Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Gummiradeln.

An der Kreuzung der zwei belebtesten Straßen, dort, wo der vorspringende Pfeiler eines prächtigen Hauses ein wenig vor dem Winde schützt, steht ein armes Weib mit drei Kindern.

Das größte, ein fünfjähriges Mädel mit strohgelben Haaren, lehnt sich an die Wand und legt den kleinen schmutzigen Handrücken an die Stirne; den kleinen Buben hält die Mutter beim Rockzipfel, und das kleinste drückt sie an ihre schlaffe Brust und stillt es.

Hie und da streckt das Weib die Hand aus. Aber selten. Und doch geben ihr viele. Die einen plump und schamlos, damit man es recht deutlich sehen kann, andere scheu und verstohlen, indem sie sich umblicken wie Diebe, die ertappt zu werden fürchten.

Plötzlich taucht der Helm eines Wachmannes auf. 36

»Was ist denn da los, he? Sie kommen mit. Vorwärts!«

»I hab' nöt 'bettelt.«

»Machen's keine G'schichten und kommen's gutwillig mit!«

»I kann nöt gehen, i hab' an bösen Fuß!«

Der Wachmann drängt, das Weib sträubt sich. Das kleine Mädel weint, der Bub verkriecht sich hinter dem geflickten Rock der Mutter. Eine kleine Menschenmenge beginnt sich anzusammeln; die einen sehen erwartungsvoll drein, andere nehmen für das Weib Partei und gestikulieren heftig.

Der Wachmann will der peinlichen Scene ein Ende machen und zieht die Frau fort. Aber es geht nicht; der kranke Fuß versagt den Dienst und sie knickt zusammen.

»Sehen Sie denn nicht, daß das arme Weib nicht gehen kann! Das ist herzlos, das ist . . .«

Das gefährliche Wort verhallt in einem unverständlichen Gemurmel.

Der Wachmann kennt seine Dienstpflicht. Er muß einen Wagen holen, den ersten besten, den er findet, und die Frau fortführen lassen.

Er blickt die Straße hinauf. Dort kommt ein Fiaker, einer von den »allernobelsten«; das neusilberne Zaumzeug blitzt in der Sonne, die Haut der prächtigen, muskulösen Pferde glänzt wie 37 reife Roßkastanien. Ein Dandy, tadellos elegant bis in die Schnurrbartspitzen, sitzt im Wagen, der mit einem plötzlichen Ruck stillhält. Der Dandy steigt aus, drückt dem Kutscher etwas in die Hand, wirft einen Blick auf die Gruppe und verschwindet im Haustor.

Der Wachmann winkt den Fiaker heran. Das kleine Mädel wischt die Tränen ab und jauchzt plötzlich:

»Gummiradeln! Gummiradeln!«

»Uj jegerl, a so a feine Fuhr,« witzelt ein Schusterbub. Die Leute lachen.

»Schnell, schnell!« drängt der Wachmann.

»Aber ja, steigen's nur ein, nur schön stad!« sagt der Fiakerkutscher. Und er hebt den kleinen Buben selbst auf den Bock und legt den Arm um ihn, damit ihm ja nichts geschieht. Den Wachmann, der jetzt auf dem Rücksitz Platz nimmt, sieht er gar nicht an.

Das abgehärmte Weib sitzt mit stumpfem, verdrossenem Gesicht im Wagen und drückt das Kind an die Brust. Es ist ihr offenbar alles gleichgiltig.

Die Pferde greifen aus; die Menge zerstreut sich. Fast lautlos rollt der Wagen davon.

»Gummiradeln!« jauchzt das kleine Mädel. 38



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