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»Die Wogulen auf dem Ural, auch viele Buräten und Tungusen halten den Tod für eine göttliche Strafe, und fürchten nach dem Tode ebensowenig, als sie etwas erwarten, weil sie sich einbilden, daß die Götter durch den Tod vollkommen versöhnt worden Meiners Allgemeine kritische Geschichte der Religionen II. B., welcher Schrift auch die folgenden, von den Vorstellungen roher Völker handelnden Stellen entnommen sind..« Ebenso glauben auch die Christen, daß der Tod nicht eine Folge natürlicher Notwendigkeit ( non lege naturae, wie Augustin in seiner Schrift vom Staate Gottes sagt), sondern durch den Zorn Gottes als Strafe dem Menschen auferlegt sei; aber unterscheiden sich dadurch, übrigens nicht zu ihrer Ehre, von diesen Wogulen, Buräten und Tungusen, daß sie ihren Gott sich nicht durch den Tod des Menschen versöhnen, sondern auch noch nach dem Tode, also nach erlittener Strafe, den Menschen, wenigstens den Sünder, den Ungläubigen, bis in alle Ewigkeit foltern und martern lassen.
Die Vorstellung des Christentums, daß, wie Luther in der schon in meinen Gedanken »über Tod und Unsterblichkeit« angeführten Stelle sagt, »alle Tiere dahinsterben, nicht aus Gottes Zorn und Ungnade, sondern nach der Natur und göttlichen Ordnung dem Menschen zugute, aber der Menschen Tod aus Gottes Zorn und Ungnade kommt«, ist ein augenfälliger Beweis, daß das Wesen des Christentums nichts anderes ist, als ein un- und übernatürlicher, supranaturalistischer Egoismus. Der Tod der Tiere hat nichts auf sich, ist ganz in der Ordnung; aber der Tod des Menschen ist eine Ausnahme von der Regel, der widerspricht der natürlichen Ordnung, weil er dem Egoismus des Menschen widerspricht; wenigstens des Menschen, der sich in seiner Einbildung für ein übernatürliches, außerweltliches Wesen hält, folglich für ein Wesen, das nicht sterben soll, mit dem der Tod sich nicht zusammen vereinen läßt. Die Rohheit, mit welcher die Christen die Tiere behandeln, hat daher seinen letzten Grund im Wesen des Christentums selbst. Es steht zwar in der Bibel: »Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehes«; es steht aber auch in derselben Bibel: die Sonne steht um des Menschen willen stille. Wenn aber alles nur des Menschen wegen, wenn der menschliche Egoismus der letzte Grund aller Dinge und Wesen ist, warum soll ich ein Tier nicht schinden und plagen, solange ich noch dadurch einen Nutzen für mich aus ihm ziehen kann? Wenn daher sich der Christ der Tiere erbarmt, so folgt er nur seinem natürlichen Gefühl, aber nicht den Inspirationen seines supranaturalistischen Dünkels und Egoismus.
»Darum will's daran gelegen sein, ob du auch glaubest, daß nach diesem Leben ein ander Leben sei … Wo du in dem Glauben bist, … daß nach diesem Leben kein ander Leben sei, so wollte ich auch um deinen Gott nicht einen Pfifferling geben. Alsdann tue, was dich gelüstet. Denn so kein Gott ist, ist auch kein Teufel, noch Hölle und ist gleich eins, wenn ein Mensch dahin stirbt, als wenn ein Baum umfället, oder als eine Kuh, wenn sie stirbet, so ists alles aus. So laßt uns guter Dinge sein, fressen und saufen, denn morgen sind wir tot, wie St. Paulus sagt 1. Kor. 15.« Wir haben in diesem Ausspruch Luthers einen eklatanten Beweis von der Rohheit des Christentums, welches nur im Jenseits den Unterschied zwischen dem Menschen und der Kuh, zwischen Essen und Fressen, Trinken und Saufen findet. Aber nicht nur roh, auch töricht ist der Schluß, den das Christentum aus der Sterblichkeit des Menschen zieht. Eben deswegen weil wir morgen tot sind, wollen wir uns nicht schon heute zu tot saufen und fressen; eben deswegen, weil wir nicht immer leben, wollen wir uns nicht durch »Huren und Buben, Rauben und Morden«, wie eben Luther sagt, gegenseitig das Leben nehmen, nicht durch Torheit und Bosheit uns das Leben verbittern. Und eben weil der Mensch seinen Tod voraussieht und voraus weiß, so unterscheidet sich der Mensch, ob er gleich ebensogut stirbt, wie das Tier, dadurch von dem Tiere, daß er den Tod zu einem Gegenstande selbst seines Willens erheben kann. Ich muß sterben, aber ich muß nicht nur, ich will auch sterben. Was in meiner Natur, in meinem Wesen begründet ist, das steht ja nicht im Widerspruch und Gegensatz mit mir, das ist mir kein feindliches Wesen; wie sollte sich also mein Wille dagegen sträuben? Nein! mein Wille sei einig mit meinem Wesen, der Tod also als Folge meines Wesens eine Sache meines Willens, so gut wie jede andere Naturnotwendigkeit. Schämt sich der Christ des Todes als eines tierischen Aktes, so schäme er sich auch des Zeugungsaktes und begebe sich statt in das Ehebett in ein Karthäuserkloster. Ist der Tod unter der Würde des Christen, so ist auch der Zeugungsakt, so ist überhaupt der Mensch unter der Würde des Christen. Ein himmlisches, göttliches Wesen stirbt nicht, aber es zeugt auch keine Kinder. Also füge sich der Christ entweder in die Notwendigkeit des Todes, verzichte auf die Unsterblichkeit, oder bekenne, daß er nur im Widerspruch mit seinem christlichen unsterblichen Wesen dem Kloster des Katholizismus entsprungen ist. Daß aber der Tod nicht im Widerspruch mit dem Wesen des Menschen steht, daß folglich die christliche Unsterblichkeit, also das Wesen des Christentums überhaupt nur auf den Zwiespalt und Widerspruch des menschlichen Bewußtseins und Willens mit dem menschlichen Wesen, wie ich eben mich ausdrückte, gegründet ist, davon haben wir einen Beweis an den Greisen, bei welchen man »meist keine Furcht vor dem Tode Übrigens ist die Furcht vor dem Tode gar kein Beweis von dem Widerspruch des Todes mit dem Wesen des Menschen, denn diese Furcht beruht bei den Menschen oft auf den allertörichsten Vorstellungen., oft ein aufrichtiges Verlangen nach demselben findet, das durch Marasmus wie bei Kant selbst zu einem ungeduldigen Sehnen gesteigert werden kann Burbach: Physiologie III. B..« Diesem ungeduldigen Sehnen Kants lag aber nicht etwa das Verlangen nach dem Jenseits zugrunde, denn kurz vor seinem Tode antwortete er auf die Frage: was er sich von der Zukunft verspreche? » nichts Bestimmtes« und ein andermal: »von dem Zustand weiß ich nichts.« Sehr wahr und schön ist daher, was Cicero am Schlusse seiner Schrift de Senectute sagt: Quodsi non sumus immortales futuri, tamen exstingui homini suo tempore optabile est. Nam habet natura, ut aliarum omnium rerum, sic vivendi modum, senectus autem peractio aetatis est tanquam fabulae, cujus defatigationem fugere debemus, praesertim adjuncta satietate.
»Die Tscheremissen … bekannten, daß sie nicht würdig seien, zu einem anderen Leben erhoben zu werden.« Sollten wir aber nicht samt und sonders so ehrlich sein, zu bekennen, daß wir eines anderen Lebens unwürdig sind? Wie bringen wir denn dieses Leben zu? in langweiligen Gesellschaften, in kleinlichen Stadtklatschereien, in politischen Ränken, in religiösen Zänken, in gelehrten Torheiten, in häuslichen Zwistigkeiten, kurz in Erbärmlichkeiten, Nichtswürdigkeiten und Absurditäten aller Art! Warum bringen wir aber so unser Leben zu? Weil wir zu wenig? nein! weil wir zu viel Leben, zu viel Zeit haben. Wie glücklich brächten viele Menschen ihre Tage hin, wenn der Tag um die Hälfte kürzer wäre! Wie viele werden im Alter förmlich kindisch! wie viele überleben sich schon in jüngeren Jahren, sowohl in geistiger, als moralischer Beziehung! Wozu sollten sie also diesen Überschuß verwenden, als dazu, das Leben zu vertändeln oder sich und anderen zu verbittern? Ehe wir uns daher fragen, ob wir eines anderen Lebens würdig seien, wollen wir uns erst fragen, ob wir dieses Lebens würdig sind.
»Die Kamtschadalen glauben, daß diejenigen, welche hier arm waren, in der anderen Welt reich, die Reichen hingegen arm sein werden, damit zwischen den beiden Zuständen in dieser und jener Welt eine gewisse Gleichheit entstehe. Eine jede andere Vergeltung des Guten und Bösen halten sie für unnötig. Wer auf dieser Erde gestohlen, Ehebruch getrieben habe usw., der sei dafür schon hinlänglich gestraft, entweder geprügelt oder erschlagen worden, habe wenigstens keine Freunde gefunden, und sei daher hilflos und ohne Vermögen geblieben.« Beschämen diese Kamtschadalen nicht die Christen, welche außer den Strafen, die der Mensch und die Natur auf das Laster gesetzt haben, noch obendrein einen göttlichen Kriminalrichter bedürfen, und offen bekennen, daß sie »huren und buben, rauben und morden« würden, wenn ihnen nicht die Pfennige, die sie, aber nicht aus Liebe, sondern mit Widerstreben, nur auf Kommando des Herrn oder der Pflicht, ihren Mitmenschen aufopfern, im Himmel hundertfältig ersetzt würden? O Christentum, Christentum! muß ich abermals ausrufen, du bist der roheste, gemeinste Egoismus unter dem Scheine der aufopferndsten Liebe. An den Anfang der Welt setzest du den Egoismus unter dem Namen Gottes, welcher die Natur nur dazu ins Dasein rief, daß sie der Mensch verzehrt und genießt, und an das Ende der Welt setzest du den Egoismus unter dem Namen des Himmels, um ihn für die Beschwerlichkeiten zu entschädigen, die mit dem Genusse der Natur verbunden sind!
Plutarch in seiner Schrift von der Unmöglichkeit eines angenehmen Lebens nach epikuräischen Grundsätzen sagt, daß die Epikuräer den Menschen, folglich sich selbst der süßesten Hoffnungen berauben, indem sie nicht, wie die, welche wie Pythagoras, Plato und Homer von der Seele denken, ein Wiedersehen geliebter Toten erwarten können. In der Tat ist der einzige honorige und respektable Grund für die Unsterblichkeit die Liebe, denn er ist der rein menschliche. Zwar stützt sich auch dieser Grund auf die menschliche Selbstliebe, denn das Verlangen des Wiedersehens erstreckt sich ja nicht auf andere, mir gleichgültige Menschen, ich will ja nur die Meinigen, meine Kinder, meine Gattin, meine Eltern und Freunde wiedersehen! aber die wahre, im Wesen des Menschen begründete, die nicht zu verleugnende Selbstliebe ist die in der Menschenliebe sich befriedigende Selbstliebe; ist die notwendige, unwillkürliche, indirekte Selbstliebe; denn ich kann ja keinen Gegenstand lieben, ohne Lust und Freude an ihm zu empfinden. Liebe zum Gegenstand ohne Egoismus, ohne Selbstliebe ist eine supranaturalistische Chimäre ist eine Liebe ohne Liebe. Das Gefühl der Liebe nun sträubt sich dagegen, den Tod des Geliebten anzuerkennen, empört sich gegen die Notwendigkeit des Todes, denn es kennt kein Gesetz als sich selbst; ja es hält es für eine Barberei, eine Grausamkeit, dem Toten das Leben abzusprechen. Die Liebe will ja alles beseitigen, was dem Geliebten wehe tut, was wider ihn ist, sein Selbst- und Wohlgefühl beeinträchtigt: wie sollte sie sich also von dem Tode das Leben des Geliebten nehmen lassen? wie den Tod, die schrecklichste Verneinung sich gefallen lassen, anerkennen? Aber es ist nur Selbsttäuschung, wenn wir glauben, in diesem Kampfe unseres Herzens mit dem Tode für den Toten zu streiten wir kämpfen nur für uns selbst; wir denken, was uns drückt, drücke auch den Toten, wir befreien ihn daher von den Banden des Todes nur, um uns selbst von den Banden des Schmerzes zu befreien. Wir bedenken nicht, daß wir mit unseren Unsterblichkeitsbeweisen viel zu spät kommen, daß wir den Toten ja vor unseren Augen haben tat- und machtlos sterben, also den schwersten, sauersten Akt, den Sterbeakt haben bestehen lassen, der Tote jetzt aber keine Bedürfnisse, folglich auch nicht das Bedürfnis des Lebens mehr hat; wir bedenken nicht, daß es nur einen einzigen Beweis der Unsterblichkeit gibt und dieser heißt und ist: nicht sterben. Wir sind daher in unseren Unsterblichkeitsbeweisen, unseren Kämpfen für das Leben geliebter Tote wahre Don Quijote; wir kämpfen gegen einen bloßen Schatten, kämpfen gegen den Tod und lassen doch unsere Geliebten sterben; wir kämpfen also nicht gegen das wahre Übel, sondern ein Scheinübel, ein Uebel nur in unserer Einbildung, in unserem Sinne, aber nicht im Sinne der Toten. Wenn daher eine allmächtige Liebe existierte, so wäre der Beweis ihrer Existenz nur dieser, daß sie den Menschen nicht sterben ließe. Die Allmacht, die erst nach dem Tode wieder den Menschen ins Leben ruft, ist nur die Allmacht der menschlichen Einbildungskraft.
Endlich ist auch noch zu bemerken, daß der auf das Bedürfnis des Wiedersehens gestützte Unsterblichkeitsgrund nur auf eine partikuläre Unsterblichkeit führt; denn es gibt unzählige Menschen, die dieses Bedürfnis nicht fühlen, vielmehr statt des Wunsches des Wiedersehens der lieben Freund-, Vetter- und Gevatterschaft, den Wunsch des Nichtmehrsehens haben. Es sind nur die innig sich Liebenden, die den Tod schmerzlich empfinden, und selbst diese würden doch auch in der Unsterblichkeit nicht ihre Wünsche befriedigt finden; denn die Liebe will den ganzen, unverstümmelten Menschen, den Menschen, wie er mit allen seinen von der phantastischen christlichen Vervollkommnungstheorie beanstandeten Mängeln, Schlacken und Fehlern hier im Diesseits existiert.
»Die Welt«, sagte ein oberflächlicher Rezensent meiner Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, »ist kein tauber Baum, der bloß Blätter trägt, sondern blütenreich, und in jeder Blüte wird das Ganze neu geboren«. In jeder Blüte, setzen wir in der Sprache der Leibnizschen Philosophie hinzu, spiegelt sich das Universum, das Unendliche ab; jede Blüte ist daher so beständig, so ewig als der Baum selbst. Sehr schön gedacht und gesagt! Aber trotz dieser schönen Worte und Gedanken sehen wir die Blüten welken, sehen wir die Menschen sterben. Was vermögen alle Unsterblichkeitsbeweise gegen das sinnliche Faktum der Sterblichkeit?
Denique saepe hominem paullatim
cernimus ire,
Et membratim vitalem deperdere sensum:
In pedibus primum digitos livescere et unguis,
Inde pedes et crura mori, post inde per artus
Ire alios tractim gelidi vestigia lethi.
Lucretius.
»Ja! der sichtbare Tod erstreckt sich auch nur auf das Sichtbare, Sinnliche, folglich Vergängliche des Menschen.«
Die Gründe des Lucretius gegen die Unsterblichkeit sind, mit Ausnahme der letzten physiologischen Gründe, noch heute gültig. Was kann man z. B. gegen die unsinnige Kopulation eines sterblichen und unsterblichen Wesens besseres sagen, als er bereits gesagt hat:
Quippe enim mortale aeterno jungere et una
Consentire putare et fungi mutua posse,
Desipere est, quid enim diversius esse putandum'st? Ist denn aber die Vergänglichkeit nur ein Prädikat der Sinnlichkeit? Gibt es denn nicht auch eine geistige Vergänglichkeit? Gehen nicht auch die Staaten, die Systeme, die Religionen, die Götter der Menschen zugrunde? Ist der Geist des achtzehnten Jahrhunderts der des neunzehnten? der Geist des Jünglings der Geist des Mannes?
Jede Schrift, die ich schreibe, ist ein Spiegel meines Wesens, ein Abdruck aller meiner Fähigkeiten, in dem Augenblick, wo ich sie schreibe, das Höchste, was ich weiß und denken kann; aber gleichwohl verschwindet mir die Schrift, welche a priori für mich von unvergänglicher Bedeutung war, mit der Zeit in nichts. So ist es auch mit dem Menschen. Jeder ist ein Spiegel des Universums, jeder eine Schrift, in der die Natur gibt, was sie nur immer unter dieser und diesen Bedingungen und Umständen geben konnte; und jeder ist, indem er seine eigene Schrift liest, so entzückt von ihr, daß er a priori ihre Unsterblichkeit demonstriert, daß er sich unmöglich denken kann, daß sie je zu Makulatur gemacht werden könne. Aber gleichwohl zeigt sich, aber erst a posteriori, daß diese Schrift nicht das opus postumum der Natur war, daß die Natur, unaufhörlich schaffend, an die Stelle der alten Schriften neue setzt, weil sie sich selbst verändert und daher in den alten Spiegeln nicht mehr sich erkennt. Bliebe das Universum immer dasselbe, so blieben auch immer dieselben Individuen; sie würden nicht sterben; aber es verändert sich, also kommen notwendig auch andere Individuen, in denen sich dieses sein verändertes Wesen konzentriert und abspiegelt. Und so vergänglich der Mensch, so vergänglich ist auch sein Geist. »Der Geist? der Geist, für den es keinen Raum und keine Zeit gibt, der die Sterne mißt, der das Unendliche, das All umfaßt?« Aber siehst du nicht auch auf dem Auge das Unendliche, das All sich abspiegeln? wäre die Sternenwelt Gegenstand deines Geistes, wenn sie nicht Gegenstand deines Auges wäre? Und doch siehst du dieses Auge, das dir allein die »Wunder des Himmels« aufschließt, erlöschen. Wie reimt sich diese Erscheinung mit der himmlischen, universellen Natur des Auges? Warum vergissest du also über der Herrlichkeit des Geistes die Herrlichkeit des Auges, der Sinne, des Körpers überhaupt? Oder ist etwa, wie der Platonismus und Christianismus behauptet, der Körper eine »lästige Fessel des Geistes?« Wie abgeschmackt! Der Körper ist das Fundament der Vernunft, das Band der logischen Notwendigkeit, welches allein den Menschen zur Raison bringt und verhindert, daß seine Gedanken sich nicht ins Gebiet phantastischen Unsinns verlieren; er ist insofern allerdings eine Fessel, aber eine Fessel, welche die Sanitätspolizei der Natur dem Wahnsinn des Menschen angelegt hat.
»Wohl könnten wir, sagt noch im neunzehnten Jahrhundert der christliche Manichäismus Oder: »Die religiöse Glaubenslehre nach der Vernunft (?) und der Offenbarung für denkende (?) Leser.«, Amerika, Afrika und alle uns verborgene Länder der Erde erkennen, wenn uns nicht der schwere Leib an die Erdscholle unserer Geburt fesselte.« Wie lächerlich! Hast du denn keine Beine, die dich nach Afrika und Amerika tragen? Aber freilich, der Gang auf den Beinen ist dir zu langweilig und mühselig. Du willst als christlicher Engel in einem Nu über die Berge von Schwierigkeiten hinüberfliegen, die sich der irdischen Erkenntnis entgegenstellen. Aber siehst du denn nicht, daß diese im Fluge erworbene Kenntnis eine flüchtige, oberflächliche sein würde? siehst du nicht, daß die Schwere des Körpers das Fundament gründlicher, solider Erkenntnis ist? Seit wann haben denn die Christen eine Erkenntnis der Erde, der Natur überhaupt? Seitdem sie nicht mehr den Leib als »eine hemmende Fessel des Geistes« betrachteten, nicht mehr im Fluge des Gedankens oder der Phantasie als himmlische Geister über die Natur hinweg sich setzten, sondern den Körper zum Fundament und Mittel der Wissenschaft machten. »Wohl hätten wir«, fährt der rationalistische Manichäismus fort, »das Vermögen zu erkennen und zu begreifen, was auch in dem Monde, dem Merkur, der Venus, den anderen Planeten, den Kometen, der Sonne ist, aber der Körper fesselt uns an diese Erde.« Wie lächerlich! Ist es nicht der Körper, das Auge, das uns zu Sonne, Mond und Sternen erhebt? Stammt der Reichtum der modernen Astronomie nicht allein daher, daß sie sieht, was die alte Astronomie nicht sehen konnte? Allerdings läßt uns der Körper nicht von der Erde weg, aber diese Schranke ist eine sehr vernünftige Schranke, die nur das sokratische: Erkenne dich selbst uns zuruft; nur daran uns erinnert, daß wir nicht, wie die Christen, über dem Himmel die Erde, über dem Fernen das Nächste vergessen, nicht um Allotria uns bekümmern und mit dem Wissen begnügen, das der Mensch auf der Erde von den Sternen hat, haben kann und im Verlauf der Geschichte noch bekommen wird; denn wir wissen das Notwendige und Wesentliche von ihnen, was freilich nicht die Neugierde befriedigt; aber wer kann diese befriedigen? sie ist unerschöpflich in Fragen. Es ist daher nichts verkehrter, als wenn man bei der Frage von der Unsterblichkeit des Menschen nur die Partei des Geistes ergreift und von seinem sichtbaren, überhaupt sinnlichen Wesen abstrahiert, gleich als hätten die Sinne nicht auch ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen. Und doch ist diese Verkehrtheit eine Notwendigkeit; denn um einen unsterblichen Geist aus dem Menschen herauszubringen und in den Himmel zu expedieren, muß man die Sinne verschließen und nur seiner Einbildung Gehör geben. Der Geist, das Wesen ohne Körper, ohne Sinne, ohne örtliche und zeitliche Schranken ist freilich per se unsterblich; aber dieser Geist, dieses Wesen ist kein wirkliches, sondern eingebildetes Wesen, ist nichts anderes als das Wesen der menschlichen Einbildungskraft. In der Einbildung durchfliegst du wohl in einem Nu alle Zeiten und Räume; aber merke dir wohl: es sind nur eingebildete Zeiten und Räume. Wie willst du daher aus dieser eingebildeten Raum- und Zeitlosigkeit eine wirkliche zeit- und raumlose Existenz folgern? Ich setze oder denke, sagt der Spiritualist, wo er die ersten Gründe seiner Theologie und Unsterblichkeit entwickelt, es sei kein Mensch, kein Körper, keine Welt; aber glaubst du, daß deswegen wirklich kein Körper, kein Mensch ist? daß du unabhängig vom Körper bist und denkst? Wie willst du also diesem vom Körper unterschiedenen Wesen eine unsterbliche Existenz anweisen? Beweise erst, daß es kein Gedanke, keine Einbildung ist, daß es Existenz hat. Kannst du aber das? Unmöglich. Sein heißt sinnlich« sein.
Du denkst dich mit Wissen und Willen unterschieden vom Leibe, während du ohne Wissen und Willen mit ihm verbunden bist und nur in dieser Verbindung denkst. Dein vom Leibe unterschiedenes Wesen, welches du eben aus diesem deinem Dich vom Leibe unterscheiden folgerst und dir als ein besonderes, selbständiges unsterbliches Wesen vorstellst, ist daher nichts weniger als dein wahres Wesen; es ist nur ein Spiegelbild, ein Schatten, ein Produkt der Abstraktion, ein Exzerpt, das dich aber um so mehr frappiert, als du es aus seinem naturgemäßen Zusammenhang herausgerissen hast, ein Schlußsatz, der dir aber für ein Axiom gilt, weil die ihn vermittelnden und begründenden Vordersätze deinen Augen nicht gegenwärtig sind. Du denkst, ohne daß dir während des Denkens die Grundlagen und Bedingungen, die sinnlichen Voraussetzungen des Denkens Gegenstand sind; so verselbständigst du das Denken in einem schlechthin unbedingten Wesen, welches daher auch nie seine Existenz verliert, aber nur aus dem einfachen Grunde, weil es keine Existenz hat, außer im Kopfe des Denkers. Die spekulative Philosophie hat es daher gerade so gemacht, wie das Christentum: das Bewußtsein, den Schein an die Stelle des Wesens gesetzt, und in ihrer theologischen Verkehrtheit aus dem Schein das Wesen, aus dem reinen spekulativen, d. h. dem abstrakten, abgeleiteten Ich das empirische, d. h.wirkliche, ursprüngliche Ich deduziert.
»Die Russen glaubten noch zur Zeit Peters des Großen, daß nur die Zaren und Bojaren in den Himmel kommen würden.« Die Leute welche den Leib sterben, den Geist aber unsterblich sein lassen, stehen auf dem Standpunkt der Russen. Der Bojar oder Zar vielmehr ist der Geiste der Untertan oder gemeine Russe der Leib. Aber wie die Majestät des Zaren nur in der Einbildung des Russen, so existiert auch die Majestät des Geistes nur in der Einbildung der Menschen und ihrer Unwissenheit von seinem wahren Wesen. Der gemeine Russe weiß nichts von der Geschichte seines Zaren, weiß nicht, daß sich die Majestät zuletzt auf einen Schweinehirten oder sonst ein anderes Wesen seinesgleichen reduziert; er macht daher in dieser seiner Unwissenheit von den geschichtlichen Bedingungen der Majestät den Zaren zu einem Geschöpf seiner Einbildung, zu einem Wesen von Gottes Gnaden; und der Spiritualist weiß nichts von der Chronique scandaleuse des Geistes Als einst ein Anatom die Lage der Gebärmutter zeigte, sagte er: »Hier lasset uns bespiegeln, wir Menschen, die wir mit unserer adeligen Ankunft prangen und meinen, wir seien bester als andere, hier ist unsere erste Wohnung zwischen Harn und Kot.« Ja, hier lasset euch bespiegeln, ihr vornehmen, zimperlichen Spiritualisten, die ihr den natürlichen Ursprung des Menschen, die materielle, sinnliche Genesis des Geistes zu despektierlich findet und euch daher für uranfängliche Herren von Gott oder Geist haltet!, nichts von der natürlichen Entstehungsgeschichte aller seiner supranaturalistischen Phantasmen und Abstraktionen, nichts von seiner Identität mit dem gemeinen, sinnlichen Wesen des Menschen; er macht ihn daher zu einem Wesen von Gottes Wesen, d. h. zu einem Wesen, das nur der menschlichen Abstraktion, Einbildung und Unwissenheit sein Dasein verdankt. Der Russe weiß nichts davon, daß der Zar nicht des Zaren, sondern des Russen wegen, der Mensch nicht des Staates, sondern der Staat des Menschen wegen da ist; daß die Majestät nur deswegen heilig gesprochen wird, damit Leben, Person und Eigentum des gemeinen Russen heilig sei; daß der Glanz der Majestät also kein eigenes, sondern erborgtes, abgeleitetes Licht ist; und der Spiritualist weiß nichts davon, daß der Mensch nicht des Geistes, sondern der Geist des Menschen wegen da ist; daß das sinnliche Wesen nicht ein Attribut oder gar Anhängsel des Geistes, sondern der Geist ein Attribut des sinnlichen Wesens ist; daß nur ein sinnliches Wesen das Bedürfnis des Denkens empfindet, die Sinnlichkeit also der Grund, die Voraussetzung der Vernunft, des Geistes ist aber eine Voraussetzung, die sich nicht, wie in der Hegelschen Dialektik, als eine richtige, scheinbare, transitorische erweist, sondern eine bleibende Wahrheit ist.
Als einst ein Erzbischof von Köln fernen großen Pomp und Prunk vor einem armen Tagelöhner, welcher ihn deshalb auslachte, mit der Distinktion rechtfertigte, daß er »nicht schlecht ein geistliche Person, sondern zugleich ein weltlicher Fürst und fürnehmes Glied des h. römischen Reichs sei, wandte ihm der Tagelöhner ein: Wann dann nun der Teufel den Fürsten zur Höllen führet, wo würde alsdann der Erzbischof bleiben?« Zinkgref Teutsche Apophthegmata. Ich frage desgleichen die sämtlichen Glieder des heilig christlich germanischen Geisterreichs: wo denn der geistliche Herr bleibt, wenn der weltliche, leibliche Herr zum Teufel fährt?
»Was vermögen alle Gründe gegen die Unsterblichkeit wider das Gefühl? Ich habe aber eine Ahnung meiner zukünftigen Existenz, ich fühle es, daß ich unsterblich bin, also bin ich es, denn das Gefühl ist untrüglich.« Das heißt: ich bilde mir ein, ich glaube, unsterblich zu sein, darum fühle ich mich unsterblich, gleichwie der Mensch fühlt, daß er von Butter ist, wenn er es sich einbildet; fühlt, daß seine Nase fortwährend wächst, wenn er, sei es nun aus freien Stücken oder auf Einreden anderer, glaubt, daß sie immer größer wird. Allerdings ist das Gefühl untrüglich, aber nur das ursprüngliche, unmittelbare Gefühl, das Gefühl, welches das offenbare Dasein, die sonnenklare Gegenwart seines Gegenstandes voraussetzt und beurkundet. Ein solches Gefühl ist das Gefühl des Seins, das Gefühl, daß du bist. Aber wie kannst du fühlen, daß du sein wirst? Die Zukunft ist ja nicht; sie ist nur ein Gegenstand der Einbildung. Und wie nun gar fühlen, daß du nach dem Tode sein wirst? Zwischen deiner gegenwärtigen und zukünftigen Existenz steht ja eben der Tod in der Mitte. Wie willst du durch diese Scheidewand hindurch fühlen? Es ist daher nur die Vorstellung, die Einbildung und Reflexion, die dir auch nach und trotz dem Tode eine Existenz vormalt, die nun freilich, als ein Gegenstand der Einbildung, auch ein Gegenstand deines Gefühls ist. Aber eben weil dieses Gefühl nur ein Erzeugnis deiner Einbildung und Reflexion ist, hat es keine Gültigkeit und Autorität. Das Gefühl als solches sagt dir weder, daß du nicht sein wirst, noch, daß du sein wirst; es sagt dir nichts weiter, als daß du bist; es weiß nichts vom Tode, aber auch nichts von der Unsterblichkeit, so wie es nichts vom Atheismus, aber auch nichts vom Theismus weiß. Das Gefühl ist ein ewiges Kind, aber das Kind weiß weder, daß ein Gott, noch, das keiner ist. »Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, daß ihr euch umkehrt, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich (d. h. Menschenreich) kommen.«
»Die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz.« Man siehet aus diesen Worten Daniels, bemerkt hierzu ein christlicher Theolog des vorigen Jahrhunderts, nicht nur, daß es Stufen in der Seligkeit der Auserwählten gebe, sondern auch besonders, daß die Gelehrten einer größeren Herrlichkeit teilhaftig sein werden, als die Ungelehrten. Die Worte des heiligen Hieronymus von dieser Sache sind viel zu schön, als daß wir sie weglassen sollten: »Man pflegt zu fragen, ob ein gelehrter Heiliger und ein ungelehrter einfältiger Heiliger einerlei Belohnung und einerlei Wohnung im Himmel erhalten werden? Nach der Meinung des Theodotans hält man dafür, daß die Gelehrten eine Gleichheit mit dem Glanz des Himmels haben, die anderen aber, die ohne Gelehrsamkeit gerecht und auserwählt sind, nur mit dem Glanz der Sterne verglichen werden.« Seht! so nimmt im Christentum nicht einmal mit dem Tode die menschliche Eitelkeit ein Ende. Selbst im Himmel will einer vor dem anderen glänzen der Eine mit der »Klarheit der Sterne, der Andere mit der Klarheit des Mondes, der Dritte mit der Klarheit der Sonne«; selbst im Himmel haben wir wieder dieselben Unterschiede und Stufen wie hier; Niedrigselige, Hochselige und Allerhöchstselige. Wie recht hatte doch jener Neger, welcher das Anerbieten der christlichen Unsterblichkeit mit den Worten ausschlug: »nach dem Tode ist alles aus, wenigstens für uns Neger; ich will kein anderes Leben, denn vielleicht wäre ich dort wieder euer Sklave.«
»Die Gelegenheit, das ewige Leben zu erwerben, sagen die Christen, wenigstens die alten Christen, hat Gott dem Menschen nur in diesem Leben gegeben.« Höchst flüchtig ist dieses Leben, und doch wird in ihm das ewige Leben erworben oder verloren. Höchst erbärmlich ist dieses Leben, und doch wird in ihm die ewige Seligkeit erworben oder verloren.« Dieses Leben bestimmt also bis in alle Ewigkeit hin die Beschaffenheit des anderen Lebens; war dieses Leben ein schlechtes, so ist es auch das künftige, war dieses Leben ein gutes, so ist es auch jenes. Dieses Leben hat daher in Wahrheit keine vorübergehende, sondern ewige Bedeutung; ich habe hier ein für allemal gelebt, denn meine wesentliche Qualität ändert sich nicht. Das Jenseits ist nur das Echo des Diesseits. So haben wir auch im alten Christentum die Bestätigung davon, daß das andere Leben zuletzt nur dieses Leben ist, aber vorgestellt ohne Ende.
Schließlich muß ich zu dem Abschnitt über den »allgemeinen Unsterblichkeitsglauben« die Bemerkung noch nachtragen, daß einige Völker ausdrücklich zwei Seelen annehmen, in Beziehung auf den Toten eine, die bei dem Leichnam bleibt, eine andere, die ins Land der Seelen geht; in Beziehung auf den Lebenden eine, die die Erscheinung des Atmens, eine andere, die die Erscheinung des Vorstellens, insbesondere des Träumens ausdrückt. Ich muß aber auch zugleich bei dem Worte Seele die Bemerkung wiederholen, daß die Christen wie ihre theistischen, so auch ihre psychologischen Vorstellungen den heidnischen Völkern unterschieben, obgleich diese ebensowenig etwas von einem Gott in unserem Sinne, d. h. einem abstrakten Wesen außer dem Menschen, als etwas von einer Seele in unserem Sinne, d. h. einem abstrakten Wesen im Menschen wissen. So heißt es z. B. in Cooks dritter und letzter Reise von den Bewohnern der Freundschaftsinseln: »über die Immaterialität und Unsterblichkeit der Seele haben sie ziemlich richtige Begriffe.« Gleichwohl heißt es darauf, daß »die Seelen, des gemeinen Mannes wenigstens, von einem Vogel namens Loata gefressen werden.« Übrigens haben die Christen allerdings auch Recht, wenn sie in den Seelen selbst der wildesten und rohesten Völker ihre eigene Seele erkennen, denn alle unsere religiösen und psychologischen Elementarvorstellungen unterscheiden sich nur dadurch von den Vorstellungen der rohen Völker, daß sie subtiler, abstrakter sind; im letzten Grunde aber sind sie dieselben.