Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Viertes Kapitel.

Enthält einen der blutigsten Kämpfe, oder vielmehr Zweikämpfe, die in der Geschichte des Hauswesens erzählt werden.

Aus den im vorigen Kapitel erwähnten Gründen und in Folge einiger anderer ehelichen Zugeständnisse, die den meisten Ehemännern wohl bekannt sind, die aber, wie die Geheimnisse der Freimaurerei, nur die Eingeweihten erfahren dürfen, war Frau Partridge ganz wohl damit zufrieden, daß sie ihren Mann ohne Grund verdammt hatte und versuchte durch Freundlichkeit ihren falschen Verdacht wieder gut zu machen. Ihre Leidenschaften waren gleich heftig, welche Richtung sie auch einschlugen, denn wie sie außerordentlich unwillig sein konnte, war sie auch im Stande, ungemein zärtlich zu sein.

Obgleich nun diese Leidenschaften meist auf einander folgten und kaum jemals vier und zwanzig Stunden vergingen, ohne daß der Schulmeister der Gegenstand beider 64 war, so dauerte doch, wenn die Wuthleidenschaft sehr arg getobt hatte, der Stillstand ungewöhnlich länger. Dies war jetzt der Fall, denn ihre Freundlichkeit hielt, als der Anfall von Eifersucht vorüber war, längere Zeit an als jemals, und wären nicht einige kleine Uebungen vorgekommen, welche alle Schülerinnen der Xantippe täglich vollbringen müssen, so würde Herr Partridge einige Monate sich einer vollkommenen Ruhe erfreut haben.

Völlige Windstille zur See wird von dem erfahrenen Seemanne für den Vorboten eines Sturmes gehalten, und ich kenne einige Personen, die, ohne gerade abergläubisch zu sein, die Befürchtung hegen, daß nach tiefem und ungewöhnlichem Frieden das Gegentheil folge. Aus diesem Grunde pflegten die Alten bei solchen Gelegenheiten der Nemesis zu opfern, einer Göttin, die wie sie wähnten, das menschliche Glück mit neidischem Auge betrachte und mit besonderer Lust dasselbe umkehre.

Da wir weit entfernt sind, an eine solche heidnische Göttin zu glauben, oder den Aberglauben auf irgend eine Weise zu begünstigen, so wünschen wir, die Philosophen strengten sich an, um die wirkliche Ursache dieses schnellen Ueberganges von Glück zu Unglück ausfindig zu machen, der so oft bemerkt worden ist und von dem wir ebenfalls ein Beispiel anführen wollen. Unsere Aufgabe ist es, Thatsachen zu berichten, Leuten von höhern Geistesgaben überlassen wir es, die Ursachen und Gründe aufzusuchen.

Die Menschen haben immer ein großes Vergnügen darin gefunden, die Handlungen anderer Leute zu erfahren und über dieselben zu reden. Deshalb ist auch zu allen Zeiten und bei allen Völkern für besondere Oerter zu öffentlichen Zusammenkünften gesorgt worden, an denen die Neugierigen sich einfinden und gegenseitig ihre Wißbegierde befriedigen könnten. Unter diesen Oertern sind die Barbierstuben 65 mit Recht immer mit Auszeichnung genannt worden. Unter den Griechen war »Barbierneuigkeiten« ein sprichwörtlicher Ausdruck und Horaz erwähnt in einer seiner Episteln die römischen Barbiere in gleicher Hinsicht auf ehrenvolle Weise.

Die englischen stehen bekanntlich ihren griechischen und römischen Vorgängern keineswegs nach. Auswärtige Angelegenheiten werden da fast eben so gut erörtert und verhandelt, wie in den Kaffeehäusern, und Vorfälle in Familien behandelt man in den letztern bei weitem nicht so frei und ausführlich. Davon haben nun freilich blos die Männer Vortheil. Da aber auch die Frauen in diesem Lande, besonders die der niedern Classen, häufiger zusammenkommen als die der andern Nationen, so würde unsere Staatseinrichtung höchst mangelhaft sein, würde ihnen nicht auch ein besonderer Ort angewiesen, an welchem sie ihre Neugierde befriedigen können, zumal da sie in dieser der andern Menschenhälfte durchaus nicht nachstehen.

Die englischen Schönen müssen sich also, da sie einen solchen Versammlungsort haben, weit glücklicher schätzen, als ihre Schwestern im Auslande, denn ich erinnere mich nicht, von etwas Aehnlichem in der Geschichte gelesen, noch dergleichen bei meinen Reisen gesehen zu haben.

Dieser Ort ist kein anderer als der Lichtzieherladen, der bekannte Sitz aller Neuigkeiten oder, wie man sich im gewöhnlichen Leben ausdrückt, des Klatschens in jeder englischen Gemeinde.

Als Frau Partridge sich eines Tages in dieser Frauenversammlung befand, wurde sie von einer Nachbarin gefragt, ob sie in der letzten Zeit nichts von der Jenny Jones gehört habe. Sie verneinte dies und die Andere entgegnete darauf lächelnd, die Gemeinde sei ihr sehr viel Dank dafür schuldig, daß sie Jenny fortgeschickt habe.

Frau Partridge, die, wie der Leser weiß, von ihrer 66 Eifersucht längst geheilt war, auch gegen das Mädchen sonst nichts hatte, antwortete keck, sie wisse nicht, in wiefern die Gemeinde ihr deshalb Dank schuldig sein sollte, denn sie glaube, die andern Mädchen im Orte wären schwerlich so wie sie.

»Das hoffe ich nicht,« sagte die Klatschschwester, »wenn ich auch recht wohl weiß, daß wir schlechte genug da haben. Sie haben, wie es scheint, noch gar nichts davon gehört, daß sie mit Zwillingen niedergekommen ist. Da sie nicht hier zur Welt gekommen sind, so werden wir auch nicht nöthig haben, sie zu erhalten, wie mein Mann und der andere Aufseher sagen.«

– »Mit Zwillingen niedergekommen!« antwortete Frau Partridge; »Sie setzen mich in Erstaunen. Ob wir sie erhalten müssen, weiß ich nicht, so viel aber ist sicher, daß die Kinder hier gezeugt sind, denn das Mädchen ist seit neun Monaten nicht weggekommen.«

Nichts kann so rasch und schnell sein, als die Operationen der Seele, zumal wenn sie von Hoffnung, oder Furcht, oder Eifersucht, deren Dienerinnen dieselben blos sind, angeregt werden. Es fiel ihr sogleich ein, daß Jenny ihr Haus kaum jemals verlassen habe, so lange sie in demselben gewohnt. Sie gedachte an das Lehnen über den Stuhl, an das plötzliche Auffahren, an das Lateinische, an das Lächeln und an manches Andere. Die Freude ihres Mannes über die Entlassung Jenny's hielt sie jetzt blos für Verstellung, im nächsten Augenblicke aber doch für wirklich empfunden, freilich (um ihre Eifersucht zu bestätigen) nur, weil er ihrer überdrüssig gewesen und aus hundert andern schlechten Gründen. Mit einem Worte, sie war von ihres Mannes Schuld überzeugt und verließ augenblicklich die Versammlung.

Wie eine Katze auf die Maus fuhr sie auf den armen 67 Schulmeister her. Ihre Zunge, ihre Zähne und Hände faßten ihn zu gleicher Zeit. Die Perrücke war ihm im Augenblicke vom Kopfe, das Hemd vom Leibe gerissen und an seinem Gesichte flossen fünf Ströme Blut herunter nach der Zahl der Klauen, mit denen die Natur unglücklicher Weise seine Feindin bewaffnet hatte.

Partridge hielt sich eine Zeit lang auf der Defensive; er versuchte blos sein Gesicht mit den Händen zu schützen; als er sich aber überzeugen mußte, daß seine Gegnerin in ihrer Wuth nicht nachließ, meinte er, er könnte doch wenigstens versuchen, sie zu entwaffnen oder ihr die Hände zu halten. Bei diesem Kampfe entfiel ihr die Haube, und ihr Haar, das zu kurz war und nicht herabfallen konnte, stand gesträubt auf dem Kopfe; ihre Schnürbrust, die nur durch ein einziges Loch geschnürt war, sprang auf und die Brüste, die weit voller waren als das Haar, quollen vorn heraus; ihr Gesicht wurde von dem Blute ihres Mannes befleckt; ihre Zähne knirschten in der Wuth auf einander und aus ihren Augen sprühte das Feuer, wie die Funken aus einer Schmiedeesse, so daß diese amazonenhafte Heldin ein Gegenstand des Schreckens wohl auch für einen kühnern Mann hätte sein können, als es Partridge war.

Endlich gelang es ihm, ihre Arme festzuhalten und die Waffen, die sie an den Fingerspitzen hatte, unwirksam zu machen. Kaum bemerkte sie dies, so trug die Weichheit ihres Geschlechts den Sieg über ihre Wuth davon, sie brach in Thränen aus und fiel endlich in Ohnmacht.

Partridge wußte sich weder die Ursache dieses wüthigen Auftrittes, noch weniger aber der Ohnmacht zu erklären. Er stürzte also auf die Straße hinaus, rief laut, seine Frau ringe mit dem Tode und beschwur die Nachbarn, ihr so schnell als möglich zu Hilfe zu kommen. Einige gutmüthige Weiber folgten seiner Aufforderung, kamen mit ihm in 68 das Haus und wendeten die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Mittel an, worauf Frau Partridge zur großen Freude ihres Mannes endlich wieder zu sich kam.

Sobald sie sich einigermaßen wieder erholt und durch ein herzstärkendes Mittel erquickt hatte, fing sie an, den Anwesenden die vielfältigen Kränkungen und Beleidigungen zu erzählen, die sie von ihrem Manne erlitten, der ihr nicht blos untreu geworden, sagte sie, sondern, als sie ihm dies vorgehalten, sie auch auf die erdenklichst grausame Weise mißhandelt, ihr die Haube und das Haar vom Kopfe, und die Schnürbrust vom Leibe gerissen, ja ihr sogar mehrere Schläge versetzt habe, deren Spuren sie mit in das Grab nehmen würde.

Der arme Mann, der in seinem Gesichte viele und sichtbare Zeichen des Zornes seiner Frau hatte, hörte in schweigender Verwunderung diese Anklage an, die, wie der Leser ihm bezeugen wird, sehr bedeutend von der Wahrheit abwich, denn er hatte sie nicht einmal geschlagen. Sein Stillschweigen wurde von dem anwesenden weiblichen Gerichtshofe als Eingeständniß ausgelegt und sie fingen alle auf einmal an, una voce, ihn zu schelten und zu schimpfen und wiederholten oft, nur ein schlechter feiger Mensch schlage eine Frau.

Partridge ertrug alles dies geduldig, als aber seine Frau das Blut in ihrem Gesichte als Zeugniß seiner Grausamkeit und Rohheit anführte, konnte er nicht länger schweigen; er nahm sein Blut in Anspruch, denn von dem seinigen war es und er hielt es für unnatürlich, daß dieses zur Rache gegen ihn sich erheben sollte, wie es das eines Ermordeten oft thun soll.

Darauf antworteten die Weiber weiter nichts, als es sei Schade, daß es nur von seinem Gesichte, nicht aus seinem Herzen gekommen, und Alle erklärten, wenn ihre Männer 69 die Hände gegen sie aufhüben, würden sie nicht ruhen, bis sie denselben das Herzblut abgezapft hätten.

Nach langer Ermahnung wegen des Vergangenen und manchem guten Rathe an Herrn Partridge wegen seines zukünftigen Benehmens, entfernten sich endlich die Weiber wieder und ließen Mann und Frau zu einem Gespräche unter vier Augen allein, in welchem Partridge die Ursache aller seiner Leiden bald erfuhr.


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