Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Achtes Kapitel.

Ein kindischer Vorfall, der indeß Gutmüthigkeit bei Tom Jones zeigt.

Der Leser wird sich erinnern, daß Herr Allworthy dem Tom Jones ein kleines Pferd, eine Art Schmerzensgeld, gab für die Strafe, die derselbe seiner Meinung nach ungerechter Weise gelitten hatte.

Dieses Pferdchen hatte Tom über ein halbes Jahr, dann ritt er es nach einem Markte in der Nähe und verkaufte es.

Als ihn nach seiner Rückkehr Thwackum fragte, was er mit dem Gelde gethan habe, das er für das Pferd erhalten, erklärte er gerade heraus, das würde er ihm nicht sagen.

»Oho!« entgegnete Thwackum, »Du willst nicht, dann werde ich Dir es herausklopfen.« Die Execution sollte eben vorgenommen werden, als Allworthy in das Zimmer trat, dem Schuldigen eine Lection hielt und ihn mit sich in ein anderes Zimmer nahm, wo er ihm dieselbe Frage vorlegte, die ihm Thwackum bereits vorgelegt hatte.

Tom antwortete, es sei seine Pflicht, ihm nichts zu versagen, dem tyrannischen Menschen aber würde er nie eine andere Antwort als mit einem Prügel geben, mit welchem er ihm bald alle seine Rohheiten vergelten zu können hoffe.

Herr Allworthy tadelte den Jüngling scharf wegen dieser unanständigen und unehrerbietigen Ausdrücke über seinen Lehrer, noch mehr aber wegen der Absicht, sich zu rächen. Er drohete ihm, seine Gunst ihm gänzlich zu entziehen, wenn er jemals wieder ein solches Wort aus seinem Munde höre, denn einen schlechten Menschen könne er weder freundlich 129 behandeln, noch unterstützen. Durch diese und ähnliche Erklärungen erpreßte er dem Tom einige Reue, die indeß nicht gerade sehr aufrichtig gemeint war, denn er ging wirklich damit um, dem Lehrer die schmerzhaften Gunstbezeigungen zurückzugeben, die er von demselben empfangen. Nach einer heilsamen Ermahnung erlaubte ihm der gutmüthige Allworthy fortzufahren, was er denn in folgender Weise that: –

»Ich liebe und ehre Sie, mein theurer Wohlthäter, gewiß mehr als die ganze Welt; ich weiß, welche große Verbindlichkeiten ich Ihnen schuldig bin und ich würde mich selbst verabscheuen, hielte ich mein Herz des Undankes fähig. Könnte das kleine Pferd, das Sie mir gaben, reden, es würde Ihnen erzählen, wie werth und theuer mir Ihr Geschenk war, denn es machte mir noch mehr Freude, es zu füttern, als auf ihm zu reiten. Es ging mir wahrhaftig schwer an's Herz, mich von ihm trennen zu müssen, auch würde ich es aus keinem andern Grunde verkauft haben als eben aus dem, der mich dazu bewog. Sie selbst, lieber Herr, ich bin überzeugt davon, würden an meiner Stelle dasselbe gethan haben, denn kein Mensch fühlt so tief wie Sie das Unglück anderer. Was würden Sie empfinden, wenn Sie sich für die Veranlassung dazu hielten? Wahrhaftig, keine Noth war jemals so groß als die der Leute.« – »Welcher Leute, Kind?« fragte Allworthy. »Wen meinst Du?« – »Ach, Herr,« antwortete Tom, »Ihr armer Jäger hat mit seiner großen Familie, seit Sie ihn entließen, alle Pein der Kälte und des Hungers ertragen. Ich konnte die armen Menschen nicht so nackt und hungrig sehen und doch zu gleicher Zeit wissen, die Veranlassung zu allen ihren Leiden gewesen zu sein. Ich konnte es nicht ertragen, wahrhaftig ich konnte es nicht.« Die Thränen rollten ihm hier über die Wangen und er fuhr fort: »um 130 sie vom Verhungern zu retten, trennte ich mich von Ihrem lieben Geschenke, so großen Werth es auch für mich hatte. Ich verkaufte das Pferd für sie und sie haben jeden Pfennig von dem Gelde erhalten.«

Allworthy stand einige Augenblicke still da und ehe er sprach, quollen auch ihm die Thränen aus den Augen. Endlich entließ er Tom mit einem sanften Vorwurfe, rieth ihm, sich künftig in Fällen der Noth lieber an ihn zu wenden, als sich außerordentlicher Mittel zu bedienen, um dieselbe selbst zu entfernen.

Ueber die Sache wurde später zwischen Thwackum und Square viel debattirt. Thwackum meinte, das heiße dem Herrn Allworthy Trotz geboten, der die Absicht gehabt habe, ihn wegen seines Ungehorsams zu bestrafen; auch sagte er, in manchen Fällen halte er das, was die Welt Liebe nenne, für ein Auflehnen gegen den Willen des Allmächtigen, der manche Personen zum Verderben bezeichnet habe; es heiße auch ein Auflehnen gegen Herrn Allworthy und er schloß endlich, wie gewöhnlich, mit einer kräftigen Empfehlung der Ruthe.

Square argumentirte gewaltig auf der andern Seite, im Gegensatz vielleicht gegen Thwackum oder aus Gefälligkeit für Allworthy, der das sehr zu billigen schien, was Jones gethan hatte. Da, wie ich überzeugt bin, die meisten meiner Leser weit geschicktere Vertheidiger des armen Jones sein werden, so wäre es unrecht, das hier zu erwähnen, was er bei dieser Gelegenheit vorbrachte. Es war ja auch wirklich nicht schwer, mit dem Richtmaße des Rechten eine Handlung in Uebereinstimmung zu bringen, die sich unmöglich von dem Maße des Unrechtes würde haben ableiten lassen.


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