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Das Bild der Mutter Erde stand am Rande der Klippe, die steil zum blauen Meere abfiel.
Der Schaum der Brandung spritzte manchmal hoch empor, wenn das Meer seine wilden Sturzwellen gegen den Fuß der Klippe rollte, aber der weiße Gischt erreichte nicht das Marmorbild, das ruhig und sicher droben stand in seiner klaren reinen Schönheit.
Ringsum wuchsen dunkle Ölbäume, stachlige Kakteen und Cypressen, die Palmenwipfel rauschten in der warmen Luft, und über dem Ganzen wölbte sich das tiefe, satte Blau des südlichen Himmels.
Das Bild war heilig.
Vor vielen Jahren, erzählte die Sage, war einst ein junger Künstler aus der Fremde in diese Gegend gekommen, mit leidvergrämten Zügen 63 und dunklen, brennenden Augen in dem blassen Gesicht. Der schlug dort seine Werkstatt auf und arbeitete Tag und Nacht an einem großen Marmorblock, daß die Schläge seines Meißels das Brausen des Meeres übertönten. Und er gab dem Steinbild die Züge des Weibes, das er geliebt und das in der Ferne die fremde Erde deckte, und schuf es so herrlich schön, wie nur ein Werk der Liebe werden kann; und dann, als es fertig dastand, warf er sich vor ihm nieder und schlang die Arme um den kalten Stein und weinte heiße Tränen in den Schoß der Göttin, und ein Schrei wie aus der Brust eines gemarterten Titanen hallte über das Meer hin. Am andern Tag aber fanden sie ihn tot zu den Füßen des Götterbildes.
Seither war es heilig.
Manchmal in tiefer Nacht, wenn das blasse Mondlicht in den Falten des Gewandes herabfloß und der erhobene Arm weiß und rund durch die klare Luft schimmerte, ward es zu Füßen der Göttin lebendig.
Aus den dunklen Cypressenbüschen brachen seltsame Gestalten in losen, flatternden Gewändern, mit qualmenden Fackeln und Handpauken, mit blitzenden, scharfen Dolchen, mit dunklen Blattkränzen auf dem Haupt; und andere mit aufgelöstem Haar, das wild um gerötete Gesichter 64 hing, und wieder andere mit weinlaubumwundenen Stäben in der Hand. Und sie tanzten und jauchzten mit heller, scharfer Stimme durch die Nacht, sie warfen die brennenden Fackeln hoch in die Luft und fingen sie im Sprunge wieder auf, sie zerrissen ihre leichten Gewänder und tanzten nackt weiter, und immer wilder ward die Luft und immer toller der Reigen der Tanzenden, und in die Schreie der Verzückung tönten Schmerzensrufe, da flammte ein brennendes Gewand und dort zuckte es auf, wenn die Flammen das Haar einer der Tanzenden versengten, und immer lauter tönten die Zimbeln und Handpauken, immer wilder das Evoe der Rasenden durch die Luft, bis sie keuchend und mit schaumbedeckten Leibern niederstürzten vor dem Götterbild.
Aber die Göttin stand in ihrer kalten Schönheit da und blickte aus den steinernen Augen über die Tanzenden hinweg nach dem Osten und grüßte den jungen Tag, der dort aus dem Meere emporstieg und ihren weißen Leib mit rosigem Licht übergoß.
Und fromme Hände bauten einen Tempel um das Marmorbild und schmückten ihn mit Statuen und stellten Weihgeschenke von Gold und Silber und duftende Blumen hinein.
Aber dann kamen andere Zeiten und andere Menschen und andere Götter. 65
Die schwärmenden Scharen hatten die Göttin verlassen, denn die wilden Brombeerranken wucherten zu dicht um den Tempel, und seine Wände sanken in Trümmer und zwischen den zerbrochenen Säulenkapitälen wuchsen wilde Blumen. Das Land aber hallte wider von Kriegsgeschrei, denn die fremden Barbaren aus dem Norden kamen auf ihren Drachenschiffen und warfen Feuer in die stillen Dörfer und schlugen die Marmorgötter in Trümmer.
Eines Tages landete das Schiff eines Wickings an der einsamen Küste. Der Eroberer stand vorne bei den geschnitzten Drachenköpfen und legte die Hand an den Schwertknauf. Und in den lauen Wind hinein, der ihm die Düfte fremder Blumen entgegentrug, sprach er leise – leise einen Namen – Helga. – Der Wind verwehte den Namen mit dem Blütenduft; aber als die wilden Blondbärte ans Land stiegen und nach Schätzen suchten. blieb der Fürst allein zurück und stieg langsam zur Klippe empor, und plötzlich leuchtete es durch die dunklen Cypressen und eine erhobene Hand schimmerte in der Luft. Und der fremde Eroberer blickte zu dem Steinbild empor – weiß glänzte der Nacken und die herrliche, halb verhüllte Brust – und er flüsterte wieder ganz leise – Helga. – Aber als seine Fahrtgenossen kamen und mit wildem Halloh das Marmorbild zertrümmern 66 wollten, weil sich ringsum nichts zu plündern fand, da fuhr der Fürst aus seinem Sinnen empor und gebot halt; er selbst zog sein Schwert und hieb die ausgestreckte Marmorhand ab und steckte sie in sein Gewand. Und dann fuhren sie alle fort und zogen weiter aus auf neue Beute.
Das Bild stand wieder einsam da, und sein Antlitz wurde rauh, als hätte das Alter Runzeln hineingegraben.
Einst kamen die Urenkel derer, die damals um das Götterbild getanzt hatten, ein langer, trauriger Zug, mit Lumpen um die schönen Glieder und Tränen in den Augen; und sie gruben ein Loch in den Boden und senkten die Göttin hinein, Erde und Reisig wurde nachgeworfen, bis das letzte weiße Stückchen Marmor verschwunden war, und dann wälzten sie schwere Steine über das Grab und zogen fort in die Fremde.
Die Göttin war vergessen und tot.
Um ihr Grab wuchsen stachlige Gräser, und der braune Hirt trieb seine Ziegen drüber hin und blies auf der Flöte eine schwermütige Weise und horchte auf den Widerhall seiner Stimme aus dem Walde. Und seine junge Freundin kam zu ihm und setzte sich auf sein Knie und lauschte den Tönen der Flöte, und wenn das Abendrot im Westen verglommen war, deckte die funkelnde Nacht das verschwiegene Glück. 67
Und wieder kamen andere Zeiten und andere Götter und andere Menschen, die ihren blühenden Leib in rauhe Gewänder hüllten und in der Stille und Verborgenheit ihren Gott verehrten mit Beten und Almosenspenden, und nachsannen in der Einsamkeit der Wildnis über Leben und Tod und Verklärung.
Einst gruben fromme, einfältige Hände an der Stelle, wo das stille, blühende Grab der Göttin lag, die Erde auf, um den Grund zu einer Kapelle zu legen. Da tauchte ein Arm empor und eine weiße Schulter, vorsichtiger führten sie den Spaten, und endlich hoben sie das Kunstwerk heraus und standen geblendet von seiner Schönheit. Sie wußten nicht, was es darstellte. Aber weil sie ein Bild für das Heiligtum brauchten und die schönheitsverlassenen Hände keines schaffen konnten, so wuschen sie den Marmor wieder rein in dem klaren Wasser der Bergquelle und umhüllten den herrlichen Leib der Mutter Erde mit einem Mantel aus blauer Seide, mit goldenen Sternen gestickt. Dann fügten sie statt der abgebrochenen Hand eine goldene an und bauten ein Heiligtum um das Bild.
Und es kamen aus weiter Ferne große Züge von frommen Pilgern mit fliegenden Fahnen und schwermütig feierlichem Chorgesang, und sie beteten inbrünstig und heiß vor dem Bilde und 68 verbrannten Weihrauch ihm zu Ehren und taten Gelübde und Bußen. Aber in den ernsten Gesichtern und kummergefurchten Stirnen las die Göttin das alte Weh und dieselbe Sehnsucht nach Glück und Frieden wie vor tausend Jahren, und dieselbe bange Frage nach den dunklen Rätseln des Daseins. Keinem konnte sie helfen. Sie war ja ein kalter, schöner Stein.
Wenn die großen Tore des Tempels offen standen und das Sonnenlicht hereinflutete, da blickten die steinernen Augen der alten Mutter Kybele wieder wie einst auf das blaue, ewige Meer. Und es rauschte und schäumte und wälzte seine heiligen Fluten an den Fuß der Klippe wie damals, als das Gnadenbild noch droben gestanden hatte in der freien Luft; aber seine tosende Brandung war stärker und wilder als der fromme Pilgergesang, den der Wind vom Lande herüberwehte, bis der letzte Ton im Getöse der Wogen erstarb. 69