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Das »Vermächtnis« Anselm Feuerbachs, das hier in neuer Ausgabe vorgelegt wird, ist zum klassischen Werk geworden. Seit dem Zeitpunkte, da sich des Meisters Geschick erfüllte, dessen tragischer Lauf dem persönlichsten aller selbstbiographischen Bücher der deutschen Literatur eine allgemeine menschlich-herzliche Teilnahme zuspricht, fand endlich der Deutsche den Weg zu der reinen Schönheit seiner Kunst. Auf der deutschen Jahrhundertausstellung wandelte sich die stille Verehrung zur freudig sich aussprechenden Begeisterung, die Feuerbachs Namen nennen will zusammen mit den großen Meistern des vergangenen Jahrhunderts. Sein Werk steht für sich, wie in einem eigenen Tempel gewahrt vor den herausfordernden Blicken der Menge, Menschen allein zugänglich, die in der rhythmischen Gliederung und der harmonischen Ruhe des künstlerischen Eindrucks die bedeutungsvolle Schönheit künstlerischen Lebens und künstlerischer Tat zu fassen geneigt sind. Wundersam schließt sich die persönlich-menschliche Erscheinung des Genius, je weiter wir uns von der Grenze seines irdischen Daseins entfernen, immer einheitlicher zusammen mit seinen Schöpfungen, und, wie dieser Zusammenschluß ständig fester und dauerhafter wird, so gewinnt das Buch, das die Enttäuschungen des Lebens in schmerzlicher Mahnung kündet, an unpersönlichem, ethischem Gehalt. Es erhebt sich über die Tragik des einzelnen Schicksals, dessen Verherrlichung es vor einem Menschenalter hatte dienen sollen, zu einer elegischen Betrachtung des menschlichen Unvermögens, das wahrhaft Große zu erkennen, zu einem eindringlichen Appell, die Berühmtheiten der Mode, die morgen vergessen sein werden, zu verachten, Distanz zu halten zwischen vergänglichem und unvergänglichem Besitz. Dem »Vermächtnis« ist aus der persönlichen die kulturelle Mission erwachsen. Hier liegt sein heutiger, bleibender Wert, hier und noch in einer zweiten, nicht minder wichtigen Eigenschaft, in seiner erst jetzt richtig einzuschätzenden charakteristischen Bedeutung als literarisches Kunstwerk.
Anselm Feuerbachs »Vermächtnis« hat seine ursprüngliche hohe Aufgabe herrlich erfüllt. Es ist eine hohe Aufgabe, für den Sieg einer verkannten Existenz zu streiten, auf die Bahre des Gefallenen zu weisen, der im schwersten Kampf, dem Ringen um das Recht der selbständigen Persönlichkeit, menschlich unterlegen war, die Qualen dieses Ringens zu wiederholen, und so die Waffen niederzuschlagen, die noch immer drohend genug entgegenstarrten. Als Feuerbach, eben fünfzigjährig, am 4. Januar 1880 einsam in einem Gasthause zu Venedig gestorben war, hatte der Ruhm kaum erst seine Schläfen berührt. Nur ein bescheidener Kreis treuer, erkenntnisvoller Freunde stand neben dem Toten, denen die Ehrungen eines offiziellen Begräbnisses, die emphatischen Ansprachen und zahlreich gewidmeten. Lorbeerkränze – nur ein einziger war dem Lebenden zuteil geworden – seltsam genug vorkommen mochten. Denn mit der treuen Mutter des Meisters wußten sie, daß alle Bemühungen, seinen hinterlassenen Werken die gebührende Stätte zu sichern, nur nach langer entsagender Anstrengung aufhören sollten, daß der Kampf um die endliche Anerkennung noch bevorstehe. Während Feuerbachs Zeichnungen nach München und Berlin sich zerstreuten, zog die »Amazonenschlacht« von einem Kunsthändler zum anderen; ein vergeblicher Brief nach dem anderen mußte geschrieben werden, Kommission auf Kommission lehnte die »plumpe Farblosigkeit der Riesenleinwand« ab, bis sich Frau Henriette Feuerbach entschloß, das Bild der Stadt Nürnberg als Geschenk anzubieten. In fünfzig Minuten, pflegte sie zu äußern, könne sie des Sohnes Grab und sein Werk von Ansbach aus erreichen. Es gehörte der übermenschliche Wille der heroischen Frau dazu, die unendliche Liebe, mit der sie an dem Stiefsohne hing, den sie wie ihr eigenes Kind zu behandeln dem Vater auf dem Totenbette gelobt hatte, daß sie unmittelbar nach dem fürchterlichen Schlag die Aufgabe übernahm, das Denkmal »ihres Anselm« zu errichten und das »Vermächtnis« herauszugeben. Wir haben später davon zu sprechen, wie sie in treuer Pflichterfüllung zu Werke ging. Es war ihr beschieden, daß der Erfolg weit über die Hoffnungen hinausging, die sie nur den nächsten Freunden mitteilte. Als die erste Auflage des »Vermächtnisses« erschien (1882), kamen aus allen Teilen Deutschlands die Zeichen der Wirkung, Briefe und Zeitungsberichte, zu der Greisin. Eine neue Auflage mußte binnen kurzem vorbereitet werden, die Ahnung, dem Sohne die Unsterblichkeit künden zu können, verklärte die letzten Jahre der Einsamen, und die Nachricht von dem einstimmig beschlossenen Ankauf des »Gastmahls des Plato« für die Karlsruher Galerie, die sie zwei Jahre vor ihrem Tode (5. August 1892) erhielt, wirkte wie eine göttliche Fügung, wie ein versöhnender Abschluß ihres selbstlosen, kummervollen Lebens.
Es ist mehrfach und mit Recht auf die Tatsache gewiesen worden, daß der Sieg der Feuerbachschen Kunst durch das »Vermächtnis« beschleunigt worden sei. Es wäre aber ein gefährlicher Irrtum, diesen Sieg nur auf Kosten des »Vermächtnisses« zu setzen und zu sprechen von der Wehleidigkeit seines Inhaltes, das zur Erregung öffentlichen Mitleids gedruckt worden sei. Diese Entwürdigung des Werkes und die Verkennung des Zusammenhanges zwischen ihm und Feuerbachs Kunst mag dort vorgetragen werden, wo der unsichere Beruf des Künstlers noch als Almosenempfängerei angesehen wird. Wir haben uns hier um solche müßigen Reden ebenso wenig zu kümmern, wie um die Hypothese, ob Feuerbachs Kunst ohne das »Vermächtnis« jemals den ihr heute gewährten Ruhm erreicht hätte. Aber es ist sicher wahr, daß das »Vermächtnis« in einer Zeit erschien, die darauf gestimmt war, das Tragische der Aufzeichnungen in der ganzen Schwermütigkeit ihres Gehaltes zu erfassen und ihnen in ihrer Nachdenklichkeit einen sentimentalen Nebenbegriff zu geben, der allein durch eine auf Veranlagung beruhende und der Anlage gerne sich hingebende Reflexion des Lesers entstand. Hätte Frau Feuerbach also mit der Veröffentlichung warten sollen? Das Manuskript ein Jahrzehnt zurückhalten, damit das ungebärdige Übermenschentum der neunziger Jahre an der Empfindsamkeit und Reizbarkeit des Feuerbachschen Charakters höhnisch Anstoß genommen hätte? Die Mutter darf keineswegs ein Vorwurf treffen, wenn sie einen Vorteil wahrnahm, dessen Nutzen auch sie nicht »gerad und unbedingt erwartete«. Mit ihrer ausgezeichneten klassischen Bildung, ihrem Verständnis für die Aktualität literarischer Ereignisse sah Henriette Feuerbach deutlich, daß das Volk der Deutschen durch den Verstand gewonnen wird, nicht durch das Auge, durch das Wort, nicht durch das Bild. Wenn sie diesen Umstand klug in den Kreis ihrer Berechnung zog – einen Beweis dafür auf Grund mündlicher oder schriftlicher Mitteilung haben wir nicht, soviel sie auch über ihre redaktionelle Tätigkeit für das Buch geäußert hat – hat sie dem Erfolg ihrer treuen Bemühungen jedenfalls trefflich genutzt. »Habe ich doch Dich, liebe Mutter, Du wirst mein guter Stern sein, der mir leuchtet, wenn es Nacht werden will um mich«, hatte Feuerbach am 14. Juli 1861 geschrieben. Vierzig Jahre lang (wir können dies aus den Briefen feststellen) hat Henriette Feuerbach mit ihrem »Sohn und Freund« die Schwankungen seines Schicksals, die durch die wechselnden Stimmungen seines Temperamentes verstärkt wurden, mutig ertragen; sie ist die Stütze gewesen, an der er sich aufrichtete, wenn seine Kraft zu versagen drohte. Sie war, vielleicht weil sie die Stiefmutter war, eine Mutter von jener seltenen Uneigennützigkeit, die für das Talent des Sohnes und seine menschlich-selbständige Eigenart zugleich Verständnis hatte. Und nach diesen vierzig Jahren begrub sie während ihres letzten Lebensjahrzehntes fast alles, was sie sonst etwa hätte erfüllen können. »Dies ist alles, was mir bleibt«, schreibt sie, »womit ich die Schulden bezahlen kann, abgesehen von dem, was die Hauptsache ist, wofür ich 50 Jahre gelebt, gelitten und gestritten habe, die Künstlerehre meines Sohnes zu sichern durch anständige Unterbringung seiner Werke.« Im Handexemplar des »Vermächtnisses« finden sich die Worte eingeschrieben: »Der herbste Schmerz kann durch die Kraft einer reinen und starken Seele geadelt werden. Dann drückt er nicht nieder, sondern wird zu einem Stoffe, aus dem der Mensch sein eigenes Geschick mitbildet und erfüllt.«
Über die Entstehung und die ursprüngliche Anlage der Lebenserinnerungen Feuerbachs sind wir unterrichtet durch einen Brief aus Wien vom August 1874. Damals war schon der größere Teil des Aufsatzes »Der Makartismus, eine pathologische Erscheinung« niedergeschrieben und ebenso der Artikel »Die Deutschen in Italien«. In dem erwähnten Briefe heißt es: »Mein Buch hat drei Kapitel und geht vorwärts. Da es nur Tatsachen sind, ist es von so kapitaler Lächerlichkeit, daß ich nicht mehr nach Deutschland dann kann.« Die Manuskripte wurden zum Ferienaufenthalt nach Heidelberg mitgeführt, wo sie zum Schrecken der besorgten Mutter, die aus dem Bekanntwerden der polemischen Absichten ihres Lieblings Schaden fürchtete, einigen vertrauten Freunden mitgeteilt wurden. Zu einer Fortsetzung, die schon für diese Zeit geplant war, scheint der Künstler nicht gekommen zu sein, da er unermüdlich mit den Entwürfen für die Wiener Deckenbilder beschäftigt war, die er hier fertigstellte. Im Frühjahr und Sommer 1876, wo schwere Erkrankung Feuerbach zur Ruhe zwang, hat er in Heidelberg und bei den Verwandten in Ansbach, dann in Streitberg in der fränkischen Schweiz während eines Erholungsaufenthaltes und im August nochmals in Nürnberg sich den Lebenserinnerungen wieder zugewandt. Diese Beschäftigung, bei welcher er mit seinen alten Widersachern in Karlsruhe und Wien kräftig abrechnete, trug wesentlich dazu bei, die Wiederherstellung seiner Gesundheit und seine gute Laune zu fördern.Die Kenntnis der hier mitgeteilten Einzelheiten usw. danke ich großenteils der Durchsicht der Briefe Frau Feuerbachs, die ich zur Herausgabe vorbereite, ferner den freundlichen Mitteilungen der Familie und des verehrten Rechtsanwaltes der Frau Feuerbach, Justizrats Dr. Berolzheimer. Die Absicht, auch über die Kaspar Hauser-Frage, in welcher er kurz vorher in der Allgemeinen Zeitung zwei Erklärungen erlassen hatte, sich zu äußern, gab er mit Rücksicht auf die Mutter auf, die angeblich selbst über den merkwürdigen Findling Familienpapiere drucken lassen wollte. Als Feuerbach abreiste, erst zur Kunstausstellung nach München, dann nach Venedig, ließ er das Manuskript zurück, über das nichts mehr verlautet. Doch ist es 1877 und 1878 nochmals vorgenommen und durchgesehen worden, auch entstand damals, am 31. Oktober 1878, die Niederschrift der Zeilen, die aus mehreren Entwürfen die Mutter auswählte, um sie bei der Veröffentlichung an die Spitze des Buches zu stellen, und der sie den schönen Schlußsatz anfügte. Freilich ist dieser nicht, wie behauptet wurde, von der Mutter willkürlich erfunden, sondern die in schriftdeutsche Form umgegossene Wendung, mit der Anselm Feuerbach selbst auf einen Nebenzweck seiner Aufzeichnungen zu deuten pflegte, nachdem er sich klar geworden war, daß »sein Pamphlet gegen die Canaillen« in der von ihm beliebten kerndeutschen Grobheit nur schaden könne, was er nicht für sich, aber für die Mutter fürchtete. Zu einer endgültigen Redaktion ist er nicht gekommen. Einen Pack weitläufig beschriebener, durcheinander liegender Quartblätter nahm die Mutter von Nürnberg in ihre neue Wohnung nach Ansbach. Aus dem unordentlichen Wust schuf sie das wundervolle Buch.
Anselm Feuerbachs »Vermächtnis« ist also in der Fassung, in der es genau mit den gleichen Worten der zweiten Auflage, die die Mutter selbst besorgt hat, hier vorgelegt wird, ein Werk Henriette Feuerbachs. Nicht die kleinste Änderung am Texte durfte vorgenommen werden, es erscheint als Pflicht der Pietät, selbst die wenigen, meist belanglosen falschen Datierungen beizubehalten. »Wie das Buch jetzt ist, so bleibt es für alle Zeit. Es wäre ein Unglück, würde eine fremde Hand das Buch berühren«, lauten ihre eigenen Worte. Dafür ist es notwendig, in ausführlicher Weise auf die redaktionelle Tätigkeit Frau Feuerbachs einzugehen. Denn seit dem Erscheinen der fünften Auflage des »Vermächtnisses« im Jahre 1902 ist eine Reihe von Werken und größeren Artikeln erschienen, die das Leben Feuerbachs behandeln und die historische Genauigkeit der Mitteilungen des »Vermächtnisses« mit größerer oder geringerer Schärfe anzweifeln. Leider hat sich das allgemeine Urteil, statt die Nachprüfung abzuwarten, diesen Zweifeln angeschlossen, so daß es, wenn nicht ein energisches Veto eingelegt wird, dazu kommen kann, das Buch zu werten mit dem freien Maß von »Dichtung und Wahrheit« oder es gar auf den Rang eines Romanes zu degradieren.
Vor allem enthält die große, 1904 in zweiter, völlig umgearbeiteter Auflage erschienene Biographie Julius Allgeyers, die Karl Neumann herausgab, nach dem Vorwort einen Abschnitt »Das Vermächtnis Feuerbachs im Zusammenhang mit den Originalquellen«, worin dem Buche nur mehr der Wert eingeräumt wird, »der verklärte Abdruck der Vorstellung zu sein, die von dem Geschiedenen im Andenken der Mutter fortlebte«. Kurz vor Erscheinen dieses Werkes veröffentlichte H. Werner seine auf Allgeyers Anregung hin notierten Vergleichstellen nach den von der Mutter der kgl. Nationalgalerie in Berlin überwiesenen Vorlagen, die aus dem Originalmanuskript und zahlreichen Briefen bestehen, in der Zeitschrift »Die Kunst für Alle« (Jahrgang XIX, S. 19ff.). Hier heißt es: »Die Herausgeberin hat bei der Bearbeitung der zusammenhängenden Lebensgeschichte den Text zum großen Teil selbst gestaltet und dabei mitunter direkt falsche Angaben gemacht. Vor allem aber ist sie bei der Auswahl und Verwertung des außerordentlich reichhaltigen Briefmaterials mit großer Willkür und Flüchtigkeit verfahren, indem sie die Briefe oft ganz falsch datierte, aus mehreren zu ganz verschiedenen Zeiten geschriebenen einen nach ihrem Geschmack kompilierte oder auch ganze Briefstellen in veränderter Fassung als angeblich biographischen Text in die Darstellung der Lebensgeschichte einfügte.« Wie bereits angeführt, konnten diese beiden fast gleichzeitig erscheinenden Vorwürfe, die längere Zeit unwidersprochen blieben, die Verfasser einer Reihe von Aufsätzen überzeugen, unter welchen der schöne Essay von Wilhelm Weigand, der das Beste enthält, was jemals kurz über Feuerbach gesagt wurde (»Süddeutsche Monatshefte«, Jahrgang I, Heft 2), an der Spitze steht. Es ist das Verdienst A. von Oechelhäusers, daß er in seinem Buche »Aus Feuerbachs Jugendjahren« nach eingehender Prüfung des Nachlasses »Allgeyers absprechender Beurteilung des Vermächtnisses als lebensgeschichtlicher Quelle keineswegs zustimmen zu können« erklärte. Des weiteren erhob der juristische Beirat Frau Feuerbachs, Justizrat Berolzheimer, welcher, damals in Nürnberg, mit seiner Gattin Frau Feuerbach eng befreundet war und die Arbeit am Vermächtnis persönlich miterlebt hat, unter Mitteilung einiger Briefstellen Protest gegen die neuen Anschauungen, die sich gegen das »Vermächtnis« geltend machten, in der Beilage zur »Allgemeinen Zeitung«, Jahrgang 1908, Nr. 10 und 11.
Erfreulicherweise finden sich nun in den Briefen, die Frau Feuerbach an ihren Neffen Justizrat Heydenreich und eine Reihe von Freunden, vor allem an die Gräfin Noer und an Allgeyer gerichtet hat, zahlreiche Mitteilungen, aus welchen wir ganz klar sehen, daß Frau Feuerbach nicht eine einzige Stelle zu dem Vorhandenen erfunden hat, daß ihre redaktionelle Tätigkeit ein bewunderungswürdiges Muster von Pflichtgefühl und Taktgefühl zugleich gewesen ist. Wenn man zu lesen versteht, wird auch aus der Vorrede, die Karl Neumann als Herausgeber dem Allgeyerschen Buche beigefügt hat (S. 19), klar ersichtlich, wie dieser das Verhältnis zwischen dem Nachlaß und dem »Vermächtnis« beurteilt: »abgesehen davon, daß Frau Feuerbach hin und wieder einen Gedanken aus dem Schatz ihres Gedächtnisses eingeflochten ....« Mit dieser Auffassung deckt sich die Ansicht des Herausgebers durchaus.
Wer das Manuskript der Feuerbachschen Aufzeichnungen einmal in Händen gehalten hat, wird, rein technisch zunächst, die Unmöglichkeit erkennen, ein solches ungeordnetes Durcheinander zum Druck zu geben. Angenommen, ein mit strengster literarhistorischer Methode vertrauter Philologe würde plötzlich ein unbekanntes Manuskript von Aufzeichnungen eines berühmten Schriftstellers finden, das sich in einem ähnlichen Zustande befände – auch er müßte, wenn er nicht an der Herausgabe verzweifelte, vorgehen wie Frau Feuerbach es tat, oder einen ellenlangen Kommentar beifügen. Wie nun hier, wo es sich um einen verhältnismäßig wenig bekannten Künstler handelte, um Mitteilungen über zahlreiche noch lebende Menschen, um einen bestimmten Zweck, der durch die Veröffentlichung erreicht werden sollte? Die Überlegung dieser Umstände, in Verbindung mit der genauen Kenntnis des Nachlasses, gibt Grund genug für die Überzeugung, daß die Mutter nicht allein der würdigste, sondern immer noch im philologischen Sinne der geeignetste Redaktor der »Vermächtnisses« gewesen ist. Wenn man Frau Feuerbach die angebliche Entschuldigung zubilligt, sie habe ihre Tätigkeit in einer Zeit ausgeführt, die Aufzeichnungen biographischen Inhaltes gegenüber noch nicht die entsprechende kritische Treue gewahrt habe, so ist dies an sich unzutreffend, es ist aber auch gerade für Frau Feuerbach unzutreffend. Die Gattin eines vorzüglichen Archäologen und Universitätslehrers, an dessen Seite sie außer der Einsicht in die Methode dieses Studiums eine eingehende Kenntnis der deutschen Klassiker erwarb, selbst begabt mit einem guten philologisch-historischen Feingefühl, dessen Sicherheit Gervinus und Weber anerkannten, hatte sie die gesammelten Werke ihres Mannes herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen, deren Klarheit und Gründlichkeit entschieden erfreulicher anmuten als so mancher kapriziös geschraubte, überpersönliche »biographische Essay« von heutzutage. Sie hat Monographien über Uz und Chronegk geschrieben, welche freilich jetzt überholt sind, aber der literarhistorischen Forschung der 60 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts völlig entsprechen. Sie las griechisch in der Ursprache, war intim befreundet mit Gelehrten wie Hettner und Bernays – an dem Vorhandensein des obligaten philologischen Gewissens ist doch wohl nicht zu zweifeln.
Dieses philologische Gewissen, dessen ängstliches Klopfen wir aus manchem Briefe in einer Deutlichkeit heraushören, die jedem Herausgeber biographischer Schriften wohl anstünde, hatte nun ein Konvolut durchzuprüfen, dessen Inhalt weder druckfertig noch druckfähig war. Es mußte sich darum handeln, nicht allein die Form zu schaffen, die Flüchtigkeit der Aufzeichnungen an manchem abgerissenen Satze zu bessern, ein fehlendes Verbum, einen in der temperamentvollen Schnelligkeit des Niederschreibens übersprungenen Gedanken einzufügen, sondern vor allem die Schärfen und Kanten abzuschleifen. Es wurde gesagt, daß das »Vermächtnis« ursprünglich als eine persönliche Abrechnung gedacht war, mit persönlichen Feinden, wie Feuerbach sie in Karlsruhe und Wien witterte, mit dem »Kunstgeschmack« der Allgemeinheit, die Makart und Werner verehrte, während sie Feuerbach verhöhnte, mit der Kunstkritik, kurz mit der absoluten, allenthalben vorhandenen Verständnislosigkeit für Feuerbachs Künstlertum und seine Persönlichkeit. Das Wesentliche ist nun, daß der Künstler, schon durch eine unselige Vererbung von väterlicher Seite her, ungemein empfindlich und reizbar war, Widerspruch nicht ertragen konnte und seiner persönlichen Laune oftmals in schwerer Verbitterung allzusehr nachgab. Es ist das Verhängnis seiner Natur, die so manchen Charakterzug mit dem glücklicheren Lord Byron gemein hat, daß sie der unbedingten Anerkennung bedurfte, und da diese ausblieb, mit sich und schuldlosen Anderen in Zwiespalt geriet. Auf das Selbstquälerische einer solchen Individualität können wir Alfonsos Worte an Tasso beziehen:
»Dich führet alles, was du sinnst und treibst, Tief in dich selbst. Es liegt um uns herum Gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub, Doch hier in unserm Herzen ist der tiefste, Und reizend ist es, sich hinabzustürzen.«
Mehr noch als die »Lebenserinnerungen« geben die Briefe das Spiegelbild dieses schwermütig schwankenden Charakters. Aber nicht zur Anklage gegen Feuerbach wollen wir diese dunkle Gabe eines trüben Geschicks erheben, sondern zur Anklage gegen diejenigen, in deren Macht es lag, die ursprüngliche Eigenschaft seines Wesens, die kindliche Heiterkeit und Naivität, hell leuchten zu lassen und das Negative zu bannen. Wahrlich, es wäre leicht gewesen!
War der Niederschlag dieser Stimmungen das eigentliche Element der selbstbiographischen Aufzeichnungen, eine Art Selbstbefreiung und Selbstreinigung, die Mutter durfte als Herausgeberin hier keinen Kompromiß schließen, sie hatte das Recht und die Pflicht, persönliche Angriffe zu streichen und zu ändern. Über die einzuhaltende Grenze heute, nach Kenntnis des Nachlasses, Vorschriften machen zu wollen, erscheint absurd. Jeder Herausgeber biographischer Schriften hat die Berechtigung, wenn er sie überhaupt ziehen muß, sie zu ziehen nach seinem eigenen Belieben. Daß Henriette Feuerbach die hellen, sonnigen Stellen bevorzugte, zurückschob, was im Schatten stand, lichter strahlen ließ, was, selten genug, freundlich aufleuchtete, wie ihr schöner, in Karl Neumanns Vorrede mitgeteilter Brief ausspricht, war im Einvernehmen mit dem Gewissen der Herausgeberin, deren Befugnisse niemals ausgedehnt oder überschritten wurden, vom Herzen der Mutter befohlen. Als Chateaubriand seine »Mémoires d'Outre-Tombe« redigierte, schrieb er an Joubert: »Meine Bekenntnisse dürfen nichts Peinliches enthalten. Ich werde die Nachwelt nicht von meinen Schwächen unterhalten, nichts über mich berichten, das nicht der Manneswürde und der Gesinnung meines Herzens entspräche. Nur das Schöne soll der Welt zugänglich gemacht werden; es heißt nicht Gott betrügen, wenn man nur enthüllt, was dazu geeignet ist, edle und großartige Gefühle zu erwecken. Die Klage über mich selbst mag genügen, um der Welt das gemeinsame Elend verständlich zu machen, das am besten verschleiert bleibt.«
Solche Prinzipien hatte Feuerbachs Mutter für sich aufgestellt, als sie an ihre Arbeit ging. Fast siebzigjährig, dazu augenleidend, unterzog sie sich der Anstrengung, die vielen, winzig klein zusammengeschriebenen Briefe des Sohnes zu ordnen und abzuschreiben. Als sie einmal versuchte, Teile des Manuskriptes selbst in die Setzerei zu geben, erhielt sie die Blätter als unleserlich zurück. Das schwere Augenleiden, das später sogar eine Operation in Würzburg nötig machte, ist Schuld daran, daß einige Briefe ein falsches Datum erhalten haben. Das soll nicht geleugnet werden. Aber Feuerbach selbst verfuhr bei der Datierung seiner Briefe mit großer Leichtfertigkeit, verwechselte Daten und sogar Jahreszahlen (vgl. auch Allgeyer, Bd. I, S. 143 und Paul Hartwig, Anselm Feuerbachs Medea, Leipzig 1904. S. 16. 17, 20), und so sind bei manchen römischen Briefen die von der Mutter geänderten Daten die richtigen, während sie sich bei den Briefen aus Antwerpen wirklich einmal (gerade hier erscheint der Inhalt des Briefes keineswegs dem, übrigens durch den Poststempel beglaubigten Datum entsprechend) versehen hat. Wie schwer es doch sein muß, das Richtige zu treffen, zeigen, nebenbei bemerkt, zwei gegenteilige Auffassungen von Werner und Allgeyer über den Beginn des Antwerpener Aufenthaltes, den die Mutter und Allgeyer auf Grund eines Briefes an Binder auf den Frühling 1850 ansetzen, während Werner auf Grund des ersten aus Antwerpen datierten Briefes erst den Herbst 1850 annehmen möchte. Daß Feuerbach Mitte Mai aus München nach Antwerpen abreiste, bestätigt ein von ihm am 13. Mai 1850 an seine Tante Sophie in Ansbach gerichteter Abschiedsbrief. Das Vorgehen der Mutter ist also hier vollkommen gerechtfertigt.
Der schwerste Vorwurf, der erhoben wurde, betrifft die Einfügung fremden, von Frau Feuerbach selbst stammenden, weder im Manuskript der Lebenserinnerungen, noch in den Briefen aufzufindenden Materials. Schon Neumann weist auf die Tatsache hin, daß Frau Feuerbach Briefe ihres Sohnes verbrannt hat. Werner hat sich verleiten lassen, bei seinen Beanstandungen nur die im Besitz der Kgl. Nationalgalerie in Berlin befindlichen Papiere in das Bereich seiner Betrachtungen zu ziehen, ohne daran zu denken, daß sich sehr wohl im Besitze der Familien Heydenreich und Feuerbach Briefe befinden konnten, die Frau Feuerbach benutzte, daß ferner die Mutter Briefe des Sohnes an Freunde verschenkt hat. Das Material der Kgl. Nationalgalerie ist nun in der Tat unvollständig. Briefe Feuerbachs an seine Mutter befinden sich in Wien, Ansbach, Freiburg, Basel, Leipzig, Heidelberg (vgl. Allgeyer II, 189) und sicher auch anderswo. Frau Feuerbach hatte von all diesen Briefen, soweit sie dieselben im »Vermächtnis« verwendete, genaue Kopien, die ihr, wie sie selbst schreibt, »auf unerklärliche Weise« verloren gingen. An eine Hamburger Dame, die ein Autogramm Anselms erbeten und erhalten hatte, mußte bei der Neuauflage die Bitte um nochmalige Zusendung gerichtet werden, da der Brief für diese Neuauflage benötigt wurde. Ebenso sandten damals die Münchener Verwandten eine Reihe von Briefen des Malers an seine Schwester ein, die sie nachher zurückerhielten. Einiges Andere, Unbenutzte gelangte später an die Öffentlichkeit, so stehen im Jahrgang 1907, Heft 3 der »Südd. Monatshefte« und in Nr. 42, Jahrg. 1908 der Beilage zur »Allgemeinen Zeitung« Briefe des Künstlers an die Mutter. Da es sich hier nicht um textkritische Auseinandersetzungen bis ins kleinste, sondern um die Verteidigung der Mutter handelt, dürfen die gemachten Feststellungen genügen. Nur flüchtig sei darauf hingewiesen, daß der Brief mit der Mitteilung, warum Iphigenie sitze (Vermächtnis S. 106, Allgeyer-Neumann S. XVIII), von Frau Feuerbach an Michael Bernays gesandt worden ist, worauf dieser seinen Aufsatz »Iphigenie an der taurischen Küste« im »Stuttgarter Morgenblatt« gründete. Bernays hat das Schreiben später dem Münchener Hofkapellmeister Levi für seine Autographensammlung geschenkt, woher es sich die Mutter erbat, und wohin es nach Benutzung zurückkehrte. Besonders die Freundin Fräulein Kestner in Basel erhielt als Beilage in den Briefen häufig solche Äußerungen Anselms über seine künstlerische Tätigkeit. Diese aufzufinden – es müssen sich hier über das Gastmahl wichtige Nachrichten ergeben – ist leider bisher nicht gelungen. Endlich hat Frau Feuerbach, die einer förmlichen Verbrennungswut huldigte, bei ihrem letzten Umzug in Ansbach tagelang ganze Kisten von Briefen verbrannt. Damals sind wohl auch die Briefe von Allgeyer in den Ofen gewandert.
Übrigens hat sich schon zu Lebzeiten Frau Feuerbachs eine Stimme erhoben, die ihr Unwahrheit vorwarf (vgl. v. Lützows Besprechung des Vermächtnisses in der »Kunstchronik«, Bd. XVII Jahrg. 1882). Die Mutter hat darauf nicht erwidert. Aber in einem vertraulichen Brief an die Gräfin Noer, dessen Benutzung sie sicherlich nicht ahnte, heißt es: »Aus Wien drohen mir große Unannehmlichkeiten durch einen Kritiker, der aus dem glühendsten Bewunderer des Vermächtnisses plötzlich mein und Anselms Gegner geworden ist. Er beschuldigt mich der Unwahrheit. Zum Glück sind (Frau Feuerbach bereitete eben die 1. Auflage vor) alle Beweise schwarz auf weiß in meinen Händen.« Die edle Frau durfte ruhig sein. Ihr einziger Richter war ihr Gewissen, und das ließ sie über alle Anschuldigungen erhaben sein. Sie schreibt an Frau Justizrat Berolzheimer: »«Wenn Sie diese Blätter lesen, werden Sie erst begreifen, welche unbarmherzige Aufgabe dies war. Aber sie mußte sein, und niemand außer mir hätte sie lösen können. Desto größer ist meine Angst über die mir aufliegende Verantwortlichkeit. Wenn nun der Erfolg ein ungünstiger oder ein gleichgültiger wäre, hätte ich den Namen meines Sohnes aufs Spiel gesetzt, denn es ist ja nicht mein, sondern sein Werk.« Und einer Münchener Freundin wird gedankt: »Wenn eine Schrift mit solcher Gewissensangst und Sorge in die Öffentlichkeit gegeben wird, ist jedes tröstliche und verständnisvolle Wort darüber eine Erlösung. Ich begreife meine Arbeit nicht mehr. Daß eine höhere Eingebung mich geführt hat, darin mögen Sie recht haben. Ich horchte auf den Text der verklungenen Stimme; dies mag die Unmittelbarkeit und Wahrheit hervorgelockt haben. Doch war ich nur das Werkzeug, und was gelungen ist, steht hoch über mir.«
Um, jetzt wohl überflüssiger Weise, noch einen letzten Punkt anzuführen: wir haben ja noch eine zweite Arbeit Frau Feuerbachs, die sie unmittelbar nach dem Vermächtnis ausgeführt hat, eine ganz ähnliche Arbeit, die Herausgabe der Lebenserinnerungen des Grafen von Noer. Aus den zahlreichen Briefen an die Witwe des Grafen, mit der Frau Feuerbach innige Freundschaft verband, lassen sich die strengen Grundsätze feststellen, die der Herausgeberin eigen waren. Der Autor muß selbst in Briefen und Tagebüchern sprechen, nur Anmerkungen dürfen von fremder Hand beigefügt werden. »In der Auswahl habe ich Glück und Geschick,« wird ausdrücklich angegeben. Dabei beruft sich Feuerbachs Mutter auf den Beifall, der ihr von den Freunden ihres Lieblings gezollt wurde.
Karl Neumann hat uns von dem tiefen Eindruck berichtet, den er empfing, als die herrliche Frau die Brahmssche Komposition der »Nänie« Schillers, die dem Andenken Feuerbachs gewidmet ist, spielte. Sie schien ihm wie »die tragische Muse, die das Schicksalslied kündete.« Wir können nur im Geiste das Wesen der edlen Mutter ahnen, deren liebevolle, bekümmerte Züge das schöne Bild des Sohnes in der Berliner Nationalgalerie für alle Zeiten bewahrt. Wenn wir das »Vermächtnis« aufschlagen, sehen wir sie, wie sie einsam am Tische sitzt: »Die Arbeit war herzbrechend. Das ganze Leben noch einmal durchlebt, jeden Brief registriert, alle brauchbaren Stellen angestrichen und alle Beilagen zugeschafft und angefügt – so einen Jahrgang nach dem andern von 1845 bis 1879.« Wir folgen Henriette Feuerbach bei der Arbeit, fühlen mit ihr die Sorgen und Qualen, die Angst um das Glück des Sohnes, wir gewahren Tränen in ihren Augen, wenn sie den Brief vom 4. Juni 1863 zur Hand nimmt und überquellenden Herzens darauf schreibt: »Dieser Brief wiegt für mich das ganze Leben auf.« Auch auf uns, die ein ehrfurchtsvoller Schauer ergreift, überträgt sich der Widerschein dieses edelsten, göttlich schönen Verhältnisses zwischen Mutter und Sohn. Mit tiefer Rührung lesen wir den erschütternden Ausbruch des unglücklichen Sohnes: »Was du für mich gelitten und getan hast, Mutter, wer hätte es getan? Sind nicht alle Resultate, die ich erzielen werde, zur Hälfte dein und zur Hälfte mein Werk!«
Der Text der neuen Ausgabe ist unverändert der der zweiten Auflage geblieben, wie bereits gesagt wurde. Dagegen erschien die Beigabe des Verzeichnisses der Werke, das sich wesentlich genauer nunmehr in der zweiten Auflage von Allgeyer-Neumann findet (obwohl auch hierzu unterdessen Nachträge kommen), überflüssig. Das Bildnis, das erst der zweiten Auflage des »Vermächtnisses« beigefügt wurde, als Lenbach nach vier Versuchen es aufgab, Feuerbach aus der Erinnerung zu malen, durfte dafür nicht fehlen.
Der Herausgeber ist den Direktionen der Kgl. Nationalgalerie in Berlin und der Kgl. Staatsbibliothek in München, den Familien Heydenreich und Feuerbach, sowie zahlreichen Freunden Frau Feuerbachs zu herzlichstem Dank verpflichtet.
Herrsching, April 1910
Hermann Uhde-Bernays