Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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111 Viertes Kapitel.

Enthält eine nothwendige Apologie für den Verfasser und ein kindisches Ereigniß, das vielleicht ebenfalls eine Apologie erfordert.

Ehe ich weiter fortfahre, bitte ich um die Erlaubniß, einigen falschen Schlüssen zuvorzukommen, zu welchen einige Leser durch zu großen Eifer geführt werden könnten, denn ich möchte mit Willen nicht gern Jemandem Aergerniß geben, namentlich nicht denen, welche warme Freunde der Tugend und Religion sind.

Ich hoffe deshalb, Niemand werde meine Meinung so verkehren und mich so darstellen, als suche ich die größten Vollkommenheiten der menschlichen Natur lächerlich zu machen, welche allein das Herz des Menschen reinigen und adeln und ihn über die thierische Schöpfung erheben. Nur so viel will ich zu sagen wagen (und ein je besserer Mensch der Leser ist, um so mehr wird er geneigt sein, mir zu glauben), daß ich die Ansichten dieser beiden Personen lieber mit ewigem Vergessen bedeckt, als einer dieser glorreichen Sachen Schaden zugefügt hätte.

Im Gegentheil, um ihnen förderlich zu sein, habe ich es übernommen, das Leben und die Thaten zweier ihrer falschen und angeblichen Ritter zu erzählen. Ein verrätherischer Freund ist der gefährlichste Feind, und ich spreche es keck aus, daß Religion und Tugend mehr durch Heuchler, als durch die witzigsten Wollüstlinge oder Ungläubigen in Mißcredit gebracht worden sind; ja ferner, wie diese beiden in ihrer Reinheit mit Recht die Bande der bürgerlichen Gesellschaft genannt werden und in der That die größten Segnungen sind, so sind sie, so bald sie durch Betrug, durch Anmaßung und Affectation vergiftet und verdorben wurden, die schlimmsten Uebel für den Staat geworden 112 und haben Menschen in den Stand gesetzt, die schändlichsten Verbrechen und Grausamkeiten an ihren Mitmenschen zu begehen.

Ich zweifle nicht daran, daß das Lächerliche im Allgemeinen zugestanden werden wird, fürchte aber hauptsächlich, man möge, da auch wahre und richtige Bemerkungen aus dem Munde dieser Personen kommen, das Ganze zusammennehmen und glauben, ich mache alles lächerlich. Der Leser möge indeß berücksichtigen, daß keiner dieser beiden Männer ein völliger Narr war und man deshalb auch nicht annehmen kann, er werde nur verkehrte Dinge vorbringen; welche Ungerechtigkeit würde ich also ihrem Character haben widerfahren lassen, hätte ich nur das Schlechte und Falsche ausgewählt, und wie schrecklich verstümmelt würden ihre Gründe erschienen sein!

Nicht die Religion oder die Tugend werden hier blosgestellt, sondern der Mangel an denselben. Hätte nicht Thwackum die Tugend und Square die Religion in ihren verschiedenen Systemen vernachlässiget, hätten beide nicht alle natürliche Herzensgüte unbeachtet gelassen, sie würden in dieser Geschichte nicht als Gegenstände des Spottes aufgeführt worden sein. Wir fahren also fort.

Der Vorfall, welcher die in dem letzten Kapitel erwähnte Debatte zu Ende brachte, war nichts anderes, als ein Zank zwischen dem jungen Blifil und Tom Jones, in dessen Folge dem ersteren die Nase blutete; denn obgleich der jüngere Blifil größer als Tom war, so übertraf dieser ihn doch in der edeln Boxkunst.

Tom vermied indeß vorsichtig jeden Kampf mit dem Knaben, denn abgerechnet, daß er bei allen seinen Streichen eine gutmüthige Seele war und Blifil wirklich liebte, würde auch Thwackum, der immer die Partie des letztern nahm, hinreichend gewesen sein, ihn davon abzuhalten.

113 Ein gewisser Schriftsteller sagt jedoch mit Recht: »Niemand ist zu jeder Stunde klug,« und man darf sich darum nicht wundern, daß es auch ein Knabe nicht ist. Es war beim Spiele zwischen den beiden Knaben zu einer Veruneinigung gekommen und der kleine Blifil hatte Tom einen bettelhaften Bastard genannt, worauf der letztere, der ein leicht entzündliches Temperament besaß, sogleich jene Erscheinung in dem Gesichte des erstern hervorrief, welche wir oben erwähnt haben.

Blifil erschien jetzt mit blutender Nase und thränenden Augen vor seinem Oheime und dem schrecklichen Thwackum, und dieses Gericht erklärte Tom sofort des Verbrechens des Anfalles und der Verwundung schuldig. Tom führte zu seiner Entschuldigung an, wie er dazu gereizt worden sei, welchen Umstand Blifil zu erwähnen vergessen hatte.

Es ist allerdings möglich, daß er diesen Umstand völlig vergessen hatte, denn in seiner Antwort läugnete er es bestimmt, sich eines solchen Ausdrucks bedient zu haben und setzte sogar hinzu: »Gott verhüte, daß jemals solche garstige Worte aus meinem Munde gehen!«

Tom verharrte bei der Versicherung, daß jene Worte gesprochen worden wären, worauf der junge Blifil äußerte: »es ist kein Wunder; wer eine Lüge sagt, wird sich auch vor einer zweiten nicht scheuen. Hätte ich meinem Lehrer eine so schlimme Lüge gesagt, wie Du es gethan hast, würde ich mich schämen, mein Gesicht zu zeigen.«

»Welche Lüge, mein Kind?« rief Thwackum begierig.

»Nun, er sagte Ihnen, es sei Niemand bei ihm gewesen, als er das Rebhuhn geschossen; aber er weiß (und hier brach er in Thränen aus), er weiß, denn er gestand es mir, daß der schwarze Georg, der Jäger, bei ihm war. Ja, das sagte er, – ja, Du sagtest es – läugne es, wenn 114 Du kannst, daß Du die Wahrheit nicht gestanden haben würdest, hätte Dich auch der Lehrer blutig geschlagen.«

Bei diesen Worten sprüheten die Augen Thwackum's Funken und er rief triumphirend aus: »ach, das ist also das falsch verstandene Ehrgefühl! Das ist der Junge, der nicht noch einmal gezüchtiget werden sollte.« Allworthy aber wendete sich freundlicher an den Knaben und fragte: »ist es wahr, Kind? Und warum bestandest Du so hartnäckig auf der Unwahrheit?« Tom sagte, er hasse eine Lüge eben so sehr als irgend Einer, aber er habe geglaubt, seine Ehre nöthige ihn, so zu handeln, wie er es gethan, denn er habe dem armen Menschen versprochen, ihn nicht zu verrathen und sich ferner für verpflichtet gehalten, da der Jäger ihn aufgefordert, das Revier des Nachbars nicht zu betreten und endlich nur auf seine Bitte selbst mitgegangen sei. Er setzte hinzu, dies sei die volle Wahrheit bei der Sache, und er wolle darauf schwören und schloß damit, daß er Herrn Allworthy inständigst bat, er möge mit der Familie des armen Jägers Mitleid haben, da er (Tom) allein der Schuldige gewesen. »Wahrhaftig Herr,« sagte er, »das, was ich sagte, konnte kaum eine Lüge genannt werden, denn der arme Mann war bei der ganzen Sache völlig unschuldig. Ich sollte allein nach den Rebhühnern gegangen sein; es war dies auch anfangs so und er folgte mir nur, um noch mehr Unheil zu verhindern. Herr, lassen Sie mich bestrafen; nehmen Sie mir mein Pferdchen wieder, aber verzeihen Sie dem armen Georg.«

Herr Allworthy zögerte einige Augenblicke und entließ sodann die Knaben mit der Ermahnung, freundlicher und friedlicher mit einander zu leben.


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