Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Die Sirene.

Mein Freund Frosch hat mich heute besucht. Es war lange Zeit seit seinem letzten Besuche vergangen; das konnten Eingeweihte daran erkennen, daß das Niveau der Cognacflasche und des Cigarrenbehälters seit Monaten konstant geblieben war. Aber heute kam er wieder. Beiläufig erzählte er mir, mein Cognaclieferant habe ihn auf der Straße ganz besonders achtungsvoll gegrüßt.

Man kann ein großer Cognacverehrer sein und dabei doch ein Höhenmensch, meint Freund Frosch.

Dann schlenderte er in meinem Zimmer herum und beguckte ein Bild nach dem andern. Es steckte etwas Nervöses in ihm, seine Witze klangen gesuchter als sonst, sein Lachen gezwungener; mir scheint, er hat sich in meiner alten Stube, in dem niedrigen Mansardenzimmer wohler gefühlt als in den neuen, großen, lichtdurchfluteten Räumen. 25

Plötzlich blieb er vor einem der Bilder stehen und sagte:

»Was ist denn das?«

Dieses »das« kann ich bei meinem Freund Frosch schon einmal nicht leiden. Es muffelt so nach Geringschätzung.

»Die Sirene, von Leonhard.«

»Gefällt mir nicht. So ein lauerndes Weibsbild . . . . auf diesen Felsen hingelagert . . . . und das Gesicht ist mir unsympathisch. Kann diese Art Gesichter nicht leiden. Kein Gedanke – keine tiefere Idee drin. Begreife deinen Geschmack nicht. Sonderbar.«

Ich schüttelte langsam den Kopf und lächelte. Aber sagen mochte ich ihm nichts. Er soll nicht von mir denken, daß ich ihn in künstlerischen Dingen belehren will; denn er ist ja doch viel jünger als ich, und ich bin kein Schulmeister. Meinem lieben Artgenossen Frosch gegenüber schon gar nicht.

Aber spät abends, als ich aus der Carmenaufführung kam, als meine Lampe leise surrend brannte und die Sekundenschläge der Pendeluhr den Takt zu den süßen Melodien gaben, die in mir wiederklangen, da stellte ich mich vor meine Sirene hin und sah sie an . . . . Und die großen schwarzen Schwingen des dämonischen Weibes breiten sich aus, das Meer dahinter leuchtet in 26 fahlem Glanze und die Augen starren mich an so lustverheißend, so todverkündend, und ich kann es nicht lassen und drücke meine heißen Lippen an das kalte Glas . . . .

Ich kenne diesen Blick und diese Augen, ich weiß, was mir die finsteren Schwingen bedeuten, was der lockende Blick sagt. Und ich träume mich zurück um drei, vier Jahre meines Lebens, zurück in jene entsetzliche Zeit, da ich den Kampf zu kämpfen hatte, den jeder einmal durchmachen muß und bei dem so viele schmählich unterliegen, den Kampf mit dem geistigen Tode. Da war ein Weib bei mir gestanden, das hatte solch feuchte, glühende Augen, wie die Sirene auf dem Bilde da, und solch einen heißen, verlangenden Mund, und seine Seele hatte solche schwarze, finstere Schwingen, die wollten mich umklammern und über mir zusammenschlagen und meine Seele, meine stolze, ringende, herrliche Seele töten. Und ich kämpfte mit aller Macht, mit dem Schwert und mit der Faust und endlich mit den blanken Zähnen – – aber die Besinnung verließ mich und ich stürzte ins Meer. Das Meer war gut zu mir, so muttergütig. Es nahm mich auf und trug mich an ein fremdes Gestade, und als ich erwachte, sangen die Vögel und die weißen Rosen dufteten Genesung in mein Herz.

Es war einst ein gottbegnadetes Volk, das 27 erzählte sich schöne Sagen von einem kühnen und klugen Helden, der wußte sich selbst zu besiegen und darum tat ihm die Sirene nichts zuleide . . .

Ja, ich weiß es wohl, warum ich meine Sirene lieb habe. Und ich weiß auch, daß die alten Völker Siegestafeln aufrichteten, wenn sie ihre Feinde bezwungen, und daß die Denkmale den Namen und das Bildnis dessen trugen, den sie glorreich besiegt.

Und ich betrachte mein Sirenendenkmal und atme tief auf. Es war einmal . . . . 28



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