Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Agnus dei.

Wieder einmal ging er mit den andern zur österlichen Kommunion. Am Tage vorher hatte er seine kleinen Sünden gebeichtet, – daß er seine Schularbeiten vernachlässigt, seine Lehrer zum Zorn gereizt, daß er an seine Cousine in unerlaubter Weise gedacht habe. Und der freundliche alte Religionslehrer hatte ihn losgesprochen und ihn drei Ave Maria und einen Glauben beten lassen.

Aber das stille Glück, das ihn in vergangenen Kinderjahren nach der Buße erfüllt hatte, war diesmal nicht mehr in seine Seele eingekehrt.

Jetzt stand er mit den andern im Mittelschiff der Kirche, und droben sangen sie den Schlußchor der Messe herunter. Wieder ertappte er sich in Gedanken an seine blonde Cousine, die auf dem Chor Sopran sang und mit ihrer vollen klingenden Stimme den ganzen Raum erfüllte. 9

Aber in die letzten Orgelklänge mischte sich dumpfes Murren; tief und deutlich dröhnte es zwischen den dunklen Accorden hervor. Draußen stand ein Gewitter; der Himmel umzog sich schwarz, das Innere der Kirche wurde immer finsterer.

Seine Mitschüler sprachen in leisem Flüsterton miteinander, wenn der Lehrer, der die Kircheninspektion führte, just nicht bei ihnen stand. Der eine wollte abends eine neue Operette besuchen, der andere eine Gesellschaft, wo getanzt werden sollte.

Er empfand es wie eine drückende Qual, wenn er sie so sprechen hörte, diese armen Seelen, die er insgeheim verachtete. Wie sie da standen mit ihren schmierigen Gebetbüchern und den stumpfen, gleichgiltigen Gesichtern . . . .

Der Priester am Altar wandte sich zum Volke. Seine schweren goldstarrenden Gewänder rauschten leise; er hob die Hostie aus dem goldenen Kelch und blickte empor.

»Ecce agnus dei!«

Eine weiche Melodie, von Geigen und Violas getragen, schwebte durch den Raum. Und aus den flutenden Tonwellen wiegte sich eine süße Mädchenstimme, steigend und sinkend im Rhythmus des gleitenden Sechsachteltaktes.

»Ecce agnus dei, qui tollit pecacata mundi!« 10

Langsam stiegen die bläulichen Duftwolken des Weihrauchs empor.

Ein süßer Schauer rann durch seine jungen Glieder. Er kniete nieder und legte die Hände vor das Gesicht. Da war es wieder, das unbeschreibliche Glücksgefühl, das er als Kind so oft empfunden, dieses willenlose Aufgehen in gläubiger Ergebung.

»Herr, ich bin nicht würdig, daß Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.«

Die Kommunion war vorüber. Er lehnte sich an eine Säule und betete, still, heiß und inbrünstig, wie ein Kind. Er bemerkte nicht, daß der Priester sich bereits in die Sakristei begeben hatte und daß seine Mitschüler alle die Kirche verließen.

Plötzlich schreckte ihn ein Geräusch auf. Am Hochaltar hatte eine der verstaubten Blumen aus weißem Seidenpapier, die den Altartisch schmückten, an der nächsten Kerze Feuer gefangen und den ganzen Blumenstock in Flammen gesetzt. Es knisterte laut; die vergoldete Statue des Heilands schimmerte im roten Glanz des Feuers.

Der Meßner eilte herbei und riß den Blumentopf herunter. Unter den Tritten der schweren Stiefel war bald das letzte Flämmchen erstickt.

Der Knabe blickte regungslos auf den Altar. 11

Seine andächtige Stimmung war plötzlich verschwunden. Die große Lücke dort, die ein Stück der schadhaften rissigen Altarwand bloßgab, hatte für sein Empfinden etwas Peinigendes.

Tiefes Dunkel lagerte über dem Raum. Das Gewitter mußte ganz nahe sein. Langsam ging der Meßner hin und her und drückte am Altar ein Licht nach dem andern aus.

Er sah nach dem Madonnenbild hinüber, vor dem er gestern seine Ave Maria gebetet hatte.

Die Gottesmutter hatte einen blauen Rock, einen grellroten Mantel als Überwurf, über den ein dunkelrotes Herz gemalt war, das sieben Schwerter durchbohrten. Peinlich genau hatte der Maler die Schwertgriffe dargestellt, die fallenden Blutstropfen, die Sandalen, die Fußzehen, den goldgewirkten Gürtel und das regelmäßige Gesicht mit den roten Wangen.

Das Bild, das ihm von Kindheit an vertraut war, erschien ihm heute so armselig und würdelos. Hatte sie wirklich so ausgesehen, des Heilands Mutter . . . . ?

Jetzt waren die großen, geweihten Kerzen am Altar alle ausgelöscht. Nur das kleine Stümpfchen vor der Madonna brannte vergessen weiter. Es strahlte von ihm ein fremder Glanz über das Bild, der die funkelnden Schwertgriffe geheimnisvoll aus dem Dämmer heraushob; in 12 seinem unsteten Flackerlicht schien das Gesicht der Gottesmutter zu lächeln.

Aber sonst brannte keine Kerze mehr in der ganzen Kirche; nur das stille Purpurlicht der ewigen Lampe, die an schweren Silberketten vor dem Hochaltar hing, leuchtete mit ruhigem Glanz. Er starrte es an mit einem dumpfen, gequälten Blick, als könne der matte Schein die unruhigen Gedanken bannen, die von neuem durch seine Seele zogen.

Er faltete die Hände und versuchte wieder zu beten. Aber er konnte nicht mehr; ein dumpfes Brüten hatte sich um sein Denken gelegt.

Das Dröhnen des Donners rollte durch die Kirche. Roter Blitzschein flammte hinter den Spitzbogenfenstern.

Der alte Meßner kam wieder. Eine plumpe Kniebeuge vor dem Hochaltar, dann in einer Ecke eine Prise Tabak. Mit schlürfenden Schritten und verdrossenem Gesicht näherte er sich dem Madonnenbild und hob seinen Stock empor, daß der weite Ärmel des Gewandes zurückfiel.

Und dann erlosch das Licht . . . . 13



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