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Matteo Bandello

(1480-1561)

Matteo Bandello, geb. 1480 zu Castelnuovo unweit Tortona, trat wahrscheinlich 1495 in das Dominikanerkloster S. Maria delle Grazie in Mailand ein, ging 1541 nach Frankreich, wo er 1550 von Heinrich II. zum Bischof von Agen ernannt wurde. Gest. 1561. Sein bestes und größtes Werk sind die 214 Novellen (zugleich die größte Novellensammlung überhaupt), die zwischen 1510 und 1560 entstanden, aber erst 1554 und 1573 erschienen.

Die blonde Ginevra, die 27. Novelle des I. Teils. Nach der Übersetzung von A. Keller bearbeitet.

Die Kastellanin von Vergy, die 6. Novelle des IV. Teils. Nach der Übersetzung von A. Keller bearbeitet.

Die blonde Ginevra

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Nachdem wir heute eine gute Zeit von dem letzten Kriege gesprochen und viele Kriegslisten erzählt haben, durch welche sowohl die Feinde als auch die Unsrigen den Sieg zu gewinnen hofften, auch der unglückliche Tod jenes tapferen, ehrenfesten und angesehenen Greises, des Nestors unseres Heeres, Grafen von Collisano, erwähnt worden, welcher uns alle stets von neuem betrübt, befehlt Ihr nunmehr, mein gnädiger Herr, durch eine anmutige Erzählung die Gesellschaft wieder aufzuheitern, da fast allen diese traurige Erinnerung die Tränen in die Augen gelockt hat. Und da ich weiß, daß ich mich bei Euch nicht entschuldigen darf noch kann, will ich Eurem Befehle gehorchen und somit eine Novelle erzählen; ob sie Euch aber wird aufheitern können, das muß ich darauf ankommen lassen. Jedenfalls hoffe ich, wird, was ich Euch biete, durch die Abwechslung Euch unterhalten können.

In Spanien also, in der Nähe der Pyrenäen, lebte auf ihrem Schlosse die Witwe eines Ritters aus sehr vornehmem Geschlechte dieser Gegend, welche von ihm nur ein einziges Kind, eine sehr schöne und reizende Tochter hatte und bei sich mit vieler Sorgfalt erzog. Das Mädchen wurde von jedermann die blonde Ginevra genannt, weil sie so lichtes Haar hatte, daß es blanken, glänzenden Goldfäden glich. Vielleicht eine halbe Tagereise von dem Orte, wo die blonde Ginevra wohnte, lag die Burg eines jungen Ritters, der auch vaterlos war, und nach dem Willen seiner Mutter lange in Barcelona verweilt hatte, um dort zu studieren und zugleich gute und feine Sitten und eine adlige Erziehung sich anzueignen. Er war nicht allein wohlerzogen und sehr höflich geworden, sondern hatte sich neben den Wissenschaften auch dem Waffenwesen so ergeben, daß ihm von den ritterlichen Jünglingen in Barcelona nur wenige darin gleichkamen. Als nun die Barceloner zu Ehren des Königs Philipp von Österreich, welcher durch Frankreich nach Katalonien zog, um seine Staaten in Spanien in Besitz zu nehmen, ein Turnier veranstalteten, und zu dem Ende einige junge Männer auswählten, war einer der hauptsächlichsten unter ihnen Don Diego, von dem wir reden. Er bat daher seine Mutter, ihn mit dem, was für das Turnier vonnöten sei, zu versehen, damit er, wie es sich ziemte, anständig bei dieser Festlichkeit sich zeigen könne. Die Mutter, welche eine verständige Frau war und ihren Sohn wie ihren Augapfel liebte, sandte ihm Geld die Fülle und stattliche Diener mit dem Bedeuten, nichts zu sparen, was die Ehre dieses Festes fordere. Er versah sich also mit den geeigneten Waffen und Pferden, und übte sich unter Leitung eines geschickten Fechtmeisters täglich ein.

Der König Philipp kam und wurde von den Barcelonern ehrenvoll empfangen, ja alles, was in den Kräften der Stadt lag, dazu aufgeboten, denn er war der Eidam Ferrandos, des katholischen Königs, welcher seiner Zeit wegen des Todes der Königin Isabella nach dem Königreich Neapel geschifft war, und als dieser katholische König starb, erbte Philipp von Österreich das Ganze.

Das Lanzenstechen fand statt, und es kämpften dabei lauter edle Jünglinge mit, welche noch nie zuvor Waffen getragen hatten. Es fiel sehr schön aus, und Don Diego trug den Preis davon. Als König Philipp nun den neunzehnjährigen Jüngling sah, machte er ihn zum Ritter, lobte ihn sehr in Gegenwart der ganzen Stadt und ermahnte ihn, beharrlich immer höher zu streben.

Als König Philipp nach Kastilien abgereist war, ordnete Don Diego seine Angelegenheiten in Barcelona, und da er nach so langer Zeit seine Mutter wieder einmal zu sehen wünschte, verließ er die Stadt und begab sich auf seine Besitzungen. Seine Mutter nahm ihn dort liebevoll auf, und er brachte seine Tage auf der Hirsch- und Eberjagd zu, von welchem Wilde es einen Überfluß in jener Gegend gab. Manchmal aber verstieg er sich wohl auch in das Gebirge und erlegte einen Bären. Da geschah es eines Tages, daß er, seinen Hunden folgend, die die Spur einiger Rehböcke ausgewittert hatten, in dem Dickicht ein Rudel Hirsche antraf, von denen einer herausbrach und anfing, vor ihm flüchtig zu gehen. Sobald er den Hirsch sah, gab er die Spur der Rehböcke auf, um auf ihn Jagd zu machen, befahl einigen der Seinigen, ihm zu folgen, und setzte dem edlen Tiere mit verhängtem Zügel nach. Vier gut berittene Jäger aus seinem Gefolge sprengten zwar hinter ihrem Gebieter her, aber ihre Eile dauerte nicht lange, da der Ritter einen vortrefflichen spanischen Renner ritt, weshalb sie ihn bald aus dem Gesicht verloren; Don Diego aber, welcher dem behenden Laufe des Hirsches folgte, entfernte sich immer weiter und weiter von den Seinen. Er mochte schon eine gute Strecke zurückgelegt haben, als es ihm nach einer Weile deuchte, sein Roß verliere den Atem, und der Hirsch entfliehe dagegen immer schneller, worüber er sehr unwillig wurde. Der Hirsch kam ihm auch richtig aus dem Gesicht, und weil er keinen der Seinen mehr um sich sah, setzte er sein Hifthorn an den Mund und fing an, stark hineinzublasen, um den Seinigen ein Zeichen zu geben, wo er sei. Die Entfernung zwischen ihm und den Jägern war jedoch so groß, daß er von ihnen nicht mehr gehört werden konnte. Als er nun von keiner Seite eine Antwort vernahm, fing er an, Schritt für Schritt zurückzureiten, verfehlte aber den Weg, da er dieser Gegend des Waldes unkundig war.

Indem er nun nach Hause zu kommen meinte, näherte er sich dem Schlosse der blonden Ginevra, die mit ihrer Mutter und ihren Lehnsleuten an diesem Tage auf die Hasenjagd ausgezogen war und auf den Ritter zukam. Als dieser den Jagdschrei des Gefolges der blonden Ginevra hörte, nahm er seinen Weg darauf zu; je näher er kam, desto deutlicher vernahm er den Lärm; doch wollte es ihm scheinen, als wären es nicht die Seinigen, und so wußte er nicht, was er tun sollte. Der Abend dämmerte schon, die sinkende Sonne warf längere Schatten, und wie Don Diego erkannte, daß sein Pferd sich kaum noch aufrechtzuerhalten vermochte, eilte er, um die Nacht nicht unter freiem Himmel zubringen zu müssen, so gut er konnte, dem Lärm nach. Noch ein Stück Weges vorwärtsgekommen, erblickte er mit einem Male in der Entfernung einer halben Stunde ein schönes Schloß vor sich, in seiner Nähe aber bemerkte er eine Schar Männer und Frauen, die in demselben Augenblick einen Hasen getötet hatten. Als die Dame, welche Don Diego für die Herrin des Schlosses hielt, des Ritters ansichtig wurde und an seiner Kleidung und an seinem Pferde seinen vornehmen Stand erkannte und bemerkte, daß der Gaul von Müdigkeit überwältigt nicht mehr weiter konnte, schickte sie einen ihrer Leute an ihn ab, um zu erforschen, wer er sei. Als sie es erfahren hatte, ging sie ihm entgegen, empfing ihn sehr höflich und bezeugte ihre Freude darüber, ihn zu sehen, sowohl wegen des guten Rufes, den sie von ihm und seiner Tapferkeit vernommen, als auch aus Rücksicht für seine Mutter, mit welcher sie wegen der nachbarlichen Verhältnisse gute Freundschaft hielt. Da es schon Abend war, lud man Don Diego ein, die Nacht auf der Burg zuzubringen, und schickte alsbald jemanden an seine Mutter ab, damit diese, wenn sie ihn heute nacht nicht nach Hause kommen sehe, sich nicht beunruhige. Don Diego küßte Mutter und Tochter die Hand, dankte ihnen sehr für ihre Höflichkeit und nahm ihre Einladung an. Darauf machten sie sich miteinander auf den Weg nach dem Schlosse der Damen, nachdem man Don Diego ein frisches Pferd gegeben hatte, und ließ den spanischen Renner, der ganz außer Atem war, ruhig nebenher gehen.

Unterwegs führten sie verschiedene Gespräche, und als Don Diego, ein schöner reizender Jüngling, dabei einmal die Augen aufschlug, begegnete er den Blicken der blonden Ginevra, welche fest auf ihm ruhten. Dieser wechselseitige Blick war so gewaltig und zündend, daß Don Diego zu ihr und sie zu ihm in heftiger Liebe entbrannten und jedes der Gefangene des andern wurde. Der glühende Liebhaber betrachtete nunmehr die schöne Jungfrau, die zwischen sechzehn und siebzehn Jahre alt sein konnte und gewandt einen mit Sammet bedeckten Zelter ritt. Sie trug auf ihrem Haupt einen zierlichen Hut mit Federbusch, wodurch ein Teil ihrer Haare bedeckt ward, die übrigen wallten zu beiden Seiten des Gesichts in krausen Locken herab und schienen dem Beschauer zu sagen: hier hat Amor mit den drei Grazien seinen Sitz aufgeschlagen und sonst nirgends.

Von ihren Ohren hingen zwei der feinsten Juwelen herab, in deren jedem man eine kostbare morgenländische Perle gewahrte. Unverdeckt zeigte sich die breite, hohe, wohlproportionierte Stirn, in deren Mitte ein sehr feiner, in Gold gefaßter Diamant funkelte, gerade wie man oft am heiteren Himmel holde Sterne strahlen sieht. Die ebenholzschwarzen, glänzenden Augenbrauen, aus den feinsten kurzen Härchen, wölbten sich in angemessener Entfernung über den beiden schönen Augen, deren Leuchten jeden Beschauer so sehr entzündete, daß er sich ganz in loderndem Feuer stehen fühlte, und den, der sie fest ansah, so blendete, wie wenn einer fest in die glühende Sonne sehen will, wenn sie im Juni mitten am unbedeckten Himmel flammt. Mit diesen Augen konnte sie jeden töten und, wenn sie wollte, wieder vom Tode erwecken. Die feine Nase, dem übrigen liebreizenden Gesicht angemessen gebildet, schied gleichmäßig die rosigen Wangen, welche, mit lebhaftem Weiß und sittsamem Rot besprengt, recht eigentlich zwei Rosenäpfel zu sein schienen. Das kleine Mündchen hatte zwei Lippen, die zwei glänzenden feinen Korallen glichen. Wenn sie nun sprach oder lächelte, enthüllten sich dazwischen zwei Schnüre morgenländischer Perlen, aus welchen man eine so holde Harmonie mit so anmutigen Reden hervordringen hörte, daß die rohesten und wildesten Herzen dadurch weich und heiter geworden wären. Was soll ich aber von der Schönheit des anmutigen Kinns sagen, von dem elfenbeinweißen Hals, von den marmornen Schultern und dem alabasternen Busen, wo sie unter einem ganz feinen Schleier zwei runde, zarte, feste, kleine Brüste barg? Ihr jungfräulicher Busen war noch nicht hochgewölbt, aber zeigte in aller Sittsamkeit die dem zarten Alter des Mädchens angemessenen Reize. Das übrige der schlanken, aber ebenmäßigen Gestalt mußte nicht minder schön sein, wie man leicht schließen konnte, da man nirgends einen Fehler bemerkte. Ich schweige von den schlanken Armen mit den wunderschönen Händen, deren Länge, Weiße und Weichheit man sah, wenn sie, was sie oft tat, die duftenden Handschuhe abzog. Auch machte sie es nicht wie manche Mädchen, die, indem sie sich sittsam aufführen wollen, traurig und schwermütig erscheinen. Vielmehr zeigte sie sich immer mit einem gemäßigt heiteren Gesicht, wohlwollend, höflich und bescheiden. Den geraden, weißen Hals umschlang ein Goldkettchen von der feinsten Arbeit, welches vorn auf den Busen in das liebreizende Gäßchen herabhing, welches die Elfenbeinhügel voneinander schied. Das Kleid war von weißem Zendel, durchweg kunstreich ausgeschlitzt, so daß ein reicher Goldstoff darunter hervorleuchtete.

Während sie nun also gegen die Burg ritten, machte sich Don Diego nach Landessitte an die rechte Seite der blonden Ginevra, führte ihr Pferd am Zügel und sprach mit ihr über dies und jenes. Der Ritter war ein nicht minder schöner Jüngling, als sie ein schönes Mädchen. Auf dem Schlosse angekommen, forderte die Mutter der blonden Ginevra den Ritter auf, ein wenig der Ruhe zu pflegen, und ließ ihn in ein reichgeschmücktes Zimmer führen, wo er die Stiefel auszog. Er hatte zwar kein großes Bedürfnis zu ruhen, doch, um der Hausfrau nicht zu widersprechen, nahm er die Jagdkleider ab und zog andere reiche Gewande an, die sie ihm bringen ließ. Immer dachte er dabei an die himmlischen Reize der Jungfrau, die ihm eine Schönheit deuchte, wie er noch nie etwas Ähnliches gesehen hatte. Auf der anderen Seite konnte auch die blonde Ginevra nicht umhin, während er mit einigen Dienern der Damen auf seinem Zimmer sich befand, das Bildnis des Ritters im Sinn zu behalten, der ihr in der kurzen Bekanntschaft schon als der schönste, artigste und mannhafteste Jüngling erschien, den sie je gesehen hatte. Auch fühlte sie im Gedanken an ihn eine wunderbare, noch nie gekannte Wonne. Ohne es zu merken, fühlte sie sich schließlich heftig in ihn verliebt; und er, der gleicherweise an sie dachte und bald dies, bald jenes an ihr bewunderte, sog unvermerkt das Liebesgift ein und kam zu dem Schlusse, daß, während er einen Hirsch habe erlegen wollen, er selbst von der schönsten Jungfrau mit dem Pfeil der Liebe tödlich getroffen worden sei.

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Nachdem Don Diegos Diener ihn lange gesucht hatten, ohne eine Spur von ihm zu finden, kehrten sie nach Hause zurück, in der Meinung, er werde auf einem anderen Wege nach dem Schlosse zurückgekehrt sein. Als sie sich nun bis auf eine halbe Meile dem Schlosse genähert hatten, trafen sie auf den Boten, den man an Don Diegos Mutter abgesandt hatte, um sie zu benachrichtigen, daß sie ihn heute abend nicht erwarten dürfe. Und weil es schon etwa die zweite Nachtstunde war, wollte die Mutter, welche wohl wußte, daß ihr Sohn gut aufgehoben sei, in dieser Nacht nicht, daß noch jemand hingehe.

Die beiden Neuverliebten hatten noch nicht allzu lange ihren Gedanken aneinander nachgehangen, als das Abendessen fertig war, das in einem Saale aufgetragen wurde. Der Ritter wurde dahin geführt, Mutter und Tochter empfingen ihn artig und höflich und unterhielten ihn mit anmutigen Gesprächen. Man brachte Wasser, womit sich auf die Aufforderung der Hausfrau alle drei die Hände wuschen, und Don Diego mußte wider seinen Willen oben an der Tafel seinen Platz einnehmen. Die Hausfrau setzte sich ihm zur Rechten, die blonde Ginevra zur Linken, und die übrigen Tischgenossen nahmen nebeneinander, ihrem Rang gemäß, Platz. Das Abendessen bestand aus vielen verschiedenartigen, sehr schmackhaften Speisen; doch aßen die beiden Liebenden sehr wenig davon. Die Dame hatte die köstlichsten Weine heraufholen lassen, wiewohl sie und ihre Tochter keinen Wein tranken. Es ergab sich jedoch, daß auch Don Diego niemals Wein genossen hatte, da er von Kindheit auf so gewöhnt war, so daß sie alle drei Wasser tranken.

Wäre ich, gnädiger Herr, dabei gewesen, so hätte ich es mit den anderen gehalten, welche Wein tranken. Denn meine Meinung ist die, daß alle Speisen der Welt, wenn man keinen Wein dabei hat, geschmacklos sind; und je besser der Wein, desto besser schmecken gewiß auch die Speisen.

Die nichts weniger als schweigsame Edelfrau wußte den Ritter, den sie vielfach zum Essen nötigte, bald von diesem, bald von jenem zu unterhalten; und da auch die blonde Ginevra Anteil an dem Gespräche nahm, kam man von einem aufs andere, und der Ritter fühlte sich wie im Paradiese. Was er sagte, ermangelte auch nicht des Beifalls der Damen, und solchergestalt wurde unter Gesprächen und einem ausgesuchten Mahle die Zeit des Abendessens heiter hingebracht. Nach dem Essen, bis die Schlafenszeit herankam, sprach der Ritter noch viel mit seiner Geliebten, wagte aber niemals, ihr seine glühende Liebe zu entdecken, sagte ihr indes im allgemeinen, er sei ihr Diener und wünsche, daß sie ihm befehle, da er dies als eine große Gunstbezeigung betrachten würde. Das Mädchen wurde hierüber bald blaß, bald rot und dankte dem Ritter bescheiden für seinen Antrag; und wenn sie auch aus seinen Gebärden und Worten zu erkennen glaubte, daß er sie mehr als gewöhnlich liebe, so gab sie sich doch den Anschein, als ob sie es nicht merke, um ihn in Zukunft desto besser ergründen zu können.

Als es nun Schlafenszeit geworden war, wünschten sie sich nach der allgemeinen Sitte gute Nacht, und alle legten sich zu Bette. Wie aber die beiden Neuverliebten geschlafen haben mögen, kann sich jeder leicht vorstellen, der sich je in einem ähnlichen Labyrinth befunden. Sie schliefen nicht und brachten die ganze Nacht in Gedanken hin, zwischen Furcht und Hoffnung, bald sich Vorwürfe machend, bald sich ermunternd, das Begonnene weiter zu verfolgen. Die blonde Ginevra meinte in dem Benehmen des Ritters ein gewisses Etwas wahrgenommen zu haben, was ihr als Zeichen und Pfand seiner Liebe galt und sie versicherte, daß sie ihrerseits nicht vergebens lieben würde. Mit diesen Gedanken nährte und hegte sie den schon begonnenen Liebesbrand.

Don Diego fand in seinem Sinne die Jungfrau artig, verständig und so reizend und schön, als er sich nur vorstellen mochte, und fühlte sich lichterloh brennen; kurz, er war genötigt, sie zu lieben, auch wenn er es nicht gewollt hätte. Doch schien ihm, obgleich er sich ihr einigermaßen enthüllt hatte, daß er in ihr keine entsprechende Gesinnung, wie er gewünscht, gefunden habe, und war deshalb über ihre Liebe im Zweifel. Er tröstete sich jedoch damit, daß sie noch sehr jung sei, und daß in der Regel die jungen Mädchen sehr sittsam sein müssen und dem Gerede junger Männer nicht so leicht Glauben schenken dürfen; dabei hoffte er, durch treue Dienste sie schon noch zu gewinnen. Dies waren die Gedanken der beiden Neuverliebten in dieser Nacht.

Sobald es wieder Tag geworden war, kamen Don Diegos Diener, um ihn nach Hause zu begleiten, die Edelfrau, die bereits aufgestanden war, hatte aber angeordnet, daß beizeiten ein anständiges Mittagsmahl bereitet werde, weil sie nicht wollte, daß der Ritter schon des Morgens scheide. Er ließ sich gern bereden, da er nur immer hätte die blonde Ginevra sehen mögen. Als sie diesen Morgen aufstand, kleidete sie sich, um ihrem Geliebten Freude zu machen, sehr reich und zierlich, so daß alles an ihr zu lachen schien. Sie beschaute sich wieder und wieder im Spiegel und ging auch mit ihrem Mädchen zu Rate, damit gar nichts an ihr bliebe, was beanstandet werden könnte. So trat sie aus dem Gemach und begab sich in einen Garten, wo ihre Mutter im Gespräche mit dem Ritter auf und ab ging. Sobald er sie sah, begrüßte er sie ehrerbietig und ließ die Blicke aufmerksam auf ihr ruhen. Wenn sie ihm nun den Tag zuvor äußerst schön vorgekommen war, so schien ihm heute die größte Schönheit, die man an einem Weibe verlangen könne, und die je ein Dichter geschildert, in ihr verwirklicht, so daß er seine Augen gar nicht von ihr losmachen konnte.

Auch ihr schien es, der Ritter sei doch der schönste und anmutigste Jüngling, den man finden könne. So weideten sich ihre liebenden Augen an diesem holden Anblick.

Nach dem Essen, als Don Diegos Pferde und Diener bereitstanden, sagte er der Gebieterin des Schlosses den größten Dank, den er wußte, küßte ihr die Hände und bot sich ihr für immer zu bereitwilligsten Diensten an. Dann wandte er sich zu der blonden Ginevra, küßte ihr demütig die Hände und wollte ihr mancherlei sagen; aber vor übergroßer Liebe wußte er kein Wort hervorzubringen und vermochte ebensowenig ihre zarte Hand loszulassen. Dies war der Jungfrau ein sicheres Zeichen, daß der Ritter sie innig liebe. Sie war darüber sehr vergnügt und sagte mit leicht bebender Stimme: »Don Diego, ich bin ganz die Eure.«

Darauf nahm er, so gut er konnte, von allen Abschied, stieg mit den Seinigen zu Pferde und kehrte zu seiner Mutter zurück, der er von der freundlichen Aufnahme und der großen Ehre erzählte, die ihm erwiesen worden war. Zwischen den beiden Witwen bestand ein altes Freundschaftsverhältnis; so daß sie sich oft zu besuchen und beieinander zu speisen pflegten. Als Don Diego dies von seiner Mutter erfuhr, beschloß er, ein Fest zu veranstalten und auch die blonde Ginevra und ihre Mutter einzuladen, und so geschah es. Das Fest war sehr schön und unterhaltend, es war Musik bestellt und angesehene und schöne Frauen waren eingeladen. Der Ritter tanzte mit der blonden Ginevra einige Tänze, wurde nach und nach vertrauter mit ihr und fing nun an, mit schicklichen Worten ihr seine Liebe und die Pein, die ihm diese Leidenschaft verursachte, zu enthüllen. Sie wollte zwar einige Zeit spröde mit ihm tun, aber sie vermochte es nicht; woraus denn der Ritter leicht merkte, daß sie nicht weniger für ihn empfinde. Nach dem Tanze wurden einige Spiele gespielt, und der Ritter versäumte nichts, was die Gesellschaft vergnügen und die blonde Ginevra und ihre Mutter ehren konnte. Indem nun die zwei Liebenden die Flammen zu dämpfen strebten, von welchen beide glühten, fachten sie sie nur um so mehr an, und eins sog vom anderen durch den Anblick das Liebesgift ein.

Da also der junge Ritter diesen Umgang fortsetzte und seine Geliebte auch oft im Hause besuchte und sie in sein Haus einlud, merkten die beiden Mütter ihre Liebe und mißbilligten dieses Verhältnis auch gar nicht; denn die Mutter des Ritters hätte die blonde Ginevra gern zur Schwiegertochter angenommen und die andere Witwe Don Diego nicht minder gern zum Eidam erhalten. Wie es aber häufig zu geschehen pflegt, daß gewisse Rücksichten, welche die Menschen tragen, tausend schöne Pläne vereiteln, so wollte keine von den beiden Freundinnen die erste sein, die diese Angelegenheit zur Sprache brächte.

In der Nähe dieser Burgen lag die Wohnung eines reichen, mit Don Diego sehr befreundeten Ritters. Mehrmals stand Don Diego auf dem Punkte, ihm diese Liebe zu offenbaren und ihn um Rat anzugehen; und doch hielt er sich immer wieder zurück, indem er fürchtete, seine Geliebte zu beleidigen. Die Vertraulichkeit zwischen den beiden Liebenden war nun so weit gediehen, daß Don Diego fast täglich auf das Schloß der Dame kam, dort drei bis vier Stunden sich unterhielt, oft noch zu Nacht speiste und dann nach Hause zurückkehrte, so daß jedermann diese ihre Liebe merkte. Die beiden Verliebten wünschten nichts sehnlicher, als sich durch das Band der Ehe vereinigt zu sehen, aber die blonde Ginevra wagte nicht, ihrer Mutter ihr Verlangen zu offenbaren, ebenso sagte der Ritter nichts zu seiner Mutter. Die Mütter dachten auch, die beiden seien noch jung genug, und es sei noch lange Zeit, sie zu vermählen; deswegen sagten sie auch weiter nichts und freuten sich über diesen Umgang.

Während die Sachen so standen, begab es sich, daß ein sehr schönes Mädchen, die Tochter eines Landedelmannes, die häufig in das Schloß der blonden Ginevra kam, sich heftig in Don Diego verliebte und sich die größte Mühe gab, seine Gegenliebe zu erringen. Der Ritter aber, dessen Sinn allein auf die blonde Ginevra gerichtet war, kümmerte sich ganz und gar nicht darum, was sie tat. Da brachte diese Jungfrau einst einen vortrefflichen Sperber in ihren Besitz und sandte denselben, wohl wissend, wie großes Gefallen Don Diego an dergleichen Raubvögeln fand, dem Ritter zum Geschenke. Der Ritter dachte an weiter nichts und nahm ihn an, gab dem Überbringer ein paar Strümpfe zum Geschenk und ließ der Jungfrau unter tausend Danksagungen dafür seine Gegendienste entbieten. Es war gerade in der Zeit, Rebhühner zu jagen; der Vogel erwies sich als einer der zu diesem Gebrauch am besten abgerichteten, und so ist nicht zu verwundern, daß Don Diego ihn äußerst liebgewann. Er hatte der blonden Ginevra schon zweimal Rebhühner zugesandt, und wie er zu ihr zu Besuch kam, führte er den Sperber auf der Faust mit sich, sprach von seiner Vortrefflichkeit und sagte, er habe ihn so lieb wie seinen Augapfel.

Es ist schon angedeutet worden, daß jedermann sich der Liebe der beiden versah. Als man nun eines Tages im Hause der blonden Ginevra in ihrer Gegenwart von Don Diego sprach und er von allen als tugendhafter Ritter gelobt wurde, sagte ein gewisser Herr Graziano, es sei wahr, daß Don Diego ein tugendhafter junger Mann sei, aber er komme ihm vor, wie der Esel des Töpfers, der an jede Tür seinen Kopf stößt. Die blonde Ginevra wunderte sich über diesen Vergleich und bat ihn, sich deutlicher zu erklären. Dieser, der sich sehr viel auf seine Weisheit einbildete, sagte: »Fräulein, die Töpfer, wenn sie Töpfe, Schüsseln und anderes irdene Geschirr verkaufen gehen, reiten auf einem Esel durch die Straßen und halten an jeder Tür. Gerade so macht es der Ritter Don Diego. Er fängt Liebschaften an mit allen Mädchen, die er sieht, und so ist er jetzt glühend verliebt in die Tochter Herrn Ferrandos de la Serra; von der hat er einen Sperber bekommen, den er höher hält als sein Leben.«

Ich weiß nicht, ob jener törichte Mensch aus eigenem Antriebe oder auf fremde Veranstaltung diese Worte sprach. Soviel aber ist gewiß, daß sie großes Unheil stifteten, wie Ihr hören werdet. Die blonde Ginevra hatte sie kaum angehört, so entfernte sie sich und zog sich in ihr Zimmer zurück, wo ein solcher Zorn und eine solche Eifersucht über sie kamen, daß sie fast verzweifelt wäre. Ja, sie geriet nach und nach in eine solche Erbitterung, daß ihre vorher so große Liebe zu Don Diego sich in bittersten Haß verwandelte, der sie nicht entfernt daran denken ließ, daß jener aus Neid oder Bosheit so gesprochen haben könne. Kurze Zeit nach jenem Ereignis kam der Ritter seiner Gewohnheit gemäß zum Besuche zu seiner oder vielmehr nicht mehr seiner blonden Ginevra, die, sobald sie hörte, daß er im Schlosse abgestiegen sei, sich in ihr Zimmer verfügte und verschloß. Der Ritter kam in den Saal, fing an, mit der Mutter des zürnenden Mädchens zu sprechen, unterhielt sich mit ihr eine gute Weile und erzählte ihr die Wunder seines Sperbers, den er auf der Faust hielt. Als sich die blonde Ginevra gar nicht wie ehedem vor ihm sehen ließ, fragte er nach ihr und erhielt die Antwort, sie sei bei seiner Ankunft in ihr Zimmer gegangen. Er antwortete hierauf weiter nichts; doch als es ihm Zeit schien, verabschiedete er sich von der Witwe und ging weg. Im Hinabgehen auf der Treppe begegnete er einer Zofe des Fräuleins, zu welcher er sagte, sie möge in seinem Namen ihrer Gebieterin die Hände küssen. Diese Dienerin war in das Liebesverhältnis beider eingeweiht, wußte aber noch nichts von dem Ärger mit dem Sperber, und entledigte sich ihres Auftrages an das Burgfräulein.

Die blonde Ginevra hatte bereits erfahren, daß Don Diego mit dem Sperber auf der Faust gekommen sei und ihn außerordentlich gelobt habe. Da sie nun vollkommen überzeugt war, daß er mit jenem anderen Mädchen eine Liebschaft habe, hielt sie sich durch dieses Betragen für verhöhnt und verspottet; sie entrüstete sich darum nur um so ärger über ihn und setzte sich ihre Grille so fest in den Kopf, daß nichts in der Welt imstande gewesen wäre, sie wieder daraus zu entfernen. Die Zofe trat nun in das Zimmer und richtete die Botschaft des Ritters aus.

»O du treuloser Liebhaber«, rief sie da noch mehr entrüstet aus, »Verwegener, daß du, nachdem du mich verraten und um eine andere, in keiner Beziehung Ebenbürtige, verlassen hast, noch wagst, mir wieder zu nahen, und zur Vergrößerung meines Hohnes mir Handküsse zu schicken. Aber ich will dir bei Gott die Ehre widerfahren lassen, die du verdienst!«

Sie erzählte hierauf ihrer Zofe die ganze Geschichte mit dem Sperber und Don Diegos Liebschaft mit der Tochter des Herrn Ferrando. Als die Kammerfrau diese Fabel hörte, nahm sie sie für durchaus wahr hin und lobte sie ihre Gebieterin sehr über ihren Vorsatz, wodurch sie noch Öl ins Feuer goß. Eben dieses Mädchen war in einen jungen Menschen im Hause verliebt, der, ich wüßte nicht zu sagen, aus welchem Grunde, Don Diego höchst übelwollte, und dem dessen mutmaßliche Verbindung mit der blonden Ginevra ein Dorn im Auge war. Wie er nun von dem Unwillen des Fräuleins Kunde erhielt, sann er sich alsbald eine Lüge aus und gab gegen seine Geliebte vor, von einer glaubwürdigen Person gehört zu haben, Don Diego würde ohne die Rücksicht, welche er auf seine Mutter zu nehmen hätte, das Fräulein mit dem Sperber schon geheiratet haben. Die Zofe mußte diese zweite Lüge ihrer Herrin hinterbringen, welche ihr leider nur ein zu williges Ohr lieh. Und da sie entschlossen war, dieses Verhältnis zu zerreißen und Don Diegos fernere Besuche zu verhüten, so gab sie einem Edelknaben den Befehl, nächstfolgenden Tags vor das Schloß hinaus an eine gewisse Stelle zu gehen, und wenn Don Diego komme, auf ihn zuzutreten und ihm zu sagen: »Don Diego, die blonde Ginevra schickt mich zu Euch und läßt Euch sagen, Ihr möget nur dahin gehen, woher Ihr Euren so werten Sperber erhalten habt; denn hier werdet Ihr weder Rebhühner noch Wachteln mehr fangen.«

Der Edelknabe ging zur rechten Zeit an den ihm angewiesenen Ort und blieb dort stehen, bis Don Diego nach seiner Gewohnheit hinkam. Sobald ihn der Knabe erblickte, ging er ihm entgegen und sagte ihm, was seine Gebieterin ihm aufgetragen. Der kluge und einsichtige Ritter verstand gut den Sinn dieser rätselhaften Worte und kehrte sehr mißvergnügt nach Hause. Dort angekommen, begab er sich auf sein Zimmer und schrieb einen den Umständen angemessenen Brief, nahm den Sperber, brachte ihn um und sandte ihn nebst dem Briefe durch einen Diener zu Pferde an die blonde Ginevra. Als der Diener zu ihr kam, wollte sie aber weder Brief noch Sperber annehmen und sagte nur mündlich zu dem Boten: »Guter Gesell, sag' deinem Herrn, er möge mir nicht mehr vor die Augen kommen, denn ich bin nun über ihn ganz im klaren und danke Gott von ganzem Herzen, daß er mir zur rechten Zeit noch die Augen geöffnet hat über seine Treulosigkeit.«

Der Bote kehrte mit dieser heftigen Antwort zu seinem Herrn und meldete ihm alles der Reihe nach. Wie sehr diese Botschaft ihn erschreckte und ihn in Staunen versetzte, wie er über sein Unglück jammerte und sich härmte, ist nicht zu sagen. Er versuchte tausend Wege, um sie aufzuklären und ihr zu wissen zu tun, daß sie von bösen Zungen betrogen worden sei; aber alles war umsonst. Sie wollte sich durchaus nicht besänftigen lassen und den gerechten Entschuldigungen ihres aufrichtigen Liebhabers kein Ohr leihen. Ihre vorgefaßte irrige Meinung hatte schon so tiefe Wurzeln in ihr Herz geschlagen, daß sie dieselben nicht mehr ausrotten konnte. Daher wollte sie auch weder Briefe noch Botschaften mehr von ihm annehmen. Als sich der unglückliche Liebhaber ohne seine Schuld so behandelt sah und einen so großen Kummer nicht ertragen konnte, auch weder Mittel noch Wege wußte, seine Flamme zu löschen, die immer weiter zu greifen schien, verfiel er in eine Schwermut, die ihm fast tödlich wurde.

Die Krankheit des Ritters war leicht zu beurteilen, da er von seiner Gewohnheit, das Fräulein zu besuchen, ganz abgelassen hatte. Die beiden Witwen lachten darüber und meinten, es sei nur kindischer Zwist. Nachdem aber Don Diego die Überzeugung gewonnen, daß er alle Mittel und Wege, die ihn zum Ziele führen konnten, umsonst versucht habe, ward er des Lebens überdrüssig. Doch wollte er sich nicht selbst umbringen und beschloß daher, einen anderen Weg zu versuchen, nämlich von der Ursache seines Kummers sich zu entfernen und einige Zeit in der Welt umherzuschweifen, in der Hoffnung, dieser herbe Schmerz werde sich mit der Zeit lindern. In diesem grausamen Vorsatz wählte er von seinen Sachen aus, was ihm mitzunehmen nötig schien, und unter anderem ließ er Einsiedlerkleider machen für sich und einen Begleiter, den er überall mit hinzunehmen beabsichtigte. Dann schrieb er einen Brief, den er einem seiner Diener mit den Worten übergab: »Ich entferne mich von hier in gewissen Angelegenheiten und will nicht, daß meine Mutter oder irgendwer erfahre, wohin ich gehe. Wenn ich fort bin und meine Frau Mutter fragt nach mir, so sagst du, du wissest nicht, wo ich sei, ich habe aber gesagt, ich komme in drei Wochen zurück. Wenn ich dann vier Tage fort bin, nicht früher, trägst du diesen Brief, den ich dir hier gebe, zu der blonden Ginevra, und wenn sie ihn nicht annehmen will, so übergibst du ihn ihrer Mutter. Hüte dich aber, wenn dir dein Leben lieb ist, von diesem Befehl abzuweichen!«

Der Diener antwortete, er solle ruhig sein, er werde alles genau nach seinem Geheiß besorgen. Als dies geschehen war, rief Don Diego einen anderen vertrauten Diener zu sich, der ein rechtschaffener und welterfahrener Mann war; diesem öffnete er sein ganzes Herz und weihte ihn in seinen Plan ein. Der redliche Mann tadelte diesen unvernünftigen Vorsatz heftig und bemühte sich mit triftigen Gründen, ihm diese Tollheit auszureden; aber es half alles nichts, denn sein Entschluß stand fest. Als der treue und ihm herzlich ergebene Diener dies bemerkte, dachte er bei sich, es sei noch das geringere Übel, wenn er mitginge; mit der Zeit könne er ihm schon diese Grille aus dem Kopfe treiben und, wenn er bei ihm bleibe, ihn von anderen noch schlimmeren Dingen abhalten. Er sagte also, er werde mitgehen und ihn nie verlassen.

Als sie nun eins geworden waren, trafen sie die nötigen Anordnungen und stiegen in der folgenden Nacht beide zu Pferde, Don Diego auf seinem trefflichen spanischen Renner, der wundervoll trabte, und der Diener auf einem rüstigen Gaul, der auch das Felleisen tragen mußte. Es war etwa drei Uhr nach Sonnenuntergang, als sie aufbrachen. Sie ritten die Nacht durch rüstig fort, und als es anfing zu tagen, schlugen sie, um von niemandem gesehen zu werden, unbetretene Nebenwege ein, auf denen sie bis zum Mittag weiter vorwärts drangen. Es war im Monat September und nicht sehr warm. Der Ritter hielt dafür, nunmehr eine gute Strecke von seiner Behausung entfernt zu sein und den Pferden eine Erholung gönnen zu können. Er kehrte daher in ein von allen Straßen abgelegenes Bauerngehöft ein und kaufte dort, was für sie und ihre Pferde nötig war; sie aßen und ließen die Pferde etwa drei Stunden ausruhen, was sie sehr nötig hatten. Dann stiegen sie wieder auf und setzten drei Tage auf gleiche Weise ihre Wanderschaft fort, bis sie an den Fuß eines hohen Berges kamen, welcher viele Meilen von der Landstraße entfernt lag. Die Gegend war wild und öde, mit mannigfaltigen Bäumen bestanden und mit Kaninchen und Hasen und anderem kleinen Wild bevölkert. Es lag hier eine für viele Menschen geräumige Höhle, bei welcher ein frischer Quell aus dem Boden hervorsprudelte. Als der Ritter diesen Ort sah, der ihm unendlich wohl gefiel, sagte er zu dem Diener: »Bruder, hier soll mein Aufenthalt sein, solange mir dieses kurze Leben währt.«

Sie stiegen darauf beide ab, nahmen den Pferden Sattel und Zaum ab und ließen sie laufen, wohin sie wollten; auch erfuhr man nichts mehr von ihnen, denn, da sie Gras abweidend sich von der Höhle entfernten, steht zu vermuten, daß sie den Wölfen zur Beute wurden. Der Ritter ließ Sattel und Zaumzeug und das übrige Gepäck in einen Winkel der Grotte niederlegen, legte seine gewohnten Kleider ab und hüllte sich wie sein Diener in die Einsiedlergewänder, worauf sie den Eingang der Grotte dergestalt mit Ästen verrammelten, daß kein wildes Tier eindringen konnte. Die Grotte war sehr geräumig und ganz im trockenen Grund ausgehöhlt. Hier bereiteten sie sich von Eichenlaub, so gut es gehen wollte, zwei Lagerstätten und brachten auf diese Weise viele Tage zu, indem sie von Wild lebten, das der Diener mittelst der mitgebrachten Armbrust erlegte, häufig aber auch von Wurzeln, Kräutern, wildwachsenden Früchten, Eicheln und dergleichen, und den Durst mit Quellwasser stillten, was dem Ritter keine Entbehrung war, da er keinen Wein trank. Solch ein elendes Waldleben führte Don Diego und tat nichts anderes, als daß er die Härte und Grausamkeit seiner Dame beweinte und wie ein wildes Tier den ganzen Tag einsam in den Bergschluchten irrte und vielleicht gern einem Bären begegnet wäre, daß dieser ihm das Leben nehme. Der Diener ließ es sich angelegen sein, soviel er konnte, Wildbret zu erbeuten, und ermahnte seinen Herrn jederzeit, wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, diese tiermäßige Lebensweise zu verlassen und nach Hause zurückzukehren und die blonde Ginevra als eine Törin zu behandeln, was sie auch war, da sie ihr Glück nicht verstand und nicht verdiente, daß ein so edler und reicher Ritter sie liebte. Wenn dann die Rede auf diese Dinge kam, so mochte Don Diego doch nicht leiden, daß von ihr übel gesprochen wurde, und er gebot seinem Gefährten, von etwas anderem zu reden, indem er wieder anhub, zu weinen und zu seufzen. Er verlor auf diese Weise bald seine gesunde Gesichtsfarbe und wurde täglich magerer und abgezehrter, so daß er einem Waldmenschen ähnlicher sah als einem andern. Desgleichen hatten ihn sein aschgraues Gewand mit der Kapuze hinten, sein lang gewachsener Bart, sein verworrenes Haar und seine täglich mehr einsinkenden Augen so außerordentlich entstellt, daß von seinen früheren Zügen auch keine Spur übriggeblieben war.

Wie Don Diegos Mutter ihn am nächsten Morgen nicht zu Tisch kommen sah, fragte sie nach ihm. Der Diener, welchem der Ritter den Brief an die blonde Ginevra gegeben hatte, berichtete der Mutter, daß er mit einem einzigen Diener ausgeritten sei und hinterlassen habe, er werde binnen drei Wochen zurückkehren. Die gute Mutter beruhigte sich damit. Als die vier Tage nach des Ritters Abreise um waren, brachte der Diener der blonden Ginevra den Brief und händigte ihn ihr, die er gerade mit ihrer Mutter im Saale traf, mit der schuldigen Ehrerbietung ein. Sobald sie merkte, daß der Brief von Don Diego kam, warf sie ihn zu Boden und sagte voll Zorn und mit ganz entfärbtem Gesichte: »Ich habe ihm doch sagen lassen, daß ich von seinen Briefen und Sendungen nichts wissen will.«

Die Mutter lachte und sagte: »Das ist ja ein gewaltiger Zorn. Gib mir diesen Brief her, ich will ihn lesen.« Einer der Dienstleute des Hauses hob den Brief auf und überreichte ihn seiner Gebieterin. Diese öffnete ihn und las folgendes: »Dieweil also, meine Gebieterin, meine Unschuld keine gute Statt in Eurem Herzen findet, wo sie sich durch Eröffnung der Wahrheit rechtfertigen möchte, und da ich aus unzweideutigen Zeichen erkennen muß, Euch nicht nur lästig zu sein, sondern auch tödlich von Euch gehaßt zu werden, es aber nicht ertragen kann, daß ich Euch in irgendeinem auch noch so unbedeutenden Stücke Anlaß zum Mißvergnügen werde, habe ich beschlossen, so weit von hier fortzugehen, daß weder Ihr noch sonst jemand jemals von mir wieder hören sollt, damit Ihr, wenn ich auch noch so unglücklich bin, vergnügt leben könnt. Es ist mir sehr hart und über die Maßen qualvoll, mich von Euch verschmäht zu sehen; aber ungleich härter und qualvoller ist es mir, zu wissen, daß Ihr über mich oder über etwas, was ich tue, wenn es auch gut gemeint war, Euch erzürnt oder kränkt. Mir ist jede Strafe geringer, als die, die mir Euer Unwille bringt. Mein schwaches Leben wird nicht lange so harte Martern ertragen, wie die sind, die ich jede Stunde erdulde. Ehe es also, was bald geschehen wird, zu Ende geht, habe ich Euch in diesem meinem letzten Briefe die einfache Wahrheit meiner Angelegenheiten vorstellen wollen, nicht etwa um Euch zu beschämen, sondern als ein Zeugnis meiner Unschuld. Denn da ich nicht in Eurer Ungnade leben will, soll wenigstens die Welt wissen, daß ich Euch, wie nur immer ein Mann eine Frau lieben kann, geliebt habe, liebe und ewig lieben werde, und die feste Hoffnung hege, Ihr werdet, wenn ich tot bin, obschon zu spät, für mich Mitleid fühlen; denn Ihr werdet am Ende einsehen, daß ich nie, auch nicht in Gedanken etwas begangen habe, was Euch vernünftigerweise betrüben könnte. Ich liebte Euch, wie Ihr wißt, nicht, um Euch Eure jungfräuliche Ehre zu rauben, sondern um Euch, wenn es Euch gefiele, zur Gemahlin zu bekommen, und dafür hab' ich kein besseres Zeugnis als Euch selbst. Da Ihr nun um keiner andern Ursache willen als wegen des mir dieser Tage zum Geschenk gemachten Sperbers mir zürnt, so sage ich auch, daß Isabella, die Tochter des Herrn Ferrando, mir den besagten Vogel zum Geschenk übersandte, und daß ich geglaubt haben würde, eine große Unhöflichkeit zu begehen, wenn ich ihn nicht angenommen hätte, weil dies unter Adligen gebräuchliche Geschenke sind. Mit Isabella aber habe ich nie und nirgends als in Eurem Hause und in Eurer Gegenwart gesprochen. Ob sie mich auf die Weise geliebt hat, wie Ihr Euch einbildet, weiß ich nicht, weil sie gegen mich selbst nie ein Wort darüber äußerte. Hätte sie dies je getan, so würde sie bald klar darüber geworden sein, daß ich nur ein Herz habe, das nicht mehr frei war, da ich schon Euch damit ein unwiderrufliches Geschenk gemacht hatte. Wenn sie nun erfährt, daß ich aus Rücksicht auf Euch ihren Sperber erwürgt und den Hunden zu fressen gegeben habe, so denke ich, wird sie versichert sein, daß ich sie nicht liebe; und daraus hättet Ihr gleichfalls meine Unschuld erkennen müssen. Nichtsdestoweniger hat der düstre dichte Schleier heftigen und ungerechten Zorns Eure Augen so sehr verhüllt und geblendet, daß er Euch die Wahrheit nicht erkennen läßt. Ich wüßte Euch kein anderes Zeugnis für meine Unschuld zu geben als mein Herz, das bei Euch weilt. Es sei darum, da es Euch so gefällt. Seitdem Ihr mich haßt, kann ich nicht umhin, mich selbst zu hassen; und da ich sehe, daß Euch mein Tod angenehm ist, so werde ich sterben. Nur das allein schmerzt mich, daß, während ich schuldlos bin, Ihr schuldig werdet. Mein Tod wird nur der kurze Aushauch eines Seufzers sein, aber die Grausamkeit, die Ihr gegen mich geübt, wird Euch unablässig vor Augen schweben. Ich bitte Gott, Euch aber so fröhlich zu machen, wie Ihr mich traurig wünscht. Gott sei mit Euch!«

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Die Witwe war von höchstem Erstaunen erfüllt, als sie diesen Brief gelesen hatte. Sie schalt ihre Tochter ernstlich aus, einen so artigen und ehrenhaften Ritter auf das Äußerste gebracht zu haben, und sagte ihr viel böse Worte. Diese aber war so erzürnt und haßte den Ritter so sehr, daß es ihr ein Genuß schien, zu vernehmen, er trage ihretwegen Leid. Die Witwe ließ sodann Don Diegos Diener wieder vor sich rufen und fragte ihn, seit wann sein Herr abgereist sei. Er sagte, es seien fünf Tage.

»Wohlan denn«, sagte sie, »gehe und empfiehl mich seiner Mutter!«

Sie wollte nicht, daß außer ihrer Tochter jemand den Inhalt des Briefes erfahre, und als sie dieselbe ausschalt, befanden sie sich allein. Als nun Don Diegos Mutter nach vierzehn Tagen und drei Wochen ihren Sohn nicht heimkehren sah und noch weiter umsonst gewartet hatte, war sie beunruhigt und schickte überall hin, wo sie Kunde von ihm erhalten zu können meinte; aber sie konnte nie etwas über ihn erfahren. Da sie jedoch ein unbestimmtes Gerücht vernommen hatte von dem Zorn der blonden Ginevra wegen eines Sperbers, ließ sie bei ihrer Mutter anfragen, ob sie nicht wisse, wo Don Diego sei; diese aber, um sie nicht in Verzweiflung zu bringen, verheimlichte ihr den Inhalt des Briefes an ihre Tochter. Wie schmerzlich das Leben der unglücklichen Mutter Don Diegos sein mußte, mag sich jeder vorstellen, welcher weiß, was die Liebe einer Mutter zu ihrem Sohne heißt, zumal je trefflicher, wohlerzogener und an guten Sitten reicher er ist. Sie weinte den ganzen Tag, schrie wie eine Rasende nach ihrem Sohne und grämte sich elendiglich. Doch starb sie nicht, denn man stirbt nicht vor Kummer, damit die Folter das ganze Leben lang nur um so größer sei.

Es waren nun bereits vierzehn bis fünfzehn Monate verflossen, seit der arme Don Diego sich von Hause entfernt hatte, um den wilden Tieren in Höhlen und Wäldern Gesellschaft zu leisten. Außer seinem Diener hatte er kein menschliches Wesen mehr gesehen, und durch die ununterbrochene rauhe Lebensweise, das bitterliche Weinen und die innerliche Unzufriedenheit, die stündlich an ihm zehrte, war er so entstellt, daß, wenn seine eigene Mutter ihn gesehen hätte, sie ihn nicht wiedererkannt haben würde. Nun aber fühlte das Schicksal Reue über die große Schmach, die der arme Ritter hatte unverdienterweise erdulden müssen, und begann in seinem Grollen nachzulassen. Es geschah nämlich, daß jener Ritter, von welchem ich früher erzählte, daß Don Diego ihn in das Geheimnis seiner Liebe habe ziehen wollen, dann aber, ich weiß nicht, warum, es unterließ und ihm nichts sagte, daß dieser aus der Gascogne heimkehrte, wo er Geschäfte halber gewesen war, und durch dieselbe öde Waldgegend kam, wo Don Diego sich häuslich niedergelassen hatte. Er verfehlte den Weg und kam zufällig in der Nähe der bewohnten Höhle vorbei. Als er dort viele Spuren menschlicher Gegenwart bemerkte und fast nur einen Bogenschuß davon entfernt war, glaubte er, jemanden hineingehen zu sehen, konnte aber nicht unterscheiden, wer es war. Es war Don Diego, welcher aus der Umgegend zurückkehrte, wo er sich oft, sein Mißgeschick beweinend, erging und auf das Geräusch der nahenden Pferde, das er vernahm, sich jetzt in seiner Grotte zu verbergen suchte. Als der reisende Ritter, welcher Rodrigo hieß, dies sah und merkte, daß er sich verirrt hatte, sagte er zu einem seiner Diener, er solle vorauseilen und zusehen, wer dort innen sei, und nach der Landstraße fragen.

Der Diener ritt hin und sah den Eingang der Grotte mit Pfählen verrammelt, weshalb er nicht wagte, näherzutreten und noch weniger, nach dem Weg sich zu erkundigen; denn er fürchtete, es möchten Räuber darin sein. Er kehrte daher zu dem Herrn zurück, meldete ihm, was er gesehen hatte und was er für eine Besorgnis habe, und schwieg. Der Ritter war ein tapferer und mutvoller Mann, der überdies eine zahlreiche Begleitung bei sich hatte, und ritt daher mit seinem Gefolge auf die Höhle zu. Auf seinen Ruf, wer darin sei, sah er den Eingang öffnen und Don Diegos Diener hervorkommen, der gegen früher so entstellt war, daß er einem Wilden glich. Herr Rodrigo fragte ihn, wer er sei, und wie er wieder auf den rechten Weg komme, um seine Reise fortzusetzen.

»Wir sind«, antwortete der Diener, »zwei arme Gesellen, die ihr widerwärtiges Geschick hierher verschlagen hat, wo wir unsere Sünden büßen. Was für ein Land dies ist und wo Ihr einen Weg finden mögt, bin ich aber nicht imstande, Euch zu sagen.«

Herr Rodrigo bekam Lust, sich die Höhle anzusehen, stieg mit einigen seiner Begleiter ab und ging hinein. Er sah dort Don Diego auf und nieder schreiten, erkannte ihn aber nicht und richtete an ihn dieselbe Frage, die er zuvor an seinen Diener gerichtet hatte. Dieweil er nun selbst mit dem unerkannten Don Diego sprach, hatten die, die mit ihm abgestiegen waren, sich daran gemacht, die Höhle zu durchforschen, und betrachteten alles voller Neugier. Dabei fanden sie in einem Winkel zwei Sättel, von denen der eine reich verziert und besonders schön gearbeitet war, und einer von ihnen sprach zu Don Diegos Diener: »Vater Einsiedler, ich bemerke hier weder Pferd noch Maultier oder Esel. Es wird also besser sein, Ihr verkauft mir diese Sättel.«

»Wenn sie euch gefallen, ihr Herren«, antwortete der Einsiedler, »so nehmt sie immerhin mit euch! Ihr braucht mir nichts dafür zu bezahlen.«

Herr Rodrigo, der in seinem Gespräche mit Don Diego nichts weiter aus ihm herausbringen konnte, sagte zu den Seinigen: »Wohlan denn, wir wollen gehen und diese Einsiedler ihrem Schicksal überlassen. Vielleicht finden wir anderwärts jemanden, der uns den Weg zeigt.« Hierauf sprach einer der Seinigen zu ihm: »Herr, hier liegen zwei Sättel, deren einer reich ausgeschmückt ist und offenbar einem kostbaren Pferde angehört hat.« Rodrigo ließ sich die Sättel bringen, und indem er den einen beschaute, traf sein Blick auf ein Emblem, das gar meisterlich auf den Sattelbogen gemalt war und den Spruch »Quebrantar la fe es cosa muy fea« zur Inschrift hatte, d. h.: die Treue brechen ist ein schändlich' Ding.

Sobald Rodrigo Sinnbild und Wahlspruch sah, erkannte er, daß dieser Sattel Don Diego gehörte; er dachte daher auch, einer der zwei Waldbrüder müsse es sein. Er maß daher den einen wie den andern mit scharfem Blick, und dennoch fand er nicht die mindeste Ähnlichkeit heraus, so sehr hatte das wilde Waldleben und das unablässige Weinen seine früheren Gesichtszüge entstellt. Er fragte die Einsiedler, wie sie zu den Sätteln gekommen seien. Don Diego, welcher den Ritter, seinen Freund, gleich zu Anfang erkannt hatte und sehr fürchtete, von ihm wiedererkannt zu werden, veränderte sich bei dieser Frage im ganzen Gesicht und sagte, sie hätten sie in dieser Höhle vorgefunden. Herr Rodrigo nahm die Bewegung in den Gesichtszügen des Einsiedlers wahr, betrachtete ihn noch genauer und entdeckte nun ein Muttermal, das mit sechs oder sieben goldgelben Härchen bewachsen an seinem Halse sich zeigte. Dadurch gewann er die feste Überzeugung, daß es Don Diego sei, fiel ihm um den Hals, umarmte ihn aufs zärtlichste und rief aus: »Fürwahr! Ihr seid Don Diego!«

Als der andere Waldbruder, der den Herrn Rodrigo seinerseits wohl erkannt hatte, ihn weinen und seinen Herrn so liebevoll umarmen sah, konnte er sich der Rührung nicht erwehren und fing laut an, zu schluchzen und zu weinen. Ebenso war Don Diego, der sich in den Armen eines seiner liebsten Freunde auf Erden fühlte, nicht imstande, zu verhindern, daß sich seine Augen wider Willen mit dem Tau seiner Tränen füllten. Er antwortete zwar immer noch nichts; aber Rodrigo wiederholte immer von neuem: »Ihr seid es doch, Ihr seid mein Don Diego!«

Da ließ er eine heiße Tränenflut über sein Antlitz strömen und gab also sein natürliches Gefühl kund, das er mit Worten nicht ausdrücken konnte oder wollte. Herr Rodrigo erwiderte ihm daher auch: »Ihr könnt Euch mir nicht länger verbergen, mein Herr! Ich kenne Euch und weiß, daß Ihr es seid.«

Am Ende wurde Don Diego auf tausend Arten genötigt, sich ihm zu eröffnen, und sagte: »Ich bin der unglückliche Don Diego, Euer aufrichtiger Freund; und dieweil Euch denn das Schicksal hier in diese Einsamkeit zu mir hergeführt hat, so beschwöre ich Euch, wieder von hinnen zu gehen und Euch damit zu begnügen, mich gesehen zu haben und mich hier die kurze Spanne Zeit, die mir noch übrig ist, verleben zu lassen, ohne jemandem zu offenbaren, daß ich noch lebe, und gleichermaßen auch Euren Leuten zu befehlen, daß sie mich niemandem verraten.«

Herr Rodrigo antwortete ihm unter Tränen: »Mein Herr, ich danke Gott, Euch wiedergefunden zu haben, woran ich gar nicht dachte, denn Eure Mutter und alle glaubten, Ihr seiet tot. Bereitet Euch nun, mit mir nach der Heimat zurückzukehren und Eure Mutter wieder aufzurichten, welche Euer Verlust aufs äußerste betrübt, und sie samt Euren Freunden zu trösten.«

Es wurden viele Worte zwischen beiden gewechselt, Don Diego wollte aber nichts von seiner Heimkehr wissen. Er führte Don Rodrigo abseits und erzählte ihm die ganze Geschichte seines Mißgeschicks und seiner Entschließung ausführlich. Als der wackere Rodrigo dieses alles hörte, wurde er fast ohnmächtig vor Mitleiden. Er gedachte augenblicklich derjenigen, der seine eigene glühende Liebe zugetan war, und erbebte bei der Vorstellung von der Möglichkeit eines ähnlichen Unglücks. Er bedauerte Don Diego deshalb innerlich so sehr, als ob es ihn selbst betroffen hätte. Entschlossen, nicht ohne ihn wieder von dannen zu gehen, bot er seine ganze Überredungskraft auf und bemühte sich, ihm eine so rauhe, ja unmenschliche Lebensart zu verleiden. Was er ihm aber auch sagen und vorstellen mochte, er konnte ihn dennoch nicht bewegen, von seiner Einsamkeit abzulassen, und gewann ihm keine Antwort ab, als die, daß er ohne die Gunst der blonden Ginevra nie jenen Ort verlassen würde. Als Herr Rodrigo sah, daß er sich vergebliche Mühe gab, bat er seinen Freund, ihm wenigstens insoweit willfährig zu sein, daß er ihm verspreche, ihn zwei Monate lang an diesem Orte zu erwarten und ein anderes Leben zu führen, weil er ihm Hoffnung machte, die blonde Ginevra wieder mit ihm auszusöhnen. Don Diego willigte ein, und Herr Rodrigo ließ ihm sein Bett zurück, das er auf der Reise mit sich führte. Er wollte ihn auch bereden, seine Einsiedlerkleider abzulegen und seine früheren Kleider anzuziehen, welche sich noch in der Höhle befanden. Aber Don Diego wollte davon nichts wissen und sie so lange weiter tragen, bis er den Frieden wieder habe. Rodrigo überließ ihm außerdem auch noch zwei Diener mit ihren Pferden und mit hinlänglichem Geld, damit bis zu seiner Rückkehr immer einer von ihnen aus benachbarten Ortschaften die nötigen Lebensmittel herbeibringe. Dann trennte er sich von Don Diego unter vielen Tränen, setzte seine Reise fort und unterließ nicht, sich seinen Weg zu bezeichnen, damit er ihn wiederfinde. Unterwegs beschäftigte er sich in Gedanken mit nichts anderem als mit dem Mißgeschick seines beklagenswerten Freundes und schalt die Grausamkeit der Jungfrau. Zu Hause wieder angelangt, verbot er den Seinen aufs strengste, von Don Diego irgend etwas verlauten zu lassen, und begann als Nachbar und Hausfreund der blonden Ginevra diese häufiger als zuvor zu besuchen und ihr Tun und Lassen genau zu beobachten.

Indem er nun bald dies bald jenes von ihr hörte, merkte er bald, daß sie einem im Hause erzogenen Diener ihr besonderes Vertrauen schenkte. Er machte sich daher mit diesem allmählich bekannter und verschaffte sich durch Geschenke seine Freundschaft. Es dauerte auch nicht lange, so erfuhr er alle Geheimnisse der blonden Ginevra von ihm. Er erfuhr auf diese Weise, daß sie sich nach ihrer Entzweiung mit Don Diego in einen jungen Basken verliebt hatte, der in Biskaya ein kleines Gütchen auf dem Lande besaß und in ihrem Hause als Vorschneider diente, wiewohl er als ein großer Wortheld mit den Reichtümern prahlte, die ihm nach dem Tode gewisser Verwandter zufallen würden. Er war gerade damals nicht im Hause anwesend, wurde aber bald zurückerwartet und hatte mit Ginevra verabredet, gleich darauf mit einer ihrer Zofen und mit jenem im Hause erzogenen Diener sie nach Biskaya zu entführen. Als Herr Rodrigo dies hörte, erstaunte er sehr über die große Torheit, welche die blonde Ginevra begehen wollte, und sprach bei sich selbst: »Was für ein undankbares Mädchen bist du doch und wie grausam gegen die lange treue Dienstbarkeit eines so edlen, reichen und tugendhaften Ritters, wie Don Diego, der dich mehr als sein Leben liebt. Aber wenn nur irgend meine Kräfte ausreichen, hoffe ich, sollen dir deine ungebührlichen Pläne nicht gelingen, und du sollst Don Diego, oder sonst keinem zuteil werden.«

Zu dem Diener, der ihm das Geheimnis verraten hatte, sagte er: »Das Mädchen tut in der Tat wohl daran, sich einen Mann zu nehmen; denn ihrer Mutter ist an ihrer Verheiratung, wie es scheint, nichts gelegen. Sie ist ledig und schön, hat das passende Alter und hat sich einen Edelmann ausgesucht. Wenn der nun nicht gerade so reich ist, wie er sein sollte, so hat sie doch Vermögen für beide, da sie nach dem Tode der Mutter die Erbin von allem ist.«

Nach dieser Unterredung blieb Herr Rodrigo des jungen Basken gewärtig, der nach drei Tagen zurückkehrte und noch zwei kräftige Basken mitbrachte, damit sie ihn begleiten sollten, wenn er die blonde Ginevra entführe. An demselben Tage, wo der Biskayer ankam, war Herr Rodrigo eben auf der Burg der blonden Ginevra, und als er die Rückkehr des Liebhabers bemerkte, sagte er zu dem Dienstmann, der ihm alles anvertraute: »Ich sehe, daß der Liebhaber wieder da ist und daß ihr nun bald fliehen werdet; wünschest du vor eurer Abreise noch etwas von mir, so sage es! Nimm dich aber in acht, daß du deine Sache klug anfängst, und plaudre sie nicht gegen jedermann aus! Mir kannst du alles sagen, denn von mir erfährt kein Mensch etwas wieder davon. Wann geht ihr denn fort?«

»Soviel mir mein Fräulein vor noch nicht ganz einer Stunde gesagt hat, gehen wir heute nacht um vier Uhr.«

Als der Ritter dies vernommen, kehrte er nach seinem Schlosse zurück und ordnete alles an, was ihm zur Ausführung des Planes nötig schien, den er entworfen hatte. Die Nacht, in welcher die blonde Ginevra mit ihrem Liebhaber fliehen wollte, kam, und als es vier Uhr schlug, stieg sie mit der Zofe, die in ihrem Zimmer schlief, aus einem Fenster, an welchem schon Leitern bereitstanden, hinab, so leise, daß kein Mensch es hörte. Sie ging durch den Garten, an dessen Pforte die Pferde bereitstanden, worauf alle aufstiegen und losritten. Herr Rodrigo, welcher wußte, welchen Weg sie nehmen mußten, legte sich mit einem Dutzend handfester Leute von seinen Untergebenen jenen Abend in ein etwa sechs Meilen von jeder menschlichen Wohnung entferntes Gehölz in Hinterhalt. Es war etwa zwei Stunden vor Tag, als die Flüchtigen in der Nähe des Verstecks ankamen, in welchem sie der Ritter mit seiner bewaffneten Schar erwartete, die für alle Fälle aufs beste von ihm eingeschult war. Als sie vor dem Versteck anlangten, brach Herr Rodrigo mit den Seinigen hervor und rief: »Ha, Verräter, ihr seid des Todes!«

Dabei lief er mit eingelegter Lanze auf den Liebhaber los, den er, obgleich es Nacht war, wohl erkannte, und traf ihn mit der Lanze so heftig, daß sie ihm den Hals von einer Seite zur anderen durchbohrte, so daß der Unglückliche tot zu Boden sank. Sobald die andern Basken ihren Gebieter fallen sahen, gaben sie ihren Pferden die Sporen und zerstreuten sich, ohne zu wissen, wer den Jüngling erstochen hatte. Die Flucht wurde ihnen sehr leicht, denn als die Begleiter des Ritters sahen, daß sie sich wider Erwarten nicht zur Wehr gesetzt hatten, bemächtigten sie sich der beiden Frauen und des Dieners, der die Sache geoffenbart hatte, und ermunterten sie, unverzagt zu sein.

Der Ritter war mit den Seinigen seltsam vermummt, um nicht so leicht erkannt zu werden. Er ließ sogleich den Toten auf sein Pferd setzen, nachdem ihm mit Tüchern die Wunde verstopft war, damit nicht noch mehr Blut herauslaufe, und so befahl er allen, weiterzureiten. Die blonde Ginevra weinte bitterlich und schrie anfänglich laut, bis einer der Bewaffneten, der einen garstigen schwarzen Bart und rollende Augen hatte und wie ein wahrer Teufel aussah, mit dem Dolch in der Hand vor sie trat und ihr mit fürchterlicher Stimme die Drohworte zurief: »Ich schwöre bei Gott, daß ich dir die Gurgel durchschneide, wenn du nicht aufhörst, zu schreien. Schweig, denn du hast es besser als du verdienst; denn es wird dein Glück befördert und du erkennst es nicht.«

Sie ritten weiter und kamen zu einer kleinen von der Straße abgelegenen Kirche, wo sie so schnell als möglich den Toten begruben und dann weiterritten. Es war die vierte oder fünfte Tagesstunde, als sie in einem Gehölz in der Nähe eines Dorfes haltmachten, sie schickten dorthin, um Lebensmittel für sich und ihre Pferde zu holen, und erfrischten sich. Die blonde Ginevra weinte fortwährend, aß wenig oder nichts, konnte aber nie erkennen, wer es war, der sie davonführte. In der Nacht herbergten sie in einsam stehenden Häusern und erlaubten niemandem, mit ihr oder ihrer Zofe, ja auch nur mit ihrem Diener zu reden. Als sie nun eines Nachts in einem kleinen Dorfe abgestiegen waren, das von der Höhle, worin Don Diego hauste, etwa sieben Meilen entfernt war, schickte Herr Rodrigo einen der Seinen an Don Diego und ließ ihm melden, was vorgefallen war, und daß er vor dem Mittagessen mit seinem Gefolge dort eintreffen werde. Es waren etwa fünfzig Tage, seit Herr Rodrigo den unglücklichen Liebhaber in einiger Hoffnung, die Gunst seiner Geliebten wiederzugewinnen, verlassen hatte. Unterdessen hatte er ziemlich gut gelebt, mehr als sonst heiterer Geselligkeit gepflogen und dadurch großenteils seine natürliche Farbe wiedererlangt, so daß seine Schönheit und Lebensfrische fast wiederhergestellt waren. Als er nun von den Abgesandten seines Freundes erfahren hatte, wie es bisher gegangen war, stand er eine gute Weile in starrem Erstaunen und fast außer sich da. Bei dem Gedanken, daß er nun in einer Stunde diejenige sehen werde, die er so sehr liebte, fühlte er sein Blut sich erwärmen, sein Herz höher schlagen, einen kalten Schweiß aus allen Poren brechen und tausend andere Bangigkeiten, so daß er gar nicht wußte, wo er bleiben, noch was er tun sollte. Unterdessen näherte sich Herr Rodrigo der Höhle, trat zu der blonden Ginevra, vor der er sich bis dahin stets verborgen gehalten hatte, und sprach zu ihr, die noch immer über den Tod ihres Geliebten und das Unglück, in das sie geraten, weinte: »Ich weiß, daß Ihr sehr erstaunen werdet, mich hier zu sehen, und Ihr werdet mich schwer beschuldigen, daß ich, nachdem ich immer ein Freund Eures Hauses gewesen und nie von Euch eine Beleidigung empfangen, Euch auf offener Straße gefangengenommen habe und jetzt in diese öde Wildnis führe. Sobald Euch aber der Beweggrund meines Verfahrens bekannt sein wird, zweifle ich keineswegs, daß Ihr der Vernunft ihr Recht einräumen und mich loben müßt. Und da wir nun dem Ziele unserer Reise nahe sind, so erkläre ich Euch hiermit, daß ich Euch nicht hierhergebracht habe, um Euch Eure Jungfraunschaft zu rauben, Ihr wißt ja, daß ich für eine andere glühe, sondern um Euch Eure Ehre und Euren guten Ruf wieder zu verschaffen, den Ihr leichtsinnigerweise durchaus zu beflecken getrachtet habt. Ich habe für einen andern das getan, was ich wünsche, daß man in ähnlichem Falle für mich tun möge. Don Diego (um Euch nicht länger in Ungewißheit zu lassen), den Ihr einst so sehr geliebt habt, und der Euch immer so treu geliebt hat und noch liebt, ja anbetet, und der, um Euern Zorn und Unwillen nicht länger zu erdulden, sich wie ein Verzweifelter in eine Höhle eingeschlossen hat, um wie ein Wilder zu leben, und aller Hoffnung, je wieder in der Welt zu erscheinen, entsagte, er ist es, zu dem ich Euch führe und begleite.«

Er erzählte ihr ferner, wie er aus der Gascogne heimkehrend ihn in der einsamen Höhle gefunden, und alles, was er mit ihm verabredet, und bat sie sodann, die Tränen zu trocknen, den Zorn zu hemmen, zu welchem kein Grund vorlag, und Don Diego wieder in ihre alte Gunst aufzunehmen. Das verzweifelte Mädchen war bei diesen Worten so betreten und außer sich, daß sie fast kein Wort hervorbrachte. Über den Tod ihres neuen Liebhabers war sie aber so sehr von Zorn und Schmerz erfüllt, daß, wenn sie Herrn Rodrigo hätte die Augen auskratzen können, sie es mehr als gerne getan hätte; als sie aber gar den nennen hörte, den sie so bitterlich haßte, verdoppelte sich ihre Erregung, so daß sie vor Wut dem Bersten nahe war. Sie sagte daher, zu dem Ritter gewandt, voll Zorn: »Ich weiß nicht, wie es möglich sein soll, daß ich Euch eine so schwere Beleidigung, wie Ihr sie mir treuloserweise zugefügt, vergebe. Glaubt nicht, daß ich als ein schwaches Weib nur mit eitlen Worten drohe! Das wäre hier nicht am Platz. Aber ich will es mir tief ins Herz verschließen, und wenn sich mir je Gelegenheit bietet, auf irgendeine Weise dafür Rache zu nehmen, so will ich Euch erkennen lassen, daß Ihr als Mörder und nicht als Ritter gehandelt habt. Jetzt nur soviel! Ihr habt Euch nicht weiter um meine Angelegenheiten zu kümmern, als ich es selbst tue. Ich bin frei und kann mit mir tun, was mir wohlgefällt. Laßt mich also mit meinen Leuten gehen, wohin ich mag, und macht Euch meinetwegen gar keine unnötigen Sorgen! Bekümmert Euch um Eure Dinge und Ihr werdet wohl daran tun. Denn mich dahin zu führen, wo Don Diego ist, das steht wohl in Eurer Gewalt, solange Ihr mich auf diese Weise gefangen haltet; nimmermehr aber könnt Ihr es dahin bringen, daß ich freiwillig bei ihm bleibe, noch gar, daß ich ihn liebe. Eher würde ich mir irgendwie ein Leids antun als zugeben, daß er mich genieße. Ihr tut daher nur, was sich gehört, wenn Ihr mich mit diesem meinem Mädchen und meinem Diener gehen laßt, wohin ich mag!«

Der Ritter gab sich viele Mühe, sie durch Vernunftgründe zur Erkenntnis dessen zu führen, was ihr Bestes sei, aber alles umsonst. Alle seine Vorstellungen scheiterten an ihrer Hartnäckigkeit und an ihrem Zorne. Unter solchen Gesprächen waren sie bei der Höhle angelangt, wo Don Diego nicht sobald seine grausame Gebieterin vom Pferde steigen sah, als er sich ihr demütig zu Füßen warf und sie mit einem Strom von Tränen anflehte, ihm zu verzeihen, wenn er sie jemals beleidigt habe. Sie war aber ganz voll Gift und weiblicher Galle, wandte daher ihr Gesicht zur Seite und würdigte ihn keines Blickes oder Wortes. Als Don Diego dies sah, erhob er sich auf seine Knie und sprach nach tausend Bitten und heißen Tränen also: »Da meine aufrichtigsten Beteuerungen Euch, meine Gebieterin, nicht von meiner Reinheit überzeugen können und da ich ohne Eure Gewogenheit nicht ferner leben könnte, so verweigert mir wenigstens das nicht, was ich als letzte Gunst von Euch erbitte, wofern noch ein Funken Menschlichkeit und adliger Gesinnung in Euch ist; ich bitte Euch nämlich, mit eigenen Händen die Rache an mir zu nehmen, nach der Ihr am meisten verlangt. Es wird mir zur höchsten Befriedigung gereichen, wenn ich sehe, daß Euer Zorn sich mit meinem Blute stillt, und ganz gewiß wäre es für mich unendlich besser, Euch sterbend genugzutun, als in Eurer Ungnade fortzuleben, weil ich in dem Bewußtsein, daß mein Leben Euch mißfällig, mein Tod aber angenehm ist, mich sonst gedrungen fühlen müßte, mich um Euretwillen selbst zu töten. Dann könnte ich doch wenigstens sagen, ich habe Euch einmal befriedigt.«

Die Jungfrau stand regungsloser als eine Klippe im Meere da und würdigte den fußfällig Bittenden keines einzigen Wortes der Erwiderung. Als nun Herr Rodrigo dies sah, sagte er höchlichst entrüstet über diese Grausamkeit voll gerechten Zornes und berechtigten Unwillens zu dem Mädchen mit heftiger Gebärde: »Ich sehe wohl, daß ich wider meinen Willen mich ferner in die Sache mischen muß. Höre mich also, Ginevra, und bedenke wohl, was ich dir sage! Entweder du verzeihst dem Ritter, der dich nie beleidigt hat, und schenkst ihm deine Gunst wieder, die er auf tausendfache Weise verdient hat, oder du gewärtigst, daß ich gegen dich und die Deinen hier grausam werde und dich wohl oder übel zwinge, das zu tun, was du längst aus freien Stücken hättest tun sollen. Bei Gott, es gab noch niemals ein so grausames und undankbares Weib wie dich. Kannst du in der Tat glauben, er würde, wenn er, wie du meinst, den vermaledeiten Sperber dir zum Hohne zum Geschenk angenommen und des Herrn Ferrando Tochter mehr als dich geliebt hätte, den Vogel getötet und sich in diese Einöde zurückgezogen haben, um wie die wilden Tiere in einer unwirtlichen Höhle zu hausen? Wer hätte ihn wohl gehindert, jenes Mädchen zur Frau zu nehmen und mit ihr fröhlich und guter Dinge zu leben, wenn er es gewollt hätte? Vielleicht wäre es dir gesund, wenn er, wie du es verdienst, dich verachtete, dich den Wölfen zum Futter ließe und sich eine andere Geliebte suchte, wo du dann mit Recht Ursache zur Klage hättest. Mit allem Rechte könnte er, wenn ihn nicht seine allzugroße Liebe zu dir über die Wahrheit verblendete, Klage über dich anstellen und sich bitter beschweren. Ja, er dürfte dich als eine grausame und tödliche Feindin hassen und von Grund aus verachten, wenn er bedächte, wie er von dir ohne Ursache schnöde verlassen wurde. Und wenn du dir noch einen Jüngling ausgewählt hättest, der so reich, schön, tugendhaft und edel wie er gewesen wäre! Eine feine Wahl ist wahrlich, die du getroffen hast, wo dir so viele Edelleute unseres Landes zur Verfügung standen! An einen Niedrigeren als du hattest du dich gehängt, indem du einen baskischen Prahlhans liebtest, der die Wahrheit niemals anders als aus Versehen sprach. Ich glaube, er entführte dich nach Biskaya, um dich seine Ziegen hüten zu lassen; denn man weiß ja wohl, was er besaß, und wenn er hätte zu Hause bleiben und sich nur einen Knaben zur Bedienung halten müssen, so hätte er nicht auf sechs Monate zu leben gehabt. Du magst aber vielleicht sagen wollen: ich bin reich und habe Vermögen genug, um meinem Stande gemäß mit Ehren auszukommen. Erinnere dich indessen nur, daß deine Mutter eine rüstige Frau ist, die noch lange leben kann und die, solange sie lebt, über ihr Besitztum zu gebieten hat. Hättest du dich dem elenden Basken vermählt, sie würde dich nimmer wieder haben sehen wollen, und ich weiß nicht, wie du mittlerweile hättest leben können. Du würdest gewiß die Toten beneidet haben. Soviel weiß ich, wenn Don Diego sich von mir raten ließe, so würde die Sache viel besser gehen, und du würdest für immer der Schande verfallen sein, würdest auch gewiß nicht so leicht jemanden antreffen, der dich zur Frau begehrte; denn wenn man erführe, daß du einem Basken, einem Diener deines Hauses, nachgelaufen, wer müßte nicht dafür halten, daß du auch seine Buhldirne gewesen? Die Menschen sind viel geneigter, das Böse zu glauben als das Gute. Da es denn nun aber Don Diego so haben will, so mag er seiner Neigung folgen und dich gegen alles Verdienst achten und lieben! Und du beachte deshalb, was ich dir gesagt habe, lege jetzt deine Halsstarrigkeit und unerbittliche Strenge ab und gehe in dich, damit dir nicht am Ende dennoch widerfahre, was dir gar nicht lieb sein möchte, denn du darfst versichert sein, daß ich dieses Unternehmen nicht begonnen habe, um es unvollendet zu lassen. Ich stelle also Wasser und Feuer vor dich hin und du kannst von beiden nehmen, was dir zusagt.«

Das Mädchen wurde nunmehr nur um so härter und unbeugsamer und entgegnete dem Herrn Rodrigo mit stolzem, zürnendem Gesicht, nicht mehr wie ein zartes schüchternes Mädchen, sondern wie ein mit den Schlägen eines widerwärtigen Schicksals vertrautes Weib, folgendermaßen: »Ritter, du hast gesprochen, wie es dir gefällig war. Ob es recht oder unrecht war, darüber will ich jetzt nicht mit dir streiten; aber du sollst wissen, daß ich eher auf das härteste Leiden gefaßt als willens bin, diesen treulosen Verräter je wieder zu lieben. Und wenn du mir den Tod gibst, wie du drohst, so werde ich ihn mit Freuden empfangen, um in ihm mit meinem unglücklichen Liebhaber und Gatten wieder vereinigt zu werden, den du grausamerweise gemordet hast. Ja, fange du es an, wie du immer willst, du wirst mich immer standhafter finden, denn weder du noch die ganze Welt würde mich dazu bewegen, diesen Mann jemals wieder zu lieben.«

Diese herbe Antwort der gereizten Jungfrau erschütterte den Herrn Rodrigo dermaßen, daß er, in der Einbildung vor seiner eigenen Dame zu stehen und von ihr dergleichen zürnende Worte zu vernehmen, von übergroßem Schmerze beinahe des Bewußtseins beraubt wurde. Er mußte sich zur Erde niedersetzen, wo er lange Zeit mit seiner Schwäche und Erschöpfung kämpfte, ohne imstande zu sein, ein Wort hervorzubringen. Unterdessen warfen die Zofe und der Diener des Mädchens, welche fürchteten, Herr Rodrigo möchte seiner Drohung gemäß seinen Zorn gegen sie wenden, sich ihrer Gebieterin zu Füßen und baten sie unter Tränen, den ehrsamen Forderungen Herrn Rodrigos Gehör zu geben und sich mit Don Diego auszusöhnen. Aber sie predigten tauben Ohren.

Als der weinende Don Diego die höchst grausame Antwort seiner Gebieterin vernommen hatte, sank er halbtot zu Boden; der Genosse seiner Einsamkeit eilte zu ihm hin, nahm ihn in den Arm und rieb ihn, wie man bei solchen Zufällen zu tun pflegt. Die anderen Anwesenden umstanden die blonde Ginevra und sagten ihr, was ihnen irgend in den Sinn kommen wollte, um sie zu besänftigen, wiewohl sie gegen alle Vorstellungen so unbeweglich wie ein harter Fels im Meere blieb. Herr Rodrigo hatte inzwischen wieder etwas Atem geschöpft und still bei sich erwogen, was zu tun sei. Unfähig, seinen Freund länger in einem Zustande so tiefer Betrübnis und schmerzlicher Qual zu sehen, sagte er zu der blonden Ginevra fortwährend weinend: »Ich komme von meinem Erstaunen über dich noch immer nicht zurück und vermag nicht zu begreifen, wie in der Brust einer so zarten Jungfrau eine so verbissene Grausamkeit wohnen kann. Es war mir eben jetzt, als stünde ich vor meiner eignen Geliebten und vernähme von ihr eine ebenso unfreundliche Antwort wie von dir; worüber mir dann zumute wurde, als ob mir jemand mit einem spitzen Messer das Herz durchstieße, und auch diesen Augenblick noch scheint es mir, als würde es von scharfen Spießen durchbohrt. Wie ich nun an meinem eingebildeten Schmerze die wirkliche übergroße Qual ermessen kann, die diesem unglückseligen Don Diego von dir fortwährend bereitet wird, ohne zu begreifen, warum sie ihn noch nicht getötet hat, so habe ich beschlossen, dich allen Ärgernisses zu entledigen und ihn vermöge eines kurzen Schmerzes seiner vielen Leiden um deinetwillen zu entheben, in der Hoffnung, daß er mit der Zeit erkennen werde, es sei zu seinem Besten geschehen, und daß mich alle Welt darum preisen muß.«

Nach diesen Worten wandte er sich zu seinen Leuten und sprach: »Führet dieses unmenschliche Weib hier nebenan in eine andere Grotte und gebt ihr den verdienten Tod! Damit aber unsere Tat verborgen bleibe, ermordet auch diese ihre Zofe und den Diener! Dann brauchen wir keinen Verrat zu besorgen.«

Bei diesem grausamen Befehle stieß das entsetzte Mädchen einen lauten Schrei aus, und die arme Zofe und der Diener riefen weinend um Gnade. Herrn Rodrigos Diener schickten sich bereits an, dem Willen ihres Gebieters Folge zu leisten, als die blonde Ginevra ohne Tränen sprach: »Ihr guten Leute, ich bitte euch, gebt mir allein den Tod und schonet der Meinigen! Warum, Rodrigo, willst du auch die verderben, die dich nie beleidigt haben?«

In diesem Augenblick hatte Don Diego sich wieder völlig gefunden. Er winkte allen, zu bleiben, und sprach zu Rodrigo: »Mein Herr, wenn ich tausend Jahre zu leben hätte, so würde ich dennoch nicht die Verpflichtungen ablösen können, die du mir auferlegt hast, weil es bei weitem all mein Vermögen übersteigt. Da ich nun weiß, wie sehr Ihr mich liebt, so ersuche ich Euch, mir eine Gnade zu erzeigen, womit Ihr, wenn es möglich ist, mich noch mehr verbinden würdet. Ihr habt mit Eurem Wohlwollen bereits viel mehr für mich getan, als ich selbst getan haben würde, tut mir daher den Gefallen, diese meine Gebieterin nach Hause zurückzugeleiten, wie wenn sie Eure Schwester wäre. Denn wiewohl es mir ein schwerer Kummer ist, mich von ihr verschmäht zu sehen, die ich mehr als mein Leben liebe, so ist es mir doch eine weit unerträglichere Last, sie meinethalben betrübt zu wissen. Ich will also meine Leiden nicht noch durch ihre Qual erhöhen. Sie gehe, wohin es ihr gefällt! Ich werde meine wenigen Lebenstage vollends in dieser wilden Höhle endigen und zufrieden sein, wenn ich nur ihren Kummer gestillt weiß.«

Bewunderungswürdig sind doch die Kräfte der Liebe, wie sie sie gebrauchen will, und oft werden die unmöglich scheinenden Dinge durch sie leicht und ausführbar. Der Jungfrau, die alle Dienstbarkeit und alles Elend, worin sie ihren Geliebten sah, und der Tod, der ihr vor Augen schwebte, nicht imstande gewesen war zu beugen, öffneten jetzt Don Diegos letzte Worte die Augen und brachen ihre starre Härte. Sie erkannte die echte Treue und Beständigkeit ihres Geliebten, warf sich ihm an den Hals und blieb so bitterlich weinend eine gute Weile, ohne eines Wortes mächtig zu werden. Dann küßte sie ihn und bat ihn um Verzeihung. Wie hoch erfreut Don Diego darüber sein mußte, kann sich jeder vorstellen, der liebt und jemals einen ähnlichen Kummer erduldete. Sie waren allesamt von der größten Freude erfüllt.

Im Einverständnis mit Don Diego und dem Fräulein schickte Herr Rodrigo einen seiner Vertrauten an die beiden Mütter ab, denen er bekannt war, und ließ ihnen sagen, was er beabsichtige. Darauf speisten sie miteinander zu Mittag, stiegen nach der Mahlzeit zu Pferde und langten nach vier Tagen auf dem Schlosse Don Rodrigos an. Sobald die beiden Mütter die guten Nachrichten von ihren Kindern und deren Absichten vernommen hatten, erklärten sie öffentlich, Don Diego und die blonde Ginevra seien in gegenseitigem Einverständnisse abgereist und haben sich auf dem Schlosse des Herrn Rodrigo vermählt. Zu gleicher Zeit trafen sie Veranstaltungen zu einer prachtvollen Hochzeit, die ihrem Adel und ihrem Reichtum gemäß gefeiert werden sollte. Nachdem alles soweit in Ordnung war, begaben sich die beiden Liebenden mit Herrn Rodrigo auf das Schloß der Mutter des Fräuleins, wo auch Don Diegos Mutter nebst einer glänzenden und schönen Gesellschaft sich befand. Daselbst wurde die Trauung dem Gebrauch gemäß vollzogen, alles überließ sich der Freude und der Lust, und in der folgenden Nacht vollzogen die Neuvermählten die heilige Ehe. Sie lebten fortan immer glücklich miteinander und erinnerten sich des öfteren mit Rührung der vergangenen Leiden. Doch war die blonde Ginevra in der Folge fast unfähig zu begreifen, wie sie habe so streng, halsstarrig und grausam gegen ihren Geliebten sein können, wie sie wußte, daß sie gewesen war; und jedesmal, wenn sie mit Herrn Rodrigo auf ihre Vergangenheit zu sprechen kam, was oft geschah, erging sie sich gegen ihn in Danksagungen für die unendlichen Verpflichtungen, die sie gegen ihn zu haben gestand.


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