Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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84 Siebentes Kapitel.

Eine kurze Skizze des Glückes, das kluge Ehepaare aus dem Hasse ziehen können, nebst einer kurzen Apologie für diejenigen, welche Unvollkommenheiten an ihren Freunden übersehen.

Obgleich der Capitain den armen Partridge wirklich vernichtet, hatte er doch die Ernte nicht gefunden, die er gehofft, die Entfernung des Findlings nämlich aus dem Hause Allworthy's.

Im Gegentheile, Allworthy liebte den kleinen Tom jeden Tag mehr, als wolle er die Strenge gegen den Vater durch außerordentliche Zärtlichkeit und Liebe gegen den Sohn wieder ausgleichen.

Dies verstimmte den Capitain sehr, wie überhaupt alle andere tägliche Beispiele von Allworthy's Freigebigkeit, denn er hielt alle solche Gaben für Verkürzungen seines eigenen Vermögens.

Darin stimmte er, wie wir bereits erwähnt haben, mit seiner Frau nicht überein, wie überhaupt niemals, denn obgleich manche kluge Leute eine Liebe, die sich auf Verstand gründet, für dauernder halten als jene, die auf Schönheit beruhet, so fiel die Sache in diesem Falle doch anders aus. Ja der Verstand dieses Paares war eben der Hauptgegenstand des Streites und die Ursache zu vielen Zänkereien, die von Zeit zu Zeit zwischen beiden vorkamen und die auf Seiten der Frau in gänzlicher Verachtung gegen ihren Mann und von Seiten des Mannes in völligem Abscheu vor seiner Frau endigten.

Da beide ihre Talente hauptsächlich im Studium der Theologie geübt hatten, so war diese auch vom Anfange ihrer Bekanntschaft an der gewöhnlichste Gegenstand ihrer Unterhaltung. Der Capitain hatte als artiger Mann vor 85 der Hochzeit seine Ansichten denen der Dame immer untergeordnet, nicht in der linkischen einfältigen Weise eines einfältigen Narren, der zwar der Meinung eines Höhern höflich beistimmt, aber doch merken läßt, wie er glaube, die seinige sei die richtige. Der Capitain, obgleich ein außerordentlich stolzer Mann, überließ vielmehr den Sieg seiner Gegnerin so ganz und gar, daß sie nach jedem Streite eine höhere Meinung von ihrem Verstande faßte, weil sie an ihres Liebhabers Aufrichtigkeit durchaus nicht zweifelte.

Obgleich nun diese seine Gefälligkeit gegen eine Person, die er durchaus verachtete, ihm nicht so schwer wurde, als es der Fall gewesen sein würde, hätte er gegen einen berühmten Mann so nachgiebig sein sollen, so kostete sie ihm doch zu große Ueberwindung, als daß er sich ohne Gründe hätte fügen sollen. Als durch die Verheirathung alle diese Gründe weggefallen waren, wurde er der Nachgiebigkeit überdrüssig und fing an, die Ansichten seiner Frau so wegwerfend und verächtlich zu behandeln, wie es nur denen möglich ist, die selbst Verachtung verdienen, während eine solche Behandlung nur von denen ertragen werden kann, die wirklich keiner Verachtung würdig sind.

Als der erste Andrang von Zärtlichkeit vorüber war, als in der ruhigen langen Zeit zwischen einem Aufflackern derselben der Verstand der Dame die Augen zu öffnen begann und sie diese Veränderung in dem Benehmen des Capitains erkannte, der jetzt alle ihre Gründe mit einem Ach! oder: sei still! beantwortete, zeigte sie sich keineswegs geneigt, diese unwürdige Behandlung mit stiller Demuth über sich ergehen zu lassen. Im Gegentheile, dieses Benehmen reizte sie anfangs so sehr, daß es vielleicht zu einem tragischen Auftritte gekommen wäre, hätte ihr Zorn nicht eine harmlosere Richtung genommen und sie veranlaßt, den Verstand ihres Mannes tief zu verachten, was ihren Haß 86 gegen ihn einigermaßen besänftigte, obgleich derselbe gar nicht unbedeutend war.

Der Haß des Capitains gegen sie war reiner, denn wegen der Mangelhaftigkeit ihrer Kenntnisse oder ihrer Einsicht verachtete er sie nicht mehr als darum, daß sie nicht sechs Fuß groß war. Er übertraf in seiner Meinung von dem weiblichen Geschlechte selbst den mürrischen Aristoteles, hielt die Frau für eine Art Hausthier und nur für etwas besser als eine Katze, weil ihre Dienstleistungen wichtiger sind; der Unterschied aber zwischen beiden war seiner Ansicht nach so gering, daß er bei seiner Verheirathung mit Herrn Allworthy's Besitzungen eine Katze eben so bereitwillig wie eine Frau mit in den Kauf genommen hätte. Sein Stolz dagegen war so empfindlich, daß er die Verachtung, die seine Frau jetzt gegen ihn zu zeigen begann, tief fühlte, was denn einen Grad von Widerwillen und Abscheu hervorbrachte, der schwerlich überboten werden kann.

Nur eine Lage im ehelichen Leben ist alles Vergnügens bar, nämlich der Zustand der Gleichgültigkeit; wie aber hoffentlich viele meine Leser wissen, welche hohe Wonne es gewährt, einem geliebten Gegenstande Vergnügen zu machen, so werden, fürchte ich, wenige aus Erfahrung den Genuß kennen, den es gewährt, wenn man einen gehaßten quälen kann. Um diesen Genuß sich zu verschaffen, entsagen, wie ich fürchte, beide Geschlechter so häufig der Gemächlichkeit und Ungezwungenheit im ehelichen Leben, deren sie sich sonst erfreuen könnten. Deshalb stellt sich die Frau oft verliebt und eifersüchtig, ja versagt sich selbst ein Vergnügen, um das ihres Mannes zu stören oder zu hindern; deshalb legt er sich nicht selten Zwang an und bleibt zu Hause in Gesellschaft, die ihm zuwider ist, blos um seine Frau zu dem zu nöthigen, was ihr gleich verhaßt ist; deshalb fließen jene Thränen, die eine Witwe 87 bisweilen in so reichlichem Maße über der Asche eines Ehemannes vergießt, mit dem sie unaufhörlich in Zank und Unzufriedenheit lebte und den sie nun nicht mehr zu quälen hoffen kann.

Wenn jemals ein Ehepaar dieses Vergnügen genoß, so war es der Capitain und dessen Frau. Für jedes von beiden war es stets ein vollkommen hinreichender Grund, hartnäckig auf einer Meinung zu beharren, von welcher der andere Theil vorher das Gegentheil behauptet hatte. Schlug der eine Theil eine Unterhaltung vor, so widersetzte sich der andere gewiß; sie liebten oder haßten, lobten oder tadelten niemals dieselbe Person. Aus diesem Grunde fing die Frau des Capitains an, da dieser den kleinen Findling mit übelwollendem Auge ansah, denselben nun fast eben so zu lieben und zu liebkosen, wie ihr eigenes Kind.

Der Leser kann sich denken, daß dieses Benehmen zwischen Mann und Frau nicht eben zur Zufriedenheit und Ruhe Allworthy's beitrug, da es so wenig jenes heitere Glück förderte, das er aus dieser Verbindung für alle drei gehofft hatte. Obgleich nun aber seine sanguinischen Erwartungen unerfüllt blieben, so kannte er doch den Zustand keineswegs vollkommen, denn da der Capitain aus gewissen Gründen in Allworthy's Gegenwart sehr auf seiner Hut war, so mußte die Frau ihr Benehmen eben so einrichten, um sich ihres Bruders Mißfallen nicht zuzuziehen. Es ist ja recht wohl möglich, daß eine dritte Person mit einem Ehepaare, das nur einigermaßen an sich hält, sehr vertraut sein, ja selbst mit demselben in einem Hause wohnen kann, ohne die Abneigung zu errathen, die zwischen demselben besteht; denn obgleich bisweilen der ganze Tag für Haß sowohl als für Liebe zu kurz sein kann, so finden doch Leute von einiger Mäßigung in den vielen Stunden, die sie der Natur der Sache nach bei einander, fern von 88 allen Beobachtern verbringen, so viel Gelegenheit, die eine oder die andere Leidenschaft zu befriedigen, daß, lieben sie, einige wenige Stunden in Gesellschaft ohne Tändeln oder, wenn sie hassen, ohne einander in das Gesicht zu spucken, wohl zu ertragen sind.

Es ist jedoch möglich, daß Allworthy genug sah, um ein wenig besorgt zu werden, denn man darf nicht immer folgern, ein kluger Mann sei nicht verletzt, weil er nicht laut klagt und jammert wie Personen von kindischem und schwachem Character. Es ist aber auch möglich, daß er einige Fehler an dem Capitain erkannte, ohne deshalb besorgt zu werden, denn wahrhaft weise und gute Menschen nehmen die Menschen und die Dinge wie sie sind, ohne über die Mängel derselben zu klagen oder zu versuchen, sie zu bessern. Sie können einen Fehler an einem Freunde, einem Verwandten oder Bekannten sehen, ohne ihn jemals gegen die betreffende Person oder gegen eine andere zu erwähnen und zwar oft ohne deshalb ihre Liebe und Zuneigung zu verringern. Ist nicht großer Scharfsinn mit dieser Nachsicht verbunden, so sollten wir eigentlich gar keine Freundschaft schließen.

Meine Freunde werden mir hoffentlich verzeihen, wenn ich erkläre, daß ich keinen unter ihnen kenne, der ohne Fehler wäre, und es sollte mir leid thun, wenn einer meiner Freunde meine Fehler nicht sähe. Nachsicht und Verzeihung dieser Art geben und verlangen wir gegenseitig. Es ist dies eine Aeußerung der Freundschaft und vielleicht keine der unangenehmsten. Diese Nachsicht müssen wir üben, ohne Besserung zu verlangen. Es giebt vielleicht kein sichereres Zeichen der Thorheit, als den Versuch, die Mängel derjenigen abschaffen zu wollen, die wir lieben. Das beste Menschenherz kann wie das beste Porzellan einen Flecken haben, und dieser ist in beiden Fällen, fürchte ich, nicht zu entfernen.

89 Herr Allworthy sah also sicherlich wohl einige Mängel an dem Capitain, da dieser aber ein sehr schlauer Mann und vor ihm stets auf der Hut war, so hielt er dieselben für weiter nichts, als kleine Flecken in einem guten Charakter, die er aus Gutherzigkeit übersah und aus Klugheit gegen den Capitain selbst nicht erwähnte. Sehr verschieden würde freilich seine Ansicht gewesen sein, hätte er alles gewußt und dies wäre wahrscheinlich bald der Fall gewesen, hätte Mann und Frau diese Lebensweise lange fortgesetzt. Dies wurde indeß von dem freundlichen Geschicke verhindert, indem es den Capitain nöthigte, das zu thun, was ihn seiner Frau wieder lieb und werth machte und deren Zärtlichkeit gegen ihn von Neuem anregte.


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