewand, die Stricke von dir und laß mich meinen Euryalus sehen.« Schon strahlte Euryalus in Purpur und Gold vor ihren Augen, als Josias an der Tür rief: »Seht euch vor, ihr Liebenden. Menelaus kommt mit raschen Schritten hierher, ich weiß nicht, was er sucht. Behelft euch schnell, auf daß er getäuscht werde, das Zimmer verlassen könnt ihr nicht mehr.« »Es ist ein heimliches Behältnis unter diesem Bette«, sprach Lucrezia, »es sind kostbare Sachen darin aufbewahrt. Verbirg dich darin, du bist in der Finsternis sicher vor meinem Manne; aber hüte dich, daß du dich nicht rührst und keinen Laut von dir gibst.« Euryalus war anfangs zweifelhaft, was er tun solle. Doch befolgte er das Gebot der Frau, die die Tür aufschloß und an ihre Arbeit ging.
Menelaus trat mit einem Freunde, namens Bertus, in ihr Gemach und suchte einige öffentliche Urkunden. Als er solche weder in Schreinen noch in Truhen fand, sagte er: »Vielleicht liegen sie dort in unserem verborgenen Fache, bring ein Licht her, Lucrezia, damit ich suchen kann!« Euryalus erschrak darob bis auf den Tod und mißtraute schon innerlich Lucrezien, indem er dachte: Weh, mir Toren! Was anderes als mein Leichtsinn führte mich hierher. Jetzt werd' ich ergriffen, jetzt büße ich meine Ehre und des Kaisers Gnade ein. Was sag' ich von Ehre und Gnade! Wollte Gott, ich trüge das Leben davon! Wer zieht mich lebendig hier heraus? Der Tod ist mir gewiß. O ich eitelster und größter aller Narren! In diesen Jammer hab' ich mich freiwillig gestürzt. Was sind die Freuden dieser Liebe, so teuer erkauft? Eine kurze Wollust für den allerlängsten Schmerz! Belüden wir uns noch damit um das Himmelreich! Aber wunderbar ist des Menschen Einfalt. Die kürzeste Mühe wollen wir nicht um der längsten Freuden willen erdulden. Und in der Liebe, deren Freuden mit Rauch zu vergleichen sind, nehmen wir freiwillig tausendfältige Angst und Sorgen auf uns. Jetzt werd' ich bald selbst eine Warnung und ein Gerede aller Menschen sein und weiß nicht, welchen Ausgang es mit mir nimmt. Hilft mir der Himmel über diese Gefahr hinweg, so sollen mich der Liebe Schlingen nimmer wieder fangen. O Gott, erlöse mich diesmal! Schone meiner Jugend, miß mir nicht meine Unwissenheit bei, friste mir mein Leben, daß ich meine Sünden beichten und büßen mag. Lucrezia hat mich nicht liebgehabt, sie hat mich wie einen Hirsch im Netze gefangen. Meine Stunde ist gekommen, niemand kann mir helfen als du, mein Gott. Ich habe oft von trügerischen Weibern gehört und mich doch nicht vor ihnen zu bewahren gewußt; komme ich aber jetzt davon, so soll mich keine Frauenlist je wieder täuschen!
Von nicht minderer Angst bedrückt, fürchtete Lucrezia für ihres Liebsten Heil, wie für ihr eigenes. In drängender Not immer behender als die männliche, erdachte die weibliche Klugheit indessen auch jetzt Hilfe zur rechten Zeit und gab Lucrezien die Worte ein: »Es ist ein Kästchen auf dem Fensterbrett, Menelaus. Erinnere ich mich recht, so bargst du einst Briefe darin. Laß sehen, ob es die rechten sind.« Sie lief nach dem Fenster, um das Kästlein zu holen, stieß es aber unbemerkt in die Gasse so hinab, daß es durch Zufall zu fallen schien, und rief: »Oh, eile, Mann, daß wir nicht Schaden erleiden, das Kästlein ist zum Fenster hinuntergefallen. Eile, sonst büßen wir unsere Kleinodien und Briefe ein. Lauft, lauft beide hinunter, was steht ihr? Ich will es von hier oben im Auge behalten, damit es nicht fortgetragen wird.«
Wie nun schwerlich irgendein Mann so hell sehen mag, daß er nicht von Weiberlist betrogen würde, und wie der allein nie betrogen worden ist, den sein Weib nie zu betrügen versucht hat, so verdanken wir unser Glück überhaupt öfter dem Zufall als unserer Vernunft.
Und so liefen jetzt Menelaus und Bertus aus dem nach toskanischer Bauart sehr hohen Hause auf die Gasse hinab, wodurch sie Euryalus zur Vertauschung seines alten Versteckes mit einem neuen, nach Lucreziens Anweisung, Zeit und Weile ließen. Sie fanden, indem sie die einzelnen Schriften und Kostbarkeiten mühsam und sorgfältig zusammenlasen, nicht, wessen sie benötigten, und begaben sie sich daher zu dem Behältnis, worin Euryalus gewesen war, holten das Fehlende daraus hervor und entfernten sich. Lucrezia flüsterte, nachdem sie den Riegel vor die Tür geschoben hatte: »Komm hervor, mein Euryalus, mein Glück, meine Sonne, jetzt sind wir sicher, komm hervor! Das Glück wollte unserer Sehnsucht widerwärtig sein, aber unsere inbrünstigen Gefühle haben es gerührt. Komm an meine Brust! Du hast nichts mehr zu fürchten; was zauderst du, deine Lucrezia zu umarmen? Hier bin ich, komm!«
Euryalus überwand allgemach seinen Schrecken und kam hervor. Er umarmte seine Geliebte und sprach: »Eine so furchtbare Pein habe ich noch nie überstanden; aber du bist wert, daß ich sie um deinetwillen litt. Wer möchte auch so süßer Küsse und Umarmungen umsonst sich freuen! Ich habe dies köstliche Gut noch nicht teuer genug erkauft. Ja, ich wollte tausendmal sterben, könnte ich nach meinem Tode wiederum aufleben und dich um diesen Preis genießen. O mein Glück, o meine Seligkeit! Träume ich, dich zu sehen, oder sehe ich dich wirklich? Du bist es wirklich. Ich habe dich!«
Lucrezia war mit einem dünnen Gewande bekleidet, das glatt und faltenlos ihren Gliedern anlag und alle Formen zu erkennen gab, wie die Natur sie schuf. Schneeweiß war ihr Hals, ihre Augen glänzten wie das Licht des Morgensterns, ihr Antlitz verklärte Heiterkeit, auf ihren Wangen blühten Rosen und Lilien, das Lächeln ihres Mundes übertraf den Frühling an Lieblichkeit, ihre vollen Brüste schwollen zu beiden Seiten üppig empor wie zwei Granatäpfel, sehnsüchtige Lust erweckend und atmend.
Euryalus riß die Geliebte glühend an sich und vergaß alle Scheu und Mäßigung. Sie widerstand ihm zwar und sagte: Es gebühre ihr die Sorge um ihre Ehre und um ihren Ruf, ihre Liebe begehre nichts als Küsse und freundliche Worte. Euryalus antwortete ihr aber: »Entweder weiß man es, daß ich zu dir gekommen bin, oder man weiß es nicht. Weiß man es, so argwöhnt man auch das übrige von uns, und es ist töricht, Schande auf sich zu laden, die man nicht verdient; weiß man es nicht, so erfährt man auch dieses nicht. Es ist ein Pfand der Liebe, und ich wollte eher sterben, als daß ich seiner ermangelte.« – »Ach!« sprach Lucrezia: »Es ist Sünde.« »Es ist Sünde«, erwiderte Euryalus, »nicht zu genießen, was man genießen kann. Soll ich die so lange ersehnte Gelegenheit, nun ich sie habe, verlieren?«
Hinterließ ihnen auch der Genuß ihrer Liebe keine Ersättigung, sondern desto heißeren Durst, so gedachte doch Euryalus der drohenden Gefahr, schied, nachdem er sich mit Wein und Speise ein wenig gestärkt, von der widerstrebenden Lucrezia und ward von jedermann im Hause abermals für einen Kornträger angesehen. Er besorgte, unterwegs in seiner Verkleidung erkannt zu werden, und hatte besonders vor dem Lucrezien selbst liebenden Kaiser Scheu, der ihn gewiß zum Gespötte des Hofes machen würde, wenn er ihm nicht gar seine Gnade entzöge und diejenige sein Zorn träfe, der er sein Glück und sein Leben schuldig war. Er erwog dies aber noch bei sich, als er unerkannt an Nisus vorüberging. Was er nach Ablegung seiner Verkleidung seinem Getreuen zu Hause von dem Geschehenen erzählte, rief ihm zwar zu seinem erneuten Entsetzen frisch und lebhaft alle Gefahren in das Gedächtnis zurück, die ihn bei Verrat oder Entdeckung, durch eine glückliche oder unglückliche Verteidigung hätten treffen müssen. Er erkannte aber auch von neuem Lucreziens Klugheit und Treue, und die Vorstellung ihrer Reize ermutigte ihn zu neuen, unbedenklichen Wagnissen. »Oh«, rief er vor Entzücken aus, »wann wird meine Hand wieder diese zarten Brüste fühlen, wann schau' ich wieder in diese sanften Augen, wann vernehme ich wieder diesen süßen Mund! O ihr marmornen, üppigschwellenden Glieder, wann schmiege ich mich wieder an euch! Wann beiße ich wieder in diese korallenen Lippen? Wann empfinde ich diese bewegliche, schmeichelnde Zunge wieder in meinem Munde!«
Lucrezia lebte unterdes ebenso in dem Andenken jener Stunde, aber ihre Wonne war nicht so grenzenlos, weil sie dieselbe gezwungen in sich selbst verschloß, und Scham wie Furcht ihr nicht gestatteten, sich irgend jemandem, auch Josias nicht, anzuvertrauen.
Zu der Zeit begab es sich, daß ein ungarischer Edelmann aus dem Gefolge des Kaisers, namens Pacorus, Lucrezien zu lieben und, weil er selbst wohlgestaltet war, zu hoffen begann, er werde von ihr wiedergeliebt, und nur ihre weibliche Schamhaftigkeit verzögere sein Glück. Die auch von Lucrezien befolgte Sitte unserer Frauen, jedermann freundlich anzusehen (eine Kunst oder vielmehr List, um die wirkliche Liebe zu verbergen), trug dazu bei, daß er vollends von Sinnen kam und nicht ruhen wollte, bis ihm ihr Gemüt offenbar geworden sei.
Die Frauen von Siena sind gewohnt, das am ersten Meilenstein gelegene Kirchlein der hochgelobten Jungfrau Maria, Bethlehem genannt, oft zu besuchen. Dahin ging Lucrezia mit zwei Jungfrauen und einem alten Weibe, und der Edelmann folgte ihr, in der Hand eine Viole mit vergoldeten Blättern haltend, in deren Stiel ein auf Jungfrauenpergament geschriebener Liebesbrief verborgen war. Er bot mit höflicher Rede Lucrezien die Blume an, die sie trotz seines dringenden Bittens anfänglich nicht empfangen wollte und, als ihr endlich auch das alte Weib zuredete, sich das Geschenk zwar gefallen ließ, ein wenig fürbaß gegangen es aber einer der Jungfrauen gab, die sich desselben bald an zwei ihnen begegnende Studenten auf deren Bitten entäußerte.
Das Volk der Studenten war den sienesischen Frauen zuvor lieb und angenehm gewesen. Doch wie des Kaisers Hof nach Siena kam, wurde es nach und nach verspottet, verachtet und verhaßt, weil denselben Frauen das Geräusch der Waffen lieblicher vorkam als die Anmut der Wissenschaft. Hieraus entstand großer Neid und gewaltige Zwistigkeit, und die langen Mäntel suchten überall den reisigen kurzen Röcken Schaden anzutun. Die beiden Studenten hatten auch nicht so bald die Blume aufgemacht und den Liebesbrief entdeckt, als sie ihn zu Menelaus trugen, der ihn mit Ärger las und gegen seine Hausfrau flugs in zorniges Geschrei ausbrach. Lucrezia leugnete zwar ihre Schuld und erzählte den Vorgang der Sache, indem sie sich auf das Zeugnis der Jungfrauen und des alten Weibes berief. Es ward von Menelaus beim Kaiser gegen den Ungarn Klage geführt, der seine Kühnheit eingestand und, um Vergebung zu erlangen, eidlich versprach, in Zukunft nimmermehr Lucrezien nachzustellen, wiewohl er die unfruchtbare Flamme seiner Liebe heimlich nur desto wilder anwachsen ließ.
Es kam der Winter heran. Seine rauhen Stürme zogen über das Land, vom Himmel fiel Schnee, und die ganze Stadt geriet darob in Freuden und Munterkeit. Die Frauen warfen den Schnee in die Gassen, die Jünglinge hinwieder in die Fenster hinauf. Und hieraus erwuchs dem Ungarn die Gelegenheit, einen anderen Brief, mit Wachs umgeben, das er mit Schnee umballte, Lucrezien in das Fenster zu werfen. Das launische Glück wollte ihm freilich diesmal so wenig wie das erstemal wohl, denn der Schneeball fiel an einem Feuer nieder, das ihn zerschmolz und das Wachs zergehen ließ, so daß der Brief einigen sich dort wärmenden alten Weibern und dem anwesenden Menelaus sichtbar ward, dessen auf ihn gegründeter Klage der Edelmann nicht mehr mit einer Entschuldigung, sondern mit seiner Flucht aus Siena begegnete.
Wesentlichen Gewinn zog aus dieser erfolglosen Liebe Euryalus, denn während Menelaus alle Schritte und Handlungen des Ungarn beobachtete, gab er dem Deutschen die Möglichkeit, seine Nachstellungen fortzusetzen. Er wie Lucrezia trachteten eifrig nach wiederholten heimlichen Zusammenkünften. Es war zwischen Lucreziens und dem Nachbarhause, wie gesagt, ein schmaler Graben, aus dem man, wenn man sich mit den Füßen gegen beide Mauern stemmte, ohne allzu große Schwierigkeit zu Lucreziens Fenster, allerdings nur des Nachts, emporklimmen konnte. Menelaus wollte nun eines Tages auf ein Landgut reisen und über Nacht ausbleiben. Die Liebenden erwarteten diesen Tag wie ein Freudenfest. Der Ehemann begab sich wirklich auf den Weg, und Euryalus schlich verkleidet zu dem Graben, an dem Menelaus einen Stall hatte, und barg sich nach Josias' Anweisung bis zu völligem Einbruche der Nacht in demselben unter dem Heu. Da kam Dromo, Menelaus' zweiter Diener, der die Pferde zu versorgen hatte, und nahm, um die Krippe zu füllen, von Euryalus' Seite Heu hinweg. Er würde fortgefahren haben, dies zu tun, und hätte den gefährdeten Liebhaber gewiß mit der Gabel durchstochen, wäre Josias nicht rasch hinzugeeilt und hätte zu ihm gesprochen: »Laß mich den Pferden das Futter geben, lieber Bruder, sieh du indes zu, daß uns etwas zum Abendessen zurechtgemacht wird. Wir haben es am besten, wenn der Herr nicht zu Hause ist. Die Frau ist immer freundlich und freigebig mit uns, er immer voller Zorn und Geschrei, geizig und mißmutig, so daß uns zu keiner Zeit wohl wird, solange er zugegen ist. Merkst du nicht, mit wie kargem Maße er unsere Bäuche straft? Wie er selbst Hunger leidet, um uns nur mit Hunger zu peinigen? Wie er uns schimmliges Schwarzbrot essen läßt? Abends übrigbleibende Welse und gesalzene Aale uns noch einmal vorsetzt? Oder die Schnittlauchblätter zählt und mißt? Unselig, wer da im Leben darbt, um im Tode erst reich zu sein! Wieviel besser ist nicht unsere Frau, die uns Kalbfleisch und junge Böcklein, Hühner und Krammetsvögel zu essen, des besten Weins genügsam zu trinken gibt! Achte du darauf, daß uns eine fette Küche zubereitet wird.« »Das will ich wohl tun«, sprach der andere, »ich mache lieber den Tisch als die Pferde rein. Ich habe den Herrn heute aufs Land gebracht. Daß es ihm doch nimmer glücke! Nicht ein Wort redete er mit mir! Zur Vesperzeit erst, da er mich heim zu den Pferden schickte, ließ er der Frau noch einmal sagen, er käme nicht zu Nacht zurück. Ich lobe dich, Josias, daß du doch auch am Ende nichts mehr von dem Herrn wissen magst. Ich wäre schon längst aus dem Dienst gegangen, hielte mich die Frau nicht mit ihren Morgensüppchen fest. Laß uns heute nacht einmal den Schlaf durch den Bauch stechen und schlucken und trinken, bis der Tag anbricht. Der Herr soll in einem ganzen Monat nicht so viel ergeizen können, als wir in einer Nacht durch die Gurgel jagen wollen!« –
Euryalus hörte das gern, ob er wohl schon wußte, seine Leute machten es in seiner Abwesenheit ebenso. Wie der Pferdeknecht fortgegangen war, kroch er aus dem Heu und sagte: »Oh, welche selige Nacht kann ich mit deiner Hilfe haben, Josias, der du mich schon so weit geführt, so redlich verborgen und behütet hast. Ich habe dich verdientermaßen lieb, du guter Mann, und will dir gewiß dankbar sein.«
Die anberaumte Stunde war da, und der erst zwei großen Gefahren entronnene Euryalus stieg rüstig die Mauer empor, durch das offenstehende Fenster zu Lucrezien, die an der Feuerstätte seiner mit gut zubereiteten Speisen harrte und ihn mit offenen Armen empfing. Mit gespannten Segeln geht es Venus zu, und die von der Fahrt müde Cythere erfrischte bald Ceres, bald Bacchus. Doch wie kurz sind die Wollüste, wie lang die Ängste dieser Welt! Euryalus hatte kaum eine frohe Stunde bei ihr gehabt, als Josias eintrat und, Menelaus' Rückkehr verkündend, die Freude störte. Derweil Euryalus nun mit dem Gedanken, schnell zu entrinnen, umging, verbarg Lucrezia Speisen und Wein und eilte ihrem Manne bewillkommend entgegen, den sie in der Halle, worin das Hausgesinde aß, mit der Einladung zum Nachtmahl und mit Fragen über sein langes Ausbleiben zurückzuhalten suchte. Menelaus hatte schon auf dem Lande zu Nacht gegessen und drängte ermüdet nach dem Schlafgemach. Sie schalt aber auf ihn: »Ich merke, du hast mich wenig lieb, sonst hättest du nicht ohne mich gespeist. Ich aß und trank heute nicht, solange ich allein zu Hause war. Die Meier von Rosalia brachten unterdes Trebianer Wein. Ich kostete ihn auch aus Mißvergnügen nicht. Wenn es dir recht wäre, könnten wir aber jetzt noch in den Keller gehen und versuchen, ob er so gut ist, wie sie sagen.« – Ohne seine Antwort abzuwarten, nahm sie zu gleicher Zeit eine Laterne in die rechte, ihren Mann bei der linken Hand und ging nach dem untersten Keller, wo sie so lange bald aus diesem, bald aus jenem Fasse mit ihm trank und kostete, bis sie gewiß sein konnte, Euryalus, der in später Nacht heimkam, müsse entronnen sein.
Des anderen Tages, ob es nun der Sicherheit wegen oder aus bösem Argwohn geschah, ließ Menelaus das Fenster zumauern. Wahrscheinlich hatte er die Bequemlichkeit desselben zu Liebeshändeln eingesehen und wollte, wie denn die sienesischen Bürger in solchen Dingen allgemein argwöhnisch sind, seine Hausfrau vor den, wie er wohl wußte, sie allerwärts bedrohenden Versuchungen hüten. Ist doch das weibliche Geschlecht nach Abwechslung lüstern und liebt selten den Mann, der ihm stets zu Gebote steht. Indem er also in Anbetracht der Unbeständigkeit des weiblichen Gemütes, das so mannigfalten Willen wie ein Baum Blätter hat, mit Bedachtsamkeit seinem Unglück entgegentrat, beraubte er sein Weib nicht nur der Gelegenheit, mit Euryalus wieder einen Augenblick zuzubringen, sondern auch des ferneren Verkehrs mit ihm, weil auf seine Veranstaltung von dem Rate der Stadt auch der Weinschenk vertrieben ward, aus dessen Hause Euryalus gewohnt war, Lucrezien zu sprechen und Briefe zuzuwerfen. Es blieb den Liebenden nur der einzige Trost, sich zu sehen und durch Winke zu verständigen, obgleich ihnen auch diese Liebe aus der Ferne, bei den tödlichen Schmerzen und Qualen ihrer Sehnsucht nach einander, keine Freude gab.
Da nun Euryalus angstvoll in sich erwog, wo er Trost finden möge, gedachte er des Rates Lucreziens, sich Menelaus' Vetter, Pandalus, zu vertrauen. Er ahmte die erfahrenen Ärzte nach, die in gefährlichen Krankheiten lieber ein zweifelhaftes Mittel anwenden und das Äußerste wagen und versuchen, als daß sie den Kranken ohne weitere Fürsorge aufgeben. Was er anfänglich abgelehnt hatte, beschloß er jetzt zu tun. Um Hilfe bei ihm zu suchen, ließ er Pandalus in sein innerstes Gemach zu sich kommen und sagte zu ihm: »Setz' dich nieder, Freund, ich will dir eine Sache anvertrauen, in der ich solcher Eigenschaften von dir bedarf, wie sie, wie ich wohl weiß, in dir sind, ich meine Treue, Eifer und Verschwiegenheit. Ich wollte dich schon vor langer Zeit in mein Geheimnis ziehen, aber ich kannte dich damals noch nicht ganz. Jetzt kenne ich deine Redlichkeit und liebe dich; wüßte ich aber sonst auch nichts Gutes von dir, so achte ich dich schon deshalb, weil alle deine Mitbürger dich loben, und weil meine Gefährten, mit denen du Freundschaft geschlossen hast, mich von deiner Tugend unterrichteten. Bist du also meiner Gunst ebenso würdig, wie ich es der deinigen zu sein glaube, so laß mich dir mit wenigen Worten, wie unter Freunden, sagen, was ich von dir will. Du weißt, wie schnell die sterblichen Menschen unwillkürlich von der Liebe entzündet werden, sie mag eine Tugend oder ein Laster sein, und wie es eben eine Eigenschaft und die Natur des in Liebe entzündeten Herzens ist, daß es desto heftiger brennt, je größere Hindernisse ihm entgegenstehen, und daß ihm durch kein anderes Mittel geholfen werden kann als durch den vollen Besitz des geliebten Gegenstandes. Es sind da viele Männer und Frauen zu unseren und unserer Altvorderen Zeiten und Gedächtnis gewesen, denen verbotene Liebe die Ursache des härtesten Todes ward. Hinwiederum haben wir viele gekannt, die der ihnen gewährte Genuß von der Raserei der Leidenschaft befreite. Es ist gewiß nichts geratener, als dem Ungestüm der Liebe nachzugeben, sobald sie einmal das innerste Mark durchdrang, wohingegen der wider Wind und Wellen Fahrende oft schiffbrüchig wird. Ich sage dies, Pandalus, um dir zu wissen zu tun, daß ich Lucrezia liebe, was nicht mein, sondern des die Welt beherrschenden Schicksals Wille ist. Mir waren eure Sitten und die Gewohnheiten eurer Stadt unbekannt. Ich wähnte, eure Frauen fühlten in den Herzen, was ihre Augen verkündeten, aber sie reizen und locken die Männer an und lieben sie nicht. Darin betrog ich mich, daß ich von Lucrezien geliebt zu werden hoffte, weil sie mich mit lieblichen, wohlgefälligen Augen ansah, und daß ich sie wiederzulieben begann, um eine so der Liebe würdige Frau nicht unvergolten lieben zu sehen. Damals kannte ich weder dich noch dein Geschlecht. Ich liebte, weil ich wähnte, geliebt zu werden, und weil der da geliebt würde, ohne wiederzulieben, von Stein und Eisen sein müßte. Nachdem ich aber meine Täuschung erkannte und mich im Garne fand, befliß ich mich mit allen möglichen Künsten, Lucrezien auch ihrerseits zu entzünden, deren Angedenken mich, zu meiner Scham und zu meinem Kummer, Tag und Nacht peinigte und mich keinen Weg aus mir selbst heraus finden ließ. Meine Beharrlichkeit lohnte der Erfolg, daß wir jetzt beide gleich heftig füreinander glühen. Doch müssen wir beide sterben, weil wir kein Mittel sehen, unser Leben zu verlängern, wenn du uns deinen Beistand gegen Mann und Bruder nicht verleihst. Ich kenn' euer Geschlecht und weiß, daß es zu den edelsten und vornehmsten, zu den reichsten und mächtigsten dieser Stadt gehört. Wollte Gott, ich hätte diese Frau nie gesehen! Aber wer kann dem Schicksal widerstehen! Ich habe mir diese Liebe nicht gegeben, sondern das Schicksal gab sie mir. So steht die Sache. Unsere Liebe ist verborgen und geheim. Wird sie aber nicht wohl geleitet, und verhütet es der Himmel nicht, so geht ein großes Unglück aus ihr hervor. Ich könnte mich vielleicht bezähmen, wenn ich von hinnen ritte, wiewohl es mir das allerschwerste Opfer wäre, und brächte es um euretwillen gern; aber ich kenne die Leidenschaftlichkeit Lucreziens und weiß, daß sie mir entweder folgte oder, wenn sie gezwungen hierbleiben müßte, sich selbst, zum ewigen Schimpf eures Hauses, tötete. Ich habe dich zu mir berufen, weil es unsere gemeinschaftliche Sache ist, diesem Übel zu steuern, und weil es keine andere Hilfe gibt, als daß du der Beschützer unserer Liebe und der Hüter des verborgenen Feuers wirst. Darum bitte ich dich, schaffe, daß wir zusammenkommen. Du kennst die Zugänge des Hauses, du weißt, wann der Mann ausgegangen ist, auf welche Weise du mich zu ihr führen kannst. Auf des Mannes Bruder muß man achthaben; denn der behütet Lucrezien an Menelaus' Statt und beobachtet ihre Worte, Gebärden und Seufzer, ihr Husten, Räuspern und Lachen. Auch ihn täuschen wir schwer ohne dich, doch leicht mit dir, weil er dir vertraut und dich gewiß vor allen anderen zu Lucreziens Hüter bestellt, so oft er mit Menelaus zugleich verhindert ist, in ihrer Nähe zu sein. Führst du mich zuweilen zu ihr, wenn alles im Hause schläft, so ist alles gut, und du errettest nicht allein die Ehre deines Geschlechtes, die, wenn unsere Liebe bekannt würde, dauernden Schaden erlitte, sondern auch das Leben deiner Muhme, und Menelaus' Glück, der durch eine mir vergönnte, niemand bewußte Nacht nicht soviel verliert als durch den öffentlichen Schimpf, der ihn treffen würde, entliefe ihm seine Ehefrau. Vielleicht möchte einer sprechen, ob es nicht besser wäre, die Frau mit dem Schwerte oder mit Gift zu töten, ehe sie solches tut. Aber wehe dem, der sich mit menschlichem Blute befleckt und eine mindere Sünde durch eine größere verhüten will. Gefahren drohen uns allerwärts; aber es ist soweit mit uns gekommen, daß uns keine Wahl mehr bleibt, ob wir dies oder jenes tun. Stehst du mir jetzt mit Rat und Tat bei, so will ich dir nicht undankbar sein. Du weißt, wieviel ich bei dem Kaiser vermag. Was du begehrst, richte ich dir bei ihm aus. Vor allen Dingen verheiße ich dir, mit meinem Ehrenwort, daß du zum Pfalzgrafen erhoben werden sollst, und daß deine Nachkommenschaft diesen Titel genießen wird. Ich empfehle dir Lucrezien, unsere Liebe und Ehre und dein und dieses Hauses Wohl. Es beruht alles auf dir. Siehe zu, was du tust. Du vermagst alles zu erhalten oder alles zu verderben.«
Pandalus lächelte, wie er diese Rede angehört hatte, und sagte nach einer kleinen Weile: »Ich habe dies alles längst gemerkt, Euryalus, und wünschte, es wäre nicht geschehen. Die Dinge sind aber, wie du selber meinst, dahin gekommen, daß ich wohl oder übel tun muß, was du von mir begehrst, wenn ich nicht über unser Geschlecht Schande bringen und ein großes Ärgernis geben will. Auch Lucrezia hat mir ihre Liebe eröffnet, und ich weiß, daß sie sich nicht mehr bezwingen kann, sondern sich mit einem Messer oder einem Sprung aus dem Fenster, wenn ich ihr nicht zu Hilfe komme, töten wird, weil ihre Ehre und ihr Leben ihr nichts mehr gelten. Ich habe ihr umsonst widerstanden, sie gescholten und ihrer Leidenschaft Einhalt zu tun versucht. Du füllst allzeit und allein ihre Seele aus, dein begehrt sie, nach dir verlangt sie, nur dein gedenkt sie. Sie ist also durch die Liebe verwandelt, daß sie sich nicht mehr ähnlich sieht. Ach! Es gab vorher kein keuscheres und weiseres Weib in unserer Stadt als Lucrezien. Es ist ein wunderbares Ding, daß die Natur der Liebe so große Gewalt über des Menschen Herz gegeben hat. Eine solche Krankheit muß gehoben werden, gibt es auch keine andere Art der Heilung, als du nennst. Ich will das Werk auf mich nehmen und dir kundtun, wenn die Zeit gekommen ist. Dank und Lohn verlange ich von dir nicht, denn es geziemt ehrenhaften Männern nicht, Dank für Dinge zu empfangen, womit sie sich kein Verdienst erworben. Ich tue es, um unser edles Haus vor Schimpf und Schande zu bewahren, und du brauchst mich nicht liebzuhaben, weil dir Nutzen daraus entsteht.«
Hierauf erwiderte Euryalus: »Dem sei, wie ihm wolle, so weiß ich dir dafür Dank, und will darauf achten, daß du zum Grafen gemacht werdest, gesetzt, du verschmähst diese Würde nicht.«
»Ich verschmähe sie nicht«, sprach Pandalus. »Aber ich will nicht, daß sie hieraus gekommen sei. Soll sie mir werden, so komme sie mir von freien Stücken zu. Ich stelle keine Bedingung. Hätte ich, ohne daß du gewußt, daß es durch meinen Beistand geschehen, dich zu Lucrezien bringen können, so wäre es mir lieber gewesen. Gott behüte dich!«
»Gehab' dich wohl«, sagte Euryalus, »du hast mir den Mut wiedergegeben. Erdenke, tu, erfinde, damit wir bald beisammen sind!«
Vergnügt und fröhlich schied Pandalus von ihm, einesteils, weil er die Gunst eines so vornehmen Mannes erworben hatte, anderenteils, weil er sich schon zu der Pfalzgrafenwürde erhoben sah, wonach er um so größere Begierde trug, je geringere er Euryalus blicken ließ.
Wenige Tage nach dieser Zusammenkunft entstand auf dem Lande unter Menelaus' Leuten ein großer Streit, in dem etliche, die mehr als genug getrunken hatten, vom Leben zum Tode gebracht wurden. Die Notwendigkeit verlangte, daß Menelaus an Ort und Stelle selbst gegenwärtig sei, um den verworrenen Handel zu schlichten. Und so traf Pandalus mit dem sehnsuchtsvollen Euryalus die Verabredung, zur fünften Stunde der Nacht in Menelaus' Gasse zu harren, bis er ihn singen höre. Menelaus ritt hinweg. Vom Himmel senkte sich die Finsternis der Nacht hernieder. Lucrezia wartete in ihrer Kammer ungeduldig der bestimmten Zeit, und Euryalus vor ihrer Tür umsonst des verabredeten Zeichens. Schon war die Stunde vorüber, und Euryalus' Diener riet seinem Herrn, hinwegzugehen, weil er Verrat fürchtete. Dem Liebenden fiel aber das Scheiden so schwer, daß er bald aus dieser, bald aus jener Ursache blieb. Pandalus aber sang nicht, weil Menelaus' Bruder nicht das Haus verließ und in allen Winkeln und Zugängen, aus Furcht vor Veruntreuungen, zu schaffen fand, bis jener zuletzt ungeduldig zu ihm sagte: »Wollen wir denn in dieser Nacht nicht schlafen gehen? Es ist jetzt weit über Mitternacht hinaus, und mich bedrückt schwere Müdigkeit. Ich bewundere dich, der du jung bist, daß du doch eine Natur hast wie die alten Leute, denen ihres Körpers Trockenheit den Schlaf benimmt und kaum, wenn der Schlaf anbrechen will, und der Himmelswagen sich nach Norden kehrt, die Augen zuzutun gestattet. Laß uns endlich einmal zu Bette gehen! Wozu die unnütze Wachsamkeit?« »Gehen wir denn«, sprach Agamemnon, »weil es dir gut bedünkt. Vorher aber laß uns die Türen des Hauses nachsehen, ob sie genugsam verschlossen und nicht von den Dieben zu öffnen sind!«
Als er zu der Haustür kam und Schloß und Riegel besichtigte, nahm er eine schwere Eisenspange wahr, die kaum zwei Männer heben konnten, und die zuweilen quer vor die Tür gelegt ward. Er bemühte sich eine Weile vergebens, sie allein in die Höhe zu bringen, und sprach dann zu Pandalus: »Hilf mir noch dies Eisen vor die Tür bringen, Pandalus, dann wollen wir ruhig schlafen gehen.« – Euryalus hörte ihn und dachte schon bei sich: Wird dieses Eisen vorgelegt, so ist es um mich geschehen. – Pandalus entgegnete aber: »Was treibst du da, Agamemnon? Tust du doch wahrlich, als wolle man das Haus belagern! Sind wir nicht sicher genug in der Stadt? Hier haben wir alle dieselbe Freiheit und Ruhe. Sind nicht die Florentiner, unsere Feinde, mit denen wir Krieg führen, fern und weit? Fürchtest du nur Diebe, so ist es genug verwahrt; fürchtest du die Feinde, so beschirmt dich kein Eisen und kein Stein in diesem Hause. Ich will mich nicht noch in später Nacht mit der Bürde beladen. Mir tun meine Schultern weh, und ich bin ungeschickt, schwere Lasten zu heben, wie du weißt, hebe du sie für dich allein oder laß es bleiben.« – »Nun, so mag es gut sein«, sprach Agamemnon und ging schlafen.
»Eine Stunde will ich noch hierbleiben,« sagte Euryalus leise, weil er dies vernahm, »vielleicht wird mir dennoch aufgetan.« Seinen Diener verdroß das Warten baß, und er verwünschte heimlich den verliebten Herrn, der ihm seinen Schlaf vorenthielt. Es währte hierauf nicht lange, so ward Lucrezia, ein Lichtlein in ihrer Hand tragend, durch einen Spalt gesehen. Euryalus drückte sein Gesicht gegen die Tür und sprach: »Gott grüße dich, meine Seele, Lucrezia!« Sie wollte erschrocken im ersten Augenblick fliehen, fragte aber dann besonnen: »Wer bist du, Mann?« »Dein Euryalus«, antwortete er: »Schließ auf, mein Herz, ich warte dein schon die halbe Nacht.« Lucrezia erkannte die Stimme, wagte aber nicht eher, aus Besorgnis eines Betruges, aufzutun, als bis er ihr ein heimliches, nur ihnen bekanntes Zeichen gab. Sie löste nun mit großer Anstrengung die Schlösser ab; weil aber gar zu vieles, für eine weibliche Hand zu schwer zu hebendes Eisenwerk die Tür verriegelte, so ward es ihr kaum möglich, sie einen halben Schuh weit aufzuziehen. »Das soll nicht hindern«, sagte Euryalus, indem er seine rechte Seite vorschob und sich zu ihr ins Haus drängte. Der Diener blieb, seiner gewärtig, draußen stehen; Lucrezia aber ward in Euryalus' Armen, ob aus Freude oder aus Furcht, ohnmächtig und lag stumm und mit geschlossenen Augen wie eine Tote da, nur daß ihr Puls noch schlug und die Wärme nicht aus ihrem Körper wich.
Der bestürzte Euryalus wußte nicht, was er in dieser unerwarteten Not beginnen solle, und sprach bei sich selbst: »Gehe ich hinweg und verlasse sie in dieser großen Gefahr, so bin ich an ihrem Tode schuld. Bleibe ich, so kommt Agamemnon oder das Hausgesinde herzu und gibt mir den Tod. Oh, du unselige Liebe! Wieviel mehr der Galle als des Honigs hast du in dir. Es gibt nichts Herberes und nichts Bittreres, als du bist. Wie vielen Gefahren hast du mich schon unterworfen! Wie oft hast du meinem Haupte nicht mit dem Tode gedroht! Jetzt bleibt dir nur übrig, daß du dies Weib in meinen Armen sterben läßt. Wehe mir! Warum tötest du nicht lieber mich? Wieviel wünschenswerter wäre mir der Tod in ihrem Schoße, als daß ich sie in dem meinen tot erblicken muß!«
Die Liebe bestimmte den Mann, daß er der Sorge für sein eigenes Heil uneingedenk bei dem geliebten Weibe blieb, deren von seinen Tränen nassen Körper er höher zu sich emporzog, indem er, ihn mit seinen Küssen bedeckend, sprach: »Weh! Lucrezia, wo bist du in dieser weiten Welt? Warum hörst du mich nicht? Warum antwortest du nicht? öffne deine Augen, ich beschwöre dich, und sieh mich an, lächle mir wie sonst. Ich, dein Euryalus, bin hier und umfange dich, mein Herzblut. Warum küssest du mich nicht wiederum? Bist du tot oder schläfst du? Wo such' ich dich? Wolltest du sterben, warum sagtest du mir es nicht zuvor, daß ich mich mit dir tötete? Es sei denn, daß du mich hörest, so soll jetzt dies Schwert meine Seite öffnen, auf daß ich gemeinsam mit dir sterbe. Oh! du mein süßes Leben, mein Glück, meine Hoffnung und Ruhe! Soll ich dich verlieren, Lucrezia? Ach, tue deine Augen auf, erhebe dein Haupt. Ich sehe, du bist noch nicht tot, du bist noch warm, du atmest noch. Warum redest du nicht mit mir? Empfängst du mich also? Beriefest du mich zu solchen Freuden? Gibst du mir eine solche Nacht?« –
Unter diesen Reden floß ein so reicher Tränenstrom aus Euryalus' Augen auf Lucreziens Schläfe und Stirn, daß sie wie durch Rosenwasser erquickt ward und wie aus schwerem Traum erwachend aufstand und beim Anblick ihres Liebhabers sprach: »Weh mir, Euryalus! Wo bin ich gewesen? Warum hast du mich nicht lieber sterben lassen? Ich Arme wäre selig unter deinen Händen verschieden, ehe du mich verläßt.«
Sie führte den geliebten Mann mit leisen Schritten in ihr Schlafgemach und bereitete ihm eine Nacht, wie sie die Liebe selten ihren Auserwählten gönnt. Im entzückten Anschauen ihrer ihm hingegebenen Reize rief Euryalus: »O Lucrezia! Wie leicht wäre es jetzt zu sterben, da unsere Freude so neu, so frisch und groß und ungetrübt ist! Hab' ich dich, Geliebte, oder träumt es mir? Wenn diese Wollust nicht wahr ist, so trügen mich meine Sinne. Nein, ich träume fürwahr nicht, sie ist Wahrheit. Niemand lebt glücklicher, niemand seliger als ich. Aber, wehe mir, wie flüchtig die Stunden enteilen! Warum fliehst du so schnell dahin, du neidische Nacht? Bleib aus, o Sonne! und verweile noch unter der Erde. Warum schirrst du deinen Wagen so bald an, Apoll? Gestatte deinen Rossen, noch länger zu grasen. Gib mir eine Nacht, wie du sie Alkmenen gabst! Warum, Aurora, verläßt du schon deines Titans Bett? Wärest du ihm so hold, wie mir Lucrezia ist, er ließe dich nicht so früh aufstehen. Nie hat mir eine Nacht so kurz gedeucht wie diese, wiewohl ich in Britannien und Ungarn war.«
Also redete Euryalus, und nicht weniger sprach Lucrezia, die kein Wort, keinen Kuß ihm unvergolten ließ und in ihrer Liebe so wenig wie er selbst ermüdete. Da aber die Nacht verging und Aurora ihr Haar immer länger aus dem Ozeane zog, so schieden sie und fanden lange Tage nachher noch keine Gelegenheit, wieder beisammen zu sein, weil Lucrezia immer strenger gehütet ward, und ihre Wächter sich mehrten. Die Liebe überwand freilich auch diesmal jedes Hindernis und gab ihnen andere Wege zueinander an, deren sie sich klug bedienten. Inzwischen versöhnte sich der Kaiser mit dem Papste Eugenius und eilte gen Rom, so daß die betrübende Kunde von der ihr bevorstehenden Trennung mit einem Male überraschend zu Lucrezia drang. Sie schrieb ihrem Geliebten folgendes:
»Könnte mein Gemüt Dir zürnen, Euryalus, so zürnte es Dir jetzt fürwahr, daß Du mir unsere nahe Trennung verschwiegen hast. Aber mein Geist liebt Dich mehr als mich selbst und wird durch nichts wider Dich aufgeregt. Oh, mein süßes Herz! warum sagtest Du mir nicht, daß der Kaiser von hinnen zieht? Ich weiß, er rüstet sich zu der Fahrt und Du bleibst nicht hier. Was soll ich Arme nun tun? Wo bleib' ich? Nicht zwei Tage überleb' ich Deinen Verlust. Ich mache diesen Brief mit meinen Tränen naß. Ich beschwöre Dich bei Deiner mir gegebenen Treue, hab' ich irgend Deine Liebe verdient, oder ist Dir jemals Liebes und Gutes von mir geschehen, so erbarme Dich mein, der Verzweifelnden. Ich bitte nicht, daß Du bleibst, aber nimm mich mit Dir. Ich will vorgeben, zur Vesperzeit nach der Bethlehemkirche zu gehen, und ein einziges altes Weib mit mir nehmen. Sende zwei oder drei Deiner Diener dorthin, die mich ergreifen und hinwegführen. Es ist kein schwerer Kampf mit einer willigen Frau. Glaube auch nicht, daß Dir dieser Raub eine Unehre sei. Du tust meinem Mann kein Unrecht an; denn er verliert mich so oder so. Magst Du es nicht vollbringen, so nimmt mich ihm der Tod. Aber Du verläßt mich grausam und sterbend, die Dir stets mehr angehörte als sich selbst.«
Er antwortete ihr:
»Ich verschwieg Dir mein Scheiden bis jetzt, meine Lucrezia, um Dir nicht schon vor der Zeit weh zu tun. Ich kannte Dein inniges Gemüt und wußte, daß Du Dich allzusehr peinigen würdest. Der Kaiser scheidet jetzt nicht, auf daß er nimmer wiederkehre. Unser Weg aus Rom in unsere Heimat geht über Siena zurück. Will der Kaiser einen anderen ziehen, so sollst Du sehen, ich führe ihn durch diese Stadt, oder der Himmel führe mich niemals wieder in mein Vaterland. Fasse Mut und Kraft, mein liebstes Herz, höre auf, Dich zu quälen, lebe heiter und froh. Du willst, ich soll Dich entführen, und ich möchte es mit größter Freude tun, es könnte mir nur die süßeste Wollust daraus entstehen, Dich allerwärts bei mir zu haben. Aber es heißt mehr an Deine Ehre als meine Wollust zu denken. Die Treue, mit der Du mich umfangen hast, erheischt, daß ich Dir einen getreuen Rat gebe, der Dir frommt. Du weißt selbst, daß Du edel geboren und in ein edles Geschlecht verheiratet bist. Du hast den Namen einer allerschönsten und keuschesten Frau! Raubte und entführte ich Dich, so brächte ich uns beide in Schande und Geringschätzung. Bedenke Deine Freunde und Deine Sippschaft! Welchen Kummer und Gram legtest Du Deiner Mutter auf! Wie spräche man von Dir allerwärts, wo man Dich kennt! Welch Geschrei und Lärmen erhöbe sich darob in der ganzen Stadt! Und welche Schmerzen müßte ich empfinden, Deinen guten Ruf geschmäht zu sehen! Jetzt ist unsere Liebe geheim, und es lobt und preist Dich jedermann. Aber je mehr man Dich jetzt preisen muß, desto heftiger würde man Dich nach Deiner Entführung schelten. Ließen wir auch den Leumund und der Welt Meinung fallen, wir erfreuten uns doch unserer Liebe nicht. Ich diene dem Kaiser. Er hat aus mir einen gewaltigen, reichen Mann gemacht. Ich könnte nicht von ihm gehen ohne meines Standes und Ansehens Untergang, und wie vermöchte ich dann Dich ziemlich und in Ehren zu haben und zu halten? Folgte ich dem Hofe nach, so fänden wir nirgends Rast und Ruhe, denn wir schlügen unsere Lager täglich woanders auf, und der Kaiser verweilte, nach Kriegesbrauch, noch an keinem Ort so lange als hier. Sollte ich Dich im Lager mit herumführen wie ein öffentliches Weib, welche Schande lüde ich auf Dich und mich! Aus diesen Gründen bitte ich Dich, meine Lucrezia, daß Du diesen Gedanken fahren läßt und an Deine Ehre denkst, damit Dich das Übermaß Deines Leides nicht zu Boden drückt und Du Dich nicht selbst in Dir zerstörst. Ein anderer Liebhaber riete Dir vielleicht anders und bäte Dich selbst, mit ihm zu fliehen, auf daß er Dich, solang er es möchte, mißbrauchte und der Zukunft uneingedenk genösse. Aber der liebte Dich nicht recht, der mehr seine Begierden zu Rate zöge als seine Vernunft. Ich rate Dir Dein Bestes, Lucrezia. Ich bitte Dich, bleibe hier und bezweifle meine Rückkehr nicht. Was der Kaiser in diesen welschen Landen jemals zu schaffen hat, soll er mir übertragen, das sorge nicht. Und ich will mich befleißigen, daß ich ohne Nachteil Deines Rufes immer mit Dir leben kann. Gott behüte Dich, lebe und liebe mich! Glaube, daß ich nicht ohne großes Herzeleid von Dir scheide. Noch einmal, behüte Dich Gott, Du meine Süße, Du Speise meiner Seele.« –
Lucrezia beruhigte sich bei diesem Briefe und schrieb ihm wiederum, daß sie sich seinem Rat und Willen unterwerfe.
Wenige Tage darauf reiste Euryalus mit dem Kaiser nach Rom, wo er kaum angelangt war, als das Fieber den Unglückseligen ergriff und seine Glut zu der Liebe gesellte, die ihn schon so verzehrend umfangen hielt. Auch war es viel mehr die Kunst und Kraft der Ärzte und Arzneien, was seinen Geist und sein Leben rettete, als seine eigene, erschöpfte Natur. Der Kaiser besuchte ihn an jedem Tage seines Siechtums, tröstete ihn und ließ ihn warten und pflegen wie seinen Sohn. Von allen Heilmitteln trug ein Brief Lucreziens, durch den er von ihrem Leben und ihrer Gesundheit Nachricht erhielt, das meiste zu seiner Genesung bei. Gleich nach dessen Empfange nahm sein Fieber um einige Grade ab und gestattete ihm aufzustehen und der kaiserlichen Krönung beizuwohnen, die ihm die Ritterschaft und die goldenen Sporen eintrug.
Als der Kaiser späterhin nach Perugia reiste, blieb der noch nicht ganz genesene Euryalus in Rom zurück, eilte jedoch in kurzer Zeit, wiewohl noch schwach und abgezehrt, nach Siena. Er konnte Lucrezien sehen, doch nicht sprechen. Sie schrieben sich Briefe hin und her, und es war abermals von Flucht die Rede. Drei Tage blieb Euryalus in der Stadt. Wie er sich dann zuletzt alle Zugänge zu der Geliebten verschlossen sah, kündigte er ihr sein Scheiden an. Nimmermehr lag in dem Genuß ihrer Liebe so viele Freude und Süßigkeit, als in ihrer Trennung Bitterkeit und Leiden. Lucrezia stand an ihrem Fenster. Euryalus ritt durch die Stadt, ihre Gasse entlang. Eins weinte wie das andere. Und beide wurden von unsäglich großen Ängsten und Schmerzen gepeinigt, weil sie empfanden, eine unsichtbare Gewalt reiße ihre Herzen aus der Brust. Wäre da jemand, der nicht wüßte, wie große Schmerzen im Tode sind, der betrachte die Trennung zweier Liebenden, wiewohl in ihr noch schärfere Pein als in ihm verborgen ist. Im Sterben trauert die Seele, daß sie ihren geliebten Körper verlassen soll, aber der Körper trauert nicht und empfindet nichts mehr, sobald ihm die Seele entflohen ist. Wenn aber zwei Seelen durch die Liebe zusammengefügt und vereint sind, so ist ihre Scheidung um so empfindlicher, je inniger ihre Verbindung und ihre Glückseligkeit war. Dieses Liebespaar hatte in der Tat nicht zwei Seelen, sondern war, wie Aristophanes von Freunden sagt, zu einer Seele in zwei Körpern geworden. Und also schied nicht Gemüt von Gemüt oder Seele von Seele, sondern die ihnen gemeinsame Seele ward in zwei Teile zerschnitten, das Herz ward in zwei Teile geteilt, von denen der eine schied, der andere blieb, und alle Sinne wurden voneinander gerissen und weinten selbst über sich und ihre Trennung. In der Liebenden Angesicht blieb kein Tropfen Blut, und nur durch ihre Tränen und Seufzer straften sie den Schein des Todes Lügen, der auf ihnen lag. Wer könnte von ihrer Seelen innerster Betrübnis und Leiden schreiben, sagen oder sie in Gedanken erfassen, als der einmal selbst die Liebesraserei gekannt und diese Dinge empfunden hat!
Lucrezia sank zu Boden, als sie ihren Euryalus aus dem Gesicht verlor, und ward von ihren Dienerinnen in ihre Schlafkammer getragen, damit sie ihren Geist wiederfände. Wie sie aber das Bewußtsein ihrer selbst wiedergewann, verschloß sie ihre goldenen und purpurnen Gewande und allen Schmuck, gebrauchte fürder nur wollene Kleider, und nimmer wieder hat man sie seitdem singen gehört oder lachen sehen, und sie vermochte auch mit keinem Schwank oder Scherz wiederum zu Äußerungen der Freude gebracht zu werden.
Nachdem sie in solchem Zustand eine Weile ausgedauert hatte, verfiel sie in Krankheit, und weil ihr Herz nicht bei ihr, sondern von ihr war, und kein Mensch ihrem Gemüte Trost geben konnte, hauchte sie in den Armen ihrer viel weinenden Mutter ihre schwerbetrübte Seele aus.
Euryalus hingegen, als er aus dem Bereiche ihrer Augen kam, die ihn nimmer wiedersehen sollten, redete auf dem Wege zu keiner Menschenseele; denn er trug in seinem Gemüte allein Lucrezien und dachte, ob er sie wohl jemals wiedersähe. Er kam zuletzt zu dem Kaiser, der seiner zu Perugia harrte, und folgte ihm über Ferrara, Mantua, Trient, Konstanz und Basel nach Ungarn und Böhmen.
Wie er selbst dem Kaiser des Tages, so folgte ihm des Nachts Lucrezia in seinen Träumen und ließ ihm keine Ruhe. Als dann der getreue Liebhaber vernahm, daß Lucrezia gestorben sei, durchdrang ihn großer Schmerz. Er legte Trauerkleider an und wollte von niemandem irgend Trost und Beruhigung annehmen, bis ihm der Kaiser eine schöne, keusche und weise Jungfrau aus herzoglichem Blute in der Ehe vermählte.
Wer die Geschichte dieser unglücklichen wahren Liebe lesen wird, der wisse, daß sie nicht erdichtet ist, und der wolle sich von anderer Leute Schaden warnen lassen, den Becher der unerlaubten Liebe zu leeren, der weit mehr Aloe und Bitterkeit als Honig und Süße in sich birgt.