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Die Christen lächeln über die Einfalt der »wilden« oder rohen Völker, wenn diese ihren geliebten Toten Speise und Trank bringen, weil sie sich nach dem Tode keine Existenz ohne Nahrung denken können. Die Christen sehen nicht, daß dieser rohe, d. h. unkritische Glaube, nach welchem der Mensch noch ganz derselbe nach dem Tode ist, nach welchem also gar kein Tod existiert, gar kein Unterschied zwischen dem Lebenden und Toten stattfindet, daß dieser Glaube der einzig wahre und natürliche Unsterblichkeitsglaube ist. So wie man einmal dem Tode einräumt, daß er eine Verneinung ist, daß in ihm freien, essen, trinken aufhört, so ist jede Grenze der Verneinung, die ihm gesetzt wird, eine willkürliche, und folglich notwendig, daß der konsequente Denker endlich zu dem Schluß kommt, daß der Tod nicht ein teilweises, sondern ein ganzes Ende ist. Entweder oder heißt es auch hier. Entweder mußt du nichts oder alles dem Tode einräumen. Wenn du einmal so gefällig, so liberal gegen den Tod bist, daß du dir von ihm deine Gurgel, deinen Gaumen, deinen Magen, deine Leber und Nieren, deine Geschlechtsorgane, folglich auch Lunge und Herz nehmen lässest, warum willst du dir von ihm nicht auch das übrige, nicht deine Existenz überhaupt nehmen lassen? Kannst du ohne die Verrichtungen der genannten Organe existieren? »Leiblich freilich nicht, aber geistig.« So, geistig. Aber was ist denn eine geistige Existenz? Eine abstrakte, nur gedachte, vorgestellte Existenz, eine Existenz, aus der der Tod alles genommen hat, was zur wirklichen Existenz gehört. Wie kannst du also diese negative, abstrakte Existenz noch für Existenz halten? Eine geistige Existenz, die zugleich eine wirkliche ist, ist eine Existenz mit Kopf. Geist haben, heißt Kopf haben. Aber kannst du dir einen Kopf allein für sich denken? Gehört zum Kopf nicht notwendig der Leib? Hängt nicht der Magen durch das Band der Nerven aufs innigste mit dem Kopf zusammen? Beweisen dir nicht ad oculos die Geschmacks- und Geruchsnerven, die doch in engster Beziehung zur Funktion des Essens stehen, durch ihre Abstammung aus dem Hirn ihre hohe, geistige Bedeutung? Bist du nicht, wo du, wie z. B. im Schnupfen, geschmack- und geruchlos bist, auch geistig stumpf? Entnimmt die Sprache ohne Grund diesen Sinnen Bezeichnungen für geistige Fähigkeiten? Setzt ästhetischer Geschmack nicht physischen Geschmack voraus? Liebt der feine Geist nicht auch feine Speisen? Kannst du den Kopf eines Denkers oder Dichters auf einen Bauernmagen setzen? Kannst du von einem Eskimo, der nichts besseres kennt, als seinen Seehundstran, ästhetisches Gefühl erwarten? Ist das, was der Mensch ist, unabhängig von dem, was er ißt? Ändert sich mit unserm Wesen nicht auch unser Geschmack und umgekehrt? Ist die Lieblingsspeise des Knaben die des Mannes? Nein! andere Speisen, andere Weisen, andere Sapores Sapor bedeutet nicht den Geschmack in mir, den Sinn, aber wenn sich der Gustus, der Geschmack in mir verändert, so verändert sich ja eben auch der Geschmack des Dinges., andere Mores und umgekehrt. Schon die alten Indier behaupteten, daß der Charakter des Menschen aus den Speisen, die er besonders liebe, erkannt werde, die Qualität seiner Speisen die Qualität des Menschen bezeichne. Wie töricht ist es darum, dem Menschen noch eine Existenz nach dem Tode einräumen zu wollen, und doch die so wichtige, ja notwendige, wesentliche, mit dem Zentralpunkt des menschlichen Wesens, dem Hirn so innig zusammenhängende Funktion des Essens aufzugeben eine Funktion, welche bei unzähligen Menschen sogar ihr höchster Lebensgenuß ist, trotz ihrer Geistlichkeit und Gottesgläubigkeit; welche bei allen Völkern, so lange sie der menschlichen Natur getreu bleiben, noch nicht der Phantastik, Heuchelei und Verstellung des Supranaturalismus verfallen sind, ein wesentlicher Akt selbst ihrer Religion ist, welche sie ohne Anstand selbst ihren Göttern beilegen! Statt daß daher die christlichen Unsterblichkeitsgläubigen den Ungläubigen oder Todesgläubigen den allgemeinen Unsterblichkeitsglauben als einen Beweis von der Unmenschlichkeit und Unwahrheit ihres Unglaubens entgegenhalten, mögen sie vielmehr daraus die Unwahrheit ihres Glaubens folgern, und erkennen, daß der wahre, unschuldige, unverstellte Glaube an eine Existenz des Menschen nach dem Tode der Glaube ist, daß der Mensch auch nach dem Tode ißt und trinkt. Eine Existenz des Menschen ohne die wesentlichen Bedingungen und Verrichtungen der menschlichen Existenz ist eine eingebildete, eine erlogene, eine erheuchelte Existenz. Glauben, daß der Mensch noch existiere nach dem Tode, und doch nicht glauben, daß er so existiere, wie er jetzt existiert, glauben, daß er mit Verneinungen existiere, heißt in die Bejahung des Menschen nach dem Tode die Verneinung desselben durch den Tod hineintragen, heißt zweifeln, daß er existiere. Denn eine Existenz ohne Magen, ohne Blut, ohne Herz, folglich zuletzt auch ohne Kopf ist eine höchst zweifelhafte Existenz, eine Existenz, die mir nicht die Gewißheit meiner Existenz gibt, in der ich nicht mich erkenne und finde, eine Existenz, die nichts anderes ist, als meine als Existenz gedachte Nicht-Existenz, eine Existenz, die, bei Lichte besehen, sich in nichts auflöst. Der Zweifel, daß ich so existiere, wie hier, endet daher notwendig in dem Zweifel, daß ich überhaupt existiere; denn meine Existenz ist eine bestimmte, diese menschliche Existenz; mit der Bestimmtheit meiner Existenz nimmst du mir daher die Existenz selbst.
Wo der Unsterblichkeitsglaube aus seiner kindlichen Unschuld und Einfalt heraustritt worin er, streng genommen, weder ein positiver, noch negativer Glaube, weder der Glaube an Unsterblichkeit, noch der Glaube an den Tod ist, weil er nicht weiß, was Tod ist wo er ein Glaube der Abstraktion und Reflektion, also ein kritischer Glaube wird, da wird er notwendig ein an sich selbst zweifelhafter, zwischen sich und seinem Gegenteil, dem Unglauben oder dem Glauben, daß der Mensch nicht unsterblich ist, hin- und herschwankender Glaube. Wenn das Christentum den Unsterblichkeitsglauben zu unbedingter Alleinherrschaft gebracht hat, so liegt der Grund hiervon nur in der Pöbelhaftigkeit, mit welcher das Christentum überhaupt seine Meinungen dem Gewissen der Menschen als heilige Glaubensartikel aufgedrungen und das Gegenteil derselben gewaltsam unterdrückt hat. So wurde die Behauptung von der Sterblichkeit der menschlichen Seele ausdrücklich von der katholischen Kirche verflucht. Der protestantischen Kirche stehen zwar keine päpstlichen Bannstrahlen und Scheiterhaufen mehr zu Gebote; aber sie hat dafür andere ebenso wirksame Mittel zur ausschließlichen Geltendmachung ihrer Meinungen angewandt. So hat sie die Lehre von der Sterblichkeit des Menschen so angeschwärzt, so in Verruf gebracht, daß man fast noch jetzt seinem Namen einen Schandfleck anhängt, wenn man ihrem Glauben an die Unsterblichkeit widerspricht.
Wo nämlich der Unsterblichkeitsglaube ein Glaube der Abstraktion und Reflexion oder Spekulation wird, da unterscheidet der Mensch einen sterblichen und unsterblichen Teil von sich, einen Teil, der dem Tod unterliegt, einen anderen, der ihm entgeht und widersteht; er anerkennt also einesteils den Tod, andererseits verleugnet, verneint er ihn. Aber eben diese Trennung in zwei wesentlich verschiedene Teile widerspricht dem unmittelbaren Einheitsgefühl; der Mensch ist Mensch, ist er selbst nur in der Vereinigung des sterblichen und unsterblichen Teils, hat nur in dieser Einheit sein Selbstgefühl. Wasser ist nur Wasser, so lange Sauer- und Wasserstoff verbunden sind; nach der Trennung existieren noch beide Stoffe; aber es existiert nicht mehr Wasser. So können auch die Teile, die Elemente des Menschen unsterblich sein, wenigstens das eine Element: die »Seele«; aber diese Fortdauer der Seele schließt noch lange nicht meine Fortdauer ein. Im Schlafe ist auch die »Seele« tätig und wirksam, selbst innerhalb der Sphäre meiner bewußten Vorstellungen und Tätigkeiten; aber gleichwohl »zeichnen wir die Stunden, die wir verschlafen oder verträumt haben, nicht in dem Tagebuch unsers Lebens auf, rechnen sie nicht zu den Stunden, die wir erlebt haben.« Ich habe mein Selbstbewußtsein, das Bewußtsein, wonach ich allein den Wert und die Dauer meiner Existenz schätze und berechne, nur mit offenen, wachen Sinnen, nur da, wo ich auf meinen eigenen Beinen stehe, wo ich in aufrechter Stellung die Würde des menschlichen Wesens darstelle und behaupte. Im Schlafe trennen sich die im Wachen verbundenen Elemente der »Seele« und des Bewußtseins, aber eben deswegen verliere ich im Schlaf die Existenz, um die es mir allein zu tun ist, die ich allein als meine, wenigstens meine wahre Existenz anerkenne. Die Elemente meiner geistigen, sozialen, geschichtlichen Existenz sind meine wesentlichen Gedanken, denn was bin ich in dieser Beziehung, wenn ich von diesen meinen verruchten Gedanken mich absondere? sie sind meine Seele, mein Geist; aber dieser Geist existiert auch noch nach meinem Tode fort, wenn gleich ich nicht mehr existiere; ich existiere nur, so lange ich diese meine Elemente in diesem meinem Kopf zusammenfasse. Die Speisen sind nur so lange Gegenstand meines Bewußtseins und Selbstgefühls, so lange sie Gegenstand des Genusses sind; aber dieses sind sie nur, so lange sie noch nicht in ihre Elemente zerlegt werden; diese Zerlegung geht in einer Welt vor, die jenseits meines Bewußtseins und Selbstgefühls liegt; wo aber mein Selbstgefühl, mein Bewußtsein ausgeht, da schließt sich auch mein Sein. So wenig daher einem Menschen, der sich über die Kürze des Genusses des Essens beklagte und nach einer Fortdauer desselben sich sehnte, damit gedient wäre, wenn ich ihm aus der Physiologie nachwiese, daß die Tätigkeit der Assimilation nicht mit dem Genuß der Speisen geschlossen ist, daß in dem Bauche die Fortsetzung von ihr folgt und diese noch stundenlang, also im Vergleich zu der Flüchtigkeit des Genusses der Speisen auf der Zunge, eine Ewigkeit dauert; so wenig ist mir damit gedient, wenn man mir aus der Psychologie, etwa gar aus allerlei obskuren und zweifelhaften oder krankhaften, abnormen, noch nicht erklärten Erscheinungen beweist oder beweisen will, daß meine »Seele« nach meinem Tode noch fortexistiert, dieses von meinem Leibe unterschiedene und abgesonderte Wesen oder vielmehr Unwesen, welches gänzlich jenseits meines Selbst- und Lebensgefühls liegt, welches aller der Bestimmungen und Eigenschaften beraubt ist, in denen ich allein die Gewißheit meines Daseins habe.
Überdem beweisen alle aus der Natur der »Seele« oder des »Geistes« geschöpften Beweise der Unsterblichkeit und eben auf dem Standpunkt, wo die Unsterblichkeit ein Gegenstand der Reflexion und Abstraktion ist, tritt zum Beweise ihrer Ungewißheit das Bedürfnis eines Beweises ein zu viel, aber gerade eben deswegen beweisen sie das nicht, was sie beweisen sollen und wollen. Denn aus denselben Gründen, aus welchen sich die Endlosigkeit der Seele ergibt, ergibt sich ihre Anfanglosigkeit eine Konsequenz, welche selbst geschichtlich verbürgt ist. Merkwürdiger und verhängnisvollerweise ist gleich der erste splendide spekulative Beweis von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, der platonische, welcher im wesentlichen das Fundament aller nachfolgenden Beweise geblieben ist, sogar mit Bewußtsein mit dem Beweis von ihrer Anfanglosigkeit, ihrer Existenz vor diesem Leben aufgetreten. Nun hat aber der Mensch offenbar angefangen zu existieren, oder, wenn er auch schon vor diesem Leben existierte, so ist doch diese Existenz so gleichgültig für ihn, als wenn er nicht existiert hätte, denn sie liegt jenseits seiner Erfahrung, seines Bewußtseins, und wenn er daher in demselben Sinne nicht endet, in welchem er nicht angefangen hat, in demselben Sinne nach dem Tode existiert, in welchem er vor diesem Leben existierte, so ist diese Existenz nach dem Tode für ihn eine absolut gleichgültige Existenz, die sich nicht vom Nichtsein unterscheidet. Die christlichen Klügler haben, einzelne ausgenommen, aus ihren Beweisen von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele den Beweis ihrer Präexistenz gestrichen, weil diese ein offenbares Phantasma sei. Warum ist ihnen denn aber die Existenz der Seele, des Menschen vor diesem Leben eine Phantasie, die Existenz desselben nach diesem Leben keine Phantasie, sondern Wahrheit? Darum, weil die Vergangenheit überhaupt uns gleichgültig ist, die Zukunft aber mit unserem Interesse, unserem Egoismus zusammenhängt. Der Beweis unserer zukünftigen Existenz ist daher ein wahrer, unumstößlicher, weil er sich auf unseren Egoismus stützt, aber der Beweis unserer vergangenen Existenz, ob er gleich dieselbe theoretische Gültigkeit hat, ist ein durchaus haltloser, phantastischer, weil er in unserem Egoismus keine Unterstützung findet. Die christlichen Theologen und Philosophen haben die Unsterblichkeit, die bei den heidnischen Philosophen eine theoretische, darum freie, dem Zweifel preisgegebene Sache war, dem Wesen des Christentums gemäß zu einer Sache der Religion, d. h. der menschlichen Selbstliebe, zu einer Heilsangelegenheit gemacht; deswegen haben sie den Unsterblichkeitsbeweis halbiert, alle ihre Vernunft, Zeit und Kraft nur auf den Teil konzentriert, welcher den menschlichen Egoismus interessiert. Aber es gereicht dem Plato nur zur Ehre, daß er mit jener edlen Freisinnigkeit, mit welcher das noch nicht durch das Gift des Supranaturalismus verdorbene Heidentum, namentlich Griechentum überhaupt, seine Schwächen und Fehler den Augen der Welt darlegte Dies gilt selbst noch von der verruchtesten Zeit des Altertums, von der Zeit des römischen Despotismus, welcher sich nur dadurch von dem christlichen Despotismus unterscheidet, daß er ein physiologischer, muskulöser, gladiatorischer, akuter, sanguinischer, poetischer, sinnlicher, aufrichtiger, genialer Despotismus war, während der christliche Despotismus mehr ein psychologischer, nervöser, toxikologischer, chronischer, affektloser, prosaischer, verblümter, heuchlerischer, systematischer Despotismus ist., auch die Blößen des Unsterblichkeitsbeweises uns offen zeigte, nicht mit den Ausnahmen und Ausreden der christlichen, übrigens sehr praktischen Klugheit bedeckte.
Die Unsterblichkeitsfrage wird daher aus einem ganz verkehrten, zu nichts führenden Gesichtspunkt gefaßt, wenn sie als eine psychologische oder metaphysische Frage aufgefaßt wird; denn auch die Seele, der Geist der empirischen Psychologen ist nur ein metaphysisches Ding, ein Ens rationis, ein pures Abstraktum oder auch Phantasma; sie wird, wie freilich jede Frage, die uns Menschen interessiert, nur dann in das rechte und entscheidende Licht gesetzt, wenn man sie vom Standpunkt der Anthropologie auffaßt. Das Wahre in dem christlichen Unsterblichkeitsglauben, wodurch es mit Recht den Sieg über den heidnischen Zweifel oder Unglauben an die Unsterblichkeit davontrug, besteht eben nur darin, daß es dieselbe aus einer Sache der Psychologie oder Spekulation denn die Seele ist, wie gesagt, nur ein Produkt der Spekulation zu einer Sache der Anthropologie, aus einer Sache der Abstraktion zu einer Sache der Sinnlichkeit machte, an die Stelle der teilweisen Unsterblichkeit ungeteilte Unsterblichkeit, die Unsterblichkeit des Leibes und der Seele, an die Stelle der Unsterblichkeit des Geistes oder der Seele die Unsterblichkeit des Menschen die Auferstehung setzte. Nur die Auferstehung ist die Bürgschaft der Unsterblichkeit: Derselbe Mensch derselbe Leib. Das Christentum ging insofern zum natürlichen, volkstümlichen Glauben zurück, in welchem die unsterbliche Seele nichts anderes ist, als das in der Phantasie, in die Erinnerung aus dem Tode wieder auferstandene und als selbstständiges, existierendes Wesen vorgestellte Bild des einst lebendigen Menschen. Aber das Christentum ist nicht mehr der ursprüngliche, unschuldige, einfältige, kindliche Glaube der Menschheit; es ist ein Glaube der Reflexion und Abstraktion. Der Gottesglaube, der an der Spitze des Christentums steht, ist nämlich nichts weniger als ein dem Menschen eingeborener, originaler, primitiver Glaube, wie die Christen behaupten, welche ihre theistischen Vorstellungen dem Glauben der Völker unterschrieben, in der Zeit des guten alten Christentums sogar den Kindern im Mutterleibe schon ihren Glauben aufbürdeten. Die Kinder wissen noch heute solange nichts von Gott, bis er ihnen von ihren Eltern oder Schulmeistern eingetrichtert wird. Der ursprüngliche Glaube des Menschen ist der Glaube an die Wahrheit der Sinne, der Glaube an die sichtbare, hörbare, fühlbare Natur, die er aber unwillkürlich sich verähnlicht, vermenschlicht, personifiziert. In der Folge trennt jedoch der Mensch diese unwillkürlichen Personifikationen der Naturgegenstände von diesen ab, macht sie zu selbständigen Personen und faßt sie endlich, wenn er sich zur Anschauung der Einheit der Wett erhebt, in eine von der Natur unterschiedene Persönlichkeit oder Wesenheit zusammen. So wird ihm denn ein Wesen zur Wahrheit, welches im direktesten Widerspruch mit seinem ursprünglichen Glauben steht, dessen Glaube nur auf den Unglauben an die Wahrheit der Sinne gebaut ist, ein Wesen, das existiert und dessen Existenz doch aller der untrüglichen Zeichen und Beweise beraubt ist, worauf er den Glauben, d. h. die Gewißheit der Existenz der Natur und seiner eigenen Existenz gründet, ein Wesen, das als ein durchaus abstraktes und negatives, nicht sinnliches, nicht körperliches, nicht sichtbares, auch nur Gegenstand eines abstrakten und negativen, abgefeimten, und eben deswegen nur erkünstelten und erzwungenen, aber endlich durch tausendjährige Überlieferung den Menschen zur Gewohnheit, zur anderen Natur gewordenen Glaubens ist. So wie aber der Gottesglaube des Christentums, so ist auch sein Unsterblichkeitsglaube nicht der ursprüngliche Glaube der Menschheit, sondern ein spekulativer oder abstrakter und negativer Glaube. Es hat in diesem Glauben allerdings wieder den Menschen, die Sinnlichkeit geltend gemacht, aber nur halb, nur scheinbar, nur mit Abstraktion und Negation. Im Himmel freien sie nicht. Fleisch und Blut erbt nicht das Himmelreich. Es affektiert eine supranaturalistische Engelhaftigkeit und Schamhaftigkeit; es macht den Menschen zu einem Kastraten; ja trotz seiner körperlichen Auferstehung zu einem gespenster- oder geisterhaften Wesen, indem es alle leiblichen Bedürfnisse und Verrichtungen, namentlich die der Geschlechts- und Geschmackssinne als tierische Funktionen von ihm abstreift, gleich als hätte der Mensch nicht ebensogut als die Geschlechts- und Assimilationsorgane auch die Sinne, auch den Kopf, auch die Existenz überhaupt mit dem Tiere gemein, und als müßte sich folglich nicht der christliche Supranaturalist, wenn er ehrlich und konsequent sein wollte, zugleich mit dem Zeugungsglied auch den Kopf abschneiden; denn nur wo der Mensch gar nichts mehr ist, hat er auch mit den Tieren nichts mehr gemein. Aber eben weil daß Christentum selbst schon ein negativer und kritischer Glaube ist, so ist es eine notwendige, selbstverschuldete Konsequenz von ihm, wenn wir seine Halbheit zur Ganzheit machen, seine Negation und Kritik weiter treiben, wenn wir zu dem: im Himmel, d. h. im Tode, werden sie nicht freien, nicht schlafen, nicht essen und trinken, hinzusetzen: sie werden nicht existieren. Gerade aber diese Verneinung der christlichen Halbheit und Zwiespältigkeit führt uns zurück zur widerspruchslosen, wahren, vollständigen Bejahung des Menschen, und eben damit zum ursprünglichen Glauben der Menschheit. Für den ursprünglichen Glauben gibt es keinen Tod und keine Unsterblichkeit, aber aus kindlicher Unwissenheit, aus Mangel an Bildung; er glaubt nur an die Wahrheit dieses Lebens; er denkt sich den Menschen nach dem Tode wie vor dem Tode. So existiert auch für den wahren, ungeteilten Menschen, aber aus Bildung, aus Wissenschaft, aus Erkenntnis ihrer Nichtigkeit, keine Unsterblichkeit, aber auch kein Tod, am allerwenigsten in bezug auf seine eigene Person; aber auch nicht in Beziehung auf geliebte Tote, wenigstens insofern nicht, als sie in seinem Herzen noch ebenso lebendig und heilig ihm sind, als einst in Wirklichkeit.
Der Unsterblichkeitsglaube, wenigstens der eigentliche, der bewußte, der absichtliche tritt erst da in dem Menschen auf, wo er Urteil ausdrückt, wo die Unsterblichkeit nichts anderes ist, als eine Eloge, die der Mensch dem von ihm aufs höchste geschätzten Gegenstand sagt, der Tod nichts anderes, als ein Ausdruck der Verachtung. Die körperlichen Verrichtungen, d. h. die Verrichtungen des Bauches sind ekelhafte, niedrige, gemeine, tierische also vergängliche, sterbliche; die Verrichtungen des Geistes, d. h. des Kopfes, erhabene, edle, den Menschen auszeichnende, also unsterbliche. Die Unsterblichkeit ist eine Wertsdeklaration; sie wird nur dem zuerkannt, was der Unsterblichkeit würdig erachtet wird. Der Unsterblichkeitsglaube tritt erst da ins Dasein, wo er sich mit dem Gottesglauben identifiziert, wo er ein religiöses Urteil ausdrückt, wo die Unsterblichkeit also nur ein Ausdruck, der Gottheit oder Göttlichkeit ist. Beweisen, daß der Mensch oder die Seele unsterblich sei, heißt beweisen, daß sie oder er Gott sei. Oder vielmehr der Beweis ihrer Unsterblichkeit stützt sich nur auf den Beweis ihrer Gottheit, gleichgültig, ob sie ihr direkt oder indirekt zugesprochen wird, so nämlich, daß man eine von der Seele unterschiedene Gottheit sich vorstellt, aber nun die wesentliche Einheit der Seele mit der Gottheit nachweist. Die Alten sind auch in dieser Beziehung so lehrreich, weil sie die Gottheit der menschlichen Seele oder des Geistes, welche die christliche Klugheit und Heuchelei mit dem Munde leugnet, ob sie gleich sie im Wesen aufs bestimmteste, ja bestimmter noch, als die Alten, bekennt, unumwunden aussprechen, den Beweis der Unsterblichkeit der Seele ausdrücklich auf ihre Gottheit gründeten Ebenso lehrreich sind sie auch in betreff des Gottesglaubens, weil das, was den gemütsbefangenen, interessierten Christen zu unmittelbarer Gewißheit wurde, bei den freisinnigen Alten noch ein Gegenstand des Zweifels war. Was den Christen ein fertiges, ausgemachtes Wesen war, das sehen wir daher bei ihnen vor unseren Augen werden, entstehen. Das Christentum ist und kennt nur die Mutter Gottes; aber der Vater Gottes ist das Heidentum..
Da die Unsterblichkeit nur ein pathetischer, affektvoller Ausdruck des Lobes, der Auszeichnung ist, so erklärt sich auch, warum die Alten sie nur als Privilegium der Aristokratie ansahen, sie nur großen, ausgezeichneten Menschen zuerkannten, oder vielmehr, richtiger ausgedrückt, die Unsterblichkeitsfrage nicht vom allgemeinen menschlichen Gesichtspunkt aus faßten, sondern sich nur für die Unsterblichkeit großer Menschen interessierten. »Wenn, sagt z. B. Tacitus, wie die Weisen dafür halten, mit dem Körper nicht große Menschen (magnae animae) erlöschen«. Das Christentum verwandelte diese aristokratische Unsterblichkeit der Alten in ein plebejisches Gemeingut, an der jeder Mensch, ohne durch besondere Vorzüge oder gar politische Tugenden und Verdienste ausgezeichnet zu sein, teilnehmen konnte, wenn er nur christgläubig war. Aber es machte doch wieder die Unsterblichkeit zu einem Privilegium der gläubigen Aristokratie; denn sie bestimmte nur diese dem Himmel, die Ungläubigen, die Gottlosen der Hölle. Aber nur der Himmel verdient den Ehrennamen der Unsterblichkeit; nur freudiges, glückliches Sein ist Sein; die Hölle dagegen ist nur ein boshafter Ausdruck für Nichtsein, eine perennierende Todesangst, in die der Gläubige aus christlicher Liebe den Ungläubigen versetzt, eine Existenz, die jener diesem nur deswegen vergönnt, weil keine Marter, keine Qual, kein Gefühl der Nichtseins ohne Existenz gebracht werden kann.
Der eigentliche Unsterblichkeitsglaube entsteht nur da, wo der Mensch bereits zum Bewußtsein gekommen ist, daß der Tod eine Negation und Abstraktion, Verneinung und Absonderung ist, die aber der Mensch, weil er selbst denkend eine Tätigkeit der Verneinung und Absonderung ausübt, nicht auf das dieser Tätigkeit als Subjekt untergelegte Wesen, den Geist, sondern nur auf sein augen-, überhaupt sinnfälliges Wesen sich erstrecken läßt. Er erblickt vielmehr in dem Tode nur den Ausdruck der Verneinung und Absonderung, die er selbst im Denken ausübt, wenn er von einem sinnlichen Gegenstand sich einen allgemeinen Begriff bildet. Wie sollte also der Tod das aufheben, wovon er selbst nur eine Erscheinung ist? Philosophieren heißt sterben also sterben philosophieren, also promoviert der Tod nur den Menschen zum Doktor der Philosophie. Daß heißt: der Mensch stirbt; aber der Philosoph ist unsterblich. Der Tod nimmt dem gemeinen Menschen unfreiwillig, was der Philosoph freiwillig sich nimmt. Der Philosoph, wenigstens der wahre, spekulative, platonische, christliche ist schon im Leben geschmacklos, geruchlos, taub, blind und gefühllos; er ißt und trinkt zwar, er übt überhaupt alle tierischen Funktionen aus, wie Sehen, Hören, Fühlen, Lieben, Gehen, Laufen, Atmen, aber im Zustande der Geistesabwesenheit, folglich geist- und sinnlos, nicht mit Lust und Liebe, wie ein gemeiner Mensch, nein! nur aus trister Notwendigkeit, weil für ihn der Genuß des Denkens an diese profanen Lebensverrichtungen weil er nicht denken, nicht philosophieren kann, wenn er nicht lebt gebunden ist; nur mit Ärger und Widerwillen; nur im Widerspruch mit sich. Wie sollte also der Tod gegen ihn sein? Der Tod verneint ja nur, was er selbst verneinte, ist ja das Ende aller Lebensgenüsse und Lebensverrichtungen. Er setzt daher nach dem Tode seine Existenz fort aber nicht als Mensch, sondern als Philosoph, d. h. er denkt den Tod, den Akt der Beweinung und Absonderung, weil er ihn identifiziert mit dem Denkakt, dem höchsten Lebensakt, als Existenz; er personifiziert die Verneinung des Wesens als Wesen, das Nichtsein als Sein.
Selbst der christliche Himmel ist seiner wahren religiösen Bedeutung nach nichts anderes, als das Nichtsein des Menschen, gedacht als Sein des Christen. Der Tod ist die Beweinung, das Ende aller Torheiten, Eitelkeiten und Schlechtigkeit des menschlichen, insbesondere des politischen, bürgerlichen Lebens, das Ende aller irdischen Mühseligkeiten und Wechselfälle, das Ende aller Sünden und Fehler, aller Leidenschaften und Begierden, aller Bedürfnisse und Kämpfe, aller Leiden und Schmerzen. Schon die Alten nannten deswegen den Tod einen Arzt. Wenn ich mir daher als Lebender den Tod, als Seiender mein Nichtsein, und dieses Nichtsein als die Beweinung aller Übel, Leiden und Widerwärtigkeiten des menschlichen Lebens und Selbstbewußtseins vorstelle Von diesem Gesichtspunkte aus muß man auch als Pädagog und Seelenarzt den Tod darstellen. Das menschliche Herz versöhnt sich mit dem Tode, wenn der Kopf den Tod ihm darstellt als die Verneinung aller der Übel und Leiden, die mit dem Leben verbunden sind, und zwar notwendig; denn wo Empfindung ist, da ist notwendig auch Schmerzempfindung, wo Bewußtsein, notwendig auch Unfriede und Zwiespalt mit sich selbst. Kurz das Übel ist so notwendig mit dem Leben verbunden, als der Stickstoff, in dem das Licht des Feuers und Lebens erlischt, mit dem Sauerstoff der Luft. Ununterbrochene Seligkeit ist ein Traum., so trage ich unwillkürlich die Empfindung des Seins in mein Nichtsein über; ich denke und empfinde daher mein Nichtsein als einen seligen Zustand. Und der Mensch, der, wie die meisten Menschen, in der Identität von Denken und Sein aufwächst und lebt, der nicht unterscheidet zwischen Gedanke oder Vorstellung und Gegenstand, hält daher dieses im Gegensatz gegen die Leiden des wirklichen Seins als Seligkeit vorgestellte und empfundene Nichtsein für ein wirkliches Sein nach dem Tode. So ist denn auch der christliche Himmel in seiner reinen, von allen anthropopathischen Zusätzen und sinnlichen Ausschmückungen entkleideten Bedeutung nichts anderes, als der Tod, die Verneinung aller Müh- und Trübsale, Leidenschaften, Bedürfnisse, Kämpfe, gedacht als Gegenstand der Empfindung, des Genusses, des Bewußtseins, folglich als ein seliger Zustand. Der Tod ist daher eins mit Gott, Gott nur das personifizierte Wesen des Todes; denn wie in Gott alle Leiblichkeit, Zeitlichkeit, Bedürftigkeit, Begierlichkeit, Leidenschaftlichkeit, Unstätigkeit, Mangelhaftigkeit, kurz alle Eigenschaften des wirklichen Lebens und Daseins aufgehoben sind, so auch im Tode. Sterben heißt daher zu Gott kommen, Gott werden, so schon bei den Alten der Tote der Selige, der Verewigte der Vollendete.
Spezieller gefaßt, ist der Himmel für den Christen die Verneinung, der Tod alles Unchristlichen, alles Fleischlichen, Sinnlichen, Menschlichen; denn im Himmel hört der Christ auf, Mensch zu sein, da wird er Engel. Der Engel ist ja nichts anderes, als die Personifikation des abstrakten, vom Menschen abgesonderten und eben deswegen wahren, vollendeten Christen, nichts anderes als der Christ ohne Fleisch und Blut, der Christ vorgestellt als selbständiges Wesen. Wie, streng genommen, vom platonischen Menschen nach dem Tode nichts übrig bleibt, als der Philosoph in abstracto, wie die unsterbliche Seele nichts anderes ist, als der vergegenständlichte und personifizierte Begriff der Philosophie, so bleibt, streng genommen, von dem christlichen Menschen nach dem Tode nichts übrig, als der Christ in abstracto, ist der christliche Himmel nichts anderes als das verwirklichte, vergegenständlichte, personifizierte Christentum. Da aber der Philosoph ebensowenig als der Christ ohne den Menschen existieren kann, der Philosoph in Wahrheit nichts ist, als der philosophierende, der Christ nichts, als der christgläubige, gottselige Mensch; so versteht es sich von selbst, daß das als rein philosophisches oder rein christliches Sein vorgestellte Nichtsein des Menschen wieder zu einer Bejahung des Menschen wird. Auf den Schultern des Menschen ja nur kann sich der Philosoph zur Unsterblichkeit, der Christ zur himmlischen Seligkeit emporschwingen; nur wenn der Mensch unsterblich ist, kann es ja auch der Philosoph, der Christ sein. Wie wir auch dem abstraktesten, allgemeinsten Begriffe stets ein sinnliches Bild unterlegen müssen, wenn er nicht eine sinnlose Floskel sein soll; so muß der Philosoph nolens volens seiner unsterblichen Seele, der Christ seinem himmlischen, von Fleisch und Blut gesonderten Wesen das Bild des sinnlichen Menschen unterschieben. Aber gleichwohl ist diese Vermenschlichung, diese Versinnlichung nur eine unwillkürliche, nicht sein sollende; denn es soll nach dem Tode nur der Philosoph, nur der Christ, nicht mehr der Mensch existieren; es soll die Existenz nach dem Tode eine abstrakte und negative sein, eine Existenz, welche die Abwesenheit aller Widersprüche und Gegensätze gegen die Philosophie, gegen das Christentum sind, nur daß, wie gesagt, diese Abwesenheit aller Übel als seliges Sein vorgestellt wird. Aber eben nur als eine abstrakte und negative Existenz ist sie eine höchst zweifelhafte, so unglaubliche, augenfällig den Bedingungen einer wirklichen Existenz und dem Wesen der menschlichen Natur widersprechende; denn der Mensch kann sich keine Seligkeit ohne Arbeit, keine Ewigkeit ohne Wechsel, keinen Genuß ohne Not, Mangel, Bedürfnis denken, er kann sich überhaupt, wenn er nur einigermaßen die Augen öffnet und seine Blicke aus dem Reich der himmlischen Träume in die Wirklichkeit wirft, kein abgezogenes Wesen als ein wirkliches denken. Er gibt daher die religiöse und philosophische Unsterblichkeit auf; er setzt an die Stelle des abstrakten Philosophen und des himmlischen Christen den Menschen. Die Unsterblichkeit auf diesem Standpunkt, ihrem letzten, ist die Unsterblichkeit des modernen rationalistischen Christentums, des gläubigen Unglaubens, welcher in der Bejahung der religiösen Wahrheiten, d. i. Vorstellungen, immer zugleich ihre Verneinung hineinlegt.