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Der Hauptvorwurf, den man den »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit gemacht, reduziert sich darauf, daß sie absolut negativ wären, die Persönlichkeit, die Individualität vernichteten. Dieser Vorwurf ist aber nur ein von der Oberfläche abgeschöpfter. Wenn ich einem Menschen beweise, daß er das nicht in Wirklichkeit ist, was er in seiner Einbildung ist, so bin ich allerdings negativ gegen ihn, ich tue ihm wehe, ich enttäusche ihn; aber ich bin nur negativ gegen sein eingebildetes, nicht gegen sein wirkliches Wesen; was er außerdem ist, anerkenne ich mit Freuden, ja ich nehme ihm nur seine Einbildung, damit er sich erkenne und sein Denken und Wollen auf einen seinem wirklichen Wesen entsprechenden, seine Kräfte nicht übersteigenden Gegenstand richte. Ich kenne, erzählt Castiglione in seinem Cortegiano, einen ausgezeichneten Musiker, welcher die Musik aufgegeben und sich gänzlich aufs Versmachen verlegt hat, und sich für den größten Dichter hält, obgleich er bei jedermann sich mit seinen Gedichten nur lächerlich macht. Ein anderer, einer der ersten Maler von der Welt, verachtet diese Kunst, worin er Meister ist, und hat sich dafür auf das Studium der Philosophie gelegt, in welcher er aber nur die tollsten Einfälle und Chimären ausbrütet. Wenn ich nun diesem Maler die Eigenschaft eines Philosophen, jenem Musiker die Eigenschaft eines Dichters abspreche, bin ich negativ, grausam gegen sie? Bin ich nicht vielmehr ihr Wohltäter, ihr Heiland, selbst wenn ich mit den Waffen des bittersten Spottes ihre Narrheit bekämpfe, um sie zur Vernunft und Anwendung ihrer wahren Talente zurückzuführen? Seht! gerade so ist es mit der Unsterblichkeit, nur mit dem Unterschied, daß, was außer der Religion für eine Offenbarung der menschlichen Torheit und Verrücktheit gilt, in der Religion die Unsterblichkeit ist ja aber eine Sache derselben für Offenbarung göttlicher Wahrheit und Weisheit gilt. Der Verfasser spricht dem Individuum nur das eingebildete Talent zum unsterblichen Leben ab, damit es sein wirkliches Talent, das Talent zu diesem Leben geltend mache, nicht einer Einbildung aufopfere; denn überall, wo der Glaube an ein Jenseits Tat und Wahrheit wird, wo die Lebensklugheit sich nicht ins Mittel zwischen den Glauben und seine Konsequenzen schlägt, entzieht er dem Menschen die Fähigkeiten und Mittel zu diesem Leben, wie wir dies auf eine höchst sinnfällige Weise bei den Völkern sehen, welche dem religiösen Wahne einer Existenz nach dem Tode Gut und Blut aufopfern, dem Verstorbenen nicht nur sein Mobiliarvermögen, sondern auch seine Frauen, seine Diener mit ins Jenseits, d. h. ins Grab mitgeben. Bei den Christen ist es ebenso, nur daß diese nicht den Leib, sondern die Seele, die Vernunft, die Tatkraft an das Jenseits verschwenden. Der Verfasser negiert also nur die eingebildete, supranaturalistisch aufgeblasene Persönlichkeit, um die wirkliche, lebendige Persönlichkeit um so energischer bejahen zu können; verwirft die Ansprüche auf den Himmel nur, um die Ansprüche auf die Erde zu steigern, den Wert des irdischen Lebens und Menschen zu erhöhen. Er will, daß die Menschen nicht mehr auf Tauben warten, die ihnen gebraten vom oder im Himmel in den Mund fliegen, sondern selbst sich Tauben fangen und braten, wiewohl er sich deswegen nicht etwa mit der Hoffnung schmeichelt, daß sie den christlichen Himmel je auf der Erde bekommen werden und können, denn dieser bleibt ewig nur im Himmel der Phantasie. Er will nur, daß sie über den himmlischen Tauben nicht die irdischen aus den Augen und Händen verlieren, und eine mäßige, aber wirkliche Glückseligkeit einer maßlosen, aber eingebildeten Seligkeit vorziehen.
Aber beraubt denn nicht der Glaube oder die Lehre, daß es kein anderes Leben als dieses gibt, den Menschen seiner edelsten Kraft, der Kraft, sein Leben aufzuopfern? Wer wird dieses Leben hingeben, wenn es den Wert des einzigen Lebens, folglich den Wert eines unersetzbaren Gutes bekommt? Allerdings werden sich die sterblichen Menschen nicht mehr zu den luxuriösen, phantastischen Opfern der unsterblichen Christen verstehen; sie werden sich nicht mehr zum besten der Kirche von christlichen Tezeln das Geld gutwillig aus der Tasche stehlen lassen; sie werden sich nicht mehr zu willenlosen Werkzeugen des geistlichen oder politischen Despotismus gebrauchen lassen, nicht mehr für religiöse Grillen oder fürstliche Launen ihr kostbares Leben verschwenden. Aber sie werden sich zu den Opfern verstehen, die notwendig sind, und nur diese sind die wahren Opfer, die Opfer, die Sinn und Vernunft haben. Wer ohne Not und Drang ein Opfer bringt, ist ein Narr oder Heuchler. Opfer sind poetische Handlungen, Handlungen der Begeisterung; aber in Begeisterung kann man sich nicht willkürlich versetzen; Opfer ex officio, Opfer auf Kommando, sei es nun eines Herrn oder eines kategorischen Imperativs, sind so schlecht, wie Gedichte auf Kommando. Wahre Gedichte entspringen nur aus innerer, einem äußern Vorfall oder Gegenstand entsprechender Notwendigkeit. Der wahre Dichter kann ebensowenig immer dichten, der wahre geistige Produzent überhaupt ebensowenig immer produzieren, als der Baum immer Blüten und Früchte tragen kann. Die Poesie a priori, die Poesie, die nichts voraussetzt, keinen Eindruck von außen, keine Not, keine Leiden, taugt ebensowenig etwas als die Philosophie a priori. Aber dasselbe gilt von der Moral. Die vom Menschen abgesonderte, für sich selbst gedachte Moral, der nichts voraussetzende Wille, der unabhängige kategorische Imperativ hat ebensoviel und ebensowenig Realität, als die nichts voraussetzende Logik. Wahre Opfer sind, wie gesagt, nur Handlungen der Begeisterung, des Affekts, Handlungen, die du tun mußt, die ein Ausdruck deines ganzen, unwillkürlichen Wesens sind; aber zu solchen Handlungen, die allein auch den Namen von Handlungen verdienen, ist in dem alltäglichen, philiströsen Gewohnheitsschlendrian gar keine Gelegenheit; sie geschehen nur in kritischen Fällen, in außerordentlichen Momenten, in solchen, wo der Mensch alles verliert, wenn er nicht alles wagt, wo das Teuerste, Höchste auf dem Spiele steht, wo also ihre Unterlassung eine moralische Selbstvernichtung ist. Solange es also noch eine Notwendigkeit zu Opfern gibt, solange wird es auch noch, und zwar ganz unabhängig von den christlichen Glaubensartikeln und den Geboten des kategorischen Imperativs, Opfer geben, gleichwie solange Poesie sein wird, als Ursache, Stoff zur Poesie vorhanden ist. Aber freilich, die Opfer der christlichen Galanterie werden zugleich mit dem Verdienstorden der Unsterblichkeit verschwinden.
Ich bemerke, daß ich unter Opfern hier nur die tätigen, heroischen Opfer verstand; denn was die leidenden Opfer betrifft, d. h. die Übel, welche der Mensch um seiner Überzeugung willen erträgt, so haben wir ja schon in unserer Gegenwart die zahlreichsten und schlagendsten Beweise, daß der Unglaube an Gott und Unsterblichkeit oder der Glaube an das Gegenteil die Worte: Religion und Glauben haben so widersprechende Bedeutungen, daß auch die Ungläubigen sich Religion und Glauben vindizieren, so Glauben in der Bedeutung subjektiver Gewißheit, tatkräftiger Überzeugung daß, sage ich, der Glaube an keine Unsterblichkeit dem Menschen nicht die Kraft nimmt, auf die Glücksgüter zu verzichten. Wir sehen ja, wie die Ungläubigen überall Zurücksetzung, Beschimpfung, Verfolgung, Beraubung aller Art um ihres Unglaubens willen erdulden. So hat sich das Blatt gewendet! Während sonst die Menschen des ewigen Lebens wegen an Gott glaubten, so glauben sie jetzt des zeitlichen Lebens wegen an ihn; während sonst mit dem Gottes- und Unsterblichkeitsglauben es ist ja im Grunde ein Glaube der Verlust verbunden ist, ist jetzt der Gewinn und Genuß der Glücksgüter mit ihm verbunden; während sonst der Atheismus nur eine Sache der Höfe, des Luxus und Witzes, der Eitelkeit, Üppigkeit, Oberflächlichkeit und Frivolität war, ist jetzt der Atheismus die Sache der Arbeiter, der geistigen sowohl, als der leiblichen, und eben damit eine Sache des Ernstes, der Gründlichkeit, der Notwendigkeit, der schlichten Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit geworden; kurz: während sonst die Christen die Armen, die Verfolgten, die Leidenden waren, sind es jetzt die Nichtchristen. Welch sonderbarer Wechsel! Die namentlichen oder theoretischen Christen und Gottesgläubigen überhaupt sind die praktischen, faktischen Heiden, und die namentlichen, theoretischen Heiden sind die praktischen, die wirklichen Christen. Doch freut euch, ihr Leidenden! der politische Triumph des Christentums ist sein moralischer Untergang. Die jetzt in ihrer und anderer Meinung die Freunde und Beschützer des Christentums sind, wird man einst als seine wahren Feinde, und die jetzt für die Feinde des Christentums gelten, einst als seine wahren Freunde erkennen Wer das primitive Christentum wieder herstellt, stellt mit ihm auch die Prinzipien von allen den Konsequenzen wieder her, die er gerade durch diese Wiederherstellung beseitigen will. Das, was einst das Christentum war und wollte, will und ist jetzt das Menschentum. Nur die Wiederherstellung, die zugleich ein neues Prinzip aufstellt, ist die wahre; jede andere ist eine geistlose Repetition.. Falsche Freunde, wißt ihr ja, sind Schmeichler, sie loben selbst die Fehler des Freundes, machen aus ihm einen Gott, während die wahren Freunde den Freund nur als Menschen lieben, seine Tugenden loben, aber seine Fehler verwerfen.
Ich habe behauptet, die wahren Opfer sind nur die, welche aus äußerer und innerer Notwendigkeit entspringen, welche also eigentlich keine Opfer, keine verdienstlichen Handlungen sind. Eine Behauptung, die für christliche Moralisten eine sinnlose ist, denn in ihrem Sinne ist die Tugend und ein christlicher Zivil- oder Militairverdienstorden ein identischer Begriff. Aber ich frage: sind Essen und Trinken, Schlafen und Wachen, Zeugen und Säugen, Waschen und Bügeln, Ackern und Rajolen, Malen und Zeichnen, Schießen und Jagen, Lesen und Schreiben, kurz alle die zahllosen natürlichen und bürgerlichen Verrichtungen und Handlungen der Menschen moralische oder unmoralische? Und jeder vernünftige Mensch wird darauf antworten: sie sind weder das eine, noch das andere. Wann entsteht also erst der Begriff der Moralität oder vielmehr Unmoralität denn jene setzt diese voraus; das Gesetz, die Gesetzlosigkeit oder vielmehr Naturwidrigkeit erst dann, wenn ich über einer an sich nicht unmoralischen Handlung eine andere an sich ebensowenig moralische Verrichtung zurücksetze. Diese Frau liebt Gesellschaft, Unterhaltung; diese Liebe ist nicht unmoralisch; aber sie vernachlässigt über dem Besuch der Gesellschaften die Sorge für ihre Kinder; deswegen nennt sie die moralische, d. h. böse Welt, eine schlechte Mutter, obgleich die Kindersorge und Pflege an sich keine moralische Handlung ist, denn sie ist eine Folge der natürlichen Liebe der Mutter zu ihren Kindern. Was daher für diese Frau ein Opfer, eine Tugend ist, wenn sie ihre Kinder pflegt, weil sie ihre Neigung zu Gesellschaften bekämpft, das ist für eine andere Frau, die nicht diese oder andere, mit ihrer Mutterliebe in Kollision kommende Neigungen hat, die nirgends lieber als zu Hause bei ihren Kindern ist, kein Opfer, keine Tugend. Die Pflicht ist daher nichts weniger als ein Deus ex machina; ein aus dem Himmel, aus einer anderen Welt auf die Erde herabgekommenes Meteor; sie gehört zu keiner anderen Gattung von Wesen, als die menschlichen Triebe und Neigungen; sie ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Gebein; sie ist nichts anderes als ein menschlicher Trieb, der gegen die Herrschsucht eines anderen Triebes sein Recht geltend macht; sie ist als böses Gewissen nur der zürnende Schatten oder Geist eines Triebes, den ein anderer stärkerer Trieb gewaltsam ums Leben gebracht hat oder bringen will. Wozu der Mensch keinen Trieb hat, dazu hat er auch keine Pflicht; oder: es kann dem Menschen nichts zur Pflicht gemacht werden, was nicht wenigstens irgend ein Mensch nicht aus Pflicht, sondern aus reiner Neigung oder Natur tut.
Es ist daher ganz falsch, wenn ich die Pflicht für sich selbst zum Gegenstande mache und als ein eigenes Genus oder Wesen den Trieben entgegensetze. »Wenn die Natur«, sagt Kant, »diesem oder jenem wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht, weil er selbst gegen seine eigenen mit der besondern Gabe der Geduld und aushaltender Stärke versehen, dergleichen bei jedem andern auch voraussetzt, oder gar fordert, wenn die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreund gebildet hätte, würde er denn nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höheren Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.« Allerdings soll ich nicht blos aus Neigung, Temperament, Gefühl wohltun, sondern zugleich aus Pflicht, aus Grundsatz; aber was ist denn die pflichtmäßige Wohltätigkeit anders als der zum Gegenstand meines Bewußtseins und Wollens erhobene Wohltätigkeitstrieb? Omnibus enim natura fundamenta dedit, semenque virtutum: omnes ad omnia ista nati sumus. Seneca. Ep. 108. Auch Kant in seiner Anweisung zur Menschen- und Weltkenntnis sagt: »Es gibt aber auch Menschen, welche von Natur einen Charakter haben, und welche zur Großmut, zur Ehrliebe usw. geboren zu sein scheinen.« Die Pflicht ist nicht a priori in mir, sie ist erst vom Triebe, vom Gefühle abstrahiert. Die Pflicht ist eine Erscheinung, eine Folge, eine Wirkung der menschlichen Natur, die erst später im Verlauf der ( scilicet bisherigen) Kultur, wo der Mensch den Ursprung aller Dinge vergißt, zum Grunde, zur Ursache erhoben wird. Wozu sich der Mensch getrieben sah und fühlte, was er als Notwendigkeit seiner Natur erkannte, das hat er zum Gesetz, zur Pflicht auch für andere erhoben. Wenn ich daher ohne alle Neigung, bloß aus Pflicht handle, so handle ich eigentlich als Affe, zwar nicht als unmittelbarer, doch als mittelbarer Affe; denn wozu ich keine Neigung, wovon ich also keine Empfindung aus mir selbst habe, das ist mir auch nur auf dem Wege der Tradition zugekommen wie denn wirklich die Tugenden der meisten Menschen nur traditionelle, nachgemachte Tugenden sind, Tugenden, die nicht aus dem Ursprung, aus dem lauteren Quell der Empfindung, des Triebes, sondern nur aus der Vorstellung von anderen Menschen stammen, eben deswegen nur Scheintugenden sind. Eine Tugend ohne Neigung ist ebensoviel, als ein Wort, das ich einem anderen ohne Sinn nachrede, denn die Pflicht ist nur ein Name, ein Wort, dessen ursprünglicher Sinn die Neigung, der Trieb ist. Was ich ohne Neigung tue, das tue ich ungern, mit Zwang, und rechne mir es eben deswegen als Verdienst an; aber gerade durch diesen Anspruch bekenne ich, daß meine Tugend eine falsche, eine erlogene ist, daß ich mich in meiner Tugend in einer unnatürlichen Spannung mit mir selbst befinde. Denn was ist der Verdienst der Tugend? die Glückseligkeit. Was ist aber die Glückseligkeit? das Leben im Einklang mit meinen Neigungen und Trieben. Die Tugend soll glückselig werden, d. h. also nicht mehr mit meinen Neigungen im Widerspruch stehen, folglich nicht mehr Tugend sein; denn Tugend ist ja nur, was im Widerspruch mit meinen Neigungen steht. Warum gibst du denn nun aber deiner Tugend erst hinterdrein, warum nicht gleich im Anfang den Garaus? Erst machst du deiner Tugend Platz, und im Himmel dann deiner Neigung. Wie verkehrt! Was im Himmel gilt, soll hier schon gelten. Was du von oben erwartest, kannst und sollst du dir selber verschaffen; setze deine Tugend in Einklang mit deiner Neigung, deiner Sinnlichkeit. Nur die dem Menschen nicht widersprechende und eben deswegen glückselige Tugend, nur die Tugend, die keine Tugend ist und sein will, keine Prätensionen macht, die ein natürliches Kind, ein Kind der Liebe ist, ist allein die wahre Tugend. Allerdings ist auch diese Tugend eine verdienstliche, aber in keinem anderen Sinn, als es überhaupt jede Tätigkeit des Menschen ist, wenn sie gleich in Neigung und Anlage ihren Grund hat; denn nirgends, selbst nicht auf dem Gebiete der Kunst, fliegen dem Menschen die Tauben gebraten in den Mund; er muß alles lernen, ausbilden, im Schweiße seines Angesichts auf den Gipfel der Vollendung emporheben; er erreicht nirgends seine Naturbestimmung ohne Selbstbestimmung, ohne Fleiß, Übung, Anstrengung, und eben deswegen ohne Überwindung unzähliger partikulärer Neigungen und Gelüste. Aber diese Selbstverleugnung hat keine andere Bedeutung, als die diätetische Selbstverleugnung, die wir täglich zum Besten unserer Gesundheit, d. h. zur Befriedigung unseres Triebes nach körperlichem Wohlsein anwenden. Wir haben täglich eine Menge vorübergehender Gelüste, augenblicklicher Schauer, Antipathien und weichlicher Gefühle, die, wie die Frau Basen den Mann, der dem rücksichtslosen Trieb seines Talentes folgt, uns warnen und persuadieren wollen, daß wir doch ja nicht unsere empfindliche Haut dem kalten Wasser oder Winde, unsere lieben Arme und Beine keiner anstrengenden Muskelbewegung, unser Leckermaul nicht den Grobheiten schlichter Hausmannskost aussetzen. Aber wir erkennen, durch die Erfahrung belehrt, diese weichlichen, bald abwehrenden, bald anlockenden Gefühle als Schmeichler, als falsche Freunde und geben ihnen daher kein Gehör. So gehört selbst zur Erhaltung der Gesundheit, zur Befriedigung des einfachsten und natürlichsten Triebes, ein gewisser Heroismus. Aber es ist wahrer Unsinn, diese Selbstüberwindungen auf die Grundtriebe und Grundneigungen auszudehnen; Unsinn, die Negation der zahllosen Spielarten und Bastarde unserer Neigungen zur Negation der Gattung selbst zu machen. Der Wille, das Idol des moralischen Supranaturalismus, verhält sich zu den sinnlichen Trieben und Neigungen gerade so, wie die Vernunft, die ja seine Voraussetzung ist, sich zu den Sinnen verhält also wie die Gattung zu den Arten oder den einzelnen Individuen. Ein Beispiel: Wer, wie der Wilde, ohne an die Folgen zu denken, solange fortißt, bis alles rein aufgefressen, ist ein Sklave der Freßbegierde. Wer durch die Vorstellung der Zukunft das Maß des gegenwärtigen Genusses bestimmt, ißt mit Freiheit und Vernunft. Aber so wenig die Zukunft etwas der Gattung nach oder an sich Übersinnliches, obwohl sie über diesem sinnlichen Augenblick schwebt und für mich nur ein Objekt des Denkens ist. so wenig ist es der Wille, durch den ich mich über diese sinnliche Begierde erhebe; ich mache im Willen nur mein sinnliches Wesen überhaupt oder im Ganzen gegen eine bestimmte Art der Sinnlichkeit, die sich zu meinem absoluten Wesen aufwerfen will, geltend. Wenn ich im Trinken mich beschränke, um mich nicht zu betrinken, ist diese Selbstbeschränkung und Selbstbestimmung ein Beweis einer übersinnlichen Kraft? Nein! denn ich beweise nur dadurch, daß ich außer und über der Gurgel auch noch einen Kopf habe, dessen normale, mein Ich selbst begründende Tätigkeit ich nicht durch die Einflüsse meiner Gurgel aufgehoben wissen will.
Es gibt also allerdings auch selbst von der auf Neigung gegründeten Tugend unabsonderliche Opfer, aber diese Opfer machen keine Ansprüche auf ein himmlisches Jenseits, eben weil sie notwendig sind, weil [sie] keinen Sinn, keinen Trieb, keinen Wunsch befriedigen können, ohne, wenn auch oft nur momentan, eine Menge anderer Nebenwünsche aufzuopfern, die heilige Zeremonie der Beschneidung mit uns vornehmen müssen, wenn wir Früchte hervorbringen wollen, an denen sich Leib und Seele labe. Sich über diese Selbstbeschneidung beklagen wollen, das wäre gerade soviel, als wenn ein Botaniker sich darüber beklagen wollte, daß er nicht alle Blumen, die auf der lieben Erde blühen, in sein Herbarium einlegen könne. Allerdings gibt es auch Opfer, die nicht notwendig sind, die nicht sein können und sollen. Dieser Vater opfert seinen Kindern zuliebe, nur um ihren Hunger zu stillen, alle seine Freuden, alle seine geistigen Bedürfnisse auf. Aber ist dieses Opfer notwendig? Was dieser arme Mann nicht hat, das besitzt ein anderer im Überfluß. Aus diesen Opfern der Tugend, wie aus allen anderen moralischen Leiden, ergibt sich daher nichts weniger als die Notwendigkeit eines himmlischen Jenseits, ergibt sich nur die Notwendigkeit der Abänderung der aufhebbaren Übelstände des menschlichen Lebens. Wie töricht, aus dem Mangel der menschlichen Gerechtigkeit, daraus, daß der Unschuldige oft hier leidet, auf die Notwendigkeit einer göttlichen Gerechtigkeit zu schließen! Was hilft es dem Unglücklichen, wenn erst hintendrein, nachdem er zu Tode gemartert wurde, nachdem also bereits sein Leiden vorbei ist, dieses ihm vergolten wird! Macht, daß er nicht leidet; verhindert, beschränkt wenigstens, soviel als ihr könnt und ihr könnt, wenn ihr nur ernstlich wollt! Handlungen der menschlichen Ungerechtigkeit. So hat nur in unserem Mangel an Selbstvertrauen und Selbsttätigkeit das Jenseits seinen Grund. Ist aber wirklich der Schluß von dem menschlichen Elend auf ein übermenschliches Jenseits begründet, sind wirklich die moralischen Leiden und Übel die Bürgen einer besseren Welt, so sind alle Verbesserungsbestrebungen auf dieser Erde sinnlos, denn wir beseitigen ja mit den Übeln der Erde die Bürgen und Stützen des Himmels. Jede Verbesserung der Justiz auf Erden ist eine Beeinträchtigung der himmlischen Justiz, jeder Gewinn für das Diesseits ein Defizit für das Jenseits. Eins steht und fällt nur auf Kosten des anderen.
Doch ich bin unwillkürlich aus meiner Rolle gefallen. Statt Bemerkungen über meine Schriften zu geben, wie ich vorhatte, habe ich mich in selbständige Entwickelungen verloren. Ich kehre daher wieder zu meiner Aufgabe zurück. Meine Gedanken über Tod und Unsterblichkeit sind allerdings negativ, aber aus dem einfachen Grunde, weil es ihr Gegenstand ist der Tod. Mag man auch über den Tod denken, wie man will, den Toten noch als existierend sich vorstellen, so ist doch immer der Tod oder diese Existenz im Tode die Negation, die Verneinung dieses Lebens. Die Religion sagt zu dem Vater, dem sein Kind der Tod entrissen: Tröste dich! Dein Kind ist nicht tot; es lebt! Gut; aber es lebt ein Leben, das schrecklicher als der Tod ist; denn es lebt da, wo nicht seine Eltern, seine Geschwister, seine Puppen sind, lebt in der Beraubung, der Abwesenheit seiner liebsten, teuersten Gegenstände, lebt also in der Höllenpein verzehrender Sehnsucht. Die Sophistik der Theologie kann freilich durch die Allmacht der menschlichen Einbildungskraft den Toten allerlei Gaukeleien und Illusionen vormachen, daß sie den Tod nicht fühlen, die Ihrigen nicht schmerzlich vermissen; aber das unverdorbene, noch nicht für den Unterschied von Schein und Wesen, Wahrheit und Lüge abgestumpfte Menschenherz läßt sich nicht durch die Gaukeleien und Vorspiegelungen der Theologie an der Wahrheit und Heiligkeit seines Schmerzes irre machen. Das wahre Herz verschmäht sogar alle religiösen Scheintrostgründe; es hält es für Sünde gegen den geliebten Toten, sich über seinen Verlust zu trösten, ihn nicht aufs Schmerzlichste zu empfinden; es betrachtet den Schmerz als ein heiliges Opfer, das es dem Toten darbringt. Kurz der Tod ist ein Übel, wofür kein Kraut gewachsen ist am wenigsten auf dem Mist der Theologie; denn es ist nur Selbsttäuschung, wenn die Menschen glauben, es sei die Macht der Religion, des Glaubens, was sie tröste; sie schreiben Gott zu, was nur seinen Grund in natürlichen Ursachen hat, als da sind die Macht der verborgenen Überzeugung von der Natürlichkeit des Todes, die Macht der Vorstellung von seiner Unabänderlichkeit, die Macht der Tränen und Klagen, wodurch wir unserem Schmerz Luft machen, die Macht der Teilnahme anderer, die Macht der Zeit, die Macht der gewohnten Beschäftigungen, die Macht der Lebens- und Selbstliebe, die Macht des Gemüts und Temperaments Wir haben hieran ein sehr deutliches Beispiel, wie die Menschen auf Rechnung der Religion oder der Gottheit setzen, was in unendlich vielen, teils bemerkbaren, teils unmerklichen Ursachen seinen Grund hat, wie das Wort Gott nur ein kurzes und bequemes Wort ist, wodurch die Menschen das unendliche Viele der Wirklichkeit in ein Eins kompendiarisch zusammenfassen, um sich der Mühe zu überheben, die Gründe im Detail kennen zu lernen und anzugeben..
Wenn man daher den Gedanken über Tod und Unsterblichkeit den Vorwurf der Negativität macht, so macht man der Schrift ihr Thema zum Vorwurf zum Vorwurf, daß sie nicht von dem Leben, sondern von dem Tode des Individuums handelt. Kann man aber einer Grabrede darüber einen Vorwurf machen, daß sie eine Grabrede ist, und folglich nicht von den Freuden eines Geburtstagsfestes handelt? Ist es nicht lächerlich, Forderungen an einen Schriftsteller zu stellen, die jenseits seines Themas liegen? Gewiß ist es sehr lächerlich und doch wie häufig geschieht es! Welche törichten Konsequenzen haben nicht die scharfsinnigen Kritiker aus meinem »Wesen des Christentums« herausgebracht, lediglich weil sie Forderungen an dasselbe stellten, die absolut jenseits seiner Aufgabe lagen! Woher, schrieen sie, ist denn das Bewußtsein, woher der Mensch? Welche törichte Frage! Ist denn der Mensch mit dem Christentum erst entstanden? Sind die Christen die ersten Menschen? Ist also die Frage von der übrigens nur inneren, psychologisch-historischen Entstehung des Christentums eins mit der Frage von der Entstehung des Menschengeschlechts oder gar der Welt? Die Entstehung des Menschen, der Welt überhaupt im Sinne des Christentums ist die Erschaffung die Ableitung desselben aus dem Willen Gottes. Und diese fand ihre Erledigung im »Wesen des Christentums«. Was aber die wirkliche, die natürliche Entstehung des Menschen betrifft, so gehört diese, wenn sie anderes vor das Forum der Religion, nicht vielmehr vor das der Naturwissenschaft gehört, in die vorchristlichen Naturreligionen. Der Ort, die passende Stelle zur Beantwortung der Frage: woher ist der Mensch? war daher erst die »das Wesen der Religion« überhaupt, nicht der christlichen insbesondere überschriebene Reihe von Gedanken. Was war aber auch hier meine Aufgabe? Etwa die, mit theoretischen Mirakeln, mit phantastischen, theosophischen Hypothesen, mit nichtssagenden Erklärungen und spekulativen, nichts, d. h. nichts als die menschliche Willkür und Unwissenheit voraussetzenden Gründen die Mängel unseres gegenwärtigen Wissens zu bemänteln? Gottbewahre! meine Aufgabe war eine empirische, historische, aber nicht extensiv, sondern intensiv historische war nur die, statt mich, die Geschichte der Menschheit reden zu lassen, oder vielmehr das, was die Menschheit in der Religion, insbesondere der Naturreligion längst gedacht und getan hat, zu sagen. Die Gründe, die ich für die Entstehung des Menschen aus der Natur anführe eine Entstehung, die sich übrigens für jeden, der nur einigermaßen Natursinn hat, von selbst versteht, ja eine unmittelbare Gewißheit ist, wenn er gleich nicht eine spezielle Erklärung sich geben kann, weil diese an und für sich unmöglich ist, indem die Entstehung des Menschen und der ihm entsprechenden Tier- und Pflanzenwelt ein universeller Akt war Wenn die Menschen ihren Ursprung aus der Natur unbegreiflich finden, so kommt das nur daher, daß sie die unendliche Reihe von Veränderungen und Vermittlungen, die zwischen dem Menschen als Produkt der Bildung und dem Menschen als Produkt der Natur liegen, übersetzen, ihr jetziges Wesen mit dem ursprünglichen Wesen des Menschen identifizieren. Allerdings ist der Ursprung des Leutnants, Pastors, Regierungsrates, Professors aus der Natur unerklärlich, aber den Inhalt meines gegenwärtigen Kopfes kann ich auch nicht unmittelbar aus dem Mutterleib oder dem Zuller, den ich einst als Kind im Munde führte, ableiten. Wüßten wir nicht aus dem Munde anderer und bis zu einer gewissen Grenze aus der eigenen Erinnerung, daß wir einst Kinder waren, so würden wir das Dasein des erwachsenen Menschen ebenso unbegreiflich finden, zur Erklärung seines Ursprunges ebenso zu den Wundern der Theologie unsere Zuflucht nehmen, als jetzt zur Erklärung des ursprünglichen Menschen. diese Gründe haben keine selbständige Bedeutung; sie sollen nur erklären und rechtfertigen, was der einfache Natursinn der Völker tatsächlich in der Verehrung der Natur, als der Mutter der Menschheit ausgesprochen hat. Aber woher ist denn die Natur? Sie ist von sich und aus sich, sie hat keinen Anfang und kein Ende; Anfang und Ende der Welt sind menschliche Vorstellungen Vorstellungen, die der Mensch von sich, weil er zu einer bestimmten Zeit anfängt und endet, auf die Natur überträgt. Alle Erklärungen der Natur setzen immer schon die Natur voraus. Der Gott, aus dem man die Natur deduziert, d. h. der Gott, der oder wiefern er keine dem Menschen entnommenen Eigenschaften hat, ist selbst ein aus der Natur entsprungenes, von ihr abgeleitetes, nur Wirkungen, Eigenschaften und Erscheinungen der Natur ausdrückendes Wesen Einen sehr augenfälligen Beweis, daß der vom Menschen, als bewußtem, wollenden, persönlichem Wesen, unterschiedene Gott nichts anderes bedeutet und ausdrückt, als die Natur, habe ich selbst auf Grund der spekulativen Philosophie in dem Abschnitt meiner Gedanken über T. u. U. gegeben, der ursprünglich die Überschrift »Gott« hatte, hier als der »metaphysische Grund des Todes« bezeichnet ist, denn der Begriff des Wesens oder der Substanz, der hier die Hauptrolle spielt, ist nichts anderes, als der abstrakte, metaphysische Begriff oder Ausdruck der Natur. Und der langen Rede kurzer Sinn ist nur der: das Bewußtsein setzt die Natur voraus. Was ich später mit klaren Worten aussprach, das habe ich hier nur auf spekulative, d. h. nebelige Weise ausgesprochen.. Gleichwie ich daher nicht, wie man mir kritikloser Weise aufgebürdet hat, auf meine Rechnung, wo ich freilich die Rechnung ohne den Wirt gemacht hätte, sondern auf Grund der christlichen Religion den Menschen als Gott, so habe ich in jenem kurzen Gedankenexzerpt aus der Religionsgeschichte nur auf Grund der Naturreligion die Natur als den ursprünglichen Gott hingestellt. Ich will nicht mit neuen in meinem Hirn ausgebrüteten Chimären die Unzahl der bereits bestehenden Chimären vermehren; ich denke nur auf Grund der Offenbarung, aber nicht Gottes, der nur ein Erzeugnis des menschlichen Bewußtseins, der menschlichen Phantasie, Reflexion und Unwissenheit ist, sondern auf Grund der Offenbarung der menschlichen Natur. Die Berliner Offenbarungsphilosophie verhält sich zu dieser Offenbarungsphilosophie der menschlichen Natur ungefähr so, wie sich die Syphilis einer Berliner Bordelldirne hinter der Königsmauer (S. die Prostitution in Berlin und ihre Opfer. 1846. S. 54) zur blühenden Gesundheit einer eben dem Quell der Natur entstiegenen Jungfrau, wie sich die mystischen Orgien supranaturalistischer Unzucht zur naturgemäßen Befriedigung der Liebe, wie sich die Pollutionen eines wollüstigen Traums zur Zeugung des Menschen, wie sich die Visionen eines Jongleurs zu den Erscheinungen der Optik verhalten. Und die alte Philosophie überhaupt verhält sich zu dieser auf die Offenbarungen der Sinne gegründeten Philosophie Die daher auch nicht, wie die spekulative Philosophie, in dem mystischen Dunkel einer christlich germanischen Schusterstube, sondern in dem lichtvollen » kritischen Wäldchen« Herders ihre » Aurora« erblickt. Siehe Philosophus Teutonicus! Herders » Lebensbild« und empfange von diesem Priester und Propheten des Menschentums die Taufe der sinnlichen, menschlichen Philosophie., wenn anders noch das Wort Philosophie auf sie anwendbar ist, so, wie sich das aus Akten und Referaten geschöpfte Erkenntnis der geheimen Justiz zu dem auf die Öffentlichkeit und Mündlichkeit, d. i. Wahrheit der Sinne gegründeten Erkenntnis verhält. Ein Gleichnis, das nichts weniger als ein bloßes Gleichnis ist. Staat, Philosophie, Religion sind identisch; denn es ist ja der Mensch, ein und dasselbe Subjekt als politisches, religiöses und denkendes Wesen. Wo der Mensch ein nicht menschliches, nicht sinnliches Wesen als sein höchstes Wesen, sein Ideal verehrt, da setzt auch notwendig der Staat und die Philosophie ihre höchste Ehre in die Verneinung des Menschen. Wo der Mensch einem unsichtbaren, abstrakten Wesen die Entscheidung über sich überläßt, da hat er notwendig auch einen unsichtbaren, abstrakten Richter über sich, d. h. ein personifiziertes Ens rationis, ein idealistisches Verstandswesen ohne Fleisch und Blut, ohne Augen und Ohren, ein Wesen, das nur über den Akten brütet S. Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege von A. v. Feuerbach, besonders S. 241 bis 245. und darauf denkt, den Menschen unter einen Paragraphen des Gesetzbuches zu subsummieren. Und wo sich der Mensch in der Philosophie nur auf das Referat seiner abstrakten Vernunft stützt, wo er das schriftliche Wort an die Stelle des Wesens, den traditionellen Begriff an die Stelle der Originalanschauung setzt, wo also die Sinne keine religiöse und philosophische Bedeutung haben, da haben sie auch kein Recht, da werden sie auch von dem Richter als Lumpengesindel mit Füßen getreten. Wie kann ich, wenn ich anders konsequent bin, als Richter anerkennen, was ich als Philosoph verwerfe, d. h. wie mit meiner juristischen Vernunft bejahen, was ich mit meiner Vernunft überhaupt nicht in Einklang bringen kann? Kurz, wo nicht der Mensch, nicht die Natur, nicht das Leben, wo die heilige Schrift die Quelle der Wahrheit in der Religion ist, da ist sie es auch in der Philosophie, da ist sie es auch in der Gerechtigkeitspflege. Seht hieraus, was unsere gewöhnlichen Liberalen für Leute sind! Während sie den Atheismus (der freilich in Wahrheit etwas ganz anderes ist, als im Kopfe dieser Leute, nichts anderes ist als die Wiederherstellung der Urreligion, aber nicht mehr eines Gegenstandes kindlicher Phantasie, sondern des reiferen, männlichen Bewußtseins, nichts anderes, als die Religion der Sinnlichkeit und Menschlichkeit) in der Theorie verdammen, verdammen sie selbst in der Praxis, d. h. da, wo es ihren Egoismus, ihren Geldbeutel, ihr liebes Leben gilt, den Theismus, d. h. den Glauben, daß das geheime, unsichtbare, sinnlose Wesen das wahre Wesen, folglich auch der Justiz ist; denn wie es im Himmel ist, so muß es auch auf Erden sein; der Himmel ist ja nichts, als das Urbild der Erde, wenigstens für die späteren Zeiten, denn zuerst war die Erde das Urbild des Himmels. Wenn ihr daher zu den deutschen Rechtsinstituten wieder zurückkehren, wenn ihr sie in einer unseren jetzigen Bedürfnissen und Verhältnissen entsprechenden Weise wieder herstellen wollt; nun so gebt auch das welsche Christentum auf, kehrt zur urdeutschen Religion zurück, stellt sie in einer unserer jetzigen Bildung entsprechenden Gestalt wieder her. Nach Cäsar aber verehrten die Germanen nur die Wesen als Götter, die sie sahen: Sonne, Vulkan und Mond. Ihre Religion war also eine Naturreligion, sinnliche Religion, im Sinne des Gottesglaubens, des Christentums keine Religion, war das, was jetzt praemissis praemittendis der »Atheismus« ist und will.
Doch zurück! Der Vorwurf der Negativität trifft allerdings insofern meine »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, als sie im Geiste der Philosophie geschrieben sind. Die spekulative Philosophie ist aber nichts anderes als die Philosophie der Misanthropie, die Asketik, das Mönchswesen auf dem Gebiete der Theorie. Ihr Wesen ist der Dualismus von Geist und Fleisch, Übersinnlich und Sinnlich, Ewig und Zeitlich, nur daß dieser Gegensatz hier als der theoretische Gegensatz des Spekulativen und Empirischen sich ausspricht. Der spekulative Philosoph kommt, weil ihm stets der Begriff als das Erste vorschwebt, nie zur Anschauung der Dinge; selbst wenn er seine Augen öffnet, so sieht er doch nur realisierte Begriffe; ja die ganze Welt ist für ihn eigentlich nur eine Allegorie seiner Logik, Dogmatik oder Mystik. Er kommt eben deswegen auch nie zur wahren Genesis, denn der Begriff ist für ihn eine Aseität, ein durch sich selbst Seiendes; er leitet daher überall das, wovon der Begriff erst abgeleitet ist, das Empirische, d. i. Wirkliche, Sinnliche aus dem Begriff ab. Eine im Geiste der spekulativen Philosophie gegen die Unsterblichkeit geschriebene Schrift ist daher notwendig eine negative, ungenügende, dem Menschen widersprechende Schrift; denn sie betrachtet die Unsterblichkeitsfrage als eine Frage an sich, d. h. in abstracto, ohne Beziehung auf den Menschen; sie bejaht oder verneint sie aus allgemeinen spekulativen Gründen, und gibt eben deswegen den Menschen keine vollständige Erklärung und Befriedigung. Es bleibt immer etwas im Menschen übrig, was wider die Unsterblichkeit spricht, wenn sie von der spekulativen Philosophie bejaht wird, und ebenso für die Unsterblichkeit spricht, wenn sie von ihr verneint wird. Die wahre und eben deswegen versöhnende Verneinung ist nur die, welche in der genetischen Erklärung des Gegenstandes seine Auflösung gibt, welche ihn nur indirekt verneint, so, daß die Verneinung nur eine unwillkürliche, sich von selbst ergebende Folge ist, so, daß der verneinende Schlußsatz: es ist keine Unsterblichkeit, nur der negative, plumpe Ausdruck von dem, was die Unsterblichkeit ist, die Nichtigkeit der Unsterblichkeit nur die Enthüllung ihres Wesens, ihre Wahrheit, die Verneinung nur die sinnvolle Auflösung eines Rätsels ist. Der Sinn aber aller, wenigstens »intelligiblen Wesen« ist der Mensch. Die erschöpfende und den Menschen mit ihrem Resultat versöhnende Auflösung des Rätsels der Unsterblichkeit ist daher nur die vom Standpunkt der Anthropologie. Die Anthropologie geht aus von dem Dasein des Unsterblichkeitsglaubens. Sein ist ihr überhaupt das erste, aber nicht das Sein im Sinne der Hegelschen Logik, welches vermittelst der Kategorie der Unmittelbarkeit sich als identisch mit dem Denken erweist, sondern das Sein im Sinne des Menschen, das Sein, das nur der Sinn verbürgt, das Sein, das, wie ich mich anderwärts ausdrückte, Gegenstand des Seins ist, d. h. das man nur weiß, wenn man ist. Die Anthropologie ist so bescheiden, zu bekennen, daß sie vom Menschen nichts wüßte, wenn er nicht wäre, daß alle ihre Begriffe und Erkenntnisse vom Menschen, von den Dingen und Wesen überhaupt nur von ihrem wirklichen Dasein abstrahiert sind; was die ursprüngliche Entstehung des Menschen betrifft, so weiß sie nur so viel, daß der Mensch viel älter ist als der Christ und Philosoph, also unmöglich der christlichen Kreationstheorie oder einer philosophischen Konstruktion a priori seine Entstehung verdankt. So bekennt denn auch die Anthropologie aufrichtig, daß ihr selbst nie die Unsterblichkeit in den Kopf gekommen wäre, wenn sie den Glauben daran nicht als einen vorhandenen vorgefunden hätte. Sie geht also vom Dasein dieses Glaubens aus; aber vom Dasein geht sie zum Wesen desselben über; sie fragt sich, nachdem sie in Erfahrung gebracht, daß die Menschen glauben, was sie glauben? Indem sie aber so vom Dasein, jedoch immer nur auf Grund des Daseins, des Tatsächlichen, zum Wesen übergeht, gibt sie zugleich unwillkürlich oder notwendig die Erklärung von dem Dasein dieses Glaubens, seine innere, anthropologische Entstehungsgeschichte. Aber indem sie nun so die Bedeutung und mit dieser den Grund des Glaubens enthüllt, hebt sie gerade den Glauben auf; denn Gegenstand des Glaubens ist nur das unaufgelöste, aber nicht gelöste Rätsel, Gegenstand des Glaubens nur die Sonne unter dem Horizont oder hinter den Wolken, aber nicht die Sonne, die unverschleiert vor meinen Augen dasteht. Es ist daher nichts oberflächlicher, als wenn man dem deutschen Unglauben den Vorwurf der Negativität macht und deswegen das Schicksal des französischen und englischen Unglaubens prophezeit. Der deutsche Unglaube ist im Besitz der Geheimnisse des Glaubens; er hat den Glauben und seine Kompagnie, die Spekulation und Mystik, bis auf den letzten Grund durchschaut; er ist nichts anderes, als der seiner selbst bewußte Glaube; er ist positives Wissen und Wollen; er weiß, was er will, und will, was er weiß; er ist nicht mehr oder in keinem anderen Sinn negativ, als die Auflösung des Rätsels gegen das Rätsel, das Licht gegen die Finsternis negativ ist.
Ich habe jedoch in der »Unsterblichkeitsfrage vom Standpunkt der Anthropologie«, eine Arbeit, die in sehr kurzer Zeit niedergeschrieben wurde, obgleich die Grundgedanken derselben ein Resultat meines ganzen Lebens sind nur auf die wesentlichsten Punkte mich beschränkt. So habe ich gleich in dem ersten Abschnitt davon nichts erwähnt, daß die Menschen ihre Trauer über den Toten in den Toten hineinlegen, das, was für sie ein Übel, zu einem Übel des Gegenstandes machen, den Tod darum als einen traurigen, unglücklichen Zustand sich vorstellen, weswegen das Hauptbestreben der griechischen und römischen Philosophen nur darauf gerichtet war, zu beweisen, daß im Tode alle, folglich auch die Empfindung des Übels aufgehoben, nicht also der Tote, sondern nur der den Toten Überlebende zu beklagen sei. Aber der Tod ist der entschiedenste Kommunist; er macht den Millionär dem Bettler und den Kaiser dem Proletarier gleich. »Nun hat der Tod überwunden mich«, sagt der Kaiser im Baseler Totentanz, »daß ich bin keinem Kaiser gleich.« Der Tod hat aber schon bei Lebzeiten mir allen aristokratischen Dünkel ausgetrieben und die Gesinnung des Kommunismus eingeflößt. Ich betrachte mich nicht als den Inhaber sämtlicher Gedanken über und wider Tod und Unsterblichkeit; was ich daher ausgelassen, mögen andere ergänzen, und was ich schlecht gesagt habe, besser sagen.