Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Zwölftes Kapitel.

Enthält, was der Leser vielleicht darin sucht.

Bei jeder Uebereinkunft, sie mag einen Zweikampf, eine Heirath oder irgend ein anderes Geschäft betreffen, sind wenige Ceremonien vorher erforderlich, die Sache zu Ende zu bringen, wenn es beide Theile wirklich ernstlich meinen. Dies war hier der Fall und in weniger als einem Monate waren der Capitain und seine Dame Mann und Frau.

Nun bestand die schwierigste Aufgabe noch darin, den Herrn Allworthy von der Sache in Kenntniß zu setzen. Dies nahm der Doctor über sich.

Eines Tages, als Allworthy in seinem Garten auf und 45 ab ging, kam der Doctor zu ihm und sagte mit dem größten Ernste, den er in sein Gesicht zu legen vermochte: »ich bin heute gekommen, um Ihnen eine Sache von der größten Wichtigkeit mitzutheilen; aber wie soll ich es erwähnen, da ich so ungern daran denke!« Dann ließ er sich in die stärksten Schmähungen sowohl gegen die Männer als gegen die Weiber aus, beschuldigte die erstern, sie hätten stets nur ihren Vortheil im Auge, und die letztern, ihre tadelnswürdigen Neigungen wären so stark, daß man sie nie mit Sicherheit mit einer Person des andern Geschlechtes allein lassen könne. »Hätte ich,« sagte er, »ahnen können, daß eine Dame von so viel Klugheit, Urtheilskraft und Kenntniß sich einer solchen Leidenschaft hingeben könnte, oder hätte ich glauben können, daß mein Bruder –, doch warum nenne ich ihn noch so? Er ist mein Bruder nicht mehr.«

»Das ist er doch,« sagte Allworthy, »und nun auch der meinige.« – »Die entsetzliche Geschichte ist Ihnen also schon bekannt?« fragte der Doctor. – »Sehen Sie, Herr Blifil,« antwortete der gute Mann, »ich habe in meinem ganzen Leben immer den Grundsatz festgehalten, alles, was geschieht, zum Besten zu kehren. Meine Schwester ist zwar viele Jahre jünger als ich, aber doch alt genug, daß sie wissen kann, was ihr frommt. Hätte er ein Kind bethört, so würde ich weniger geneigt gewesen sein, ihm zu verzeihen, aber ein Mädchen in den Dreißigen muß selbst am Besten wissen, was sie glücklich machen kann. Sie hat ihre Hand einem Manne gegeben, der vielleicht dem Vermögen nach ihr nicht gleich steht; besitzt er aber in ihren Augen Eigenschaften, welche diesen Mangel ausgleichen, so sehe ich nicht ein, warum ich mich ihrem Glücke widersetzen sollte, das, auch meiner Meinung nach, nicht blos in großem Vermögen besteht. Ich hätte zwar, da ich häufig geäußert habe, ich würde fast in jeden Antrag willigen, wohl erwarten können, 46 daß man mich bei der Sache zu Rathe ziehe; aber sie ist bekanntlich eine sehr zarte. Gegen Ihren Bruder hege ich durchaus keinen Groll. Er hatte keine Verbindlichkeit gegen mich, eben so wenig hatte er nöthig, mich um meine Einwilligung anzugehen, da die Frau, wie ich gesagt habe, sui juris ist und in einem Alter steht, in welchem sie für sich allein handeln kann.«

Der Doctor meinte, Herr Allworthy sei gar zu nachsichtig, wiederholte die Beschuldigungen gegen seinen Bruder und erklärte, man werde ihn niemals bewegen, ihm wieder unter die Augen zu treten oder ihn für seinen Bruder anzuerkennen. Dann begann er eine große Lobeserhebung der Gutmüthigkeit Allworthy's, so wie der Freundschaft desselben und schloß mit den Worten, er werde es seinem Bruder nie vergeben, daß er ihm diese Freundschaft, auf die er so stolz gewesen, gefährdet habe.

Allworthy entgegnete: »Wäre ich auch wirklich mit Ihrem Bruder unzufrieden gewesen, so würde ich doch nie den Unschuldigen haben dafür büßen lassen; aber ich wiederhole es, ich bin gar nicht unzufrieden mit ihm. Ihr Bruder scheint ein Mann von Ehre und Verstand zu sein. Ich mißbillige den Geschmack und die Wahl meiner Schwester nicht, so wie ich nicht zweifle, daß sie ebenfalls wirklich der Gegenstand seiner Liebe ist. Ich habe immer die Liebe für die einzige Grundlage des Glücks in der Ehe gehalten, da nur sie jene hohe und zärtliche Freundschaft erzeugen kann, welche stets diese Vereinigung zusammenhalten sollte. Meiner Meinung nach sind alle Ehen, die aus andern Beweggründen geschlossen werden, völlig zu verdammen; sie entweihen die heiligste Ceremonie und endigen meist in Unfrieden und Elend; denn gewiß muß man es eine Entweihung nennen, wenn diese heiligste Anstalt in ein schändliches Opfer der Fleischeslust oder des Geizes verwandelt wird, 47 und kann man besser von der Ehe sprechen, welche die Menschen blos wegen der Schönheit der Person oder wegen eines großen Vermögens eingehen?

»Es würde ganz falsch und thöricht sein, wollte man läugnen, daß Schönheit etwas dem Auge Angenehmes und selbst einiger Bewunderung Würdiges ist. Schön ist ein Beiwort, das häufig in der Bibel vorkommt und immer mit Ehren genannt wird. Ich selbst hatte das Glück, mich mit einer Frau zu verheirathen, welche die Welt für schön hielt, und ich muß auch gestehen, daß sie mir darum nur um so mehr gefiel. Sie aber allein bei der Ehe zu berücksichtigen, nach ihr so eifrig zu streben, daß man um ihretwillen alle Mängel und Fehler übersieht, oder sie so absolut zu verlangen, daß man Religion, Tugend und Verstand verschmäht, die an sich doch weit werthvoller sind, blos weil körperliche Schönheit nicht zu gleicher Zeit mit vorhanden ist, paßt sich weder für einen verständigen Mann, noch für einen Christen. Es ist vielleicht zu mild, wenn man annimmt, solche Personen bezweckten durch ihre Verheirathung auch noch etwas mehr als die Befriedigung der fleischlichen Triebe, um deretwillen, wie wir belehrt worden sind, die Ehe nicht eingesetzt wurde.

»Dann kommt das Vermögen. Weltklugheit erfordert vielleicht einige Berücksichtigung dieses Umstandes und ich will dieselbe auch nicht durchaus verdammen. Wie die Welt nun einmal ist, verlangen die Erfordernisse des ehelichen Lebens und die Vorsorge für die Kinder einige Rücksicht auf das, was wir die Umstände nennen. Diese Rücksicht wird aber weit über das wirklich Nothwendige durch Thorheit und Eitelkeit gesteigert, welche weit mehr Bedürfnisse schaffen als die Natur. Equipage für die Frau und großes Vermögen für die Kinder werden gewöhnlich mit zu den Bedürfnissen gerechnet, und um sich nur diese zu verschaffen, 48 vernachlässiget und übersieht man, was wahrhaft dauernd und angenehm, tugendhaft und religiös ist.

»Und dies in vielen Graden, deren letzter und höchster von Wahnsinn kaum zu unterscheiden ist; – ich meine, wenn Personen, die großes Vermögen besitzen und sich mit denen verheirathen, die ihnen unangenehm sind und sein müssen, mit Narren und Schurken, nur um Besitzungen zu vergrößern, die bereits mehr gewähren, als sie zur Befriedigung ihrer Wünsche brauchen. Solche Personen müssen gewiß, wenn sie nicht für wahnsinnig gehalten sein wollen, gestehen, daß sie entweder unfähig sind, die Freuden der zärtlichsten Freundschaft zu empfinden oder daß sie das größte Glück, dessen sie fähig sind, den eiteln, unsichern und unsinnigen Gesetzen der gemeinen Meinung aufopfern, welche ihre Stärke wie ihre Entstehung der Albernheit verdanken.«

Damit beschloß Allworthy seine Rede, die Blifil mit der höchsten Aufmerksamkeit angehört hatte, ob es ihm gleich einige Mühe kostete, hier und da eine kleine Verziehung seiner Gesichtsmuskeln zu verhindern. Er pries endlich jeden Satz, den er gehört hatte, mit der Wärme eines jungen Geistlichen, der die Ehre hat, bei einem Bischofe an dem Tage zu speisen, an welchem derselbe die Kanzel betreten hatte.


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