Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Erwartung.

Der dicke Hofrat zupfte an seinen blendendweißen Manschetten, rieb sich fröhlich die Hände und drückte auf den Taster.

»Das haben Sie gut gemacht, Pospischil,« sagte er zu dem Eintretenden, ohne ihn anzusehen. »Famose Urlaubstour. Alles berührt, was ich sehen wollte. Mein Gott, ich hab' keine Zeit, um mir das selbst zusammenzustellen. Berchtesgaden auch – famos, famos! Na und dort nehmen Sie sich eine von den Cigarren. Die großen, ja, ja. Schon gut. Adieu, adieu!

Der Hofrat rückte den gewaltigen Lehnstuhl mit Getöse zurück. Ein paar in schäbigen, schwarzen Röcken steckende elfte Rangsklassen, die draußen antichambrierten, fuhren nervös zusammen.

Der alte Pospischil trat auf den teppichbelegten Korridor, schob die Hornbrille auf die Stirne 57 und betrachtete schmunzelnd den dicken schwarzbraunen Pfosten mit dem goldverzierten Leibgürtel. »Kohinoor« entzifferte er mühsam. Was Pickfeines. Der Hofrat mußte mit der Zusammenstellung seiner Urlaubsreise sehr zufrieden sein.

Und spät abends saß der Alte in seinem Zimmer und hatte die Cigarre vor sich liegen. Und daneben einen Brief von seinem Sohn aus Prag. Der Hans hatte die Matura bestanden und wollte Jus studieren.

Der alte Mann lächelte glücklich vor sich hin. Die jungen Leute – – ja die bringen's noch zu was. Der Bub war ihm über den Kopf gewachsen. Hätte er selbst studieren können, dann wäre er heute was anderes als ein armer Teufel von Bureaudiener . . . .

Er sah sich in dem kleinen moderduftenden Raum um, den er seit Decennien bewohnte. Von dem vergilbten Stahlstich, der den guten Kaiser Franz vorstellen sollte, glitt sein Auge über die Kommode mit der alten Schlaguhr, die unter ihrer gesprungenen Glasglocke kaum hörbar tickte, über den altmodischen Kleiderkasten mit drei Beinen; statt des vierten lagen ein paar Bände von Kotzebues gesammelten Lustspielen darunter; über das schmale, wurmstichige Bett, den heiligen Josef und das verstaubte Kruzifix mit den Palmzweigen. 58

Wird der Hans wohl einmal besser und schöner wohnen? Wird er, wenn er recht fleißig studiert, am Ende gar einstens ins Ministerium kommen? Auf einem rotsammtenen Fauteuil sitzen, kostbare Cigarren rauchen – – –

Jetzt ist er also schon auf der Universität. Wenn das seine Mutter wüßte, das arme blonde Ding, das so früh sterben mußte . . . . Der Alte griff sich an die kahle Stirne und sann vor sich hin. Und die leisen Pendelschläge der Uhr erzählten ihm von vergangenen Stunden voll Sorgen und Liebe . . . .

Sein Blick fällt auf die Cigarre. Die will er aufheben, bis – – – nun, sagen wir bis der Hans die erste Staatsprüfung bestanden hat. Vielleicht wird sie durch das Abliegen besser. Mein Gott, um so was wäre doch schade! Die Sorte ist die kostbarste – zwei Gulden das Stück. Zwei Gulden verpaffen in einer halben Stunde – das ist Sünde! – –

Und der Hans studierte Universität und der Alte versah seinen eintönigen Dienst im Bureau.

Eines Tages gab's einen Systemwechsel. Mit dem bisherigen Minister stürzte auch der Hofrat; die Zeitungen warfen den gesunkenen Größen Steine nach, die elften Rangsklassen zogen den Rücken vor dem neuen Gestirne krumm und grüßten den verflossenen Hofrat auf der Straße nicht mehr. 59

Der Alte aber arbeitete weiter für seinen neuen Herrn, regelmäßig und pflichtgetreu wie immer.

Unterdessen hatte der Hans die erste Staatsprüfung absolviert. Der Alte las die Nachricht zweimal und dreimal, stand auf, holte die Cigarre aus der Schublade, öffnete das Federmesser – und legte die Cigarre wieder hin.

Wenn man so bedenkt . . . . Jetzt ist der Junge schon so weit – – bis er Doktor ist, dann soll er das kostbare Kraut selbst rauchen. Er gönnt ihm's von Herzen. Hat er das ganze Leben lang für das Kind seiner Liebe gespart . . . . ihm jeden Kreuzer von seinem kleinen Gehalt geschickt, den er entbehren konnte . . . . auf einen solchen Luxus kann er umso leichter verzichten. Einmal wird doch der Tag kommen . . . . Einmal . . . .

Und einmal kam ein Tag, da waren die Vorhänge des Zimmers geschlossen, es duftete in dem kleinen Raum nach Weihrauch und Blumen, und eine barmherzige Schwester kniete vor dem Kruzifix und betete still. Der Alte lag auf dem weißüberzogenen Bette; seine gelben Hände umspannten ein schwarzes Kreuz. Auf dem Schreibtisch lag die kostbare Cigarre.

Sein letzter Wunsch war, sie zu rauchen, wenn er genesen sei. Mit den zitternden Händen hatte 60 er sie nochmals betastet und unverständliche Worte dazu gemurmelt, bis . . . .

Über den Toten beugte sich ein junges, braunes Antlitz mit einer Quartschmarre auf der Wange. Eine Träne fiel auf das blasse, kalte Gesicht. Er konnte weinen; er wußte ja noch nichts vom Tod.

Zum letztenmale sah er sich um in dem kleinen armseligen Raum, der das ganze Leben eines einsamen Menschen enthüllte wie ein aufgeschlagenes Buch. Der Weihrauchduft breitete eine dumpfe, quälende Schwüle über das Zimmer. Der Student trat zum Schreibtisch und nahm das an ihn adressierte Paket. Da lag eine dicke Cigarre. Der arme Vater! Die hatte er wohl für ihn aufgehoben . . . . Er steckte sie in die Brusttasche und eilte hinaus. Eine ruhige Stunde in einem stillen Café, um über die Zukunft nachzudenken.

Bald saß er an einem Fensterplatz und blickte auf die kleinen Dampfer des Donaukanals und auf die blaue Kontur des Kahlenberges.

Nun war er allein – – ganz allein auf der Welt. Mit seiner Lebenskraft und Gesundheit, seinem Ehrgeiz und den tausend knospenden Kräften in seiner Brust. Nein – nicht ganz allein –

Er griff in die Tasche und zog eine Photographie heraus. Lange blickte er sie an; dann steckte er langsam das kleine durchsichtige Couvert 61 wieder ein, weil ein alter dicker Herr am Nebentisch Platz genommen hatte. Jetzt erst fühlten seine Finger die große Cigarre. Er betrachtete sie, zog die rote Etikette herunter und griff zum Federmesser.

Der alte Herr am Nebentisch hatte mißmutig die »Neue Freie Presse« weggeworfen. Sie enthielt wieder ein Loblied auf seinen Nachfolger.

Er fuhr mit der Hand über die Stirne und sah nach dem Nebentisch herüber. Der junge Kerl hat ja eine Kohinoor-Cigarre. Seine alte Leibsorte! Wie er die Etikette fortwirft und das kostbare Ding mißtrauisch betrachtet! So was hat er wohl sein Lebenlang nicht zwischen den Fingern gehabt. Nun schneidet er die Spitze ab – – das Zündhölzchen knistert – der Hofrat seufzte tief und schwer und dachte an die Vergänglichkeit seiner Würde, der Ministerportefeuilles, der kostbarsten Cigarren und im allgemeinen alles Irdischen.

Der Junge aber dehnte sich behaglich und zog in tiefen Zügen den fremdartigen Duft des köstlichen Krautes ein, das der Tote droben in dem stillen Zimmer seit so vielen Jahren aufgespart hatte für den höchsten Augenblick seines armen Lebens. 62



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